Textreihe zur Mundartliteraturgeschichte

aus dem Christine Koch-Mundartarchiv

am Dampf Land Leute-Museum Eslohe

Die Erarbeitung dieses Bandes wurde gefördert durch die

Rottendorf Stiftung

© 2016 Bearbeiter

(Buchausgabe zur Digitalen Bibliothek „daunlots“)

Sauerländische Mundart-Anthologie.

Dritter Band: Plattdeutsche Prosa 1890-1918.

Bearbeitet von Peter Bürger

Textreihe zur Mundartliteraturgeschichte

aus dem Christine Koch-Mundartarchiv

am Dampf Land Leute-Museum Eslohe

Umschlaggestaltung unter Verwendung einer kolorierten

„Kiepenlisettken“-Postkarte (Foto: M. Kettling, 1906).

Satz & Gestaltung: www.sauerlandmundart.de

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7412-4328-8

Inhalt

Über die Reihe „Sauerländische Mundart-Anthologie“

Das Sauerland bildet den südlichsten Zipfel des niederdeutschen Sprachraums. Noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein sprachen die Leute in vielen Ortschaften ein eigentümliches Plattdeutsch. Es zeichnete sich vor allem durch zahlreiche Mehrfachselbstlaute aus und wurde (bzw. wird) von Mundartsprechern aus anderen niederdeutschen Landschaften oft nur schwer verstanden. Heute ist den meisten jungen Menschen in Südwestfalen selbst der Klang der früheren Alltagssprache des Sauerlandes nicht mehr vertraut. Über ältere Schallplatten oder Tonkassetten, eine von Walter Höher bearbeitete CD-Edition des Märkischen Kreises1 und die noch vollständig lieferbare Hörbuchreihe „Op Platt“2 aus dem von Dr. Werner Beckmann und Klaus Droste betreuten Mundartarchiv Sauerland können jedoch zahlreiche Ortsmundarten, die schon „verstummt“ sind, noch immer hörbar gemacht werden (Im reypen Koren 2010, S. 670-673 und 675-680).

Daneben versucht das Christine-Koch-Mundartarchiv am Dampf LandLeute-Museum Eslohe seit 1987, über die Vermittlung schriftlicher bzw. literarischer Sprachzeugnisse einen Beitrag zum „plattdeutschen Kulturgedächtnis“ im dritten Jahrtausend zu leisten. Eine vom Herausgeber dieses Buches bearbeitete Mundartliteraturgeschichte des Sauerlandes ist für den Zeitraum bis 1918 bereits abgeschlossen. Folgende Bände sind bislang erschienen und können über das Museum Eslohe erworben werden (www.museum-eslohe.de):

1. Im reypen Koren.

Ein Nachschlagewerk zu Mundartautoren, Sprachzeugnissen und plattdeutschen Unternehmungen im Sauerland und in angrenzenden Gebieten (Eslohe 2010).

2. Aanewenge.

Plattdeutsches Leutegut und Leuteleben im Sauerland (Eslohe 2006).

3. Strunzerdal.

Die sauerländische Mundartliteratur des 19. Jahrhunderts und ihre Klassiker Friedrich Wilhelm Grimme und Joseph Pape (Eslohe 2007).

4. Liäwensläup.

Fortschreibung der sauerländischen Mundartliteraturgeschichte bis zum Ende des ersten Weltkrieges (Eslohe 2012).

Die hier mit einem zweiten Band fortgesetzte Reihe „Sauerländische Mundart-Anthologie“ erschließt indessen den eigentlichen Gegenstand von Lieberhaberei und Forschung! Sie ist so konzipiert, dass Entwicklungen des plattdeutschen Schreibens in der Region anhand von Quellen nachvollzogen werden können. Die Auswahl darf also keineswegs auf solche literarischen Texte beschränkt bleiben, die der Bearbeiter als „besonders kunstvolle“ Beispiele erachtet. Es gilt jedoch das Versprechen, dass in jedem Band Türen für ein ausgiebiges Lesevergnügen aufgetan werden.

Zugegeben, der Reihentitel ist irreführend, da das Projekt über eine „Blütenlese weit hinausgeht und sich in die Richtung einer Mundart-Bibliothek für das kölnische wie märkische Sauerland (samt südwestfälischer Grenznachbarschaft) entwickelt. Einschlägige „Klassiker und verstreute Textzeugnisse u. a. aus dem Heimatschrifttum vergangener Zeiten sollen darin in großzügiger – möglichst repräsentativer – Auswahl auch einer solchen Leserschaft dargeboten werden, für die bereits das Schriftbild (Fraktur) in alten Druckerzeugnissen eine erhebliche Barriere bedeutet. Seit über einem Vierteljahrhundert konnten im Christine Koch-Mundartarchiv einige als verschollen geltende Raritäten, z.T. sehr umfangreiche Nachlass-Manuskripte und zahllose Zeugnisse einer breiten plattdeutschen Schreibkultur in der Region zusammengetragen werden. Die Früchte der diesbezüglichen Archivarbeit nunmehr nach Plan über die „Sauerländische Mundart-Anthologie“ zugänglich zu machen, dieser Vorsatz ist die stärkste Triebfeder für das ganze Vorhaben. Der Blick auf den „nahenden Abschluss einer überschaubaren [neuniederdeutschen] Literaturtradition“ (Robert Langhanke) geht bei einigen Plattdeutsch-Aktivisten noch immer mit rückwärtsgewandten Beschwörungen einher. Das hier Vorgelegte soll jedoch nicht dem Lamento dienen, sondern zu einer Lesereise durch die Kultur- und Sprachgeschichte einer Landschaft verführen.

Vorab einige „praktische Hinweise“ zum Gebrauch der Edition. Jegliche Literatur wird im Hauptteil der einzelnen Bände nur über Kurztitel verzeichnet, deren Aufschlüsselung im Anhang („Literatur – Quellen“) keine große Mühe bereitet. Der jeweils zugrundegelegten Textquelle ist ein „T“ vorangestellt, während ein „L“ auf weiterführende Hintergrundliteratur, Vergleichstexte etc. verweist (bisweilen ergänzt um gesonderte Hinweise auf hochdeutsche Fassungen und Übersetzungen). Jeder Kurztitel, der mit einem Sternchen* versehen ist, steht für eine Quelle bzw. Publikation, die auch im Internet abgerufen werden kann. Größere Eingriffe werden bei den Texten zumindest über einen summarischen Vermerk kenntlich gemacht. In dieser Edition geht es jedoch nicht um eine Vereinheitlichung der Schreibweise oder eine Beseitigung aller Widrigkeiten in den originalen Textdarbietungen. Die „Mundart“ ist auf vielerlei Wegen und Irrwegen zu Papier gebracht worden. Auch das soll vermittelt werden.

Für die Zeit bis zum Ende des ersten Weltkrieges besteht inzwischen ein durchaus komfortabler Zugang zu Primärquellen. Über die Reihe „daunlots“ auf www.sauerlandmundart.de und öffentliche Digitale Bibliotheken, insbesondere die der Universitäts- und Landesbibliothek Münster, ist die sauerländische Mundartliteratur dieses Zeitraums zu einem beträchtlichen Teil schon im Internet eingestellt. Frei abrufbar sind auch zwei plattdeutsche Wörterbücher (Woeste 1882* und Pilkmann-Pohl 1988*), die als Hilfsmittel für Textarbeit oder Eigenstudium empfohlen seien. Die Kommission für Mundart- und Namenforschung Westfalens erschließt auf ihrer Website Projekte, Publikationsangebote, Schaubilder, Hörbeispiele und interaktive „Lernmöglichkeiten“ für den gesamtwestfälischen Raum (www.lwl.org/LWL/Kultur/komuna/). Das Literaturverzeichnis jedes Bandes soll neben dem Quellennachweis dazu dienen, all diese Ressourccen für weiterführende literarische Erkundungsreisen und „Heimstudien“ aufzuzeigen.

Die gesamte Edition kann zunächst frei zugänglich im Internet aufgerufen und ebenso in Form gedruckter Bände (book on demand) erworben werden. Dieses Konzept der doppelten Veröffentlichung entspricht dem Anliegen, über kleine Spezialzirkel hinausgehend Interesse zu wecken und allen, die es möchten, auch ein „digitales Abtasten“ des edierten Sprachmaterials zu ermöglichen. – Jeder Band der Reihe wird realisiert, wenn für seine Bearbeitung eine Förderung in Höhe von 500,- Euro zugesagt ist. Den Förderern sei sehr gedankt. Ohne ihre Unterstützung könnte das Unternehmen „Sauerländische Mundart-Anthologie“ in der geplanten Form nicht umgesetzt werden.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt liegen in der Anthologie-Werkstatt bereits folgende Teile vor:

1. Erster Band:

Niederdeutsche Gedichte 1300 - 1918

Buchfassung ISBN 978-3-8370-2911-6

2. Zweiter Band:

Plattdeutsche Prosa 1807 - 1889

Buchfassung ISBN: 978-3-7392-2112-0

3. Dritter Band:

Plattdeutsche Prosa 1890 - 1918

Buchfassung ISBN: 978-3-7412-2240-5

4. Vierter Band:

Plattdeutsche Gedichte 1919 - 1933

(Erscheint voraussichtlich im Sommer 2016)


1 „Auf 20 CDs aus sechs eingeteilten Sprachregionen des Bearbeitungsgebietes [märkisches Sauerland, Balve, Menden] kommen [...] insgesamt 140 Sprecherinnen und Sprecher zu Wort. Es sind plattdeutsche Sprachbeispiele in vielerlei Gestalt (Geschichten, Erzählungen, Gedichte, heitere Darstellungen, Berichte über Kinderspiele, bäuerliche und gewerbliche Verrichtungen in der Vergangenheit usw.) Die plattdeutschen CD-Texte wurden von Walter Höher in die hochdeutsche Sprache übersetzt und sind in einem Begleitbuch mitlesbar.“ (http://www.heimatbund-mk.de/index.php/literatur)

2 Insgesamt liegen schon 26 Text-&-Ton-Hefte „Op Platt“ für den kurkölnischen Landschaftsteil vor, direkt erhältlich beim Herausgeber der Reihe: Mundartarchiv Sauerland, Stertschultenhof in Cobbenrode, Olper Straße 3, 59889 Eslohe. Kontakt über E-Mail: mundartarchiv@gmx.de

Vorwort zu diesem Band

In früheren Jahrhunderten sorgten oft schon die Grenzen der Kirchspiele dafür, dass sich bestimmte sprachliche Eigentümlichkeiten in Kleinräumen festigen und erhalten konnten. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat die Revolution des Eisenbahnwesens stärker als jede andere Neuerung jene unsichtbaren Mauern durchbrochen, die einstmals gerade auch die Landschaftsteile des Sauerlandes umschlossen. Zeitnah beschreibt schon FRIEDRICH WILHELM GRIMME dieses Geschehen in seinem humoristischen Prosatext „De Meskeder Yiserbah“ (1872) als Auftakt zu einer regelrechten Globalisierung! Franz-Josef Keite, Mitarbeiter des Esloher Museums, vermisst dieses bedeutsame Mundartzeugnis im zweiten Band der Anthologie-Reihe. Mit Vergnügen greife ich seinen sehr berechtigten Hinweis auf. Die Zeit wird noch einmal um zwei Jahrzehnte zurückgedreht. GRIMMES weitsichtige Vision von einem sauerländischen Weltbürgertum steht jetzt am Anfang der hier vorgelegten Sammlung.

Hintergründe, Inhaltsangaben, ideologiekritische Beobachtungen und Deutungen zu den in diesem Anthologie-Band erschlossenen Werken werden – von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen – ausführlich in der „Fortschreibung der sauerländischen Mundartliteraturgeschichte bis zum Ende des ersten Weltkrieges“3 dargeboten. Diese Publikation, die nicht zuletzt auch als Studie zur regionalen Sozial- und Mentalitätsgeschichte angelegt ist, zeigt z.B. konfessionell bedingte Unterschiede bei den plattdeutschen Produktionen auf. Im evangelischen Landschaftsteil stoßen wir früher auf ausgesprochen militär- und preußenfreundliche Texte4; die kurkölnische Nachbarschaft findet hier erst nach 1900 den unrühmlichen „Anschluss“. Im katholischen Sauerland spielen hingegen Religion und konfessionelles Milieu durchgehend eine viel größere Rolle; leider ist dort auch die judenfeindliche Tendenz bei Schwank-Autoren ungleich stärker ausgeprägt.

In der Auswahl dieses Bandes konnten mit gleichmäßiger Gewichtung Mundartzeugnisse aus allen „niederdeutschen“ Kreisgebieten Südwestfalens (Kreis Olpe, Hochsauerlandkreis, Märkischer Kreis, Kreis Soest) berücksichtigt werden. Den Auftakt bildet – ohne Kürzungen – das Werk „Hiärmen Slaumeyers Liäwensläup“, das um 1880 geschrieben worden sein soll und vielleicht um 1890 in Neheim veröffentlicht worden ist. Meine besondere Wertschätzung dieses lange nicht auffindbaren Textes habe ich u.a. durch eine umfangreiche sozialgeschichtliche und psychologische Deutung zum Ausdruck gebracht.5

Über einige beispielhafte Kapitel werden die drei plattdeutschen Städtechroniken von Soest (1896), Iserlohn (1896) und Hamm (1903/ 1904) vorgestellt, die erwartungsgemäß eine bildungsbürgerliche Prägung aufweisen. Der in Soest geborene EDUARD RAABE, Verfasser der zweibändigen Stadtchronik von Hamm, hat mit seinem Buch „S.G.V“ (1893) auch ein literarisches Zeugnis zum bürgerlichen Wander- und Heimatkult der Kaiserzeit vorgelegt. Einen historischen Mundartroman „Unner frümder Kreone“ (1898) verdanken wir dem Iserlohner CARL HÜLTER. Der Literaturgattung „Dorfgeschichte“ lässt sich am ehesten das – sprachlich wie inhaltlich ansprechende – Büchlein „Dorpluie“ (1903) von JOSEPH WESTEMEYER aus Rhynern bei Hamm zuordnen; der Vater des Autors war Sauerländer.

Neben der Bearbeitung von Leuteüberlieferungen (Sagen, Legenden, Spukgeschichten) wird das humoristische Schwank-Genre sehr eifrig fortgeführt. Hier fühlen sich z.B. die Bödefelder JOHANN HENGESBACH und GOTTFRIED HEINE in ihrem Element. HENGESBACH, ein finsterer Reaktionär mit unverkennbarem Erzähltalent, möchte mit seinem zweiten Buch „Rippräppe“ (1905) allerdings eine zusammenhängende Geschichte gestalten, nämlich die Reise von zwei Junggesellen zur Düsseldorfer Ausstellung. Gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts gibt es freilich kein Übergewicht der „lustegen Saken“! Schwankautoren wie THEODOR SCHRÖDER, JOST HENNECKE und später FRANZ ANTON MÖNIG wollen ihre Leserschaft – mit kurzen oder langen Texten – auch nachdenklich stimmen. MÖNIG schreibt im Weltkrieg u.a. plattdeutsche Seelsorge- bzw. Pfarrnachrichten aus der Heimat für Soldaten; das ist etwas Neues. Bei HENNECKE, der sich aufgrund von Stammbaumforschung seiner „freiheitsliebenden“ Vorfahren aus dem Musikantengewerbe bewusst ist, gibt es eine Entwicklung. Im Erstlingswerk „Heididdeldei“ von 1908 findet man u.a. ein besonders hässliches Beispiel für die – in kleinbürgerlich geprägten Mundartbüchern durchaus nicht seltene – Verächtlichmachung von unterstützungsbedürftigen Armen (Dai Kroisenpaß). In der nachfolgenden Sammlung „Wille Diuwen“ (1911) stoßen wir dann auf einen sehr sympathischen Schwank der Sorte „Sozialer Aufstieg“ (Batt et nit, dann schadt et nit!) und auf den Prosatext „Oppem Hiekelhuawe“, in dem der Autor deutlicher als jeder andere Zeitgenosse gegen die Ausgrenzung der Nachfahren von „Kötten“6 Stellung bezieht.

In seinem Band „Riägenbuogen“ (1906) wartet LUDWIG SCHRÖDER aus Soest fast ausschließlich mit ernsten Erzählungen auf. Ausgewählt habe ich daraus eine „Novelle“ wider die Diskriminierung aufgrund unehelicher Geburt und eine Geschichte, in der der jüdische Nachbar einem Christen hilft, sich gegen den egoistischen Materialismus in dessen Familie kreativ zur Wehr zu setzen. Der Verfasser hat Ideen, mit denen er sein u.a. in Rezensionen skizziertes Literaturideal verwirklichen möchte. Zur eigenen Sprachaneignung in der Familie von Freunden seiner Eltern wird er 1921 rückblickend schreiben: „Ick was joa ’n Stadtkind un konn kein Woart Platt kuiern, as ick no Schmidts henkam.“

Im Zusammenhang mit den ‚ernsten Tendenzen‘ muss unbedingt die Lüdenscheiderin EMMA CRAMER-CRUMMENERL genannt werden. Ihre in die vorliegende Anthologie aufgenommene plattdeutsche Prosa ist im hochdeutschen Buchtitel „Vom Herzens-Überfluss“ [1915] gleichsam versteckt und deshalb von mir bislang übersehen worden. Die Autorin lenkt den Blick auf die Heiratsaussichten von jungen Frauen aus der sogenannten Unterschicht (Lünschger Schützenfest, Läineken, Dat Wickewief) und empfiehlt im Einzelfall z.B. geduldige Gewöhnung an den Alkoholkonsum eines Gatten (Potthucke). Die gastronomischen Genüsse der Landschaft für Wanderfreunde sind mitunter zweifelhafter Natur (Äine Fauttur düar dat Suerland). Im Münsterland will ein Sauerländer eine Bauerntochter als Magd anwerben, wird hierbei jedoch als Hochzeitsfreier eingeschätzt (Piarehandel im Münsterlanne). Die militärfreundliche Tendenz der Lüdenscheiderin kommt auch in einigen plattdeutschen Prosatexten zum Zuge, allerdings weniger aufdringlich als in ihrer Lyrik (Vam Küssen, Wenn’t Christkinken küemet, Äine Oustergeschichte). Die Beleuchtung sozialer Verhältnisse fällt bei der Darbietung des Gesprächs zwischen einem eifrigen jungen Theologen und einem schicksalserprobten Achtzigjährigen besonders überzeugend aus (Nomme Doue).

Abwegig ist es freilich, ernste und humoristische Texte gegeneinander auszuspielen. Moralisierende oder sentimentale Erzählungen können bekanntlich sehr flach ausfallen. Besonders hochgesteckte Ansprüche und lange Schachtelsätze tragen selten zum plattdeutschen Lesegenuß bei. Ein wie auf leichten Füßen daherkommender Schwank kann andererseits von wacher Wahrnehmung sozialer Verhältnisse zeugen und sehr tiefgründig sein. Schließlich gibt es Texte, die sich den üblichen Klassifizierungen widersetzen. Der Drolshagener JOSEPH BÖRSCH versammelt in seinem Band „Min Draulzen“ (1917) plattdeutsche Geschichtsschreibung, Leutegut, Legenden, Sagen und Schwänke. Wohin nun stecken wir aber sein wunderliches Stück „Bükeltien un Gialgösiken“?

In technischer Hinsicht unterstützt mich seit Anfang dieses Jahres Wolf-Dieter Grün (Wenden) bei neuen Texterfassungen für das Projekt „Sauerländische Mundart-Anthologie“. Seine uneigennützige Hilfe, für die mir aus mehreren Jahrzehnten regionaler Kulturarbeit kein Vergleich einfällt, ist zugleich eine starke – menschliche – Ermutigung.

Gewidmet sei die Herausgabe dieses Bandes Jupp Balkenhol vom Möhnesee, dem wohl hartnäckigsten Mundartschreiber der Region.

Düsseldorf, im Mai 2016 Peter Bürger

Titelblatt der Originalausgabe „Hiärmen Slaumayers Liäwensläup“ im Germanistischen Institut der Universität Münster; handschriftlicher Vermerk „geschrieben um 1880“ (Reproduktion: Kommission für Mundart- und Namenforschung Westfalens).


3 Liäwensläup 2012. Alle Leser des Anthologie-Bandes seien nachdrücklich verwiesen auf diese Arbeit, deren Ergebnisse hier schon aus Platzgründen nicht noch einmal referiert werden können.

4 Vgl. zum Komplex „Kriegsmentalitäten“ auch die Beiträge im Rahmen des Projektes „Friedenslandschaft Sauerland“: daunlots nr. 77*; Bürger 2016a.

5 Liäwensläup 2012, S. 251-279. (Rezensenten, die die Deutungen zu Persönlichkeit und Familienroman des Hiärmen Slaumeyer „verifizieren“ möchten, seien auch auf die – hier nicht eigens angeführten – Grundlagenwerke der neopsychoanalytischen Schule im Gefolge von H. Schultz-Hencke verwiesen.)

6 Vgl. zu den sauerländischen „Kötten“ (Parias, die spätere Übersetzung „Zigeuner“ ist abwegig): Bürger 2013, S. 161-312.

Epochengliederung des Niederdeutschen

800 – 1150

Altsächsisch

1200 – 1400

Frühmittelniederdeutsch

1401 – 1520

Klassisches Mittelniederdeutsch

1521 – 1750

Spätmittelniederdeutsch

1751 – 1850

Frühes Neuniederdeutsch

(= Frühes Plattdeutsch)

1851 bis heute

plattdeutsche Kulturdialekte

(Quelle: NiW*)

FRIEDRICH WILHELM GRIMME (1827-1887)

Olsberg-Assinghausen

DE MESKEDER YISERBAH (1872)

Te Meskede was am achttainden Christmond, drei Dage vüär Sente Thommes, en graut Buggäi; kein Menske harre mehr Wäihdage, kein Podogro und keine Lyidören. Denn bat sik dät Hiäte verlanget hadde met Angen un Bangen un Schmiärten, endlik was’t met Guaddes Hülpe do, un Klein-Paryis was düär ’ne langen, langen, langen Yiserstrank mit Graut-Paryis in Verbinnunge satt; un bai des Muargens froih in Christoffels Hiuse Kaffe drunken un ’ne Meskeder Krengel derbyi giätten harr, konn nau diänselftigen Owend in der franzoisisken Hauptstaat im GRAND-HÔTEL oder im RESTAURANT INTERNATIONAL sitten un sik en Biffstück van Ratten- oder Kattenfläisk brohn loten. De äiste Lokkematyiwe nemlik met Wintergrain un Dannenbüsken bekroint, was ankummen, un ganz Meskede was oppen Bahnhuaff un käik sik dai frümeden Heerens an, dai van Arensperg ropper keemen; van der Kliuse biuseden de Kattenköppe, de Klocken lütten, de Meskeder Musikanten blaisen Tusch, un jidwedem Meskeder schlaug dät Hiärte bit annen Hals, vüär Stolt un vüär Plasäier. „Niu sin vyi dicke derdüär!“ raip alles, bat raupen konn; „us is hulpen! Paryis, Berlyin un Meskede sind niu de inzigen Stiäe, bo de Welt nau no froget, un düse drei sind niu anäin schwett met Yisern un Stohl, tau Schutz un Trutz in Äwigkeit, Amen.“ Krickels Berend dichtere ’n nigge Laid op de Melodai: „Kenn gyi ’ne nit, kenn gyi ’ne nit! kenn gyi den lahmen Schnyider nit?“ un dat nigge Laid lutte alsau biu folget:

„Kenne gyi se nit, kenn gyi se nit?

Kenn gyi dai nigge Weltstadt nit?

Niu weert de Mesker’ Wind bekannt

Düär alle Welt, düär alles Land.

Kennt gyi se nit?“

Da capo sau vake ase diu west.

Federzeichnung von Heinrich Buse zum Mundartschwank „De Meskeder Eyserbah“ – aus dem 1. Band der Mescheder Grimme-Ausgabe 1939: Das Mütterchen ist vom Fortschritt nicht überzeugt, weil sie ihrem beim Militär weilenden Sohn über den neuen Telegraphen kein Sauerkraut mit Mettwürsten zukommen lassen kann.

Un no düm Laie het se byim Fästball Galopp danzet, bat m’ ok „Berlyinsk“ nennt, un sind fluaggen bit unner’n Bühn. Un mächtig achelt het se un piffet derbyi (– me hett dat op Hauduitsk „Festessen“, wyilank sik jidwederäine sau faste frietet, as’ en Taierpohl –), un dai Achyile fenk nit te Middage an, as’ et süs imme Surlanne Maude was, näi, Owends te väier Uhren, grad’ as’ in Paryis; un se het Austern un Schniägels derbyi schluwwert un sau schwart Tuig runnerschluacken, bat de Bure nit kennt, bat de Meskeder awerst [sic] Kaviar nennet. Un byi düm Fastefriätten het se Reden hallen sau lank ase Wieseboime; absunders hiät gefallen, bat sau’n klein Dink van Schryiwer saggt hiät, dai oppen Diß styigen mochte, dat me ’ne saihn konn. „Niu hallet“, sachche, „alle Potentoten, de Kaiser von Duitsland, Oistryik un Rußland, de Turk un de Franzause iäre Gesandten in Meskede, un Meskede syine Gesandten byi allen Potentoten; un in Meskede iätte vyi niu alle Dage Berlyiner Pannekauken friß, de Berlyiner awer in Berlin Ortmannske Krengels friß taum Kaffäi; un use Döchter kemmet un wasket sik des Nummedags un gott des Owends te Paryis oppen Ball. Diärümme fyifat hauge Paryis, Berlyin un Meskede! hauge!! hauge!!!“

Ments äine Säile gafft’ et diän Tag imme ganzen Dinges, dai trurig was. Dat was en alt, gutt Mömmeken – dat stont manker diän anderen oppen Bahnhuawe, ase de gekroinde Lokkematyiwe ankam un van Lohr bit Meskede in äime Pyipen bläif. Do doh dat Mömmeken ’ne daipen Söcht un saggte: „Dat is niu alles recht wuall un nette! awer dai Keerel, dai dat Flaiten daun matt, dai dött myi läid imme Hiärten! me söll meinen, dai behölle keine Krümel Ohm mehr in der Buast! dai mott mehr ‚Wind‘ hewwen, ase vyi andern Meskeder tehaupe.“

Andern Dages kam en ander alt Mömmeken no’m Bahnhuawe un harr ‘ne Napp vull Sültemaus met’ me netten Enneken Mettwuast unner der Schüärte und saggte bestellig tau’m Stations-Vorsteher: „Hören Sai mol: hört Sai hyi dertau?“ – „Ja wohl, Frau!“ – „Ik hewwe myi seggen loten, do met diäm Dinges do – – na, biu hett m’ et doch?“ – „Meinen Sie den Telegraphen, Frau?“ – „Jo wuall! ganz recht! o, Sai könnt sau’n schnurrigen Namen biätter behallen, ase ik alle Menske. Doch bat ik seggen woll: met diäm Dinges, säggten se, könn me alles, bat me ments wöll, bit an’t Enne der Welt schicken, und sau imme Schnupp wär’t do. Niu heww’ ik van Middage Sültemaus un Mettwuast kuacket; ach, diu laiwer Guatt! dat aat use Hanfränzken jümmer sau geren! Dai arme Junge stäit jitzund nau ümmer in Frankryich; un bat sau Saldoten rores te iätten kryiget, och Guatt, dat wäit me wuall! Niu dacht’ ik, dün Middag söll dat laiwe Kind doch mol wat Örntlikes in den Riwwen hewwen. Hyi is de Napp! Niu maket Sai aber fixe, dat hai’t kritt, ehr’t kalt weert! süs gäit de beste Awetyit dervan!“ – De Stationsvorsteher bewäis iär in enner langen Rede, dat dat nit genge; met dem Telegraphen könn me ments Nohricht un Bestellunge furtschicken. „Jä, jä!“ saggte sai, „hyi is myine Bestellunge: ’ne Napp met Sültemaus un ’ne Griuß derbyi!“ – Hai versochte naumol iär alles klor te maken un dräggede iär antleste den Rüggen tau und genk. Do worte use Mömmeken sau giftig ase ’ne Spinne, spiggede iut un saggte: „Entweder dai Keerel is en Gruawerjohn un gönn emme armen Saldoten nit mol dat bitken Trachtemänte – oder dai ganze Prohl, diän de Meskeder met iärer Yiserbah het, is füär de Katte! Hanfränzken, wenn diu äist mol wier terhäime bist!“

DIE MESCHEDER EISENBAHN

[Übersetzung]

Zu Meschede war am achtzehnten Dezember, drei Tage vor Sankt-Thomas-Tag, ein großes Buhei; kein Mensch fühlte mehr Wehtage [Schmerzen], keine Gicht und keine Hühneraugen. Denn was sich das Herz ersehnt hatte mit Angst und Bangen und Schmerzen, endlich war es mit Gottes Hilfe da, und ‚Klein Paris‘ war durch einen langen, langen Eisenstrang mit ‚Groß Paris‘ in Verbindung gesetzt; und wer des Morgens früh in Christoffels Haus Kaffee getrunken und einen Mescheder Kringel dabei gegessen hatte, konnte noch den selbigen Abend in der französischen Hauptstadt im GRAND-HOTEL oder im RESTAURANT INTERNATIONAL sitzen und sich ein Beef-Stück von Ratten- oder Katzenfleisch braten lassen. Die erste Lokomotive nämlich, mit Wintergrün und Tannenbüschen geschmückt, war angekommen, und ganz Meschede war auf dem Bahnhof und kuckte sich die fremden Herren an, die von Arnsberg herauf kamen; von der Mescheder Klause her böllerten die „Katzenköpfe“ [kleine Sprengstoffbolzen], die Glocken läuteten, die Mescheder Musikanten bliesen Tusch, und jedwedem Mescheder schlug das Herz bis an den Hals, vor Stolz und vor Freude. „Jetzt sind wir dick dadurch!“ rief alles, was rufen konnte; „uns ist geholfen! Paris, Berlin und Meschede sind nun die einzigen Städte, nach denen die Welt noch fragt, und diese drei sind jetzt aneinander geschmiedet mit Eisen und Stahl, zu Schutz und Trutz in Ewigkeit, Amen.“ Krickels [Kricks] Bernhard dichtete ein neues Lied auf die Melodie „Kennt ihr ihn nicht, kennt ihr ihn nicht! Kennt Ihr den lahmen Schneider nicht?“, und das neue Lied lautete also wie folgt:

Kennt ihr sie nicht, kennt ihr sie nicht?

Kennt ihr die neue Weltstadt nicht?

Jetzt wird der Mescheder Wind bekannt

Durch alle Welt, durch alles Land.

Kennt ihr sie nicht?

(Da capo [Von vorne] so oft wie du willst.)

Und nach diesem Lied haben sie beim Festball Galopp getanzt, was man auch „Berlinerisch“ nennt, und sind bis unter die Decke geflogen. Und mächtig gespachtelt haben sie und getrunken dabei [acheln; piffen = Schlausmen] (man nennt das auf Hochdeutsch „Festessen“, weil sich jedwedereins so fest frisst wie ein Weidepfahl, und die Mahlzeit [Achyile = Schlausmen] fing nicht zu Mittag an, wie es sonst im Sauerland Mode war, nein, abends um vier Uhr, gerade wie in Paris; und sie haben Austern und Schnecken dabei geschlürft und so ein schwarzes Zeug heruntergeschluckt, was der Bauer nicht kennt, was der Mescheder aber Kaviar nennt. Und bei dem „Fastefriätten“ [‚Feste-Fressen‘] haben sie Reden gehalten, so lang wie Wiesenbäume [Stangen auf Heu- oder Strohwagen]; besonders hat gefallen, was so ein kleines Ding von Schreiber gesagt hat, der auf einen Tisch steigen musste, dass man ihn sehen konnte: „Nun halten“, sagte er, „alle Potentaten, die Kaiser von Deutschland, Österreich und Russland, der Türke und der Franzose ihre Gesandten im Meschede, und Meschede hält seine Gesandten bei allen Potentaten; und in Meschede essen wir jetzt alle Tage Berliner Pfannkuchen frisch, die Berliner aber in Berlin Ortmannsche Kringel [Brezel] frisch zum Kaffee; und unsere Töchter kämmen und waschen sich des Nachmittags und gehen des Abends zu Paris auf den Ball. Darum vivat hoch Paris, Berlin und Meschede! hoch! hoch!!!“

Nur eine Menschenseele gab es an dem Tag im ganzen Ort, die traurig war. Das war ein altes, gutes Mütterchen – die stand zwischen den anderen auf dem Bahnhof, als die geschmückte Lokomotive ankam und von Laer bis Meschede in einem fort am Pfeifen blieb. Da tat das Mütterchen einen tiefen Seufzer und sagte: „Das ist nun alles recht schön und nett! Aber der Kerl, der das Flöten besorgen muss, der tut mir leid im Herzen! Man sollte meinen, der behielte keinen Krümmel Atem mehr in der Brust! Der muss mehr ‚Wind‘ haben als wir anderen Mescheder alle zusammen.“

Andern Tages kam ein anderes altes Mütterchen zum Bahnhof und hatte einen Napf voll Sauerkraut mit einem schönen kleinen Mettwurst-Ende unter der Schürze und sagte regsam [hier etwa: ungeduldig] zum Stationsvorsteher: „Hören Sie mal: gehören Sie hier dazu?“ – „Ja wohl, Frau!“ – „Ich habe mir sagen lassen, da mit dem Ding da – – na, wie nennt man es doch?“ – „Meinen Sie den Telegraphen, Frau?“ – „Ja wohl!! ganz recht! O, Sie können so einen komischen Namen besser behalten als ich altes Menschenkind. Doch was ich sagen wollte: Mit dem Dingen, sagten sie, könnte man alles, was man nur wollte, bis ans Ende der Welt schicken, und so im Handumdrehen wäre es da. Nun habe ich heute Mittag Sauerkraut und Mettwurst gekocht; ach, du lieber Gott! das aß unser Hansfränzchen immer so gerne! Der arme Junge steht jetzt noch immer in Frankreich; und was so Soldaten Rares zu essen bekommen, och Gott, das weiß man ja! Nun dachte ich, diesen Mittag sollte das liebe Kind doch mal was Ordentliches in die Rippen haben. Hier ist der Napf! Jetzt machen Sie aber fix, damit er es kriegt, ehe es kalt wird! sonst geht der beste Appetit davon!“ – Der Stationsvorsteher bewies ihr in einer langen Rede, dass das nicht ginge; mit dem Telegraphen könne man nur Nachricht und Bestellung fortschicken. „Ja, Ja!“ sagte sie, „hier ist meine Bestellung: ein Topf mit Sauerkraut und ein Gruß dabei!“ – Er versuchte noch einmal, ihr alles klar zu machen und drehte ihr zuletzt den Rücken zu und ging. Da wurde unser Mütterchen so giftig wie eine Spinne, spuckte aus und sagte: „Entweder der Kerl ist ein Grobian und gönnt einem armen Soldaten nicht mal das bisschen Bewirtung [die kleine Portion] – oder aber die ganze Angeberei, die die Mescheder mit ihrer Eisenbahn haben, ist für die Katz! Hansfränzchen, wenn du nur erst mal wieder zuhause bist!“

T: Grimme 1902*, S. 29-31 [mutmaßliche Erstveröffentlichung in: Grimme 1872]; beigefügte Übersetzung von P. Bürger.

L: Grimme 1981, S. 10; Strunzerdal 2007, S. 104. – Zu den Wörtern aus der Sondersprache der Sensenhändler (Schlausmen) vgl.: daunlots nr. 67*.

FRANZ OSTENKÖTTER (1855-1918)

Werl: Niederbergstraße und Westönnen; Lebensorte: Neheim, Dortmund

Hiärmen Slaumayers Liäwensläup van der Waige bit taum Grawwe,

oder: De Iulenspaigel imme niegentainten Johrhunnert

[Neheim, um 1890?]

1. VAN DER GEBURT BIT TAUM SIEWENTEN JOHRE

Ick hewwe vüör ungefähr sästig Johren, in Dingeskiärken, en Euhepaar kannt, dai slaigen sik rächt ondlik düör de Welt. Sai liäwern ganz tefriän tehäupe, un plogern sick van des Muorgens bis des Owends. Ick hewwe se nit eunmol anners naimen hort ärr’ Slaumayer, un ick gloiwe ock, dat sai sick säu schriewen, süs härren sai et sick wuol nit gefallen loten. Sai wören all lange Johren verhyierothet, härren owwer noch kaine Kinner. Op ennmol, et was op Fastowend un säu kolt, dat me kainen Ruien vüör de Düör jagere, herr’ et, Slaumayers härren en jungen Suhn. Me konn ock wuol saihen, dat wot1 loß was, denn de olle Slaumayer laip runt ümmet Hius un jiugede ärr’ de Biuernmiägede, wenn se den Hahkemai binnet; dann laip hai wuier rin un nahm syine Frau innen Aarmen. Ick gloiwe, wenn hai äuk wieten härr’, wat syin klaine Slaumayer füär en Vugel2 gaffte, dann wör hai rin gohn un härr’ alle Brocken kuort slagen, oder hai härr’ ne säugar an de Schuoken packet un härr’ ne ümmen Eckpost slagen.

Den drüdden Dag was Kinddäupe, un dai kleine Poost kreug den Namen Hiärmen. De Duorpschweun 3 was Pah.

Imme eusten Johre, wo Hiärmen op der Welt was, genk et met me, denn hai slaip den ganzen Dag; wennigstens harr’ hai de Aeugen liuter tau. Ick gloiwe ower, dat hai imme eusten Johre all met tauen Aeugen üöwerlaggt4 hiät, wat hai später füör Dummheiten maken woll, un de olle Slaumayer härr’ sik jedenfall [sic] biäter stohn, wenn hai sick füör Hiärmen en Hittlamm opfott härre. Ower hai was niu eunmol do, un do konn me et dem Ollen nit verdenken, wenn hai Spaß an diäm Jungen harre.

Imme twedden Johre wo Hiärmen iäwen läupen konn, do genk et ower all loß. Alles wat de Mömme deh, mäk hai noh. Dann harr’ hai iähr5 en paar Punt Solt int Iäten smieten, dann ne Däuse vull Fuierpinne innen Uawen, dann düt, dann dat, ower liuter wot, wat nit dochte. Et diuere ock nit lange, do beährere hai de Nohwerskop all met syime Besuche. Wenn dai armen Luie do wot liggen härren, wat Hiärmen iäwen büören konn, dann hor et iähme, un ähr sai sick verhörren, was hai der met wiäg, un dann smeut hai et van buowendal innen Pütt. Kämen dann de Nohwers un beklagern sick, dann soll mol enner hewwen dat Schennen hort: „Use Hiärmeken“, sagg’ de olle Slaumayerske, „dait kainer Flaige wot te leue“. No, do harr’ sai ock rächt inne, dai wahren sick wuol vüör iähme. Wenn Slaumayers den Pütt raine mäken, dann stont dät halwe Duop derbyi, alle wollen sai iähre Saken wyier hewwen, dai iähne Hiärmen wiägsliepet harr’. De olle Slaumayer was ower antleßte säu klauk un mäk ne bloß noch des Nachts raine, denn do stak jedesmol füör en Dahler ow taihne Waare inne, dai Hiärmen der in smieten harr’, un wenn sick de Luie dat alle wyier halen wollen, dann konn Hiärmen dat ganze Driägen nix helpen.

Imme drüdden Johre kreug Hiärmen de euste Büxe an. No, do well ick ower nitt viel van vertellen, denn do könn et enne üwel byi weeren. Wenn hai ower ne nigge Büxe acht Dage an hat harre, dann harr’ hai all säu gräute Lüöker vüör me Aegsten, dat ne de Mömme wennigstens nit mehr putzen briukere, un dat was en wohr Glück, denn sai kriegen dät twedde Kind. Dat was wyier en Jungen un wor Christejon dofft.

De Mömme harr’ viel te dauen, denn sai harren tweu Kögge, tweu Süege, un Hiärmen was en Fiärken. Do saggte se füör Hiärmen, van niu an möchte hai waigen. Dat harr’ hai ower wahne oppen Strich, un hai brachte et ock säu wyit, dat hai nit mer waigen briukere, un dat mäk hai säu: hai waigere, dat de Waige Kunte üöwer Kopp släug, un dai arme Christejon konn fräuh syien, dat hai den Hals nit tebrak. Van diär Tyit an briukere Hiärmen nit mer te waigen, un de Nowers kämen ock nit iut der Gewuhnheit. Hai konn ower ok maken wat hai woll, hai wußte sick ümmer säu derdüör te laigen, dat hai unschüllig was. Wenn hai men Lüöker an den Strümpen harr’ un de Mömme frogere ne, bo hai dat kriegen härr, dann saggte hai, se wören iähme van der Nacht vamme Stauhle fallen.

Dai folgende Johren hor un sog6 me liuter Dinge van Hiärmen, dai sind gar nit te beschryiwen. Den Nowers iähre Ruiens, Katten, Goise, jo säugar Kögge un Süege, bliewen nit verschäunt. Wat iähme grade in den Wiäg kam, moggte der unner lyien. Wenn ne de Ruiens men van wyiten ankummen sögen, dann fängen se all an te gallern un te läupen. Kuort un gutt, me konn et jeden Dag biäter miärken, dat hai noge verwandt met me Iulenspaigel was.

Wenn hai mol no Hius kam un klagere, dat iähme annere Blagen wot dohn harren, dann saggte de Vaar: „Diu söllest ock byi diän ollen Pöösten denne blyiwen, do lährst diu doch men Unducht van.“ De undügenste van allen was Hiärmen ower. Eunes Dages harr’ hai mol nen gräuten Jungen iutschannt. Dai nahm ower fortens en Steun un smeut Hiärmen grade buower’t Aeuge, dat dät Blaut dohiär sprützere. Wo et iätwas met Blauen ophor, nahm hai syine Rotzfahne iut der Taske un hell se sick vüör dät Luok, dat et de Mömme nit sog. Wo hai niu int Hius kam, wiskere hai liuter imme Gesichte rüm un saggte: „Ha, wat ies et van Dage heut, ick sweute ärr’ en Piäd“; un dobyi deh hai, ärr’ wenn hai sick den Sweut awdroigere. Dobyi harr’ hai sick dat Blaut imme ganzen Gesichte rüm wisket un sog iut ärr’ säu en affgetrockenen Ossen. Wo de Mömme dat sog, fenk sai en Geschrei an, ärr’ wenn se imme Messe siäten härre. Sai wußte wuol, dat sick Hiärmen derdüör läug, wenn sai ne scharp anpeck, dorümme saggte sai füör iähme: „Myin Sühneken, wai hiät dat dohn?“ Jä wachte, dachte Hiärmen, säu slau ärr’ diu bist, sin ick äuk, wenn diu et iäwen weust, dann kryige ick wot oppen Pelz. „Ick hewwe myi bieten“, saggte hai. „Dat is nit wohr“, saggte de Mömme, „do konnst diu jo nit byi.“ „Jo“, saggte Hiärmen, „ick genk oppen Stauhl stohn.“

Wo Hiärmen säss Johr olt was, wor syin Vaar krank. De Slaumayerske was all bange, hai liäwere nit lange mehr, ower hai was der noch nit üöwer un hai biätere sick ock wyier, wennigstens stont hai wyier op; ower de Krankheit was iähme op de Aeugen slagen un et diuere kain ganz Johr, do was hai ganz blind. Et was en wohr Glück füör dai ollen Luie, dat se Hiärmen niu wennigstens säu wyit härren, dat hai den Vaaren laien konn. De olle Slaumayer harr’ syin Liäwenlank gären arbeut, dorümme konn hai et ock niu, wo hai blind was, imme Hiuse nit lange iuthollen. Hai un Hiärmen hörren niu den ganzen Dag de Kögge. Sai härren sick äxprä noch eune Kauh anschaffet, dann wat sollen sai äuk alle baide biäteres däuen ärr’ Köggehaien, un liäwen wollen sai doch äuk. Hiärmen mochte den Vaaren laien, un wenn sai dann vüör en Grawen kämen, dann mochte hai seggen: „Vaar sprink!“, dann sprank hai derüöwer. Aechter den Köggen hiär läupen, dat mochte Hiärmen natürlich alleune dauen; de Vaar was men dotau do, dat Hiärmen Tyitverdryiw harre. Dat viele Läupen harr’ hai ower wahne oppen Muck, un hai fand ock en Mi[dd]el, dat hai nit mehr läupen briukere, nemlik: dat euste beste Stücke Kleu oder Roggen oder wat es süs was, wo sai byikämen, do jagere hai de Kögge in, de Vaar sog et jo nit. Dann sat hai sick byi iähme un läug me wot vüör.

Eunes Dages hörren dai baiden mol wyier de Kögge, (Hiärmen harr’ se in säu en schoin Stück jungen Roggen driewen,) do saggte de Vaar: „Hiärmen, ick hewwe Hunger; sollen de Kögge hyier wuol säu lange friäten, dat diu no Hius gengest un hellest us wot te iäten?“ „Jo“, saggte Hiärmen, „dai friätet säu schoin, dai läupet nit wiäg.“ „Dann goh un haal us wot“, sagg’ de Vaar.

Hiärmen genk, ower hai harr’ van Dage Pech. Unnerwiägens begiegnere iähme en Jäger, dai frogere ne, ow hai kainen Hasen saihen härr’. „Jo“, saggte Hiärmen, „do byi diäm Buske was eunen“. De Jäger fröggede sick all op diän schoinen Hasenpiäper: „No welcher Richtunge laip hai dann?“ „Dohenne“, saggte Hiärmen un weus met der Hand. „Un wannähr was dat?“ „Och, dat konn ungefähr vüöriges Johr ümme düse Tyit syien“, un säu ärr’ hai dat saggt harr’, woll hai sick op de Beune maken; ower de Jäger was flinker ärr’ Hiärmen, hai kreug syine gehörigen Sliäge, do konn hai gohn.

De Mömme harr’ grade Pannekauken backet un gaffte me füör jeden en gehörich Stück Pannekauken un en Stück Bräud. Wachte, dachte Hiärmen, de Vaar suiht et jo nit, do giewe ick iähme dät Bräud un ick iäte den Pannekauken. Sai säten sick bineun, unner säu ne dicke Eike un äten, de Vaar dät Bräud un Hiärmen den Pannekauken. Op eunmohl slaug de Vaar ümme sick un Hiärmen grade int Gesichte, dat iähme dät Fuier iut den Aeugen kam. „Vaar“, saggte Hiärmen, „wat mäkeste, diu hiäst myi jo slagen“. „Dat frögget myi“, saggte de Vaar, „dat ick dyi wennigsten druopen hewwe; mainst diu Ruienlaier dann, ick könn nit riuken, dat diu Pannekauken ätest“, un hai streckere den Aarm iut un woll me noch eunen versetten. Hiärmen buggte sick ower gau, un de Olle slaug doch met der Hand vüör den Bäum, dat de Bast vamme Bäume – ick woll seggen van der Hand genk. Do fenk de Olle ower an te flauken un te gewittern, dat de Kögge van Angeste no Hius laipen.

Hiärmen nahm sick den Vaaren an de Hand un toddele ächter den Köggen hiär. Hai konn et dem Vaaren ower doch nit vergiewen, dat hai ne säu slagen harr’, denn hai dachte noh, biu hai ne dofüör wyier kryigen soll. Do was ower kain lange Nohdenken anne, denn undügene Streuche iuttedenken, was füör Hiärmen ne Kleinigkeit. Hai ledde ne vüör en dicken Bäum un saggte: „Vaar sprink!“ De Vaar mente nit anners, ärr’ do wör en Grawen wiäst, un sprank vüör den Bäum, dat me dät Heuern imme Koppe knappere. Do reut dem Vaaren ower de Geduld. „Niu woll ick dann doch, dat säu en Niegenunniegenzigdraiverdeldiusenddonnerwiähr dyi in tem Balge slaige; Junge, biu kümmest diu dotau?“ „Jä jä“, saggte Hiärmen, „diu konnest jo riuken, dat ick Pannekauken aat, worümme ruikest diu dann nit, wenn do en Bäum ies?“

2. HIÄRMENS SCHAULJOHRE