Alfred Bekker Grusel-Krimi #5: Wiedergänger

Alfred Bekker

Published by Alfred Bekker, 2018.

Inhaltsverzeichnis

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Alfred Bekker Grusel-Krimi #5

Blood Empire - Wiedergänger

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Alfred Bekker Grusel-Krimi #5

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Übernatürliche Wesen bedrohen die Welt. Dämonen suchen die Menschen heim – und mutige Dämonenjäger begegnen dem Grauen...

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ALFRED BEKKER IST EIN bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

Titebild: Klaus Dill

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Blood Empire - Wiedergänger

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von Alfred Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 108 Taschenbuchseiten.

Ein Vampir-Schocker.

Rabenschwarz, blutig, grausam, zynisch – und so kalt wie eine Totengruft!

Die Welt wird von Vampiren aus dem Verborgenen beherrscht. Sie sind organisiert wie die Mafia und haben die Erde unter sich aufgeteilt

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Copyright

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker.

© by Author

© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

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Der Mann in diesem Sarg ist ein Verdammter!", dröhnte die sonore Stimme des groß gewachsenen, korpulenten Mannes. Mit dem langen grauen Bart und den etwas wirr herumstehenden Haaren wirkte er wie ein biblischer Patriarch. Seine Kleidung glich der eines Reverends. Mit der Faust tickte er gegen den dunklen Eichensarg, der in der Mitte der Bühne aufgebahrt war. Es herrschte absolute Stille in der Halle. Die Blicke der Zuschauer waren wie gebannt auf Moses Jordan gerichtet, einem der charismatischsten Prediger, die Amerika je gesehen hatte.

Moses Jordan ließ den Blick über die Reihen der Zuschauer schweifen. "Norman Guthridge, der Mann in diesem Sarg, ist körperlich tot. Aber seine Seele leidet noch immer. Sie leidet unter der Schuld, die unser Bruder Norman, dieses verirrte Schaf vor dem Herrn, auf sich geladen hat..."

Orgelmusik setzte ein.

Moses Jordan öffnete den Eichensarg. Ein knarrender Laut entstand dabei, als er den Deckel zur Seite schob. Der bärtige Prediger blickte auf den bleichen, wächsern aussehenden Leichnam im Inneren des Sargs.

"Ich werde dich jetzt ins Leben zurückholen, Norman!", kündigte Moses Jordan an. "So kannst du deine Sünden öffentlich vor all diesen Menschen hier bereuen und auf Vergebung hoffen..."

Die Orgelmusik schwoll zu einem dramatischen Crescendo an.

Das Licht veränderte sich. Es wurde stockdunkel in der Halle. Nur Moses Jordan wurde von Scheinwerfern grell angeleuchtet. Sein Gesicht wirkte jetzt geradezu gespenstisch.

Jordan schloss die Augen.

Seine Züge verzogen sich, wie unter einer nicht näher definierbaren Qual. Es wirkte, als ob der Prediger eine unglaubliche Kraftanstrengung zu verrichten hätte. Er beugte sich über den Toten, ohne dabei die Augen zu öffnen. Dann legte er der Leiche die Hand auf die Stirn.

"Die Kraft des Herrn fahre in dich, Norman! Sie ist hier anwesend, jetzt, in diesem Augenblick! Die Kraft möge durch meinen Körper hindurch in dich fahren und dir die Augen ein letztes Mal öffnen, damit deine verdammte Seele Frieden zu finden vermag..."

Moses Jordan öffnete die Augen.

Er wandte ruckartig den Kopf in Richtung des Publikums.

Die Orgelmusik wurde mit einem swingenden Rhythmus unterlegt. Ein Gospelchor erklang aus dem Hintergrund.

"Fasst euch bei den Händen, Brüder und Schwestern! Fasst euch bei den Händen und betet dafür, dass diese sündige Seele ein letztes Mal ins Leben zurückkehrt... Lasst den Herrn unter uns sein und ein Wunder der Barmherzigkeit vollbringen. Hallelujah!"

"Amen!", antwortete das Publikum.

"Herr, lass unseren Bruder Norman erwachen!", rief Jordan.

Er hob seine Hand. Das Licht änderte sich. Es wurde bläulich und kalt. Die Szenerie auf der Bühne wirkte wie ein Blick in die Unterwelt.

Im Sarg bewegte sich etwas.

Die Menschen in der Halle hielten den Atem an.

Der Gospelchor verstummte.

Die Orgel verharrte im Tremolo.

Der Leichnam setzte sich auf. Jordan hielt dabei immer die Hand auf die Stirn des Toten, so dass das wächsern wirkende Totengesicht für das Publikum im Schatten der Hand und des Unterarms lag.

"Norman, hörst du mich?"

"Ja...", kam es dumpf zurück.

"Norman, du hast ein sündiges Leben im Dienste Satans geführt..."

"Ja..."

"Du warst ein Zuhälter an der Bowery in New York City. Du hast junge Frauen dazu gezwungen, ihren Körper zu verkaufen! Du hast sie dir mit Drogen gefügig gemacht. Außerdem hast du zahlungsunfähige Schuldner brutal verprügeln lassen! Norman, deine Mutter, die hier unter uns sitzt und ein gottgefälliges Leben in Wrinkleton, Massachusetts geführt hat, wird es nicht gerne hören, aber es hat keinen Sinn, etwas zu beschönigen! Du warst ein Verbrecher!"

Ein unartikulierter Laut war die Antwort. Er klang wie ein Stöhnen. Ein Laut des Schmerzes.

Jordan fuhr fort: "Norman, du wärst verloren gewesen, wenn deine Mutter nicht diesen starken Glauben gehabt und dafür gesorgt hätte, dass dein totes Fleisch heute hier, an diesem Ort ist. Hallelujah!"

"Amen!", antwortete die Gemeinde.

"Die Macht Gottes kann das Fleisch auferstehen lassen. Das steht in der Bibel - und ihr alle seit jetzt schon Zeuge dieses Wunders, das das kommende Himmelreich vorwegnimmt! Hallelujah!"

"Amen!"

"Norman, bereust du, was du getan hast? Bereust du deine Sünden? Bereust du, dass du in unglaublicher Skrupellosigkeit dem Mammon und der Hurerei gedient hast?"

Wieder ein ächzender, stöhnender Laut.

"Ja, es tut weh so etwas zu hören! Das reinigende Feuer Gottes tut weh! Deine Seele erleidet furchtbare Schmerzen! Du hast gedacht, dass mit dem Herzanfall, der dein armseliges irdisches Dasein beendete, alles vorbei wäre! Aber du hast dich geirrt... Du musst durch das Feuer der Verdammnis gehen, hin zum Licht der Vergebung unseres einzigen Herrn! Halleluja!"

"Amen!"

"Du bereust, was du getan hast, Norman? Dann sag es allen, die hier sind! Sag es deinen Eltern, die mit uns für dich beten! Sag deiner Schwester, die immer versucht hat, dich vom Weg des Übels abzubringen, dass du bereust! Sag es uns allen, um endlich deinem Schöpfer entgegentreten zu können! Halleluja!"

"Amen!", murmelte das Publikum.

"Norman, bereust du aufrichtig?"

Sekundenlang herrschte absolute Stille in der Halle. Eine gespannte Atmosphäre der Erwartung war überall spürbar. Das Publikum hielt den Atem an.

"Ja!", kam die gequälte Antwort. "Ja! Ja! Ja!"

Dann sank der Leichnam zurück in den Sarg.

Das Licht ging aus. Die Finsternis verschluckte den Sarg ebenso wie Moses Jordan.

Wenig später beleuchtete ein Spotlight dessen Gesicht und Oberkörper.

Jordan breitete die Arme aus.

"Die Seele von Norman Gutheridge hat ihren Frieden vor dem Herrn gefunden. Halleluja!"

"Amen!", erscholl es.

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Minuten später erreichte Moses Jordan seine Garderobe. Abschminken stand jetzt auf dem Programm. Er schloss die Tür hinter sich, setzte sich vor den Spiegel. Er sah müde aus. Die Veranstaltung hatte ihn ziemlich geschlaucht. Aber war der Kampf für das Gute nicht jeden Einsatz wert? Er atmete tief durch.

"Bravo! Gute Show!", sagte eine schneidende Stimme. Ein Mann im grauen Maßanzug saß mit übereinander geschlagenen Beinen in einem tiefen Ledersessel auf der anderen Seite der Garderobe. Moses Jordan hatte ihn zuvor nicht bemerkt. Entsprechend erschrocken fuhr er herum. Als ob er aus dem Nichts erschienen wäre!, ging es Jordan durch den Kopf. Sein Gegenüber blickte ihn mit hellblauen Augen an. Der Mann im grauen Maßanzug hatte ein feingeschnittenes, fast engelsgleiches Gesicht, dessen Linien für einen Mann sehr weich wirkten. Sein hellblondes Haar war leicht gelockt, was den engelhaften Eindruck noch verstärkte. Jordan war bei ihrer ersten Begegnung an die Putten des Barock erinnert gewesen.

Der Mann mit dem Engelsgesicht klatschte in die Hände.

"Du bist wirklich gut, Mo!", meinte er, wobei nicht ganz eindeutig erkennbar war, in wie weit er das tatsächlich so meinte. Spott und echte Bewunderung schienen sich mehr oder minder die Waage zu halten. "Du hast Show-Talent!"

"Es ist für die gute Sache!", betonte Moses Jordan ernst.

Ein zynisches Lächeln erschien auf dem Engelsgesicht.

"Oh, natürlich! Du hast die Nummer inzwischen perfekt drauf, wie mir scheint!"

"Es ist keine Nummer!", erwiderte Jordan eisig. "Ich rette verlorene Seelen, verstehst du? Ich kämpfe gegen die Verdammnis!"

"Klar doch!" Der Mann mit dem Engelsgesicht erhob sich. Jordan hatte seit ihrem ersten Zusammentreffen versucht, das Alter des Blonden zu schätzen. Er wirkte sehr jung. In seinem Maßanzug sah er aus wie einer der blutjungen Yuppies in Wall Street. Nur die Augen verrieten eine Erfahrung, die nicht zu dem Gesamteindruck passen wollte.

Der Blonde sah Moses Jordan jetzt direkt in die Augen.

Ein leicht spöttischer Zug spielte um seine Lippen.

"Mir scheint, es wird Zeit, dass du noch etwas dazulernst und einen Schritt weiter gehst..."

Jordan verengte die Augen. Der Unterton, in dem sein Gegenüber mit ihm sprach, gefiel ihm nicht.

"Was meinst du damit?", fragte der Prediger.

Der Blonde lächelte. "Ich denke, wir sind uns darüber einig, dass die schlimmste Form der Verdammnis der Vampirismus ist!"

"Ja."

"Dann werde ich dir jetzt zeigen, wie du diesem Gegner entgegentreten kannst... Das Aufwecken von Toten war eine Art Vorübung dafür." Er grinste. "Solltest du übrigens nicht zu oft machen, Mo! Schadet dem Teint!" Er kicherte.

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"Hey, Mike! Ich weiß nicht, ob ich wirklich noch mit zu dir will..."

Ein Sternenmeer aus Neonlichtern verbreitete so viel Licht, dass es für jeden New Yorker schwer war, überhaupt noch etwas von den echten Sternen am Nachthimmel zu sehen.

Teresa Pender war 23 Jahre alt, dunkelhaarig und sehr sexy. Das eng anliegende schwarze Kleid betonte ihre aufregende Figur.

Ein guter Fang!, hatte Mike Tensold gedacht, als er es geschafft hatte, die junge Frau an einem der Billard-Tische des LAST CHOICE auf sich aufmerksam zu machen. Das LAST CHOICE war ein Heavy Metal-Schuppen im Süden von Yorkville. Tensold hatte sie so weit gehabt, dass sie bereit war, mit ihm zu gehen. Fünf Minuten Fußweg hatten sie hinter sich.

"Nun komm schon, mach keine Zicken! Mein Wagen ist nur noch einen Block entfernt!", sagte Tensold.

Der gereizte Unterton war unüberhörbar.

So nah am Ziel...

Nein, er würde sich nicht davon abbringen lassen, sich das zu nehmen, was er haben wollte.

Tensold dachte dabei nicht so sehr an ihren formvollendeten Körper, sondern an ihre inneren Werte.

Ihr Blut.

Denn Mike Tensold war ein Vampir.

Der Durst nach Blut wurde beinahe unerträglich. Lange würde er nicht mehr warten, um über sie herzufallen, seine Reißzähne auszufahren und sie in ihren weichen, weißen Hals zu schlagen.

Mike Tensold musterte die junge Frau, fasste sie am Handgelenk, als sie vor ihm zurückweichen wollte.

"Lass mich los, du tust mir weh!"

Instinktiv musste sie erfasst haben, dass Tensold keiner der üblichen Kerle war, die im LAST CHOICE herumhingen, auch wenn seine äußere Aufmachung mit Lederjacke und einem langen Haarschopf, der zu einem Zopf zusammengefasst war, ihn so erscheinen ließen.

Anfangs hatte Teresa die düstere Aura, die diesen Mann umgab, fasziniert. Ja, sie war regelrecht davon angezogen worden. Aber jetzt verkehrte sich die Faszination in Unbehagen.

"Lass mich los, ich gehe nicht mit dir mit!", sagte sie bestimmt.

"Hey, was soll das, Baby?"

"Ich habe es mir eben anders überlegt, das ist alles."

Sie versuchte, sich mit aller Kraft loszureißen, aber sein Griff war eisern. Wie ein Schreibstock.

Teresas Unbehagen wandelte sich in pures Grauen. Der Puls schlug ihr bis zum Hals. Eine Sekunde lang war sie unfähig, auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen. Er zog sie an sich, drückte sie gegen die Wand. Im tiefen Rückenausschnitt ihres Kleides spürte sie den kalten Stein.

Teresa schrie aus Leibeskräften.

Sie hoffte, dass irgendein Passant ihr half.

Aber in dieser Seitenstraße gab es um diese Uhrzeit kaum Menschen.

Und die Insassen der Autos, die in mehr oder minder regelmäßigen Abständen um die Ecke bogen und dem Lauf der Einbahnstraße bis zur nächsten Kreuzung folgten, konnten ihren Schrei nicht hören.

Tensold drückte ihr seine Hand auf den Mund.

Ihr Schrei erstarb.

Die Augen der jungen Frau weiteten sich vor Entsetzen, als sie sah, wie die Vampirzähne ihres Gegenübers sichtbar wurden. Einen Sekundenbruchteil später bohrten sich die Zähne in ihren Hals, zerfetzten die Membran ihrer Schlagader. Das Blut spritzte auf. Und Mike Tensold begann zu trinken.

Er gab sich ganz diesem unvergleichlichen Genuss hin. Begierig schlürfte er den kostbaren Lebenssaft in sich hinein. Immer wieder biss er neu zu. Der Hals der jungen Frau war eine einzige Wunde. Als Mike Tensold mit ihr fertig war, ließ er den schlaffen, leblosen Körper zu Boden sinken. Das Blut troff ihm von den Lippen, hatte teilweise seine Kleidung besudelt.

Sein schrecklicher Durst war gestillt.

Zunächst jedenfalls.

Er wandte sich von der Leiche ab, blickte die Häuserzeile entlang. In einiger Entfernung stand ein Mann in den Fünfzigern. Er war gedrungen und etwas übergewichtig. Bei Fuß führte er eine riesige Dogge.

"Was tun Sie da...?", stammelte der Passant fassungslos.

Tensold schnellte ihm entgegen.

Mit einer Armbewegung wischte er sich das Blut von den Lippen.

Der Passant ließ seine Dogge los.

Das Tier sprang auf Tensold zu. Der Vampir fing es mit einem mörderischen Schlag ab. Der Körper der Dogge wurde gegen die nächste Hauswand geschleudert. Mit einer Blutspur rutschte die Dogge zu Boden und blieb regungslos liegen.

Der Passant taumelte zurück. Das Grauen stand ihm ins Gesicht geschrieben. Dann begann er zu laufen. Tensold holte ihn rasch ein. Ein einziger Schlag genügte, um dem Mittfünfziger das Genick zu brechen.

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Chase Blood ließ sich vom Lift in die oberen Stockwerke des Empire State Buildings tragen. Dorthin, wo Franz, Fürst von Radvanyi, der Herr der New Yorker Vampire, seine Residenz hatte und sein geheimes Imperium regierte.

Im Vorzimmer wurde Chase gleich weitergeleitet.

Der Fürst erwartete die Nummer zwei unter den Vampiren New Yorks offenbar sehr dringend.

Augenblicke später betrat Chase das Büro.

Der Fürst war über dreihundert Jahre alt und stets wie ein Adeliger des 17.Jahrhunderts gekleidet. Das Haar fiel ihm lang über die Schultern. Unter dem brokatbesetzten Gehrock war ein weißes Rüschenhemd zu sehen. Dazu trug er eine Kniebundhose. Sein Gesicht wirkte totenbleich, die Haut fast wie Pergament. Dieser Eindruck entstand vor allem durch den starken Gebrauch von Puder.

Er saß mit übereinander geschlagenen Beinen auf einem zierlichen antiken Rokoko-Diwan. Davor befanden sich ein kleiner runder Tisch und ein paar Sessel, bei denen es sich offenbar auch um Antiquitäten handelte. Diese Möbelstücke bildeten einen eigenartigen Kontrast zu dem modernen Computer-Equipment, über das der Fürst sein Imperium regierte.

In einem der Sessel hatte eine attraktive, gut gekleidete Frau Platz genommen. Ihr dunkles Kleid wirkte elegant und zeichnete perfekt die Linien ihres Körpers nach. Das Gesicht war feingeschnitten, die Augen wach und intelligent.

Chase verzog unwillkürlich das Gesicht.

Petra Brunstein! Die Vampirin gehörte zu den zahlreichen Beratern des Fürsten. Und sie war Chase' persönliche Feindin. Nur zu gerne hätte sie Chase' Position in der Hierarchie der New Yorker Vampire eingenommen.

Um ihre Mundwinkel spielte ein verächtlicher Zug, als sie den Kopf in Chase' Richtung wandte.

"Ich habe dich schon erwartet", sagte jetzt der Fürst. Er wandte sich an Petra. "Wenn du uns bitte jetzt allein lassen würdest..."

"Ja, Herr", erwiderte sie und erhob sich. Als sie Chase erreichte, blieb sie kurz stehen. Ihre dunklen Augen musterten ihn. "Es hätte eine so schöne Nacht werden können, aber dein Anblick sorgt bei mir immer dafür, dass mir übel wird!"

Chase lächelte dünn.

"Das Phänomen kenne ich..."

Petra rümpfte die Nase. "Was ist das für ein apartes After Shave, das du heute benutzt hast? Das Altöl deiner Harley?"

"Ich dachte, damit treffe ich deinen Geschmack, Petra!"

"So long, du Ahnungsloser. Es wird sich wohl nicht vermeiden lassen, dass wir uns demnächst wieder über den Weg laufen."

"Ich fürchte, da hast du Recht!"

Chase sah ihr nach, bis sie den Raum verließ. "Diese Kratzbürste wird sich wohl nie ändern!", murmelte er dann vor sich hin.

Der Fürst deutete indessen auf die Sessel der kleinen Sitzgruppe. "Setz dich, Chase. Es gibt ein Problem, dass ich dringend mit dir besprechen muss."

"Ja, Herr!"

Chase neigte leicht den Kopf.

Er setzte sich.

Der Fürst hob die Augenbrauen, die unter den Schichten von Puder kaum sichtbar waren. Einen Augenblick lang musterte der Herr des New Yorker Vampir-Imperiums sein Gegenüber. Obgleich kaum jemand etwas davon ahnte, war der Dreihundertjährige die weitaus mächtigste Person im gesamten Big Apple. Allerdings übte er seine Macht vorzugsweise aus dem Hintergrund heraus aus. Sein langer Arm reichte sowohl in die Spitzen führender Wirtschaftsunternehmen als auch in Behörden, Verwaltung und Polizei hinein.

Unter allen Umständen aber war ihm daran gelegen, dass die Menschen nicht erfuhren, wer sie in Wahrheit beherrschte.

"Hast du die Lokalnachrichten gesehen?", fragte der Fürst.

"Nein, Herr, ich..."

"Schon gut, ich habe ohnehin direktere Informationsquellen. Die Computer des New York Police Department zum Beispiel. In der letzten Nacht wurde eine junge Frau in Yorkville umgebracht. Der Täter war ganz offensichtlich ein Vampir, daran kann es überhaupt keinen Zweifel geben. Ein weiterer Toter hängt wahrscheinlich mit diesem Fall zusammen. Man fand ihn nur wenige Meter vom ersten Opfer entfernt. Ihm wurde nicht das Blut ausgesaugt, daher vermute ich, dass er den Täter beobachtete..." Der Fürst atmete tief durch. "Ich möchte, dass du ermittelst, wer dahinter steckt, Chase."

"Ja, Herr."

"Ich hoffe nicht, dass >du> so dumm warst..."

"Nein!", wehrte Chase ab.

"Ich habe nichts dagegen, wenn ein Vampir sich zwischendurch einen Imbiss gönnt! Das ist die natürlichste Sache der Welt - zumindest für uns. Aber dann muss das diskret geschehen! Sonst macht es die Menschen auf uns aufmerksam! Es gibt schon genug dieser lästigen Vampirjäger, die sich für die Erfüllungsgehilfen des Guten halten! Wir müssen ihre Zahl nicht noch durch unser Zutun vergrößern."

"Diese Meinung teile ich, Herr."

"Das hoffe ich", erwiderte Fürst von Radvanyi mit einem Unterton, in dem durchaus etwas Drohendes mitschwang. "Ich erinnere mich sehr ungern an die Schwierigkeiten, die daraus resultierten, dass du die Tochter dieses Polizisten getötet hast..."

"Malloy!", murmelte Chase. Er hob den Blick. "Malloy ist tot. Er liegt bei seiner Tochter auf dem Trinity Cemetery."

"Er möge in Frieden ruhen. Aber diese Geschichte sollte uns allen als warnendes Beispiel dienen. Ein Vampir, der auf offener Straße seinen Durst befriedigt, muss zur Rechenschaft gezogen werden! Er gefährdet uns alle!"

"Ja, Herr."

"Außerdem müssen wir eine andere Möglichkeit in Betracht ziehen."

Chase ahnte, worauf der Fürst hinauswollte.

"Sie meinen, dass fremde Vampire dafür verantwortlich sein könnten?"

Immer wieder kam es vor, dass sich Vampire unautorisiert im Machtbereich des Fürsten aufhielten. Die meisten von ihnen hatten es bereut. Außerdem versuchten immer wieder die vampirischen Gegner des Fürsten, ihre jeweiligen Gebiete auch auf New York auszudehnen. Umgekehrt war natürlich auch der Fürst bestrebt, seinen Machtbereich stetig auszudehnen.

"Ich denke, du weißt, was zu tun ist, Chase. Ein umfangreiches Dossier aus Polizeiunterlagen steht dir zur Verfügung. Wenn ein Abgesandter unserer Konkurrenz in Chicago dahinter steckt - töte ihn!"

"Ja, Herr. Und wenn es einer unserer eigenen Leute sein sollte?"

"Dann auch. Schließlich kann ich nicht zulassen, dass meine Befehle so sträflich missachtet werden!"

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Moses Jordan stieg in die dunkle Limousine und setzte sich zu dem Mann mit dem Engelsgesicht auf die Rückbank.

Er war diesmal nicht wie ein Business-Mann gekleidet, sondern trug einen schneeweißen Anzug, der an die Gala- Uniformen der US-Marine erinnerte. Die helle Kleidung ließ sein Gesicht noch etwas blasser erscheinen.

"Fahren Sie los, Nolan!", sagte er an den Chauffeur gewandt.

Jordan atmete tief durch.

"Ich war etwas überrascht, dass du mich jetzt noch sprechen wolltest, Gabriel", sagte Jordan. "Ich meine, um diese Zeit..."

"Es ist genau die richtige Zeit, Mo!"

"Worum geht es denn?"

"Um den Kampf gegen den Vampirismus."

"Und wohin fahren wir?"

"Zum Trinity Cemetery."

"Ich verstehe nicht..."

Gabriel lächelte kalt. "Du wirst bald verstehen, Mo! Ich habe dir gesagt, dass wir einen Schritt weiter gehen müssen in unserem Kampf. Und außerdem gibt es so viele Fragen, die ich dir bisher nie beantworten durfte. Aber in dieser Nacht wird dir vieles klar werden."

Gabriel musterte den bärtigen Prediger einige Augenblicke lang.

Moses Jordan schluckte.

Die Art und Weise, in der dieser weiß gekleidete Mann mit dem Engelsgesicht ihn ansah, verursachte ein Gefühl des Unbehagens. Gabriels Blick war sehr intensiv. Beinahe so, als würde er direkt in die Seele des Predigers zu blicken vermögen.

Gabriel lächelte.

"Hab keine Angst, Mo. Du bist ein Hirte unter ahnungslosen Schafen. Ein Hirte im Auftrag des Herrn. Einer wie du sollte keine Angst haben - und keinen inneren Zweifel, denn der Zweifel ist der Tod des Glaubens."

Jordan musste unwillkürlich schlucken.

Was weißt du bis jetzt über diesen Mann?, ging es ihm durch den Kopf. Gabriel... Wie aus dem Nichts war er nach einer der zahllosen Predigt-Veranstaltungen aufgetaucht und hatte Jordan angesprochen.

Der Prediger erinnerte sich noch genau daran.

Ein Augenblick, den er nicht vergessen würde.

Gabriel hatte davon gesprochen, ihn in seinem Kampf um die Seelen unterstützen zu wollen. Er sei ein Diener Gottes, so hatte er behauptet. Und er hatte ihm gezeigt, wie man die Seelen Toter für kurze Zeit ins Leben zurückholte.

Er besaß ein umfassendes okkultes Wissen und war bereit, es mit Moses Jordan zu teilen. Jordan war der Faszination der neuen Möglichkeiten erlegen, die ihm nun zur Verfügung standen.

"In jedem von uns schlummern ungeheure Kräfte von denen die meisten Menschen nicht den Hauch einer Ahnung besitzen!", hatte er Gabriels Worte noch im Ohr. "Das gilt auch für dich, Mo!"

Bis sie den Trinity Cemetery erreichten, schwiegen sie.

Dort angekommen stiegen sie aus.

Die Limousine fuhr weiter.

Dann betraten sie den Friedhof, gingen die Reihen der Gräber entlang. Die emporragenden Bäume und Sträucher sorgten dafür, dass es hier in der Nacht dunkler war als an den meisten anderen Orten im Big Apple.

Nebelschwaden waren vom nahen Hudson River aufgestiegen, hatten sich wie Tentakelarme eines formlosen Ungeheuers langsam durch die Straßenschluchten gedrängt. Wie Bänke aus grauer Watte standen sie vor den Hecken und zwischen den Gräbern.

Ein Anblick, der Moses Jordan unwillkürlich schaudern ließ.

>Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt wird leben, wenn er auch stürbe>.

Jesus hatte das gesagt.

Die Angst vor dem eigenen Tod war der entscheidende Faktor gewesen, der ihn so sehr an den Glauben gefesselt hatte. Die Aussicht auf Auferstehung des Fleisches, wie es in der Bibel hieß. Aber Orte, die ihn an den Tod gemahnten, mochte Moses Jordan bis heute nicht, so fest er in seinem Glauben auch sein mochte.

Sein Blick ging die Reihe der Gräber entlang.

Namen, Geburts- und Todesdaten.

Plötzlich blieb Gabriel stehen.

"Genau hier muss es geschehen", sagte er dann.

"Wovon sprichst du?"

"Du wirst es gleich sehen. Es ist ein Wunder, Mo! Ein Wunder, dass der Herr vollbringen wird - durch dich!"

Eine leuchtende, wie ein Fluoreszenz-Phänomen wirkende Aura umgab plötzlich Gabriels Körper. Jordan wich unwillkürlich einen Schritt zurück.