Schön ist es in Schmuddelfing

Schmuddelfing war ein Städtchen, in dem es sich gut leben ließ. Die Schulkinder hatten nette Lehrer, und in der Eisdiele am Marktplatz gab es das beste Schoko-Eis der Welt. Besonders im Sommer kamen gern Touristen in die Stadt, denn die Luft war hier frisch und die Gegend besonders schön.

Man traf viele gut gelaunte Leute, die einem freundlich Guten Tag sagten. Sogar Herr Schnurrhahn, der Polizist, war immer freundlich. Manchmal pfiffen ihm die Schulkinder frech hinterher und riefen: »Schnurrhahn! Knurrhahn!« Dann streckte er zum Spaß den Zeigefinger aus und rief: »Hände hoch!«, und alle Kinder rannten fröhlich kreischend davon.

In Schmuddelfing waren die Straßen sauber, und die Bäume am Straßenrand wurden regelmäßig geschnitten. Die Abfalltonnen wurden zuverlässig geleert, alle Leute trennten brav ihren Müll, und den Sperrmüll brachten sie hinüber zur Schmuddelfinger Müllkippe.

Eins der hübschesten Gebäude im Ort war das schmucke Rathaus des Bürgermeisters. Es sah immer frisch gestrichen aus, und an den Fenstern hingen farbige Blumenkästen.

»Ich möchte, dass sich alle bei uns wohlfühlen«, sagte der Bürgermeister immer. »Ich möchte ein gemütliches Schmuddelfing!«

Am gemütlichsten aber war es drüben am Stadtrand auf dem müffeligen Müllberg.

Dort wohnte die Olchi-Familie.

 

Heute nahm Olchi-Papa mal wieder sein tägliches Müllbad. Er rekelte sich entspannt in der rostigen Badewanne und sagte:

»Muffelwind und Hühnerbein! Kann das Leben schöner sein?«

Als er gähnte, stürzten fünf Mücken in die Wanne, denn Olchi-Papas Mundgeruch wirkte wie ein Betäubungsmittel.

Neben ihm döste Olchi-Opa auf einer gammeligen Matratze. Er ließ ein paar Flöhe auf seinem Arm herumhüpfen und versuchte, ihnen Kunststücke beizubringen. Das war nicht einfach, denn die Flöhe waren lang nicht so gelehrig wie all die Mäuse und Ratten, die er dressiert hatte.

Olchi-Oma hockte auf einer Obstkiste neben der Höhle und fütterte das Olchi-Baby mit klein geschnittenen Plastiktüten. Und Olchi-Mama kochte gerade das Essen. Sie rührte mit beiden Armen in einem tiefen Topf herum und sang:

»Die Suppe muss schön kräftig sein,

ich tu noch ein paar Gräten rein

und eine Prise Sägemehl,

beim Kochen braucht man viel Gefühl!«

»Wann bist du endlich fertig?«, riefen die Olchi-Kinder. »Wir haben allerkrötigsten Kohldampf!«

Sie standen in einer Matschpfütze und zerlegten ein altes Fahrrad in seine Einzelteile.

»Kannst du uns aus den Fahrradspeichen Spaghetti machen?«, fragte das eine Olchi-Kind.

»Gute Idee«, meinte Olchi-Mama. »Werft sie einfach in die Suppe!«

Die Olchis aßen solche seltsamen Dinge gern. Fahrradspeichen konnten sie ganz leicht verdrücken. Auch Dosen, Flaschen, Schuhe und Ziegelsteine waren kein Problem, und nie bekamen sie davon Bauchweh.

Nur frische Sachen und Süßkram waren nichts für sie. So was schmeckte ihnen nicht, und außerdem bekamen sie davon überall bunte Flecken. Am liebsten mochten sie alles, was stinkig, faulig und vergammelt war.

Überhaupt waren die Olchis sehr merkwürdige Geschöpfe.

Mit ihren drei Hörhörnern hörten sie die Ameisen husten und die Regenwürmer schmatzen. Und mit dem mittleren Hörhorn konnten sie alle Sprachen der Welt verstehen.

Ihre grüne Haut fühlte sich an wie Tintenfisch, und ihre Haare waren hart wie Draht.

Mit ihren eisenharten Muskeln waren sie so bärenstark, dass schon die Olchi-Kinder schwere Autoreifen weit über den Müllberg schleudern konnten.

Die Olchis liebten Regenwetter, hüpften gern im Matsch herum und wuschen sich nie. Dafür rülpsten und pupsten sie, dass es eine Freude war.

Wann immer es ihnen in den Sinn kam, feierten sie Gefurztag. Besonders Olchi-Oma liebte Gefurztage über alles, und sie feierte manchmal dreimal in der Woche. Alle Olchis erreichten ein hohes Alter. Ob das an ihrer ungewöhnlichen Ernährung lag? Olchi-Opa hatte bereits 985 Jahre auf dem Buckel und war immer noch topfit. Die beiden Olchi-Kinder waren Zwillinge, sie waren 45 Jahre alt, und das Olchi-Baby war zwölf.

 

Inzwischen war die Olchi-Familie ziemlich bekannt in der Gegend. Oft kamen sogar Touristen nach Schmuddelfing, um einen neugierigen Blick auf die kleinen Stinkerlinge zu werfen.

Es war auch wirklich schön zu sehen, wie zufrieden und entspannt diese Olchis wirkten. Sie waren eben eine glückliche Familie. Hielten zusammen wie Pech und Schwefel, und wenn es doch mal Streit gab, dann dauerte er bestimmt nur so lange wie ein kurzer Furz.

Die Schmuddelfinger hatten sich längst an die müffelnden Olchis gewöhnt, und viele waren sogar stolz auf ihre olchige Attraktion. Alle mochten diese friedlichen Stinkerlinge.

Alle? Na ja, fast alle.

Kampf gegen den Schmutz

Auf der anderen Seite von Schmuddelfing stand ein kanariengelbes Häuschen.

Ein frisch gestrichener Zaun schützte den gepflegten Vorgarten vor Hunden und anderen unerwünschten Eindringlingen. Der Rasen im Garten war stets kurz geschnitten und sauber. Löwenzahn oder Gänseblümchen hatten hier keine Chance zu überleben. Dafür sorgten die beiden Bewohnerinnen des Hauses, Lydia und Yvonne.

Ganz allein lebten die Schwestern hier. Sie waren nicht mehr die Jüngsten, aber noch gut in Form, und ihr dichtes Haar war stets ordentlich frisiert.

Besonders Lydia, die jüngere der beiden, sah eigentlich ganz nett aus. Ihre lockigen Haare waren dicht wie Putzwolle, und ihre blauen Augen funkelten hell und klar wie Eiswürfel. Ihr rundes Gesicht sah freundlich aus, und wenn sie lächelte, bekamen ihre rosigen Wangen lustige Grübchen. Doch die Schwestern waren berüchtigt in Schmuddelfing, und viele Einwohner tuschelten heimlich über sie. Denn meistens sah man die beiden in grauen Arbeitsschürzen herumwerkeln, stets bewaffnet mit Schrubbern, Eimern, Besen, Wischlappen und Putzmitteln.

Ordnung und Sauberkeit waren für Yvonne und Lydia das Allerwichtigste im Leben. Sie führten einen ständigen Kampf gegen alle Arten von Flecken und Hausstaub, Keimen und Schmutz.

Tja, die beiden waren wirklich etwas Besonderes, und so waren sie in Schmuddelfing als die zwei Putzhexen bekannt.

Man könnte sagen, sie waren das genaue Gegenteil von den Olchis.

 

Heute hatten sie schon frühmorgens ihre Fenster geputzt und den Gehweg gründlich gefegt. Sogar die leere Abfalltonne hatten sie mit warmem Wasser gereinigt, damit sie auch innen blitzsauber war. Und jetzt standen sie auf Klappleitern auf dem Gehweg vor ihrem Haus und schrubbten auch noch eifrig die Baumstämme am Straßenrand.

»Das ist ja lustig«, dachte sich Frau Gammel, die gerade ihren kleinen Timmi in den Kindergarten brachte. Sie musste kichern, als sie die beiden Frauen da oben auf ihren Leitern stehen sah. Dass jemand Bäume putzte, hatte sie noch nie gesehen.

»Guten Morgen!«, grüßte sie freundlich. »Na, Sie sind aber heute fleißig!«

Yvonne rief missmutig von ihrer Leiter: »Irgendjemand muss ja schließlich für Ordnung sorgen, oder?«

»Kümmert sich ja sonst keiner um so was«, meinte Lydia und tauchte ihren Schrubber tief in den Wassereimer.

Frau Gammel sagte lachend: »Wenn Sie möchten, können Sie später bei uns das Treppenhaus putzen. Timmi hat heute früh überall Blumenerde verstreut!«

Yvonne schüttelte verständnislos den Kopf. »Tja, selber schuld, wenn man sich so kleine Kinder anschafft. Die machen doch immer nur Dreck. Das weiß man doch.«

»Ach lass doch, Yvonne«, sagte Lydia auf der Leiter leise zu ihrer Schwester. »Sie wollte doch nur nett sein.«

»Schönen Tag noch«, murmelte Frau Gammel dann auch verärgert und ging schnell weiter. Sie dachte: »Mit euch kann man ja direkt Mitleid bekommen! Wer von so einem Putzfimmel geplagt ist, dem ist nicht mehr zu helfen.«

Kaum war Frau Gammel weg, lief auch noch der Bürgermeister am Haus der Putzhexen vorbei. Er war auf dem Weg ins Rathaus, wo wie immer jede Menge Arbeit auf ihn wartete.

»Herr Bürgermeister!«, rief ihm Yvonne zu. »Gut, dass wir Sie sehen!«

Sie stieg schnell von ihrer Leiter und stellte den Schrubber ab. »Wir müssen mit Ihnen reden.«

»Schon wieder?«, brummte der Bürgermeister und schaute auf seine Armbanduhr. »Ich hab leider wenig Zeit.«

Schon ein paarmal waren Yvonne und Lydia bei ihm im Rathaus aufgetaucht, und jedes Mal waren diese Besuche höchst unerfreulich gewesen.

»Dann nehmen Sie sich Zeit!«, rief Lydia. Auch sie war von der Leiter geklettert. »Es geht schließlich um eine wichtige Sache!«

»Was ist es denn diesmal?« Der Bürgermeister runzelte die Stirn. »Es geht doch nicht schon wieder um die Olchis, oder?«

»Doch!«, rief Yvonne. »Genau um die geht es! Diese Olchis sind eine Schande! Wann werden Sie die schreckliche Müllkippe endlich entfernen lassen? Haben Sie inzwischen darüber nachgedacht?« Sie machte ein grimmiges Gesicht und fuchtelte dem Bürgermeister mit ihrem Zeigefinger vor der Nase herum.

Der Bürgermeister mochte es nicht, wenn man ihm vor der Nase herumfuchtelte. Und diese zwei Putzhexen mit ihrem Sauberkeitsfimmel gingen ihm gehörig auf die Nerven.

»Ja, ja, schon recht«, brummte er. »Aber der olchige Müllberg ist doch ganz am anderen Ende der Stadt. Den können Sie von Ihrem Haus aus gar nicht sehen. Warum stört er Sie also?«

»Na ja, er stört uns eben«, sagte Lydia vorsichtig.

»Und wie er uns stört! Er stört uns sogar ganz außerordentlich. Schmuddelfing ist ein sauberer Ort!«, rief Yvonne. »Und in einen sauberen Ort gehört nun mal kein stinkender Müllberg. Und diese komischen Olchis schon zweimal nicht. Da muss man sich ja schämen!«

»Ach was. Sie sind eben nur ein wenig anders als wir«, meinte der Bürgermeister. »Es sind friedliche Zeitgenossen, und sie tun keinem Menschen etwas zuleide. Wir sollten sie also in Ruhe lassen.«

»Aber sie gehören nun mal nicht hierher!«, wiederholte Yvonne. »Sie stinken, und sie essen Müll. So was tut kein anständiger Mensch.«

»Olchis sind doch auch keine Menschen!«, versuchte es der Bürgermeister noch einmal.

Doch Yvonne schüttelte sich. »Sie sind mir ein Graus! Ich mag gar nicht an sie denken!«

»Dann tun Sie das auch nicht!« Der Bürgermeister lachte und zuckte kurz mit den Achseln. »Es tut mir leid, dass ich Ihnen da nicht helfen kann. Aber auch ein Olchi hat ein Recht, so zu leben, wie er es gerne hätte. Und dazu braucht er nun mal seinen Müll. Sie sollten mal darüber nachdenken. Ich wünsche Ihnen einen guten Tag. Putzen Sie schön weiter. Auf Wiedersehen!«

Und weg war er.

»Unmöglich, der Mann«, sagte Yvonne. »Und so was nennt sich Bürgermeister.«

»Irgendwann werden wir ihn bestimmt überzeugen«, meinte Lydia versöhnlich. »Am Ende wird das Gute siegen!«

Für Lydia und Yvonne war das Gute immer die Sauberkeit. Und den Kampf gegen die Olchis hatten sie noch längst nicht aufgegeben.

Der Brief

Als sie mit ihrer Putzerei fertig waren, setzten sich Yvonne und Lydia in ihre blitzsaubere Stube. Nun konnten sie sich endlich um ihr gemeinsames Hobby kümmern.

Das Zweitwichtigste in ihrem Leben waren nämlich die Gewinnspiele.

Ständig nahmen sie an allen möglichen Lotterien teil, lösten alle Preisausschreiben und Kreuzworträtsel, die ihnen in die Finger kamen und bei denen es etwas zu gewinnen gab.

Auf ihrem Tisch stapelten sich jede Menge Zeitschriften, die sie alle nach Preisrätseln durchblätterten.

Und tatsächlich hatten sie im Lauf der Zeit schon eine ganze Menge Preise eingeheimst: eine Reise zum Schloss Neuschwanstein, eine Schlittenfahrt im Bayerischen Wald und zwei Konzertkarten für die Hamburger Elbphilharmonie. Aber all diese Dinge, sogar die teuren Konzertkarten, hatten sie einfach verfallen lassen. Lydia wäre wohl gern einmal nach Hamburg gefahren. Doch das Konzert war in der Woche, in der es Zeit war, alle Teppiche und Gardinen im Haus zu reinigen, und so hatte Yvonne darauf bestanden, daheimzubleiben.

Richtig gefreut hatten sich die beiden aber über die neue Heizdecke und die drei Kaffeemaschinen. Sie hatten auch vier Radios gewonnen, drei Pfeffermühlen und fünf elektrische Zahnbürsten. Aber das Beste waren ihre drei Staubsauger, mit einem riesigen Vorrat an Staubbeuteln. Diese Staubbeutel reichten mindestens drei Jahre lang, das hatte Lydia genau ausgerechnet.

Und wie die beiden da so schön bei ihren Kreuzworträtseln saßen, klingelte es an der Haustür.

»Sicher ist es der Postbote«, meinte Lydia.

»Er kommt aber mal wieder spät heute«, meckerte Yvonne. »Geh und mach ihm auf!«

Lydia ging zur Tür, und der Postbote überreichte ihr einen Umschlag. Es war der Brief einer Lotteriegesellschaft.

Lydia hatte sofort ein gutes Gefühl, als sie mit zitternden Händen das Kuvert öffnete.

»Yvonne!«, rief sie laut und wedelte mit dem Brief in der Luft herum, als wäre er ein Staubtuch. »Sieh nur! Wir haben etwas gewonnen!«

»Was ist es denn diesmal?«, fragte ihre Schwester. »Noch ein Staubsauger?«

»Setz dich hin und lies«, sagte Lydia und streckte ihr den Brief entgegen. Yvonne setzte ihre Brille auf und bekam ganz runde Augen, als sie gelesen hatte.

»Ach du meine Güte«, sagte sie. »Kann das denn wahr sein? Kneif mich bitte mal!«

Lydia strahlte sie an. Etwas Unglaubliches war geschehen. Die Schwestern hatten mehr Geld gewonnen, als sie je im Leben besessen hatten.

Sie setzten sich aufs Sofa und überlegten, was sie mit dem Gewinn anfangen sollten.

Im Grunde hatten sie keine großen Wünsche. Sie lebten gern bescheiden und hatten alles, was sie brauchten.

»Vielleicht sollten wir uns eine Putzfrau leisten?«, meinte Lydia.

»Quatsch«, sagte Yvonne. »Putzfrauen arbeiten nicht immer ordentlich. Das können wir selber doch viel besser.«

Sie überlegten und überlegten und kamen zu keinem rechten Ergebnis.

Yvonne holte schließlich die Flasche mit dem Eierlikör aus dem Schrank, denn zur Feier des Tages wollten sie sich ein Gläschen genehmigen. Und als sie die Gläser zum dritten Mal geleert hatten, kam ihnen endlich eine ganz wunderbare Idee.

Aktion Wunderpulver

Gleich am nächsten Morgen machten Lydia und Yvonne sich auf den Weg nach Gammelsberg. Gammelsberg war die nächstgrößere Stadt, ganz in der Nähe von Schmuddelfing. Und dort am Bahnhof, ganz hinten bei den Abstellgleisen, wohnte Professor Bruno Brausewein, der berühmte Erfinder. In einem alten Eisenbahnwaggon hatte er sich seine Erfinderwerkstatt eingerichtet.