Das Buch
Dieser Geschenkband versammelt Texte, die den Autorinnen direkt aus dem Leben aufs Papier flossen. Gedanken, Gedichte und Geschichten aus dem Moment, festgehalten zum Schmunzeln und Nachdenken, zum Träumen und Genießen, zum Ankommen oder Aufbrechen. Für alle die schon immer einmal aus der Zeit fallen wollten, zum Beispiel JETZT!
Die AutorInnen
Die Herausgeberinnen Elke Heselschwerdt, Sara Löhe, Sybille Strauß-Synesiou sowie die weiteren AutorInnen Dorothea Bauer, Barbara Brachat, Renate Diesch, Bianca Dietz, Beija Flores, Klaus Heselschwerdt, Katja Holzlöhner, Marie Verbeek und Gaby Villing lernten sich in einem Schreibseminar kennen und gründeten bald darauf die Tuttlinger Schreibgruppe „Literarische Geselligkeit“. Die AutorInnen verbindet die Freude am Schreiben und die Lust am kreativen Schaffen, deshalb sprudeln aus dieser Gruppe seit nunmehr drei Jahren Texte und Ideen, u.a. auch die des Tuttlinger Lesepfads im Donaupark * , der lesefreudigen Menschen mit den Jahreszeiten wechselnd literarische Impulse und Augenblicke des Aus-der-Zeit-Fallens auf ihrem Weg schenkt.
*mit freundlicher Unterstützung der Stadt Tuttlingen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
© 2013 Heselschwerdt, Löhe, Strauß-Synesiou
weitere Mitwirkende: AutorInnen der Literarischen Geselligkeit
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7322-6784-2
Wer sagt, dass Menschen keine Flügel wachsen?
Ich weiß, du hattest welche.
Doch mittlerweile, sagst du,
fühlst du sie nicht mehr.
Hebst nur noch selten ab
und machst auch keine Bruchlandungen mehr.
Beinahe hättest du sie vergessen,
deine kräftigen Schwingen,
wäre da nicht dieser eindeutige Schmerz
dort, wo früher
deine Flügel waren.
Heute früh dachte ich, dass endlich nach langen Monaten MEIN freier Tag ist. Schon ewig habe ich nicht mehr mit angezogenen Beinen auf der Couch gesessen und in Zeitschriften geschmökert. Heute putze ich, dachte ich mir, heute putze ich nichts. Und so war es. Heute lasse ich jede Arbeit links liegen. Ich erledige heute meine Einkäufe nicht.
Auch den kranken Nachbarn werde ich heute nicht betreuen. Ich gehe nicht ans Telefon. Dieser Tag soll mir gehören. Meine Güte, ich will einfach mal nichts tun, nur für mich da sein. Endlich möchte ich 60 Minuten und mehr aus der Zeit fallen. Der Kaffee wird kalt, die Schokolade schmilzt. Alles strebt nach Ausgleich:
Hektik & Ruhe, Erlaubtsein & Geheimnis, Taten & Träume.
Brandneu liegen sie im Karton.
Ich schleiche mich aus dem Schlafzimmer um sie mir noch
einmal anzusehen.
Knisternd schiebe ich das Papier zur Seite.
Wunderschön rostrot liegen sie vor mir.
Das Wildleder schimmert in seinen Schattierungen.
Kein Schmutz, kein Kratzer, keine Falte – nagelneu.
Mit bloßem Fuß schlüpfe ich hinein.
Drehe den Fuß hin und her.
Laufe auf der Stelle Probe.
Sehe mich im Cafe bei einem Latte Macchiato lässig die
Beine unter dem Tisch hervor schieben.
Gleich morgen verabrede ich mich.
Mit mir und meinen neuen Schuhen.
Ja, wo kämen wir denn dahin
wenn keiner mehr probieren würde
ein Gedicht zu schreiben?
Wenn keiner sich mehr eine Blume
ins Haar stecken würde?
Wenn niemand mehr den Vogelflug beobachtet
und kein Mensch mehr Kuchen backt?
Wo kämen wir hin wenn keiner mehr
seine Lebensgeschichte erzählen würde?
Keiner den Kindern zuhören würde?
Wenn niemand sich mehr verführen lässt
und kein Mensch noch einen Blick
in fremde Kinderwagen wirft?
Wo kämen wir hin
wenn niemand mehr Samen aussäen würde
und jeder nur noch ernten möchte?
Stell dir vor!
Der Wunsch: | Gesehenes ausdrücken, festhalten, verwandeln. |
Der Vorsatz: | Ein weißes Blatt Papier mit sinnhaften Worten füllen. |
Die Vorbereitung: | Ein Raum Ruhe, eine Tasse Tee, ein gespitzter Bleistift. |
Die Ergänzung: | Das vergessene Schreibpapier aus dem Nebenzimmer holen. |
Die Einstimmung: | Tief durchatmen, Augen schließen, Arme lockern, Augen öffnen. |
Die Ahnung: | Das heute könnte DER Text werden, der allerallerbeste. |
Der Anfang: | Ganz oben aufs Papier – Datum. |
Das Problem: | Keine einzige Idee in Sicht. |
Die Analyse: | Der Tee war zu heiß, der Bleistift zu spitz. |
Die Lösung: | Strichmännchen kritzeln, sich kratzen, gähnen, aufstehen und gehen. |
Das Ende: | Der Wunsch: |
Lass den Helden in Deiner Seele nicht sterben.
Er kämpft für Dich, wenn Dein Rücken an die Wand presst.
Er richtet Dich auf, wenn Du brach liegst, niedergestreckt von Leistung, Druck und geschossenen Worten. Er steht an Deiner Seite, er hält mit Dir durch.
Pflege ihn, nähre ihn, zeige ihm, dass Du ihn magst.
Du brauchst ihn. Schick ihm eine Tasse Kaffee oder massier seine Füße. Lass ihm ein Bad ein oder beschere ihm ein großes Stück Erdbeerkuchen.
Er dankt es Dir sicher und gibt es Dir tausendfach wieder.
Vor elf Jahren verlor ich mein Herz. Ich verlor es weit weg von hier. In einem anderen Land, in einer fremden Kultur und…völlig unerwartet: Ich hatte mich in einen griechischen Mann verliebt. „Aussichtslos“, dachte ich.
Doch nach meiner Rückkehr war nichts mehr wie zuvor. Ich fand nicht zurück in mein altes Leben in Deutschland. Alles erschien mir kalt hier, grau, beinahe leblos. Doch das Schlimmste war das Loch in meinem Leib. Das große blutende Loch da, wo einst mein Herz schlug. Verzweifelt suchte ich mein altes Leben und wusste doch: Ich würde es nicht wieder finden. Denn dazu brauchte ich mein Herz.
Ohne Herz kein Leben.
Und so entschied ich mich, nach Griechenland zu gehen und mir mein Herz zurück zu holen. Um wieder ganz und heil zu werden. Ich sah mein Ziel vor mir. Der Weg jedoch, der lag im Nebel, versteckt in den Wolken zwischen Deutschland und Griechenland.
Ich begab mich auf eine langsame Reise mit Zug, Schiff, Bus und Fähre. Von Bahnhöfen zu Häfen, von Häfen zu Bahnhöfen, und je mehr ich mich der Insel näherte, umso sicherer wusste ich, dass das Richtige geschehen würde.
Ich fand mein Herz wieder und dazu die Erkenntnis, dass diese Liebe nicht in ein kaltes, graues Land verpflanzt werden wollte. Nicht von meinem Mann und nicht von mir.