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SCHINDERHANNES UND SEINE BANDE (1804)

Schinderhannes

und seine Bande

oder
Johann Bücklers

und
seiner Gesellen
merkwürdige
Geschichte, Verbrechen, Verurtheilung und
Hinrichtung.

Aus den Kriminalakten gezogen und der
Wahrheit gemäß erzählt.

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Mit seinem Portrait.

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Stuttgart,
bei Johann Friedrich Steinkopf,
1804

3. Neuauflage 2013
mit einem Vorwort von Dr. Dr. Mark Scheibe
Treuhandstiftung Historische Kommission für
die Rheinlande 1789-1815

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Anonymus (Autor), Scheibe (Vorwort):

Inhalt

Vorwort des Herausgebers zur 3. Neuauflage

Einige Worte zum geschichtlichen Hintergrund

Erste Abtheilung

Zweyte Abtheilung

End-Urtheil

Weitere Veröffentlichungen aus dieser Reihe

Folgende Neuerscheinung ist in Vorbereitung

Vorwort des Herausgebers zur 3. Neuauflage

Die Forschung der letzten Jahre hat den berüchtigten Räuber Johannes Bückler, genannt Schinderhannes (1779-1803), auf ein Normalmaß schrumpfen lassen.1 Von einem „Räuberhauptmann“, einer „Räuberbande“, einem „Freiheitskämpfer“ oder deutschen „Robin Hood“ kann man heute nicht mehr sprechen, sofern man die reale Person im Blick hat und sie vom Mythos trennt, der eine besondere, eigens zu betrachtende Entwicklung durchlaufen hat.2 Tatsächlich muß man den Schinderhannes heute sogar dreiteilen: die durch Zehntausende zeitgenössischer Dokumente belegbare Person des Johannes Bückler, dessen weitestgehend von ihr trennbarer Mythos und den Umstand, daß man bereits vorher schlechte Menschen als „Schinderhannes“ bezeichnete.

Die Erkenntnisse aus der inzwischen nahezu vollständigen Auswertung der historischen Quellen über Johannes Bückler sind ein besonderer Schatz für die Regionalgeschichte. Ihnen gegenüber wirken die vielen Mythen, unter ihnen zahlreiche Wandersagen, blaß und einseitig. Nach wie vor beherrschen aber gerade diese die heute allgemein verbreitete Vorstellung von ihm. Spätestens seit Käutners Film 1957 mit Curd Jürgens in der Hauptrolle schmücken sich Landstriche mit Schinderhannes-Wanderwegen, -Radrouten, -Wirtshäusern und -Festspielen. Personen der Orts- und Regionalgeschichte, die Auszeichnungen verdient hätten, werden von Marketingstrategen mit dem Ziel verdrängt, Schinderhannes als Zugpferd zu nehmen. Daß dieser wegen mehrfachen Totschlags und als Serienschwerbrecher verurteilt worden war, kümmert die Tourismusmanager wenig. Betrachtet man die historische Figur, ist es noch nicht einmal möglich, ihn als einen Verbrecher aus Not zu bezeichnen, was rechtfertigen würde, ihn heute mit ein bißchen Sozialromantik zu schmükken. Er wurde ein Verbrecher allein aus dem Streben heraus, anderen Ganoven zu gefallen – und zuletzt vor allem der berüchtigten rheinischen Mafia mit ihren Schwerkriminellen, wie Picard, dem „König der Mitternacht“. Von diesen und anderen Halbweltgrößen belächelt, gelang es ihm nicht, dauerhaft in ihre Strukturen einbezogen zu werden. Offenbar hat dieser Umstand Schinderhannes zu immer mehr Verbrechen, teilweise mit unvorstellbarer Grausamkeit begangen, angehalten.

1 Zusammenfassend: Scheibe, M.: Schinderhannes – Nichtsnutz, Pferdedieb, Räuberhauptmann; 5. Auflage 2010; derselbe: Die Strafjustiz in Mainz und Frankfurt/M. 1796-1803 unter besonderer Berücksichtigung des berüchtigten Serienstraftäters Johannes Bückler, genannt Schinderhannes, 1802/03, Diss. Univ. Mainz 2009.

2 Ausführlich in Scheibe, M.: Schinderhannes – Nichtsnutz (…), S. 36 ff.

Einige Worte zum geschichtlichen Hintergrund

Schinderhannes war ein Kind der Französischen Revolution, die unsere Heimat vor 200 Jahren gesellschaftlich auf den Kopf stellte. Sein Tod durch das Fallbeil am 21. November 1803 in Mainz bestimmt den Punkt in der Geschichte, in der Frankreich kurz vor der Kaiserkrönung des Konsuls und Regierungschef Napoléon Bonaparte stand. Die französische Justiz und Verwaltung waren inzwischen in den linksrheinischen, deutschsprachigen Gebieten vollständig eingerichtet und konnten wirksam gegen das vielerorts auftretende Raubgesindel vorgehen. Rechts des Rheins stand das Heilige Römische Reich Deutscher Nation kurz vor dem Zusammenbruch. Mit seinem Flickenteppich von Kleinststaaten bot es weiterhin ein ideales Rückzugsgebiet für Kriminelle jeder Art. Frankreich sah in diesen Gebieten auf dem östlichen Rheinufer ein einziges Raubnest – selbst die Freie Reichsstadt Frankfurt wurde beschuldigt, mit Räubern gemeinsame Sache zu machen. Verständlich erscheint deshalb die Androhung drakonischer Strafen, die Einrichtung von Sonderstrafgerichten in den nun zu Frankreich gehörenden Städten Köln und Mainz und das gezielte Aussenden von Geheimagenten und Nationalgendarmerie, Verbrecher auf der deutschen Rheinseite zu fangen. So war nach französischem Recht bereits ein mit Waffen begangener Einbruch mit dem Tod zu bestrafen. Um die Urteile der Gerichte unabhängig von der Entscheidung der aus dem Volk gewählten Geschworenen zu machen, verzichtete die französische Regierung bei der Einrichtung der Sonderstrafgerichte auf diese Institution. Zudem wurde die Mehrheit der Richter persönlich von Bonaparte eingesetzt. Die Anrufung einer zweiten Instanz war ausgeschlossen.

Da das Mainzer Gericht und die Gendarmerie einen nie dagewesenen Aufwand betrieb, um Schinderhannes und dessen Mittäter zu bestrafen – im Ermittlungsverfahren wurden 400 Zeugen, in der Hauptverhandlung vermutlich 380 Zeugen gehört, mindestens 100 Personen saßen zur gleichen Zeit in verschiedenen Gefängnissen der Stadt – ist es verständlich, daß Schinderhannes auch in der Bevölkerung eine Aufmerksamkeit zuteil wurde, die er ansonsten nicht bekommen hätte. Die städtische Bevölkerung am Rhein hatte bisher wenig von Schinderhannes gehört. „Nur lustige Streiche“ seien ihm zu Ohr gekommen, so der Gerichtspräsident Rebmann vor Beginn der Verhöre in Mainz. Die vom Krieg gezeichnete Landbevölkerung war hingegen auf Schinderhannes nicht gut zu sprechen, galt er doch als der, der die allgemeine Not mit seinen Räubereien und Erpressungen noch vergrößerte.

Schinderhannes’ Mythos als ein edler Räuberhauptmann, Frauenheld und Freiheitskämpfer hat im wesentlichen die Presse begründet. Daß der Name Schinderhannes zuvor so bekannt geworden war, lag an dem Umstand, daß Bückler ihn mehr und mehr als Druckmittel benutzte; anders als andere Verbrecher, die ihre Identität zu wahren versuchten. Zeitungen haben schließlich seine Taten und sein Auftreten um ein Hundertfaches überzogen. Noch bis zu seinem Gefängnisaufenthalt in Simmern 1799, der Halbzeit seiner kriminellen Karriere, galt er nicht als wirklich gefährliches Subjekt, aber als notorischer Kleinkrimineller. Als er nach seiner Flucht aus Simmern dazu überging, einen Raubüberfall nach dem anderen zu begehen und Menschenleben zu gefährden, stieg seine Bekanntheit rasant. Hinzu kam, daß sich ab diesem Zeitpunkt mit steigendem Maße andere große und kleine Gauner seines Namens bedienten. So fielen die überregional tätigen Schwerverbrecher der rheinischen Mafia, auch Niederländer bzw. Neuwieder Bande genannt, bei Überfällen in Dörfer mit den Rufen „Vivat Schinderhannes“ ein. Da ihre Namen lange Zeit unbekannt waren, blieb allein „Schinderhannes“ im Gedächtnis der Opfer. Der Verwaltungschef der neuen französischen Departemente links des Rheins, Jollivet, veröffentlichte deshalb im amtlichen Verordnungsblatt einen Aufruf, diesen Schinderhannes zu arretieren, da dieser „Räuberbanden organisieren“ würde. Kurze Zeit später nahm dies ein französisches Regierungsblatt in Paris auf und veröffentlichte Spekulationen über die Person des Schinderhannes. So sollte er ein Baron sein, der mit 600 Kämpfern einen Wiederanschluß an Deutschland zu erreichen suchte. Davon aufgeschreckt, bemühte sich die französische Regierung in besonderem Maße, Schinderhannes habhaft zu werden. Selbst Preußen errichtete in Wesel am Niederrhein, also weitab von dessem Auftreten, eine „Immediatkommission“, um Maßnahmen zu treffen, den Verbrecher zu fangen; ungeachtet der Tatsache, daß die Großzahl der Überfälle, insbesondere nördlich des Mains, auf das Konto der sogenannten Niederländer/Neuwieder Bande gingen. Da man diese Bande aber noch nicht benennen konnte, schrieb man die Raubkriminalität dieser Zeit vorzugsweise Schinderhannes zu. Erst nach dessen Gefangennahme und den Verhören in Mainz 1802/03, in denen er über seine tatsächlichen Tatbeiträge berichtete, wurde die fiktive Gestalt auf eine konkrete Person mit einer überschaubaren Zahl von Straftaten zurückgeführt. Die Inhaftierung in Mainz ließ Schinderhannes jedoch erst recht zu einem Medienereignis werden. Noch vor seinem Tod unter der Guillotine 1803 brachten geschäftstüchtige Schreiber angeblich wahrheitsgemäße Lebensgeschichten über ihn in Druck.3 Erst nach seinem Tod erschienen 1804 drei Biographien, die bis heute die einzigen sind, in denen versucht wurde, das Lebensbild des Verbrechers nach den im Ermittlungsverfahren (und teilweise auch den im Hauptverfahren) gewonnenen Informationen sachlich nachzuzeichnen.4

Die wohl erste nach dem Tod des Räubers erschienene und hiermit nunmehr in der dritten Neuauflage vorgestellte Biographie ist anonym 1804 in Stuttgart erschienen. Sie stammt sehr wahrscheinlich aus der Feder des Herausgebers der Mainzer Zeitung, Johannes Ignatz Weitzel. Der Autor bemühte sich, den Schinderhannes allein nach den Erkenntnissen des Gerichts darzustellen, die im Sommer 1803, wenige Monate vor der Hauptverhandlung und der Hinrichtung des Räubers in sechs großformatigen Bänden gedruckt wurden.5 Es ist anzunehmen, daß das Buch kurz nach der Hinrichtung am 21. November 1803 erschienen ist. Vermutlich aus Zeitgründen hat der Autor darauf verzichtet, wesentliche Erkenntnisse der Hauptverhandlung einzuarbeiten. Aus diesem Grund ist das vorliegend geschilderte Bild des Schinderhannes noch sehr von dessen Dominanz im Ermittlungsverfahren gekennzeichnet. Hier wusch sich der Räuber die Weste rein und unterschlug Tatbeiträge, die später in der Hauptverhandlung noch aufgeklärt werden konnten. Insofern ist Schinderhannes in diesem Buch noch deutlich positiver gezeichnet, als in dem umfangreicheren Bericht des Gerichtspräsidenten Rebmann, der offenbar nach der Publikation von Weitzel erschien.6 Es entspricht also nicht den Tatsachen, wenn der Autor des hier vorliegenden Werkes schreibt: „Er (Schinderhannes) läugnet nicht, schont in seinen Aussagen sich weniger als andere, und fordert selbst seine Mitschuldigen auf, der Wahrheit getreu zu bleiben, wenn sie Miene machen, sich von ihr zu entfernen. Lügen scheint ihm zu niedrig.“ Wie sich nämlich erst in der Hauptverhandlung herausgestellt hat, war das Schinderhannes’ „Taktik“: Auf der einen Seite offenbarte er zahllose Mittäter und eröffnete unzählige Details. So machte er auf die Prozeßteilnehmer den Eindruck, er würde alle Taten aufdecken. Tatsächlich verlor sich der Räuber sehr oft in prozessual unwichtigen Details, verschwieg oder beschönigte den tatsächlichen Sachverhalt. Offenbar fiel es während des Ermittlungsverfahrens nicht auf, daß er sich auffallend einsilbig bei der Aufklärung von Gewaltverbrechen verhielt. Ganz offensichtlich versuchte er von diesen Taten abzulenken. Hintergrund für dieses Verhalten war sicherlich auch seine Hoffnung auf einen Gnadenerweis Bonapartes und das Absehen von der drohenden Todesstrafe. Erst in der Hauptverhandlung zeigte sich nämlich, wie brutal Schinderhannes bei Überfällen vorgegangen war. Erstaunlich, daß man sich in den vergangenen 210 Jahren nie um diese Aufzeichnungen bemüht und zumeist kritiklos seine Aussagen aus dem Ermittlungsverfahren übernommen hatte.

Die Stiftung Historische Kommission für die Rheinlande 1789-1815 wird auch in Zukunft einen Fokus ihrer Arbeit auf die Veröffentlichung von Quellen zu Personen richten, die zur Zeit der Französischen Revolution und Napoleons am Rande der bürgerlichen Gesellschaft lebten. Insbesondere in den Rheinlanden muß die Zahl dieser Menschen derart angestiegen sein, daß beispielsweise ein nassauischer Amtsmann 1801 notierte, „er nehme an, daß die Hälfte aller Menschen in Nassau keinen Wohnsitz hätte und umherstreifen würde“. Es sind gerade diese Lebensgeschichten, die den gesellschaftlichen Umbruch an der Wende zum 19. Jahrhundert kennzeichneten.

Kelkheim, im Juni 2013

Dr. Dr. Mark Scheibe

Treuhänder Stiftung Historische Kommission für die Rheinlande 1789-1815

www.forschungsportal-schinderhannes.de

www.stiftung-hkr.info

3 Reine Fiktion ist u. a. der von Th. F. K. Arnold, „Schinderhannes, Bückler genannt, der berüchtigte Räuberhauptmann“, Erfurt, 1802, erschienene angebliche Tatsachenroman. Ihm mangelt es sogar an den gängigen Sagen, die man sich zu dieser Zeit über den Schinderhannes erzählte und die Anlaß zu vielerlei erfundenen und in Druck gegangenen Lebensgeschichten des Räubers gaben. Eine zweite bekannte und im wesentlichen erfundene Biographie von 1801 ist die von C. H. Spieß: Kriminalgeschichten, voller Abentheuer und Wunder und doch streng der Wahrheit getreu“. Sie ist abgedruckt im gleichnamigen Buch von Franke (1977) mit dessen Kommentierung.

4 Anonymus 1804 (= wohl der Herausgeber der Mainzer Zeitung Weitzel oder ein Mitarbeiter; die hier vorliegende Arbeit), Becker 1804 (I. Bd, 2.Th. ; Autor Anton Keil, Rechtsprofessor zu Köln und „Kopfjäger“ der großen rheinischen Verbrecher jener Zeit): „Actenmäßige Geschichte der Räuberbanden an den beyden Ufern des Rheins“, Cöln 1804; Anonymus (= der Gerichtspräsident im Schinderhannes-Prozeß G. F. Rebmann): „Leben, Thaten und Ende des berüchtigten Räubers Johannes Bückler (…)“, Basel und Arau 1804.

5 Der Titel der Ermittlungsakten lautet „Procédure instruite par le Tribunal criminel spècial établi à Mayence pour le département Mont-Tonnerre, en exécution de la loi du 18 Pluvoise an IX (07.02.1803) contre Jean Bückler, dit Schinderhannes et soixantesept de ses complices, tous prévenus d’assassinat, ou des vols, ou de complicité de dits crimes“. Vollständige Exemplare dieser Akten liegen heute noch in Mainz, Trier, Weimar, Paris und Washington. Mindestens zwei komplette Bände sowie zwei Bücher des Bandes I befinden sich in Privatbesitz.

6 Siehe Fußnote 4, letzter Halbsatz.

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Johannes Bückler, wie er auf einem Flugblatt im Jahre 1802 dargestellt wurde (Ausschnitt).