image

Michael Lang

Der Seelensammler vom Odenwald

Kriminalroman

image

eISBN 978-3-947612-71-0

Auf der Verlagshomepage finden Sie weitere spannende Bücher: www.mainbook.de

Buch

Kriminalhauptkommissar Karl Kunkelmann von der Erbacher Polizei hat vorzeitig gekündigt. Seine Lust am Beruf ist versiegt. Da liest er nach einem Kurzurlaub die Zeitungsmeldung über den Tod eines Teenagers. Das Mädchen wurde in den fast vergessenen Kellern des Bad Königer Güterbahnhofs ritualmäßig an ein christliches Kreuz genagelt und tot aufgefunden.

Kunkelmann lässt dies natürlich keine Ruhe. Ein Formfehler erlaubt ihm die Rückkehr in den Dienst.

Ist im Städtchen ein Verrückter unterwegs? Die Ermittlungen führen den Beamten zum katholischen Pfarrer, zu rumänischen Gastarbeitern nach Fürstengrund und an den Stammtisch im Weiler Momart. Doch entscheidende Spuren oder gar Indizien bleiben aus.

Da taucht im Englischen Garten bei Eulbach eine zweite Leiche auf. Die Ermittler stehen unter Druck. Ist hier ein Serientäter am Werk? Die Einwohner bekommen es mit der Angst zu tun und wollen polizeiliche Erfolge sehen. Braucht es Kommissar Zufall? Zudem steht den Beamten die Presse auf den Füßen. Doch plötzlich tun sich menschliche Abgründe auf und die Lösung des Falles scheint in greifbarer Nähe …

Autor

Michael Lang, 1962 geboren, lebt im Odenwald. Der Germanist und gelernte Deutschlehrer schreibt für mehrere Zeitungen und betreut die Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Roten Kreuzes in der Region.

Veröffentlichungen: „Wunderplunder“ (humorvolle Gedichte im Selbstverlag). „Neues aus der Schwatzhaft“ (Glossen aus dem Odenwälder Echo). „Der Seelensammler vom Odenwald“ ist der erste Kriminalroman des leidenschaftlichen Schreibers und passionierten Lesers.

So tötet nun die Glieder, die auf Erden sind,

Unzucht, Unreinheit, schändliche Leidenschaft,

böse Begierde und die Habsucht,

die Götzendienst ist.

Neues Testament, Brief des Paulus an die Kolosser
(Kol. 3,5)

Für Jonas, meinen lieben Sohn

Inhalt

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Epilog

Danksagung

Prolog

Die Zimmermannsnägel saßen bombenfest. Schließlich sollten sie lange halten. Der Meister war bestimmt auch dieser Meinung. „Der Mensch braucht einen neuen Halt!“, sagte er immer bei den geheimen Treffen, deren Zeitpunkt und Ort über das Internet bekannt gegeben wurden. Es blutete immer weniger. Das freute ihn. Auf die Gerinnung war Verlass. Vor einer großen Schweinerei fürchtete er sich am meisten. Das verkrustete Blut wusch er mit in kaltem Wasser getränkten Zellstofftüchern ab, die er anschließend in Plastikbeuteln verstaute und in eine mitgebrachte Tasche packte. Er hasste unsauberes Arbeiten. Schon die Graffiti an öffentlichen Gebäuden waren ihm ein Gräuel. Was war nur mit der Jugend los? Hatte die denn gar keine Ziele und Ideale mehr? Keinen Halt? Das Kreuz hatte er schon einige Tage vorher mit dem Wohnmobil zum kleinen Baumbestand in der Nähe des Bad Königer Güterbahnhofs gebracht und sorgfältig mit Zweigen und nassem Laub abgedeckt. Das war recht ungefährlich, denn er parkte sein Reisegefährt öfter an jener Stelle, da er manchmal auch mit dem Zug zu den Treffen fuhr. Ebenso gab ihm die Dunkelheit einen gewissen Schutz. Und in der Nacht kam in dieser gottverlassenen Straße sowieso kaum jemand vorbei. Gottverlassen, das passte gut. Das war sie nun auch, diese willfährige Sünderin.

1

„Wo sind denn eigentlich die alten Restbestände von dem Schmierfett abgeblieben?“, fragte der Eisenbahner Helmut Eckbach seinen Kollegen Gernot Knoll an jenem verregneten Montagmorgen im Oktober. Für die Wartungsarbeiten an den Weichen auf der Strecke wurden jährlich Unmengen der zähen Masse gebraucht.

„Keine Ahnung“, lachte der, „ich habe lediglich einige Pfund für meine Emma abgezweigt, damit die endlich mal lernt, dass fettfreie Pfannkuchen wie eingeschlafene Käsfüße schmecken. Das war vor etwa drei Monaten. Da standen die Blecheimer noch neben allerlei Geraffel in der alten Halle, wo früher die Ersatzteile für die Weichen gelagert wurden. Aber pass auf, wenn du reingehst, damit dich nicht die Ratten fressen. Von denen hat´s in dem zugigen Loch nämlich mehr als genug.“ Knoll schickte noch einen Rat hinterher: „Und eine Wäscheklammer für die Nase würde ich dir auch empfehlen. Scheinbar nutzt so mancher das Verlies als Kloersatz!“

Eckbach zog seine schwarze Schiebermütze tief in die Stirn, zündete sich eine Filterlose an und stapfte mit hochgeschlagenem Mantelkragen in Richtung des alten Bahnhofsgebäudes. „Wer Reval raucht, der frisst auch kleine Kinder!“ Irgendjemand hatte das mal losgelassen. Jetzt fiel es ihm wieder ein, als er sich gerade eine Fluppe zwischen die Lippen schob. Aufhören wollte er schon lange, aber das war gar nicht so einfach. Hustend stiefelte er weiter und legte diesen Vorsatz unter „Pläne für 2014“ im Gehirn ab. Schließlich neigte sich das Jahr so langsam dem Ende zu. Der Schotter knirschte unter seinen Sohlen. Die Nässe auf den glatten Steinen schleuderte ihm bisweilen skurrile Spiegelungen entgegen. Die Tür zum Lagerschuppen war nicht verschlossen. Lediglich ein eiserner Riegel meinte, unberechtigten Eindringlingen den Zutritt verwehren zu müssen.

Eckbach ergriff die Klinke und zog. Mit einem geräuschvollen Schubbern über den grobkörnigen Betonboden und mehrmaligem Ruckeln an der beinahe vergessenen Pforte öffnete der Eisenbahner die in einem undefinierbaren Braunton gestrichene Tür und blickte in eine diffuse Dunkelheit.

Obwohl draußen der Morgen in tiefen Grautönen dämmerte, genehmigte die neblige Suppe im Innern des Verlieses so viel Licht, dass Eckbach seine Augen an die ihn umgebende Schwärze gewöhnen konnte. Eine elektrische Beleuchtung gab es hier schon lange nicht mehr. Klamme Kälte und ein Geruch nach feuchtem Moder schlugen ihm entgegen. Bisweilen glaubte er, das Fiepen einer hier Zuflucht suchenden Ratte zu hören. Zumindest ließ der dezente Schwall eines süßlichen Odeurs die Anwesenheit von organischem Material erahnen.

Aus einer undefinierbaren Ecke dünstete eine scharfe Nuance nach abgestandenem, menschlichem Urin zu ihm herüber. Der Ammoniakgeruch war unverkennbar. „Beinahe wie in dieser urigen Kneipe in Michelstadt, die seit vielen Jahren schon geschlossen hat“, dachte er und musste ein wenig schmunzeln. Er ging langsam, um keinen Fehltritt zu tun. Dem gestampften Lehmboden, das wusste er noch, konnte man nicht trauen. Überall lauerten Unebenheiten und tiefe Mulden. Jetzt, vor Weihnachten, konnte er einen verstauchten Knöchel schon gar nicht gebrauchen. Zumal die Arbeit auf dem Bahnhof ihnen über die Köpfe wuchs und Eckbach erst kürzlich eine Woche krank gewesen war.

Langsam zeichneten sich die Formen des alten Gewölbes deutlicher ab und ließen schwach umrissene Konturen erkennen. Ganz hinten, durch die beiden winzigen Oberlichter, mogelte sich ein fader Schein von Tageslicht in das matte Anthrazit der Szenerie hinein, das jedoch vom dichten Gewebe unzähliger Spinnennetze gedämpft wurde.

Die diffuse Helle der geöffneten Tür beleuchtete nur wenige Meter des Raumes. Außer stockigen Wänden und nacktem Boden war nichts zu sehen. Die Fässer mussten sich im tiefen See der Dunkelheit befinden. Helmut Eckbach tastete sich mit zusammengekniffenen Augen und unsicher rudernden Armen weiter nach vorne, immer darauf bedacht, dass die Füße festen Tritt fanden.

Plötzlich knackte es trocken und hart. Der Eisenbahner bückte sich und nahm den Gegenstand in die Hand. Er wollte sehen, worauf er da getreten war. Für das scharfe Ziehen in der rechten Daumenkuppe und das sich gleich darauf einstellende Wärmegefühl gab es nur eine Erklärung: Er war auf ein Stück Glas getrampelt. Wütend schleuderte er die Scherbe in die Tiefe der unwirtlichen Behausung, zog aus der rechten Hosentasche sein Schnupftuch hervor und umwickelte die blutende Stelle. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass die Glühbirnen durch Abdeckungen aus Glas geschützt waren.

Nach weiteren Metern seiner ereignisreichen Suche flammte in ihm ein verhaltener Hoffnungsschimmer auf: An der hinteren Wand standen in Reih und Glied mehrere bauchige Gefäße. Schnell überwand er die fehlende Distanz zum Zielobjekt und schritt auf die Blechbehälter zu. Der Größe nach zu urteilen, waren es Gebinde von 25 Kilogramm. Doch auch wenn die Kraft vorhanden war, galt es, den Rücken zu schonen. Er erinnerte sich an das Schleppen der Zementsäcke damals beim Hausbau. Jetzt musste der Gernot herbei. Zu zweit ging es bestimmt wie geschmiert. Er musste unweigerlich grinsen. Zufrieden drehte sich der Eisenbahner um und schickte sich an, den alten Lagerkeller zu verlassen.

Hatte jemand das bahneigene Domizil als private Rumpelkammer benutzt, oder stammte dieses seltsame Gebilde zu seiner Linken aus dem eigenen Betrieb? Wozu sollte so ein komisches Ding gut sein? Wer brauchte im Bauhof eine solch aberwitzige Konstruktion? Das allmählich einfallende Gegenlicht blendete ihn.

Binnen weniger Minuten hatte der Wind eine graue Wolke von der milchigen Sonne weggeschoben, die jetzt ihre kühlen Strahlen neugierig in die Winkel des alten Lagerkellers reckte. Was war das? Eckbach trat näher heran. Augenblicklich schienen ihm die Sinne zu schwinden.

2

„Endlich frei!“, rief Karl Kunkelmann in den blauen Herbsthimmel hinein, als er das Dienstgebäude der Erbacher Polizeidirektion verließ, rieb sich dabei die Hände und setzte ein Lächeln auf, wie es spitzbübischer nicht sein konnte.

Wie oft er schon die schwere Metalltür hinter sich ins Schloss fallen gehört hatte, konnte er gar nicht mehr zählen. Doch diesmal war es endgültig das letzte Mal. Nie wieder würde er das muffige Dienstzimmer betreten, nie wieder die braune Brühe, die sich Kaffee nannte, schlürfen und nie wieder dem spindeldürren und blutarmen Heiner Ehrenreich in die safrangelben Augen blicken müssen. Das wenigstens glaubte Ex-Kriminalhauptkommissar Kunkelmann an jenem sonnigen Freitagmorgen im Oktober. Die meisten Kollegen erklärten ihn für verrückt, mit gerade mal 54 Jahren in den Sack zu hauen und aus einem Dienstverhältnis auszuscheiden, wie es sicherer kaum sein konnte.

„Sie wissen ja, dass Sie sich mit einem solchen Schritt wichtige Pensionsansprüche verwirken?“, mahnte sein Vorgesetzter, der bisweilen recht väterliche Kriminaldirektor Wagenknecht.

Kunkelmann war nicht blöd. Natürlich wusste er das. Aber der Drang nach Ungebundenheit war größer. Schon lange spielte er mit dem Gedanken. Nun hatte er Nägel mit Köpfen gemacht. Brötchen ausfahren, Zeitungen austragen, irgendetwas würde schon werden. Und schließlich gab es ein kleines finanzielles Polster.

Der Vater und der Großvater waren Ermittler, also ist der Sohn auch ein Kriminaler geworden. Was für ein Quatsch. Schon auf der Polizeischule in Wiesbaden war ihm der Drill auf den Geist gegangen. Einmal trug er während des Unterrichts die damals hochmodischen Clogs.

„Wie wollen Sie denn mit diesen Dingern an den Füßen einen flüchtigen Verbrecher verfolgen?“, belferte Ausbilder Friedrich Klarendorf. Am nächsten Tag kam Kunkelmann in den damals eben so modischen Moonboots ins Klassenzimmer. Da war natürlich der Ofen aus. Eine Woche lang Akten ablegen, hieß es nun. Viel interessanter wurde der Job auch nach der dreijährigen Knechtschaft in der Landeshauptstadt nicht. Befragungen, Schreibtischarbeiten und Aktenablegen. Karriere machten andere.

Der Odenwald war eben nicht die Großstadt. In eine solche hätte er auch gar nicht hingewollt. Schon die monatlichen Einkäufe mit Göttergattin Lena in Darmstadt waren ihm zu viel. Doch dass ihm der Dienst einmal so sehr auf die Nerven gehen würde, dass er um seine Entlassung ersuchte, dies hätte er vor einigen Jahren noch nicht geglaubt. Egal, die Entscheidung war gefallen. Karl Kunkelmann war frei.

„Und ausgerechnet jetzt hauen Sie in den Sack, wo sich eine Sache anzubahnen scheint, bei der wir alle Hände brauchen könnten!“, schoben sich die warnenden Worte des Chefs in seine Tagträume von Freiheit und frischer Lebenslust. Kunkelmann nahm die Bemerkung nicht wahr.

3

Die Aussparungen in den Balken hatte er in seiner kleinen Werkstatt im Schuppen bereits einige Wochen zuvor eingearbeitet. Nichts ging über eine langfristige Planung. Die Technik hatte er sich beim Vater abgeguckt. Der war im Erstberuf gelernter Zimmermann gewesen. Leim drauf, Schraubzwingen dran und abwarten. Mit dem Warten hatte er keine Probleme. Er hatte viel Zeit. Dass ihm niemand beim Aufrichten helfen konnte, das war es, was ihn am meisten störte. Endlich, das Kreuz stand und machte einen soliden Eindruck. Das gefaltete Tuch aus bläulichem Samtimitat, das ihn an die Roben der Richter des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte erinnerte, drapierte er fein säuberlich um die schmalen Hüften des Mädchens und schlang die Enden um die weißen Schultern. Unter dem dünnen Stoff zeichneten sich die Warzen ihrer kleinen Brüste ab, und er bekam eine Erektion. Dafür schämte er sich, denn so etwas gehörte sich nicht. An dem zur Seite geneigten Haupte des Kindes entfernte er mit einem Skalpell die beiden Augenlider und stellte für die Kleine im richtigen Winkel einen Spiegel auf. Selbsterkenntnis – so nannte er seine groteske Installation im Geiste. Er lächelte zufrieden, packte sein Werkzeug ein und verließ die nasskalte Lagerhalle.

4

Für den Bruchteil einer Sekunde fragte sich Eckbach, ob er auch tatsächlich sah, was sich ihm hier darbot. Da stand ein Kreuz, grob gezimmert. Zwei auf einsfünfzig schätzte im Unterbewussten sein Handwerkerhirn. Das aschblonde Haar des Mädchens war auf die linke Seite gekämmt und bewegte sich durch die Zugluft ganz leicht. Das Gesicht war weiß. Weiß wie bei einem Engel. Aber auch grau wie der Tod. Der Kopf war nach rechts geneigt und hing leicht nach unten. Der gebrochene Blick der Kinderleiche kam ihm absonderlich vor. Unvermittelt trat er einen Schritt näher und stellte fest, dass an den Augen etwas fehlte. Was, das konnte er nicht sagen.

Getrocknetes Blut klebte an den Brauen, ein wenig davon bedeckte die starren Augäpfel. Die Hände waren, von wuchtigen Zimmermannsnägeln durchdrungen, am Querbalken befestigt. Jesus war ein Zimmermann. Die Wundmale waren blutverkrustet. Sein Blick glitt hinab zu den Füßen. Auch hier die langen Nägel. Durch die beiden Fußrücken hatte man sie getrieben. Bedeckt war das Kind mit einem lilaroten Tuch aus hauchdünnem Stoff. Die Kleider fehlten.

Helmut Eckbach hörte sein Blut in den Adern rauschen. Er stand vor einer Kreuzigung. Das Herz schlug immer langsamer. Laut wummerte es in den Ohren. Er lehnte sich an die Wand. Die Knie zitterten. Dann erbrach er sich auf die Scherben eines am Boden liegenden Spiegels. Als er den Weg nach draußen geschafft hatte, blickte der wartende Gernot Knoll in die Augen eines Mannes, der die Hölle gesehen hatte.

5

Lena saß in der Hocke. Ihr langes, brünettes Haar hing wie ein seidener Vorhang vor ihren smaragdgrünen Augen. Die Sandalen waren ihr von den Füßen geglitten und gaben den Blick auf ihre Gehwerkzeuge frei. Beim Anblick nackter Frauenfüße wurde Karl Kunkelmann schwach.

„Na, gaffst du wieder meine Treter an?“, witzelte sie, ohne dabei mit dem akribischen Unkrautjäten aufzuhören.

Karl fühlte sich ertappt, doch den Anflug einer dezenten Gesichtsröte sollte Lena nicht mehr mitbekommen. Schon war er ins Haus geglitten und öffnete den Kühlschrank. Essen war, neben Lena, eine seiner großen Leidenschaften. Satte 125 Kilogramm brachte der Bulle auf die Waage.

„Wenn mir unsern Babba net hätte, könnte mir eine mittelschwere Sau gut ernährn!“, frotzelte Thomas manchmal, wenn er am Wochenende vom Medizinstudium aus Frankfurt nach Hause kam, um seine Füße unter den elterlichen Tisch zu strecken.

Mit der Spitze eines stattlichen Granatsplitters in der rechten Backentasche, watschelte Karl wieder nach draußen und überlegte, wie er es der Göttergattin beibringen sollte.

„Montag ist Schontag!“, rief Kunkelmann in die klare Herbstluft hinein und erschrak über die Lautstärke, mit der er die Darlegung seines Entschlusses eingeleitet hatte.

Das Fenster der etwas senilen aber überaus neugierigen Nachbarin Adele Kumpf blieb seltsamerweise geschlossen.

„Wieso?“, murmelte Lena ins Erdreich hinein. „Hast du dich endlich mal dazu entschlossen Dr. Berger aufzusuchen? Deine Pfunde drücken bestimmt schon auf die Gefäße und treiben deinen Blutdruck in die Höhe. Auch mit dem Zucker ist bestimmt etwas im Busch.“

Passt ja, dachte der Ex-Beamte, da sich Lena gerade mit der Wurzel eines widerspenstigen Hartriegels abmühte.

„Einen zweiten Kurt Wallander brauche ich nämlich nicht!“, schob sie noch nach. Offensichtlich war das eine Anspielung auf irgendeinen Kriminalroman. Denn Lena hatte gerade die Schweden in ihrer Lektüre entdeckt.

„Nee, die Praxis vom Berger sitzt montags immer proppenvoll. Ich gehe am Mittwochnachmittag hin“, entgegnete Karl und schmunzelte.

Wie sollte er es nur anstellen?

„Also, pass mal auf. Ich habe bei den Bullen das Handtuch geschmissen“, sagte Kunkelmann nun klar und deutlich.

Blitzschnell drehte sich die Polizistenfrau um, und Karl Kunkelmann blickte in ein zur Maske erstarrtes Gesicht.

6

„Pass auf, dass du die Glasscherben nicht zertrampelst!“, raunzte Hans Deckert seinen Kollegen Klaus Talstädt an und begann damit, die Fragmente eines Spiegels in kleine Tütchen zu verpacken, auf die er mit schwarzem Filzstift eine Nummer schrieb.

„Halt, was treibt ihr denn da?“ Die Stimme gehörte dem Ermittler Heiner Ehrenreich, der gerade auf der Bildfläche erschienen war. „Wie oft habe ich euch schon gesagt, dass ihr mit eurer Sammelleidenschaft warten sollt, bis sich einer von uns einen Eindruck vom Tatort verschafft hat!“

„Dann könnten die werten Herren ja auch mal zeitig an selbigem eintreffen und den Tee beim Polizeipräsidenten ein andermal austrinken“, schnodderte Deckert zurück. Doch Ehrenreich konnte die kritischen Worte nicht hören. Vom aberwitzigen Anblick der Szenerie gefesselt, stand er etwa drei Meter vor dem Kreuz und versuchte, sich einen Reim auf die grausige Szene zu machen. So etwas hatte er noch nie gesehen. Als Vater eines halbwüchsigen Sohnes ging ihm das Bild besonders nahe. Trotzdem hatte er für außergewöhnliche Grausamkeiten und unbegreifliche Absurditäten immer irgendeinen Filter parat, der ihn vor der Bilderflut und dem krankmachenden Kopfkino schützte. Nicht alle waren sie aufgrund ihres Berufes psychische Wracks. Auch wenn solches manche Psychologen behaupteten.

„Das ist eine klassische Inszenierung“, dachte er. Aber wovon? Wer konnte so etwas anrichten? Jedenfalls lief hier irgendwo ein Irrer herum, der sich nicht davor scheute, einem Mädchen solche Brutalitäten anzutun. Dessen war er sich sicher.

Diese Kreuzigung hatte einen religiösen Bezug. Das lag für ihn auf der Hand. Was aber sollten das komische Tuch und der Spiegel auf dem Boden? Mit einer Taschenlampe untersuchte Ehrenreich das Gesicht der Leiche. Unglaublich! Die Bestie hatte dem Kind die Augenlider abgetrennt. Die Schnittkanten waren so sauber, dass der Kriminalist an einen Profi dachte. War der Täter etwa ein Arzt?

„Hey, Heiner“, unterbrach ihn Klaus Talstädt in seinen Überlegungen. „Außer diesem Haufen von Spiegelscherben lag hier noch der Stummel einer filterlosen Zigarette herum. An einer der Scherben ist Blut. Und hinter dem Kreuz haben wir außerdem eine alte Kinderpuppe gefunden. Jetzt wandern die Sachen erstmal ins Labor. Fotografiert haben wir auch alles. Und zwar aus allen erdenklichen Richtungen. Du hörst von uns, mach´s gut.“

„Mach es gut!“, hallte es in Ehrenreichs Gedanken nach. Das erwarteten alle von ihnen. Überall wurden Fehler gemacht. Doch in ihrem Job wurde so etwas nicht geduldet. Da hieß es funktionieren, ohne zu mucken. Ging etwas schief, drohten zuerst der Anpfiff vom Chef und dann die Medienschelte. Heiner Ehrenreich konnte schon den Elmar Spohrnagel vom ‚Odenwälder Echo‘ hören, wie er ihm mit seinen Fragen Löcher ins Gehirn bohrte. Bohrnagel würde eigentlich besser passen, dachte er.

Der Kunkelmann, ja, der konnte mit diesen Kerlen. Der hatte es richtig gemacht. Irgendwie Irrsinn, aber doch groß, so mit Mitte fünfzig das Handtuch zu werfen. Möchte wetten, dass der jetzt erst mal irgendwo in die Berge gefahren ist, unser Flachlandtiroler mit seinem Ziehharmonikatick. Vom Umfang her täte ihm eine Basstuba besser stehen, sinnierte er, von seiner Tagträumerei für kurze Zeit der Realität entrissen. Fehlte nur noch, dass er in die Lauerbacher Dorfkapelle eintrat. ‚Volksmusik machen und Volksmusik hören, mein lieber Heiner, das sind zwei grundverschiedene Dinge. Wer sich dieses Ufftata im Radio anhört oder den ‚Musikantentadel‘ im Fernsehen glotzt, der wählt mit Sicherheit die CDU oder gleich die AfD‘. Na, ja. Er musste es wissen. Ehrenreich stoppte die Gedankenflut.

„Du, Heiner …!“, rief Thomas Linn, der Streifenpolizist, der mit dem Kollegen Helge Ostermann zuerst am Tatort eingetroffen war. „Dr. Berger kann weder zum Tatzeitpunkt noch zur genauen Todesursache etwas sagen. Und wer überbringt eigentlich den Eltern die Todesnachricht?“

7

Wer das Kind war, daran hatte der altgediente Ermittler Ehrenreich keine Zweifel. Vermisstenmeldungen gingen in der Zentrale nur selten ein. Und das den Fahndern überlassene Foto schloss für ihn jegliche Zweifel aus. Mitten in der Nacht hatte Friedrich Richter bereits die Polizei informiert. Denn ein so spätes Ausbleiben ihres Kindes waren die Eltern von Annemarie nicht gewohnt. Zur Sicherheit riefen sie noch bei den Großeltern des Mädchens in Bad König an, doch irgendwie wussten sie, dass dies umsonst sein würde.

Nein, das konnte Ehrenreich nicht alleine tun. Dieser Sache war er nicht gewachsen. Ermittelnder Beamter, ja. Aber einfühlsamer Bote für Schreckensnachrichten? Er schlüpfte in den Opel und lenkte seinen Dienstwagen zum katholischen Gemeindehaus. Ob Pfarrer Gutermut wohl daheim war? Nach dem zweiten Läuten öffnete die Haushälterin die Tür. Alma Schmucker war seit Jahren eine Institution des Hauses, kochte, wusch und putzte schon in der dritten Priestergeneration. Vor Gutermut betreute sie Pfarrer Kreimlich. Man sagte den beiden ein Verhältnis nach.

„Wieso Kripo?“, fragte sie völlig überrascht und trocknete ihre rissigen Hände an der karierten Kittelschürze ab. An ihrem Hals stieg ein Anflug von Röte empor. „Das würde ich dem Herrn Pfarrer gerne persönlich sagen“, antwortete Ehrenreich höflich.

„Warum sind Sie eigentlich alleine? Im Fernsehen kommt die Kriminalpolizei doch immer zu zweit! Haben Sie einen Ausweis dabei?“

„Hier.“ Er zeigte ihr das Dienstdokument. „Ein Kollege ist in Urlaub, der andere auf Fortbildung und der letzte, den ich hätte mitnehmen können, den hat die Grippe erwischt. Würden Sie mich jetzt bitte beim Herrn Pfarrer anmelden?“

Alma Schmucker führte den Beamten in ein kleines Büro, in dem sich die üblichen Arbeitsgeräte und Versatzstücke eines Priesters befanden. Auf dem monumentalen Schreibtisch türmten sich ordentlich geschichtete Berge von Akten, am rechten Rand lag eine aufgeschlagene Bibel, gespickt mit einer Unmenge von Lesezeichen. Wahrscheinlich diente sie der Vorbereitung für die Gottesdienste, Hochzeiten und Grabreden. In der Mitte imponierte ein riesiger Flachbildschirm. Über der Rückenlehne des hölzernen Schreibtischstuhles hing akkurat eine nach Waschmittel duftende Soutane, das Gewand der katholischen Priester.

Zu seiner Rechten befanden sich auf einem kleinen Regal, fein säuberlich aufgereiht, mehrere Meerschaumpfeifen. Im Raum schwebte der samtige Duft von würzigem Virginiatabak, und über dem Türrahmen erinnerte ein kleines Kruzifix den Besucher daran, wo er sich momentan befand.

Ehrenreich blickte gerade aus dem Fenster in den regnerischen Oktober hinaus, als Horst Gutermut durch die offene Tür trat. „Guten Morgen“, grüßte er ins Zimmer hinein.

Heiner Ehrenreich fuhr unweigerlich auf dem Absatz herum, denn nach einer Viertelstunde des Wartens hatte er eigentlich nicht mehr mit dem Erscheinen des Geistlichen gerechnet.

„Womit kann ich Ihnen helfen?“, fragte der Priester und bat den Polizisten, auf dem kleinen Hocker Platz zu nehmen. So hatte sich Ehrenreich einen katholischen Geistlichen nicht vorgestellt. In seinen Gedanken schwebte ihm eine Mischung aus Don Camillo und Heinz Rühmann als Pfarrer Braun vor.

Doch Gutermut war mindestens 1,90 groß und hatte Oberarme wie ein Bodybuilder, deren Muskeln sich durch das enge, weiße T-Shirt deutlich abzeichneten. Seine Beine steckten in ausgewaschenen Jeans und an den Füßen trug er braune Cowboystiefel. Das sympathische Gesicht mit den beginnenden Geheimratsecken zierten ein gepflegter Dreitagebart und eine etwas mickrig wirkende runde Nickelbrille, die er immer wieder korrigierend von der Spitze auf den Rücken der Nase schob. Ehrenreich schätzte den Pfarrer auf ungefähr 35 Jahre. Wenn ihm jemand gesagt hätte, dass hier der verjüngte und muskulös aufgepumpte Rainer Langhans vor ihm stünde oder der intellektuelle Bruder von Seewolf Raimund Harmstorf, so hätte er das auch geglaubt.

„Guten Tag, Herr Pfarrer“, begann Ehrenreich, „sicher haben Sie in den Nachrichten mitbekommen, dass die kleine Annemarie Richter verschwunden ist.“

„Ja, allerdings, heute Morgen gegen sechs auf HR3, als ich nebenan beim Krafttraining war. Gestern Abend war sie noch im Chor. Ich habe daraufhin gleich die Eltern angerufen, und die teilten mir das Verschwinden mit. Deswegen bin ich auch über ihren Besuch nicht sonderlich überrascht, Herr …?“

„Ach so, Entschuldigung. Ehrenreich von der Erbacher Kriminalpolizei. Wenn Sie meinen Ausweis sehen möchten, Herr Pfarrer …“

„Lassen Sie mal gut sein. Meine Wirtschafterin sagte mir bereits, dass Sie echt sind. Nun, womit kann ich Ihnen helfen?“

So eine Gelassenheit möchte ich auch einmal haben, aber der Glaube an Gott wirkt wahrscheinlich Wunder, dachte der Beamte.

„Also es ist so, äähm. Wir haben Annemarie gefunden. In einer der alten Lagerhallen beim Güterbahnhof.“

Gutermut hielt sich mit beiden Händen am Schreibtisch fest.

„Sie ist tot. Jemand hat sie, so verrückt dies klingen mag, an ein Kreuz genagelt. Was die genaue Todesursache ist, und wo sie ihr junges Leben verlor, werden hoffentlich die weiteren Ermittlungen ergeben.“

Dem Kirchenmann trat augenblicklich der Schweiß auf die Stirn und Ehrenreich wurde Zeuge, wie ein Schrank von einem Mann sprichwörtlich zusammenklappte. Gutermut sank im Zeitlupentempo auf den Arbeitssessel zurück. In seinen Augen schwammen Tränen. Dann verbarg er sein Gesicht in den Händen. Langsam erhob er die Rechte und bekreuzigte sich: „Welcher Wahnsinnige …?“

„Das wüssten wir auch gerne.“

„Aber, aber … Ich meine … Sie war doch noch so jung! Ich mochte sie so sehr. Irgendwie hatte sie was von einem Engel. Der Herr nehme sich ihrer unschuldigen Seele an!“

„Herr Pfarrer?“

„Hmmh?“

„Nun, ich wollte fragen, wenn Sie denn können … weil ich meine, Sie kennen ja die Eltern. Ob Sie, wenn es denn geht, mit mir nach Momart fahren würden, um den Richters zu sagen, dass …“

Binnen des Bruchteils einer Sekunde war der gebrochene Gutermut wieder ganz und gar Priester geworden. „Natürlich, Herr Ehrenreich, das ist gar keine Frage. Solche Dinge sollte man sowieso eher uns überlassen. Schließlich haben wir kompetente Schützenhilfe von oben!“, entgegnete Gutermut und richtete seinen wieder gefestigten Blick hoch zur Zimmerdecke.

Heiner Ehrenreich stolperte zwar über den Begriff ‚Schützenhilfe‘ aus dem Munde eines Würdenträgers, dachte sich aber dann, dass Geistliche auch nur Menschen sind und auch ihnen zugestanden werden müsse, sich einmal in der Wortwahl zu vergreifen.

Der Pfarrer angelte sich eine derbe Lederjacke vom Garderobenständer und schob den Polizisten sachte aus dem Büro.

8

Am ehemaligen „Café Waldesruh“ vorbei dauerte die Fahrt ins Höhendorf kaum fünf Minuten. Ehrenreich erinnerte sich an seine Jugend, als er mit den Großeltern beim „Kaffeeschorsch“ die sonntäglichen Nachmittage verbrachte: Die Oma ein Kännchen Haag, der Opa zwei kleine Pils. Das gab es damals nur dort, die restlichen Bad Königer Gaststätten hatten nur Exportbier und Apfelwein im Angebot. Und der kleine Heiner? Der freute sich allwöchentlich über seinen Granatsplitter. Der schmeckte dort nämlich besonders gut. „Der Schorsch, der kehrt die Reste auf dem Boden zusammen und kippt etwas Wasser hinzu. Dann matscht der das Ganze mit den Händen zu so einem kleinen Buckel. Und fertig ist dein Garantsplitter!“, witzelte der Großvater regelmäßig. Apropos Granatsplitter: Wo mochte wohl Karl Kunkelmann gerade sein? Den hätte Ehrenreich jetzt gern an seiner Seite gehabt. Oder besser: Er hätte ihn in jener heiklen Mission liebend gerne vertreten dürfen.

„Wie stellen Sie sich es vor?“, fragte der Beifahrer.

„Ähh, wie?“ Ehrenreich drehte den Polizeifunk leiser.

„Ja, wie. Ich meine, soll ich es sagen oder Sie?“

„Wissen Sie was, Herr Pfarrer? Ich glaube, wenn wir in wenigen Minuten dem Paar gegenüber stehen, dann ist schon alles gesagt!“

Das Haus an der Talstraße war aus Sandsteinen gebaut und wirkte, verglichen mit den nachbarschaftlichen Gebäuden, etwas überdimensioniert. Es strahlte eine gelassene Ruhe aus und man sah, dass die Besitzer Geld hatten. Im Garten quietschten die Scharniere einer Schaukel im aufkommenden Wind. Hinten auf der Koppel weidete ein braunes Pferd und rupfte zufrieden saftige Grasbüschel aus dem Boden.

Als nach dem dritten Läuten niemand öffnete, bemerkte Heiner Ehrenreich, dass die Haustüre nur leicht angelehnt war. Mehrmals rief der Polizist in die geräumige Diele hinein, doch Antwort erhielt er keine. Die Tür zum Wohnzimmer stand offen. Da saßen sie.

Gutermut und Ehrenreich sahen das Ehepaar Richter im Halbprofil. Beide wirkten wie Statuen aus Marmor und hatten den Blick auf ein Porträt von Annemarie gerichtet, das in einem Rahmen auf dem Tisch stand. Die Anwesenheit der ungebetenen Gäste schienen die beiden nicht zu bemerken. Einzig die antike Standuhr brachte regelmäßig Unruhe in diese wie arrangiert wirkende Szenerie. Alles erinnerte an ein Stillleben. Der Raum atmete eine leblose Schweigsamkeit, und auch die Einrichtung konnte theoretisch eine Installation aus einem der teuren Frankfurter Möbelhäuser sein.

Die Kunstdrucke an den Wänden zeugten von einem erlesenen Geschmack. Selbst die schwarze Katze auf dem Sofa schien in Kunstharz gegossen. Nicht die leiseste Ahnung einer Bewegung konnte Ehrenreich registrieren.

„Wer war es?“

Gutermut blieb beinahe das Herz stehen, und Heiner Ehrenreich fasste sich instinktiv an den rechten Rippenbogenrand, wo die Dienstwaffe klemmte. „Nun, Herr Richter, es ist so …, also es ist so unglaublich unfassbar, das mit Ihrer …“, stammelte Ehrenreich. Wäre jetzt nur Karl mit dabei. Warum sagt eigentlich dieser Pfarrer nichts?

Das Ehepaar Richter hatte sie bereits erwartet.

„Wir haben es geahnt“, sagte der Vater und seine Stimme brach. Ehrenreich wusste, dass Richter irgendein hohes Tier im Innenministerium war. Dann und wann stolperte man in einer Akte über seinen Namen. Dunkel erinnerte sich Ehrenreich, dass seine Abteilung irgendwas mit Personalangelegenheiten der Polizeibehörden zu tun hatte.

„Frau Richter?“, hob Gutermut an.

„Ja.“

„Ihr Engel ist im Himmel. Sämtliche Qualen sind vorüber. Annemarie ist erlöst, sie ruht in Gott. Wenn Sie Trost brauchen, mein Haus steht Ihnen immer offen. Sie brauchen jetzt viel Zeit und innere Kraft. Lassen Sie sich von Gott trösten. Der Herr ist freundlich und seine Gnade währet ewiglich.“

„Welche Qualen? Annemarie hatte keine Qualen. Sie war ein fröhliches Kind, das wissen Sie doch!“ Gutermut und Ehrenreich antworteten nicht. Auch wollten die Eltern Gott sei Dank nicht wissen, wie die Polizei Annemarie vorgefunden hatte.

„Herr Richter, ich muss Sie noch bitten, vielleicht am Abend oder morgen früh. Also es ist wegen der Identifizierung. Wir haben zwar das Foto. Aber rein amtlich und rechtlich …“ Ehrenreich trat der Schweiß aus allen Poren. Er hätte sich ohrfeigen können.

„Rufen Sie mich an, wann ich wo hinkommen soll“, sagte der Vater des Kindes und reichte dem Polizisten eine Visitenkarte, in deren rechten oberen Ecke stolz der Hessenlöwe prangte.

9

Die alte Arzttasche war wohl am besten hierfür geeignet. Das solide Leder imponierte ihm, und die Verarbeitung war noch echte deutsche Wertarbeit. Die imprägnierten Nähte würden keine Flüssigkeiten durchlassen. Hatte er auch alle Utensilien beisammen? Den schweren Hammer, die Halogentaschenlampe, die Zellstofftücher, Wattebäusche, das Skalpell, mehrere Einmalhandschuhe, das Fläschchen mit dem Chloroform, die Spritzen mit dem Midazolam, dem Mix der Barbiturate und das Muskelrelaxans darin? Auch die Kanülen? Ja, alles war vorhanden. Sogar an den Fotoapparat hatte er gedacht. Alles schien in bester Ordnung. Das schöne lila Tuch hatte er sorgfältig zusammengelegt und ordentlich verstaut. Die Essigflasche war sicher verschraubt und die Bürste war auch dabei. Alles lag an seinem Platz. Noch einmal zählte er die langen Zimmermannsnägel. 20 Stück aus gehärtetem Stahl. Trotz deren erprobter Qualität, konnte er sich ja verhauen. Krumme Nägel sahen unschön aus und außerdem würden sie nicht lange halten. Da bin ich mit einem ausreichenden Vorrat auf der sicheren Seite, sagte er sich. Oh, ja! Der Meister würde mit ihm zufrieden sein. Er, der Neue im Bunde, würde durch seinen Gehorsam glänzen und alle beeindrucken. Er klappte das Bügelschloss zu, nahm die Tasche in die rechte Hand und verließ den Raum. Dann suchte er im Haus nach einem geeigneten Spiegel.

10

„Wo bleibst du denn so lange?“, fragte Lena, als Karl Kunkelmann sichtlich gut gelaunt aus der Konditorei Heidegger im österreichischen Seefeld gewackelt kam. „Erstens war es da drinnen proppenvoll, mein Schatz. Und zweitens dauerte es eine Weile, bis ich unter all den verlockenden Leckereien dies hier gefunden hatte!“ In seiner Hand prangte ein wahres Prachtexemplar von Granatsplitter, der mit etwas Fantasie an den unweiten Großglockner erinnerte. Das Wort ‚Schatz‘ überhörte die Gattin geflissentlich, da es in Kunkelmanns normalem Sprachgebrauch nicht existierte.

Schon gestern kamen sie von dem Vorhaben ab, das nahe Innsbruck zu besuchen, denn der Wetterbericht kündigte Regen an. So machte sich der Klimawandel auch in den Tiroler Bergen bemerkbar. Und was sollte man mit einem Goldenen Dachl, wenn es nicht in der Sonne leuchtete?

„Weißt du, was wir machen, Karl?“, sagte Lena, und der pfundige Ehemann sah in seiner Vorfreude schon die zünftige Haxe neben einem schankfrischen Weißbier auf dem Teller dampfen.

„Ja …?“

„Wir gehen ins Olympiabad und gönnen uns einen richtig schönen Tag. Morgen fahren wir ja schon wieder heim. Außerdem wollte ich schon im letzten Jahr die neue Saunalandschaft ausprobieren. Die haben da jetzt vor der Blauen Grotte anscheinend einen Wildbach mit Felseninsel eingebaut.“

Unvermittelt traten dem ehemaligen Hauptkommissar die Augäpfel hervor und er war drauf und dran, ausgelöst durch einen plötzlichen Hustenreiz, den verkleinerten Großglockner in ein Grüppchen vorbeischlendernder Japaner zu katapultieren. Der groteske Anblick erinnerte an einen dicken Frosch, der aus Versehen statt einer Fliege eine Feldlerche verschluckt hatte und den Vogel auf Gedeih und Verderb wieder loswerden wollte.

„Außerdem tut uns nach all den vielen Eindrücken ein Tag in tiefenentspannter Atmosphäre sicherlich gut.“

Von wegen entspannt! Vor seinem geistigen Auge sah Kunkelmann Myriaden von braungebrannten Wellness-Jägern mit eingeölten Waschbrettbäuchen durch die Badelandschaft stolzieren. Knappe Shorts klebten auf knackigen Hintern und zogen die Blicke der Ehefrauen von beleibten Mitfünfzigern auf sich. Auf einem der Liegestühle fläzte sich Lena und schien sich an diesem Anblick sichtlich zu weiden.

Auf der Felseninsel hingegen rief aufgeregt hüpfend eine bezaubernde Blondine um Hilfe. Sie war lediglich mit einem silbernen Fußkettchen bekleidet und auf ihrem appetitlichen Venushügel kräuselte sich güldenes Haar, das von staubfeinen Perlen gletscherklaren Wassers durchwirkt war. Die kleinen, straffen Brüste zitterten rhythmisch im Takt und einladend grüßten die von den Fluten gehärteten Nippel zu ihm herüber.

„Was hältst du von meiner Idee, du Tagträumer?“ Die Frage kam gerade, als Kunkelmann mit einem kühnen Kopfsprung die kecke Kleine aus ihrer misslichen Situation befreien wollte.

Augenblicklich war ihm klar geworden, dass er in seiner Trance scheinbar seit Minuten in das faltige Gesicht einer ungefähr 70-jährigen Dame starrte, die mit erröteten Wangen nun ständig in zweideutiger Art und Weise das linke Auge zukniff.

Kunkelmann schämte sich, und sein Teint glich sich sofort mit dem der angejahrten Tirolerin mit der Fasanenfeder auf dem grünen Lodenhütchen ab. Daraufhin signalisierten deren Blicke, dass sie verstand: Ihr Gegenüber war verheiratet, da würde nichts laufen.

„Ähhm, ja, warum eigentlich nicht? Meinst du, dass die dort auch einen Imbiss haben? Sonst müsste ich mich ja nur vom Anblick der Amazonen ernähren!“, witzelte Kunkelmann sichtlich aufgeregt.

„Und die sich von dem deinigen“, schoss Lena unvermittelt zurück. „Aber du kannst beruhigt sein. Frauen mit nur einer Brust wirst du dort kaum antreffen! Und wenn, dann kannst du nur hoffen, dass sie keinen Flitzebogen mit sich führen.“

Der gemütliche Dicke guckte leicht irritiert, denn von griechischer Mythologie hatte er nicht die geringste Ahnung. Dem Kommissar schwante Böses, doch er wollte am vorletzten Tag ihrer Ferien keine Diskussion anzetteln.

Was die wohl jetzt in der Direktion so machten? Bestimmt hatte der Heiner wieder mehrere Cognac im Tee und wunderte sich über die schlagartig einsetzende Müdigkeit.

Schnell wischte er den Gedanken an die Arbeit davon und quälte sich hinter das Lenkrad seines knallgelben VW-Käfers, den er vor vielen Jahren bei einer Versteigerung der Post in Darmstadt erstanden hatte. Auf beiden Türen schimmerte noch undeutlich das Hörnchen hindurch. Er legte den Rückwärtsgang ein und schickte sich an, den Wagen zu wenden.

„Was machst du hier eigentlich?“, fragte Lena.

„Ich fahre gerade rückwärts aus einer Parklücke hinaus und drehe das Auto so, damit wir mit dem Kofferraum voran wieder in unser Appartement nach Reith kommen.“

„Und was willst du dort?“

„Natürlich die Badesachen holen. Handtücher, frische Unterwäsche, den Föhn …“

„Nicht nötig, alles schon an Bord. Auf ins Olympiabad. Erholung, wir kommen!“, trompete die Gattin ihm ins Ohr. Unvermittelt trat er auf die Bremse und schaute in den Fußraum zwischen der Rückbank und den Vordersitzen. Eng eingezwängt quetschten sich zwei große Sporttaschen in die winzige Lücke. Sein Plan war nicht aufgegangen. Denn auf dem Weg zurück hatte er vor, Lena in den Gasthof „Alpenblick“ zu entführen. Dort gab es hervorragende Wiener Schnitzel zu einem akzeptablen Preis. Die Rechnung hätte er diesmal freiwillig übernommen. Traditionell und sinnigerweise hatten Kunkelmanns im Urlaub nämlich getrennte Kassen.

Das Fiasko ging schon bei der Einfahrt in die Tiefgarage los. Karl Kunkelmann kapierte das Prozedere nicht. „Warum nimmt denn der Automat meinen 50er-Schein nicht an? Die Schluchtenkacker haben doch mittlerweile auch auf Euro umgestellt!“

Nachdem das Ticket dann endlich doch erstanden und verstaut war, ging es mit den Taschen unterm Arm durch ein zugiges Treppenhaus hinauf ins Badeparadies. In den engen Umkleidekabinen fiel es Karl ungemein schwer, aus den Klamotten zu schlüpfen. Die Hose pappte an den Beinen, es juckte im Schritt, und ständig rammte er mit den Ellbogen die Seitenwände.

„Jo, Herrschoftszoitn. Do wuist amoi dei Ruah, und dann haust do so a dappertes Elefantenbaby in derer Bretterlbudn, dös zu seiner Muata wui!“

„Saubayer!“, stieß Kunkelmann leise hervor und wartete, bis der ungehobelte Rüpel seine Kabine verlassen hatte. Völlig verschwitzt stand er in seiner Bermuda, die ungefähr drei Nummern zu klein war, vor den Duschen. In einem rückwärtigen Spiegel sah er auf sein Hüftgold und bemerkte, dass die Badehose einen tiefen Einblick auf die Stelle gewährte, die üblicherweise Milchbrötchen in zwei gleiche Teile spaltet. Verbissen zog er am Bund, doch das einzige, was nach oben flutschte, war der rechte Hoden.

„Da bist du ja endlich!“, brummelte Lena. Mit ihren 44 Lenzen machte sie im Badeanzug noch eine recht gute Figur. Die üppige Brust wurde durch geschickt eingearbeitete Körbchen gestützt. Die Beine waren tadellos. Die Polizistenfrau joggte regelmäßig und fuhr am Wochenende häufig den neu ausgewiesenen Radweg am Flüsschen Mümling von Erbach bis ins bayrische Obernburg. Da brachte sie es gut und gerne auf über 60 Kilometer.

„Na, komm, Kunki. Lass uns hoch zur Sauna gehen!“, forderte Lena ihren Bullen auf. ‚Kunki‘, das mochte er gar nicht. Einerseits war es ja gut, aus der engen Hose zu kommen. Aber was würde ihn andererseits in dem heißen Areal erwarten? Die Möglichkeit, dass ihn hier jemand kannte, war verschwindend gering. So taperte er vertrauensvoll seiner Frau hinterher. Bei jedem Schritt wippte seine Brust ein wenig und er musste beschämt an die Blonde aus dem Tagtraum denken.

Doch was ihn auf der Felseninsel erwartete, hätte ihn fast aus den Socken gehauen, wenn er denn welche angehabt hätte. So drohte er, aus den Badelatschen zu kippen: Das weibliche Wesen, das da splitterfasernackt den linken Ellbogen auf den Granitkoloss stützte und unsicher in seine Richtung blickte, kam ihm irgendwie bekannt vor. Durch das spärliche graue Haar, das im trockenen Zustand eine Dauerwellenfrisur darstellen mochte, schimmerten krebsrote Flecken von erhitzter Kopfhaut. Das faltige Gesichtsleder folgte der Schwerkraft und stoppte in nach unten hängenden, leeren und knittrigen Backentaschen, die dem Antlitz das Aussehen eines ausgehungerten Goldhamsters gaben. Bei den Brüsten erinnerte er sich an den doofen Witz, in dem sich eine ältere Dame das Leben durch einen Schuss ins Herz nehmen wollte. Sie setzte an der Brustwarze die Waffe auf und das Projektil durchschlug ihr linkes Knie.

In Gedanken verpasste Kunkelmann der Nackten einen Lodenhut und steckte eine Fasanenfeder hinzu: Kein Zweifel, sie war es. Plötzlich verschlug es ihm den Atem: Ja, konnte das denn wahr sein? Die Frau auf der Felseninsel trug ein Fußkettchen aus Silber!

Wie immer, wenn er verunsichert war, begann er wirre Melodien vor sich hin zu pfeifen, hoffte auf seine tarnende Nacktheit und machte umgehend auf dem Absatz kehrt.

In der Dampfsauna fühlte er sich sicher. Die heißen Wasserschleier vernebelten die Sicht, und die feuchte Wärme bekam seinen oftmals erkälteten Atemwegen hervorragend. Gerne hätte er jetzt nach einem Tempotaschentuch gegriffen, aber woher nehmen? Eine kleine Melodie zwitschernd und den Blick zur Decke gerichtet, führte er in aller Ruhe seinen rechten Handrücken über die Nasenflügel und rieb die Faust dann über die weiß geflieste Sitzbank aus Stein, als wolle er just einen hartnäckigen Fleck von selbiger entfernen.

„Meeensch, das kann doch gar nich wahr sein! Moin, moin, der Herr Oberstudienrat. Auch wieder hier? Wie geht’s denn in München?“

„Jo, kruzidirkn, der Dokter Martens aus Blankenese! Alle Jahre wiada, kommt dös Christuskind. Bleiben´s jetzat wiada bis auf d´Weihnocht do?“

„Nö, mein Lieber. Diesmal ist Grömitz angesagt. Hab´ da oben `ne Ferienwohnung. Alles drin, alles dran. Die Sauna ist zwar ein bisschen lütt. Aber für mich und meine zwei Frauen reicht´s allemal.“

„Aber net niederlegn! Sonst trampelt eahna so a fetta Elefant, wia oaner vorhin in der Umkleidn tobt hat, die Bankerln samt die Weiberleit zamm, ha, ha, ha!“

„Jouh, diesen Dickwanst habe ich auch bemerkt. Hoffentlich haben sie ihn nicht von hinten gesehen. Sonst hätten sie mich bestimmt um eine kleine Spritze gegen Übelkeit gebeten.“ Obwohl der feuchte Vorhang völlig undurchsichtig war, senkte Kunkelmann seinen Kopf auf die Brust und harrte so lange aus, bis jenes widerwärtige Nord-Süd-Gefälle die Kabine verlassen hatte: „Blöde Arschlöcher!“, rief er ihnen mit abgeschwächter Stimme hinterher. Einer der dampfenden Gäste quittierte die Bemerkung mit einem scharfen und zur Ruhe mahnenden Hüsteln.

Im Ruheraum traf er auf Lena, die sich angeregt mit einem fremden Menschen unterhielt. „Jo, do miassans unbedingt amoi kumma. Die Fraunkirchn, dös is a echtes Erlebnis. Und wenn´s an Mo hamm, der gerne a Hoiwe stemmt, dann kennan´s den im Schneider-Brauhaus ausilossn. Oan Durtschl mehr oda weniga foit do net auf.“

„Verdammt und zugenäht!“, zischte Kunkelmann. Musste sich der aufgeblasene Schuhplattler von Lehrer denn überall zeigen? Na ja, drahtig war er ja mit seinen geschätzten 60 Jahren. Aber halt ein ausgewiesener Volldepp.

Unauffällig hob der Ex-Kommissar die Hand und signalisierte Lena, dass sie ihn an der Vitamin-Bar finden könne. Durch Heerscharen von reichen Norditalienern und vermögenden Russen, die hier einen standesgemäßen Ferientag verlebten, quälte sich Karl zur Theke und bestellte einen halben Liter Vitamin B. Milde lächelnd und mit ausgesuchter Höflichkeit stellte eine zierliche Asiatin das Bier vor ihn hin und sagte: „Post!“

„Nein, Polizei. Aber bald schon nicht mehr. Habe geworfen Handtuch!“ Zur Verdeutlichung war er drauf und dran, sein um die Schultern geschlungenes Frottiertuch ihr entgegen zu schleudern, unterließ dies aber dann doch. Nach einigen Minuten kam Lena hinzu, setzte sich neben ihn und berichtete, dass sie im Ruheraum einen unwahrscheinlich interessanten Mann getroffen habe und man unbedingt einmal eine Reise nach München unternehmen müsse.

Kunkelmann blickte auf Lenas erotische Füße, doch in ihm regte sich nichts. Mitten in der brütenden Schwüle des Olympiabades von Seefeld waren seine Gefühle zu Eis erstarrt.

Nach einem kleinen Snack, Kunkelmann vertilgte drei Speckbrote, begab sich das Odenwälder Paar aus dem Recreation-Tempel hinaus und in die Tiefgarage hinein.

„Sauerei, die haben den Wagen geklaut!“, entrüstete sich Lenas Gatte.

„Welchen Wagen denn? Du stiefelst gerade in die falsche Richtung. Unser gutes Stück steht da hinten!“

Auch wenn Kunkelmann bei seinen zu bearbeitenden Fällen stets einen analytischen Verstand bewies und meistens den richtigen Riecher hatte, so war er in einer fremden Umgebung völlig orientierungslos und auf Hilfe angewiesen. Die Kollegen wussten das und empfahlen ihm einmal auf einer Dienstfahrt nach Wiesbaden das neue Navi mitzunehmen. Als der Hauptkommissar dann plötzlich vor dem Rheinufer stand und die Frauenstimme ihn zur Fahrt geradeaus nötigen wollte, überlegte er einmal scharf, schaltete seinen Verstand ein und das blöde Navigationssystem aus.

Nun startete er den Motor, legte den ersten Gang ein und fuhr los. Lena hatte sich bereits in einen am Bäderkiosk erstandenen Kunstreiseführer über die bayrische Landeshauptstadt vertieft.