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Management Know-how für die Praxis

 

Herausgegeben von Prof. Dr. Dr. h. c. Helmut Kohlert

Helmut Kohlert

Strategische Ausrichtung als Wettbewerbsvorteil

Verlag W. Kohlhammer

1. Auflage 2018

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-031172-5

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-031173-2

epub:   ISBN 978-3-17-031174-9

mobi:   ISBN 978-3-17-031175-6

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

Vorwort

 

 

Die strategische Ausrichtung des Unternehmens bildet das Fundament erfolgreichen unternehmerischen Handelns im (globalen) Wettbewerb und gehört damit zu den zentralen Managementaufgaben. Der Aufbau von Wettbewerbsvorteilen steht oft in einem direkten Zusammenhang mit der strategischen Ausrichtung. Hier wie dort werden grundlegende Fragen eines Unternehmens angesprochen, wie die Wettbewerbssituation, mögliche Substitute für die eigenen Produkte und Dienstleistungen, deren Ausgestaltung, sowie die Anforderungen des Kunden.

Neben den Grundlagen geht es um die Frage, inwieweit sich das Unternehmen einer strategischen Neuausrichtung unterziehen sollte und seine »Value Propositions« neu definiert. Mit Business Development erfolgt das Eröffnen neuer Optionen in neuen Geschäftsfeldern, die durch das Unternehmen selbst aber auch durch den Kunden induziert werden können. Auch über das Aufstellen und die Umsetzung von Strategien sollte das technische Unternehmen Bescheid wissen. Abschließend wird hilfreiches Wissen angeboten, wenn ein Unternehmen im Auslandsgeschäft tätig ist und man sich in dieses Themenfeld einarbeiten muss.

Ohne den managementwissenschaftlichen Überbau, der viele Praktiker und Studierende abschreckt, werden die Probleme aus Sicht der Praxis dargestellt und anwendungsorientierte Vorgehensweisen bei der strategischen Ausrichtung eines Unternehmens aufgezeigt.

Auf eine formell richtige Ansprache wird verzichtet, um den Lesefluss zu gewährleisten. Entsprechende Begriffe sind im Sinne des Gleichbehandlungsgesetzes als nicht geschlechtsspezifisch zu betrachten.

Mein besonderer Dank gilt den Mitarbeitern des Kohlhammer Verlages, die dieses Buch möglich gemacht haben, sie waren mit wertvollen Hinweisen während der Entstehungsphase eine große Hilfe, sowie meiner Assistentin, Frau Elena Neufeld, LL.M., B.A., für die Durchsicht des Manuskripts.

 

Esslingen, im August 2018

Helmut Kohlert

Inhalt

 

 

  1. Vorwort
  2. 1 Beschaffung und Verarbeitung strategischer Informationen
  3. 1.1 Strategische Neuausrichtung als Normalfall
  4. 1.1.1 Strategie zwischen Plan und Entscheidung
  5. 1.1.2 Veränderungen – auf 4.0 folgt 5.0
  6. 1.2 Strategische Bestandsaufnahme im Unternehmen
  7. 1.2.1 Strategische Kompetenz als Schlüsselfaktor
  8. 1.2.2 Bestehende Kernkompetenzen im eigenen Unternehmen
  9. 1.2.3 Disruptive Veränderungen in der Branche
  10. 1.3 Visionen, Leitbild und Mission
  11. 1.3.1 Visionen im Unternehmen
  12. 1.3.2 Leitbild und Mission
  13. 1.4 Ziele und Strategien
  14. 1.4.1 Konkretisierung durch Ziele
  15. 1.4.2 Umsetzung über Strategien
  16. 2 Strategische Neuausrichtung auf dem Prüfstand
  17. 2.1 Geschäftsmodell als Gesamtschau des Unternehmens
  18. 2.1.1 Geschäftsmodell im Überblick
  19. 2.1.2 Differenzierung vom Wettbewerb über Alleinstellungsmerkmale
  20. 2.1.3 Differenzierung von Marktangeboten zwischen den Kundensegmenten
  21. 2.2 Aufbau von »Value Propositions«
  22. 2.2.1 »Value Propositions« als Dreh- und Angelpunkt
  23. 2.2.2 Aufbau von »Value Propositions« - Analyse des Kundenprofils
  24. 2.2.3 Aufbau von »Value Propositions« - Erstellen einer »Value Map«
  25. 2.2.4 Aufbau von »Value Propositions« - Zusammentreffen von »Value Map« und Kundenprofil
  26. 2.3 Benchbreaking für einen »Blauen Ozean«
  27. 2.4 Auf dem Weg zum Lösungsanbieter
  28. 2.4.1 Dienstleistungen für produzierende Unternehmen
  29. 2.4.2 Transformation zum Lösungsanbieter
  30. 2.4.3 Strategische Optionen auf dem Weg zum Lösungsanbieter
  31. 3 Business Development über Innovationen
  32. 3.1 Verständnis von Business Development
  33. 3.2 Kreativität im Business Development
  34. 3.2.1 Innovatives Marktangebot trifft Markt
  35. 3.2.2 Kunden als Quelle von neuem Geschäft
  36. 3.2.3 Stakeholder als Quelle von neuem Geschäft
  37. 3.3 »Lead User« als Turbo für das Business Development
  38. 3.4 Umsetzung von Business Development
  39. 3.4.1 Konsequenzen für das Geschäftsmodell durch Business Development
  40. 3.4.2 Mit Corporate Incubation zu Business Development
  41. 4 Unternehmensstrategien und Strategiegestaltung
  42. 4.1 Strategiekaskade im Unternehmen
  43. 4.2 Wachstumsstrategien
  44. 4.3 Marktnahe Strategien
  45. 4.3.1 Produkt/Markt-Matrix
  46. 4.3.2 Fokus auf Wettbewerbsvorteile
  47. 4.4 Wettbewerbsstrategien
  48. 4.4.1 Definition
  49. 4.4.2 Strategien des Marktführers
  50. 4.4.3 Strategien des Herausforderers
  51. 4.4.4 Strategien des Verfolgers
  52. 4.5 Strategien für mittelständische Zulieferer
  53. 4.5.1 Strategische Alternativen für den Zulieferer
  54. 4.5.2 Mittelstandsstrategien sind Nischenstrategien
  55. 4.5.3 Optionen durch kreative Zerstörung
  56. 4.6 Geschäftsmöglichkeiten durch Kooperationen
  57. 4.6.1 Kooperation als Option
  58. 4.6.2 Auslagerung mit Fragezeichen
  59. 4.7 Strategische Positionierung des Unternehmens
  60. 4.7.1 Aktive Positionierung
  61. 4.7.2 Kommunikation der Positionierung über die Marke
  62. 4.7.3 Strategische Positionierung in Krisensituationen
  63. 4.8 Marketing Audit – Überprüfung der Marktstrategie
  64. 5 Strategien im globalen Kontext
  65. 5.1 Beweggründe für ein Auslandsengagement
  66. 5.1.1 Wachstum durch Engagement in Wachstumsmärkten
  67. 5.1.2 Beweggründe von technischen Unternehmen
  68. 5.2 Hausaufgaben vor dem ersten Auslandsengagement
  69. 5.2.1 Entwicklung einer globalen Perspektive des Unternehmens
  70. 5.2.2 Grundsatzfragen im eigenen Unternehmen
  71. 5.2.3 »Screening« der relevanten Marktangebote
  72. 5.2.4 Beschäftigung mit dem Faktor »Kultur«
  73. 5.2.5 Kommunikation im ausländischen Umfeld
  74. 5.2.6 Etikette und Protokoll
  75. 5.2.7 Anforderungen an den Standort
  76. 5.3 Ausländische Märkte – Eintritt und Expansion
  77. 5.3.1 Entscheidungskriterien für die Markteintrittsoption
  78. 5.3.2 Markteintrittsstrategien im Überblick
  79. 5.3.3 Erschließung des Auslandsmarkts in Etappen
  80. 5.3.4 Ausgewählte Problembereiche bei der Internationalisierung
  81. 5.4 Umsetzung im internationalen Umfeld
  82. 5.4.1 »Made in Germany« – ein Gütezeichen
  83. 5.4.2 Vertriebswege zum Kunden
  84. 5.4.3 Führung international tätiger Mitarbeiter
  85. 5.5 Vierzehn Schritte in das Unbekannte
  86. Literaturverzeichnis
  87. Stichwortverzeichnis

1          Beschaffung und Verarbeitung strategischer Informationen

 

1.1       Strategische Neuausrichtung als Normalfall

1.1.1     Strategie zwischen Plan und Entscheidung

Die Beschäftigung mit Strategien bringt Unbehagen mit sich. Denn es geht darum, Risiken einzugehen und sich dem Unbekannten zu stellen: »Kein Wunder, dass Manager lieber Dinge tun, die Sicherheit vermitteln. Aber die bringen nicht die gewünschten Ergebnisse.«1 Dazu passt gut der Vergleich zwischen einem Bergführer und einem Bergmanager. Der Bergführer geht voran, der Bergmanager sagt »Wenn Du ein Problem hast, rufe mich an!«

Ausgangspunkt von Strategien sind oftmals vage Vorstellungen über die Ist-Situation mit ihrer bestehenden Wettbewerbsstruktur, die Struktur der Absatzmärkte, die technischen Trends, die Struktur der Beschaffungsmärkte, die rechtlichen, sozialen, wirtschaftlichen, politischen Umfelder, sowie die eigenen Stärken und Schwächen. Die Kernfrage der strategischen Planung lautet: Welche Ziel-(Soll-)Positionen werden angestrebt und welche Ressourcen sind dafür nötig? Das vermeidet realitätsferne Diskussionen über wünschenswerte, aber nicht erreichbare Zustände in der Zukunft.

Oftmals ist ein Plan nichts anderes als eine Beschreibung des Budgets; die darin enthaltenen Zahlen werden häufig auf fünf Jahre fortgeschrieben, damit das Ganze »strategisch« wirkt.2 Kosten und Einnahmen sind in Bezug auf ihre Planbarkeit grundverschieden: Die Kosten steuert das Unternehmen selbst, den Umsatz bestimmt letztlich aber der Kunde. »Auch die beste Planung kann keine Einnahmen herbeizaubern, und so lenken Umsatzpläne letztlich nur von der viel schwierigeren Aufgabe des Strategen ab: Wege zu finden, Kunden zu gewinnen und zu halten.«3 Dabei stellen manche Wege eine Sackgasse dar, die man erst einmal erkennen muss: Schneller zu gehen, wenn der Weg falsch ist, ist keine Lösung. Funktioniert ein Plan in einer unplanbaren Zeit mit vielen plötzlichen Ereignissen aus dem Umfeld? Das Ergebnis des Planes ist nicht unbedingt die strikte Einhaltung in der Umsetzung, sondern sich der vorhandenen Ressourcen und Möglichkeiten bewusst zu werden, um später die Ressourcen flexibel einsetzen zu können. In diesem Zusammenhang soll Napoleon I. einmal gesagt haben: »Keine einzige meiner erfolgreichen Schlachten ist nach Plan verlaufen, trotzdem habe ich jede einzelne sehr sorgfältig konzipiert.« Auch unter ungünstigen Umweltbedingungen kann ein gutes Unternehmen seinen Weg finden.

Das bedeutet jedoch nicht, sich von einmal oft mühsam getroffenen Entscheidungen, beim ersten Gegenwind zu verabschieden! Hindernisse wird es immer geben! Eine komplette Abkehr setzt auch tiefgreifende Umfeldeinflüsse voraus.

Die Aufgabe der Planung ist es formal, Lösungsmöglichkeiten für das Erreichen der Zielvorgaben zu entwickeln, nach denen sich das weitere betriebliche Geschehen zielgerichtet vollziehen soll. Damit handelt es sich um getroffene, aber noch nicht umgesetzte Entscheidungen, in der Regel um ein Bündel von Einzelentscheidungen. Die Planung ist Teil der Strategie, die auf langfristige Ziele und die dafür zu wählenden Handlungsalternativen beruht.

Entscheidungsalternativen sind potenzielle Handlungsoptionen, zwischen denen die Entscheidung zu treffen ist. Die Entscheidung ist die Wahl einer Handlungsalternative, die dann durch die Organisation auszuführen ist. Das Treffen einer Entscheidung setzt Planung sowie vorhandene und aufbereitete reale Alternativen voraus: Ohne Alternativen ist keine Entscheidungssituation gegeben. Allerdings ist auch die Möglichkeit »nichts zu tun« eine Handlungsoption, die man nicht außer Acht lassen sollte. Die Voraussetzung für das Entstehen von Alternativen ist eine genaue Analyse und das Verständnis des Entscheidungsproblems:

•  Durch das Anwenden von Kreativitätstechniken in Teams, Strategie-Workshops und Aufstellen von Geschäftsmodellen kommt man zu neuen Entscheidungsalternativen.

•  Unternehmerische Erfahrungen basieren auf vergangenen Entscheidungen in spezifischen Situationen, die heute wahrscheinlich nicht mehr die gleichen sind. Dennoch werden Entscheidungsmuster aus Vergangenheitswerten abgeleitet, ohne sie entsprechend anzupassen. Das sollte aber getan werden: Passen die Erfahrungen immer noch in den aktuellen Kontext? »Survival of the Fittest« heißt ja bekanntlich nicht, der Stärkste überlebt, sondern der »Angepassteste«.

•  Es kann eine Orientierung an den Wettbewerbern und deren Entscheidungen erfolgen, insbesondere die Frage nach dem »Warum« etwas so und nicht anders entschieden wurde. Der Blick kann hier durchaus auf kleinere Wettbewerber gelegt werden, z. B. auf Wettbewerber, die schnell wachsen oder deutlich höhere Gewinnmargen realisieren, aber auch auf Substitute, die der Kunde als solche wahrnimmt, eben auf die Alternativen, die der Kunde für die Problemlösung hat.

•  Kommerzielle Beratungsunternehmen können zur Unterstützung des Prozesses hinzugezogen werden. Externe bringen den Blick von außen mit und halten sich nur begrenzt an die internen Spielregeln. Das erhöht die Effizienz und die Effektivität eines Strategie-Workshops.

Im Entscheidungsprozess sucht man nach der besten Lösung, der Entscheider hat aus den ihm zur Verfügung stehenden Alternativen die beste Handlungsoption auszuwählen. Wenn man dazu neigt, Entscheidungen zu treffen, bei denen nicht alle Informationen vorliegen, verpasst man mitunter Gelegenheiten, da man noch abwartet. Eine gewisse Entscheidungsfreude, auch unter Unsicherheit, gehört also auch dazu. Es empfiehlt sich, den Ablauf der Beschreibung des konkreten Problems zu beginnen: Das Ziel ist, insgesamt ein besseres Verständnis über die Entscheidungssituation zu erhalten:

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Abb. 1.1: Vom Problem zur Maßnahme

Durch die Kontrolle wird im Planungszeitraum überprüft, inwieweit nach Realisierung der Entscheidung die gesetzten Ziele (Sollgröße) tatsächlich erreicht wurden (Istgröße). Das Ziel der Kontrolle ist es, aus den Ursachen für Abweichungen zu lernen und Erfahrungswerte aufzubauen. Es erfolgt daher die Suche nach Ursachen für die aufgetretene Soll/Ist-Divergenz, nach Fehlern in der Realisierung, aber auch nach Fehlern im Planungsprozess. Im Vordergrund steht die Suche nach Lösungen, solche Fehler beim nächsten Mal zu vermeiden.

1.1.2     Veränderungen – auf 4.0 folgt 5.0

Veränderungen kann man nicht verhindern, man kann nur aus ihnen lernen. Sie werden immer innerhalb eines bestimmten Rahmens stattfinden müssen. Rahmenbedingungen sind kurzfristig nicht zu ändernde Daten (»Fakten«), die bei der Planung und Entscheidung beachtet werden müssen. Man unterscheidet zwischen zwei verschiedenen Rahmenbedingungen:

•  Exogene Rahmenbedingungen beschreiben die unternehmerische Umwelt, z. B. rechtliche und soziale Ordnung, technisches Wissen, Bedürfnisstruktur der Nachfrager, Preise der Produktionsfaktoren, Preise und Qualitäten der Marktangebote der Wettbewerber.

•  Endogene Rahmenbedingungen kennzeichnen kurzfristig nicht zu ändernde Daten des Unternehmens, z. B. Produktionskapazität, Qualifikation der Mitarbeiter.

Zu den exogenen Rahmenbedingungen gehören derzeit auch, dass die Beschäftigung mit E-Mobilität politisch gewünscht ist. Kein Unternehmen der Automobilbranche kann es sich leisten, hier keine Ressourcen bereitzustellen, die mitunter den halben Jahresgewinn vertilgen. Damit ist aber auch kein Raum mehr, um an einer alternativen Technologie zu forschen! Ein Beispiel, wie massiv die Politik einen Rahmen setzen kann, ohne ein Konzept vollständig durchdacht zu haben.

Angestoßen werden können Veränderungen grundsätzlich aus einer ganzen Anzahl unterschiedlicher Richtungen:

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Abb. 1.2: Impulse für Neuausrichtungen für ein Unternehmen

Veränderung funktioniert nicht mit Zahlen, denn Zahlen sprechen nicht mit Menschen. Wenn man in diesem Zusammenhang an die Diskussion um Industrie 4.0 denkt, versteht man schnell, das Zahlen nicht alles ausdrücken können und somit neben quantitativen Fakten auch qualitative Einschätzungen eine Rolle spielen: »Industrie 4.0 ist ein nicht klar abgegrenzter Sammelbegriff, der einem tiefgreifenden und multidimensionalen industriellen Strukturwandel einen griffigen Namen verschafft hat. Er entstammt der bundesdeutschen Debatte rund um die Erstellung der sogenannten Hightech-Strategie Deutschland und hat mittlerweile vor allem im deutschen Sprachraum Einzug gehalten.«4

Wie die vorangegangenen Industrien 1.0 bis 3.0 wird auch diese Neuerung die Arbeitswelt, die Gesellschaft und die gesamte Wertschöpfungskette der Unternehmen tiefgreifend verändern:

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Abb. 1.3: Strategische Neuausrichtung, ausgelöst durch Industrie 4.0

•  In der Fertigung werden individuelle und kurzfristige Kundenwünsche mittels eines durchgängigen Engineering umgesetzt. Dadurch wird es möglich, Kleinstmengen bis zur »Losgröße Eins« rentabel zu fertigen. Durch die Flexibilisierung erfolgt eine Verkürzung der Reaktion auf Kundenanfragen und eine Verkürzung der Entwicklungszeiten (»Time-to-Market). Durch die verzahnte Zusammenarbeit mit den Lieferanten ist eine flexible, schnelle Reaktion auf Veränderungen, wie z. B. bei Zulieferausfällen oder bei Liefermengenerhöhungen, möglich. Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass die Ressource Fertigung effektiv und effizient eingesetzt werden kann, eine wichtige Entwicklung im Hochkostenland Deutschland.

•  Die Einsatzfähigkeit des Personals wird durch das Zusammenspiel von Mensch und Maschine erhöht.

•  Durch neue Wertschöpfungspotenziale lassen sich bisherige Leistungsportfolios ausweiten und ergänzen. Mit der Kombination von intelligenten Dienstleistungen entwickeln sich die bisherigen Anbieter zunehmend zu Lösungsanbietern. Das erfordert eine komplett neue strategische Neuausrichtung von Unternehmen und grundlegende Veränderungen im Geschäftsmodell.

In der Folge verliert das Handwerk in der Fertigung immer mehr an Bedeutung, wie generell der Faktor der »menschlichen« Arbeit. Haupttreiber dieser Entwicklung ist die Fabrikautomation, Maschinen ersetzen immer mehr Handgriffe, Roboter übernehmen Montageaufgaben und Handling-Prozesse. In der Konsequenz werden ganze Fertigungslinien automatisiert. Wo früher ungelernte Arbeiter ihren Dienst am Fließband verrichteten, steht heute eine autonome, von einer einzigen hochqualifizierten Person überwachte Fertigungsstation. Auf die gesellschaftlichen Entwicklungen, etwa dem durch willkürliche Zuwanderung stark ansteigenden Arbeitskräftepotenzial aus Ungelernten, wird hier nicht eingegangen, sie stellen die Politik und die Gesellschaft allerdings vor bislang nicht absehbaren Entwicklungen.

Es geht dabei aber nicht nur um die reine Fertigung und Herstellung eines Produktes, sondern um die gesamte Wertschöpfungskette von der Bestellung des Kunden bis hin zur Warenauslieferung sowie dem After-Sales-Service. Eine der größten Herausforderungen ist es, die während dieses Gesamtprozesses gesammelten Informationen auszuwerten, zu interpretieren und an den richtigen Stellen im Unternehmen, oder sogar darüber hinaus, auszulesen. Der Versandstatus eines Produktes spielt zum Beispiel nicht nur für die interne Logistik eine Rolle, sondern auch für den Kunden. Beide Blickwinkel müssen für die jeweilige Empfängergruppe unterschiedlich aufbereitet werden. Diese Informationen lassen sich problemlos kombinieren, denn Controlling und Kundenservice bedienen sich der gleichen Informationsbasis, eben mit unterschiedlichen Zielsetzungen.

Zusammenfassend entstehen nach einer Studie von McKinsey dadurch die folgenden Handlungsfelder auf dem Weg zu Industrie 4.0:5

 

•  Abbildung der gesamten Wertschöpfungskette und des gesamten Produktlebenszyklus in digitaler Form. Bislang können nur 1% der in der Fertigung anfallenden Daten genutzt werden, um Maschinen besser auszunutzen und alle Kostenpositionen auf den Prüfstand zu stellen.

•  Digitalisierung stellt neue Anforderungen an die Mitarbeiter in der Analyse großer Datenmengen. Diese Mitarbeiter müssen entwickelt und an das Unternehmen gebunden werden.

•  Entscheidung, welche strategischen Schnittstellen das eigene Unternehmen kontrollieren muss, um den Kundenkontakt zu halten und auszubauen, sowie sich gegenüber dem Wettbewerb zu profilieren.

•  Die Erhöhung der Schnelligkeit bei Updates und Produktverbesserungen.

•  Die Erhöhung der Datensicherheit nach außen.

1.2       Strategische Bestandsaufnahme im Unternehmen

1.2.1     Strategische Kompetenz als Schlüsselfaktor

Die Frage stellt sich, ob ein Unternehmen die strategische Kompetenz hat, um sich durch Alleinstellungsmerkmale zum Wettbewerber abzugrenzen. Vorhandene strategische Kompetenzen erlauben Planen, Handeln und Lernen, auch und gerade in neuen, unbekannten Situationen. Die strategische Kompetenz beruht auf dem Nachdenken über langfristige, strategische Ziele und der Reflexion von Handeln und Lernen und seiner Konsequenzen. Man beschäftigt sich dabei mit Schlüsselkompetenzen, die in vielen unterschiedlichen Situationen und Themenfeldern nützlich sind, weil man häufig nur damit sein Ziel erreicht. Diese können auch dazu genutzt werden, innovative Marktangebote zu erstellen, in neue Märkte zu gehen oder bestehende Geschäftsmodelle zu optimieren. Damit stellt sich jetzt die Frage, wofür das Unternehmen steht, als sichtbares Zeichen einer bestehenden strategischen Kompetenz. So könnte die Ausgangssituation einer Beschäftigung mit Strategie für das Unternehmen lauten:

•  Für eine hohe strategische Kompetenz könnte z. B. sprechen, dass das Unternehmen in der Lage war, strategische Allianzen ohne viel Aufwand aufzubauen, die Ausgründung von zahlreichen und sehr erfolgreichen Tochtergesellschaften realisierte, die Kapazitätsauslastung über das Branchenübliche erhöhte und einen Markennamen schuf.

•  Dagegen könnte z. B. sprechen, dass das Unternehmen keine Führerposition mehr inne hat, bestehende Strategien nicht konsequent umgesetzt worden sind und neue Strategien erst sehr spät und mitunter reaktiv erfolgten, Innovationen fehlen, die die höhere Preislage in der nächsten Generation rechtfertigen oder seine Leistungen für diesen Markt mittlerweile als »Commodity« gelten.

Die »Commodity « steht für stark standardisierte, austauschbare Marktangebote, die bei vielen Lieferanten in vergleichbarer Qualität zu beziehen sind. Das Leistungsangebot eines Marktes ist durch einen geringen Innovations- und Differenzierungsgrad gekennzeichnet, meist ist der Preis das ausschlaggebende Kaufkriterium für den Kunden. Für das Unternehmen mit diesen Marktangeboten gibt es nur die Möglichkeit für sog. »Value Added Commodities«. Sie bieten die Möglichkeit, für die Marktangebote über eine Markendifferenzierung oder eine lösungsorientierte Differenzierung durch produktbegleitende Dienstleistungen seinen Kunden einen Mehrwert zu bieten und sich an Commodity-Märkten zu positionieren.6 Der De-Commoditisierung der eigene Marktangebote kommt hier eine große Rolle zu, will man in diesem Markt überleben. Die Impulse dafür kommen nicht selten von den Vertriebsmitarbeitern, die die entscheidenden Nuancen beim Kunden besser herausarbeiten können als jeder andere.7

Trotz einer strategischen Ausrichtung fällt es Unternehmen schwer, sich wirklich zu erneuern, denkt man nur einmal an klassische Telekommunikationsunternehmen, klassische Fluggesellschaften, klassische Computerhersteller, Automobilhersteller, Banken und Schreibmaschinenhersteller. Sehr reaktiv waren ihre strategischen Neuausrichtungen, manchmal kamen sie zu spät, der Markt war schneller. Zusammenfassend liegen die Gründe für Versäumnisse in der strategischen Neuausrichtung im Folgenden:

•  Es erfolgte der Einsatz von Methoden von gestern zur Lösung von Problemen von heute oder sie führen zu falschen Schlussfolgerungen, z. B. SWOT-Analyse8, Portfolio-Methoden. So werden Synergien und Verbundeffekte nicht berücksichtigt, sondern der Blick nur auf einzelne Geschäftsfelder bzw. Produkte gelenkt oder falsch angewandt. Portfolio-Methoden wurden für die erste Ebene im Konglomerat entwickelt und sind nur schwer auf die zweite Ebene mit allen Nebenbedingungen (Synergien, Gewinne etc.) herunter zu brechen.

•  Menschen tun sich schwer, über die vorgegebenen Zielsetzungen hinaus zu denken. Für viele stellt das Verlassen der selbst gewählten Komfortzone keine Alternative dar, sogar mit Gegenwehr ist zu rechnen.

•  Geschäftsgelegenheiten sind manchmal auch gleichzeitig Bedrohungen, z. B. die ersten Anbieter im Versandbuchhandel waren Start-ups, keine Ausgründungen von etablierten Buchhändlern, dasselbe gilt für Billig-Airlines. Das erste ansprechende E-Car kam von einem Start-up (Tesla), nicht von einem etablierten Automobilhersteller, der sich mit unansehnlichen Prototypen auseinandersetzt. So mussten die Etablierten lernen, dass bei einer fehlenden Eigenentwicklung von innovativen Marktangeboten möglicherweise andere, durchaus auch branchenfremde Unternehmen, diese Aufgabe gerne übernehmen.

•  Manchmal ist es anstrengend, immer up-to-date zu bleiben, vor allem, wenn alles gut läuft. Im IT-Branchenjargon werden diese Unternehmen gerne »fat cats« genannt, die sich auf den Erfolgen vergangener Jahre ausruhen.

•  Mitunter fehlen auch die richtigen Konzepte, um im Unternehmen selbst Kreativität zu fördern. So entstehen 73% aller neuen Ideen außerhalb des Unternehmens, nämlich auf Geschäftsreisen, zu Hause, immerhin 23%, in der Natur, nämlich 33%, sowie im Urlaub, um einmal die Wesentlichen nennen.9 Innovationen werden nicht systematisch angestrebt, sie sind eher zufällige Ergebnisse. Das reicht heutzutage nicht mehr, um zu wachsen. Mit viel Glück kann so nur noch der Status quo verteidigt werden.

Unternehmen brauchen oftmals einen Anlass, um sich ernsthaft mit strategischen Themen auseinanderzusetzen, z. B. Alarmzeichen aus dem Umfeld des Unternehmens, die eine unmissverständliche Botschaft senden, um im Unternehmen zu einem »Zukunftsdialog « zu kommen. Probleme kündigen sich immer an, aber die Signale müssen erkannt werden.10

Diese treffen dann auf ein Unternehmen mit all seinen eingefahrenen Beziehungen, bestenfalls noch in seiner Komfortzone, die es nach Möglichkeit nicht verlassen möchte. So gibt es Symptome, die ein Unternehmen geradezu zwingen, sich in einer bestimmten Phase der Unternehmensentwicklung mit sich selbst auseinander zu setzen. Unter einem Symptom versteht man einen subjektiv empfundenen negativen Einfluss, der die Auswirkung eines Problems sein kann.11 Sofern diese nicht hinterfragt werden, verbleiben die eigentlichen Problemstellungen im Verborgenen und das Unternehmen arbeitet an den Symptomen: Die Probleme aber bleiben erhalten.

Eine strategische Krise kann zu einer Ergebniskrise führen, die dann in einer Liquiditätskrise bis hin zur Insolvenz endet. Damit ist die Frage der strategischen Kompetenz zentral für das Fortbestehen des Unternehmens.

1.2.2     Bestehende Kernkompetenzen im eigenen Unternehmen

Eine kernkompetenzbasierte Strategie setzt auf einzigartige Fähigkeiten im Unternehmen:

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Abb. 1.4: Voraussetzungen für Kernkompetenzen

Sie sind je nach Branche und Standort verschieden. So kann die lokale Werkstattqualität für ein Automobil den Ausschlag gegen den Kauf einer bestimmten Marke liefern, in einer anderen Region aber nicht. Das Internetbanking bietet zahlreiche Möglichkeiten für Verbesserungen, z. B. Abrechnung am selben Tag, Tool für Fondsvergleiche, Verfügbarkeit von Mitarbeitern für das telefonische Optionsgeschäft. Zwischen den Direktbanken kann man die Einzigartigkeit anzweifeln, wohingegen die qualitativen Unterschiede zwischen den Internetportalen, den traditionellen stationären Banken und den Direktbanken eklatant sind. Es kommt also auch noch auf die Vergleichsbasis an, falls der Kunde nicht beide Varianten in Betracht zieht.

Kernkompetenzen können aus drei Quellen resultieren:12

•  Privilegiertes Vermögen sind materielle oder immaterielle Vermögensbestandteile, z. B. Infrastruktur, Marken und Patente, Vertriebswege, bessere Marktinformationen, die objektiv besser als die der Wettbewerber sind.

•  Finanzielle Mittel ermöglichen es dem Unternehmen, Vermögensgegenstände aus anderen Unternehmen zu erwerben, die auch im eigenen Unternehmen einsetzbar sind.

•  Besondere persönliche Beziehungen zum Kunden begünstigen das Entstehen von Geschäftsgelegenheiten, die ansonsten verschlossen geblieben wären.

Kernkompetenzen sind immer unternehmensspezifisch. Zu berücksichtigen sind auch immer die Strukturen in der Branche, die Marktstellung des Unternehmens, der geografische Standort, Umfeldfaktoren sowie temporäre Faktoren. Unternehmen erfassen die bestehenden Kernkompetenzen für sich:13

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Abb. 1.5: Bewertung der bestehenden Kernkompetenzen im Außenvergleich

Diese Diskussion bietet Antworten auf die folgenden Fragenkomplexe:

•  Welches sind die bestehenden Kernkompetenzen im Unternehmen? Was machte das Unternehmen die letzten Jahre erfolgreich? Würde das der Kunde auch so sehen?

•  Reichen die bestehenden Kompetenzen im Unternehmen für die nächsten Jahre aus? Wann lässt die Aktualität und damit die Verwertbarkeit nach?

•  Geht es um die Weiterentwicklung von bestehenden Kernkompetenzen oder müssen gänzlich Neue mit/ohne Bezug zu den jetzigen aufgebaut werden?

•  Müssen Schlüsselpartnerschaften entwickelt werden, um die Kernkompetenzen aufrecht zu erhalten bzw. auszubauen? Was spricht für eine interne, was für eine externe Lösung?

Nach der Erfassung können die Niveaus der Kompetenzen im Unternehmen durch einen Vergleich mit dem Markt eingeordnet werden:14

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Abb. 1.6: Bewertung der bestehenden Kernkompetenzen im Außenvergleich

Die Kernkompetenzen sind die Basis für » Value Propositions«:

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Abb. 1.7: Von der Kernkompetenz zur »Value Proposition«

Kernkompetenzen führen damit nicht automatisch zu »Value Propositions«: »Fähigkeiten allein bringen die Kunden noch nicht dazu, etwas zu kaufen. Lediglich Unternehmen, die einer bestimmten Kundengruppe ein überlegenes Wertangebot machen, schaffen das.«15

1.2.3     Disruptive Veränderungen in der Branche

Warum werden Geschäftschancen nicht besser genutzt? Denkt man einmal an die folgenden Begebenheiten:

•  Warum kam Wikipedia nicht von Brockhaus?

•  Warum kam das iPhone nicht von Nokia?

•  Warum kam Starbucks nicht von Tchibo?

•  Warum kam der digitale Speicher nicht von Kodak?

•  Warum kam das Snowboard nicht von Völkl?

•  Warum kam Stepstone nicht von der FAZ?

•  Warum kam der Computer nicht von Triumph-Adler?

•  Warum kam Amazon nicht von Bertelsmann?

Sicherlich kommen hier eine ganze Reihe von Gründen zusammen:

•  Die etablierten Unternehmen kamen vermutlich gar nicht auf diese Ideen oder er kannten die Bedeutung für das eigene Geschäftsmodell nicht. Sie schwören auf den konstanten Absatz ihrer bestehenden Produkte, vor allem wenn viele davon bereits seit Jahrzehnten, mit entsprechenden Verbesserungen, erfolgreich am Markt umgesetzt werden.

•  Unternehmen wollten ihr eigenes Geschäft nicht kannibalisieren und sich keinen eigenen Wettbewerb aufbauen. So überließen sie das Feld Newcomern, die dieses Problem nicht hatten.

•  Unternehmen unterschätzten die Geschwindigkeit, mit der sich neue Technologien seit geraumer Zeit auf dem Markt durchsetzen. Als sie den Handlungszwang erkannten, war der Markt bereits zu fortgeschritten.

•  Unternehmen erkannten die Bedarfe der Kunden nicht, denn diese neuen Technologien bedienen mindestens latent vorhandene, oftmals aber bestehende Bedürfnisse von Kunden.

Unternehmen in dynamischen Branchen sind Disruptionen gewöhnt. Wesentlich ereignisreicher wird es, wenn eine sonst ruhige Branche dynamisch wird! Veränderungen in einer Branche kündigen sich in der Regel an. Dazu können die Indikatoren für eine aufkommende Branchendynamik genannt werden:16

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Abb. 1.8: Indikatoren für eine aufkommende Dynamik in einer Branche und Handlungsempfehlungen

Nicht alle Veränderungen sind disruptiv. Daher zunächst zur Definition von » disruptiven Innovationen«, die verschiedenen Stufen nach Christensen:17

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Abb. 1.9: Erklärung »disruptive Innovationen« nach Christensen

Formen vonDiskontinuitäten