Johann Wolfgang Goethe

West-östlicher Divan


e-artnow, 2017
Kontakt: info@e-artnow.org
ISBN 978-80-268-8111-7

Inhaltsverzeichnis

Buch des Sängers
Buch Hafis
Buch der Liebe
Buch der Betrachtungen
Buch des Unmuts
Buch der Sprüche
Buch des Timur
Buch Suleika
Das Schenkenbuch
Buch der Parabeln
Buch des Parsen
Buch des Paradieses

Buch des Paradieses

Inhaltsverzeichnis

Vorschmack

Der echte Moslem spricht vom Paradiese,
Als wenn er selbst allda gewesen wäre;
Er glaubt dem Koran, wie es der verhieße:
Hierauf begründet sich die reine Lehre.

Doch der Prophet, Verfasser jenes Buches,
Weiß unsre Mängel droben auszuwittern,
Und sieht, daß trotz dem Donner seines Fluches
Die Zweifel oft den Glauben uns verbittern.

Deshalb entsendet er den ewgen Räumen
Ein Jugendmuster, alles zu verjüngen;
Sie schwebt heran und fesselt ohne Säumen
Um meinen Hals die allerliebsten Schlingen.

Auf meinem Schoß, an meinem Herzen halt ich
Das Himmelswesen, mag nichts weiter wissen,
Und glaube nun ans Paradies gewaltig;
Denn ewig möcht ich sie so treulich küssen.

Berechtigte Männer

(Nach der Schlacht von Bedr, unterm Sternenhimmel)

Mahomet spricht:

Seine Toten mag der Feind betrauern:
Denn sie liegen ohne Wiederkehren;
Unsre Brüder sollt ihr nicht bedauern:
Denn sie wandeln über jenen Sphären.

Die Planeten haben alle sieben
Die metallnen Tore weit getan,
Und schon klopfen die verklärten Lieben
Paradieses Pforten kühnlich an.

Finden, ungehofft und überglücklich,
Herrlichkeiten, die mein Flug berührt,
Als das Wunderpferd mich augenblicklich
Durch die Himmel alle durchgeführt.

Weisheitsbaum an Baum, zypresseragend,
Heben Äpfel goldner Zierd empor;
Lebensbäume, breite Schatten schlagend,
Decken Blumensitz und Kräuterflor.

Und nun bringt ein süßer Wind von Osten
Hergeführt die Himmels-Mädchen-Schar;
Mit den Augen fängst du an zu kosten,
Schon der Anblick sättigt ganz und gar.

Forschend stehn sie, was du unternahmst?
Große Plane? fährlich blutgen Strauß?
Daß du Held seist, sehn sie, weil du kamest;
Welch ein Held du seist, sie forschen’s aus.

Und sie sehn es bald an deiner Wunden,
Die sich selbst ein Ehrendenkmal schreibt.
Glück und Hoheit, alles ist verschwunden,
Nur die Wunde für den Glauben bleibt.

Führen zu Kiosken dich und Lauben,
Säulenreich von buntem Lichtgestein,
Und zu edlem Saft verklärter Trauben
Laden sie mit Nippen freundlich ein.

Jüngling, mehr als Jüngling, bist willkommen!
Alle sind wie alle licht und klar;
Hast du eine dir ans Herz genommen,
Herrin, Freundin ist sie deiner Schar.

Doch die allertrefflichste gefällt sich
Keineswegs in solchen Herrlichkeiten;
Heiter, neidlos, redlich unterhält dich
Von den mannigfaltgen Trefflichkeiten.

Eine führt dich zu der andern Schmause,
Den sich jede äußerst ausersinnt;
Viele Frauen hast und Ruh im Hause,
Wert, daß man darob das Paradies gewinnt,

Und so schicke dich in diesen Frieden:
Denn du kannst ihn weiter nicht vertauschen;
Solche Mädchen werden nicht ermüden,
Solche Weine werden nicht berauschen.

*

Und so war das Wenige zu melden,
Wie der selge Musulman sich brüstet:
Paradies der Männer Glaubenshelden
Ist hiemit vollkommen ausgerüstet.

Auserwählte Frauen

Frauen sollen nichts verlieren,
Reiner Treue ziemt zu hoffen;
Doch wir wissen nur von vieren,
Die alldort schon eingetroffen.

Erst Suleika, Erdensonne,
Gegen Jussuf ganz Begierde;
Nun, des Paradieses Wonne,
Glänzt sie, der Entsagung Zierde.

Dann die Allgebenedeite,
Die den Heiden Heil geboren
Und getäuscht, in bittrem Leide
Sah den Sohn am Kreuz verloren.

Mahoms Gattin auch, sie baute
Wohlfahrt ihm und Herrlichkeiten,
Und empfahl bei Lebenszeiten
Einen Gott und eine Traute.

Kommt Fatima dann, die Holde,
Tochter, Gattin sonder Fehle,
Englisch allerreinste Seele
In dem Leib von Honiggolde.

Diese finden wir alldorten;
Und wer Frauenlob gepriesen,
Der verdient an ewgen Orten
Lustzuwandeln wohl mit diesen.

Einlaß

Huri

Heute steh ich meine Wache
Vor des Paradieses Thor;
Weiß nicht grade, wie ich’s mache;
Kommst mir so verdächtig vor!

Ob du unsern Mosleminen
Auch recht eigentlich verwandt?
Ob dein Kämpfen, dein Verdienen
Dich ans Paradies gesandt?

Zählst du dich zu jenen Helden?
Zeige deine Wunden an,
Die mir Rühmliches vermelden,
Und ich führe dich heran.

Dichter

Nicht so vieles Federlesen!
Laß mich immer nur herein:
Denn ich bin ein Mensch gewesen
Und das heißt ein Kämpfer sein.

Schärfe deine kräftgen Blicke!
Hier durchschaue diese Brust,
Sieh der Lebenswunden Tücke,
Sieh der Liebeswunden Lust!

Und doch sang ich gläubger Weise,
Daß mir die Geliebte treu,
Daß die Welt, wie sie auch kreise,
Liebevoll und dankbar sei.

Mit den Trefflichsten zusammen
Wirkt ich, bis ich mir erlangt,
Daß mein Nam in Liebesflammen
Von den schönsten Herzen prangt.

Nein! du wählst nicht den Geringern!
Gib die Hand, daß Tag für Tag
Ich an deinen zarten Fingern
Ewigkeiten zählen mag.

Anklang

Huri

Draußen am Orte,
Wo ich dich zuerst sprach,
Wacht ich oft an der Pforte,
Dem Gebote nach.
Da hört ich ein wunderlich Gesäusel,
Ein Ton-und Silbengekräusel;
Das wollte herein,
Niemand aber ließ sich sehen,
Da verklang es klein zu klein;
Es klang aber fast wie deine Lieder,
Das erinnr ich mich wieder.

Dichter

Ewig Geliebte! wie zart
Erinnerst du dich deines Trauten!
Was auch in irdischer Luft und Art
Für Töne lauten,
Die wollen alle herauf;
Viele verklingen da unten zu Hauf;
Andere mit Geistes Flug und Lauf,
Wie das Flügel-Pferd des Propheten,
Steigen empor und flöten
Draußen an dem Tor.
Kommt deinen Gespielen so etwas vor,
So sollen sie’s freundlich vermerken,
Das Echo lieblich verstärken,
Daß es wieder hinunter halle,
Und sollen Acht haben,
Daß in jedem Falle,
Wenn er kommt, seine Gaben
Jedem zugute kommen:
Das wird beiden Welten frommen.

Sie mögen’s ihm freundlich lohnen,
Auf liebliche Weise fügsam;
Sie lassen ihn mit sich wohnen:
Alle Guten sind genügsam.

Du aber bist mir beschieden,
Dich laß ich nicht aus dem ewigen Frieden;
Auf die Wache sollst du nicht ziehn.
Schick eine ledige Schwester dahin!

*

Dichter

Deine Liebe, dein Kuß mich entzückt!
Geheimnisse mag ich nicht erfragen;
Doch sag mir, ob du an irdischen Tagen
Jemals teilgenommen!
Mir ist oft so vorgekommen.
Ich wollt es beschwören, ich wollt es beweisen:
Du hast einmal Suleika geheißen.

Huri

Wir sind aus den Elementen geschaffen,
Aus Wasser, Feuer, Erd und Luft,
Unmittelbar, und irdischer Duft
Ist unserm Wesen ganz zuwider.
Wir steigen nie zu euch hernieder;
Doch wenn ihr kommt, bei uns zu ruhn,
Da haben wir genug zu tun.

Denn, siehst du, wie die Gläubigen kamen,
Von dem Propheten so wohl empfohlen,
Besitz vom Paradiese nahmen,
Da waren wir, wie er befohlen,
So liebenswürdig, so charmant,
Wie uns die Engel selbst nicht gekannt.

Allein der erste, zweite, dritte,
Die hatten vorher eine Favorite;
Gegen uns waren’s garstige Dinger,
Sie aber hielten uns doch geringer.
Wir waren reizend, geistig, munter,
Die Moslems wollten wieder hinunter.

Nun war uns himmlisch Hochgebornen
Ein solch Betragen ganz zuwider;
Wir aufgewiegelten Verschwornen
Besannen uns schon hin und wieder,
Als der Prophet durch alle Himmel fuhr,
Da paßten wir auf seine Spur.
Rückkehrend hatt’ er sich’s nicht versehn,
Das Flügel-Pferd, es mußte stehn.

Da hatten wir ihn in der Mitte! –
Freundlich ernst, nach Propheten-Sitte,
Wurden wir kürzlich von ihm beschieden;
Wir aber waren sehr unzufrieden.
Denn seine Zwecke zu erreichen,
Sollten wir eben alles lenken;
So wie ihr dächtet, sollten wir denken,
Wir sollten euren Liebchen gleichen.

Unsre Eigenliebe ging verloren,
Die Mädchen krauten hinter den Ohren.
Doch, dachten wir, im ewigen Leben
Muß man sich eben in alles ergeben.

Nun sieht ein jeder, was er sah,
Und ihm geschieht, was ihm geschah.
Wir sind die Blonden, wir sind die Braunen,
Wir haben Grillen und haben Launen,

Ja, wohl auch manchmal eine Flause,
Ein jeder denkt, er sei zu Hause.
Und wir darüber sind frisch und froh,
Daß sie meinen, es wäre so.

Du aber bist von freiem Humor,
Ich komme dir paradiesisch vor;
Du gibst dem Blick, dem Kuß die Ehre,
Und wenn ich auch nicht Suleika wäre.
Doch da sie gar zu lieblich war,
So glich sie mir wohl auf ein Haar.

Dichter

Du blendest mich mit Himmelsklarheit;
Es sei nun Täuschung oder Wahrheit,
Genug, ich bewundre dich vor allen.
Um ihre Pflicht nicht zu versäumen,
Um einem Deutschen zu gefallen,
Spricht eine Huri in Knittelreimen.

Huri

Ja, reim auch du nur unverdrossen,
Wie es dir aus der Seele steigt!
Wir paradiesische Genossen
Sind Wort und Taten reinen Sinns geneigt.
Die Tiere, weißt du, sind nicht ausgeschlossen,
Die sich gehorsam, die sich treu erzeugt!
Ein derbes Wort kann Huri nicht verdrießen;
Wir fühlen, was vom Herzen spricht,
Und was aus frischer Quelle bricht,
Das darf im Paradiese fließen.

Huri

Wieder einen Finger schlägst du mir ein!
Weißt du denn, wie viel Äonen
Wir vertraut schon zusammen wohnen?

Dichter

Nein! – Will’s auch nicht wissen. Nein!
Mannigfaltiger frischer Genuß,
Ewig bräutlich keuscher Kuß! –
Wenn jeder Augenblick mich durchschauert,
Was soll ich fragen, wie lang es gedauert!

Huri

Abwesend bist denn doch auch einmal;
Ich merk es wohl, ohne Maß und Zahl.
Hast in dem Weltall nicht verzagt,
An Gottes Tiefen dich gewagt.
Nun sei der Liebsten auch gewärtig!
Hast du nicht schon das Liedchen fertig?
Wie klang es draußen an dem Tor?
Wie klingt’s? – Ich will nicht stärker in dich dringen,
Sing mir die Lieder an Suleika vor:
Denn weiter wirst du’s doch im Paradies nicht bringen.

Begünstigte Tiere

Vier Tieren auch verheißen war,
Ins Paradies zu kommen.
Dort leben sie das ew’ge Jahr
Mit Heiligen und Frommen.

Den Vortritt hier ein Esel hat;
Er kommt mit muntern Schritten:
Denn Jesus zur Prophetenstadt
Auf ihm ist eingeritten.

Halb schüchtern kommt ein Wolf sodann,
Dem Mahomet befohlen:
»Laß dieses Schaf dem armen Mann!
Dem Reichen magst du’s holen.«

Nun immer wedelnd, munter, brav,
Mit seinem Herrn, dem braven,
Das Hündlein, das den Siebenschlaf
So treulich mit geschlafen.

Abuherriras Katze hier
Knurrt um den Herrn und schmeichelt.
Denn immer ist’s ein heilig Tier,
Das der Prophet gestreichelt.

Höheres und Höchstes

Daß wir solche Dinge lehren,
Möge man uns nicht bestrafen:
Wie das alles zu erklären,
Dürft ihr euer Tiefstes fragen.

Und so werdet ihr vernehmen,
Daß der Mensch mit sich zufrieden,
Gern sein Ich gerettet sähe,
So dadroben wie hienieden.

Und mein liebes Ich bedürfte
Mancherlei Bequemlichkeiten;
Freuden, wie ich hier sie schlürfte,
Wünscht ich auch für ewge Zeiten.

So gefallen seine Gärten,
Blum und Frucht und hübsche Kinder,
Die uns allen hier gefielen,
Auch verjüngtem Geist nicht minder.

Und so möcht ich alle Freunde,
Jung und alt, in eins versammeln,
Gar zu gern in deutscher Sprache
Paradieses Worte stammeln.

Doch man horcht nun Dialekten,