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Ron Hall & Denver Moore mit Lynn Vincent

Genauso anders wie ich

Eine unglaublich wahre Geschichte

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

 

 

ISBN 978-3-86827-993-1

Alle Rechte vorbehalten

Copyright © 2006 by Ron Hall

Originally published in English under the title

same kind of different As me

by W Publishing Group, a division of Thomas Nelson, Inc.,

P.O. Box 141000, Nashville, Tennessee 37214, USA

Alle Rechte © 2012 der deutschen Ausgabe bei LUQS Verlag, Ingolstadt

Deutsch von Thomas Weißenborn

Umschlagbild: © iStockphoto.com / track5

Umschlaggestaltung: Verlag der Francke-Buchhandlung GmbH /

Sven Gerhardt

Satz: Verlag der Francke-Buchhandlung GmbH

Datenkonvertierung E-Book: Satz & Medien Wieser, Stolberg

 

www.luqs.de

www.francke-buch.de

Über die Autoren:

Ron Hall – Künstler, Cowboy, Schriftsteller – wurde von seiner Frau Deborah gebeten sich um Denver Moore zu kümmern. Daraus entstand eine tiefe Freundschaft, die er in Genauso anders wie ich festgehalten hat.

Denver Moore wurde in Louisiana geboren. Als Obdachloser, der eine Zeitlang inhaftiert war, traf er 1998 auf Ron Halls Frau, die ihm zu einem besseren Leben verhalf. Nun ist er Künstler, hält Vorträge und setzt sich für andere Obdachlose ein.

Lynn Vincent hat sich auf das Schreiben von wahren Geschichten spezialisiert. Die Journalistin hat sich einen Namen damit gemacht, als Koautorin die Geschichten von gewöhnlichen Menschen niederzuschreiben, die außergewöhnliche Leben führen.

1

Well – a poor Lazarus poor as I

When he died he had a home on high ...

The rich man died and lived so well

When he died he had a home in hell ...

You better get a home in that Rock, don’t you see?

– Spiritual

 

Ein armer Lazarus, so arm wie ich

Als er starb, hatte er ein Zuhause im Himmel ...

Der reiche Mann starb und lebte so gut

Als er starb, hatte er ein Zuhause in der Hölle ...

Merkst du nicht, dass es besser ist,

ein Zuhause in diesem Felsen zu haben?

Denver

Vor Miss Debbie hab ich noch nie mit ’ner weißen Frau gesprochen. Na ja, vielleicht hin und wieder ein paar Fragen beantwortet – aber das war nicht wirklich reden. Und für mich war selbst das ziemlich brenzlig. Wie ich nämlich das letzte Mal dumm genug gewesen bin, vor ’ner weißen Frau meinen Mund aufzumachen, war ich am Ende halb tot und fast blind.

Ich war vielleicht fünfzehn, sechzehn Jahre alt und bin den roten Feldweg runtergegangen, der an der Baumwollplantage langlief, wo ich mein Zuhause gehabt hab, da in Red River Parish im Bundesstaat Louisiana. Die Plantage war riesig und ziemlich flach. Wie ein Haufen kleiner Farmen, die zu einer gemacht worden sind. In der Mitte hat sich ein sumpfiger Fluss geschlängelt, einer von denen, die wir Bayou nennen. Zypressen sind wie Spinnen in dem schlammigen Wasser gestanden, das die Farbe von grünen Äpfeln hatte. In der Gegend gab es ’nen Haufen verschiedener Felder, vielleicht hundert, jedes von ihnen war um die zweihundert Morgen groß, und alle wurden von Bäumen eingegrenzt, meistens waren es Pecannussbäume.

Neben der Straße standen trotzdem nicht allzu viele Bäume, und als ich also an dem Tag vom Haus meiner Tante – sie war die Schwester meiner Oma väterlicherseits – nach Hause lief, war ich auf offenem Feld unterwegs. Es hat nicht lange gedauert, da hab ich diese weiße Lady dastehen sehen, neben ihrem Auto, ’nem blauen Ford, Baujahr ungefähr 1950, vielleicht ’51, irgendetwas in der Art. Sie hat einfach dagestanden mit ihrem Hut und ihrem Rock, so wie wenn sie in der Stadt gewesen wär. Sah aus, als ob sie ’nen platten Reifen wechseln müsste, aber keine Ahnung hätte, wie man das anstellt. Ich bin also stehen geblieben.

„Brauchen Sie Hilfe, Ma’am?“

„Ja, vielen Dank“, hat sie gesagt. Wenn ich ehrlich bin, hat sie mächtig dankbar ausgesehen. „Ja, wirklich.“

Ich hab sie also gefragt, ob sie ’nen Wagenheber hat, sie hat gesagt, sie hätte einen, und das war wirklich alles, was wir miteinander geredet haben.

Ungefähr in dem Augenblick, wo ich den Reifen gewechselt hatte, sind aus dem Wald drei junge Kerle auf braunen Pferden herangeritten. Ich glaub, die waren auf der Jagd gewesen, jedenfalls sind sie rangekommen und haben mich erst nicht gesehen, weil sie auf dem Weg waren und ich auf der anderen Seite von dem Auto hockte, weil ich ja am Reifenwechseln war. Die Pferde haben roten Staub aufgewirbelt, der auf mich draufgeweht ist. Zuerst bin ich ganz ruhig geblieben, weil ich gedacht hab, dass die schon weiterreiten würden. Dann hab ich gedacht, ich will nicht, dass die sich denken, ich würd mich verstecken, deshalb bin ich aufgestanden. Genau in dem Augenblick hat einer von denen die weiße Lady gefragt, ob sie Hilfe braucht.

„Ich schätze nicht!“, hat so ’n rothaariger Kerl mit großen weißen Zähnen gesagt, wie er mich entdeckt hat. „Sie hat sich ’nen Nigger geholt, der ihr hilft!“

Ein anderer, mit dunklen Haaren und ’nem Blick wie ’n Wiesel, hat ’ne Hand auf seinen Sattelknauf gelegt und sich mit der anderen den Hut ins Genick geschoben. „Hey, Junge! Warum belästigst du die Lady?“

Der ist auch nur ein Junge gewesen, vielleicht achtzehn, neunzehn Jahre alt. Ich hab nichts geantwortet, hab einfach nur dagestanden und ihn angeguckt.

„Was glotzt du so blöd, Junge?“, hat er gefragt und dann auf den Boden gespuckt.

Die anderen beiden haben nur gelacht. Die weiße Lady hat nichts gesagt, die hat einfach nur auf ihre Schuhe geguckt. Es war furchtbar still, man konnte nur hören, wie die Pferde mit den Hufen gescharrt haben. So wie die Ruhe vor ’nem Wirbelsturm. Der Junge direkt neben mir hat mir dann ganz plötzlich ein Seil um den Hals geschlungen, so wie wenn er ein Kalb einfangen würde. Er hat es so fest gezogen, dass mir der Atem stehen geblieben ist. Der Knoten hat mir wie eine Klette am Hals geklebt und die Angst ist mir aus den Beinen in den Bauch gekrabbelt.

Ich kann mich noch erinnern, dass ich gedacht hab, dass keiner von denen viel älter ist wie ich. Aber ihre Augen waren eng und böse.

„Wir werden dich lehren, wie man weiße Ladys belästigt“, hat der eine gesagt, der, der das Seil gehalten hat. Das war das Letzte, was einer von den Kerlen zu mir gesagt hat.

Ich erzähle nicht gern, was dann passiert ist, weil ich keine Lust auf dieses „Armer-schwarzer-Kater“-Spiel habe. Ich war ja nichts Besonderes, es ist ja einfach nur das passiert, was in Lousiana damals normal gewesen ist. In Mississippi auch, glaube ich jedenfalls, denn ein paar Jahre später haben die Leute sich erzählt, dass dort ein junger Farbiger, Emmett Till hat er geheißen, so verprügelt worden ist, dass man ihn nicht mehr erkennen konnte. Er hat ’ner weißen Frau hinterhergepfiffen, und einigen von diesen ehrenwerten Herrschaften ging das mächtig gegen den Strich. Scheint so, als ob die Wälder damals voll gewesen sind von so Kerlen. Jedenfalls haben sie dem Jungen ein Auge ausgeschlagen, ihm dann den Propeller von ’ner Baumwollerntemaschine um den Hals gebunden und das arme Schwein von ’ner Brücke in den Tallahatchie-Fluss geworfen. Die Leute erzählen sich, dass man auf der Brücke heute noch hören kann, wie der Junge beim Ertrinken um Hilfe ruft.

Damals gab’s ’ne Menge Emmett Tills, nur von den meisten hat man nie was gehört. Die Leute sagen, dass die Bayous in Red River Parish bis an ihre erbsengrüne Oberfläche voll sind von den zersplitterten Knochen von Farbigen, die von den weißen Kerlen an die Alligatoren verfüttert worden sind, weil sie ihre Frauen falsch angeguckt haben oder einfach nur geschielt haben. Man kann nicht sagen, dass es jeden Tag passiert ist, aber schon die Möglichkeit, die Drohnung, dass so etwas passieren kann, waberte über den Baumwollfeldern wie ein Gespenst.

Ich hab in den Feldern fast dreißig Jahre lang gearbeitet wie ein Sklave, obwohl die Sklaverei angeblich abgeschafft worden ist, wie meine Oma noch ein kleines Kind war. Ich hatte eine Hütte, die mir nicht gehörte, zwei Overalls, die ich auf Kredit gekriegt hab, ein Schwein und ’n Plumpsklo. Ich hab in diesen Feldern gearbeitet, gepflanzt und gepflügt und gepflückt und die ganze Baumwolle dem Mann gegeben, dem das Land gehört hat, alles ohne irgendwann irgendeine Abrechnung zu sehen. Ich hab ja nicht mal gewusst, was das ist.

Vielleicht kannst du dir das nicht vorstellen, aber ich habe jahrein, jahraus so geschuftet, angefangen von der Zeit, wo ich noch ein kleiner Junge gewesen bin, bis lange nachdem ein Präsident, der Kennedy hieß, in Dallas erschossen worden ist.

In all den Jahren ist regelmäßig ein Frachtzug durch Red River Parish gerollt, auf den Schienen, die gleich neben dem Highway 1 sind. Jeden Tag hab ich ihn pfeifen und stampfen gehört, und ich hab mir vorgestellt, wo der mich alles hinbringen könnte ... nach New York oder Detroit, wo es heißt, dass da auch Farbige einen richtigen Lohn bekommen, oder nach Kalifornien, wo alles, was sich regt, so viel Kohle hat, dass man die Scheine wie Pfannkuchen stapeln kann. Das hab ich jedenfalls gehört. Na ja, eines Tages hatte ich einfach die Nase voll davon, arm zu sein. Deshalb bin ich zum Highway 1 runtergelaufen, hab gewartet, bis der Zug ’n bisschen langsamer geworden ist, und bin dann auf einen von den Wagen gesprungen. Ich bin nicht mehr ausgestiegen, bis die Türen aufgemacht worden sind. Das ist in Fort Worth in Texas passiert. Aber wenn ein Farbiger, der nicht lesen, nicht schreiben und nicht rechnen kann, der nichts anderes kann, wie sich in den Baumwollfeldern abzurackern, in die Großstadt kommt, dann hat er nicht das, was die weißen Leute „Karrieremöglichkeiten“ nennen. Aus dem Grund hab ich auf der Straße gelebt.

Ich will gar nicht so tun, wie wenn das besonders toll gewesen wär, die Straße macht einen ziemlich eklig. Und ich war eklig, war obdachlos, hatte Stress mit dem Gesetz, war im Angola-Gefängnis, und dann wieder für ein paar Jahre obdachlos, auch wie ich Miss Debbie getroffen hab. Und das eine kann ich dir sagen: Sie war die dürrste, neugierigste und aufdringlichste Frau, die ich je getroffen hab, egal ob farbig oder weiß.

Sie war so aufdringlich, ich hab nicht mal verhindern können, dass sie meinen Namen, Denver, rausgefunden hat. Die hat herumgeschnüffelt, bis sie es gewusst hat. Für ’ne ziemlich lange Zeit bin ich ihr also einfach aus dem Weg gegangen. Aber nach ’ner Weile hat sie es trotzdem geschafft, sie hat mich in Gespräche verwickelt, wo ich über Dinge geredet habe, über die ich nicht gern rede, und ihr Sachen erzählt habe, die ich noch nie jemandem erzählt hab – sogar die Geschichte mit den drei Kerlen und dem Seil. Und ein paar von den Geschichten will ich dir auch erzählen.

2

Ron

Das Leben enthält einige dieser unrühmlichen Begebenheiten, die einem für immer im Gedächtnis haften bleiben. Eine von ihnen trug sich 1952 zu, und sie hat sich in mein Gehirn eingebrannt wie das Brandzeichen auf einem Longhorn-Rind. Damals sollten alle Kinder eine Urinprobe mit in die Schule bringen, damit sie von Mitarbeitern des Gesundheitsamtes auf gefährliche Krankheiten untersucht werden konnte. Als Zweitklässler in der Riverside-Grundschule in Fort Worth, Texas, trug ich also vorsichtig den Pappbecher mit meiner Piesel zur Schule, so wie das alle guten Jungen und Mädchen taten. Aber anstatt ihn bei der Krankenschwester abzugeben, brachte ich ihn aus Versehen zu Miss Poe, der bösartigsten und hässlichsten Lehrerin, die mir jemals begegnet war.

Mein Fehler führte zu einem Wutausbruch, der so überzogen war, als hätte ich meinen Urinbecher direkt in ihre Kaffeetasse geleert. Um mich zu bestrafen, ließ sie wie ein Armeeausbilder die ganze zweite Klasse im Gänsemarsch auf dem Schulhof antreten. Dann klatschte sie in die Hände, um unsere volle Aufmerksamkeit zu haben.

„Klasse, ich habe eine Mitteilung zu machen“, krächzte sie, ihre verrauchte Stimme hörte sich an wie die Bremsen an einem Vierzigtonner. „Ronnie Hall wird heute in der Pause nicht dabei sein. Weil er dumm genug war, seinen Becher in den Klassenraum zu bringen statt in das Krankenzimmer, wird er die nächste halbe Stunde mit der Nase in einem Kreis verbringen.“

Miss Poe holte dann ein frisches Stück Kreide hervor und kritzelte einen Kreis an die rote Backsteinwand des Schulhauses, ungefähr sieben Zentimeter über der Stelle, an der meine Nase die Wand berührt hätte, wenn ich mich einfach nur vor sie gestellt hätte. Gedemütigt schlich ich nach vorn, stellte mich auf die Zehenspitzen und drückte meine Nase an die Wand. Nach fünf Minuten fing ich an zu schielen und musste meine Augen schließen, denn wie ich mich erinnerte, hatte meine Mutter mich gewarnt, niemals zu schielen, weil die Augen dabei stehen bleiben könnten. Nach einer Viertelstunde hatte ich schwere Krämpfe in den Zehen und Waden, und nach zwanzig Minuten hatten meine Tränen die untere Hälfte von Miss Poes Kreis von der Wand gewaschen.

Mit einem Hass, den nur ein gedemütigtes Kind kennt, verabscheute ich Miss Poe dafür. Und als ich älter wurde, wünschte ich mir so manches Mal, ich könnte ihr einen Brief senden und ihr mitteilen, dass ich nicht dumm war. Über die Jahre jedoch verlor ich die Sache aus dem Gedächtnis. Das änderte sich an einem strahlend schönen Tag im Juni 1978, als ich in meinem Mercedes-Cabrio die Hauptstraße von Forth Worth herunterfuhr und vom Sicherheitsdienst wie ein Rockstar durch das Tor zu einem privaten Flugfeld auf dem Meacham Airfield gewinkt wurde.

Es wäre perfekt gewesen, wenn auch Miss Poe mich so hätte sehen können, sie und ein paar alte Freundinnen – Lana und Rita, vielleicht auch Gail – ach egal, die ganze Abschlussklasse von 1963 der Haltom Highschool. Wenn sie alle hier wie bei einer Parade aufgereiht gestanden hätten, um zu erleben, wie ich meine Kindheit in der unteren Mittelklasse hinter mir gelassen hatte. Im Rückblick muss ich sagen, es war eigentlich ein Wunder, dass ich an diesem Tag überhaupt auf dem Flugplatz angekommen bin, schließlich hatte ich während der ganzen Fahrt kaum etwas anderes getan, als mich selbst im Rückspiegel zu bewundern.

Ich fuhr also mit dem Auto zu der Stelle, wo der Pilot eines privaten Falconjets auf mich wartete. Er hatte schwarze Hosen an, ein gestärktes weißes Hemd und glänzend gewienerte Cowboystiefel. Als er seine Hand zum Gruß hob, flimmerte sie leicht in der texanischen Hitze, die bereits vom Flugfeld aufstieg.

„Guten Morgen, Mr Hall“, rief er in das Brummen der Turbinen. „Brauchen Sie Hilfe mit den Bildern?“

Vorsichtig trugen wir drei Gemälde von Georgia O’Keeffe vom Mercedes in den Falconjet, eines nach dem anderen. Zusammen waren sie knapp eine Million Dollar wert. Zwei Jahre zuvor hatte ich dieselben Bilder – zwei von Georgia O’Keeffes berühmten Blumenbildern und eines mit einem Schädel darauf – an eine unglaublich reiche texanische Frau für eine halbe Million Dollar verkauft. Als sie den Scheck mit der Summe darauf aus ihrem ledergebundenen Hermès-Scheckheft riss, hatte ich sie zum Spaß gefragt, ob sie sich sicher war, dass der Scheck auch gedeckt wäre.

„Ich hoffe schon, Schätzchen“, sagte sie und lächelte zu ihrem sirupsüßen texanischen Dialekt. „Mir gehört die Bank.“

Jetzt entledigte sich diese Kundin von ihrem goldschürfenden Ehemann und den O’Keeffes. Die Käuferin war eine elegante, etwa fünfzigjährige Dame, der eines der schönsten Apartements in der New Yorker Madison Avenue gehörte. Sie trug vermutlich selbst in der Badewanne Perlenketten, und sie ließ sich ebenfalls scheiden. An diesem Nachmittag hatte sie ein paar ihrer kunstliebenden Gesellschaftsfreunde und mich zu einem kleinen Empfang eingeladen, um ihre neuen Errungenschaften zu feiern. Ohne jeden Zweifel lebte sie gemäß der Devise, dass ein flottes Leben die beste Rache am „Ex“ ist, denn sie hatte einen Teil der königlichen Summe, die ihr bei der Scheidung zugesprochen worden war, dazu benutzt, um die O’Keeffes für den doppelten Betrag dessen zu kaufen, was sie einmal gekostet hatten. Sie war viel zu reich, um über das Preisschild von einer Million auch nur ein Wort zu verlieren. Mir war das gerade recht, denn meine Provision bei diesem Handel betrug damit rund $100.000.

Meine Kundin hatte die Falcon aus New York geschickt, um mich abzuholen. In der Kabine streckte ich mich auf den buttercremefarbenen Lederpolstern aus und überflog die Schlagzeilen des Tages. Der Pilot schoss über die Startbahn, hob nach Süden hin ab und schwenkte dann behutsam in nördliche Richtung. Als wir an Höhe gewannen, ließ ich meinen Blick über Fort Worth streifen, eine Stadt, die von den hier ansässigen Milliardären völlig verändert worden war. Es war mehr als nur eine Schönheitsoperation: Gigantische Löcher im Boden kündeten von der Errichtung neuer glitzernder Türme aus Glas und Stahl. Galerien, Cafés, Museen und erstklassige Hotels würden dort bald entstehen und sich zu den Banken und Anwaltskanzleien gesellen, die aus dem verschlafenen Kuhdorf Fort Worth ein pulsierendes urbanes Zentrum gemacht hatten.

Das Projekt war so ehrgeizig, dass damit systematisch die Obdachlosen vertrieben wurden. Das war sogar ein offizielles Ziel, denn man wollte aus unserer Stadt einen Ort machen, an dem es sich besser leben ließe. Wenn ich es aus tausend Metern Höhe betrachtete, war ich insgeheim froh darüber, dass die Penner auf die andere Seite der Schienen vertrieben wurden, denn ich hatte es satt, jeden Tag auf dem Weg zu meinem Fitnessstudio im Fort Worth Club angebettelt zu werden.

Debbie, meine Frau, wusste nicht, dass ich so darüber dachte. Ich versuchte, mir meine elitäre Einstellung nicht allzu sehr anmerken zu lassen. Schließlich war es erst neun Jahre her, dass ich mit dem Verkauf von Dosensuppen $450 im Monat verdient hatte, und nur sieben, seit ich mein erstes Gemälde gekauft und verkauft hatte, wofür ich heimlich Debbies fünfzig Aktien der Ford Motor Company benutzt – gestohlen? – hatte, die sie von ihren Eltern für ihren Abschluss an der Texas Christian University bekommen hatte.

Für mich war das Jahrhunderte her. Ich war wie eine Rakete vom Dosensuppen-Verkauf über das Investment-Banking zum Gipfel der Kunstwelt aufgestiegen. Um es ganz offen zu sagen: Gott hat mich mit zwei guten Augen gesegnet, mit einem für Kunst und einem für ein gutes Geschäft. Aber das hätte man mir damals nicht sagen dürfen. So wie ich es sah, hatte ich mich den ganzen Weg von einem Landei aus der unteren Mittelklasse bis in die Schicht heraufgearbeitet, die den Lebensstil der Milliardäre aus der Forbes-400-Liste imitiert.

Als Debbie erfuhr, dass ich ihre Ford-Aktien benutzt hatte, drohte sie mir mit der Scheidung – „Das ist das Einzige, was wirklich nur mir gehört hat!“, fauchte sie –, aber meine schamlosen Bestechungsversuche steigerten ihre Vergebungsbereitschaft erheblich. Ich schenkte ihr eine goldene Piaget-Uhr und eine Nerzjacke von Koslow.

Zuerst betrieb ich den Kunsthandel nur nebenbei, während mein eigentlicher Job das Investmentbanking blieb. Doch 1975 verdiente ich $10.000 an einem Gemälde von Jack Russell, das ich an einen Mann aus Beverly Hills verkaufte, der Cowboystiefel aus weißem Schlangenleder mit goldenen Spitzen trug und eine mit Diamanten besetzte Gürtelschnalle von der Größe eines Kuchentellers. Nach dieser Erfahrung sagte ich dem Bankgewerbe auf Wiedersehen und begab mich auf den Drahtseilakt des Kunsthandels, ohne irgendein Sicherheitsnetz.

Es zahlte sich aus. 1977 verkaufte ich meinen ersten Renoir und verbrachte dann einen Monat in Europa, um meinen Namen und das Wissen über mein sicheres Auge unter der Kunstelite der Alten Welt zu verbreiten. Es dauerte nicht lange, bis die Nullen auf den Kontoauszügen von Debbie und Ron Hall immer mehr wurden. Wir hatten mit Sicherheit nicht dasselbe Einkommensniveau wie meine Kunden, das irgendwo zwischen fünfzig und zweihundert Millionen Dollar angesiedelt war. Aber sie luden uns in ihre Stratosphäre ein: Segeltouren in der Karibik, Vogeljagd auf Yucatán, Gesellschaften auf Inselklubs und in Villen, die nach altem Geld rochen.

Ich sog das alles in mich auf und wählte als Standarduniform Armani-Anzüge. Schränkeweise. Debbie konnte sich mit den Spielereien des Wohlstandes nicht so gut anfreunden. 1981 rief ich sie aus einem Autohaus in Scottsdale im Bundesstaat Arizona an, wo ich es mit einem Rolls-Royce-Händler zu tun hatte, der sich für ein Gemälde interessierte, das ich besaß.

„Du wirst nicht glauben, gegen was ich es eingetauscht habe!“, rief ich in demselben Moment, in dem sie in unserem Haus in Fort Worth den Hörer abnahm. Ich saß in dem „Was“, einem feuerroten Corniche-Cabriolet mit weißer Lederausstattung, die in passendem Rot abgesteppt war. Das Auto kostete $160.000. Ich überschlug mich geradezu, als ich es über mein Satelliten-Telefon beschrieb.

Debbie hörte mir aufmerksam zu, dann sprach sie ihr Urteil: „Wage es ja nicht, das Ding nach Hause zu bringen. Lass es im Autohaus stehen. Mir wäre es peinlich, in so einem Auto gesehen zu werden, erst recht, wenn es bei uns in der Einfahrt stünde.“

Hatte sie wirklich das Beste, was Rolls Royce zu bieten hatte, gerade das Ding genannt? „Mir würde es Spaß machen“, murmelte ich.

„Ron, Schatz?“

„Ja?“, sagte ich, weil mir ihr sanfter Ton plötzlich Hoffnungen machte.

„Hat dieser Rolls auch einen Rückspiegel?“

„Ja.“

„Dann schau doch einmal hinein“, sagte sie. „Siehst du einen Rockstar?“

„Äh, nein ...“

„Denk immer daran: Du verkaufst Bilder, mehr nicht. Also steig aus dem Rolls aus, schwing deinen Haltom-City-Hintern in ein Flugzeug und komm nach Hause.“

Das tat ich.

In demselben Jahr, in dem Debbie den Rolls ablehnte, eröffnete ich eine neue Galerie an der Hauptstraße des blühenden Kulturviertels von Fort Worth, einer Gegend, die Sundance Square genannt wird, und stellte eine Frau namens Patty an, die sich um sie kümmern sollte. Obwohl wir Impressionisten und moderne Künstler ins Schaufenster stellten – Monet, Picasso und anderes in der Art –, die mehrere Hunderttausend Dollar wert waren, achteten wir sorgfältig darauf, keine Preise anzuzeigen oder zu viele von ihnen in der Galerie zu haben, denn eine große Anzahl Stadtstreicher war noch immer nicht davon überzeugt worden, dass es besser wäre, wenn sie sich mit ihrem Kram unter die Autobahnbrücken im Südwesten verzögen. Einige von ihnen kamen schmierig und stinkend jeden Tag in unser Viertel, um sich abzukühlen, aufzuwärmen oder die Gegend zu inspizieren. Die meisten von ihnen waren Schwarze, und ich war davon überzeugt, dass sie alle Alkoholiker oder Drogenabhängige waren, obwohl ich mir nie die Zeit nahm, ihre Geschichten zu hören – mir waren sie auch egal.

Eines Tages taumelte ein offensichtlich unter Drogen stehender Schwarzer in schmieriger, zerrissener Armeekleidung in die Galerie. „Wie viel wollen Sie für das Bild da?“, stammelte er und deutete mit dem Finger auf einen Mary Cassatt im Wert von $250.000.

Ich hatte Angst, er würde mich ausrauben, deshalb versuchte ich es mit einem Spaß, um nicht die Wahrheit sagen zu müssen. „Wie viel haben Sie denn einstecken?“

„Fünfzig Kröten“, sagte er.

„Dann geben Sie mir die, und das Bild gehört Ihnen.“

„Nö, Mann. Ich zahl doch keine fünfzig Dollar für so ’n Bild.“

„Gut. Das hier ist kein Museum, und ich nehme deshalb auch keinen Eintritt. Wenn Sie also nichts kaufen wollen, wie soll ich dann meine Miete bezahlen?“ Damit komplimentierte ich ihn zur Tür hinaus.

Ein paar Tage später tauchte er mit einem ähnlich abstoßend aussehenden Gefährten wieder auf und versuchte es mit einem kleinen Blitz-Überfall. Sie türmten mit einer Tüte voller Geld und einigen kunstvoll gearbeiteten Schmuckstücken. Patty drückte den Alarmknopf, den wir installiert hatten, und ich spurtete aus meinem Büro im Obergeschoss nach unten, um eine Verfolgungsjagd wie im Film aufzunehmen, auf der die Diebe durch schmale Gassen rannten und Mülleimer umstürzten, während ich hinter ihnen her schrie: „Halten Sie diese Männer auf! Sie haben mich beraubt!“

Zuerst bin ich gerannt, dann wurde ich etwas langsamer, denn mir dämmerte, dass ich keine Ahnung hatte, was ich mit den Kerlen anfangen sollte, wenn ich sie eingeholt hätte. (Ich schrie natürlich lauter, um das langsamere Laufen auszugleichen.) Als die Polizei die beiden ein paar Straßen weiter einfing, waren ihre Hände leer. Sie hatten eine mehrere hundert Meter lange Spur aus Zwanzig-Dollar-Noten und Schmuck hinter sich gelassen.

Dieser Zwischenfall bestätigte mich in meiner Ansicht, dass es sich bei Obdachlosen um eine abgerissene Armee von Ameisen handelte, die nichts weiter wollte, als anständigen Menschen das Sonntagspicknick zu ruinieren. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich keine Ahnung, dass Gott in seinem unnachahmlichen Humor damit die Basis legte, auf der einer von ihnen mein Leben verändern würde.

3

Mir hat noch nie einer erklärt, warum ich eigentlich Denver heiße. Die meiste Zeit hat mich sowieso nie wer irgendwas anderes als Little Buddy gerufen, also „Kleiner Kumpel“. Wahrscheinlich war das deshalb, weil ich als kleiner Kerl von meinem Großvater, PawPaw, immer in der vorderen Tasche seines Overalls rumgetragen wurde. Deshalb haben mich die Leute Little Buddy genannt, das glaube ich jedenfalls.

Von meiner Mama weiß ich nicht viel. Sie war noch ein junges Mädchen, zu jung, um wirklich für mich zu sorgen. Sie hat also getan, was sie tun musste, und mich zu PawPaw und Big Mama gebracht. So war es damals auf den Plantagen und Farmen im Red River Parish. Farbige Familien gab es in allen Formen und Größen. Da lebte vielleicht ’ne erwachsene Frau in einer von diesen Flintenhütten, hat Baumwolle gepflückt und ihre eigenen Brüder und Schwestern großgezogen, und das war dann eine Familie. Oder da gab’s ’nen Onkel und ’ne Tante, die die Kinder ihrer Schwester großgezogen haben, und das war dann auch ’ne Familie. Eine Menge Kinder hatten auch nur ’ne Mama und keinen Papa.

Zum Teil hatte das damit zu tun, dass wir arm waren. Ich weiß, heutzutage macht man sich nicht besonders beliebt, wenn man so was sagt. Aber es ist die Wahrheit. Die meisten der Männer waren Sharecropper auf einer von diesen Plantagen und haben sich gewundert, warum sie jahrein, jahraus in der Hitze geschuftet haben und jedes Jahr der Mann, dem die Felder gehört haben, den ganzen Gewinn eingestrichen hat.

Weil es heute keine Sharecropper mehr gibt, muss ich dir eben erklären, wie das funktioniert hat: Dem Mann hat das Land gehört. Der hat dir dann den Baumwollsamen und den Dünger und das Maultier und ein paar Klamotten gegeben und überhaupt alles, was du gebraucht hast, um das Jahr zu überleben. Natürlich hat der dir das nicht einfach so gegeben: Du musstest dir das selbst kaufen, im Laden, auf Kredit. Und der Laden hat ihm gehört, so wie auch die Plantage ihm gehört hat.

Du hast also gepflügt und gepflanzt und geackert, bis die Erntezeit da war. Dann, am Ende des Jahres, wenn du die ganze Baumwolle gepflückt hast, dann bist du zu dem Mann gegangen, um abzurechnen. Vielleicht habt ihr vorher ausgemacht, dass jeder die Hälfte von der Baumwolle kriegt, oder vielleicht sechzig-vierzig. Aber wenn die Baumwolle reif ist, schuldest du dem Mann schon so viel, dass dein Anteil an der Ernte kleiner und kleiner wird. Auch wenn du glaubst, diesmal schuldest du ihm nicht so viel, oder wenn es ’n gutes Jahr war mit ’ner großen Ernte, es kommt immer auf dasselbe raus. Der Mann wiegt die Baumwolle und schreibt die Zahlen auf. Und er ist der Einzigste, der die Waage oder die Bücher lesen kann.

Du arbeitest also das ganze Jahr und der Mann macht überhaupt nichts, aber trotzdem schuldest du dem Mann ganz viel. Und deshalb bleibt dir nichts anderes übrig, wie dich noch ein Jahr lang abzurackern, damit du wenigstens deine Schulden loswirst. Aber am Ende ist es immer dasselbe gewesen: Dem Mann hat nicht nur das Land gehört. Auch du hast ihm gehört. Damals gab es ’nen Spruch, der das ziemlich gut zusammengefasst hat: „Schuld ist Schuld und Zahl ist Zahl, alles für den Weißen, dem Nigger nur die Qual.“

Wie ich noch ein junger Kerl war, haben die Leute erzählt, dass in einem weißen Haus ein Mann lebt, der Roosevelt hieß, und der wollte es den farbigen Leuten einfacher machen. Aber es gab einen Haufen weißer Leute, vor allem Sheriffs, die es besser gefunden haben, wenn alles beim Alten geblieben ist. Das hat die Farbigen oft ziemlich mutlos gemacht, und deshalb haben viele von ihnen alles hingeschmissen und sind einfach abgehauen, ohne die Frauen und Kinder. Manche von ihnen waren sicher schlechte Kerle. Aber viele haben sich einfach nur geschämt, weil sie nicht besser für sie sorgen konnten. Das soll keine Entschuldigung sein, sondern ist die echte Wahrheit, das schwöre ich bei Gott.

Wenn ich mich richtig erinnere, hab ich überhaupt nie jemanden kennengelernt, der noch Mama und Papa gehabt hat. Ich und mein großer Bruder, Thurman, haben also bei Big Mama und PawPaw gelebt und uns nichts dabei gedacht. Wir hatten auch ’ne Schwester, Hershalee, aber die war schon groß und hat ein Stück die Straße runter gewohnt.

Big Mama war die Mama von meinem Papa, nur hab ich den nie so genannt. Für mich hat er BB gehießen. Ab und zu ist er bei uns vorbeigekommen. Wir haben bei Big Mama und PawPaw gewohnt, in ’ner Hütte mit drei Zimmern mit Ritzen im Fußboden, die so groß waren, dass man die Erde darunter sehen konnte. Wenn es heiß war, war uns das egal, aber im Winter hat die Kälte ihre hässliche Fratze durch die Ritzen gestreckt und uns gebissen. Wir haben uns dann mit ein paar losen Brettern und Dosendeckeln gegen sie zur Wehr gesetzt.

Big Mama und PawPaw waren ein ziemlich seltsames Paar. Big Mama war wirklich ’ne kräftige Frau, und ich meine damit nicht nur, dass sie schwere Knochen hatte. Sie war in jeder Hinsicht groß, hoch und breit, in jeder Richtung. Ihre Kleider hat sie aus alten Mehlsäcken gemacht. Damals waren Mehlsäcke noch nicht so hässlich wie heute. Manche von ihnen waren mit Blumenmustern bedruckt oder Vögeln. Man brauchte sieben oder acht von den großen, um ein Kleid für Big Mama zu machen.

PawPaw war das krasse Gegenteil von Big Mama. Er war ziemlich schmächtig und neben Big Mama hat er wie ein Zwerg ausgesehen. Sie hätte ihn einfach umhauen können, schätze ich. Aber sie war ’ne eher ruhige Frau und lieb. Ich habe nie mitbekommen, dass sie irgendwen verprügelt hätte oder auch nur rumgeschrien. Aber mach dir keine falschen Vorstellungen, sie hatte bei uns die Hosen an. PawPaw hatte über nichts zu bestimmen außer über sein Mundwerk. Aber er hat sich um Big Mama gekümmert. Sie musste sich nicht in den Feldern abrackern. Sie hatte ja auch mit ihren Enkeln genug um die Ohren.

Sie war natürlich nicht nur meine Großmutter. Sie war auch meine beste Freundin. Ich hab sie heiß und innig geliebt und hätt alles für sie getan. Wie ich noch ein kleiner Junge war, war sie mal ziemlich krank und hatte arge Schmerzen. Ich hab ihr dann Medizin geholt. Ich weiß nicht genau, was das für Pillen waren, aber sie hat sie Rote Teufel genannt.

„Little Buddy, sei doch so lieb und bring Big Mama zwei von den Roten Teufeln“, hat sie dann zum Beispiel gesagt. „Ich muss mich ein bisschen entspannen.“

Von Big Mama hab ich immer ein paar Dinge zu tun bekommen, wie den Eimer mit den Essensresten rausbringen oder ein Huhn fangen und ihm den Hals umdrehen, damit sie es zum Abendessen braten konnte. Jedes Jahr hat PawPaw ’nen Truthahn für Thanksgiving, unser Erntedankfest, hochgepäppelt. Der hat immer was Besonderes zu fressen gekriegt, damit er schön rund und fett wurde. Und wie sie gedacht hat, jetzt wär ich groß genug, hat Big Mama zu mir gesagt: „Little Buddy, geh raus und dreh dem Truthahn den Hals um. Ich will ihn fürs Essen fertigmachen.“

Ich sage dir, das war schwerer, wie ich gedacht hab. Wie ich auf den Truthahn losmarschiert bin, ist der ausgebüchst, wie wenn der Teufel höchstpersönlich hinter ihm her wär. Er ist im Zickzack rumgerannt, hat Dreck aufgewirbelt und rumgekreischt, wie wenn ich ihn schon an der Gurgel hätte. Ich hab den Vogel gejagt, bis ich nicht mehr konnte, und an dem Tag habe ich zum ersten Mal gesehen, dass die Viecher fliegen können! Er hat abgehoben wie ’n Flugzeug und ist irgendwo weit oben in ’ner Zypresse gelandet.

Der Vogel war übrigens nicht blöd. Er ist erst drei oder vier Tage nach Thanksgiving zurückgekommen. In dem Jahr hatten wir also Hähnchen statt Truthahn.

Wie ich also gesehen hab, wie der Vogel in die Zypresse fliegt, war ich mir sicher, dass ich heute zum ersten Mal in meinem Leben eine richtige Tracht Prügel bekommen würde. Aber Big Mama hat nur gelacht, so heftig, dass ich Angst hatte, sie würde platzen. Ich denke, sie wusste einfach, dass ich mein Bestes gegeben hatte. Sie hat mir einfach vertraut. Wirklich wahr, sie hat mir sogar mehr als meinem Papa und meinen Onkeln vertraut – obwohl das ihre eigenen Söhne gewesen sind. Wie mit dem Geld, das sie in einem Gürtel um ihre Hüften getragen hat – ich war der Einzigste, der unter ihr Kleid greifen durfte, um das Geld rauszuholen.

„Little Buddy, schlüpf da mal schnell drunter und hol mir zwei Zehner und ’nen Vierteldollar heraus“, hat sie dann vielleicht gesagt. Und ich hab ihr das Geld rausgeholt und es dem gegeben, dem sie es geben wollte.

Big Mama hatte immer irgendwas für mich. Vielleicht ein paar Pfefferminzbonbons oder ein paar Kronkorken, damit ich mir ’nen Laster bauen konnte. Wenn ich einen Lastwagen haben wollte, habe ich mir ein Stück Holz geholt und vier Kronkorken drangenagelt, zwei vorne und zwei hinten, und dann hatte ich meinen Laster und konnte ihn durch den Dreck fahren. Aber dazu hab ich nicht oft Zeit gehabt. Ich hab nie wirklich wie ein Kind spielen können. Hab mir nie Spielzeug oder so etwas zu Weihnachten gewünscht. Ich bin einfach nicht der Typ dafür gewesen.

Ich glaube, deshalb habe ich gemacht, was ich gemacht habe, wie zum ersten Mal was richtig Schlimmes passiert ist.

* * *

In irgendeiner Nacht, ich war so ungefähr fünf oder sechs, haben Big Mamas Beine ihr das Leben zur Hölle gemacht und sie hat ein paar von ihren Roten Teufeln von mir gewollt und sich ins Bett gelegt. Ein bisschen später sind Thurman und ich auch ins Bett gegangen, obwohl unser Cousin Chook immer noch beim Feuer saß. Der war damals gerade bei uns.

Ich und Thurman hatten hinten im Haus unser Zimmer. Ich hab kein richtiges Bett gehabt, nur ’ne Matratze, die auf ein paar Brettern gelegen hat, drunter Backsteine. Mir hat das irgendwie gefallen, weil direkt über meinen Kopf ein Fenster gewesen ist. Im Sommer hab ich dann die Läden offengelassen und hab die warme Erde gerochen und gesehen, wie die Sterne mir zugewinkt haben.

Manchmal kommt es mir so vor, wie wenn es damals mehr Sterne gegeben hat wie heute. Es hat einfach kein elektrisches Licht gegeben, das den Himmel überstrahlen konnte. Abgesehen von dem Loch, das der Mond in die Finsternis geschnitten hat, sind die Nächte dunkel wie Molasse gewesen und die Sterne haben wie Glasscherben in der Sonne geglitzert.

Also, damals hatte ich noch so ’ne kleine Katze, die ich gefunden hab, wie sie noch ’n Fellknäuel von ’nem Katzenbaby gewesen ist. Ich weiß nicht mal mehr, wie sie geheißen hat, aber ich weiß noch, dass sie immer auf meiner Brust gelegen ist, wenn ich eingeschlafen bin. Ihr Fell hat mich am Kinn gekitzelt und ihr Schnurren war wie ’n Schlafmittel, es hatte so ’nen Rhythmus, bei dem man einfach wegdämmern musste. In der Nacht habe ich wohl schon eine Weile geschlafen, wie die Katze plötzlich von meiner Brust runtergesprungen ist und mich dabei übel gekratzt hat. Mit einem Schlag war ich hellwach und hab gesehen, wie die Katze auf die Fensterbank gesprungen ist und auf einmal einen Höllenlärm gemacht hat und nicht aufhören wollte. Also bin ich aufgestanden, weil ich sehen wollte, was das Problem gewesen ist, und im Mondlicht habe ich dann gemerkt, dass da Rauch im Haus war.

Zuerst habe ich gedacht, ich hätt sie nicht mehr alle, und hab mir die Augen gerieben. Aber wie ich sie wieder aufgemacht hab, hab ich gesehen, dass der Rauch immer noch da gewesen ist, er ist richtig durch den Raum gewirbelt. Ich hab also als Erstes schnell die Katze aus dem Fenster geworfen. Dann bin ich in Big Mamas Zimmer gerannt, aber ich hab immer noch kein Feuer gesehen. Aber ich habe trotzdem gewusst, dass das Haus gebrannt hat, weil der Rauch immer dicker geworden ist. Ich hab also keine Flammen gesehen, aber ich hab das Feuer gespürt, weil es mir in meiner Kehle und meinen Augen gebrannt hat. Ich habe wie verrückt gehustet und bin zur Haustür gerannt, aber PawPaw war schon bei der Arbeit und hat sie abgeschlossen. Ich hab gewusst, dass die Hintertür einen Holzriegel hat, aber der war so hoch, dass ich kaum drangekommen bin.

Ich bin also in mein Zimmer zurückgerannt und hab versucht, meinen Bruder aufzuwecken. „Thurman! Thurman! Das Haus brennt! Thurman, wach auf!“

Ich habe ihn geschüttelt und geschüttelt, aber der war im Tiefschlaf. Schließlich habe ich ihm die Decke vom Bett gerissen, hab mit der Faust ausgeholt und ihm so fest, wie ich gekonnt hab, auf den Kopf geschlagen. Er ist aufgesprungen und war zornig wie ’ne nasse Katze, und ist mir sofort an die Gurgel gegangen. Wir sind in ’nem wilden Knäuel auf dem Boden rumgerollt, dabei habe ich ihn die ganze Zeit angeschrien, dass das Haus brennt. Nach ’ner Minute oder so hatte er es schließlich kapiert und wir sind beide aus dem Fenster gesprungen, raus ins hohe Gras hinter dem Haus. Obwohl er größer war als ich, ist Thurman dort einfach zusammengeklappt und hat geheult wie ein Baby.

Ich hab ganz schnell angefangen zu überlegen, was ich tun kann. Big Mama war ja immer noch im Haus und Chook auch. Ich musste also wieder zurück, um sie irgendwie herauszuholen. Ich bin deshalb hochgesprungen, habe mich an einer Ecke des Fensterrahmens festgeklammert und bin die Hauswand raufgeklettert, mit meinen nackten Füßen auf den rohen Brettern. Wie ich endlich drin gewesen bin, bin ich sofort in das vordere Zimmer gerannt, geduckt natürlich, weil der Raum schon voller Rauch war, und da habe ich Chook gefunden, der hat einfach vor dem Kamin gesessen mit einem Schürhaken in der Hand und hat mit leeren Augen vor sich hingestarrt.

„Chook! Das Haus brennt! Los komm, wir müssen Big Mama retten, wir müssen sie hier herausholen!“ Aber Chook hat einfach nur weiter im Kamin rumgestochert, so wie wenn er in irgendeiner Trance oder so was gewesen ist.

Ich hab nach oben geguckt und gesehen, wie die Funken durch den Schornstein gestoben sind und wie Mücken durch die Luft getanzt haben. In dem Augenblick ist mir klar gewesen, dass der Schornstein in Flammen steht und damit vermutlich auch das ganze Dach. Ich hab gehustet wie ein Verrückter, aber ich hab gewusst, dass ich meine Großmutter retten muss. Also habe ich mich flach auf den Boden gelegt und bin in ihr Zimmer gekrochen. Ich hab zwar ihr Gesicht erkennen können, aber sie hat so fest wie Thurman geschlafen, und ich habe sie geschüttelt und geschüttelt, aber sie ist nicht aufgewacht.

„Big Mama! Big Mama!“ Ich hab ihr aus nächster Nähe ins Gesicht gebrüllt, aber es war, wie wenn sie tot wäre und nicht nur eingeschlafen. Ich habe mittlerweile das Prasseln der Flammen im Schornstein hören können, es hat gedonnert wie ein Zug. Ich hab an Big Mama rumgezogen, so gut ich gekonnt hab, habe versucht, sie aus dem Bett zu stoßen, aber sie war zu schwer.

„Big Mama! Bitte! Big Mama! Wach auf! Das Haus brennt!“

Ich hab gedacht, dass sie vielleicht der Rauch vollends erwischt hat, und mein Herz ist in zwei Teile gebrochen, genau da, wo ich gestanden habe. Ich hab gespürt, wie mir die Tränen die Backen runtergelaufen sind, einmal weil ich so traurig war, aber auch wegen dem Rauch. Es wurde jetzt furchtbar heiß und mir war schlagartig klar, dass ich abhauen muss, sonst wäre ich auch erledigt.

Ich bin also rausgerannt ins vordere Zimmer, hab getobt und geschrien und gehustet. Chook saß da immer noch. „Du musst abhauen, Chook! Der Rauch hat Big Mama erwischt! Los komm, wir müssen hier raus!“

Chook hat sich nur umgedreht und mich mit Augen angeguckt, die ausgesehen haben, wie wenn er schon tot wär. „Nö, ich bleib hier bei Big Mama.“ Ich kann es mir nicht erklären, aber er hat nicht mal gehustet oder so. Hat sich nur einfach wieder umgedreht und weiter im Feuer rumgestochert.

In dem Augenblick hab ich den berstenden Krach gehört, der mir einen Frostschauer durch den Körper gejagt hat. Wie ich hochguck, hab ich gesehen, dass das Dach kurz vor dem Zusammenbrechen war. Der Rauch war jetzt so dick, dass ich Chook nicht mehr sehen konnte. Ich bin also auf meine Hände und Knie gefallen und hab meinen Weg gefühlt, bis ich gemerkt habe, dass ich an dem gußeisernen Ofen angekommen war. Da hab ich gewusst, dass die Hintertür gleich um die Ecke war. Ich bin also ein bisschen weitergekrabbelt und hab dann einen kleinen Fetzen Tageslicht gesehen, der durch den Spalt unter der Tür geschienen hat. Ich bin also aufgestanden und habe mich auf die Zehenspitzen gestellt. Mit den Fingerspitzen habe ich geradeso den hölzernen Riegel zu fassen gekriegt. Die Tür ist aufgeflogen und ich bin rausgefallen mit dem schwarzen Rauch hinter mir her, wie wenn es ein Rudel Dämonen wäre.

Ich bin ums Haus herumgerannt, Thurman war auf der Seite, wo Big Mamas Zimmer war, und hat Rotz und Wasser geheult. Ich hab auch geweint. Wir haben sehen können, wie die Flammen vom Dach herunterleckten und unter die Schindeln gegriffen haben, bis sie schließlich die Bretter erreicht hatten und die Seitenwände zu brennen angefangen haben. Die Hitze hat uns umgehauen, aber ich habe nicht aufgehört zu schreien: „Big Mama! Big Mama!“

Das Feuer ist durch die Luft gewirbelt wie ein Wirbelsturm, hat gerauscht und gepufft, alles war voll von dem schwarzen Gestank, den es gibt, wenn Dinge brennen, die nicht brennen sollten. Das Furchtbarste passierte, wie das Dach zusammengebrochen ist, denn in dem Augeblick ist Big Mama endlich aufgewacht. Ich hab genau sehen können, wie sie sich zwischen den Flammen und dem Rauch hin- und hergerollt und zum Herrn geschrien hat.

„Hilf mir, Jesus! Rette mich!“, hat sie gebrüllt, wie sie in dem Rauch um sich geschlagen und gehustet hat. Dann gab es einen lauten Krach und Big Mama hat wie am Spieß geschrien. Ich hab gesehen, wie so ’n großes Stück Holz so auf sie gefallen ist, dass sie nicht mehr vom Bett runterkommen konnte. Sie konnte sich nicht mehr bewegen, aber sie hat immer weitergebrüllt: „Herr Jesus, rette mich!“

Chook habe ich nur einmal kurz aufschreien gehört, dann war er still. Und ich hab dagestanden und geschrien und zugesehen, wie meine Großmutter verbrannt ist.

4

Wie ich bereits erwähnte, wurde ich nicht mit einem goldenen Löffel im Mund geboren. Ich wuchs in einem Arbeiterviertel von Fort Worth auf, in einem Stadtteil namens Haltom City, der so hässlich war, dass man in der örtlichen Drogerie keine Ansichtskarten von ihm kaufen konnte. In Texas war das vermutlich einmalig. Aber seien wir ehrlich: Wer würde sich schon gern an einen Besuch in einer Gegend erinnern wollen, in der auf jedem zweiten Grundstück ein heruntergekommenes Billighaus oder ein ausgeschlachtetes Autowrack stand, beides von gefährlich aussehenden Hunden an langen Ketten bewacht? Wir machten damals Witze darüber, dass die einzige Schwerindustrie, die Haltom City zu bieten hatte, die örtliche Avon-Beraterin war, die hundertfünfzig Kilo wog.

Mein Vater, Earl, war bei seiner Mutter und zwei altjüngferlichen Tanten aufgewachsen, die so tief in ihre Garrett-Schnupftabak-Dosen gegriffen hatten, dass ihnen das Zeug am Kinn hinunterlief und in ihren Falten trocknete. Ich hasste es, sie zu küssen. Mein Vater war anfangs ein witziger Mann gewesen, der für jeden Spaß zu haben war. Als er schließlich in Rente ging, hatte er vierzig Jahre lang für Coca Cola gearbeitet. Doch irgendwann während meiner Kindheit war er in die Wiskeyflasche gekrochen, aus der er erst wieder herauskam, als ich schon längst erwachsen war.

Meine Mutter, Tommye, war ein Bauernmädchen aus Barry, Texas. Sie schneiderte eigenhändig jedes Kleidungsstück, das wir auf dem Leib trugen, backte Plätzchen und jubelte mir bei Sportveranstaltungen zu. Als sie noch ein Mädchen war, ritten sie, ihre Schwester und ihr Bruder auf einem Pferd zur Schule – alle auf demselben Pferd. Ihr Bruder hieß Buddy, und der Name ihrer Schwester war Elvice, aber das wurde wie „Elvis“ ausgesprochen, was mit zunehmendem Alter zum Problem wurde.

Tommye, Buddy, Elvice und später Vida Mae, die Jüngste, sie alle pflückten Baumwolle auf der Schwarzerdefarm, die ihrem Vater – meinem Großvater – gehörte, einem Mann namens Jack Brooks.

Nun ja, die meisten Menschen haben keine Ahnung, was es bedeutet, auf einer Schwarzerdefarm in Texas zu leben – es ist alles andere als romantisch. Die Topografie ist vor allem flach. Das Einzige, was es im Überfluss gibt, sind sonnengebleichte kleine Hügel, von denen aus man auf sein Farmhaus schauen kann und darauf hoffen, dass einen irgendwann die große Liebe zu seinem Land ereilt. In Wirklichkeit ist die Gegend miserabel, bedeckt von einem Boden, der vermutlich die Erfinder von Zement inspiriert hat. Selbst der dünnste morgendliche Nebel verwandelt alles in eine solche Matsche, dass man Mühe hat, die Stiefel herauszubekommen. Und wenn auch nur ein Zentimeter Regen fällt, wird sogar der fleißigste Farmer seinen Traktor in einen niedrigen Gang schalten und sich heim unters Schleppdach begeben, weil er keine Lust hat, die nächsten Tage damit zuzubringen, seinen John Deere fluchend wieder auszugraben.

Das bedeutet natürlich nicht, dass die Farm meines Großvaters in Corsicana, ungefähr hundertzwanzig Kilometer südöstlich von Fort Worth, nicht auch ihren ländlichen Charme gehabt hätte. Mein Bruder John und ich haben dort freiwillig unsere Sommerferien verbracht, das war auf jeden Fall besser, als ein Vierteljahr lang meinen Vater in der Tailless Monkey Lounge zu suchen. Uns genügte es, wenn wir das neun Monate im Jahr tun mussten.

Jeden Juni fuhr uns also meine Mutter zu ihrem Elternhaus, wir sprangen aus ihrem Pontiac und rannten mit dem Tatendrang eines Soldaten im Sturmangriff zu Großvaters und MawMaws Farmhaus, das mit grünen Asphaltschindeln gedeckt war. Errichtet in den Zwanzigerjahren sah dieses Haus aus wie eine große Schachtel. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann es einen Wasseranschluss bekam, aber ich weiß noch sehr gut, dass in meinen frühen Jahren das Regenwasser, das vom Dach floss, in einer Zisterne hinter dem Haus aufgefangen wurde. Sie wurde durch eine quietschende Falltür abgedeckt. MawMaw besaß eine weiße Porzellanschüssel, die auf der hinteren Veranda stand. Wenn wir zum Essen hereingerufen wurden, schöpften wir uns damit zuerst in der Zisterne Wasser und wuschen uns dann die Hände mit einem Stück Lava-Seife, was ungefähr so angenehm ist, wie wenn man es mit Schmirgelpapier versucht. Aber Lava-Seife ist die einzige Seife, mit der man wirklich allen Dreck von der Haut bekommt, nachdem man auf einer texanischen Schwarzerdefarm gearbeitet hat.

Großvater arbeitete wie ein Ochse und war ein echter Redneck, ein Rotnacken, wie bei uns die Angehörigen der Unterschicht genannt werden. Er trug immer lange Khakihosen und ein langärmliges Khakihemd und Arbeitsschuhe – sechs Tage in der Woche. Sein ganzer Körper war schneeweiß, abgesehen von seinen braunen, lederartigen Händen und natürlich seinem Nacken, der von links nach rechts von indianerroten Falten durchzogen war, so als hätte jemand auf einem schönen Stück Land ein paar Furchen gepflügt. Er war ein anständiger, ehrlicher Mann, der jedem half, der es nötig hatte. Und ich habe auch noch nie einen Menschen getroffen, der schwerer gearbeitet hätte als er.

Mein Onkel Buddy erzählt gern die Geschichte, wie mein Großvater nach dem Ersten Weltkrieg als armer junger Mann nach Texas zurückkam. Nachdem er in Frankreich die Deutschen übel zugerichtet hatte, musste der Paarundzwanzigjährige nun herausfinden, wie man eine Frau bei sich hält, vier Kinder großzieht und eine kleine Farm abbezahlt. Irgendwann fragte er also einen Nachbarn, einen alten Farmer namens Barnes, wie er das anstellen solle.

„Jack, beobachte mich einfach“, sagte Mr Barnes. „Du arbeitest, wenn ich arbeite. Und du fährst in die Stadt, wenn ich in die Stadt fahre.“

Wie Sie vielleicht vermuten, ist Mr Barnes nie in die Stadt gefahren. Und auch mein Großvater hat es nur ganz selten getan. Während der großen Dürre und in der Zeit der Wirtschaftskrise hat er das Geld zusammengehalten. Er war so dünn, dass er Steine in den Hosentaschen trug, um nicht fortgeweht zu werden. In den Jahren, als man von den Banken noch nicht einmal dann zehn Cent geliehen bekam, wenn man Rockefeller hieß, schlug er sich durch, indem er den ganzen Tag Baumwolle pflückte und sie abends in die Mühle brachte. Er schlief auf der Baumwolle, bis er an der Reihe war, dann fuhr er bei Sonnenaufgang zu seinem Feld zurück und wiederholte den Tanz, bis die Erntezeit vorbei war.