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Über dieses Buch:

Das Frankenreich im späten sechsten Jahrhundert. Vor den Toren von Poitiers liegt das Heilig-Geist-Kloster. Einst wurde es von einer Königin gegründet, die ihrem Merowinger-Gemahl entfloh, um hier ihr christliches Lebenswerk zu vollenden. Doch schon bald nach ihrem Tod begann der Glanz des heiligen Ortes zu schwinden. Unter den adligen Frauen, die hier als Nonnen leben, bricht immer häufiger Streit um Rang und Ansehen aus. Eine strenge Pröbstin ist gewillt, im »Kloster Babylon« mit harter Hand durchzugreifen – doch sie hat nicht mit dem Hass gerechnet, der ihr bald entgegenschlägt …

Die fesselnde Familiensaga über eine der mächtigsten Familien des frühen Mittelalters, die mit Blut und Schwert Geschichte schrieb: die Merowinger.

Über den Autor:

Robert Gordian (1938–2017), geboren in Oebisfelde, studierte Journalistik und Geschichte und arbeitete als Fernsehredakteur, Theaterdramaturg, Hörspiel- und TV-Autor, vorwiegend mit historischen Themen. Seit den neunziger Jahren verfasste er historische Romane und Erzählungen.

Robert Gordian veröffentlichte bei dotbooks bereits die Romane ABGRÜNDE DER MACHT, MEIN JAHR IN GERMANIEN, NOCH EINMAL NACH OLYMPIA, XANTHIPPE – DIE FRAU DES SOKRATES, DIE EHRLOSE HERZOGIN und DIE GERMANIN sowie drei historische Romanserien:

ODO UND LUPUS, KOMMISSARE KARLS DES GROSSEN

Erster Roman: »Demetrias Rache«

Zweiter Roman: »Saxnot stirbt nie«

Dritter Roman: »Pater Diabolus«

Vierter Roman: »Die Witwe«

Fünfter Roman: »Pilger und Mörder«

Sechster Roman: »Tödliche Brautnacht«

Siebter Roman: »Giftpilze«

Achter Roman: »Familienfehde«

DIE MEROWINGER

Erster Roman: »Letzte Säule des Imperiums«

Zweiter Roman: »Schwerter der Barbaren«

Dritter Roman: »Familiengruft«

Vierter Roman: »Zorn der Götter«

Fünfter Roman: »Chlodwigs Vermächtnis«

Sechster Roman: »Tödliches Erbe«

Siebter Roman: »Dritte Flucht«

Achter Roman: »Mörderpaar«

Neunter Roman: »Zwei Todfeindinnen«

Zehnter Roman: »Die Liebenden von Rouen«

Elfter Roman: »Der Heimatlose«

Zwölfter Roman: »Rebellion der Nonnen«

Dreizehnter Roman: »Die Treulosen«

ROSAMUNDE, KÖNIGIN DER LANGOBARDEN

Erster Roman: »Der Waffensohn«

Zweiter Roman: »Der Pokal des Alboin«

Dritter Roman: »Die Verschwörung«

Vierter Roman: »Die Tragödie von Ravenna«

Ebenfalls erschien bei dotbooks die beiden Kurzgeschichtenbände EINE MORDNACHT IM TEMPEL und DAS MÄDCHEN MIT DEM SCHLANGENOHRRING sowie die Reihe WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN mit kontrafaktischen Erzählungen über berühmte historische Persönlichkeiten:

WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN: Caesar, Chlodwig, Otto I., Elisabeth I., Lincoln, Hitler

WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN: Napoleon, Paulus, Themistokles, Dschingis Khan, Bolívar, Chruschtschow

WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN: Karl der Große, Arminius, Gregor VII., Mark Aurel, Peter I., Friedrich II.

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Überarbeitete eBook-Neuausgabe Juni 2014

Die komplett überarbeiteten und erweiterten Neuausgaben der Merowinger-Romane von Robert Gordian, die bei dotbooks erscheinen, beruhen auf einer Tetralogie, die zwischen 1998 und 2006 in verschiedenen Verlagen veröffentlicht wurde. Teile des vorliegenden zwölften Romans der Serie erschienen erstmals 1999 in »Aufstand der Nonnen«, veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg.

Copyright © der Originalausgabe 1999 Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Copyright © der überarbeiteten Neuausgabe 2014 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95520-619-2

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Robert Gordian

DIE MEROWINGER

Rebellion der Nonnen

Zwölfter Roman

dotbooks.

Was bisher geschah

Ein Jahrhundert ist vergangen, seit Clodwig die römische Herrschaft in Gallien (dem heutigen Frankreich) beendete und das mächtige Frankenreich schuf. Nach seinem Tode regierten seine Söhne und Enkel in Teilreichen unterschiedlicher Ausdehnung. Das Gesamtreich blieb dabei erhalten, und so, wie es nach Gutsherrenart unter den Erben geteilt wurde, konnte es auch zeitweilig wiedervereinigt werden.

Jetzt, im letzten Viertel des sechsten Jahrhunderts, gibt es drei solche Teilreiche: das Ostreich Austrasien, das Nordwestreich Neustrien und das Südreich Burgund. Nur zwei der Enkel Chlodwigs sitzen noch auf ihren Thronen: die Halbbrüder Chilperich (Neustrien) und Gunthram (Burgund). In Austrasien ist schon die vierte Generation der Merowinger an der Macht, wenn auch erst in der Gestalt des minderjährigen Childebert, für den ein Regentschaftsrat eingesetzt ist.

In Neustrien ist ebenfalls die vierte Generation herangewachsen: König Chilperich hat einen zwanzigjährigen Sohn. Der aber – er trägt den Namen des Stammvaters Merovech – ist nicht mehr Thronfolger, sondern Gefangener seines Vaters, des Königs. Und als ihm die Flucht gelingt, ist er heimatlos.

In keinem der drei Frankenreiche gewährt man dem flüchtigen Prinzen Aufenthaltsrecht. Seine Gemahlin Brunichilde, Königinmutter in Austrasien, weist ihn ab. Herzog Boso, ein falscher Freund, verführt ihn zum bewaffneten Aufstand und verrät ihn. Wohin er sich wendet, täuscht man ihn, lockt ihn in Hinterhalte. Ein gewaltsamer Tod ist die tragische Folge der Irrwege dieses jungen Heimatlosen.

Ein Jahrhundert kraftvoller, aber auch blutiger Machtausübung durch den Clan der Merowinger geht damit zu Ende. König Chilperich wird später ebenfalls ermordet, wie so viele Merowinger vor ihm; Childebert stirbt als Mittzwanziger unter ungeklärten Umständen; seine Mutter Brunichilde erleidet als alte Königin, von ihren zahlreichen Feinden gefangen genommen und verurteilt, einen grausamen Tod.

Noch bis zur Mitte des achten Jahrhunderts werden die Merowinger auf Frankenthronen sitzen. Sie werden auch noch einige fähige und energische Könige hervorbringen, doch allmählich wird die Herrschaft in die Hände der karolingischen Hausmeier übergehen, und die letzten Merowinger werden so machtlos sein wie heutzutage die übriggebliebenen Monarchen Europas neben ihren Premierministern.

Wir kehren noch einmal zurück in die späten Jahre des sechsten Jahrhunderts. In den letzten beiden Büchern seiner Geschichte der Franken widmete sich Bischof Gregor von Tours einem Ereignis, an dem er selbst teilhatte und das uns heute noch wie das Satyrspiel nach einem mehrteiligen Drama erscheint – der von zwei Merowingerinnen angeführten Rebellion im Nonnenkloster von Poitiers.

Auch wir wenden uns jetzt, um den Leser nach so viel Blut und Tod wieder aufzuheitern, dieser derb-komischen Skandalgeschichte des Jahres 589 zu.

Dramatis personae

Chrodechilde, Tochter König Chariberts

Basina, Tochter König Chilperichs

Gunthram, König von Burgund

Leubovera, Äbtissin

Justina, Pröpstin

Gundegisel, genannt Dodo, Metropolit

Marovech, Bischof von Poitiers

Gregor, Bischof von Tours

Macco, Comes von Poitiers

Siggo, sein Sohn

Porcarius, Abt

Theuthar, Priester und Gelehrter

Trudulf, Gutsbesitzer

Gerberga, seine Frau

Rocco, Straßenräuber, im Asyl

Sinopus, Mönch und Mörder, im Asyl

Blagovild, Scharlatan, im Asyl

Ferreol, Sänger und Mörder, im Asyl

Hildebold, Zenturio

Lucilla, Nonne

Prisca, Nonne

Maxentia, Nonne

Constantina, Nonne

Rufinus, Torwächter

Crispin, Diener des Theuthar

Kapitel 1

Am 1. März 589 regnete es in der Bischofsstadt Tours seit den frühen Morgenstunden. Die Wassermassen strömten so heftig und ausgiebig vom Himmel, dass die krummen, ungepflasterten Gassen kaum noch begehbar waren.

Einige Male kam es zu Unfällen. Ein Karren versank mit seinem Zugtier im Schlamm. Ein paar ältere Frauen, die sich zum Markt begeben wollten, mussten mit Hilfe von Stangen aus einem Wasserloch gezogen werden. Wen nicht dringende Pflichten nach draußen riefen, der blieb im Trockenen.

Auch die Diener Gottes, besonders zahlreich in dieser Stadt, in welcher vor zweihundert Jahren der heilige Martin gelebt und gewirkt hatte, eilten weniger geschäftig als sonst zwischen Basilika und Taufkapellen, Hospizen und Klöstern hin und her. Nur ab und zu sah man Grüppchen von ihnen, die aufgeweichten Straßen entlanghastend, die Köpfe einziehend unter Kapuzen, Kutten und Chorröcken.

Der Archidiakon der Grabeskirche verkündete einem Haufen durchnässter Pilger die neue Sintflut.

»Denn es reute den Herrn, dass er die Menschen gemacht hatte!«, donnerte er. »Und so sprach er: »Ich will sie durch Wasser vernichten! Ersäufen will ich dieses boshafte, sündige Menschengeschlecht!«

Als sich darauf ein allgemeines Geheul und Gejammer erhob, hatte der Geistliche allerdings Trost bereit. Eine kräftige Spende werde den heiligen Martin, der ja am Throne Gottes sitze, zur Fürbitte für die Menschheit bewegen. Und noch immer sei der im Himmel so Einflussreiche gehört worden.

Es wurde Mittag, und der Regen ließ nicht nach. Bischof Gregor hatte sich an diesem Tage damit begnügt, ein Gotteslob am Hausaltar zu singen, um sich dann sogleich in sein Arbeitszimmer zu begeben. Er tauchte die Rohrfeder in das Tintenfass und schrieb am achten Buch seiner Frankengeschichte eifrig weiter.

Das Rauschen des Wassers erinnerte ihn daran, dass es auch im Jahr 587, bei dem er schon angelangt war, starke, die Saaten vernichtende Regengüsse gegeben hatte. Gleich widmete er ihrer Beschreibung das 23. Kapitel. Einmal in Schwung gekommen, fügte er noch eine weitere Naturkatastrophe und ein bedrohliches Gotteswunder hinzu, bei dem sich Wasser sogar in Blut verwandelt hatte.

Zufrieden mit dem Geschriebenen, überlas er alles Wort für Wort und sog dabei den lieblichen Duft ein, der aus der Küche hereinzog. Dort bereiteten die Mägde dem Bischof ein Hühnchen zu.

Plötzlich waren aus der Vorhalle polternde Schritte zu vernehmen. Gregor hob den Kopf. Im selben Augenblick wurde die Tür aufgestoßen.

»Ehrwürdiger Vater! Schnell! Du musst kommen!«

Es war einer der Männer vom Stadttor, die dort Wache hielten. Wasser troff von seinem Bart und vom Saum seines Mantels. Unter ihm breitete sich gleich eine Pfütze auf dem Fußboden aus.

»Was gibt es denn? Warum störst du mich?«, fragte der Bischof mit sanftem Vorwurf. »Du stürmst hier herein und erschreckst mich …«

»Komm mit mir! Wir wissen nicht, was wir tun sollen. Am Stadttor … da sind …«

»Wer ist dort? Wer?«

»Da sind Weiber …«

»Was? Bäuerinnen? Marktweiber?«

»Eher Jungfrauen. Jedenfalls behaupten sie das.«

»Bist du betrunken, Rufinus?«

»Noch keinen Tropfen habe ich heute zu mir genommen, Vater. Komm mit! Überzeuge dich! Stelle fest, ob es stimmt!«

»Was denn?«

»Na, ob sie Jungfrauen sind!«

»Was fällt dir ein? Wie könnte ich das?«

»Als Bischof musst du doch feststellen können, ob es sich wirklich um Nonnen handelt.«

»Nonnen?«, rief Gregor.

»Sie behaupten, sie kämen aus Poitiers. Aus dem Heilig-Kreuz-Kloster.«

»Aus Poitiers? Wie? Jetzt? Bei dem Wetter? Und Nonnen? Wie viele sind es denn?«

»Etwa vierzig. Ein wüster Haufen. Sie zetern und kreischen und schlagen mit Fäusten gegen das Tor.«

»Ist es denn jetzt geschlossen? Am helllichten Tage?«

»Wir sahen sie ja von weitem kommen. Da dachten mein Kamerad und ich, es wäre besser, das Tor erst einmal zu verrammeln. Man kann ja nie wissen … Von weitem, bei diesem Unwetter, sahen wir auch nicht gleich, dass es Weiber … eh, Jungfrauen sind. Es konnte ja auch Raubgesindel sein, das den Regen nutzen wollte, um …«

»Und warum habt ihr sie nicht hereingelassen?«, unterbrach ihn der Bischof ungeduldig. »Gott im Himmel! Natürlich sind sie auf einem Pilgermarsch. Sie wollen zum Grabe des heiligen Martin!«

»Das wohl nicht«, erwiderte der Torwächter grinsend.

»Wieso nicht?«

»Sie fluchten wie Fuhrknechte, nannten uns Hurensöhne und schrien: ›Macht das Tor auf, wir wollen zu euerm verdammten Bischof!‹«

»Das haben sie …?«

Dem erschrockenen Gottesmann versagte die Stimme.

»Das und noch mehr, Vater. Saftige Worte!« Das Grinsen wurde noch breiter. »Besser, sie nicht zu wiederholen.«

»Aber … aber wenn sie eine so grobe Sprache führen, dann sind sie vielleicht gar keine Nonnen.«

»Dachten wir auch erst. Mein Kamerad meinte: Vielleicht wollen sie nur spielen, tanzen und singen. Ich dagegen: Oder sie sind Dirnen, die sich als Nonnen ausgeben, damit wir sie reinlassen. Das fehlte ja noch – vierzig auf einmal! Schließlich haben wir schon genug von der Sorte, die uns die frommen Väter und Brüder verrückt machen. Als sie aber näher heran waren, sahen wir: Spielfrauen sind es nicht. Sie haben nichts bei sich, keine Zimbeln, Klappern, Harfen und Flöten. Und richtige Dirnen sind sie auch nicht, sonst kämen sie nicht so erbärmlich daher … hätten wenigstens einen Planwagen und Gepäck drauf. Manche von ihnen gehen barfuß, haben kaum etwas auf dem Leibe … gerade genug, um sich zu bedecken. Einige scheinen auch schon ganz schwach zu sein …«

»Und ihr lasst sie im Regen vor dem Tor stehen?«

»Nur weil sich die meisten so wüst und unflätig aufführen. Sie drohen sogar! Eine – so eine Schwarze, ein richtiges Teufelsweib, wohl die Anführerin … die schrie zu uns herauf: ›Wenn ihr uns nicht hineinlasst in euer elendes Nest, dann sorgen wir dafür, dass ihr alle aufgehängt werdet! Wir haben die Macht dazu! Wir sind Königstöchter.‹«

»Königstöchter?«

»Nun, wie findest du das, ehrwürdiger Vater? Dürfen Nonnen so etwas behaupten? Und selbst wenn sie Königstöchter sind … Vielleicht sind sie aber auch Verrückte. Wer weiß, was die vorhaben und wer dahintersteckt. Deshalb meinte mein Kamerad: ›Lauf lieber erst zu unserem Bischof, Rufinus, der wird Rat wissen …‹«

»Jaja, schon gut, ich komme mit dir.«

Tief seufzend erhob sich der würdige Mann von seinem Armstuhl. Er war Ruhe und Ordnung gewohnt, den ewigen Rhythmus frommer Verrichtungen und nützlicher Taten. Doch jetzt schwirrten ihm die abenteuerlichsten Vermutungen durch den Kopf. Hatte Satan etwa die Hand im Spiel?

Er stülpte eine lederne Kappe auf seinen hochgewölbten, schmalen Kopf und warf einen Umhang über. In der Vorhalle ließ er sich von einer Magd die Schuhe binden.

»Bei der heiligen Mutter Maria«, jammerte sie, »willst du wirklich bei diesem Wetter hinaus? Du wirst dir den Tod holen, ehrwürdiger Vater!«

»Und das Huhn wird verkochen!«, schrie eine andere aus der Küche herüber.

Der Bischof trat unter die Tür seines Hauses.

»Mein Pferd!«

»Ich rate dir, lieber nicht zu reiten!«, sagte Rufinus, der ihm gefolgt war. »Diese verschlammten Wege sind tückisch. Schnell ist ein Unglück geschehen.«

»So gehen wir!«

Rufinus schritt voran, und der Bischof stapfte verdrossen hinter ihm her. Schon nach wenigen Schritten versank er bis zu den Waden im Schlamm. Unter seinen Füßen gluckste und schmatzte es. Wasser lief in seine Schuhe.

Kaum waren sie aber um die erste Ecke gebogen, als sie betroffen stehen blieben. Vom anderen Ende der Gasse näherte sich ein Haufen dunkel gewandeter, aufgeregt gestikulierender Gestalten.

»Teufel, Vater, da sind sie schon!«, rief Rufinus. »Aber wie sind sie hereingekommen? Das Tor war doch zu, und mein Kamerad wollte warten, bis …«

Der Bischof bekreuzigte sich stumm.

Die Entgegenkommenden näherten sich. Er erkannte einige Gesichter. Es waren tatsächlich Nonnen aus dem Heilig-Kreuz-Kloster der Nachbarstadt Poitiers, das er schon oft besucht hatte.

In der ersten Reihe gingen die Jüngsten und Kräftigsten. Unter ihren stampfenden Schritten spritzten Schlamm und Wasser hoch auf. Dahinter versuchten die anderen, Schritt zu halten. Einige wankten und stützten sich gegenseitig. Alle waren völlig durchnässt und mit Schmutz bedeckt. Ihre Gewänder, Schleier und Stirnbänder waren in elendem Zustand. Doch die Gesichter, obwohl bleich und übernächtigt, zeigten eine wilde Entschlossenheit.

Einige Bürger, aufgeschreckt von dem Lärm, steckten die Nasen aus den Türen, bekreuzigten sich erschrocken wie der Bischof und zogen sich rasch wieder zurück.

An der Spitze schritt die große Schwarzhaarige, die Rufinus erwähnt hatte. Glänzende Strähnen fielen wasserschwer auf ihre Schultern. Auf ihren langen Beinen, die sie unter den hochgerafften Gewändern unziemlich sehen ließ, marschierte sie vorwärts, als ginge es in eine Schlacht. Ihre Nase war kühn gebogen, der Mund stark aufgeworfen, das Kinn rund und kraftvoll. Und tiefschwarz wie das Haar waren ihre Augen.

Die Schöne pflanzte sich vor dem Bischof auf, ließ den gerafften Rock fallen, stemmte die Arme in die Seiten und fragte in scharfem Ton: »Erkennst du mich, ehrwürdiger Vater?«

Gregor zuckte zusammen, behielt jedoch Haltung und erwiderte: »Ja, ich erkenne dich. Du bist die Nonne Chrodechilde vom Heilig-Kreuz-Kloster in Poitiers.«

»Und erkennst du auch die?«

Sie zeigte auf eine rundliche Blonde, die neben ihr stehen geblieben war.

»Gewiss«, sagte Gregor. »Ihr Name ist, wenn ich nicht irre, Basina.«

»Du irrst nicht. Vor dir stehen zwei Nichten des Königs Gunthram, zwei Cousinen des Königs Childebert. Merowingerinnen!«

»Das wusste ich gleichfalls. Aber was wollt ihr hier? Warum habt ihr die Obhut eures Klosters verlassen? Bei diesem Wetter, noch fast zur Winterszeit! Warum konntet ihr nicht bis zum Frühling warten? Habt ihr denn an den heiligen Martin eine so dringende Bitte?«

»Nicht an den Heiligen, von dem wollen wir nichts!«, erwiderte Chrodechilde und lächelte abschätzig. »Wir sind unterwegs zu unseren Verwandten, den Königen. Die Jungfrauen hier sind unser Gefolge!«

»Was denn? Ihr wollt noch weiter?«

»Nach Orléans oder nach Chalon. Und wenn es sein muss, auch nach Metz.«

»Aber hat euch denn eure Äbtissin, die ehrwürdige Leubovera, mit einem solchen Auftrag versehen?«

Kaum hatte der Bischof die Frage gestellt, öffneten sich die Münder der vierzig Nonnen zu einem Hohngelächter.

Die blonde Basina schrie: »Habt ihr gehört, Schwestern? ›Die Ehrwürdige!‹ So nennt er die niederträchtige Gottlose!«

»Nein, Vater«, sagte Chrodechilde. »Von der haben wir keinen Auftrag erhalten. Aber schuld ist sie trotzdem, dass wir drei Tage und Nächte bei Wind und Wetter auf der Straße waren. Sechzig Meilen! Ohne Nahrung! Fast ohne Schlaf!«

»Aber das ist ja grauenhaft!«, rief Gregor bestürzt. »Nicht zu fassen! Irgendjemand muss euch das doch befohlen haben. Etwa mein geschätzter Amtsbruder Marovech, euer Bischof?«

»Sein ›geschätzter Amtsbruder‹!«, höhnte Basina. »Der boshafte alte Hinkefuß!«

Die Nonnen schrien entrüstet auf.

»Befohlen hat uns das niemand, Vater!«, sagte Chrodechilde herausfordernd. »Wir selber haben uns den Befehl erteilt. Weil wir es nicht mehr länger dort aushalten! Aber willst du uns hier im Regen verhören? Sollen wir alle im Fieber enden? Einige von uns sind schon krank. Sogar der Wächter am Tor hatte Mitleid mit uns.«

»Oh, verzeiht, meine Töchter!«, rief der Bischof. »Die Überraschung! Natürlich, zuerst das Werk der Barmherzigkeit. Ihr müsst euch erst einmal erholen, dann sehen wir weiter. Im Namen Gottes, folget mir nach! Ich werde euch speisen und euch ein Obdach geben.«

Kapitel 2

Wenig später herrschte in dem sonst so stillen Haus des Bischofs von Tours der Trubel einer Herberge. Die vierzig Nonnen drängten hinein und nahmen sämtliche Räume für sich in Anspruch. Die Geschwächten ließen sich auf Bänken und Hockern oder gleich auf dem Fußboden nieder.

Entsetzt sahen die Mägde, wie Schlammspuren über die kostbaren Teppiche gezogen wurden. Die Köchin schrie auf und protestierte, als Basina in der Küche das Huhn aus dem Topf riss. Im Nu war es zerteilt und verzehrt. Dann stürmten die ausgehungerten Gottesbräute die Speisekammer. Körbe mit Brot und Käse, Fässer mit gesalzenem Fleisch und eingelegtem Gemüse wurden von Hand zu Hand weitergereicht.

Die Mägde umringten den Bischof und flehten ihn an, die räuberischen Nonnen zu zügeln, da man sonst für den Rest des Winters nichts mehr zu essen haben werde. Doch er befahl, sie aus Nächstenliebe gewähren zu lassen. Er ließ auch einige Kohlebecken zusätzlich aufstellen, damit sie sich trocknen und wärmen konnten.

Über Schränke und Truhen und ein quer durch die Halle gespanntes Wäscheseil warfen sie ihre nassen Gewänder, Überwürfe, Hemden, Schleier, Binden und Strümpfe. Der keusche Oberhirte, schon über die fünfzig hinaus, wusste bald nicht mehr, wohin er gehen und blicken sollte. So viel unverhüllte Weiblichkeit hatte er nie im Leben zu Gesicht bekommen.

Als er sein Arbeitszimmer betreten wollte, verwehrte ihm Chrodechilde, die Arme über der Brust kreuzend, den Eintritt. Also floh er in die Hauskapelle. Doch auch hier waren schon überall Kleidungsstücke zum Trocknen ausgebreitet, und ein mehrstimmiger Aufschrei empfing ihn, als er die Schwelle überschreiten wollte.

Er zog sich erschrocken zurück. Als letzte Zuflucht fiel ihm jetzt nur noch ein Schuppen an der Hauswand ein, wo zerbrochenes Chorgestühl und allerlei Gerümpel verwahrt wurden.

Aber welch schmachvoller Anblick, als er dort eintrat! Da standen der strenge Archidiakon, ein Priester, zwei Diakone und der Prior eines Klosters, der zu Besuch war, gebückt an der gemeinsamen Wand von Haus und Schuppen und spähten angestrengt durch die Ritzen zwischen den Eichenbohlen.

Der Bischof räusperte sich, und da fuhren fünf heftig gerötete Köpfe herum, und unter verlegenem Gemurmel schlichen die Überraschten hinaus in den Regen.

Gregor blieb in dem Schuppen allein, setzte sich auf eine der Bänke und dachte nach. Noch immer wusste er nicht, was geschehen, was die Ursache für dieses unerhörte Ereignis war, das ihn in eine solche Verlegenheit brachte.

Erst gegen Abend herrschte wieder so weit Ordnung im Hause, dass er sich hineinwagen konnte. Es gelang ihm sogar, die Gäste zur Räumung seines Arbeitszimmers zu bewegen. Voller Besorgnis prüfte er, ob seine Papiere, insbesondere sein wertvolles Manuskript, unberührt waren. Nachdem er sich überzeugt hatte, dass, abgesehen von Haufen getrockneten Gassendrecks auf dem Teppich und anderen Verwüstungen, die in die Zuständigkeit der Mägde fielen, nichts verändert war, beruhigte er sich ein wenig und setzte sich in seinen Armstuhl, um sich zu sammeln.

Dann rief er die beiden Anführerinnen der Nonnenschar, Chrodechilde und Basina, herein.

»Ich bin tief besorgt, meine Töchter«, begann er. »Soweit ich mich erinnere, ist ein Fall wie dieser noch nicht vorgekommen. Wie konntet ihr überhaupt das Kloster verlassen? Wie seid ihr hinausgelangt?«

»Durch die Pforte, ehrwürdiger Vater«, antwortete Chrodechilde lächelnd.

»Wir mussten aber das Schloss zerbrechen«, fügte Basina hinzu, »weil die Pförtnerin den Schlüssel versteckt hatte.«

»Ihr habt das Schloss zerbrochen?«, rief der Bischof. »Das ist ein schwerer Verstoß!«

»Viel schwerer waren Verstöße, die andere sich geleistet hatten«, befand Chrodechilde.

»Vor allem die gottlose Leubovera!«, ergänzte Basina.

»Meine Töchter, ich kann nicht dulden, dass ihr gegen die ehrwürdige Mutter Beleidigungen …«

»Die Ehrwürdige«, sagte Chrodechilde, »ist eine Schande für das Heilig-Kreuz-Kloster!«

»Liebhaber hält sie sich«, sprudelte Basina hervor. »Die lässt sie ganz ungeniert ins Kloster kommen und versteckt sie nicht einmal. Sogar im Badehaus tummeln sie sich! Wenn eine Nonne dort hineinwill, wird sie verspottet und aufgefordert, mit ihnen Unzucht zu treiben. Und die Äbtissin lacht dazu!«

»Und dann sitzt sie den ganzen Tag beim Brettspiel«, setzte Chrodechilde die Anklage fort. »Es macht ihr nichts aus, wenn sie die Stundengebete darüber versäumt. Dabei leert sie einen Becher Wein nach dem anderen. Schon am Nachmittag ist sie oft so betrunken, dass man sie stützen und zu Bett bringen muss.«

»Das machen gewöhnlich ihre Verwandten.«

Wieder nahm Basina das Wort. »Ihr Vetter, ihre Nichte und deren Verlobter. Die leben im Kloster, schmarotzen und stehlen. Die Verlobung wurde in Saus und Braus im Refektorium gefeiert.«

»Und ihre Nichte bekam ein Festgewand aus feinstem Goldbrokat. Den Stoff dazu ließ die Äbtissin von der Altardecke abschneiden! Aber das ist noch nicht alles, sie hat …«

»Genug, genug!«, wehrte Gregor ab. »Was erzählt ihr mir da? Das ist ja unglaublich! Aber eines verstehe ich nicht, meine Töchter. Wenn die Äbtissin tatsächlich gefehlt hat … warum habt ihr euch nicht beschwert? Die heilige Radegunde, die Gründerin eures Klosters, die nun vom Himmel auf euch herabblickt, hatte einen sehr schönen Brauch eingeführt, an den ich mich gut erinnere. Hin und wieder versammelte sie die Nonnen, und wenn eine einen Missstand entdeckt hatte, konnte sie das frank und frei sagen und …«

»Frank und frei!« Chrodechilde stieß ein bitteres Lachen aus. »Die Zeiten sind lange vorüber, Vater. Eine Nonne, die jetzt noch den Mund auftut, spürt es am Rücken. Die fällt in die Hände der Pröpstin Justina!«

»Das ist der Besen der Äbtissin«, erklärte Basina. »Die macht die grobe Arbeit für sie.«

»Sprecht ihr etwa von Leibesstrafen?«

»Sie sprechen natürlich von Bußen. Mal sind es zehn, mal zwanzig, mal dreißig Hiebe. Die die Pröpstin oft selbst und sehr lustvoll verabreicht.«

»Sie haben uns alles weggenommen!«, stieß Chrodechilde zornig hervor. »Unsere Truhen mit Kleidern und Schmuck. Unsere Mäntel und Pelze. Im Schlafsaal stellen sie Wachen auf. Selbst wenn an den Fenstern Eiszapfen hängen, ist nur eine dünne Decke erlaubt.«

»Und erst das Essen!«, rief Basina. »Den Hunden wirft man Besseres vor!«

»Dafür müssen wir arbeiten, bis uns das Blut aus den Nägeln spritzt. Ist das rechtens? Sind wir nicht Königstöchter? Darf man uns im Webhaus und in der Mühle wie Sklavinnen schinden?«

»Haltet ein!«