Über Matthias Heine

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Matthias Heine, 1961 in Kassel geboren, hat in Braunschweig Germanistik und Geschichte studiert. Seit 1992 ist er Journalist in Berlin, hat u.a. für Die Welt, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, taz, BZ, den Cicero, Neon und Theater heute geschrieben und Radiobeiträge für den NDR und SFB/RBB produziert. Seit 2010 ist er Kulturredakteur der Welt. Zuletzt erschienen von ihm bei Hoffmann und Campe »Seit wann hat ›geil‹ nichts mehr mit Sex zu tun? 100 deutsche Wörter und ihre erstaunlichen Karrieren« (2016) und »Letzter Schultag in Kaiser­Wilhelmsland. Wie der Erste Weltkrieg die deutsche Sprache für immer veränderte« (2018).

Das Verhältnis zwischen Mensch und Tier war über viele Jahrtausende eine Sache von Leben und Tod. Am Anfang hieß es: Beute machen oder Beute sein. Die ersten Künstler in den Höhlen von Altamira oder Lascaux wählten Tiere als Motive. Das heißt: Sie hatten eigentlich gar keine Wahl, sondern ihre Kunst entstand überhaupt erst aus dem Versuch, animalische Widersacher und Jagdtiere mit Bildern zu bannen.

Später, als viele Tiere domestiziert waren, oder sich – wie Ratten, Wanzen und Katzen – auf unterschiedliche Weisen als Kulturfolger in menschliche Häuser eingenistet hatten, lebten Menschen auf engstem Raum mit ihrem Vieh, ihren Haustieren und ihren Plagegeistern zusammen. Die Trennung von Ställen und Zimmern, dann gar von Ställen und Menschenhäusern ist eine relativ junge Errungenschaft der menschlichen Zivilisation. Wenn wir manchmal von Katzenmuttis und anderen Verwirrten lesen, die in ihren Wohnungen eine maßlose Menge von Tieren halten, dann berührt uns das unangenehm, weil solche von Gestank, Dreck und Parasiten geprägten Verhältnisse früher Alltag

Das 19. Jahrhundert mit seiner Urbanisierung und das 20. Jahrhundert mit dem Aufkommen der industrialisierten Landwirtschaft haben zu einer großen Entfremdung und Distanzierung zwischen Mensch und Tier geführt. Recht spät, als schon längst nicht mehr selbstverständlich jeder Deutsche Schweine, Kühe oder Hühner aus eigener Anschauung kannte, verschwanden auch die Pferde zumindest aus den Städten. Dafür kamen Tiere in die Wohnungen, die es dort vorher nicht gegeben hatte, jedenfalls nicht in Deutschland: Hamster, Wellensittiche, Reptilien. Und bei einigen Arten änderte sich das Verhältnis zum Menschen fundamental: Mäuse oder Hasen wurden jetzt weniger als Schädlinge oder jagdbares Wild wahrgenommen, sondern eher als lebendes Spielzeug für den Käfig im Kinderzimmer.

Als ich anfing, zu schreiben, dachte ich, aufgrund jener Distanz wären in der neueren Zeit weniger Redensarten und Wörter mit Bezug zur Tierwelt entstanden, als in den Jahrhunderten, die noch stärker von Bauern und Jägern geprägt waren. Diese Theorie hat sich nicht bestätigt. Auch im 20. Jahrhundert dehnte sich das Tierreich der Sprache aus – der Ponyhof, der das Leben nicht ist, die Wanze, mit der man abhört, der angeblich so stinkende Pumakäfig und

Der Aal ist ein Fettfisch; bis zu 30 Prozent seiner Körpermasse können aus Fett bestehen. Der hohe Fettanteil muss den Aalen das Überleben auf der langen gefahrvollen Reise aus den Binnengewässern über die Flüsse zu ihren Laichgründen in der Sargassosee im Westatlantik sichern, denn wenn sie sich im Herbst auf den Weg machen, hören sie auf zu fressen, die Verdauungsorgane und der After verschwinden und an ihrer Stelle füllen Geschlechtsorgane die ganze Leibeshöhle aus.

Gerade der hohe Fettanteil machte den Aal in früheren Zeiten, als Kalorien noch keine Belastung, sondern kostbarer, den Hunger stillender Brennstoff waren, zum wichtigen Speisefisch. Die Stadt Lübeck ernannte deshalb im 15. Jahrhundert einen Aalherrn. Das war ein Mitglied des Rates, das den städtischen Aalfang am Hüxterdamm beaufsichtigte.

Wie man sich den Aalfang vorzustellen hat, glaubt jeder zu wissen, der Günter Grass’ Roman »Die Blechtrommel« gelesen oder den Film von Volker Schlöndorff gesehen hat: Dort werden die Aale mit Pferdeköpfen geangelt, die man nachts in der Weichsel auslegt und in die die Tiere sich

Der Aal ist nicht glitschiger als andere Fische, aber der Anblick der sich schlängelnden glänzenden Tiere erweckt den Eindruck besonderer Glätte. Schon bei den Römern war der Aal Inbegriff des listigen Menschen, der sich aus Schwierigkeiten herauswindet. In Plautus’ Komödie »Pseudolus«, die 191 v. Chr. uraufgeführt wurde, heißt es: »Anguilla est: elabitur« (Er ist ein Aal, er entwischt). Und im fünften Akt von Goethes »Faust II« brüsten sich die Pulcinelle, die weißen Clowns, ihrer Fähigkeit, »durch Drang und Menge aalgleich zu schlüpfen«. Wer sich windet wie ein Aal will sich aus einer peinlichen Lage herausschlängeln; so steht es schon bei Walther von der Vogelweide: »Der sich dem man wint ûz der hant reht als ein âl.«

Das Wort aalglatt existiert seit Mitte des 19. Jahrhunderts, und von Anfang an ist es mit einem moralischen

Freundlicher ist das Verb aalen, das früher schlicht bedeutete: »Aale fangen« oder »eine verschlammte Röhre reinigen, indem man einen Aal an einem Strick durchzieht oder ihn lebendig durchschlüpfen lässt«. Seit der zweiten Hälfte

Woher kannten die Germanen Affen? In den südostniedersächsischen Gebieten, in denen mittlerweile die Urheimat der Germanen vermutet wird, gab es diese Tiere ja nicht. Trotzdem ist das Wort in vielen germanischen Sprachen vertreten, etwa im Altsächsischen als apo und im Altnordischen als api, im Englischen existiert es bis heute als ape, womit ein großer Menschenaffe gemeint ist, im Original war Tarzan »Lord of the apes«.

Bekanntlich sind die Germanen in den Jahrhunderten nach Christi Geburt ziemlich viel herumgekommen – als Söldner im römischen Heer oder als Eroberer, die sich römisches Reichsgebiet aneigneten. Die Goten verschlug es bis nach Spanien, die Vandalen bis nach Nordafrika. Von dort irgendwo könnten Germanen die Tiere und das Wort dafür in den Norden gebracht haben. Eine andere Theorie geht davon aus, dass reisende Kaufleute die Germanen mit dem Tier bekannt gemacht haben. Eine der vielen Spekulationen über den dunklen Ursprung von Affe ist, dass es aus einem semitischen Wort entstanden ist, dass auch im Altindischen als kapi existierte. Bei der Entlehnung aus dem Arabischen

Die Eigenschaften des Affen haben schon früh Übertragungen auf den Menschen provoziert, auch wenn affig im Sinne von »albern, geziert« erst im 19. Jahrhundert in der Berlinischen Mundart auftaucht. Schon im Mittelhochdeutschen ist Affe gleichbedeutend mit Narr in Zusammensetzungen wie affentanz, affenwort, affenzeit. Es gibt auch bereits das Wort äffen in den Bedeutungen »zum Narren werden« oder »zum Narren machen«. In letzterem Sinne hat es Heinrich Heine gebraucht, als er in seinem wütenden berühmten politischen Gedicht die schlesischen Weber singen ließ: »Ein Fluch dem Gotte, zu dem wir gebeten / In Winterskälte und Hungersnöten; / Wir haben vergebens gehofft und geharrt, / Er hat uns geäfft und gefoppt und genarrt.«

In unserer Zeit ist davon nur noch nachäffen im Sinne von »nachmachen« übrig geblieben, das möglicherweise – wie so vieles – von Luther erfunden wurde. Jedenfalls taucht es in der substantivierten Form »das teuffelische nachaffen« bei ihm in den Tischreden auf. Es ist eventuell eine volksetymologische Umdeutung für das ältere nachäfern – »wiederholen«, das mit Affen gar nichts zu tun hatte, sondern mit der alten Bedeutung »wieder« von aber/afer zusammenhängt.

Für jemanden, der aus eigener Schuld zum Narren wird, sagen wir heute eher Er macht sich zum Affen. Wolf Biermann verbindet das wieder mit äffen: »Der aufrechte Gang

Einen Affen nennt man seit dem 18. Jahrhundert einen Alkoholrausch, vermutlich weil sich Betrunkene nicht selten wie Affen gebärden. Ähnliche Entwicklungen gibt es auch im Italienischen und Spanischen. Als Bezeichnung für einen Tornister in der älteren Soldatensprache leitet sich Affe vom Fellbezug her und davon, dass man diesen Gegenstand wie einen Affen auf der Schulter trug.

Die Kunst besteht darin, auch mit einem Affen auf dem Rücken noch eine affenartige Geschwindigkeit zu entwickeln. Das gelang den Preußen im Preußisch-Österreichischen Krieg 1866 recht gut. In der Wiener »Presse« kommentierte August Krawani am 18. Juni 1866 Nachrichten vom raschen Vormarsch des Feindes im Norden: »Die Preußen entwickeln überhaupt eine affenartige Beweglichkeit.« Zwei Wochen später waren die Österreicher in der Schlacht bei Königgrätz besiegt. Die Preußen griffen den Wiener Spott gerne auf und machten sich etwa im »Kladderadatsch« lustig, sie verfügten nicht nur über »affenartige Beweglichkeit«, sondern auch über »froschartige Kaltblütigkeit«, »hasenartige Schnelligkeit« usw. In der Umgangssprache ist daraus dann die affenartige Geschwindigkeit geworden.

Mit Affen kannten sich die Österreicher tatsächlich besser aus als die Preußen. Sie hatten ihre Anschauungen aus den Affentheatern gewonnen, von denen es in der k.u.k. Monarchie offenbar einige gab. Darin führten dressierte Affen Kunststückchen vor. 1819 berichtet ein Korrespondent der

Eine übertriebene Liebe bezeichnet man seit um 1600 als Affenliebe, so spricht etwa der lutherische Prediger Johann Schreiter 1617 von der Affenliebe des Papsttums zu seinen Irrlehren. Häufiger taucht das Wort schon damals in Erziehungsratgebern auf, wo die Eltern davor gewarnt werden, eine für alle Fehler blind machende Affenliebe für ihre Kinder zu hegen. Goethe schreibt in einem Brief von 1819, er habe »einen mehr als jährigen Enkel, den ich mit großväterlicher Affenliebe, die größer als der Eltern seyn soll, für das allerliebste Geschöpf von der Welt halte«.

In vielen Verbindungen ist Affe ein bloßes, ziemlich sinnentleertes Steigerungspräfix. So wurde aus Zahn, das seit den zwanziger Jahren »Geschwindigkeit« bedeuten konnte, weil in frühen Autos und Flugzeugen die Geschwindigkeit mit einem Zahnrad geregelt wurde, im Laufe der Fünfziger der

Affenschande nennen wir seit dem 19. Jahrhundert etwas, für das sich selbst die notorisch schamlosen Affen schämen würden. Das Wort lässt sich erstmals nachweisen in einer am 14. September 1835 erschienenen Rezension des religionsskeptischen Romans »Wally, die Zweiflerin« von Karl Gutzkow. Über dessen Gesinnung flucht der Kritiker Wolfgang Menzel im »Literaturblatt« des »Morgenblattes für die gebildeten Stände«: »Herr Gutzkow hat es über sich genommen, diese französische Affenschande, die im Arme von Metzen Gott lästert, auf’s Neue nach Deutschland überzupflanzen, in einem Zeitalter, das Gott sey Dank gereifter und männlicher ist, als das Jahrhundert Voltaires.«

Der Bär ist das einzige Raubtier, das zumindest gelegentlich auf zwei Beinen steht. Das hat schon die Jäger in der frühesten Steinzeitepoche, dem Paläolithikum, auf die Idee gebracht, der Bär könne ein dem Menschen verwandter Dämon sein oder ein gottartiges Wesen, dem gegenüber es nicht nur praktische Vorsicht – um nicht gefressen zu werden – an den Tag zu legen gelte, sondern auch spirituelle Achtsamkeit. Überall in Eurasien lassen sich Spuren eines uralten religiösen Bärenkults nachweisen. Bei den westsibirischen obugrischen Völkern, den Chanten und Mansen, wird der Bär bis heute als Totemtier verehrt. Diese Indigenen leiten ihre Herkunft von einem Bären ab, einem Sohn des Himmelsgottes, der auf die Erde kam und sich dort eine Frau nahm.

Bei den Obugriern unterliegt alles, was mit dem Bären zu tun hat, einem sprachlichen Tabu. Das göttliche Tier wird »der Alte aus dem Wald« oder »alter Liebling« genannt, auch seine Körperteile und Gewohnheiten benennt man lieber indirekt, das Vokabular der Tabuwörter umfasst 360 Ausdrücke. Harald Haarmann schreibt in seinem Buch »Auf den Spuren der Indoeuropäer«: »In den frühen

Solche Hüllwörter für den Bären gab es auch im Deutschen. Wer Johann Christoph Adelungs »Grammatisch-kritisches Wörterbuch« von 1774 aufschlägt, ahnt heute nicht mehr, dass der Familienname von dessen Verleger Breitkopf auf einen Ausdruck für den Bären zurückgeht, ebenso der Name Breithaupt.

Die Faszination für den Bären hat eine Menge Redensarten inspiriert, die entweder auf seine Stärke oder vermeintliche Plumpheit anspielen. Auch der Anblick der elenden Tanzbären, die von zwielichtigen Gesellen herumgeschleift wurden, schlug sich in der Sprache nieder. Die meisten dieser Wendungen sind aus der Mode gekommen, seitdem schon Ende des 17. Jahrhunderts im Harz und 1835 in Bayern die letzten deutschen Braunbären erschossen worden sind: ein ungeleckter Bär für »ein ungehobelter Geselle«, den Bären machen für »zu niedrigen Diensten missbraucht werden«, dem Bären ins Ohr blasen für »unter Lebensgefahr die Wahrheit aussprechen«, es ist ihm noch kein Bär in den Weg gekommen für »er weiß nichts von Anfechtung«.

Noch in Gebrauch ist bärbeißig mit der Bedeutung »brummig, unfreundlich«. 1693 in Christian Weises Rhetorik-Lehrbuch »Der freimütige und höfliche Redner« taucht es erstmals auf, mit der von heute leicht abweichenden Bedeutung »bissig, frech«. Dort steht der Ratschlag für den Konfliktfall:

Komplizierter ist der Ursprung der Redensart jemandem einen Bären aufbinden. Ursprünglich meinte einen Bären anbinden seit dem 17. Jahrhundert »Schulden machen«. Bei Johann Balthasar Schupp heißt es 1663 über einen Hallodri: »Du hast ansehnlich gereiset / durchs gantze Schlauraffenland / und in allen Weinkellern / Bubenwinckeln / wol gar Käuchen und Narrenhäuseln / deines Namens Gedächtnus hinterlassen; manchen Bären angebunden / manchen Affen gefangen / manche Sau gehetzet / Füchs geschossen / Hasen agirt.« Dem liegt das missverstandene mitteldeutsche und niederdeutsche Wort Bere, Bäre zugrunde, das »Abgabe« bedeutet und im Mittelhochdeutschen sogar in der Form bern vorkommt.

Möglicherweise hat einen Bären anbinden dann schon bald zusätzlich die Bedeutung »schwindeln« angenommen, weil man beim Schuldenmachen so viel lügen muss. So schreibt Grimmelshausen im »Simplicissimus« 1668 über Menschen, die so gutgläubig waren, »dass ich ihnen, wenn ich nur aufschneiden wollen, seltsame Bären hätte anbinden können«. Und Johann Beer lässt 1680 den Helden seines Roman »Jucundi Jucundissimi Wunderliche Lebens-Beschreibung« sich über die Tochter eines Wirts entsetzen, die dieser dem Helden als Ehefrau andrehen wollte: »Dann da wurden

Einen Bären aufbinden im heutigen Sinne ist offenbar jünger. Es lässt sich nicht vor dem späten 18. Jahrhundert nachweisen. Dann aber findet es sich bei Wieland und anderen.

Noch um 1800 kann laut Adelung einen Bären anbinden sowohl »Schulden machen« als auch »weismachen« bedeuten. Doch wurde anbinden, wenn vom Schwindeln die Rede war, immer häufiger durch aufbinden ersetzt, vermutlich, um den Doppelsinn zu vermeiden und klarzumachen, was eigentlich gemeint ist.

Eindeutiger ist die Überlieferungslage beim Bärendienst. Die Bedeutung »Handlung, die in guter Absicht erfolgt und trotzdem schlechte Folgen hat« geht wohl auf die Fabel »L’ours et l’amateur des jardins« (deutsch: »Der Bär und der Gartenfreund«) von Jean de La Fontaine aus dem späten 17. Jahrhundert zurück, die im 18. Jahrhundert ins Deutsche übersetzt wurde. Darin hat ein Greis, der einsam im Wald lebt, sich mit einem Bären angefreundet. Eines Tages will der Bär eine Fliege, die sich auf dem Gesicht des schlafenden alten Mannes niedergelassen hat, verjagen und wirft einen Pflasterstein nach ihr. Zwar trifft er genau, aber er zerschmettert dem Freund damit den Kopf. Moral: »Nichts

Der erzählerische Kern der Fabel ist viel älter, La Fontaine hat sie dem »Panchatantra« entnommen, einer indischen Sammlung moralischer Tiergeschichten aus dem 6. Jahrhundert nach Christus. Eine persische Fassung der Sammlung hatte der Orientalist Gilbert Gaulmin 1644 ins Französische übersetzt. Im Deutschen lässt sich das Wort Bärendienst allerdings erst 1875 nachweisen. Das spricht dafür, dass nicht irgendwelche mittelalterlichen Vorstellungen, sondern La Fontaines Fabel der Ursprung des Ausdrucks war, der auch in vielen nord- und osteuropäischen Sprachen vorkommt. Die Macher des Grimm’schen Wörterbuchs vermuten, Bärendienst sei eine Entlehnung aus dem Russischen nach medweschna usluga, denn dieses ist älter und geht auf eine sehr populäre Version der La-Fontaine’schen Fabel zurück, die Iwan Andrejewitsch Krylow gedichtet hat.

Ziemlich eindeutig ist die Lage auch bei faul auf der Bärenhaut liegen für »durch Nichtstun verderben«. Anfang des 15. Jahrhunderts wurde die »Germania« des römischen Historikers Tacitus entdeckt, die mittels eines einzigen Exemplars in der Abtei Hersfeld die Zeiten überdauert hatte. Um 1500 nutzten Humanisten wie Ulrich von Hutten das Buch zur Konstruktion eines Germanenmythos, der die Vorfahren der Deutschen als kriegerisch und frei verherrlichte. Das passte auch zur allgemeinen Rom-Skepsis der reformatorischen Epoche.

Im Kapitel 15 der »Germania« heißt es über den

Bevor man auf der Bärenhaut liegen kann, muss man sie aber erst mal fleißig erjagen oder wenigstens kaufen. Hier tut sich ein Abgrund an Betrug und Jägerlatein auf. Schwankgeschichten von Taugenichtsen, die das Fell eines Tieres verkauften, das sie noch gar nicht hatten, existieren seit uralten Zeiten in vielen Ländern. Schon bei den Römern wurde gewarnt, man solle nicht priusquam mactaris, excorias – »schinden, bevor man geschlachtet hat«. Im Deutschen spottet Thomas Murner 1512 über Priester, die »hondt die

Gewissermaßen am anderen Ende der Zeitskala, die bis zu Germanen und Römern zurückreicht, steht der Bär als Idealbild in der Mythologie gegenwärtiger Schwuler: Bär heißt hier ein meist in Leder gewandeter Typ von Mann, der mit stämmiger Figur und kräftiger Behaarung nicht nur im Gesicht die Blicke auf sich zieht. Deshalb nennt sich eine Kneipe im alten Ost-Berliner Schwulenviertel Prenzlauer Berg »Bärenhöhle«. Diese Bären sind das Gegenbild zur effeminierten Tunte, aber auch zum jungen knabenhaften Schwulen. Obwohl es derartige Vorlieben natürlich schon immer unter deutschen Homosexuellen gegeben hat, sind die Szene und der Begriff dafür aus den USA, genauer aus San Francisco importiert, wo seit 1987 ein »Bear Magazine« erscheint, dessen Herausgeber Richard Bulger als großer Popularisierer des Ausdrucks bear gilt. Sein Urheber war möglicherweise der Journalist George Mazzei, der 1979 in einem Artikel für »The Advocate«, das älteste Homosexuellenmagazin der USA, unter dem Titel »Who’s Who in the Zoo?« Schwule in sieben verschiedene Tierarten einteilte, darunter auch bears.

Die Biene ist eine unserer ältesten Bekannten. Sie ist das erste Insekt, mit dessen Lebensweise sich Menschen genauer beschäftigt haben. Denn Honig schätzt man seit etwa 13000 Jahren. Bei der Gewinnung dieses süßen Naturstoffs muss zwischen frühem Honigsuchen und späterem Honigsammeln unterschieden werden. Anfangs wurde der Honig einfach aus den Nestern der Wildbienen geholt, die man immer wieder neu suchen musste. Doch dann lernten die Menschen, wilde Bienen in Baumhöhlen anzusiedeln. Dort produzierten sie den Honig unter menschlicher Kontrolle. Für diese Waldimkerei gab es im Deutschen das Verb zeideln, das heute nur noch im Familiennamen Zeidler lebt.

Das Zeideln lohnte sich, seit sich nach der letzten Eiszeit überall in Europa die Bedingungen für Blütenpflanzen verbessert hatten. Die bevorzugten Bäume der Honigbienen – die Linde und die Eiche – verbreiteten sich damals in der eurasischen Waldsteppe, in der sich frühe Indoeuropäer und frühe uralische Völker begegneten. Die Wörter meksi »Biene«, medhu »Honig« und wosko oder wokso gehören zur ältesten Schicht der indogermanischen Sprachen; die

Die Unermüdlichkeit, mit der die Bienen schwärmen und winzige Nektartröpfchen zum Stock bringen, hat schon früh dazu geführt, dass man sie als Inbegriff des Fleißes ansah. Allerdings galt das in der Antike, in der Arbeit etwas für Sklaven war, das den Vornehmen schändete, nicht immer als etwas Positives: Demokritos verabscheute Bienen und verglich sie mit dem Geizigen. Beide arbeiteten, als ob sie ewig leben würden. Die Biene wird hier zum Schreckbild des seelenlosen Menschen, der nur noch für die Arbeit lebt, so wie es in der Moderne der Roboter geworden ist.

Nachdem das Christentum spätestens durch die mönchische Parole ora et labora die Arbeit geheiligt hatte, betrachtete man den Bienenfleiß und die geheimnisvolle Organisation des Bienenstaats fast nur noch mit Sympathie und Dankbarkeit. Im Lorcher Bienensegen aus dem 10. Jahrhundert werden die Bienen in einer rheinfränkischen Variante des Althochdeutschen als verständige Partnerwesen angeredet: »Kirst, imbi ist hûcze / Nû fliuc dû, vihu mînaz, hera / Fridu frôno in munt godes / gisunt heim zi comonne.« (Christ, der Bienenschwarm ist hier draußen! / Nun fliegt, ihr meine Bienen, kommt. / Im Frieden des Herrn, unter dem Schutz Gottes / kommt gesund zurück.) Und auch im Grimm’schen Märchen von der Bienenkönigin sind die Insekten verständige und dankbare Partner: Die Königin hilft dem jüngsten, dümmsten, aber rücksichtsvollsten von

In vielen Städtewappen steht die Biene für Fleiß. Napoleon machte daraus ein regelrechtes Propagandastilmittel und zeichnete »gute Städte des französischen Imperiums« mit drei Bienen aus. Auf vielen französischen Wappen wurden in der napoleonischen Zeit die bourbonischen Lilien durch Bienen ersetzt. Doch die Biene als Symbol ist natürlich kein exklusiver Besitz Frankreichs. Wer aufmerksam die Portale von deutschen Schulen aus der Gründerzeit und dem frühen 20. Jahrhundert betrachtet, wird dort häufig in Stein gemeißelte Bienen entdecken, die den Schülern als Vorbild an Fleiß und Untertanentreue präsentiert wurden.

In solchen Schulen wurden aber noch keine Bienchen oder Fleißbienchen als Auszeichnungen für vorbildliche Leistungen in die Mitteilungshefte gestempelt, obwohl sich ähnliche Hefte bereits 1838 an einer Berliner höheren Töchterschule nachweisen lassen und sicher auch anderswo existierten. Die Wörter Bienenfleiß und bienenfleißig nutzte man ebenfalls schon im 19. Jahrhundert. Und Wilhelm Raabe nennt in seiner letzten vollendeten Erzählung »Halstenbeck« 1898 ein Findelkind, das sich im Pfarrhaushalt zu einer besonders fleißigen jungen Frau entwickelt, das »Bienchen von

Biene oder Filzbiene war in der Sprache der Soldaten, wandernden Handwerker, Landstreicher oder Bettler auch ein Hüllwort für Läuse. 1916 nennt ein humoristisches Gedicht in einer Soldatenzeitung die an der Westfront allgegenwärtige Laus Schützengraben-Biene. Ich habe diese Bedeutung erst durch den Roman »Madita« kennengelernt, der wie fast alle Bücher Astrid Lindgrens von Anna-Liese Kornitzky übersetzt wurde. Hier fängt sich die Titelheldin, die aus einem wohlhabenden Haus stammt, die »Bienchen« bei der armen Mia ein, die in ihre Klasse geht. Als das Dienstmädchen Alva die beiden entlaust, werden die Kinder, die sich früher oft geprügelt haben, endgültig Freunde. Das Buch spielt zur Zeit des Ersten Weltkriegs (alle Anspielungen darauf wurden in der deutschen Fassung getilgt) und die 1909 geborene Übersetzerin hat 1961, als »Madita« hierzulande herauskam, möglicherweise ganz bewusst ein Wort aus ihrer Kindheit gewählt.