Das Pegasosgen

Velludo

 

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von Eve Grass

 

 

 

 

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Erste Auflage 2019

© Eve Grass

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Covergestaltung: Verlag der Schatten

© Bilder: Fotolia hywards (DNA), Svetlana Ivanova

(Silhouetten Pferd), jan stopka (Drachenflügel), depositphotos DrPAS (Silhouette Velludo), yyanng (Flügel Velludo),

© Bild Pegasos: depositphotos melory, diversepixel

Lektorat: Verlag der Schatten

© Verlag der Schatten, D-74594 Kressberg-Mariäkappel

ISBN: 978-3-946381-72-3

 

 

 

»Velludo entwickelt sich zu einem der seltenen Urväter der Rasse. Das erklärt auch sein eigenartiges Verhalten. …«

(Abdai bin Nuhr)

 

Gab es tatsächlich mächtige fliegende Pferde, die mit einem Reiter auf dem Rücken durch die Luft glitten, oder sind diese sogenannten Urväter der Rasse nur ein Mythos?

 

Über ein Jahr ist seit der Geburt des geflügelten Hengstfohlens Velludo vergangen und noch ahnen nur Wenige, dass aus dem einst dem Tod geweihten Tier ein riesiges fliegendes Pferd werden wird, das die Welt komplett auf den Kopf stellen könnte. Damit dies nicht passiert, soll Velludo ins Rif Gebirge nach Marokko umziehen, wo er geschützt vor neugierigen Augen seine Bahnen am Himmel ziehen kann. Doch Rike ist dagegen und begibt sich mit dem Hengst auf eine waghalsige Flucht, die ihr das Leben kosten könnte.

 

Band 2 des erfolgreichen Romans »Das Pegasosgen« von Eve Grass lässt euch nicht nur tief in die Probleme blicken, die die Existenz eines solchen Wesens mit sich bringen könnte, sondern auch in die Seele der fliegenden Pferde, denn diese sind ganz anders als die Pferde, die ihr kennt. Werden sie einst den Himmel wieder bevölkern?

 

»Wir Menschen haben nicht das Recht dazu, solche majestätischen Tiere in dunklen Ställen zu verstecken, nur weil wir Angst davor haben, sie könnten einen Teil der Welt für sich beanspruchen.« (Rike Bauer)

 

Inhalt

 

 

 

Prolog

2017, in den Dünen der Coto de Doñana

 

Teil I

2015, September in der Sierra Grazalema

1940, Sierra Nevada (José erzählt)

2015, September in der Sierra Grazalema

1940, Sierra Nevada (José erzählt weiter)

Zur selben Zeit im Palacio Real El Pardo in Madrid

Einige Tage später in Prado del Rey

2015, September in der Sierra Grazalema

1940, Palacio Real El Pardo, Madrid (José erzählt das Ende der Geschichte)

Zur selben Zeit in Prado del Rey

Zur selben Zeit ganz in der Nähe

Am nächsten Tag in Prado del Rey

Zur selben Zeit im Hafen von Huelva

2015, September in der Sierra Grazalema

 

Teil II

2015, Herbst/Winter in der Sierra Grazalema

Sommer 1940, Golf von Cádiz, Tanger, Marokko (Rosa erzählt)

Sommer 1941, Tanger, Marokko (Rosa erzählt weiter)

Januar 1942, Rif Gebirge, Marokko (Rosa erzählt noch immer)

Mai 1940, Orange, Frankreich

Februar 1942, Tanger, Marokko

Zur selben Zeit in Deutschland auf dem Obersalzberg

 

Teil III

2015, November in der Sierra Grazalema

2015, Dezember in der Sierra Grazalema

2016, Ende Januar in Erlangen

2016, Ende Januar in der Sierra Grazalema

2016, Ende Januar in Erlangen

31. Januar 2016, Sierra Grazalema

2. Februar 2016, Erlangen

3. Februar 2016, Sierra Grazalema

4. Februar 2016, 05:00 Uhr am Flughafen in Nürnberg

Zur selben Zeit auf dem Hof in Gaidovar

4. Februar 2016, 08:10 Uhr am Airport in Barcelona

Wenig später in Prado del Rey

4. Februar 2016, 10:00 Uhr in Tanger, Marokko

4. Februar 2016, 12:30 Uhr auf der Finca in Gaidovar

4. Februar 2016, 16:30 Uhr am Flugplatz Villamartin

Zur selben Zeit im Cockpit einer Boeing 737/800 im Anflug auf den Flughafen Jerez de la Frontera.

Zur selben Zeit über den Feldern nördlich von Trebujena

4. Februar 2016, eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang über Lebrija

Zwei Stunden später auf der Finca in Gaidovar

5. Februar 2016, 09:00 Uhr, nahe Trebujena

6. Februar 2016, 17:00 Uhr auf der Finca in Gaidovar

 

Epilog

Im Schlafzimmer der Finca

 

Vorschau

Sommer 2016, Matalascañas an der Atlantikküste

 

Autorenvorstellung

Danksagung

Prolog

2017, in den Dünen der Coto de Doñana

 

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Sein Körper war beinahe ausgewachsen, und er konnte die unbezähmbare Kraft spüren, die sich unter dem schwarzen Fell entwickelte. Aus dem einst mickrigen Frühchen war ein stattliches Pferd geworden, und es überragte – mit knapp drei Jahren – bereits die sonderbaren Artgenossen, denen die lebensnotwendigen Schwingen fehlten. Seine inneren Fingerknochen an beiden Flughäuten waren so stark geworden, dass er problemlos die fledermausartigen Flügel an die Flanken pressen konnte, als seien sie mit dem Fell verwachsen – wie die von Flugechsen aus grauer Vorzeit.

Die meisten Menschen verstand er nicht. Mit ihren seltsamen Fahrzeugen tauchten sie in seinem Gebiet auf, betrachteten ihn aus der Ferne durch eigenartige Brillen, dann verschwanden sie wieder.

Er hatte gelernt, die Flughäute so exakt zu falten, dass er von Weitem wie ein größeres Hauspferd wirkte. Er trug keine Decke mehr, und die vielen Fliegen, die es hier im Naturschutzgebiet gab, zerfraßen ihm die Innenseiten seiner feinen Ohren. Doch das war der Preis für die Freiheit, die Velludo sich ersehnt hatte.

Ihm reichte inzwischen eine kurze Distanz, um aus dem tiefen Sandboden abzuheben. In diesem neuen, endlos scheinenden Zuhause gab es keine steilen Weiden, die er für den Start nutzen konnte.

Die Anpassung war vollzogen.

Manchmal, so hatte er in seinem kurzen Leben bereits gelernt, musste man abwägen, ob Flucht oder Kampf zu wählen war. Ein junger Bartgeier, der ihn vergangenes Jahr über den nördlichen Hängen in der alten, bergigen Heimat immer wieder attackiert hatte, war nicht mehr am Leben. Velludo hatte gelernt sich zu verteidigen, hatte ihn im Luftkampf ausgekurvt und mit den Schwingen aus der Flugbahn geworfen. Schließlich war der übermütige Vogel ins Trudeln geraten und in die Felsen gestürzt.

Daran erinnerte sich Velludo, als er zum ersten Mal einer der wilden Pferdeherden hier in der weiten, menschenleeren Landschaft der Coto de Doñana begegnet war.

Der gedrungene braune Hengst, der mit etlichen Stuten in sein neues Revier eindrang, wirkte bedrohlich. Mit angelegten Ohren hatte er ihm die Zähne gezeigt und ihm deutlich gemacht, dass er zum Angriff überginge, wann immer sich die Gelegenheit dazu böte.

Die Menschen mit ihren knatternden Jeeps, die hier Patrouille fuhren, würden seine Knochen eines Tages ausgebleicht und abgenagt in den Dünen finden. Velludo hatte ihn in einem kurzen Kampf getötet.

Viele Stuten waren daraufhin neugierig näher gekommen und hatten sich von ihm beschnuppern lassen. Für Velludo ein neuartiges Erlebnis. Irgendetwas regte sich in seinem Inneren, ein unheimlich starkes Verlangen. Aber die Pferde rochen unangenehm, fast sauer. Drei der Stuten jedoch, allesamt prächtige schneeweiße Pferdedamen, unterschieden sich vom Rest der Herde. Sie erinnerten ihn an den verheißungsvollen Duft seiner Mutter, die er im letzten Jahr unbemerkt von den Menschen besprungen hatte. Wie diese machten die Stuten ihn nahezu wahnsinnig.

Das Gen des Pegasos war gepflanzt.

Der große weiße Vogel hatte ihn vermutlich vergessen. Er war nicht mehr wiedergekommen, um mit ihm in der Thermik zu fliegen. Wie schön wäre dessen Rückkehr, um gemeinsam Flugeigenschaften zu verbessern, wie es einst, vor vielen tausend Jahren, auch die Artgenossen getan hatten. Diese Tatsache schlummerte in seinem Pferdegehirn, als hätte man sie darin verankert. Nun war er auf die Instinkte angewiesen, die ihm immer wieder meldeten, wie er reagieren musste. Fliegen gehörte zu seinem Leben. Nur von dort oben waren die saftigsten Weideflächen zu erspähen. Außerdem waren Gefahren wie etwa Gewitter und Stürme zehnmal schneller zu erkennen als am Boden. Er konnte das Wetter erschnuppern. Dies hatte er auf seinem anstrengenden Flug von den Bergen zum Atlantik erlernt.

Die kleine Frau, die ihn Velludo getauft hatte, kam ihm immer wieder sehr nahe. Er verstand all ihre Gesten. Wenn sie sich ihm näherte, fühlte sich das nicht unangenehm an. Velludo liebte es, mit jemandem zu kommunizieren. Die gemeinsamen Stunden glichen einem aufregenden Spiel, und er hatte ihren menschlichen Körper akzeptiert. Dieser sprach zu ihm. Sie ähnelte inzwischen in ihren Gebärden und ihrem Geruch seinen Artgenossen, die er sehr vermisste. Mit ihr war ein perfekter Austausch möglich, obwohl sie nur zwei Beine hatte. Sie gehörte zur Herde – genau wie die Stuten, deren Leiber von Tag zu Tag anschwollen. Bald würden sie seinen Nachwuchs zur Welt bringen.

Dies war für ihn auch der Grund, hier im Naturschutzgebiet zu bleiben und nicht auf die Suche nach den Artgenossen zu gehen, die vielleicht irgendwo in den höheren Regionen auf windgepeitschten Wiesen nur darauf warteten, ihn kennenzulernen.

 

 

Ein Bild, das Himmel, draußen, Gras, Säugetier enthält.

Automatisch generierte Beschreibung

Teil I

 

2015, September in der Sierra Grazalema

 

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Im Häuschen am See herrschte friedliche Stimmung. Rike lümmelte auf einem der Holzstühle im Wohnzimmer. Ihre Füße steckten in selbst gestrickten Socken. Auf dem Tisch stand ein Teller mit Weißbrot und Salami. Daneben vervollständigte eine entkorkte Flasche Rotwein die Idylle.

»Ich hoffe, ich kann genauso gut erzählen wie meine Hexe Maria«, sagte José, der in den letzten Monaten scheinbar um Jahre gealtert war, und knetete seine speckige Schirmmütze in den Händen. Er wirkte müde, aber die Augen blitzten schelmisch.

»Mach dir keine Gedanken, José. Ich bin mir sicher, dass du das ebenso gut kannst wie Maria. Immerhin hast du einen Teil dieser Geschichte selbst erlebt.«

»Oh ja«, knurrte José. »Und manchmal habe ich das Gefühl, als sei dies alles erst gestern passiert. Mein altes Herz klopft wie ein Dampfhammer, wenn ich an die Invasion dieser Nazis denke. Für mich waren die fliegenden Pferdchen etwas völlig Normales, und ich habe als Kind viele schöne Zeichnungen davon gemacht.«

Rike streckte die Füße und bewegte ihre Zehen. Die farbenfrohen Ringelsocken schienen ein Eigenleben zu führen.

»Apropos Herz …«, bemerkte sie besorgt. »Warst du beim Arzt, José? Du klagst schon lange über Probleme.«

Der alte Mann kniff einen Moment die Augen zusammen, dann schüttelte er den Kopf.

»Ach was, ich brauche keinen Arzt«, murmelte er. »Ich bin schon so alt geworden, dass sich das nicht mehr lohnt. Inzwischen kann ich meine Hexe gut verstehen, man fühlt, wenn Gevatter Tod an die Haustür klopft.«

»José, so etwas darfst du nicht einmal denken.« Rike drohte ihm spielerisch mit dem erhobenen Zeigefinger.

»Wir müssen alle einmal von dieser schönen Welt gehen«, warf er unberührt ein. »Ich bin über achtzig Jahre alt, und ich mag es nicht, wenn man um den heißen Brei herumredet. Recht lange wirst du mich nicht mehr ertragen müssen, Rike.«

»Was heißt da ertragen? Ich helfe dir doch gern.«

»Das weiß ich doch«, sagte José und seine Augen zeigten einen feuchten Glanz. »Dafür werde ich mich auch noch erkenntlich zeigen. Doch nun schenk dir ein Glas Rotwein ein und hör zu. Manches wird dir so fantastisch vorkommen, dass du es nur schwer glauben wirst.«

 

1940, Sierra Nevada (José erzählt)

 

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Keiner konnte damals nachvollziehen, woher die Eintragungen im nationalhistorischen Archiv von Madrid stammten. Aber sie waren so eindeutig, dass Adolf Hitler persönlich zwei Wissenschaftler der Leipziger Fakultät für Veterinärmedizin nach Granada entsandte. Sie sollten sich auf die Spurensuche nach den fliegenden Pferden begeben. Wie effektiv hätte eine solche Spezies die Kriegsgeschicke im Zweiten Weltkrieg beeinflussen können? Eine Waffe, mit der kein Feind je rechnen würde! Neben Hunden, die mit Sprengstoff am Halsband unter feindliche Panzer krochen, oder Fledermäusen, die zu Tausenden kleinste Mengen Brandsätze in leicht entflammbare Dachstühle trugen, wären fliegende Pferde extrem gut geeignet, lautlos in fremde Lufträume einzudringen. Franco selbst zeigte eher Desinteresse an solchen Forschungen, er überließ weitschweifige Entwicklungen lieber Adolf Hitler, dem er einen Großteil seiner Macht verdankte.

Christian von Baretz und sein Kollege Friedrich Aldebrecht waren Spezialisten auf dem Gebiet der Tiermedizin und Tierforschung. Sollten sich die Eintragungen aus dem Madrider Archiv bewahrheiten, dann würden sie hier im Raum Granada fündig werden. Die beiden Nazis waren dafür mit Sonderrechten ausgestattet. Sie durften Grabungen vornehmen, wo immer es nötig schien. Privatgrundstücke stellten kein Hindernis dar, und sogar die Rekrutierung von Personal unter der Bevölkerung war ihnen seitens der Regierung von Spanien gestattet. Allerdings hatten die Wissenschaftler von Propagandaminister Göbbels den Hinweis erhalten, wenig Aufsehen in Spanien zu erregen. Hitzköpfe oder Quertreiber sollten sie dezent umgehen. Dies, verdeutlichte der Minister, sei man dem General Franco schuldig.

»Fritz, kannst du mir verraten, warum es in diesem Land so heiß ist? Wir haben Anfang Mai, und hier brennt mir die Sonne schon die Haare von der Stirn.«

Friedrich Aldebrecht, ein schlanker, drahtiger Fünfzigjähriger, rückte sich seine elegante Sonnenbrille zurecht. »Christian, du hattest schon zu Hause im Reich eine Halbglatze. Also schieb nicht alles auf die spanische Sonne.«

Der Angesprochene fuhr sich mit den gepflegten Fingern über das schüttere, graue Haar. Er war etwas älter als sein Kollege, dennoch empfand er Stolz auf seine sportliche Figur. Als Arzt und Naturwissenschaftler mit direktem Kontakt zum Führer achtete er extrem auf Fitness. »Ich will mir keinen Sonnenbrand holen, aber mit Hut sehe ich irgendwie so gedrungen aus.«

Aldebrecht, der Zoologe von der Fakultät Leipzig, seufzte. »Mal im Ernst, Christian … So langsam sollten wir erste Ergebnisse nach Hause liefern. Wir tappen ziemlich im Dunkeln, und ich bin mir gar nicht mehr sicher, ob dieser Ort hier der richtige Ausgangspunkt für die Suche ist.«

»In den Papieren stand ausdrücklich, wir sollen die Bevölkerung von Pinos Genil befragen.«

Friedrich Aldebrecht runzelte die Stirn und antwortete: »Natürlich stand das in den Papieren, aber die Hinweise aus dem Archiv sind über vierhundert Jahre alt. Vielleicht sollten wir uns direkt auf der Alhambra mal umsehen.«

Christian von Baretz nickte und blinzelte in die Sonne. »Das sollten wir in Erwägung ziehen. Aber ich würde vorschlagen, wir erhöhen den Druck auf die Bauern etwas. Irgendwie habe ich das Gefühl, die wollen uns nicht alles verraten.«

Aldebrecht strich über sein blütenweißes, kurzärmliges Hemd. »Unter uns, Christian, ich bin Zoologe, und ich befürchte ohnehin, dass sich unser Führer hier in eine fixe Idee verrannt hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es je eine Spezies Pferd gegeben hat, welche fliegen konnte.«

»Ich bin Arzt, und ich habe in all meinen Dienstjahren gelernt, dass in der Medizin nichts unmöglich ist. Wir haben Hinweise auf diese fliegenden Pferde, und wir werden dem Führer welche mitbringen. Davon bin ich überzeugt, Kollege.« Von Baretz lachte laut auf. »Und nun lass uns in diese Spelunke gehen, in der wir gestern den schwarzhaarigen Trunkenbold getroffen haben. Kinder und Besoffene sagen meist die Wahrheit.«

 

Das Wasser des Genil bildete Schaumkrönchen, als es die Gesteinsbrocken umrundete. Von den schmutzigen Fensterscheiben der düsteren Kneipe aus betrachtet vermittelte das bewegte Nass den Eindruck von Kühle.

Friedrich und Christian hatten sich an einen Holztisch gesetzt, auf dessen Oberfläche man noch die Speisereste der letzten Zecher erkennen konnte.

Der Wirt bemühte sich erst gar nicht, seine deutschen Gäste am Tisch zu bedienen. Von der Theke aus brummte er gelangweilt: »Zwei Bier?«

Von Baretz wollte aufbrausen, aber sein Kollege zwinkerte ihm zu und schüttelte fast unmerklich den Kopf.

»Richtig, Herr Wirt, zwei Bier sind gerade richtig bei dem Wetter.« Friedrich Aldebrecht hatte früh lernen müssen, Emotionen im Zaum zu halten. Dieses Attribut hatte ihm entscheidend geholfen, seine Position im Deutschen Reich zu festigen. Nicht umsonst pflegte er den direkten Umgang mit Deutschlands Führung.

Die Augen der beiden fein gekleideten Männer wanderten zur Tür. Ein Betrunkener betrat die Kneipe. Er trug Reithosen, hinkte stark und sein pechschwarzes Haar war vermutlich seit Monaten nicht mehr mit Wasser und Seife in Berührung gekommen. Der Wirt, der zwei Bier für die Deutschen zapfte, musterte den Gast mit sichtlichem Unmut.

»He, Cortéz«, schnauzte er den kleinen braun gebrannten Spanier an. »Am besten drehst du wieder um. Ich gebe dir nichts mehr zum Saufen. Du kannst ohnehin nicht bezahlen.«

Der schmuddelige Mann blickte den Wirt gelangweilt an. »Gib nicht so an, elender Halsabschneider. Wäre dein Vater nicht vor einem Jahr gestorben, hättest du die Kneipe nicht geerbt und könntest den armen Menschen nicht das Geld aus der Tasche ziehen.«

Der Wirt umrundete den schäbigen Tresen und brachte die Biergläser zu seinen Gästen, die diese Szene interessiert verfolgten.

»Eduard Cortéz, verschwinde aus meiner Gaststube. Ich sag es dir nicht noch einmal.«

Von Baretz, der zusammen mit seinem Kollegen zu Hause bereits die spanische Sprache erlernt hatte, mischte sich ein. »Aber Herr Wirt, bringen Sie diesem netten Herrn doch ein Gläschen Rotwein. Sie dürfen es gern auf unsere Rechnung schreiben.« Mit einer ausladenden Geste lud er den betrunkenen Spanier ein, sich zu setzen.

Cortéz betrachtete die Deutschen misstrauisch, denn sie verrieten sich durch ihre elegante Kleidung als Ausländer. »Die Einladung nehme ich gern an«, antwortete er dennoch lallend. »Aber ein Weinbrand wäre mir viel lieber als dieser verdünnte Wein, den der Wirt hier ausschenkt.«

Ein Hauch von Pferdeduft entstieg seinen Klamotten, als er sich am Tisch der beiden Wissenschaftler niederließ.

»Sie sind Reiter?«, fragte von Baretz interessiert.

»War ich mal«, brummte Cortéz missmutig.

Der Wirt brachte ein Wasserglas voll mit stark riechendem Alkohol. »Ich habe gleich eine größere Portion eingeschenkt für diesen Saufkopf. Das geht dann auch auf Ihre Rechnung, meine Herren.«

Eduard Cortéz griff nach dem fleckigen Glas. Seine Hände zitterten. Dann stürzte er einen großen Schluck der braunen Flüssigkeit hinunter und wischte sich fahrig über die rissigen Lippen.

»Das tut gut. Vielen Dank meine Herren.« Seine blutunterlaufenen Augen wanderten über die Gesichter der Gönner. »Sie sind nicht von hier, oder?« Als keine Antwort kam, setzte er nach. »Deutsch? … Habe ich recht, Sie kommen aus Deutschland?«

Aldebrecht nickte bedächtig. »Sie haben die Frage meines Kollegen noch nicht erschöpfend beantwortet. Arbeiten Sie mit Pferden?«

Eduard Cortéz führte das Glas mit dem Weinbrand erneut an seine Lippen. »Ich bin ein dreckiger Pferdeknecht«, sagte er desillusioniert. »Verdiene mir mein Geld mit dem Einfahren und Zureiten von Pferden. Aber meistens miste ich Ställe aus, um nicht zu verhungern.«

Von Baretz schaute ihm tief in die Augen. »Das ist ja interessant. Dann können Sie uns sicherlich Informationen liefern. Wir sind auf der Suche nach einigen ganz speziellen Pferden.«

»Da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen, meine feinen Herren«, witzelte Cortéz und lachte uncharmant. Seine Zähne waren gelb vom Rauch ungefilterter Zigaretten, und sein Atem roch nach billigem Schnaps. Er tastete erneut nach dem Glas, da stoppte ihn von Baretz mit einem hastigen Griff.

»Nicht so schnell, mein spanischer Freund«, zischte er gefährlich leise. »Noch haben wir nicht gesagt, was genau wir suchen.«

Eduard Cortéz wirkte verwirrt. Was bildeten sich diese beiden Deutschen eigentlich ein? Grob zog er seine Hand weg und schickte einen zornigen Blick quer über den Tisch. »Über Pferde will ich aber nicht reden.«

Von Baretz sprang auf, packte die Stuhllehne seines Gegenübers und stieß diese nach hinten. Mit einem dumpfen Aufprall landete der Betrunkene auf dem schmierigen Steinfußboden. Der Wirt erschrak, er mischte sich jedoch nicht in die Szene ein.

»Aber mein Kollege und ich wollen uns mit dir darüber unterhalten, Kumpel. Ich denke, du erhebst dich jetzt, setzt dich wieder brav an diesen Tisch, und dann führen wir drei einen netten Plausch.«

Cortéz’ Nase begann wegen des Aufpralls zu bluten. Umständlich erhob er sich. Auf den dunklen Fliesen blieben Blutspritzer zurück. Außerdem hatte er Probleme mit dem linken Bein, es wirkte verkrüppelt. In seinem Gesicht stand Schmerz.

Aldebrecht richtete ungerührt das Wort an den kleinen Spanier. »Haben Sie da eine Verletzung?«

»Sie sind ja von der schnellen Sorte, warum glauben Sie denn, dass ich mit Ihnen nicht über Pferde reden will?« Einen Moment lang zögerte der Betrunkene, aber die Aussicht auf weiteren Alkohol trieb ihn schließlich dazu, den Stuhl aufzustellen und sich erneut zu den beiden Deutschen zu setzen.

»Dann erzählen Sie uns davon«, ermunterte ihn Aldebrecht und winkte dem Wirt zu, mehr Weinbrand zu bringen.

Eduard hustete und kniff die Augen zusammen. »Ach, so ein Mistvieh hat mir mein linkes Bein zertrümmert. Es brach so kompliziert, dass es krumm zusammengewachsen ist.«

»Wir könnten das Bein in Deutschland problemlos röntgen und sogar operieren. Ich bin Arzt«, warf von Baretz ein.

»Sie sind ein Doktor der Medizin? Was treiben Sie dann hier im Süden Spaniens?«

»Kumpel, ich spüre förmlich, dass du uns bei der Suche helfen kannst.« Der Mediziner näherte sein Gesicht und unterdrückte den Ekel, der ihm in der Kehle aufstieg. Eduard Cortéz stank erbärmlich nach Alkohol und Pferd. »Vor über vierhundert Jahren lebten hier in Granada besondere Rösser.« Er ließ seine Worte wirken und wartete, bis der Wirt ein weiteres Glas Weinbrand vor dem Betrunkenen abgestellt hatte. »Diese Tiere trugen Flügel wie Vögel, und die Sierra Nevada war ihre Heimat. Liege ich richtig, Spanier?« Der letzte Satz war kaum mehr als ein Flüstern.

Cortéz trank gierig. Man konnte seinen Augen ansehen, dass er sich allmählich beruhigte und der Weinbrand den Schmerz im Bein betäubte.

»Haben Sie Zeit für eine längere Geschichte?«, fragte er plötzlich grinsend. Dann begann er seinen Monolog, berichtete von der jungen Bauerntochter Carmen und dem Hengst, welchen Königin Isabella im Mittelalter bereits für ihre fliegende Armee nutzen wollte.

Der Wirt schüttelte ungläubig den Kopf, murmelte einige spanische Flüche und verließ die Gaststube. Er kannte die Märchen des ewig betrunkenen Cortéz zur Genüge und glaubte davon kein Wort.

Langsam glitt die Dämmerung über Pinos Genil, während Eduard Cortéz noch immer erzählte. Da der Wirt sich nicht mehr die Mühe machte, sich um die Gäste zu kümmern, hatte Aldebrecht kurzerhand eine neue Weinbrandflasche vom Regal hinter dem Tresen organisiert. Der Spanier war ziemlich betrunken, aber seine Geschichten erzeugten Wirkung bei den Deutschen. Die Wissenschaftler klebten förmlich an dessen Lippen. Endlich hatten sie die ersehnte Spur für ihren Führer gefunden.

Als fahles Mondlicht durch die Scheiben der Kneipe hereindrang, erschien der Wirt in der Tür, die zur Küche führte. »Wir schließen jetzt«, knurrte er und kramte seinen Geldbeutel aus der Hosentasche. »Zeit für die Rechnung!« Zielsicher schlurfte er zu dem Tisch, an dem die drei Personen die Köpfe zusammensteckten.

Die bemerkten den dicklichen Wirt und tauschten Blicke aus. Von Baretz erhob sich flink wie eine Katze. Er packte den ungepflegten Mann am Arm. Aldebrecht schnellte ebenfalls in die Höhe. Zu zweit schleppten sie den überrumpelten Gastwirt zur Eingangstür, öffneten diese und stießen ihn grob auf die Straße.

»Du schließt, nachdem wir mit unserer Unterredung fertig sind. Wenn wir abreisen, dann bezahlen wir dich.« Mit diesen Worten schloss von Baretz die Holztür. Seelenruhig schlenderten die beiden Deutschen zurück zum Tisch.

»Wo waren wir stehen geblieben?«, fragte Friedrich.

In dem Moment rutschte Eduard Cortéz langsam vom Stuhl. Der Alkohol tat seine Wirkung, und er schlug hart auf dem Fußboden auf. »Eines dieser geflügelten Ungeheuer hat mich zum Krüppel gemacht«, lallte er noch, dann verlor er das Bewusstsein.

»Hast du das gehört?«, fragte Christian und konnte seine Freude nicht mehr verbergen. »Wir sind auf der richtigen Spur. Dieser Besoffene wird uns zum Durchbruch verhelfen.«

Aldebrecht grinste, nahm die halb volle Flasche mit spanischem Weinbrand auf und setzte sie an die Lippen. »Auf die Operation Flügelschlag!« Er salutierte militärisch korrekt vor seinem Kollegen.

Ungehindert vom Wirt, der inzwischen wie ein geprügelter Hund in der Küche das Ende dieser eigenartigen Unterredung abwartete, ergriffen die beiden Wissenschaftler den volltrunkenen Eduard Cortéz unter den Achseln und schleiften ihn zu ihrer Unterkunft. Dort sollte er erst einmal seinen Rausch ausschlafen. Später würden sie ihn für neue Aufgaben rekrutieren. So war der Plan.

 

Eduard erwachte auf dem Fußboden eines ihm unbekannten Zimmers. Unter seinem Kopf lag ein sauberes, weißes Kissen, und er war mit Wolldecken zugedeckt. Er hörte Stimmen von nebenan und setzte sich langsam auf. Obwohl er den Alkohol seit Jahren gewohnt war, brummte ihm der Schädel gewaltig. Die Ausländer hatten ihm reichlich zu trinken gegeben.

Seine Erinnerung kehrte Stück für Stück zurück und ihm wurde bang. Was hatte er den Deutschen eigentlich im Vollrausch erzählt? Er hasste die fliegenden Pferde von ganzem Herzen. Dennoch wusste er, dass er deren Geheimnis nicht an jedermann weitertragen durfte. Diese Tatsache könnte ihn in Gefahr bringen. Sein junges Weib, welches ihn wegen seiner Aggressivität und Trunksucht verlassen hatte, stand vermutlich in Kontakt mit der First Lady des Landes. Besser wäre es für ihn, die Ehefrau des Diktators würde seinen Namen niemals auf der schwarzen Liste finden. … Es sei denn, er würde eine Möglichkeit finden, Spanien für immer zu verlassen.

Eduard Cortéz erhob sich hastig und bekam große Pupillen. Ein Lächeln huschte über die spröden Lippen. Könnte er den Deutschen Hilfe anbieten, die fliegenden Pferde zu finden? Gäbe es die Alternative, mit nach Deutschland zu reisen? Als Spanier dürfte ihm unter Hitlers Regierung nichts zustoßen, im Gegenteil. Vielleicht konnte er den Wissenschaftlern als Berater zur Seite stehen? Er wusste viel über die fliegenden Pferde, auch über die Gefahr, die von den Tieren ausging. War er erst mal außer Landes, könnten ihm die Weiber, die sich Hüterinnen nannten, gestohlen bleiben. Die Nazis würden Sinnvolles mit diesen geflügelten Teufeln anfangen, die ohnehin seit Jahrhunderten nur im Verborgenen ihr Dasein fristeten und keinen Huf in die Luft bekamen. »Weiber«, sagte er eine Spur zu laut, »euch werde ich es zeigen.«

In diesem Moment öffnete sich die Tür zu einem weiteren Raum, in dem die beiden Deutschen offensichtlich die Nacht verbracht hatten.

»Guten Morgen, Kumpel«, begrüßte ihn Christian von Baretz. Er trug wieder eines seiner weißen Hemden und dazu eine dunkle Krawatte. Die schütteren Haare waren sauber und ordentlich gekämmt. Der Scheitel wirkte wie mit einem Lineal gezogen. Eduard war beeindruckt von diesem Mann.

Nun schob sich auch Friedrich Aldebrecht durch den niedrigen Türstock. In seiner manikürten rechten Hand klemmte eine glimmende Zigarette. Kaffeeduft drang aus dem Zimmer der Wissenschaftler. Eduard hätte niemals gedacht, ein Appartement dieser Güte in Pinos Genil vorzufinden.

»Kaffee?«, fragte ihn der hagere Zoologe und wies mit der Hand nach hinten. »Oder zuerst einen Weinbrand mit einer deutschen Zigarette?«

Cortéz leckte sich die Lippen und kam näher. »Wenn ich einen Kaffee mit Weinbrand haben könnte?«, murmelte er heiser. Er setzte sich an einen runden Glastisch am Fenster und schaute auf die gebirgige Landschaft hinaus.

Als eine Tasse Kaffee mit dem unverkennbaren Geruch von Alkohol vor ihm auftauchte, strahlten seine Augen, und er nippte an der heißen Flüssigkeit. »Ich kann Ihnen alles erzählen über die fliegenden Pferde«, sagte er dann hastig. »Sie werden erstaunt sein, was ich über die Tiere weiß.«

»Mal sehen, Kumpel.« Von Baretz betrachtete ihn misstrauisch. »Gibt es hier in Granada noch lebende Exemplare?«

Cortéz führte die Tasse ein zweites Mal an den Mund, und das Zittern seiner Finger verschwand. Aldebrecht reichte ihm eine Zigarette, die er ebenfalls dankend annahm. »In Granada gibt es nur noch Knochen. Die restlichen noch lebenden Exemplare sind schon vor einiger Zeit aus diesem Nest hier verschwunden.«

»Verschwunden? … Wohin denn?« Aldebrecht setzte sich ebenfalls an den runden Tisch und starrte dem kleinen Spanier unverhohlen ins Gesicht.

Dieser zuckte nur mit den Achseln und antwortete: »Das ist schwierig zu sagen, Herr …?«

»Aldebrecht, mein Name ist Friedrich Aldebrecht, Zoologe aus Leipzig und das da …« Die manikürte Hand wies zu seinem Kollegen. »… ist Christian von Baretz, er ist Naturwissenschaftler und Arzt.«

Cortéz nickte anerkennend und erzählte: »Eines Tages ließen irgendwelche Leute, vermutlich von der spanischen Regierung, die Pferde verschwinden.« Hastig zog er an der Zigarette und inhalierte den Rauch tief in seine Lunge. »Es gibt nur noch wenige Menschen hier in Granada, die etwas über die fliegenden Pferde wissen. Diese Leute haben rasch gelernt, ihren Mund zu halten. General Franco kann Schwätzer nicht ausstehen.«

Von Baretz schüttelte ungläubig den Kopf, zog sich den letzten freien Stuhl heran und gesellte sich zu den Männern. Seine Fragen klangen wie in einem Verhör: »Dein Name ist Eduard Cortéz, wenn ich ihn richtig behalten habe.«

Der Spanier nickte.

»Von den Offiziellen hast du nichts zu befürchten, solange du mit uns zusammenarbeitest. Wir haben alle erforderlichen Dokumente für die Forschung dabei und können hier in Spanien vollkommen frei agieren.«

Eduard Cortéz leerte die Tasse und glotzte einen Moment hinein, als wolle er die Zukunft aus dem Kaffeesatz lesen.

»Du sprachst von Knochen.«

Der Spanier schaute auf. Sein Plan stand fest. Er würde den Deutschen jegliche Hilfe zukommen lassen und dann dieses Land verlassen. Deswegen beantwortete er die unausgesprochene Folgefrage des Arztes gleich mit: »Ja, fahren Sie bei Monachil nach Süden, bis das Tal fast endet. Von dort geht es leider nur zu Fuß hoch in die Sierra nach Osten. Aber der Weg ist gut zu erkennen, steinig und steil. Sie müssen zum Cerro del Sol aufsteigen und nach einer Höhle suchen. Sie liegt am Fuß des Berges, hoch oben im Sattel. Mit etwas Glück finden Sie die Knochen eines dieser teuflischen Biester.«

Aldebrecht und von Baretz tauschten Blicke. Fortuna schien ihnen zuzulächeln.

»Fritz, wir holen uns diese Überreste. Dann lassen wir sie unverzüglich ausfliegen und in der Fakultät in Leipzig untersuchen. Steht das Flugzeug für uns Tag und Nacht bereit?«

Aldebrecht wirkte enthusiastisch, als er seinem Kollegen antwortete: »Die JU 52 ist pausenlos in Bereitschaft. Ich werde sofort am Flugplatz in Granada anrufen. Wir brauchen die Kräder und für später dann ein bequemes Auto. Soweit ich weiß, haben die einen Adler Trumpf, der macht neunzig Kilometer pro Stunde. Das sollte fürs Erste reichen.«

Von Baretz lächelte und fragte: »Was machen wir so lange mit unserem spanischen Kumpel?«

Eduard Cortéz starrte gebannt in die leere Kaffeetasse. Ungefragt antwortete er: »Falls ich noch einen Schluck von diesem Muntermacher haben könnte, würde ich versuchen mitzukommen.«

Aldebrecht schüttelte den Kopf und erhob sich von seinem Stuhl. »Auf gar keinen Fall. Mit dem Hinkebein behinderst du uns nur. Du bleibst schön hier in der feinen Unterkunft und wartest auf uns. Aber, eines musst du noch wissen …« Seine stechenden blauen Augen nahmen einen ernsten Ausdruck an. »Falls du dir einen Spaß mit uns gemacht hast und in der Zwischenzeit verschwindest, dann wirst du den Rest deines Lebens auf der Flucht vor uns sein. Wir haben viele einflussreiche Freunde.«

Von Baretz erhob sich nun ebenfalls. Er lachte laut auf und wiederholte eindringlich die Mahnung seines Kollegen. »Sehr viele Freunde, Spanier.« Mit diesen Worten ließen sie Eduard Cortéz mit der leeren Kaffeetasse zurück.

Die Tür zum Flur fiel ins Schloss, und er konnte trampelnde Schritte auf der Treppe nach unten vernehmen. Sofort stand er auf, lief ins Nebenzimmer und stellte erleichtert fest, dass ihm die Deutschen jede Menge Weinbrand dagelassen hatten.

 

Friedrich Aldebrecht ließ sich über das Telefon des Hotels mit dem Flugplatz Granada verbinden. Mit ziemlicher Sicherheit benutzte er gerade den einzigen Fernsprechapparat von Pinos Genil. »Holen Sie mir Oberfeldwebel Maier an den Apparat.« Er wartete ungeduldig, bis sich der Pilot schwer atmend meldete. Man hörte, dass er im Laufschritt zum Telefon geeilt war. »Maier, hören Sie zu. Wir brauchen in spätestens neunzig Minuten hier in Pinos Genil die beiden Kräder, dazu die Ausrüstung zum Graben, Verpflegung für zwei Mann … Und lassen Sie auch gleich den Adler Trumpf herbringen.« Aldebrecht wartete auf die Zustimmung des erfahrenen JU 52 Piloten, der sie von Deutschland nach Granada geflogen hatte. »Von Baretz und ich werden Ihnen vermutlich bereits morgen tierische Knochen fürs Labor in Leipzig übergeben. Im Prinzip können Sie schon den Flug vorbereiten.« Der schlanke Deutsche runzelte die Stirn und lauschte angestrengt den Worten, die aus dem schwarzen Telefonhörer drangen. »Was? Ich höre wohl nicht richtig, Maier. Was interessiert mich das Wetter über den Pyrenäen. Sie werden morgen nach Deutschland fliegen, wenn Sie Ihren Dienstgrad behalten wollen.« Ohne auf eine erneute Antwort zu warten, schmiss er den Hörer zurück auf die Gabel und eilte nach draußen.

Bereits sechzig Minuten später näherten sich zwei Wehrmachtkräder, ein brandneuer Wagen der Marke Adler Trumpf und ein spanischer Militärlaster dem kleinen Hotel.

Die beiden Motorradfahrer sprangen von ihren Maschinen, salutierten zackig vor den Wissenschaftlern und überließen ihnen die geländegängigen Zweiräder. Der Fahrer der Limousine parkte sein Fahrzeug am Rand der schlecht geteerten Straße und übergab den Zündschlüssel an Friedrich Aldebrecht.

»Meine Herren, Kleidung und Ausrüstung liegen im Wagen bereit.« Sein Arm schnellte in die Luft, dann drehte er sich auf dem Absatz um und stieg mit den beiden Kradfahrern in den Lastwagen, der mit laufendem Motor auf der Straße gewartet hatte. Das Dieselfahrzeug wendete und entfernte sich rasch in Richtung Granada.

Neugierig näherte sich Aldebrecht dem Adler Trumpf. Wie versprochen lagen auf dem Rücksitz zwei Motorradhelme mit Brillen, zwei Kombis in Tarnfarben und die dazugehörigen Lederjacken. Die Rucksäcke aus wasserabweisendem Tuch enthielten Klappspaten, kleine Pinsel und Bürsten, einen Fotoapparat mit lichtempfindlichem Film, Trinkflaschen und Proviant. Oberfeldwebel Maier hatte an alles gedacht.

Er lächelte und drehte sich zu seinem Kollegen um. »Na, dann wollen wir mal, Christian. Ich hoffe, du hast das Motorradfahren nicht verlernt?«

Noch bevor die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hatte, knatterten die beiden siebenhundertfünfzig Kubik Motorräder über die Landstraße in Richtung Cenes de la Vega. Immer begleitet vom sprudelnden Fluss Genil setzten sie ihre Fahrt nach Südwesten fort, bis sie über die Vega nach Monachil abbiegen konnten. Vor ihnen türmten sich bereits die mächtigen Berge der Sierra Nevada auf. Als die Motorräder schließlich den kleinen Ort in Richtung Süden verließen, endeten auch die geteerten Straßen.

Die beiden Wissenschaftler drosselten das Tempo der Maschinen und lenkten die geländegängigen Kräder in das Tal, welches ihnen der kleine Spanier beschrieben hatte.

Von Baretz nahm seine Füße von den Pedalen, um das Motorrad besser abfangen zu können, falls es den Halt verlieren sollte. Immer wieder rutschten die Stollenreifen über losem Geröll zur Seite. Ein Sturz in diesem Gelände könnte selbst mit der guten Ausrüstung böse enden.

Sie erreichten eine Hochebene. Westlich von ihnen erstreckte sich ein dichter Wald. Aldebrecht bremste das Motorrad ab und winkte den Kollegen heran. Er schob die Schutzbrille über den schwarzen Helm nach oben und schrie gegen das Geknatter der Motoren an: »Christian, wir sind bereits zu weit im Süden.« Seine Hand wies in Richtung Osten zu den felsigen Gipfeln hinauf. »Da oben liegt das Ziel, lass uns wenden und Ausschau nach Wegen halten, die dort hinaufführen.«

Von Baretz schüttelte den Kopf. Er hatte Kreuzschmerzen und Schweiß lief ihm übers Gesicht. »Fritz, das schaffen die Kräder nicht, sieh dir doch mal diese Steigungen an.«

Aldebrecht drehte den Gasgriff der Maschine. Der Motor heulte auf. »Komm schon, lass es uns wenigstens versuchen.«

Den Einstieg fanden sie wenig später. Ein steiniger Graben, im Winter meist Wasser führend, jetzt im Mai aber ausgetrocknet, leitete sie in die höheren Bergregionen. Die Kräder holperten über Steine, rutschten immer wieder seitlich weg. Die Fahrt glich einem Höllenritt.

Als Friedrich Aldebrecht zu viel Gas gab, um eine steile, steinige Passage zu überwinden, stieg das Vorderrad seiner Maschine in die Höhe und er stürzte. Das Motorrad kippte um, schlitterte den Hang hinunter. Benzin lief aus dem Tank und versickerte zwischen den Steinen.

Christian von Baretz reagierte augenblicklich. Er stoppte das Motorrad, ließ es ins Gras kippen und eilte seinem Kollegen zu Hilfe. »Fritz«, rief er, öffnete die Schnalle des Helms und schleuderte ihn achtlos zur Seite. »Ist dir etwas passiert?«

Aber Aldebrecht rappelte sich bereits wieder hoch. Auf den verstärkten Schulterpartien seiner schwarzen Lederjacke zeigten sich tiefe Schrammen. »Mir geht es gut. Hilf mir, das Krad aufzurichten. Wir brauchen den Sprit noch für später, sonst müssen wir hier übernachten.«

Mit vereinten Kräften hievten die Wissenschaftler das Motorrad hoch und lehnten es an einen Felsbrocken.

»Das Ding hat ordentliche Beulen abgekriegt«, witzelte der Zoologe. »Ich hoffe, wir müssen der Wehrmacht den Schaden nicht ersetzen.« Mit diesen Worten nahm auch er den schweren Helm vom Kopf. Auf seiner Stirn zeigten sich dicke, rote Streifen. Kurz massierte er mit den Fingern die wunde Haut und schloss dabei die Augen. »Wir müssen zu Fuß weiter. Lassen wir die Krafträder hier stehen.«

Von Baretz stöhnte, er kletterte über einige Gesteinsbrocken hinweg, hob den Helm auf und legte ihn neben die Lenkstange seines Motorrads. Dann machte er sich an den Aufstieg.

Die Deutschen folgten dem ausgetrockneten Graben immer weiter nach oben, bis dieser in einer leichten Rechtskurve wieder in ein bewaldetes Gebiet führte.

Friedrich blieb abrupt stehen und hob den Kopf. Er drehte sich einmal im Kreis, dann blickte er seinen Kollegen an und bemerkte: »Wir sind falsch, Christian. Der Spanier sprach von einem Sattel.« Er wies auf den Gipfel, der sich im Osten erhob. »Am Fuß des Cerro del Sol werden wir fündig. Komm!« Mit diesen Worten schritt er fest aus, verließ den steinigen Weg und marschierte geradewegs auf einen spärlich bewachsenen Sattel zu, der sich zwischen zwei Gipfel schmiegte.

Christian folgte ihm murrend, er fühlte sich inzwischen müde und hungrig.

Die Sonne brannte erbarmungslos herab, während sie sich dem Gebirgssattel näherten. Die Männer blieben stehen und schauten sich um. Es herrschte eine seltsame Stille hier oben. Nur die schrillen Rufe der Raubvögel, die in der Thermik der aufgewärmten Felsen kreisten, waren zu hören.

Erneut drehte sich Friedrich im Kreis und suchte mit seinen scharfen Augen die Umgebung ab.

»Wie willst du hier oben eine Höhle finden?«, fragte Christian und blinzelte in der hellen Sonne. Dann zog er eine Brille mit getönten Gläsern aus der Brusttasche der Kombi und setzte sie auf. Sie schützte ihn zwar nicht vor einem Sonnenbrand, wenigstens aber seine Augen.

»Die Höhle kann nur südlich von uns am Hang liegen«, antwortete Aldebrecht.

Christian von Baretz ließ sich im dürren Gras nieder, kreuzte die Hände hinter dem Kopf und starrte durch die Sonnenbrille in den Nachmittagshimmel.

Aldebrecht tat es ihm gleich und benutzte seinen Rucksack als Ruhekissen. Erschöpft atmete er tief aus, dann witzelte er: »Hab ich dir das schon erzählt, Christian? … Oberfeldwebel Maier möchte morgen nicht nach Deutschland fliegen, weil er schlechtes Wetter erwartet.«

Von Baretz kicherte, und seine Augen folgten den Kreisen der schwarzen Jäger am Himmel.

»Der Maier sollte sich mal ein Beispiel an denen hier nehmen. Die können nicht am nächstgelegenen Flugplatz anrufen und sich eine Wetterinformation einholen.«

»Da hast du verdammt recht. … Sag mal, Christian, hältst du es für möglich, dass die geflügelten Pferde auch in der Thermik fliegen konnten? Ich denke, sie sind nicht gerade aerodynamisch gebaut.«

»Ich bin zwar kein Pilot, aber das ist alles eine Frage von Gewicht, Geschwindigkeit, Auftrieb.« Von Baretz rollte sich auf den Bauch und setzte fort: »Was mich viel mehr interessiert, wieso sollten wir ein Pferdeskelett ausgerechnet in einer Höhle finden? Das ist ungewöhnlich.«

Der Zoologe überlegte. »Pferde sind Steppentiere, sie würden freiwillig in keiner Höhle Unterschlupf suchen. Aber wer sagt uns denn, dass wir es hier nicht wirklich mit einer unentdeckten Spezies zu tun haben?«

Ein Raubvogel näherte sich mit schrillen Rufen und stach überraschend wie ein Pfeil vom Himmel herab. Seine scharfen Augen hatten Beute entdeckt. Er steuerte dichtes Buschwerk nahe der Felswand an. Es raschelte laut, als ein kleiner brauner Hase daraus hervorbrach. Panisch schlug er einige Haken, dann verschwand er wie von Geisterhand zwischen den Steinen. Enttäuscht drehte der Raubvogel ab und entschwand ihren Blicken.

»Christian!«, rief Aldebrecht und sprang auf die Füße. Er starrte wie gebannt nach Süden. »Hast du den Hasen gesehen? Komm!« Er rannte los, sein Kollege rappelte sich hoch und folgte ihm.

Vorsichtig arbeiteten sich die beiden durch die dornigen Büsche, bogen Zweige zurück und spähten in das Dickicht.

Von Baretz nahm die Sonnenbrille ab und steckte sie wieder weg. Im selben Augenblick zog er die Nase hoch. »Riechst du das, Fritz? Irgendetwas stinkt hier erbärmlich.«

Aldebrecht schnupperte wie ein Jagdhund, dann nickte er. »Jetzt rieche ich es auch. Könnte ein Tierkadaver sein.«

Umsichtig schoben sie sich tiefer in das Buschwerk. In diesem Moment huschte der Hase aus dem Versteck hervor. Der Zoologe erschrak. Das Tier sauste nur wenige Zentimeter von seinen Stiefeln entfernt ins Freie.

»Hier ist sie!«, rief er aufgeregt. »Das Langohr hat sie uns gezeigt. Wir haben die Höhle gefunden, Christian.«

Angespannt spähten die Wissenschaftler durch die Felsspalte. Im schummrigen Licht erblickten sie den Kadaver eines Steinbocks direkt hinter dem Eingang der Höhle. Er wies starke Verletzungen auf, vermutlich war er von einer Wildkatze angegriffen worden.

»Was für ein Gestank …«, bemerkte Christian und hielt sich die Hand vor die Nase.

»Nun hab dich nicht so, du wirst im Laufe deiner Karriere bestimmt schon mehr eklige Dinge gerochen haben«, belehrte ihn Friedrich.

Die Nase rümpfend umrundeten sie den Steinbock und betrachteten ehrfürchtig die Höhlenwände.

»Eigenartige Farben haben die Felsen hier drinnen. Woher stammt dieser rötliche Schimmer?«, fragte Christian staunend. In ihm erwachte die wissenschaftliche Leidenschaft.

»Könnte vom Steinsalz kommen«, erklärte ihm Friedrich trocken.

Meter für Meter inspizierte der Zoologe die Höhlenwände. Seine Augen betrachteten den Stein, während Christian sich dem Boden widmete. Mit der Stiefelspitze lockerte er Sand und Steinchen. Dann machte er einen Schritt nach vorn.

Es knirschte unter dem Absatz. Sofort hielt er inne, hob behutsam den Fuß an und betrachtete den kleinen, bleichen Wirbel, den sein schwerer Stiefel in zwei Teile zertreten hatte. Er setzte den Rucksack ab, ging in die Hocke und nahm den Klappspaten zur Hand. Vorsichtig zog er Furche um Furche in den trockenen Boden. Ein weiterer Wirbel wurde sichtbar. Von Baretz fischte die feine Bürste aus dem Rucksack, nahm den Halswirbel zwischen Daumen und Zeigefinger seiner linken Hand und entfernte den Sand. »Da ist was, Fritz. Komm, hilf mir mit dem Ausgraben.«

Schnell wurde den Männern klar, dass sie nicht ein gesamtes Skelett freilegen würden. Innerhalb der letzten vierhundert Jahre waren vermutlich Gesteinsbrocken aus der Höhle gebrochen und Erdbeben, Stürme und Frost hatten ihr Werk dazu beigetragen, die Vergangenheit ruhen zu lassen.

Volle zwei Stunden arbeiteten die Wissenschaftler fieberhaft, schossen etliche Bilder. Dann endlich konnten sie die Knochen am Höhlenboden so gruppieren, dass ein sinnvolles Teilskelett entstand. Vom Atlas abwärts waren die sieben Halswirbel fast vollständig vorhanden. Auch zwei Rückenwirbel mit den längeren Dornfortsätzen konnten geborgen werden. Für den Zoologen stand eindeutig fest, dass es sich hierbei um ein Pferdeskelett handelte. Aber die Krönung ihrer Entdeckung lag nun im Zwielicht der Höhle direkt vor ihnen. Bleich schimmerte ein Teil des Schultergelenks im Rotbraun des Bodens. Friedrich Aldebrecht hatte es fast liebevoll mit einem Pinsel gereinigt. Deutlich war zu erkennen, dass das Buggelenk eine doppelte Ausprägung besaß und ein abgebrochener Knochenrest darin steckte.

»Hier!«, Aldebrecht deutete triumphierend auf das eigenartig geformte Gelenk im Schulterblatt. »Das ist ein Oberarmknochen.«

Christian von Baretz kramte in der zweiten Brusttasche seiner Kombination und zog eine Lesebrille hervor. Dann näherte er sich dem wertvollen Knochenteil und fragte: »Was ist daran ungewöhnlich, Herr Kollege?«

Mit dem feinen Pinsel strich Friedrich über das doppelte Gelenk. »Siehst du die Stellung des Knochens? Dieser Oberarmknochen gehörte nicht zu den Vorderbeinen des Tieres.«

»Sieht fast aus wie ein Kugelgelenk«, mutmaßte Christian.

»Das ist es auch. Dieses tote Pferd hier konnte seinen zusätzlichen Oberarm um neunzig Grad oder sogar mehr vom Körper abspreizen. Das heißt, hier traten die Flügel hervor.«

Der empfindliche Film war voll. Vorsichtig verstauten die beiden ihre Gerätschaften wieder in den Rucksäcken. Die Wirbel verpackten sie in speziellen Blechdosen, die mit Stoff ausgekleidet waren, und das Teil des Schulterblattes mit dem Doppelgelenk wickelten sie in feine Stoffstreifen, damit es beim Abstieg nicht zerbrechen konnte.

Die zwei Krafträder befanden sich noch immer dort, wo die Deutschen ihren unfreiwilligen Fußmarsch begonnen hatten.

Friedrich Aldebrecht, der die wertvolle Fracht in seinem Rucksack transportierte, beschloss sofort nach Granada weiterzufahren.

»Christian, es ist besser, wenn wir uns in Monachil trennen. Fahr du am besten zurück und sehe nach dem Spanier. Ich werde auf dem schnellsten Weg unsere Errungenschaften abgeben, damit Maier morgen in der Früh nach Leipzig fliegen kann«, bemerkte er entschlossen.

Gegen Abend knatterten die beiden Motorräder über Feldwege und löchrige Landstraßen zurück in die Zivilisation.

 

Eduard Cortéz lag auf dem Teppich des Wohnzimmers, als von Baretz die Tür zum Appartement aufstieß.

Ein schaler Geruch nach Schnaps schlug ihm entgegen. Hastig schloss er die Eingangstür wieder und sperrte von innen ab. Dann näherte er sich dem völlig betrunkenen Spanier. Er stellte den Rucksack auf einem der Holzstühle ab, bückte sich und schob seine Hände unter die Schultern des hageren Mannes. »Na, da hat aber jemand schwer über die Stränge geschlagen.«

Eduard öffnete seine rot geränderten Augen und starrte in das Gesicht des Arztes. »So viel war das gar nicht«, lallte er entschuldigend. »Da war noch ein klitzekleiner Rest in der Flasche und bevor man den aus Versehen wegschüttet …«

Mit einem Ruck brachte von Baretz den Spanier auf die wackligen Beine, bugsierte ihn rückwärts und ließ ihn auf einen Stuhl sinken. Dann öffnete er den Reißverschluss seiner Motorradjacke und zog sie aus. Er fühlte die Hitze im Raum. »Großes Lob, Kumpel!«, sagte er beiläufig. »Dein Tipp mit der Höhle war ein Volltreffer. Wir haben die Knochen von einem geflügelten Pferd gefunden. Morgen schon wird sich ein wissenschaftliches Team der Fakultät in Leipzig damit befassen.« Er schlurfte während des Redens in das Badezimmer des feudalen Appartements, ließ einen Zahnputzbecher voll mit Wasser laufen und brachte diesen zu Eduard. »Hier, trink mal zur Abwechslung etwas ohne Alkohol, dann können wir uns leichter unterhalten.«

Eduard leerte den Becher in einem Zug, und die Flüssigkeit lief ihm über das Kinn hinab. Er ignorierte die Tropfen, die auf sein Hemd fielen. »Das freut mich für Sie. Wenigstens die Deutschen haben mal Glück im Leben«, brabbelte er.