Vollständige eBook-Ausgabe der Hardcoverausgabe München 2018

© 2018 arsEdition GmbH, Friedrichstraße 9, 80801 München

Alle Rechte vorbehalten

Text: Sarah Welk

Cover und Innenillustrationen: Alexander von Knorre

Lektorat: Ulrike Hübner

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Autoren- und Projektagentur Gerd F. Rumler, München

ISBN eBook 978-3-8458-2706-3

ISBN Printausgabe 978-3-8458-2195-5

www.arsedition.de

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Für Mila, Martha und Mats

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Die Autorin

Der Illustrator

Weitere Titel

Leseprobe zu "Hamstersaurus Rex"

Kapitel 1

Ich knalle die Bustür hinter mir zu und bin froh. Ich bin so froh, dass ich mit dem Po auf dem Sitz hüpfe wie ein Verrückter und damit gar nicht mehr aufhören kann. Eigentlich machen so was natürlich nur Kleinkinder und ich bin schon elf. Aber jetzt gerade ist mir das ganz egal und überhaupt kein bisschen peinlich. Weil es nämlich nur Opa sieht, und dem ist es schnurz. Und meine Schwester, aber die ist mir schnurz.

Opa kurbelt mit der linken Hand das Fahrerfenster nach unten und gleichzeitig wühlt er mit der rechten auf dem Armaturenbrett herum. Da liegen Zigarettenblättchen, Tabakkrümel, eine Rolle verrosteter Draht und ein Gummiband. In Rosa. Als Opa das findet, wirft er seine langen Haare nach hinten und bindet sie zu einem grauen Vogelnest oben auf seinem Kopf zusammen.

»Opa«, sage ich. »Das sieht scheiße aus.«

Dabei winke ich nach draußen und lächle. Da stehen nämlich Mama und Papa. Mein Fenster ist so verrostet, dass es nicht mehr aufgeht. Das passt gerade ziemlich gut, weil Mama nämlich nicht will, dass ich »scheiße« sage.

»Im Ernst jetzt?«, fragt Opa, legt die Stirn in Falten und dreht die Augen nach oben, so als wollte er sich selber auf den Kopf gucken. Dann zieht er den Gummi wieder heraus und bindet sich einen ganz normalen Pferdeschwanz.

»Besser?«, fragt er und grinst.

»Bisschen«, antworte ich.

Ich kenne keinen anderen Opa, der lange Haare hat. Bei meinem liegt es daran, dass er Hippie ist. Mama sagt, Hippie sein bedeutet, dass man nicht so gerne aufräumt. Opa sagt, das heißt, dass man immer macht, was man will. Ich finde eigentlich beides super.

Marie kriegt mal wieder nichts mit, sie winkt stattdessen wie verrückt und wirft Mama und Papa ständig Kusshände durch das Busfenster zu. Dass die schon neun ist, glaubt auch kein Mensch.

Opa dreht sich zur Seite und lässt den Arm aus dem Fenster hängen. »Che, Julia – viel Spaß, so ohne Kinder!«, sagt er zu Mama und Papa.

Ich vergesse immer, dass Papa in Wahrheit »Che« heißt. Das ist wirklich ein richtiger Idiotenname, finde ich. Keine Ahnung, warum Opa den schön fand, als Papa geboren wurde. Außer Opa nennt ihn jetzt aber auch keiner mehr so, alle anderen sagen Jens.

Papa verdreht die Augen.

»Lass mal gut sein, Vati«, antwortet er.

Opa findet es eigentlich besser, wenn Papa »Franz« zu ihm sagt.

Aber jetzt tut er so, als hätte er das gar nicht gehört, und grinst. Ich glaube, Papa ist wirklich froh, dass Opa mit uns in Urlaub fährt. Eigentlich sollten wir mit ihm und Mama nach Teneriffa fliegen, doch dann haben die beiden einen Riesenauftrag gekriegt und müssen deshalb die ganzen Ferien durcharbeiten. Aber ich finde das gar nicht so schlimm. Ich finde Opa nämlich eigentlich noch besser als Teneriffa.

Papa hebt die Hand und winkt.

»Pass gut auf die beiden auf, Franz«, sagt er. »Hast du das Handy dabei?«

»Du kannst dich auf mich verlassen, mein Junge«, antwortet Opa.

»Hier sind noch Vorräte für euch. Damit ihr immer was zu essen habt, wenn ihr mal vergesst einzukaufen«, ruft Mama dazwischen. Dabei schiebt sie einen riesigen, vollgepackten Picknickkorb ins Auto und verstaut ihn umständlich auf dem Beifahrersitz. »Und denkst du daran, dass Jonas jeden Tag ein bisschen Mathe übt?«

»Denk ich dran«, antwortet Opa. Dann drückt er auf die Hupe und gibt Gas. Und wir sind endlich unterwegs.

Kapitel 2

Als wir auf die Autobahn abbiegen, kommt die Sonne hinter den Wolken hervor.

»Da sieht man’s«, ruft Opa und lacht. »Italien, wir kommen! Ich glaube, ich riech schon das Meer!«

Dabei kurbelt er das Schiebedach auf und setzt sich seine Sonnenbrille mit den runden Gläsern auf.

»Also ich riech nichts«, sagt Marie.

Ich glaube wirklich, die ist adoptiert. So doof kann man doch nicht sein.

»Ach echt nicht?«, sage ich und verdrehe die Augen. »Marie von Burghausen. So schlau wie eine Gummiwurst.«

Marie guckt mich verächtlich an. »Auf jeden Fall schlauer als du«, zischt sie und kneift mir ins Bein.

Ich weiß wirklich nicht, wofür es eigentlich Schwestern gibt. Wenn ich die Welt erfunden hätte, gäbe es keine. Außerdem auf der Liste: 1. Sauerkraut. 2. Einmeterbretter (erst recht keine Dreier; vielleicht auch gar keine Schwimmbäder). 3. Mathe. Oder noch besser: Schule komplett. Obwohl, die Pausen sind gut, da spielen wir nämlich Fußball.

Im Verein trainiere ich auch, immer montags und mittwochs, und am Wochenende sind Punktspiele. Ich spiele also eigentlich immer Fußball, wenn ich nicht gerade etwas anderes machen muss. Rechnen oder so. Aber wenn wir zum Beispiel Mathe haben, denke ich einfach darüber nach, wen ich in der Pause in meine Mannschaft wähle.

Der Trick ist, dabei trotzdem zur Tafel zu gucken und ab und zu zu nicken. Nicht zu oft natürlich, sonst fällt es auf. Dann denkt Brettschneider, ich kapiere alles, und lässt mich in Ruhe.

Also zumindest normalerweise. Bis gestern. Da ist es echt blöd gelaufen: Ich sitze so rum und nicke und überlege mir gerade, ob Ben nicht auch mal im Sturm spielen könnte, da höre ich auf einmal: »Jonas! Komm doch bitte nach vorne und rechne an der Tafel, damit alle sehen, wie es geht.«

Ich dachte, ich fall um. Der kann mich doch nicht einfach drannehmen, wenn ich mich überhaupt nicht melde! Ich habe zu Moritz geguckt, aber der hat auch nur hilflos mit den Schultern gezuckt.

»Ähhhh«, habe ich dann ganz langsam gesagt. »Ääähhhhhhh, also.«

Herr Brettschneider sah da schon ziemlich genervt aus. »Gibt es ein Problem?«, hat er gefragt.

»Ääähhh«, habe ich gesagt. Und dann: »Ich kann leider nicht nach vorne kommen.«

»Aha«, hat Herr Brettschneider geantwortet. »Und dürfte ich eventuell auch noch erfahren, warum nicht?«

Tja. Und dann ist es passiert. Mir wird immer noch ganz heiß, wenn ich daran denke. Denn leider habe ich dann gesagt, dass ich ein Problem mit meinem Fuß habe. Also ganz genau genommen habe ich geantwortet: »Äääääh, weil ich einen Klumpfuß habe.« Im Ernst jetzt. Hab ich sie noch alle?

Moritz hat mir sofort seinen Ellbogen in die Seite gerammt und verzweifelt geguckt. Jetzt hätte ich natürlich schnell rufen können: »Ha, ha, war nur ein Witz«, und nach vorne gehen und rechnen. Aber leider nur theoretisch, weil praktisch kann ich ja überhaupt nicht rechnen.

»Das stimmt wirklich«, habe ich deshalb gesagt, und zwar etwas lauter. »Seit gestern. Und deshalb darf ich nicht laufen.«

Und dabei habe ich Herrn Brettschneider direkt ins Gesicht geguckt. »Wenn du nicht fliehen kannst, starr den Feind nieder«, sagt Opa immer.

Sophie und Lena haben blöde gekichert. Mädchen sind wirklich für nichts zu gebrauchen, finde ich. Brettschneider hat ziemlich laut Luft durch die Zähne gezogen und ich habe mich geduckt. Und dann ging es los.

»Der sehr verehrte Jonas von Burghausen hat also einen Klumpfuß! Na, das ist ja fantastisch! Oder hat er vielleicht gar ein Klumphirn? Könnte das sein?«, hat Brettschneider gezischt. »Jetzt verrate ich dir mal was: Wenn du so weitermachst, kannst du dir das mit dem Abitur ABSCHMINKEN. Typen mit solchen Ausreden gehören nicht aufs Gymnasium! Und jetzt hörst du sofort auf zu grinsen, hast du das verstanden?«

Habe ich verstanden, aber trotzdem nicht aufgehört. Obwohl mir das mit dem Weitergrinsen ehrlich gesagt nicht leichtgefallen ist. Aber irgendwie ging es auch um Ehre. Nichts sagen, aber lächeln. Mein Herz hat so laut geklopft, dass ich dachte, Brettschneider hört das. Der hat dann aber so gebrüllt, dass seine Stimme sich überschlagen hat: »Du hörst jetzt auf zu grinsen oder du verlässt dieses Klassenzimmer!!« Und dabei hat er auf die Tür gezeigt.

Ich habe nichts gesagt, sondern meine Jacke und meine Tasche genommen und bin langsam zur Tür gegangen. Dabei bin ich natürlich gehumpelt, aber nicht sehr. Als ich die Hand auf die Klinke gelegt habe, stand Brettschneider schon wieder hinter mir. »Ich werde deine Eltern über dein Verhalten informieren«, hat er gezischt. »Und dass ich glaube, dass du auf einer anderen Schule besser aufgehoben wärst.«

Ich habe dann schnell die Tür hinter mir zugemacht, aber leise, damit Brettschneider sie nicht direkt wieder aufreißt und mir hinterherbrüllt. Dann bin auf den Schulhof gerast und war sehr froh, dass da eine Bank steht. Meine Knie haben nämlich so gezittert, dass ich aussah wie dieser komische Gummi-Elvis an Opas Rückspiegel. Meine Mundwinkel taten auch weh. Und außerdem war mir schlecht. Jonas von Burghausen, der Held.

Kapitel 3

Als ich nach Hause gekommen bin, habe ich es sofort gerochen. Sauerkraut. Es gibt wirklich nichts Schlimmeres. Wie kann man auf die Idee kommen, verschimmelten Weißkohl zu essen? Also, so eine Art verschimmelt, auf jeden Fall nicht mehr frisch. Und ich weiß nicht, warum, aber Frau Lütjendorf kocht das wirklich ständig, obwohl ich das nicht esse und Marie auch nicht. Nur Mama und Papa, aber die kommen ja erst abends nach Hause.

»Hallo Jonas, wie war es in der Schule?«, hat Frau Lütjendorf gerufen, als ich in die Küche gekommen bin. Wie jeden Tag.

»Gut«, habe ich geantwortet. Auch wie jeden Tag.

»Und sonst?«, hat sie gefragt und sich dabei die Hände an der Schürze abgewischt.

»Nichts sonst«, habe ich geantwortet.

Aber dann kam Marie. »Das stimmt ja gar nicht!«, hat sie gerufen. »Sophie hat erzählt, dass Jonas in Mathe gesagt hat, dass sein Bein amputiert ist und er deshalb nicht an die Tafel kommen kann. Und jetzt fliegt er von der Schule. Ich würde so was nie machen, das würde ich mich überhaupt nicht trauen.«

Kann die nicht einfach mal die Klappe halten? Und außerdem: Bein amputiert? Was ist denn das für ein Quatsch?

»Sehe ich aus, als wäre mein Bein amputiert? Bist du blind oder was??«, habe ich geblafft. »Und dass du dich das nicht trauen würdest, ist klar. Du traust dich ja gar nichts.«

Ich war so sauer, dass ich Marie am liebsten geschlagen hätte, aber das hätte richtig Ärger gegeben. Deshalb habe ich ihr ans Schienbein getreten.

»Du Idiotenaffe!«, hat sie gebrüllt und sich das Bein gehalten und ist auf dem anderen im Kreis gehüpft. Das sah ziemlich lustig aus.

Aber dann ist sie plötzlich stehen geblieben und hat mir mit so gemeinen Schlitzaugen ins Gesicht gestarrt.

»Und überhaupt«, hat sie gesagt und hämisch gegrinst. »Ich trau mich gar nichts? Bist du dir sicher?? Wer musste denn gestern Abend nachgucken gehen, was vor dem Fenster quietscht? Mein mutiger Bruder oder wer?«

Dann hat sie mich geschubst und ist aus der Küche marschiert.

Volle Niederlage für mich. Das Schlimme ist nämlich: Sie hat recht. Leider. Gestern Abend – also eigentlich war es gar nicht mehr richtig Abend, eher schon Nacht – habe ich plötzlich so ein ganz komisches Geräusch im Garten gehört. So ein lang gezogenes Heulen und Jammern.

Mit Moritz habe ich mal einen Alienfilm geguckt, da sind nachts Außerirdische gelandet und haben ein Baby entführt. Und so klang das: Als würde ein Baby schreien und jammern und als würden Aliens dazu komische Geräusche machen.

Ich meine, ich weiß natürlich, dass es keine Aliens gibt, und falls doch, dass die wahrscheinlich nicht in unserem Garten landen. Und ein Baby haben wir auch nicht.

Aber trotzdem: Es klang einfach komisch und ich hatte ziemlich Herzklopfen. Deshalb bin ich aufgestanden und zu Marie ins Zimmer gegangen.

Die hat natürlich geschlafen, klar, die merkt nie irgendwas. Man könnte das Bett mit ihr drin in eine Nasa-Rakete stecken und die dann zünden. Ich habe sie an der Schulter gerüttelt, und als sie endlich wach war, hat sie erst mal überhaupt nichts begriffen. Aber da kam das komische Heulen wieder, und Marie hat auch einen Schreck gekriegt, das habe ich genau gesehen. Erst hat sie mich angestarrt, aber dann hat sie plötzlich gesagt: »Lass mich mal durch, ich guck nach, was das ist.«

Das war mir eigentlich nicht so recht. Schließlich ist sie ja meine kleine Schwester, und ich glaube, manchmal weiß sie noch nicht so genau, wenn irgendwas richtig gefährlich wird. Aber sie ist einfach an mir vorbeimarschiert. Ich bin dann hinter ihr her die Treppe runter, und als ich unten war, hat sie gerade die Tür aufgeschlossen. Und genau in dem Moment kam wieder dieses Kreischen, ich bin fast umgefallen vor Schreck. Aber Marie hat nur gebrüllt: »Haut ab!«, und es war Ruhe. Sofort.

Dann hat sie sich zu mir umgedreht und gesagt: »Mann, Jonas. Das waren Katzen. Darf ich jetzt wieder schlafen?«

Und dann ist sie ganz lässig an mir vorbeigelaufen und hat sich ins Bett gelegt. Mir war das ein bisschen peinlich. Obwohl: Es war einfach Glück, dass es nur Katzen waren. Es hätte auch etwas richtig Gefährliches sein können.

Na ja, so war das also vorgestern Abend. Und deshalb war es nicht so wahnsinnig schlau von mir, dass ich nach der Brettschneider-Geschichte gesagt habe, dass Marie sich nichts traut. Klassischer Fehlpass sozusagen. Und Marie hat das Tor sofort gemacht. Also besser gesagt: abgestaubt. Besonders viel selber musste sie dafür nicht tun.

Bin ich froh, dass jetzt Ferien sind. Sechs Wochen ohne Mathe, ohne Schwimmunterricht und vor allem ohne Brettschneider. Stattdessen mit Opa in seinem Bus nach Italien.

Ab jetzt wird alles gut.

Kapitel 4

So langsam wird mir langweilig.

Ich habe schon mein ganzes Batman-Heft durchgelesen und mit Marie richtig lange Automarkenraten gespielt. Draußen sieht es irgendwie auch schon ein bisschen anders aus als zu Hause, hier gibt es plötzlich Hügel.

»Opa«, sagt Marie und lehnt sich zwischen den Sitzen nach vorne. »Ich hab Hunger.«

»Hää?«, brüllt Opa. Er ist nicht schwerhörig oder so, die Musik ist nur so laut. Er trommelt im Takt auf dem Lenkrad und wippt mit dem Kopf, sodass sein Pferdeschwanz immer hin- und herschwingt.

»Und außerdem muss ich mal!«, schreit Marie ihm nun richtig laut ins Ohr.

»Was?«, ruft Opa und dann streckt er die Hand aus und dreht das Radio leiser.

»Ich muss mal ganz nötig. Pipi«, sagt Marie.

Nicht zu fassen. Wie ein Kleinkind.

»Auch ein Hippie muss mal Pipi!«, ruft Opa und lenkt einfach nach rechts und hält auf dem Standstreifen, dass die Bremsen quietschen.

Was soll das denn jetzt?