image

Anke Nienkerke-Springer

EVOLUTION
STATT
REVOLUTION

Unternehmerische Zukunft
verantwortungsvoll gestalten

image

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN Buchausgabe: 978-3-86936-963-1

ISBN ePUB: 978-3-95623-916-8

Lektorat: Susanne von Ahn, Hasloh

Umschlaggestaltung: Martin Zech, Bremen | www.martinzech.de

Titelabbildung: piyaphong / Shutterstock

Autorenfoto: Michael Wiegmann

Copyright © 2020 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Das E-Book basiert auf dem 2020 erschienenen Buchtitel »Evolution statt Revolution. Unternehmerische Zukunft verantwortungsvoll gestalten« von Anke Nienkerke-Springer, ©2020 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

www.gabal-verlag.de

www.facebook.com/Gabalbuecher

www.twitter.com/gabalbuecher

www.instagram.com/gabalbuecher

Inhalt

Vorwort

Einleitung: Durch evolutionären Wandel der Unternehmenskultur die Persönlichkeit des Unternehmens ausbilden und stärken

Zukunft gewinnen durch Anpassung

Als Unternehmen Persönlichkeit entwickeln

Als evolutionäres Unternehmen langfristige Werte schaffen

TEIL I: SO IST ES!

Kapitel 1: Die unternehmerische Lebensaufgabe

Mehr als nur ein Unternehmen

Die unternehmerische Lebensaufgabe: fünf Merkmale

Kapitel 2: Die Menschen an der Spitze des Unternehmens – die fokussierte Unternehmerpersönlichkeit

Eine Weihnachtskarte und ihre Folgen

Die Werte der Unternehmerpersönlichkeit spiegeln sich im Unternehmen

Die Unternehmerpersönlichkeit und ihre Eigenschaften

Kapitel 3: »Mit diesem Unternehmen arbeiten wir gern zusammen!«

Menschlichkeit als zentraler Wert

Gelungene Mitarbeiterbeziehungen durch Mitarbeiterorientierung

Gelungene Kundenbeziehungen durch dienende Haltung

Gelungene Stakeholderbeziehungen durch Erfahrungsvertrauen

Kapitel 4: Prozess statt Projekt: Evolutionärer Kulturwandel im Unternehmen

Kulturwandel als Step-by-Step-Prozess

Prozess statt Projekt

Kapitel 5: Das werteorientierte Unternehmen und die acht Ebenen des Bewusstseins

Die Frage nach dem Sinn und Zweck

Die Ebenen der Bewusstseinsentwicklung

TEIL II: SO GELINGT ES!

Kapitel 6: Mit evolutionärer Kraft zum Kulturwandel

Voraussetzung 1: Das Management sitzt mit im Veränderungsboot

Voraussetzung 2: Die inspirierende Vorbildfunktion der Führungskräfte nutzen

Voraussetzung 3: Alle Führungskräfte und Mitarbeiter teilhaben lassen

Voraussetzung 4: Akzeptieren, dass alle Unternehmen eine Entwicklung durchlaufen

Voraussetzung 5: Den Willen und die Kompetenz zur Anpassung zeigen

Voraussetzung 6: Alte und neue Werte kombinieren und Werteorientierung auf allen Ebenen verankern

Voraussetzung 7: Praktische Konsequenzen ziehen

Kapitel 7: Mit evolutionären Prinzipien Zukunftsfähigkeit sichern

Das evolutionäre Prinzip des lebenslangen Lernens

Das evolutionäre Prinzip des Ausprobierens

Das evolutionäre Prinzip der Auswahl

Das evolutionäre Prinzip des Fragens

Das evolutionäre Prinzip des Wachstums

Das evolutionäre Prinzip der Gemeinsamkeit und der Kommunikation auf Augenhöhe

Das evolutionäre Prinzip der Resonanz

Das evolutionäre Prinzip der Baby-Steps

Das evolutionäre Prinzip der Selbstorganisation

Kapitel 8: In evolutionären Unternehmen stehen die Menschen im Mittelpunkt, nicht die Prozesse

Der Mitarbeiter als Zweck an sich

Wertschätzung erzeugt Wertschöpfung

Kapitel 9: Mit Executive Personal Brand Strategy (EPBS©) zur fokussierten Persönlichkeit

Die starke Unternehmerpersönlichkeit an der Spitze

Für klare Unterscheidbarkeit sorgen

Kapitel 10: Wirtschaften mit Sinn: Wirtschaftlichkeit und Ethik verknüpfen

Die gesellschaftliche Relevanz unternehmerischen Handelns

Ethisch legitim agieren und Existenz des Unternehmens sichern

Kapitel 11: Evolutionäre Unternehmen benötigen eine Haltung des Gelingens

Die Haltung des Gelingens

Die zentralen Aspekte der Haltung des Gelingens

Kapitel 12: Mit den Werkzeugen des Gelingens den evolutionären Prozess gestalten

Die Grundlage: Das House of Change

Ausgewählte Werkzeuge des Gelingens

TEIL III: SO BLEIBT ES LEBENDIG!

Kapitel 13: Stolpersteine auf dem Weg zum evolutionären Unternehmen umgehen

Gründe für das Scheitern

Ihr Zehn-Schritte-Programm zum evolutionären Unternehmen

Danksagung

Literatur und Quellen

Stichwortverzeichnis

Die Autorin

»Die besten Entdeckungsreisen macht man nicht in fremden Ländern, sondern indem man die Welt mit neuen Augen betrachtet.«

MARCEL PROUST

Vorwort

Meine langjährigen Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Unternehmen und Führungskräften in Transformations- und Changeprozessen haben mich bewogen, dieses Buch zu schreiben. Die Begegnungen mit Menschen, denen es gelungen ist, eine wertschätzende Unternehmenskultur aufzubauen, waren ausschlaggebend dafür, mich nach meinem Buch zum Thema »Personal Branding« mit der Frage zu beschäftigen, was evolutionäre Unternehmensentwicklung bedeutet.

In meiner Arbeit steht der Mensch als Initiator, Mitgestalter und Umsetzer im Mittelpunkt. Meine Kernbotschaft »Menschen und Unternehmen stark machen für den Wandel« ist für mich ein Leitsatz, um in die Zukunft zu investieren. Ein evolutionärer Prozess mit Reflexionsschleifen erlaubt dabei eine größere Freiheit zum kritischen Denken als ausschließlich disruptive und leider häufig von blindem Aktionismus getriebene Vorgehensweisen. Gleichwohl bedarf es auch eines kritischen Hinschauens, wenn es darum geht, den Aufbruch zu einem evolutionären Unternehmen zu starten. Gleichförmigkeit jedenfalls ist kein Beitrag zur Evolution.

Denn worauf kommt es bei allem, was wir tun, an? Auf die Zukunftsfähigkeit, und nicht auf die Fortsetzung dessen, was irgendwann einmal für gut erachtet wurde, aber schon längst nicht mehr funktioniert. Der unternehmerisch veranlagte Mensch hört nicht auf zu lernen, er fängt immer wieder neu an, gestärkt durch die Erfahrungen und getragen von den Fähigkeiten, die er im Laufe der Zeit entwickelt hat.

So will ich mit diesem Buch anregen, mit evolutionärer Kraft unternehmerische Zukunft zu gestalten. Ebenfalls soll es eine Einladung zum Nachdenken darüber sein, wie wir die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen sichern, in denen sich Menschen entwickeln können und mitgestalten wollen.

Das Buch richtet sich an Unternehmer, Manager, Geschäftsführer, Führungskräfte und Changemanager, die Veränderungsprozesse operativ durchführen, und Mitarbeiter auf allen Bereichs- und Abteilungsebenen, die das Unternehmen evolutionär weiterentwickeln wollen. Zudem spreche ich Entscheider an, die die Zukunftsfähigkeit ihres Unternehmens verantworten.

Mithilfe der evolutionären Strategien, die Sie in diesem Buch kennenlernen, gelingt es, dass sich Ihr Unternehmen immer wieder auf neue Gegebenheiten, Situationen und Herausforderungen sowie neue Marktbedingungen einstellen kann. Sie generieren mit den evolutionären Strategien nachhaltige Wettbewerbsvorteile, die die Überlebensfähigkeit und das Wachstum des Unternehmens absichern. Um dieses Ziel zu erreichen, sind gesteuerte Veränderungsund Transformationsprozesse notwendig, die einen evolutionären Kulturwandel nach sich ziehen und dazu führen, dass ein Unternehmen eine Unternehmenspersönlichkeit ausbildet.

Human-Resource-Abteilung (HR) und Personalabteilung tragen bei der evolutionären Entwicklung eines Unternehmens Verantwortung. Der beschriebene evolutionäre Weg in diesem Buch dürfte daher auch für Personalentwickler und HR-Verantwortliche ein Gewinn sein. Gründer werden ein Interesse daran haben, über den Persönlichkeitsfaktor ihres Business zu wirken und eine Sogwirkung auf Kunden und Interessenten auszuüben. Das gilt überdies für Organisationen und Institute (auch Business Schools), die sich um die Aus-, Fort- und Weiterbildung der Führungskräfte von morgen kümmern und diese auf ihre zukünftigen Aufgaben und die damit verbundene Verantwortung vorbereiten.

Den Weg zur Zukunftsfähigkeit durch eine evolutionäre Ausrichtung beschreibe ich in drei Teilen:

imageIm ersten Teil, in »So ist es!«, erläutere ich, wodurch sich ein evolutionäres Unternehmen mit Persönlichkeit auszeichnet und inwiefern es sich von einem Unternehmen unterscheidet, von dem sich dies nicht sagen lässt. So hat es in einer evolutionären Entwicklungsgeschichte eine Unternehmenskultur entwickelt, die auf Wertschätzung und Wertschöpfung beruht. Im ersten Teil beschreibe ich, wie wichtig es für die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens ist, über eine wahrnehmbare Kernbotschaft zu verfügen und den unternehmerischen Sinn sowie die unternehmerische Lebensaufgabe klar benennen zu können.

imageDer zweite Teil ist überschrieben mit »So gelingt es!«. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie Sie Ihr Unternehmen zu einem evolutionären Unternehmen mit Persönlichkeit entwickeln, das von seinem Umfeld – von allen Stakeholdern – als solches wahrgenommen wird. Dazu beschreibe ich Strategien, mit denen sich evolutionäre Kraft entfalten und eine Haltung des Gelingens aufbauen lässt.

imageIm dritten Teil schließlich – in »So bleibt es lebendig!« – münden meine evolutionären Überlegungen in ein Zehn-Schritte-Programm, mit dem Sie die Entwicklung zum evolutionären Unternehmen in Gang setzen.

Ihre

Anke Nienkerke-Springer

Wir sind an Ihrer Seite!

»Es ist nicht die stärkste Spezies, die überlebt, auch nicht die intelligenteste, sondern eher diejenige, die am ehesten bereit ist, sich zu verändern.«

CHARLES DARWIN

Einleitung

Durch evolutionären Wandel der Unternehmenskultur die Persönlichkeit des Unternehmens ausbilden und stärken

Als ich beschloss, ein Buch zum Thema »Evolutionäres Unternehmen mit Persönlichkeit« zu schreiben, habe ich diese Idee im Kollegenkreis, mit Trainern, Beratern und Coaches, aber auch im Freundeskreis diskutiert. Dabei wurden mir so gut wie immer zwei Fragen gestellt:

image»Evolutionäre Unternehmensentwicklung? Was soll das denn heißen?«

image»Meinst du wirklich, ein Unternehmen kann eine Persönlichkeit haben?«

Zukunft gewinnen durch Anpassung

Evolutionäre Unternehmensentwicklung heißt für mich vor allem »Zukunftsfähigkeit durch Anpassung«. Es geht dabei um Anpassungsprozesse, die nicht disruptiv das Bestehende und das Bewährte über Bord werfen, sondern (auch) auf dem Vorhandenen aufbauen.

Das Fundament wird nicht umgestoßen, sondern als Grundlage für die Weiterentwicklung genutzt. Das Vorhandene hat seine eigene Würde, Kraft und Energie. Es hat ein Unternehmen dahin geführt, wo es steht, und sollte nicht weggeworfen, sondern als Ausgangspunkt für den nächsten Entwicklungsschritt genutzt werden. Wenn wir etwas Neues entwickeln und Verbesserungen herbeiführen wollen, ist es nicht notwendig, sich um 180 Grad zu drehen und die Dinge umzustürzen und auf den Kopf zu stellen. Wachstum und Weiterentwicklung sind auch möglich, indem ein Unternehmen seinen Wesenskern identifiziert, benennt und weiterentwickelt.

Ein Unternehmen sollte und darf nie seine Identität oder seinen eigentlichen Sinn und Zweck verleugnen oder aufgeben. Es muss sich aus sich selbst heraus entwickeln. Sicherlich gibt es Szenarien, die es erfordern, dass sich ein Unternehmen von einem Geschäftsmodell verabschiedet und einen revolutionären Umbruch einleitet. Gerade im Zuge der Digitalisierung ist dies der Fall – ein Unternehmen wird dann geradezu von einer Entwicklung überfallen und mitgerissen, die es nicht aufhalten und steuern kann. Eine bewusste evolutionäre Unternehmensentwicklung kann meiner Beobachtung nach den revolutionären Umsturz verhindern. Dazu ist es notwendig, sich seiner Werte zu versichern, seiner unternehmerischen Lebensaufgabe treu zu bleiben und sich auf dieser Basis kontinuierlich weiterzuentwickeln. »Evolution statt Revolution!« ist möglich durch das permanente Nachdenken über sich selbst, durch Reflexion dessen, was bisher geschehen ist, mit dem Ziel, durch notwendige Anpassungen sicherzustellen, dass Zukunft gewonnen werden kann.

Als Unternehmen Persönlichkeit entwickeln

Kommen wir zum zweiten Einwand: »Ein Unternehmen kann doch keine Persönlichkeit haben«, erhielt ich oft zur Antwort, »ein Mensch natürlich, aber doch kein Unternehmen.« Wir sprachen dann über verschiedene Unternehmen und die Frage, warum wir denn unsere Produkte – oder Dienstleistungen – in diesem Unternehmen einkaufen würden und nicht in jenem. Natürlich bekam ich dabei das Preisargument zu hören, auch Äußerungen wie »Na ja, das hat sich halt so eingespielt«.

Nach und nach gab es dann aber auch differenziertere Aussagen. »Wenn ich darüber nachdenke: Meine beste Freundin ist Veganerin und überzeugte Natur- und Tierschützerin. Daher achte ich darauf, Produkte von Unternehmen zu kaufen, die sich im Tierschutz engagieren und mehr wollen, als nur Geld zu verdienen. Das gilt etwa bei Hautcremes, Duschgel, aber auch Nahrungsmitteln.« Und eine Kollegin erzählte: »Wenn ich im Internet nach einem Unternehmen suche, das die von mir gewünschten Produkte oder Dienstleistungen anbietet, klicke ich häufig den Button ›Wir über uns‹ an. Mich interessiert einfach, bei wem ich kaufe. Wie sieht es mit der Kundenorientierung aus, wie mit der Einhaltung der Menschenrechte, welche Werte vertritt das Unternehmen, dient ihm eine Vision oder Mission als Orientierung, hat es ein Leitbild? Das ist nicht immer kaufentscheidend, aber ich achte schon auch darauf.« Ein Kollege ergänzte: »Ein Unternehmen entwickelt sich ja auch, es bildet sukzessive eine Unternehmenskultur und eine Unternehmensphilosophie aus, die sich im Laufe der Zeit ändern kann.«

Ein weiterer Kollege berichtete schließlich: »Ein Freund von mir hat bei seinem Arbeitgeber gekündigt, weil er sich aufgrund der Machenschaften auf der Chefetage nicht mehr mit dem Unternehmen identifizieren könne. ›Die haben ihre Werte verraten und die Seele des Unternehmens für einen kurzfristigen Gewinn verkauft. Mit dem Unternehmen möchte ich nichts mehr zu tun haben‹, so dieser Freund.«

Wir sprechen einem Unternehmen eine Entwicklung zu, als habe es einen Lebenslauf. Und tatsächlich: Jedes Unternehmen durchläuft eine Historie. Wir identifizieren uns mit ihm, oder wir lehnen es ab. Es ist uns gleichgültig – oder es ist uns nicht gleichgültig. Unternehmen unterliegen zudem einem Kulturwandel. Natürlich sind diese Entwicklungen, Veränderungen und auch der Kulturwandel immer mit handelnden Personen verknüpft. Es sind immerhin die handelnden Menschen, die als Träger der Entwicklungen, Veränderungen und auch des Kulturwandels fungieren. Trotzdem sagen wir nicht, der Vorstandsvorsitzende XY durchlaufe einen Kulturwandel, sondern schreiben diesen Wandel dem Unternehmen selbst zu. Ähnliches ist in anderen Bereichen zu beobachten: So sprechen wir von einem »gesunden Unternehmen«, aber auch von einem »organisationalen Burn-out« (Dilk, Littger 2008). Mit Letzterem wird zum Ausdruck gebracht, dass es auch »erschöpfte Unternehmen« gibt. Wenn gleich mehrere Mitarbeiter in einer Abteilung oder einem Unternehmen unter Burn-out leiden, liegt die Vermutung nahe, dass die Ursachen dafür in den Strukturen des Unternehmens liegen.

image

Ein Unternehmen selbst kann keine Persönlichkeit im natürlichen Sinn sein. Aber ein Unternehmen kann in der Wahrnehmung des Umfeldes, der Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten und anderer Stakeholder, durchaus eine Persönlichkeit entwickeln.

Nach und nach kristallisierte sich heraus, dass meine Kollegen und Freunde durchaus von Firmen wie von natürlichen Personen, also von Menschen, redeten. So verhalte sich ein Unternehmen »umweltbewusst«, achte auf fairen Handel, »das Unternehmen denkt nicht nur daran, Geld zu scheffeln, sondern verfolgt auch andere Ziele, es hat klare Prinzipien und Leitwerte, an denen es sich in jeder unternehmerischen Situation orientiert«.

Dass Menschen, dass Kunden einem Unternehmen eine Persönlichkeit zusprechen, hat für Firmen einen sehr konkreten Nutzen. Unternehmen mit wahrnehmbarer Persönlichkeit entwickeln in den Augen von Kunden und Interessenten den Status der Einzigartigkeit. Sie differenzieren sich von anderen Firmen und natürlich insbesondere von Konkurrenzunternehmen durch die damit verbundenen Alleinstellungsmerkmale. Und das wiederum erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Kunden und Interessenten bei diesem Unternehmen kaufen. Pointiert ausgedrückt:

image

Einzigartigkeit durch Persönlichkeit führt auf Kundenseite zu Wahrnehmung und Kaufinteresse.

Unternehmen mit wahrnehmbarer Persönlichkeit bauen einen strategischen Wettbewerbsvorteil auf. Nach Hermann Simon (Simon 1988, S. 4) zeichnen sich strategische Wettbewerbsvorteile dadurch aus, dass sie im Vergleich zur Konkurrenz die drei Kriterien »wichtig«, »wahrgenommen« und »dauerhaft« erfüllen müssen. Konkret: Der Wettbewerbsvorteil sollte ein für den Kunden wichtiges Leistungsmerkmal betreffen, von Kunden und Interessenten wahrgenommen werden können und darf von der Konkurrenz nicht schnell einholbar sein, er muss mithin eine gewisse Dauerhaftigkeit aufweisen. Unternehmen mit wahrnehmbarer einzigartiger Persönlichkeit erfüllen diese Merkmale, zumindest bei denjenigen Kunden und Interessenten, für die der Preis nicht alles ist. Es ist der strategische Wettbewerbsvorteil, der zu einem wichtigen Differenzierungsmerkmal wird und so die unternehmerische Überlebensfähigkeit sichert.

Als evolutionäres Unternehmen langfristige Werte schaffen

Was unterscheidet ein evolutionäres Unternehmen mit Persönlichkeit von einem Unternehmen, über das wir das nicht sagen können? Entscheidend ist aus meiner Sicht: Es will Resonanz gleich auf mehreren Ebenen erzeugen – aufseiten der Kunden, aber auch aufseiten der Mitarbeiter und der Gesellschaft. Während ein Unternehmen ohne Persönlichkeit seinen primären Daseinszweck in der Schaffung ökonomischer Werte und im Profit sieht, will ein evolutionäres Unternehmen mit Persönlichkeit die Dinge ganzheitlich miteinander verknüpfen: Es strebt die Werteorientierung und die Wertsteigung an, es will Ökonomie und Ökologie, wirtschaftliche Interessen und Wirtschaftsethik symbiotisch miteinander verbinden.

image

In einem evolutionären Unternehmen mit Persönlichkeit ist es Führungskräften gestattet, ja, es wird von ihnen gefordert, dass sie bei ihren Entscheidungen neben ökonomischen Erwägungen auch ethische Werte berücksichtigen.

Leider noch zu häufig gibt es Unternehmen, die geradezu gezwungen sind, die Profit- und Gewinnmaximierung in den Vordergrund zu schieben, etwa, weil sie die Interessen der Aktionäre und aktivistischer Investoren bedienen müssen. Die Gefahr, dass sie sich allzu sehr und einseitig auf die Schaffung ökonomischer Werte konzentrieren, ist dann groß. Da haben es andere Firmen oft leichter, etwa Familienunternehmen (vgl. dazu Hennerkes 2004, S. 29). Aufgrund ihrer spezifischen Unternehmensstruktur können sie größeren Fokus auf die Schaffung und Erhaltung von Werten legen, die über rein Ökonomisches hinausgehen. Meiner Erfahrung nach ist es Unternehmerpersönlichkeiten in Familienunternehmen wegen der oft engen menschlichen Beziehungen eher möglich, sich für die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter zu interessieren, ohne die notwendige Distanz aufzugeben.

Gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen

Ein evolutionäres Unternehmen erinnert an einen Förster, der langfristig denken und handeln will und dem es um die nachhaltige wirtschaftliche Nutzung des Waldes geht. Neben den notwendigen ökonomischen Faktoren beachtet er bei seiner Arbeit ökologische und soziale Kriterien, damit das Kulturgut »Wald« auch für nachfolgende Generationen erhalten bleibt. Er baut auf dem Existierenden auf, er agiert evolutionär, indem er Rahmenbedingungen schafft, durch die das Bestehende weiterwachsen und gedeihen kann. Das Mind-Set der Führungskräfte in solch einem Unternehmen zeichnet sich dadurch aus, dass sie

imageneben den ökonomischen Erfolgen auch langfristige Werte schaffen wollen und können und dabei ethische Prinzipien berücksichtigen,

imagesich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sind und diese aktiv wahrnehmen,

imageeine klare Haltung haben – es geht um mehr, als nur Gewinne zu erwirtschaften und sich an Quartalszahlen zu orientieren; vielmehr darf ein Unternehmen weder Menschen noch die Erde noch Ressourcen ausbeuten und zerstören,

imageeinen unternehmerischen Sinn erfüllen möchten,

imagewerteorientiert denken und handeln,

imageüber eine klare Kernbotschaft verfügen und diese auch kommunizieren und

imageHandlungsmaximen wie Verstehbarkeit, Gestaltbarkeit und Sinnhaftigkeit verfolgen, Freude an der Arbeit haben und eine hohe Leistungsbereitschaft mitbringen.

Sie befolgen mithin wertschätzende Leitsätze und Prinzipien, durch die sich nicht nur das Unternehmen, sondern auch die Menschen, die sich für das Unternehmen engagieren, kontinuierlich und evolutionär weiterentwickeln.

Evolutionären Kulturwandel anstreben

Der Erfolg einer Organisation oder einer Firma steht und fällt mit der jeweiligen Unternehmenskultur und lässt sich in die Formel »Kultur und Führung = Wachstum und Erfolg« fassen.

image

Kultur und Führung = Wachstum und Erfolg

Dies ist gerade heutzutage eine überlebensnotwendige Herausforderung für Unternehmen. Insbesondere Entwicklungen wie die Digitalisierung, das veränderte Einkaufsverhalten des mittlerweile »hybriden« Kunden in digitalen Zeiten und »New Work« als neue Arbeitsform stellen Unternehmen vor die Aufgabe, sich den geänderten Umwelt- und Rahmenbedingungen evolutionär anzupassen, um zukunftsfähig zu bleiben oder zu werden. Aus meiner Sicht geht es also nicht darum, disruptiv das alte Geschäftsmodell möglichst schnell über Bord zu werfen und durch ein neues zu ersetzen. Oder das alte Wertesystem gegen ein neues auszutauschen. Dies mag im Einzelfall notwendig und zielführend sein – in den meisten Fällen jedoch verhält es sich so, dass in der Vergangenheit nicht alles schlecht gelaufen ist. Klug ist es daher, eine Analyse der Unternehmenskultur durchzuführen und bei Change- und Transformationsprozessen das Bestehende im Blick zu behalten und das Unternehmen evolutionär weiterzuentwickeln.

Eine zu disruptive Kulturveränderung kann genauso nachteilige Folgen haben wie eine zu langsame oder ganz ausbleibende. Erfolgen Veränderungen zu umfassend, zu abrupt, zu verordnet und zu schnell, fragen sich die Mitarbeiter mit Recht, ob denn bisher nur wertlose Arbeit geleistet worden sei und wohin die »Reise« denn nun gehen soll. Demotivation und innere Kündigung, Dienst nach Vorschrift und resignative Arbeitshaltung sind folgenschwere Konsequenzen. Auch die Kunden und andere Stakeholder, die ein Interesse an der Entwicklung des Unternehmens haben, sind oft nicht bereit, die Veränderung mitzugehen, zumindest nicht, wenn ihnen Sinn und Zweck nicht erläutert werden. Es sollten ein sanfter Kulturwandel und evolutionär verlaufende Veränderungen angestrebt werden, bei denen die »alten Stärken« erhalten bleiben und weiterhin als wertvolle Ressource genutzt werden können, um das »Neue« zu verwirklichen.

image

Es geht nicht um die Veränderung an sich und um ihrer selbst willen. Entscheidend ist vielmehr der Versuch, sich kontinuierlich durch kluge und weitsichtige Anpassungsprozesse zu verbessern und so zukunftsfähig zu werden.

Kulturwandel im Unternehmen sollte also nicht als Revolution verstanden und aufgezogen werden. Wenn bei einer notwendigen umfassenden strukturellen Veränderung das Unterste zuoberst gekehrt wird, können und wollen viele Mitarbeiter nicht folgen. Zielführender ist es, den Kulturwandel als Prozess und evolutionäre Entwicklung zu sehen und zu gestalten. Denn so lassen sich die vorhandenen Stärken immer weiter ausbauen und ausdifferenzieren. Notwendige Anpassungsprozesse haben so die Chance auf eine nachhaltige kontinuierliche Weiterentwicklung und Verwirklichung, bei der die Anpassungsfähigkeit des Unternehmens gestärkt wird. Evolutionärer Kulturwandel basiert stets auf dem unerschütterlichen Fundament eines eindeutig kommunizierten Leitbildes, auf der Basis klarer Führungsgrundsätze und Werte, die nicht nur das Unternehmen, sondern auch und vor allem die Menschen wachsen lassen, die sich für das Unternehmen engagieren.

Leitbild, Führungsgrundsätze und Werte – sie sind die wesentlichen Elemente eines evolutionären Unternehmens mit Persönlichkeit, dem es auf der Basis einer Vision und Mission und einer klaren Kernbotschaft gelingt, sich in das Gedächtnis der Menschen einzubrennen und zu einer Unternehmensmarke zu entwickeln. Wir sprechen dann von Corporate Brand, weil das Unternehmen sich nicht allein im Hinblick auf die Kunden zu einer Unternehmenspersönlichkeit entwickeln will, sondern dabei sowohl auf Stakeholder abzielt als auch auf die Mitarbeiter und vor allem die Gesellschaft als Ganzes. Aufgabe der Unternehmensführung ist es, die Unternehmensmarke und Unternehmenspersönlichkeit durch Corporate Branding in der Wahrnehmung aller Stakeholder zu verankern und das Profil zu schärfen. Konkret:

imageDie Kunden sollen sich über qualitativ hochwertige Produkte, Dienstleistungen und hohen Nutzen freuen,

imagedie Mitarbeiter über sichere und adäquat bezahlte Arbeitsplätze, an denen sie ihre Potenziale einsetzen, ausschöpfen und entwickeln können,

imagedie Aktionäre über Gewinne und

imagedie Gesellschaft über ein Unternehmen, das sich seiner gesamtgesellschaftlichen Verantwortung bewusst ist und diese auch wahrnimmt.

Diese Ziele scheinen zum Teil in einem Widerspruch zueinander zu stehen. Ein Unternehmen mit Persönlichkeit versucht, diese in einem ständig währenden evolutionären Entwicklungsprozess auszubalancieren.

image

TEIL I

So ist es!

Wer zeigen möchte, wie es gelingt, sich zu einem evolutionären Unternehmen zu entwickeln, das vom Umfeld als Unternehmen mit Persönlichkeit wahrgenommen wird, muss verdeutlichen, was er sich unter solch einer Firma vorstellt. Für mich ist entscheidend:

imageEin evolutionäres Unternehmen mit Persönlichkeit verfolgt eine unternehmerische Lebensaufgabe und zeichnet sich durch fünf Merkmale aus, die sich wie folgt auf den Punkt bringen lassen: Nachhaltigkeit, Sinnstiftung, Fairness, Potenzialentfaltung und Transparenz (Kapitel 1).

imageDie Führungsriege besteht aus fokussierten Führungspersönlichkeiten mit hoher Werteorientierung. Oft steht eine Unternehmerpersönlichkeit an der Spitze (Kapitel 2).

imageDie Menschen arbeiten gern und mit Leidenschaft für solch ein Unternehmen, die Kunden kaufen mit Überzeugung dort ein, die Lieferanten schließen mit Vorliebe Geschäfte mit ihm ab, die Stakeholder engagieren sich mit Leidenschaft für das Unternehmen (Kapitel 3).

imageEs ist zum evolutionären Kulturwandel in der Lage, bei dem das Bewährte beibehalten wird. Der Kulturwandel beruht vor allem auf den bisherigen Stärken (Kapitel 4).

imageEs entwickelt sich Schritt für Schritt weiter. Dabei wird die Frage nach dem Sinn und Zweck seines Daseins reflektiert, um sich den wechselnden Rahmenbedingungen anpassen zu können (Kapitel 5).

Diese Kernaussagen sollen nun näher ausgeführt werden.

»Man weiß nie, was daraus wird, wenn die Dinge verändert werden. Aber weiß man denn, was daraus wird, wenn sie nicht verändert werden?«

ELIAS CANETTI

Kapitel 1

Die unternehmerische Lebensaufgabe

 

Ihr Check für die schnelle Übersicht

Was dieses Kapitel bietet

Es gibt fünf Merkmale, die ein evolutionäres Unternehmen, das einer unternehmerischen Lebensaufgabe nachkommen will, erfüllen sollte.

Fortschritte, die Sie erzielen können

Sie prüfen, welche der entscheidenden Merkmale eines evolutionären Unternehmens bei Ihnen bereits realisiert sind.

Mehr als nur ein Unternehmen

Mithilfe authentischer Beispiele lässt sich veranschaulichen, worum es jetzt geht: um Unternehmen, die nicht nur allein einer unternehmerischen Aufgabe nachkommen wollen, nämlich Umsätze steigern, Gewinne machen und Marktanteile ausbauen. Vielmehr stehen Unternehmen im Fokus, über die wir sagen können: »Das ist mehr als nur ein Unternehmen«, weil es eine Haltung hat, eine Lebensaufgabe erfüllen will, ein höheres Ziel verfolgt. Zu diesen Unternehmen gehört zum Beispiel der Outdoor-Ausrüster VAUDE im baden-württembergischen Tettnang-Obereisenbach am Bodensee.

Weniger Egodenken, mehr Konzentration auf große Ziele

Geschäftsführerin Antje von Dewitz hat die Vision, als »nachhaltigster Outdoor-Ausrüster Europas einen Beitrag zu einer lebenswerten Welt« zu leisten, »damit Menschen von morgen die Natur mit gutem Gewissen genießen können«. Das nachhaltige Denken über die Generationen hinweg, die Weitung der Perspektive über die rein ökonomische Ausrichtung hinweg und der Versuch, durch ein sinnvolles Miteinander mit den Mitarbeitern gemeinsam etwas zu schaffen, zeigen, dass wir es mit einem Unternehmen zu tun haben, das sich seiner gesamtgesellschaftlichen Verantwortung stellt. Dafür übernimmt die Geschäftsführerin persönliche und unternehmerische Verantwortung, indem sie umweltschädliche Mobilität so weit wie möglich vermeidet und es sich zum Ziel gesetzt hat, die gesamte Produktpalette ökologisch und sozial herzustellen. (Zu den VAUDE-Zitaten siehe VAUDE: Nachhaltigkeitsbericht 2017)

Beiträge für eine lebenswerte Welt

Bei der GLS Gemeinschaftsbank in Bochum ist diese Verabschiedung von einer egozentrierten Haltung gleichfalls zu beobachten. Die Bank ist sozial-ökologischen Grundsätzen verpflichtet, denkt bei ihren Geschäftsaktivitäten an das Klima, die Unternehmens- und Betriebskultur und ist von einem offenen und ehrlichen Miteinander im Umgang geprägt. Die Verantwortlichen pflegen einen Führungsstil, der von einem ganzheitlichen Menschenbild ausgeht. Die Bank will nicht einfach nur Geldgeschäfte abwickeln, sondern einen Beitrag zum gesellschaftlichen Wandel leisten, der auf die Wahrnehmung sozialer und ökologischer Verantwortung abhebt.

Ein weiteres Beispiel ist das Start-up-Unternehmen Share GmbH mit dem Claim »Teilen für eine bessere Welt«, das Kunden und Interessenten zu Spenden anregen will. Damit bedient das Social Start-up gleich mehrere Trends: Die Menschen schenken immer öfter Firmen das Vertrauen, die auf ethischen Konsum und verantwortliches und wertegetriebenes Unternehmertum achten. Das mögen sie nicht immer ganz uneigennützig machen, es gibt mittlerweile viele Konzerne, die öffentlichkeitswirksam spenden und Sozial- und Umweltschutzprojekte fördern. Und selbstverständlich will auch die Share GmbH Geld verdienen, Produkte verkaufen und wachsen. Aber das allein genügt den Verantwortlichen nicht – unabhängige Beobachter analysieren: Was die Gründer »von anderen unterscheidet, sind ihre Motivation und der Unternehmenszweck. Es geht ihnen nicht um maximalen Profit oder einen baldigen Börsengang. Sie wollen sozialen Konsum in Deutschland etablieren, indem sie das Spenden einfach machen (…) Für jeden verkauften Bionussriegel etwa verspricht Share, einen Menschen in Not mit einer Mahlzeit zu versorgen.« (Rosenbach, Salden 2018, S. 72)

Es geht nicht darum, die Aktivitäten der genannten Firmen im Einzelnen zu bewerten. Von Bedeutung jedoch ist bei den Beispielen stets die Haltung, die hinter den unternehmerischen Entscheidungen und Aktivitäten steht. Den Verantwortlichen in den Firmen geht es nicht allein darum, dem Kunden Produkte anzubieten, die ihm einen Nutzen stiften. Nein, sie verbinden mit ihrem Unternehmertum eine Vision, eine Zwecksetzung und, so möchte ich es nennen, eine unternehmerische Lebensaufgabe, die über sich selbst hinausweist. Sie wollen nicht nur einfach Produkte oder Dienstleistungen verkaufen, sondern verfolgen vielmehr einen höheren Zweck, den sie jeweils in einer Kernbotschaft zum Ausdruck bringen. Unternehmer und Führungskräfte zeigen Haltung, sie nehmen eine eindeutige Position ein, über die man vielleicht diskutieren und streiten kann, aber eines ist deutlich: Mit dieser Haltung beweisen sie klare Kante. Und sie trauen sich auch, im Kontext ihrer jeweiligen Lebensaufgabe motivierende Worte in den Mund zu nehmen, so etwa, wenn VAUDE-Geschäftsführerin Antje von Dewitz von einer »lebenswerten Welt« spricht, zu der sie gemeinsam mit ihren Mitarbeitern einen substanziellen Beitrag leisten möchte.