Thorsten Havener

Ich weiß, was du denkst

Das Geheimnis, Gedanken zu lesen

Inhaltsverzeichnis

WIDMUNG

EINLEITUNG

DIE WELT IST DAS, WOFÜR WIR SIE HALTEN

DER ERSTE EINDRUCK

ES IST, WIE ES SCHEINT

DER KÖRPER VERRÄT UNSERE GEDANKEN

DER GEIST FÜHRT DEN KÖRPER

Augen: Spiegel der Seele

Mund: sprechen ohne Worte

Kopf und Hals: Haltung bewahren

Schultern und Arme: was Positionswechsel ausdrücken

Hände: die Welt ergreifen

Beine und Füße: der Wink in die richtige Richtung

Körper: die Wirkung der intuitiven Sprache

DER KÖRPER FÜHRT DEN GEIST

MIT UNSEREN GEDANKEN DIE WELT BESTIMMEN

DIE MACHT DER AUTOSUGGESTION

DIE KRAFT DER FREMDSUGGESTION

SPRACHE SCHAFFT REALITÄT

Die wichtigsten Zauberwörter unter der Lupe

Verbal Power: kleine Unterschiede, großer Effekt

KEIN X FÜR EIN U: TÄUSCHUNGEN ENTLARVEN

Widerspruch in einem Satz

Komplimente machen

Belohnungen geben

Lebensphasen nutzen

Was wäre, wenn ...

Immer wieder gern gehört

Informationen: das A und O des Gedankenlesens

ES GIBT KEINE GRENZEN: EIN MENTALTRAINING

DER AUGENBLICK DER MACHT

ES IST MEHR MÖGLICH, ALS SIE DENKEN

EIN WORT ZUM SCHLUSS

LITERATURVERZEICHNIS

DANKE AN

 

Lieber Christian,

dieses Buch ist für dich!

EINLEITUNG

Alles begann am 12. April 1986. Seit diesem Tag ist nichts mehr wie zuvor, mein Leben sollte sich schlagartig verändern. Es war der Tag, an dem mein Bruder beim Fallschirmspringen tödlich verunglückte 

Einige Wochen später, als ich sein Zimmer aufräumte, fand ich zufällig ein paar Requisiten für Zaubertricks, die Christian sich einige Jahre vor seinem Tod gekauft hatte. Er war kein Entertainer gewesen, aber für ihn hatte die Zauberei immer etwas Faszinierendes gehabt. Er hatte deshalb einiges auf diesem Gebiet ausprobiert, aber seine Bemühungen immer schnell wieder aufgegeben, weil er nicht gern vor Publikum stand. Ich war zeitlebens ein ganz anderer Typ und genoss es bereits als Kind, vor Menschen aufzutreten und sie zu unterhalten. Meine erste Chance dazu bekam ich bereits mit sechs Jahren, als ich auf einer Hochzeitsfeier Otto-Witze erzählte. An diesen Auftritt erinnere ich mich noch heute ganz genau.

In dem Moment, als ich im Zimmer meines Bruders stand und seine Zauberutensilien in Händen hielt, passierte etwas mit mir. Ich war sofort gefesselt, das spürte ich, und schlagartig für diese Sache entfacht. Mit Hilfe der Utensilien konnte ich mich in eine Welt flüchten, in der es buchstäblich keine Grenzen gab. In eine Traumwelt, die mir ganz allein gehörte und die ich dennoch, wenn ich wollte, auch mit anderen teilen konnte. Innerhalb kürzester Zeit entwickelte sich meine Liebe zur Zauberkunst zu einer regelrechten Sucht. Ich war gefangen von den grenzenlosen Möglichkeiten und gab mein gesamtes Taschengeld für Zaubertricks aus. Teilweise wartete ich wochenlang fieberhaft auf Pakete aus München oder Hamburg, wo ich die Utensilien bestellte. Wenn diese endlich ankamen, sperrte ich mich in meinem Zimmer ein und übte. Übrigens: Etliche dieser Sendungen aus München wurden von meiner heutigen Frau zur Post gebracht, weil sie bei dem von mir favorisierten Versandhändler arbeitete. Ich lernte sie Jahre später auf einem Zauberkongress kennen, und wir sind seit dieser Zeit ein Paar.

1986 sollte auf diese Weise eines der wichtigsten Jahre meines Lebens werden, und auch die nächsten Monate brachten mir entscheidende Erkenntnisse und unersetzliche Begegnungen. Im Sommer reiste ich nämlich mit einer Jugendgruppe nach Frankreich. Als Betreuer auf dieser Reise fuhr ausgerechnet der Hobbyzauberer Jörg Roth mit. Wir freundeten uns sofort an und tauschten uns über unsere Erfahrungen mit der Zauberei aus. Von ihm lernte ich viel, und schon im Dezember desselben Jahres hatte ich gemeinsam mit ihm meinen ersten Auftritt bei der Weihnachtsfeier einer Kirchengemeinde. Alles lief erstaunlich gut, und von diesem Tag an wusste ich ganz sicher: Das will ich später beruflich machen.

Sämtliche Reisen hatten ab diesem Zeitpunkt nur noch einen Zweck: mehr über die Möglichkeiten in Sachen «Zauberkünste» zu erfahren. In New York beispielsweise gab ich alle meine Ersparnisse für Zauberaccessoires aus, die ich dann mit Hilfe meines Vaters nach Deutschland schmuggelte. Mein erster Aufenthalt in Wien war vollständig dem Zauberladen «Viennamagic» gewidmet. Allerdings hatte ich noch nicht das richtige Gefühl bei der Auswahl der Tricks entwickelt. Ich kaufte wahllos einfach alle Zutaten, die ich mir damals leisten konnte. Unter anderem einen Geldbeutel, aus dem Flammen loderten, wenn man ihn öffnete. Ich führte diesen Trick niemals öffentlich vor, aber beim Üben im Hotelzimmer löste ich damit einen Feueralarm aus, sodass sämtliche Bewohner noch spät am Abend aufgeregt ihre Zimmer räumen mussten – nur weil ich einen kleinen Zaubertrick ausprobiert hatte.

In dieser Zeit zauberte ich überall: im afrikanischen Busch oder auch auf einer kleinen Insel der Seychellen. Nichts anderes war mir wichtig. Endlich gab es etwas, womit ich die Leute begeistern konnte. Für meine Passion nahm ich deshalb auch viele Mühen auf mich. Als ich 1987 mit meiner Mutter nach Kalifornien fliegen durfte, tat ich das nur, weil ihre Reisegruppe einen Abstecher nach Las Vegas machen sollte. Dort wollte ich unbedingt die Show von Siegfried und Roy sehen. Was ich vorher nicht gewusst hatte: Damals war es in den USA unmöglich, ohne Begleitung eines Erwachsenen auch nur einen Orangensaft zu bestellen, wenn man noch keine 21 Jahre alt war.

An den Besuch einer Abendshow gemeinsam mit mir wagte unser Reiseleiter daher noch nicht mal zu denken, wie ich zu meinem Bedauern feststellen musste. Aber es sollte alles ganz anders kommen, wie ich noch erzählen werde. Dass ich all diese Highlights und mein einziges Ziel verpassen würde, hatte ich erst in San Francisco am zweiten Tag der Rundreise erfahren. Vor lauter Frust gab ich deshalb mein ganzes Geld in einem Zauberladen an der Fisherman’s Wharf aus und kaufte dort die wichtigsten Tricks ein, die ich während meiner kompletten Schulzeit und auch noch am Anfang meines Studiums bei meinen Vorführungen einsetzen sollte. Meine Mutter hatte schließlich die geniale, rettende Idee, um mich doch noch in die Show zu schmuggeln: «Wir schminken dich älter», meinte sie. Gesagt, getan. Und der Clou, so ergänzte sie, werde sein, dass der Effekt sehr viel überzeugender ausfallen werde, wenn sie mich in eine Frau verwandeln würde. Mir war sofort klar, dass dies leicht möglich sein sollte: Ich hatte zu dieser Zeit schulterlange Haare, keinen Bartwuchs, und drei Viertel der Reisegruppe war sich sowieso nicht sicher, ob ich ein junger Mann oder doch eine junge Frau wäre. Sie sehen, wieweit mich meine Obsession schon vereinnahmt hatte: Ich stimmte dem Plan tatsächlich zu: «Ja, genau so werden wir es machen.» Ich ging also wirklich geschminkt, mit hohen Schuhen, Abendkleid und Handtasche ausgestattet zum Eingang des Veranstaltungsraums. Und mein Vorhaben sollte tatsächlich klappen: Ich konnte die Show miterleben! Es war phantastisch. Und den Aufwand allemal wert.

Als ich diese Geschichte Jahre später Siegfried erzählte, war er begeistert und rauchte sofort eine Zigarre mit mir – in aller Freundschaft. Glücklicherweise war es in der Folgezeit nicht mehr notwendig, mit derartigen Tricks zu arbeiten. Und Langzeitschäden trug ich ebenfalls nicht davon. Vier Jahre später reiste ich dann als Thorsten Havener erneut nach Las Vegas, um mir die Show meines Jugendidols David Copperfield anzuschauen. Ein ähnlich prägendes Erlebnis, weil er schon immer ein großes Vorbild für mich gewesen war und seine Kunst mich maßgeblich beeinflusst hatte.

Schon während meiner Schulzeit ließ ich auf unzähligen Geburtstagen, Vereinsfeiern, Sommerfesten, Hochzeiten oder Stadt- und Schulfesten Sektflaschen und Tische schweben. Mein Repertoire umfasste bereits alle Klassiker der Zauberkunst: Ringe verketten und wieder lösen, Bälle zwischen den Fingern erscheinen und verschwinden lassen usw. Das volle Programm. Das alles unterlegt mit Musik von Pink Floyd, Steve Miller, Sting und Madonna. In den neunziger Jahren nahm ich sogar an Show-Wettbewerben teil und bin französischer Meister im Zaubern in der Sparte «Magie Générale» geworden. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich mit meiner heutigen Frau nach Tours fuhr und dort mit ihr in einem modernistischen Plastikhotel wohnte, nur um am Wettbewerb teilnehmen zu können.

Sie merken schon, während der Schulzeit gab es für mich scheinbar nur einen Berufswunsch: Zauberer. Das stimmt allerdings nicht ganz, denn ich wäre auch gern Musiker geworden. Aber die Jams meiner Schülerband «Reinhard and the Nobbers of Incompetention» waren nicht annähernd so erfolgreich wie meine Auftritte als Zauberer. Ob das am Namen der Band oder unseren musikalischen Interpretationen lag, lässt sich heute nur schwer feststellen.

Die endgültige Entscheidung für meine heutige Laufbahn fiel während meines Universitätsstudiums der «Angewandten Sprachwissenschaft sowie Übersetzen und Dolmetschen». Schon in der Schule hatte ich mich als ernsthafter Zauberer auch mit den Randgebieten der Zauberkunst befasst: mit Hypnose, Körpersprache, Techniken der Aufmerksamkeitslenkung und Okkultismus. Diese Themen interessierten mich wirklich. Doch während meines Auslandsstudiums in Monterey in Kalifornien schließlich platzte eines Tages – genau genommen bei einer Dolmetscherübung – der letzte Knoten. Von einem bestimmten Moment an hatte ich den Eindruck, schon vorab genau zu wissen, was der Redner, dessen Vortrag ich übersetzen sollte, als Nächstes sagen würde. Ich erahnte plötzlich intuitiv, welches Thema er im Folgenden anschneiden würde, und hatte von da an immer das Gefühl, ganz nah am, ja direkt mitten im Geschehen zu sein – viel näher an der Sache als zuvor. Ich konnte mich auf meine Empathie verlassen! Dieser zweite Wendepunkt in meinem Leben ereignete sich im Frühjahr 1998.

Mein Können wollte ich zukünftig auch meinem Publikum in einem Experiment demonstrieren. Ich setzte den Plan sofort in die Tat um: Bei meinem nächsten Auftritt bat ich einen Zuschauer, an eine Person zu denken, die er gern mochte. Daraufhin sagte ich ihm auf den Kopf zu, dass er an seine Tochter mit dem Namen Sabine denke. Der Mann begann daraufhin zu zittern und bekam Schweißperlen auf der Stirn. Eine vergleichbare Reaktion hatte ich in meiner bisherigen Laufbahn noch kein einziges Mal durch einen klassischen Zaubertrick auslösen können. Dieses Erlebnis bestärkte mich weiter in meinem Vorhaben, die herkömmliche Zauberkunst aufzugeben und mich ganz dem Gedankenlesen zu verschreiben.

Immer wieder werde ich gefragt: «Wie machen Sie das eigentlich, Herr Havener?» Eine berechtigte Neugier, und doch liegt in der Antwort zugleich mein gesamtes Geschäftskapital. Verständlicherweise. Die Frage wurde mir allerdings so oft gestellt, dass ich nach einiger Zeit Überlegungen anstellte, ob ich nicht doch einige wichtige Techniken der Allgemeinheit zur Verfügung stellen sollte. So wurde die Idee zu diesem Buch geboren: Ich würde einen Einblick in meine Werkzeugkiste mentaler Instrumente gewähren. Ich könnte ausführen, welche Methoden auch im Alltag – und nicht nur auf der Bühne – anwendbar sind. Darüber hinaus könnte ich erzählen, wie ich diese Methoden bislang genutzt und welche Erlebnisse ich bei deren Anwendung hatte. Genau das alles werden Sie deshalb in diesem Buch erklärt finden. Nachdem Sie bei sich selbst die Grundlagen des effizienten Beobachtens, Denkens und Einschätzens geschaffen haben, werden Sie es mir möglicherweise nachtun können, die Gedanken anderer Menschen zu erahnen. Schritt für Schritt.

 

Was ich eigentlich sagen wollte: Letztendlich war mein Schicksal schon am 12. April 1986 besiegelt worden. Mein Leben hätte sich sicher ganz anders entwickelt, wenn mein Bruder sich nicht ein paar Utensilien zum Zaubern gekauft hätte. Aus diesem Grund widme ich dieses Buch meinem Bruder Christian. Du fehlst mir sehr.

 

München, im November 2008

Thorsten Havener