Dagmar von Gersdorff

Vaters Tochter

Theodor Fontane und seine Tochter Mete

Mit zahlreichen Abbildungen

Insel Verlag

Für Bernhard von Gersdorff

Inhalt

Das Rätsel Mete

1.

2.

3.

4.

Der schöne Sänger

1.

2.

3.

4.

5.

Schlösser auf dem Lande

1.

2.

3.

4.

5.

Die grüne Lampe

1.

2.

3.

4.

5.

Der unsichtbare Bräutigam

1.

2.

3.

4.

Die Dame aus Amerika

1.

2.

3.

4.

5.

6.

Das Drama der begabten Tochter

1.

2.

3.

4.

Der Tod des Bruders

1.

2.

3.

König Lear und Tochter Cordelia

1.

2.

3.

4.

»Auf ihre Güter«

1.

2.

3.

Vaters Tochter

1.

2.

3.

4.

5.

Die Gattin des Schriftstellers

1.

2.

3.

4.

Ein ernstes Lebensglück

1.

2.

3.

4.

Literatur

Personenregister

Bildnachweis

Bildteil

Anmerkungen

Das Rätsel Mete

1.

Mit einer für ihn seltenen Ungeduld wartete Theodor Fontane in seiner Berliner Wohnung auf die Heimkehr von Tochter Martha. Sie war nach Rostock gereist, um ihre Herzensfreundin Lise Witte zu besuchen – die beiden jungen Damen waren seit Kinderzeiten ein Herz und eine Seele. Kein Zweifel, als Vater gönnte er ihr die wohlverdienten Ferien, aber schließlich sollte sie in wenigen Tagen ihre erste Stelle antreten! Daß sie davon nichts schrieb, war besorgniserregend.

Einen Vorwurf konnte man Mete allerdings nicht machen. Sie hatte das Königliche Lehrerinnenseminar mit Fleiß und Ausdauer zwei Jahre lang besucht und mit gutem Abschluß beendet. Eine Debatte über die Berufswahl hatte es freilich nie gegeben, warum auch, eine andere Tätigkeit kam ohnehin nicht in Frage. Für Mädchen gab es eben kein Gymnasium, kein Abitur und erst recht kein Studium. Doch er war überzeugt: Martha würde eine vorzügliche Lehrerin abgeben. Auch er war schließlich lange genug als Hauslehrer tätig gewesen, hatte den Wangenheim-Töchtern Deutsch und Geographie beigebracht und sich damit ein schönes Zubrot verdient.

Fontane war ungemein stolz auf seine kluge Tochter. Sie war erst achtzehn, und schon winkten berufliche Aussichten. Martha würde bei Familie Stockhausen, zu der er und seine Frau Emilie seit geraumer Zeit freundschaftliche Kontakte pflegten, als Erzieherin die Kinder betreuen. Zwar hatte er auch seine Vorbehalte – geschäftsmäßige Beziehungen unter Freunden hatte er noch nie gemocht. Was, wenn Mete sich dort auf Dauer nicht wohl fühlte? Seine Zweifel galten nicht der Person von Frau Stockhausen, die seit ihrem Einzug in Berlin zu Emilies engster Vertrauten geworden war, nein, der Hausherr war es, dessen arrogantes Wesen ihn störte, so daß er sich fragte, wie Mete im täglichen Zusammensein mit diesem eitlen Pfau zurechtkommen würde. Doch zu seiner Verwunderung schienen sich die beiden Mütter – Emilie Fontane und Clara Stockhausen – darüber keine Sorgen zu machen. Emilie empfand es sogar als besonderen Vorzug, ihre Tochter einem so hochgestellten Familienkreis anzuvertrauen. Das Ehepaar Stockhausen gebot durch sein kultiviertes Haus und den vornehmen gesellschaftlichen Rahmen über eine Welt, zu der die nicht eben verwöhnte Martha sonst kaum Zutritt erhalten würde.

Eine solche Welt konnte der Vater ihr bei allem guten Willen nicht bieten. Theodor Fontane war ein begnadeter Dichter, was er vor allem durch seine Balladen bewiesen hatte, die schon jetzt in den Schulbüchern zu finden waren. Doch große Erfolge oder gar ein bedeutendes Vermögen hatte er damit nicht erwerben können, im Gegenteil, lange hatten er und Emilie mit zwei kleinen Söhnen am Rande des Existenzminimums leben müssen. Inzwischen waren zwei weitere Kinder hinzugekommen, und er hatte eine Menge veröffentlicht: die Wanderungen durch die Mark Brandenburg, historische Aufsätze, den Bericht über seine französische Gefangenschaft und den Krieg mit Frankreich 1870/1871. Doch erst ein einziges größeres Werk war bisher erschienen, und auch das nur in Fortsetzungen: der Roman Vor dem Sturm. Großen Ruhm hatte er zu seiner Enttäuschung auch mit diesem historisch angelegten Roman nicht erlangt. Dabei war für einen Dichter nichts so wichtig wie Popularität und Erfolg. Als »freier Schriftsteller« ohne feste Anstellung ernährte er seine sechsköpfige Familie ausschließlich durch sein Schreiben – Reichtümer würde er damit wohl kaum anhäufen können. Es war seine tapfere Ehefrau, die diesen Zustand seit Jahren ertrug. Man konnte ihr die Vorwürfe, Tränen und Unkenrufe nicht übelnehmen, wenn auch Zutrauen und Geduld für seine Arbeit zweifellos hilfreicher gewesen wären.

2.

Zum Glück gab es Mete. Die einzige Tochter, getauft auf die Namen Martha Elisabeth, war bei Frühlingsanfang am 21. März 1860 in Berlin zur Welt gekommen. Was für eine Freude: nach fünf Söhnen, von denen zwei am Leben geblieben waren, endlich eine Tochter! Ihre Geburt hatte noch in der Tempelhofer Straße stattgefunden, wo die Familie ein Haus »trockengewohnt« und der dreijährige Theo durch Staub und Schimmel eine Krankheit bekommen hatte. Bei der Geburt seines Ältesten hatte Fontane sich als frischgebackener Vater präsentiert. Doch »frischgebacken« war er keineswegs, sondern bereits Vater zweier unehelicher Kinder, die einem Verhältnis aus der Zeit entstammten, als er seine geliebte Emilie aus Geldmangel nicht heiraten konnte. Damals hatte der Zwanzigjährige dem Freund Bernhard von Lepel geklagt: »Meine Kinder fressen mir die Haare vom Kopf, eh die Welt weiß, daß ich überhaupt welche habe.« Fünf volle Jahre hatte die Verlobungszeit gedauert, bis er endlich am 16. Oktober 1850 die aparte Emilie Rouanet-Kummer zum Altar führen konnte. Dreizehn Monate später, im November 1851, war sein ältester Sohn zur Welt gekommen, George Fontane, den er sehr liebte. Die drei Buben, die ihm folgen – 1852 Rudolph, 1853 Peter Paul, 1855 Ulrich –, waren alle noch im Säuglingsalter dahingerafft worden. Nur Theo, der 1856 zur Welt kam, blieb am Leben. »Meine Jungen gedeihen«, meldete Emilie damals ihrer Stiefmutter Bertha Kummer, als George und Theo gesund heranwuchsen, aber sie sei doch froh, »daß sich ihnen kein Schwesterchen zugesellt hat«. Der Vater war anderer Meinung. Längst hatte er sich ein Mädchen gewünscht – nun war es da! Es herrschte jedoch in pekuniärer Hinsicht ein solcher Mangel, daß Emilie ihrer Mutter bekennen mußte, sie besitze »weder Windel noch Hemdchen noch sonstwas«.1 Sie waren arm. Fontane machte sogar vor der Geburt den absonderlichen Vorschlag, das angekündigte Kind »zu anderen Leuten zu tun«.

Dazu kam es zum Glück nicht, und die Kleine gedieh prächtig. Vier Jahre nach Martha gesellte sich 1864 ein viertes Kind hinzu, der Sohn Friedrich, genannt Friedel. Liebling des Vaters aber war und blieb die Tochter. »Mäte« war der Name, den sie sich selbst gab, daraus war bald Mete entstanden. Mit ihrem wachen Blick aus großen Augen und ihrer rührend schmalen Gestalt war sie eine Augenweide, überdies in jeder Hinsicht ganz sein Kind, zumal als sie die ersten Sätze plapperte. Sie wuchs ihm so ans Herz, daß er sie schon vermißte, als Emilie mit der Zweijährigen zu ihrer Jugendfreundin Johanna Treutler aufs Land fuhr. »Küsse meinen Liebling, die wilde Range (schreibe mir auch immer von ihr)«, verlangte er. (30. ‌6. ‌1862)

Der Kommerzienrat und erfolgreiche Zuckerfabrikant Georg Friedrich Treutler und seine Frau Johanna, die ein Schloß bei Liegnitz bewohnten, boten Mutter und Tochter Jahr für Jahr ein angenehmes Feriendomizil. Emilie hielt sich regelmäßig viele Wochen bei Treutlers auf, und so war es nicht verwunderlich, daß auch Martha den Aufenthalt auf dem Gutsgelände der Enge einer Berliner Stadtwohnung vorzog. Sie war als Kind schwer zu bändigen, ohne Schläge wurde die Mutter mit ihren Unarten nicht fertig – und Unarten hielten Emilies Nerven nicht aus. Die Prügel mit der Rute blieben Martha in unguter Erinnerung; später hatte sie das Gefühl, von der Mutter nicht gemocht zu sein. Die Zuneigung des Vaters aber spürte sie von Anfang an. Henriette von Merckel, die gute Freundin des Hauses, fand sie wild und unberechenbar »wie Quecksilber«; Fontane nannte sie einen »Springhasen«. Immerhin: für ihre erste photographische Aufnahme in einem Berliner Atelier stand die Sechsjährige mit Buch und Puppe unbeweglich auf einem Stuhl, und in Abwesenheit der Mutter machte sie sich schön für einen Kindergeburtstag, »ganz in Weiß mit breiter roter Schärpe, halb Prinzessin, halb Köchin«, wobei Fontane lachend meinte, sie werde die Prinzessin wohl vorziehen. (2. ‌11. ‌1868)2

Da die Zukunft einer Tochter ungewisser war als die eines Sohnes, fassten die Eltern den Plan, Martha nach London in die Obhut ihrer Patin Martha Merington zu geben. Es sei »ein wohlüberlebter und wohlgereifter Entschluß«, versicherte Fontane seiner alten Freundin Mathilde von Rohr. »Da wir unsren Kindern sonst nichts hinterlassen können«, sei Sprachkenntnis ein Kapital, von dem sie später zehren könne.3 Emilie brachte die Tochter persönlich nach England. Daß sie die Zehnjährige ohne Skrupel weggab, kann auch als Zeichen dafür gelten, daß ihr der Sechspersonenhaushalt über den Kopf wuchs. Sie war wochenlang krank gewesen und froh, ab Ostern 1870 ein Kind weniger versorgen zu müssen. Die befreundete Emily Merington freute sich auf die Kleine, die zur Spielgefährtin ihrer gleichaltrigen Tochter wurde. »Daß Mete so einschlägt, ist mir eine besondere Freude, sie ist ein apartes Kind, in gewissem Sinne ein Angstkind; alles wird davon abhängen, in welche Hände sie gerät«, schrieb Fontane der Gastmutter. Das Wort vom »Angstkind« fiel hier zum ersten Mal. Es sollte sich als prophetisch erweisen. Martha war sehr sensibel, man sah und spürte förmlich, wie sie alles in sich aufnahm und einsog, wie sie mit wachem Blick Menschen und Dinge beobachtete und überdachte. Der Vater hatte Angst um sie.

Kurz bevor Mutter und Tochter nach England reisten, hatte Fontane nach langer Arbeitslosigkeit endlich eine passende Anstellung bei der konservativen Kreuzzeitung erhalten. Niemand war darüber so glücklich wie die sorgende Hausfrau, die nach Jahren des finanziellen Mangels endlich mit einem geregelten Einkommen rechnen konnte. Doch welcher Schock, als sie aus England zurückkam und erfuhr, daß Fontane die Stelle gekündigt hatte, um in Zukunft als freier Schriftsteller Geld zu verdienen. Die Nachricht war niederschmetternd. Emilie war nicht die Frau, einen solchen Wahnsinn ruhig hinzunehmen – sie war außer sich. Der Streit hielt wochenlang vor und war so bedrückend, daß Fontane Fräulein von Rohr um Vermittlung bat.

Er war ungemein fleißig, arbeitete am dritten Band der Wanderungen durch die Mark Brandenburg und zugleich an seinem Kriegsbuch mit dem Titel Wanderungen durch Frankreich. Als er bei einer Erkundungsfahrt als »Spion« in französische Gefangenschaft geriet, wobei ihn erst eine diplomatische Intervention Bismarcks vor der Erschießung rettete, fügte er dem Text einen sehr privaten Ausspruch hinzu – die geheime Liebeserklärung an die Tochter. Er sah, als Gefängnisinsasse auf die brennenden Holzscheite des Kamins blickend, »die großen klugen Augen meines Lieblings« vor sich.4 Dieser ihr allein gewidmete, zugleich wehmütige und liebevolle Satz machte auf Martha, als sie ihn mit freudigem Erstaunen las, den größten Eindruck. Sie war ungeheuer stolz und zukünftig bereit, der schönen Vorstellung des Vaters unbedingt zu entsprechen.

Nach einjährigem Aufenthalt in London, der sie sprachlich zu einer perfekten kleinen Engländerin machte, kehrte die elfjährige Martha nach Berlin zurück. Emilie scheint, als sie ihre Tochter vor sich sah, von ihrem Aussehen enttäuscht gewesen zu sein. Fontane antwortete ihr am 8. Mai 1871 aus Metz: »Grüße mir meinen Liebling. Wenn sie nicht schön wird (eine Hoffnung, die man nun wohl aufgeben muß), muß es auch so gehen.« Die Vorstellung, daß die einzige Tochter »nicht schön wird«, muß für die Mutter eine bittere Pille gewesen sein. Der Vater sah die Sache indessen mit heiterer Gelassenheit. Bei einer Frau spiele doch etwas anderes eine viel wichtigere Rolle, meinte er, nämlich die Liebe.

3.

Nach Marthas Heimkehr aus England zog Familie Fontane erneut um, und zwar in ein Mietshaus, das in der Potsdamer Straße 134 ‌c nahe dem Landwehrkanal stand und Eigentum des Johanniterordens war. Die Vierzimmerwohnung mit einem sogenannten »Berliner Zimmer« lag im dritten Stock, was in der guten Gesellschaft als wenig feine Adresse galt. Man richtete sich den Umständen entsprechend ein. Der wichtigste Raum war das Arbeitszimmer des Schriftstellers, das laut Martha bewacht werden mußte »wie der Eingang zur Unterwelt«. Es war ausgerüstet mit einem sehr großen Schreibtisch, welchen Fontane seinem Freund Wilhelm Lübke abgekauft hatte, einer Lampe mit grünem Schirm, einer antiken Familienuhr, friderizianischen Stichen und Marmorbüsten auf den Bücherschränken. Sohn Friedrich hat später ein anschauliches Bild der väterlichen Einrichtung überliefert. Das Grün der Arbeitslampe galt nicht nur als augenschonend, es hieß auch, ihr Licht übe eine positive Wirkung aus. Für Martha bedeuteten Lampe und Schreibtisch Heimat und Geborgenheit.

Sie besuchte seit ihrer Rückkehr eine private Mädchenschule, in der sie mühelos mitkam und in Schulkameradin Marie Schreiner ihre beste Freundin fand. »Mir war es die schönste Zeit meines Lebens«, erklärte sie später. (17. ‌5. ‌1906) An einem Nachmittag in der Woche ging sie überdies zu zwei älteren Damen, den Schwestern Albrecht, die ihr in gemeinsamer Lektüre klassische Dramen, Shakespeares Hamlet, Lessings Emilia Galotti und Goethes Faust nahebrachten. Mit fünfzehn Jahren erhielt sie zusammen mit den Brüdern Tanzunterricht, voll Stolz erlebte sie mit dem neunzehnjährigen Theo ihren ersten Ball. In einem Brief an Mathilde von Rohr entwarf Fontane ein liebevolles Familienporträt. »Im Nebenzimmer – die Tür weit offen – sitzen Frau und drei Kinder: George, Theo und Martha, und spielen Whist, ein Spiel, für das sie alle vier eine mir unbegreifliche Vorliebe haben.« Währenddessen hatte Fontane eine Stelle angenommen, die ihm wie auf den Leib geschrieben schien: Er wurde Theaterkritiker bei der Vossischen Zeitung, eine Aufgabe, die seinen Fähigkeiten entsprach und außerdem – kein unwesentlicher Punkt – ein kleines, aber festes Einkommen bedeutete. Leben konnte man davon allerdings nicht, so daß er einmal sarkastisch meinte: »Aber die guten Herren glauben immer, daß wenn sie einem das Salz aufs Brot bezahlen, sie hätten einen königlich belohnt.« (21. ‌7. ‌1884) Sein Platz im Königlichen Schauspielhaus auf dem Gendarmenmarkt war der Eckplatz Nr. 23. In den zwanzig Jahren zwischen 1876 und 1896 hat Fontane für die »Vossische« rund 800 Rezensionen verfaßt.5

Martha war sechzehn, als eine glückliche Nachricht die Familie bewegte: dem Vater war endlich eine feste Anstellung an der Akademie der Künste angeboten worden, eine Tätigkeit, von der die unter dem notorischen Geldmangel leidende Mutter mit Recht annahm, daß sie seinen Vorstellungen aufs schönste entsprach. Sie sah sich durch diesen erfreulichen Schritt endgültig ihrer Sorgen enthoben. Doch schon nach drei Monaten erschütterte die Hiobsbotschaft das Familiengefüge: Fontane hatte seine Stelle wiederum aus freien Stücken gekündigt! Der Streit im Hause muß fürchterlich gewesen sein. Die verärgerten Briefe des gescholtenen Ehemannes an seine aufgebrachte Ehefrau sind erhalten geblieben und bezeugen die erbitterte Auseinandersetzung. »Meine liebe Frau … Du reizt mich bis aufs Blut und wunderst Dich hinterher, wenn ich heftig und bitter werde …« Sie sei doch wohl nicht so tief gesunken, daß sie ihr Glück »nach der Zahl der Geldrollen« bemesse. Empört vermerkte er, in welchem Paradies sie bei ihm lebe. »Du bist eine durch Deinen Mann, Deine Kinder, Deinen Lebensgang und Deine Lebensstellung unendlich bevorzugte Frau. Es gibt wenige, die es so gut getroffen haben.« An Selbstbewußtsein schien es ihm nicht zu mangeln. Ihre vordringliche Aufgabe sei es, ihn »schwimmfähig zu erhalten« und ihn zu unterstützen, anstatt ihn mit der Faust niederzudrücken. (15. ‌8. ‌1876).

Seine Zurechtweisungen mußten Emilie empören. Schließlich hatte er nicht irgendeine untergeordnete Stelle gekündigt, sondern das Amt des Ersten Sekretärs der Königlichen Akademie der Künste zu Berlin verschmäht, eine Position, die ihm unter dem Präsidenten Anton von Werner ein gutes Auskommen und eine ehrenvolle Beamtenstellung auf Lebenszeit eingebracht hätte! Mit einem einzigen Federstrich setzte er die finanzielle Grundlage der Familie aufs Spiel! Dennoch war er nicht gesonnen, sich länger zu verteidigen. Solche Auseinandersetzungen lähmten ihn bei der Arbeit und änderten nichts. Fontane war um Aussöhnung bemüht. »Ich erwarte Dich mit alter Liebe, die ich immer für Dich in meinem Herzen habe, auch wenn ich Dir die bittersten Dinge sage … Denn die Zuneigung ist etwas Rätselvolles, die mit der Gutheißung dessen, was der andre tut, in keinem notwendigen Zusammenhange steht«, schrieb er, nachdem Emilie im Zorn abgereist war. »Du wirst, bei Deiner Rückkehr, mir gleich zeigen können, ob ich noch wieder auf friedliche, glückliche Tage rechnen kann oder nicht.« Ob auch ihr glückliche Tage beschieden sein würden, schien nicht von Bedeutung. »Egoistisch bin ich, aber nicht lieblos«, merkte er freimütig an.

Liebenswürdig war er. Doch diesmal empörte sich Emilie mit Recht über die einsame Entscheidung des Gatten, der es nicht für nötig hielt, sie überhaupt von seiner Entscheidung in Kenntnis zu setzen. Davon gänzlich unberührt, vertrat der Dichter seine eigene Meinung. Aus den Ferien in Thale schrieb er: »Ich kann mir nicht helfen, ich finde Geld, so lange man genug zu bescheiden-anständigem Leben hat, gleichgültig; selbst die unzweifelhafte Machtstellung, die es gibt, imponiert mir nicht.« (12. ‌6. ‌1884)

Auch Mathilde von Rohr erfuhr von seinem Ärger. Bei ihr, der neun Jahre älteren Freundin, konnte er immer auf Verständnis hoffen. Emilie sei im Streit abgereist, schrieb er – über ihren Charakter herrsche indes kein Zweifel. »Sie wäre eine vorzügliche Prediger- oder Beamtenfrau in einer gut und sicher dotierten Stelle geworden; auf eine Schriftstellerexistenz … ist sie nicht eingerichtet«, und leider besitze sie nicht die Gabe, ihm als Ertrinkendem »ihre Hand rettend unterzuschieben«, sondern lege sie ihm »wie einen Stein auf meine Schulter«. Die »Geldfrage« sei ein Unglück. Wäre er reich, wäre alles anders, zumal Emilie eigentlich große Vorzüge habe »und in vielen Stücken vorzüglich zu mir paßt«. (22. ‌8. ‌1876)

Mathilde von Rohr war Fontanes Vertrauensperson und Ratgeberin. Bei niemandem sonst konnte er sich so rückhaltlos äußern. Die Bekanntschaft mit ihr war durch Freund Bernhard von Lepel entstanden zu einer Zeit, als Fräulein von Rohr noch in der Behrenstraße einen literarischen Zirkel führte. Auch nachdem sie als Stiftsdame in das mecklenburgische Kloster Dobbertin eingezogen war, blieb die Freundschaft bestehen. Oft schon hatte er von ihren Kenntnissen und vielfältigen Beziehungen zu den umliegenden Schloß- und Gutsbesitzern profitiert: »Ein Dutzend der lesbarsten Kapitel in meinen Wanderungen verdanke ich ihrem nie rastenden Eifer«, bestätigte er, »den Stoff zu meinem kleinen Roman Schach von Wuthenow habe ich mit allen Details von ihr erhalten.« Ihre Gestalt findet sich im Stechlin als Domina des Klosters Wutz, eine poetisch verklärte Version des Klosters Dobbertin, in dem er und seine Tochter die »glücklichsten Plauderstunden« verbrachten. Emilie werde mit der Zeit ruhiger werden, versicherte er ihr: »Es ist ganz und gar eine Geldfrage.«

Die Szenen, die sich zwischen den Eltern abspielten, blieben der Tochter nicht verborgen. Sie war bei Wittes in Rostock zu Besuch, als der Vater sie schriftlich ins Vertrauen zog. »Meine liebe süße Mete« – eine solche Anrede machte sie glücklich. »Übrigens werden wieder heitere Tage kommen; das Schlimmste, so hoff ich wenigstens, liegt hinter mir. Du wirst schon wissen, worauf sich dies bezieht …« Martha wußte sehr wohl, worum es ging. Im Ehestreit suchte der Vater Unterstützung bei ihr. Sie begriff aber auch, daß fast jeder Konflikt zu seinen Gunsten endete. Eine Ehefrau war vom Mann abhängig, ihr waren die Hände gebunden. Es war beachtlich, mit welcher Beherrschung die Mutter sich seine Vorwürfe gefallen ließ. Allerdings versicherte Bruder Theo später, der Vater habe es immer verstanden, sie nach jedem Zwist von seiner Zuneigung zu überzeugen, »denn er war im Grunde eine liebenswürdige Natur«.6

4.

Im März 1878 wurde Martha Fontane achtzehn Jahre alt. Im April hatte sie ihre Ausbildung zur Lehrerin an Mittleren und Höheren Lehranstalten beendet, aber auch vorher schon Frau Clara im Haushalt unterstützt und die Stockhausen-Kinder betreut. Nun würde ihr aus der Tätigkeit als Haustöchterchen eine echte Aufgabe erwachsen! Fontane fand seine Mete nicht nur intelligent, sondern auch nett anzusehen, eine hübsche Gestalt, begabt mit viel Humor und noch mehr Verstand. Und was die Zukunft betraf, so gab es über die nächste Zeit hinaus bereits eine erfreuliche Perspektive: Martha war so gut wie verlobt. Noch wurde das Ereignis mit keinem Wort erwähnt, denn die Sache war heimlich und ohne elterliches Zutun vor sich gegangen, doch man wußte, daß sie schon lange mit einem jungen Mann befreundet war, der sie an sich binden wollte, sobald die Zeit gekommen war. Im Grunde konnte man mit dieser Wahl zufrieden sein. Rudolph Schreiner, einziger Sohn des Stadtschulrats Otto Schreiner und seiner Frau Marie, stammte aus einer ordentlichen und anständigen Familie. Zwar hätte Fontane sich einen etwas interessanteren Jüngling zum Schwiegersohn gewünscht als diesen unentschlossen wirkenden jungen Mann; doch wie dem auch sei, man würde sich mit ihm arrangieren. An Marthas Seite, da konnte man sicher sein, würde auch der zögernde Rudolph beruflich reüssieren.

Von Eheschließungen war ohnehin im Hause immer häufiger die Rede. Nach und nach wurden Marthas Freundinnen zu Bräuten. Fontane hatte ihr nach Rostock die gedruckte Anzeige von Freundin Milly Rütgers geschickt, die ihre Verlobung mit Secondeleutnant Freiherr von Gagern bekanntgab, nicht ohne einen scherzhaften Kommentar: »Lies die vorstehende Anzeige mit so wenig Neid wie möglich«, vielleicht werde sie, Mete, ja einen Grafen heiraten. Nichts war schlimmer, als eine unverheiratete Tochter im Haus zu haben, die den Eltern auf der Tasche lag.

Theodor Fontane sah die Post durch – wieder kein Brief von Mete, die sich immer noch bei Wittes und deren Tochter Lise befand. Friedrich und Anna Witte waren seine besten Freunde. Sie besaßen nicht nur eine große Villa in Rostocks vornehmster Gegend, sondern nahmen auch regelmäßig seine Mete mit nach Warnemünde, wo Direktor Witte den Bau eines eigenen Ferienhauses plante. Fontane hatte den Freund 1845 in der polnischen Apotheke von Dr. Schacht in Berlin kennengelernt, in die Witte als Lehrling eintrat, anschließend Chemie und Pharmazie studierte und es im Gegensatz zu seinem Apothekerkollegen, dem armen Dichter Fontane, zu einigem Wohlstand brachte. In Rostock leitete Friedrich Witte ein erfolgreiches pharmazeutisches Unternehmen, das Coffein und Pepsin herstellte, begehrte Heilmittel, die zu einem wachsenden Umsatz beitrugen und sein Vermögen Jahr um Jahr vergrößerten. Der Freund hatte die Revolution von 1848 in Berlin nicht nur miterlebt, sondern auch lebhaft begrüßt, danach aber, ebenso wie Fontane, die politische Richtung geändert. Als Anhänger Bismarcks ging er in die Politik, wurde 1878 von den Nationalliberalen in den Reichstag gewählt und übernahm damit eine Aufgabe, die ihn oft von Rostock nach Berlin und zu den Fontanes in die Potsdamer Straße führte. Witte war mit der Tochter jenes Berliner Apothekers Dr. Schacht verheiratet, der den jungen Lehrling einst freundlich betreut hatte. Anna Schacht war nach Fontanes Meinung eine Persönlichkeit, die Güte mit Witz und Originalität vereinte; von ihr war seine Martha ebenso herzlich aufgenommen worden wie von der zwei Jahre älteren Tochter Lise, so daß die beiden Mädchen schier unzertrennlich schienen.

Von der Gastfreundschaft der Wittes, dem Schwimmen in der Ostsee und dem Zusammensein mit Lise schwärmte Martha jedesmal aufs neue. Nirgendwo auf der Welt konnte es schöner sein! Auf ihren Freudenruf hatte der Vater gutgelaunt geantwortet: »Übrigens, meine süße Mete, vergiß beim Baden nicht, daß Du eine Erdgeborene bist und trotz unserer Herkunft aus dem südlichen Frankreich nicht von den Lusignan's stammst, aus denen die ›schöne Melusine‹ entsproß … Wolle also nicht zu sehr ›mermaid‹ sein und halte dich im Seh- und Stimmbereich mecklenburgischer Badefrauen.« (26. ‌6. ‌1878) Die Gestalt der Meerjungfrau Melusine, südfranzösischen Ursprungs und aus der altadligen Familie der Lusignans stammend, wie er gern betonte, war ein Thema, das den Dichter faszinierte, bis er die geheimnisvolle Meerfee dann in seinem letzten Roman, dem Stechlin, in aristokratisch-verführerischer Gestalt anschaulich verkörperte.

Fontane wartete nun schon seit etlichen Tagen auf Marthas Heimkehr oder doch wenigstens auf eine Nachricht von ihrer Rückreise. »Keine Zeile von Mete«, schrieb er an Emilie. Das war nicht erfreulich, schließlich stand ein Abschied bevor, der ihnen nicht leichtfallen würde: Stockhausens waren im Begriff, Berlin zu verlassen – und mit ihnen Mete.

Der Königlich-Württembergische Kammersänger Julius Stockhausen war als Dirigent des Sternschen Gesangvereins, der in Schinkels Singakademie Unter den Linden »Hinter dem Kastanienwäldchen« tagte, vor zwei Jahren nach Berlin berufen worden. Als bedeutender Interpret des deutschen Kunstliedes hatte sich der Zweiundfünfzigjährige weithin einen Namen gemacht. Seine Ehefrau Clara aus der wohlhabenden Hamburger Familie Toberentz, bedeutend jünger als er, war die Mutter der Kinder Emanuel, Margarethe und Friedrich, zu denen vor einem Jahr noch ein Sohn hinzugekommen war, Johannes Theodor, so genannt nach ihm, Theodor Fontane, den man zum Paten erwählte, und zur Ehre von Johannes Brahms, dem Freund der Familie.

Es hatte sich aber herausgestellt, daß der große Sänger sich durch musikalische wie menschliche Unduldsamkeit Feinde gemacht und man ihm nahelegt hatte, seinen Posten beim Sternschen Gesangverein aufzukündigen und sich eine neue Tätigkeit zu suchen. In Frankfurt am Main war ihm am Hoch'schen Konservatorium eine Lehrtätigkeit angeboten worden. »In wenigen Tagen verlassen wir Berlin«, hatte Stockhausen seinem Freund Johannes Brahms unglücklich nach Wien gemeldet. »Die große Stadt, in der ich zu sterben hoffte, hat keinen geeigneten Platz für mich …« (6. ‌7. ‌1878)7

Zwischen Emilie Fontane und Clara Stockhausen wurde vereinbart, daß Martha den Umzug nach Frankfurt mitmachen und sich um die vier Kinder kümmern sollte, ein Vorschlag, dem sie bereitwillig zugestimmt hatte. »Mete freut sich sehr zu Ihnen«, hatte Emilie Clara Stockhausen versichert. Noch sei sie bei Freunden in Warnemünde, »wo sie im Unterrichten und Schwimmen ihre Befriedigung findet«, werde aber rechtzeitig zurückkehren, »damit sie vom 1. September an Ihres Winkes gewärtig sein kann«. Vorsorglich machte die Mutter eine sonderbare Anmerkung über Marthas Charakter. »Mete hat, trotz mancher störenden Eigenschaften, einen Vorzug, und schon von jüngster Kindheit, sie versteht sich zu accomodieren, am glänzendsten hat sie diese Eigenschaft als 11jähriges Mädchen in London in dem Meringtonschen Hause bewährt.« (21. ‌7. ‌1878) Über Marthas »störende Eigenschaften« hatte bisher nur sie sich geärgert, dem Vater war Mete liebevoll und bereitwillig erschienen. Frau Stockhausen war in jeder Hinsicht froh, beim Einzug in der ungeliebten Stadt eine Hilfskraft zur Hand zu haben. Beide Frauen konnten nicht ahnen, daß ausgerechnet die so beliebte Martha ihre Freundschaft auf eine harte Probe stellen würde.