LUSTVOLLE ABSURDITÄTEN UND ERNSTHAFTE REALITÄTEN

Der Autor, Josef Nossek, wurde in der ehemaligen Slowakei 1941 als Sohn einer Jüdin und eines katholischen Sudetendeutschen geboren. Ein nicht gerade verheißungsvoller Beginn. Er studierte an der Karls Universität in Prag Slawistik, Englisch und Sport. Nach dem Studium flüchtete er vor kommunistischen Repressalien nach Israel. Dort nahm er aktiv am Sechs-Tage-Krieg 1967 teil. Anschließend unterrichtete er an diversen Schulen des Landes und betrieb ein Institut für Fitness und Rehabilitation.

Im Jahr 1970 eröffnete Josef Nossek ein Fitness Institut in Frankfurt. Als nächste Station seines beruflichen Lebens folgte das Lehramt für Englisch, Russisch und Sport.

An der Johann Wolfgang Goethe Universität studierte er Biomechanik und belegte mehrere Kurse in Anglistik.

In den 80er Jahren war er als Entwicklungshelfer in Nigeria tätig. Dort verfasste er diverse Fachliteraturen. Ferner erstellte er Lernposter und editierte eine Fachzeitschrift.

Nach der Pensionierung begann er sehr erfolgreich mit Acrylmalerei und verwirklichte sich als Galerist. Im Jahr 2016 wurde seine Autobiografie 'Kopf Über' veröffentlicht.

Der Regen hörte auf.

Ich gehe den Weg entlang,

der mit Blumen übersät ist.

Sonst befindet sich nur Staub unter meinen Füßen.

Das bedeutet nichts.

Wichtig ist der Weg!

INHALTSVERZEICHNIS

LUSTVOLLE ABSURDITÄTEN

Wertvolle Tropfen

Das Bank-Drama

Jeder Mann ein Star

Fett muss Weg

Muss es ein Käfig sein?

Das Wüsten-Schiff

Wir begrüßen die Außerirdischen

Zerstörte Vision

Das Leben Verkehrt Herum

Der Schamane

Dreizack

Du sollst nicht töten!

Siebenmal Sonne

Schwöre!

Ecce homo

Im Erdkunde Kabinett

ERNSTHAFTE REALITÄTEN

Die Pioniere der Lüfte

Vom Urknall bis heute

Die Söhne Abrahams

Kann man eine vollkommene Gesellschaft schaffen

Glück nach Maß

Über das Lesen

Die Sprachen sterben aus

Die schönsten Tage

Kunst im Auge des Betrachters

Herr Alleine

Haben Hunde Seelen?

Silberner Tsunami

Zerbrechliche Blume

Offline?

Schneller, Ausdauernder

Kannst du Dich erinnern?

Zum Abendbrot gibt es Milben auf Knoblauch

Ode auf die Nächstenliebe

Quellenverzeichnis

Lustvolle Absurditäten

WERTVOLLE TROPFEN

Meinem Blick eröffnet sich ein beklemmender, länglicher Raum mit gewölbter Decke, an der sich Neonröhren befinden, die den Raum nur notdürftig beleuchten. Die Lichtquellen beginnen zu knistern und zu flackern. Das matte Licht illuminiert Konturen von Gestalten, die sich in einer langen Schlange nur schleppend nach vorne bewegen. Ich befinde mich am Ende der Reihe. Man hört nur stumpfes Schlurfen der Füße, das gedämpft und fast rhythmisch klingt. Die Rücken der Geschöpfe sind leicht nach vorne gebeugt, als ob sie eine schwere Bürde trügen. Ich sehe die massigen Nacken und kahle Köpfe, die teilnahmslos und in Demut ihr Verdikt erwarten.

Endlich stehe ich vor einem großen Schreibtisch mit matt glänzender Oberfläche. Dort sitzt mit dem Rücken zu mir eine mächtige Erscheinung, offensichtlich ein Würdenträger. Das blasse, unbewegte Gesicht des Sitzenden dreht sich kurz zu mir und schaut mich teilnahmslos mit seinen wässrigen Augen an. Ich kenne diese Visage, kann mich jedoch nicht entsinnen woher, hebe die Flasche und achte ängstlich darauf, dass nichts aus schwappt.

Draußen tauche ich in die Stille des Wintertages ein. Ein eisiger Lufthauch dringt durch meinen Körper. Ich hülle mich tiefer in meinen grauen Mantel, unter dem ich die Flasche krampfhaft halte. Lautlos fällt der Schnee in kleinen weißen Flocken auf mich herab und ich spüre, wie die Eiskristalle auf meiner Haut schmelzen.

Langsam bewege ich mich zu der nahe liegenden Straßen-Bahnhaltestelle.

Angekommen überlege ich angestrengt, wie viele Tropfen aus der Flasche wohl die Fahrkarte kosten würde. Ich kann das Problem nicht lösen. Die Menschen um mich schauen gelangweilt, teilnahmslos – sie vermitteln den Eindruck der Selbstsicherheit.

Ich entscheide mich weiterzugehen. Eine dunkle Straße liegt wie ein tiefschwarzes Band vor mir, nur Laternen am Rand weisen mir mit ihrem trüben Licht den Weg. Fast wäre ich auf dem Eis unter meinen Füßen ausgerutscht, es kam mir vor, als warte es nur spiegelglatt auf sein nächstes Opfer. Schweiß gebadet, jedoch darauf vorbereitet, dass etwas über mich herfällt, atme ich tief ein und versuche schneller zu gehen.

Aber wohin führt der Weg?

Die Verzweiflung übermannt mich. Nur nicht die wertvolle Flüssigkeit aus der Flasche vergießen!

Die düstere Apokalypse ist vorbei. Ich wache auf, krampfhaft einen Zipfel meiner Decke haltend.

DAS BANK-DRAMA

Im Park saß auf einer Bank ein blasser Mann, der bei näherem Hinschauen einen sehr nervösen Eindruck machte. Seine Beine vibrierten, er schaute unruhig um sich.

Da kam zu der Bank ein anderer Mann, der einen aus-geglichenen Eindruck vermittelte. Seine sanftmütigen, klaren Augen strahlten Klugheit aus. Es schien, als ob sich darin im Laufe seines Lebens die Weisheit angesammelt hätte.

Dieser kluge Kopf fragte höflich: „Entschuldigen Sie, darf ich mich zu Ihnen setzen?“

Der neurotisch wirkende Mann antwortete sehr unfreundlich: „Überall sind leere Bänke. Würden Sie mir einen Gefallen tun und gefälligst mit einer anderen Bank vorlieb nehmen? Denn ich möchte alleine sein.“

Der kluge Kopf lächelte freundlich: „Ein Mensch, der an einem so schönen Tag alleine sein möchte, durchlebt mit Sicherheit ein psychisches Tief. Er darf nicht alleine gelassen werden.“

„Was machen Sie da?“, rief der Neurotiker wütend.

„Ich setze mich. Ich sehe in die Tiefe Ihrer Seele. Sie sind ein unglücklicher Mensch.“

„Jetzt schon“, erwiderte mürrisch der Sitzende.

„Nein“, sagte entschlossen der kluge Kopf. „Sie waren schon vor meinem Kommen ein betrübter Mensch. Ein betrübter Mann inmitten einer blühenden Natur. Das muss wohl einen Grund haben.“

„Ich möchte nur alleine sein“, flüsterte der Neurotiker mit weinerlicher Stimme.

„Ich beobachte Sie schon eine Weile, wie Sie mit Ihren Beinen wippen.“

„Mein Wippen geht Sie nichts an!“

Der kluge Kopf lächelte freundlich: „Ein klarer Fall eines labilen Einzelgängers. Ein Mensch, der an einem so schönen Tag inmitten einer blühenden Natur alleine sein möchte, durchlebt ein seelisches Tief. Er kann nicht alleine gelassen werden.“

„Ich möchte aber alleine sein“, erwiderte der Neurotiker wehleidig.

„Das kenne ich. Sobald ich weggehe, erhängen Sie sich mit Ihrem Gürtel am nächsten Baum.“

„Ich habe keinen Gürtel“, piepste verzweifelt der Neurotiker.

„Da sehen Sie, wenn Sie einen Gürtel hätten, wären Sie nicht mehr am Leben.“

„Ich möchte Sie bitten…“

„Sie brauchen mich nicht bitten, ich helfe gerne. Wie ich Sie so einschätze, verbirgt sich hinter Ihrem Elend eine Frau. Das sind die Frauen nicht wert! Die eine geht und die andere kommt. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie schwer man eine gute Frau findet.“

Der Neurotiker meinte bissig: „Sie haben es ja leichter, Sie bequatschen doch jede“.

Der kluge Kopf sagte gutmütig: „Ich habe eine liebevolle Frau. Unsere Beziehung ist perfekt. Man könnte darüber einen Liebesroman schreiben.

Lesen Sie viel?“, fragte er neugierig.

„Lesen?“, fragte der Neurotiker zerstreut.

„Ja, mögen Sie Kriminalromane?“

„Herrgott, was schwätze ich hier. Warum sitze ich hier noch mit Ihnen? Sie können mir den Buckel runterrutschen.“

„Sehen Sie, das sind typische Reaktionen eines unglücklichen Individuums. Wenn ich Sie jetzt alleine lasse, Ruckzuck springen Sie von einer Brücke.“

„Ich möchte nur in Ruhe gelassen werden“, antwortete der Neurotiker mit zittriger Stimme.

„So, wie Sie zittern und nervös um sich schauen, handelt es sich sicherlich um eine Frau, die nicht zur Verabredung gekommen ist?“

„Wieso wissen Sie das?“, fragte der Neurotiker argwöhnisch.

„Nun, in diesem Fall haben Sie zwei Möglichkeiten. Ent-weder Sie blasen Trübsal und bleiben unglücklich oder Sie vergessen die ganze Geschichte und nach einer gewissen Zeit wird kein Hahn mehr danach krähen. Ich rate zu der zweiten Alternative.“

„Also das Krähen…“

„Sehen Sie, nun kommt die Farbe allmählich in Ihr Gesicht zurück. Ich glaube, man kann sie alleine lassen. Ich hoffe, sie machen keine Dummheiten. Also Sonne, Blumen und vielleicht ein leckeres Eis. Kein Aufhängen oder von der Brücke Springen. Nur genüsslich auf der Bank sitzen.“

Beim Weggehen drehte sich der kluge Kopf noch um und meinte: „Ein Liedchen anstimmen würde Ihnen auch nicht schaden.“

Da hörte er hinter sich eine unsichere, unmelodische Stimme singen: „Hoch auf dem gelben Wagen…“ Plötzlich erschien eine attraktive Frau vor der Bank und fauchte den Mann an. „Was quatschst du hier?“, fragte sie außer Atem und verlangte einen Kuss.

„Wo warst du? Ich warte hier schon eine halbe Stunde“, entgegnete der Neurotiker vorwurfsvoll.

„Im Gebüsch“, antwortete die Schönheit. „Der Kerl, mit dem du dich gerade so ewig lange unterhalten hast - das war mein Mann!“

Bei gleicher Umgebung lebt doch jeder in einer anderen Weit.

Arthur Schopenhauer

JEDER MANN EIN STAR

Dr. Männle saß am Schreibtisch seiner Heiratsagentur und beobachtete konzentriert, wie sich eine Fliege über die unausgefüllten Fragebogen hin und her bewegte und abwechselnd ihr Vorder- und Hinterbeinchen aneinander rieb.

Plötzlich flog die Tür auf und eine energische, hübsche Blondine bahnte sich unbeirrt ihren Weg zu ihm. Ihr voluminöser Busen und ihre ausladende Hüften wippten im Takt. Im Raum verbreitete sich sofort ein Erdbeerduft.

Sie beugte sich bedrohlich über den Schreibtisch und stellte sich barsch vor: „Frau Dr. Kraft von der Kreisverwaltung. Bei Ihnen sollen Unregelmäßigkeiten Vorkommen!“

Dr. Männle erwiderte unsicher: „Ich habe keine Ahnung, was Sie damit meinen.“

„Sie vermitteln unter der Hand gute Partien“, sagte Frau Dr. Kraft streng. „Ich sehe nur ein ausgefülltes Formular auf Ihrem Tisch.“

„Der Tag ist noch jung“, meinte Dr. Männle. „Heute werden Renten ausgezahlt, vielleicht kommt noch ein Interessent und schließt einen Vertrag ab.“

„Was? Sie vermitteln Rentner?“, sagte die hübsche Blondine entgeistert.

„Rüstige Rentner sind sehr gefragt“, erklärte der Heiratsvermittler. „Sie haben ein festes Einkommen, sind treue Partner und das gute Klima bei uns in Deutschland tut ein Übriges für ein langes gesundes und harmonisches Zusammenleben.“

Die resolute Frau Dr. Kraft plumpste auf den Stuhl Visasvis des Heiratsvermittlers, sodass ihr Busen wieder stark wippte. Sie bemächtigte sich eines Fragebogens, der vor Dr. Männle lag und begann zu lesen: „Alter 38, Größe 1,50, eigenes Häuschen“.

„Ein bisschen zu klein, wenn Sie mich fragen“, meinte Frau Dr. Kraft. „Seine Wunschkandidatin soll wie Sophia Loren in ihren jungen Jahren aussehen, einen neuen Porsche fahren und eine Villa besitzen.

Bei einer Quote von 7 zu 3 Frauen auf einen Mann ist eine erfolgreiche Vermittlung äußerst schwierig“, erläuterte leise Dr. Männle.

„Was verstecken Sie unter diesen Fragebogen auf Ihrem Schreibtisch?“, fragte Dr. Kraft siegessicher. „Also doch Vermittlung unter der Hand?“ Zögerlich holte er das Papier hervor und meinte: „Dieser Bewerber klingt auf den ersten Blick positiv“, kommentierte der Heiratsvermittler. „Er ist 36 Jahre alt 1,80 groß, braune lockige Haare, braune Augen nur leider zahlt er für 5 Kinder Alimente und saß schon dreimal im Bau.“

„In diesem Fragebogen haben Sie zwei handgeschriebene Anmerkungen gemacht. Verstecken Sie doch etwas vor dem Auge des Gesetzes?“, fragte Frau Dr. Kraft mit Nachdruck.

„Ach, dieser Herr humpelt stark und lispelt“, erwiderte betrübt Dr. Männle. „Aber er erklärte, wenn er einige Gläser Bier getrunken hätte, würde er fast verständlich sprechen. Deshalb sollte seine Zukünftige etwas mit Bierbrauerei zu tun haben oder wenigstens eine Kneipenbesitzerin sein. So könnte er Freibier haben.“

Dr. Männle kramte kurz in einer Schublade seines Schreibtisches und fischte noch ein ausgefülltes Formular heraus. „Diesen Vertrag unterschrieb ein junger vor Kraft strotzender Bursche unter der Chiffre: ‚Bauer sucht Frau‘. Er wünscht sich eine stattliche Frau, die zupacken kann. Als Schweinezüchter sucht er eine Partnerin, die auch Schweineställe ausmisten und durchweg anpacken kann. Frische Luft wäre garantiert.“

„Das ist schrecklich, Sie vermitteln 80-jährige, Humpelnde und Lispelnde, Verbrecher und Schweinezüchter. Die armen Frauen tun mir leid“, wisperte die blonde Schönheit resigniert.

Ihre strengen Gesichtszüge wurden weicher, ihre himmelblauen Augen feucht. „Ich bin kein Doktor und komme auch nicht von einer Behörde.

Ich suche nur einen passenden Mann für mich. Haben Sie sonst niemand geeigneten?“

„Eine resolute Frau, die weiß was sie will, imponiert mir. Mir fällt da doch noch jemand ein, … vielleicht könnte ich mich selbst anbieten“, gab unsicher der Heiratsvermittler von sich.

Die Dame pustete ihre blonde Locke aus dem Gesicht, schlug mit der Faust auf den Tisch und rief kompromisslos: „Was hockst du hier noch untätig herum, lauf los zum Standesamt und bestelle das Aufgebot!“

FETT MUSS WEG

Abmagerungskuren sind verschiedenartig, haben jedoch eine gemeinsame Zielsetzung: Sie geben dem Körper die ursprüngliche menschliche Form und der Seele Freude und Leichtigkeit eines fliegenden Schmetterlings zurück.

Zum Erreichen dieses Zieles verlangt man von fettleibigen Individuen eine unnachgiebige Disziplin, da Leckereien bekanntlich überall lauern.

Nur die Gurus der gesunden Ernährung spazieren mit dem erhobenen Haupt eines schlanken Asketen an den Verlockungen von Eisbein, Currywurst mit Pommes und Majo oder Sahnetorte vorbei.

Andererseits beobachten wir fettleibige Genussmenschen, die sich mit lautem Schmatzen an fetttriefenden, ungesunden Speisen vergnügen. Immer öfter wird ein solcher übergewichtiger Genießer erleuchtet und sehnt sich nach einer schlanken, elastischen Figur. Ein solches Individuum ist dann sogar dazu bereit, für dieses Ideal alles zu absolvieren, sogar eine drastische Kur in einem Sanatorium. Die strengsten Diäten dort erinnern an Arbeitslager des sowjetischen Regimes.

Die dicklichen Strafgefangenen der Sanatorien werden durch fanatisches Gesundheitspersonal verfolgt. Jedes Krümelchen Brot, welches nicht zum Diätplan gehört, wird rigoros verboten. Nachts hört man aus den Sanatoriums-Zellen das Heulen der hungrigen Insassen.

Jedoch auch in dieser Hölle entstehen zwischenmenschliche Beziehungen. An die Tür des Büros der Chefärztin des ‚Luft‘-Sanatoriums klopfte es resolut an.

Zwei dicke Patienten, eine Frau und ein Mann, wurden von einer stattlichen Pflegerin unsanft hereingeschubst.

„Ich melde gehorsamst, Frau Chefarzt, ich habe sie dabei erwischt“, sagte sie freudig erregt.

Die Chefärztin schaute sie mit einem stechenden Blick an. Auf dem Schreibtisch, an dem sie saß, stand eine Bronzeskulptur, die einen geheilten Patienten darstellte, der über sein Knie eine Stange Salami brach. Die Skulptur diente als Briefbeschwerer. Das Motiv lehnte sich an eine Statue vor einer orthopädischen Klinik an, wo ein geheilter Patient eine Krücke über seinem Knie zerbrach.

„Wo?“, fragte die Chefärztin mit kühler Stimme.

„Auf der Bank!“, rief die Pflegerin begeistert. „Direkt dabei.“

Der dickliche Mann stand vor der Chefärztin wie ein Häufchen Unglück, den Blick auf den Boden gerichtet. Man konnte einen stillen Seufzer hören.

„Na, na, na! Spielen Sie hier Theater?“, rief die Aufseherin in der Kluft einer Krankenschwester ungehalten.

Die Chefärztin schaute die niedergeschlagenen, jämmerlichen Delinquenten mit unwirschem Blick an. „Das hätten Sie sich früher überlegen sollen, Herr Kummer. Was glauben Sie, würde zu diesem Vorfall Ihre Familie sagen? Glauben Sie, dass Sie Ihre Frau mit offenen Armen begrüßt, wenn sie das alles erfährt?“.

Herr Kummer schwieg schuldbewusst. „Na, wird sie oder wird sie nicht?“, schrie die Wächterin in Schwesternkluft.

„Das wird sie nicht“, erwiderte leise der dicke Patient.

„Darauf können Sie Gift nehmen“, zischte die resolute Pflegerin.

„Und Sie, Frau Feinschmecker, schämen Sie sich nicht? Was würde dazu wohl Ihr Mann sagen?“, fragte die Chefärztin vorwurfsvoll.

Das hübsche, runde Gesicht mit Stupsnase der übergewichtigen Patientin wurde weiß, ihr dickes Kinn zitterte. Sie schniefte geräuschvoll in ihr Taschentuch, dann schluchzte sie und fing an leise zu weinen.

„Heulen ist das einzige, was Sie danach können“, meinte die resolute Schwester erbarmungslos.

Die Chefärztin schaute die gebrochenen, jämmerlichen Angeklagten mit mürrischem Blick an und sagte: „Die Heilung der Fettleibigkeit bedeutet keineswegs Sanatoriums Freuden zu haben. Also, wo ist es passiert, im Park?“

„Im Park auf einer Bank, wo alle Patienten vorbeilaufen“, sagte die Schwester angeekelt.

„Wie weit waren die beiden, als Sie sie erwischt haben?“, fragte die Chefärztin.

„Ich musste zwischen sie springen“, rief die Wächterin in Schwesternkluft. „Sie sahen nichts, sie hörten nichts, sie schnauften und schmatzten nur.“

„Sie meinte, dass ich ihr sympathisch bin … und dass, es hier wie im Kloster ist und so Sachen, … dass wir uns irgendwo abseits auf einer Bank treffen könnten“, stotterte unsicher flüsternd Herr Kummer.

„Pfui Teufel!“, erleichterte sich die Chefärztin. „Jeder wiegt über 140 Kilo. Was hat Euch nur dazu getrieben?“

„Ferkel!“, schrie die Schwester verachtungsvoll.

„Das ist nicht wahr, Heinrich“, stöhnte Frau Feinschmecker, „das war deine Idee mit der Bank an der Mauer.“

„Ha, Sie duzen sich. Wenn sich Patienten duzen, dann steckt was dahinter“, prophezeite die Schwester.

„Nur aus professioneller Neugier: Wie haben Sie das auf der Bank getrieben? Das kann ich mir gar nicht vorstellen“, sagte die Leiterin der Institution.

„Hier, Herr Kummer hielt seine Verlockung direkt vor ihren Mund“, sagte die Schwester rachsüchtig. „Ich sprang gerade im letzten Augenblick zwischen die beiden.“

„Also oral“, meinte die Chefärztin.

„Darauf können Sie Ihren Kopf verwetten, oral“, sagte die Krankenschwester hasserfüllt.

„Und das in aller Öffentlichkeit!“, erwiderte die Chefin angeekelt.

„Ja, in aller Öffentlichkeit!“ Dabei fischte die Schwester einen angeknabberten Buttercroissant aus der Tasche ihres weißen Kittels und legte ihn auf den Schreibtisch.

„Was ist das?“, fragte die Chefärztin. „Ist das die Verlockung?“

„Ja, das ist das Corpus Delicti, oder nur noch das, was davon übriggeblieben ist“, sagte die Schwester rachsüchtig. „Dabei haben sie geschmatzt und große Stücke mit Vergnügen hinuntergewürgt“.

Die Chefärztin schüttelte verständnislos ihren Kopf. „Wir sprechen uns später“, meinte sie.

Die dicke Frau Feinschmecker verließ schluchzend das Büro. Herr Kummer drehte sich beim Hinausgehen um. „Frau Doktor“, fragte er leise.

„Ja, bitte“, sagte die Ärztin düster.

„Was gibt es heute zum Mittagsessen?“

„Raus!“, schrie die Chefärztin, während die Schwester den bronzenen Briefbeschwerer nach ihm warf.

Es sind die süßen Nahrungsmittel, die uns das Leben sauer machen.

MUSS ES EIN KÄFIG SEIN?

Ich muss mich von Menschen erholen, ich gehe in den Zoo.

Paul Mommertz

In Frankfurt am Main findet man einen großen Zoo, der von Prof. Grzimek ins Leben gerufen wurde. Man sagt, er wäre einer der besten in der Welt. Da ich ein großer Fan dieser Einrichtungen bin, verbrachte ich unlängst einen ganzen Tag in diesem sogenannten Zoo.

Die Eindrücke in den Zoologischen Gärten eignen sich sehr gut für Erwachsene, für eine Weile die tägliche Realität zu vergessen.

Haben Sie sich zum Beispiel eine Giraffe von der Nähe mal richtig angeschaut? Sie ist ein wirklich besonderes Wesen. Sollte ich trotz aller meiner Vergehen mich irgendwann im Himmel befinden, würde ich unter anderem nach Giraffen fragen.

Ein Mädchen, das im Zoo neben mir stand, fragte seine Mutter: „Warum ist dieses Tier auf der Welt?“ Dieselbe Frage stellte ich mir auch. Die Mutter wusste es auch nicht. Weiß es die Giraffe, warum sie da ist? Will sie es überhaupt wissen? Denkt sie eigentlich über ihre Stellung in der Ordnung der Dinge nach? Die Giraffe hat eine fast 70 cm lange, schwarze Zunge und keine Stimmbänder. Deshalb kann sie uns nichts darüber mitteilen. Sie 'girafft' nur so vor sich her.

Außer diesen langhalsigen Exemplaren sah ich noch vielerlei andere exotische Viecher. Nehmen Sie zum Beispiel die putzigen Stachelschweine. Das sind besondere Exemplare, denn ein Männchen lebt lebenslang treu mit seinen angetrauten Weibchen zusammen. Auch außerhalb der Käfige.

Ein gelangweilter stattlicher Orang-Utan sah genauso wie mein Bekannter Fritz aus. Angeblich gehört er auch in den Zoo. Jedenfalls behauptet das seine Frau. Übrigens gehören Orang-Utans zu der aussterbenden Gattung.

Das bringt mich auf den Gedanken: Wie wäre es, wenn man in Zoologischen Gärten auch Menschen zeigen würde? Darüber dachte ich nach, als ich Löwen betrachtete, den majestätischen Herrn Löwe und seine geschmeidigen Löwendamen. Ihr Leben im Zoo sieht sehr angenehm aus. Die Löwen sind so fruchtbar, dass man die Löwinnen mit einem Präventionsring ausstatten muss. Und so machen die Löwen gar nichts anderes, als fressen, schlafen, Läuse fangen und sich dem Sex - ohne Folgen – zu widmen. Der Zoo versorgt sie mit Futter, Unterkunft, ärztlicher Betreuung, Altersrente und Ausgaben für das Begräbnis.

Menschen betonen, dass wir die einzigen denkenden, tiefsinnigen Gattungen sind. Aber die Wissenschaft stellte fest, dass noch viele besondere Spezies bisher nicht genügend erforscht sind. Ich möchte mich diesbezüglich zur Verfügung stellen. Wenn man mich im Zoo irgendwann gebrauchen könnte, würde ich es versuchen.

Jedenfalls komme ich in Frage, da ich zu der Kategorie der gefährdeten Arten gehöre. Und mein Leben zu untersuchen, das ist bestimmt nicht ohne.

Stellen Sie sich vor, Sie gehen mit ihren Kindern entlang eines großen, bequemen Käfigs, verdreckt nur mit leeren Bierflaschen und Resten eines Hamburgers. Überbleibsel meiner letzten Mahlzeit. Und dort in der Sonne mache ich ein Nickerchen. Um mich herum posieren sechs Schönheiten. Ein Kind zeigt mit dem Fingerchen auf mich und sagt: „Warum ist er da?“ Ich gähne gelangweilt, öffne ein Auge und sage: „Das ist doch egal“.

Ja, im Zoo schweifen die Gedanken außerhalb der Realität. Ein Löwe, eine Giraffe, ein Stachelschwein und andere Spezies existieren, ohne sich Fragen über ihre Existenz stellen zu müssen. Es geht ihnen gut in ihren Käfigen.

Jedoch Mensch zu sein, bedeutet Wissen, sich zu interessieren und zu hinterfragen. Es bedeutet am Gitter der Existenz zu rütteln und in den Himmel zu brüllen: „Warum das alles?“, und mit den Antworten, die mit dem Echo zurückkommen, Gefängnisse und Paläste bauen. Aus diesem Grunde ist ein Zoo ein schöner Platz für einen gelegentlichen Besuch, doch leben möchte ich dort nicht.

Der Zoo lebt in und von Gefangenschaften, spiegelt also den Menschen.

Raymond Walden