Inhalt

Wir stellen uns vor

Einleitung

Anreise

Es geht los

Auf nach Schweden

Die Hanöbucht

Durch den Sund

Langa Soffan

Der überfüllte Hafen

Flaute, Wind und Raukar

Estland wir kommen

Der spanische Tag

Technische Probleme

Navigationslos nach Tallin

Ein Tag - zwei Hauptstädte

Ein Tag an Land

Mittagessen in den Schären

Mit letzter Kraft nach Hanko

Über den Golf von Finnland

Grundberührungen

Durch die Nacht

Durchhalten

Der Blumentopf

In den Schären

44 Knoten Wind

Hammerhavn

Deutschland der erste Versuch

Terrestrische Navigation

Der letzte Tag an Bord

Abreise

Nautischer Reiseabschluss

Ausblick

Danksagungen

Wir stellen uns vor…

Mein Name ist Sven Richter. Ich bin 32 Jahre alt und lebe mit meiner Partnerin Katja in einer kleinen Stadt in Südbrandenburg.

Bereits als Kind verbrachte ich viel Zeit am und auf dem Wasser. Meine ersten Eindrücke sammelte ich auf dem Motorboot meiner Eltern und meiner Großeltern. Für mich war also schon immer klar, dass ich später auch einmal ein Boot besitzen möchte. Meinen Traum setzte ich dann im Erwachsenenalter um. Ich begann mit einem motorisierten Schlauchboot, mit dem ich den Schwielochsee bei Lübben im Spreewald erkundete. Anschließend kaufte ich mein erstes Motorboot mit kleiner Kajüte, die l’espoir, bei der ich den Innenausbau selbst vornahm. Für Katja war das Leben auf dem Wasser völlig neu. Bevor wir uns kennenlernten, war sie noch nie an Bord eines Bootes. Ich konnte sie aber schnell von diesem wunderbaren Sport begeistern. Mit der l‘espoir waren wir auf der Elbe und der Mecklenburgischen Seenplatte unterwegs. Da ich mich stets verbessern möchte, kaufte ich ein größeres und komfortableres 6m Motorboot, welches wir l’espoir II nannten. Unsere Reisen führten uns von der Elbe durch Berlin bis an die Oder und im zweiten Jahr über die Ostsee nach Dänemark. Die hohen Benzinkosten waren schließlich im Jahr 2004 der Auslöser, dass wir uns intensiver mit Segelbooten beschäftigten. Weihnachten 2004 machte ich mir selbst das größte Geschenk. Ich kaufte die l’espoir III – einen 7,2m langen Motorsegler und wir infizierten uns mit dem „Segel-Virus“. Besonders das Zurücklegen größerer Etappen, mit dem Ziel andere Länder zu besuchen, fasziniert uns. So segelten wir mit der l‘espoir III nach Kopenhagen, Stockholm und Oslo. Wir stellten fest, dass ein Motorsegler nur ein Kompromiss ist – kein richtiges Segelboot, aber auch kein Motorboot. Wir entschieden uns schließlich dafür, einen Trimaran zu kaufen - ein Bootstyp, der ähnlich wie ein Katamaran beim Segeln hohe Geschwindigkeiten erreicht. Dieses Boot baute ich über den Winter komplett neu aus und passte es unseren Bedürfnissen an. Wir tauften dieses Boot im April 2009 auf den Namen „l´espoir tri“. Ein einzigartiger Name, der sich wie folgt zusammen setzt: „l´espoir“ ist das französische Wort für „die Hoffnung“ - Hoffnung auf schönes Wetter, einen tollen Törn oder auf zuverlässige Technik. „Tri“ ist abgeleitet vom Bootstyp: Trimaran. Ein Trimaran ist, wie der Katamaran, ein Mehrrumpfboot, auch Multihull genannt - ein Boot mit 3 Rümpfen. Der Rumpf in der Mitte, auch Mittelrumpf genannt, ist das eigentliche Boot in dem wir uns aufhalten zum Segeln, Navigieren, Kochen, Schlafen und in dem auch die Toilette und die gesamte Technik untergebracht sind. Zu beiden Seiten, also an Steuerbord (rechts) und Backbord (links) befindet sich je ein weiterer kleinerer Rumpf, auch Schwimmer oder polynesisch Ama genannt. Polynesien ist das Ursprungsgebiet der Trimarane. Diese Rümpfe dienen der Kentersicherheit beim Segeln und bieten zusätzlichen Stauraum für Proviant, Werkzeug und andere Dinge, die man an Bord benötigt. Die Verbindung der Seitenrümpfe mit dem Mittelrumpf erfolgt durch je zwei sogenannte Beams oder polynesisch Aka genannt. Diese sind carbonverstärkt und müssen enorme Kräfte beim Segeln aufnehmen. Die Beams stützen das gesamte Boot. Damit man nicht vom Mittelrumpf zu einem Außenrumpf balancieren muss, sind Netze gespannt. Bei schönem Wetter kann man diese als Liegefläche zum entspannen und relaxen nutzen. Dieses Boot ist mit 5,5m sehr breit. Um das Boot dennoch auf einem Trailer (Anhänger) über Land zu transportieren oder in engen Häfen auch noch einen Platz zu finden, wurde das Boot klappbar konstruiert. Dies geht mit nur wenigen Handgriffen in kürzester Zeit. Jetzt wird sich sicher der ein oder andere fragen: Warum drei Rümpfe? Die Vorteile eines Trimarans gegenüber einer Einrumpfyacht liegen in den Segelleistungen. Es ist ein extrem schnelles und leichtes Boot mit wenig Tiefgang. Man kann mit diesem Boot Geschwindigkeiten von 20 Knoten (rund 37 km/h) und mehr erreichen. Die Geschwindigkeitsangabe Knoten bezieht sich auf Seemeilen pro Stunde. Eine Seemeile ist 1,852km lang.

Für unsere Reisen ist das Boot allerdings etwas klein. Nicht, dass uns der zur Verfügung stehende Platz nicht ausreicht, sondern die Zuladekapazität ist für genügend Proviant, eines über mehrere Wochen andauernden Törns, nicht ausreichend. Wir segeln also immer überladen los. Dies beeinträchtigt natürlich unsere Segelgeschwindigkeit und ist auch ein Sicherheitsrisiko.

Als gelernter Energieelektroniker ist es natürlich selbstverständlich für mich, dass mein Boot elektrisch fahren muss. Da diese Antriebsart noch immer relativ selten ist, gibt es auch nur wenige elektrische Bootsmotoren auf dem Markt, die für unser Boot geeignet sind. Seit 2008 sind wir bereits elektrisch auf dem Wasser unterwegs und mussten immer wieder feststellen, dass man sich auf die derzeit erhältlichen elektrischen Aussenbordmotoren nicht verlassen kann. Das sollte im Jahr 2010 anders werden. Wir benutzten einen Prototypen, der leider erst am ersten Urlaubstag fertig wurde.

Einleitung

Das Wort Vorurlaubsstress erhielt für uns im Sommer 2010 eine völlig neue Bedeutung. Anders als in den Jahren zuvor hat Katja ganz allein die Lebensmittel und Getränke in das Boot geladen, da ich einen Tag vor der Abfahrt den kompletten Bootsmotor zerlegte. So etwas macht man natürlich nicht erst kurz vor der Abfahrt, aber die für meine Aufgabe erforderlichen Teile wurden einfach nicht früher geliefert. Ich musste das Übersetzungsverhältnis unseres Motors auf 1:1 ändern, damit er auf der Ostsee über genügend Antriebsleistung verfügt. Der Motor war ein Prototyp bei dem sich während der ersten Probefahrt herausstellte, dass der Propeller zu langsam dreht. Jedoch war der gelieferte Zahnriemen, der die Kraft vom Motor auf die Propellerwelle überträgt, 13cm zu lang. Also musste der Elektromotor im Gehäuse um diese 13cm höher montiert werden. Die Konsequenz war, dass der Gehäusedeckel (Motorhaube) nicht mehr auf das Aussenbordergehäuse passte. Also sägte ich eine Aussparung in die Haube, damit der Motor oben herausragen konnte. Wegen des Regen- und Spritzwassers auf See habe ich anschließend die dadurch entstandene Öffnung mit Kunststofffolie und Gewebeband verklebt. Die optischen Aspekte waren zu diesem Zeitpunkt zweitrangig, wichtiger war die zuverlässige Funktion des Motors. Natürlich wollten wir auch keine Zeit mehr verlieren. Allerdings war ich trotzdem etwas unglücklich mit so einem „unschönen“ Motor auf „große” Fahrt zu müssen.

Während unserer Reise machte ich mir täglich Notizen in mein Handy. Diese bildeten die Grundlagen für dieses Buch, welches zunächst „nur“ als Törnbericht auf meiner Homepage erscheinen sollte. Doch die Eindrücke waren teilweise so überwältigend, dass ich mich entschied, aus dem geplanten Bericht ein Buch zu verfassen, denn ein Buch sollte jeder einmal geschrieben haben.

Tag 1 - Anreise

Es ist 13:00 Uhr. Wir befinden uns auf dem rund 400km weiten Weg zur Insel Usedom. Den Vormittag nutzte ich für die Endmontage des Motors und anderen organisatorischen Dingen, die unbedingt noch erledigt werden mussten. Guter Dinge und neben dem Proviant auch beladen mit einigen Portionen Mut und vor allem Misstrauen in die neue Technik geht es an die Ostsee.

In diesem Jahr gibt es neben dem Motor, der uns sicher und zuverlässig schieben soll, wenn kein Wind mehr weht, noch weitere Änderungen an Bord von deren Nutzen wir uns erst überzeugen lassen müssen. Wir haben ein Verdeck zum Schutz vor schlechtem Wetter und Lithium-Akkus durch die wir ca. 75kg leichter als mit den bisherigen Bleiakkus sind.

Wir kommen 20:15 Uhr in Karlshagen auf der Insel Usedom an. Da zu dieser Uhrzeit kein Hafenmeister mehr anwesend ist, klärten wir bereits telefonisch auf der Fahrt mit ihm ab, wo wir unser Auto für die kommenden vier Wochen parken dürfen. Nach dem Slippen -so wird das zu Wasser lassen eines Bootes genannt - stelle ich Auto und Trailer auf dem mir vom Hafenmeister beschriebenen Parkplatz ab. Drei Kinder beobachten jeden unserer bereits zur Routine gewordenen Handgriffe und stellen viele Fragen. Wir verlassen den Hafen, gefolgt von den Blicken und Rufen der Kinder und fahren zu unserem ersten Ankerplatz in der Peene. Der vor ca. 10 Stunden zusammen gebaute Motor funktioniert einwandfrei und beschleunigt unser noch zusammengeklapptes Boot mit Beiboot im Schlepp locker auf 5,4 Knoten. Ich bin sehr erleichtert, denn es ist ein Risiko mit einem ungetesteten Motor auf die Ostsee zu fahren. Noch während der Fahrt aus dem Hafen klappen wir unseren Trimaran auseinander. Gleich nach der Hafenausfahrt von Karlshagen ankern wir in Ufernähe. Plötzlich macht mich Katja darauf aufmerksam, dass sich etwas Wasser im Bootsinneren befindet. Ich ahne schon wieder Schlimmes. Im letzten Jahr fing genau so unser Unglück an. Einen Riss in der Spülwasser-Ansaugleitung der Seetoilettenanlage bemerkten wir erst, als der halbe Technikraum unter Wasser stand. Die Ersatzteilbeschaffung, der durch das Wasser beschädigten elektronischen Komponenten, kostete uns eine halbe Woche unseres Urlaubes.

Die Ursache ist in diesem Jahr schnell gefunden. Ein Schlauch vom Druckwassersystem hatte sich mitsamt der Schlauchklemme gelöst. Dies kam sicher durch die Erschütterungen auf dem Straßentransport. Ich konnte den Schaden glücklicherweise schnell beheben. Wenn das der obligatorische jährliche Zwischenfall war, dann sind wir ja noch einmal gut davon gekommen. Es gibt an Bord häufig technische Probleme. Viele davon kann man aber unterwegs beheben. Auf einem größeren Segeltörn gehört es einfach dazu, sein Boot hin und wieder zu reparieren.

Tag 2 – Es geht los

Wir wollten zeitig aufstehen. Mit 7:00 Uhr haben wir jedoch nach unseren Vorstellungen von zeitig, bereits verschlafen. Nach dem Frühstück stellen wir den Mast und machen unser Boot segelfertig. Für diese Arbeiten benötigen wir im Schnitt eine Stunde inklusive dem Aufstellen des Verdecks.

Jetzt kann es endlich los gehen. Ich setze das Großsegel und Katja übernimmt das Steuern während ich den Anker aufhole. Bei mäßigen achterlichen Winden verlassen wir den Peenestrom Richtung Norden. Die 2 Segelboote, welche an uns vorbei segelten als wir noch mit dem Aufriggen (das Boot segelklar machen) beschäftigt waren, holen wir schnell ein und schon bald befinden sie sich hinter uns. Mit einem Trimaran ist man fast immer schneller unterwegs als andere Segelboote. Eigentlich wollten wir heute noch bis Schweden segeln, doch dafür ist es jetzt schon zu spät. Bisher haben wir das Aufriggen immer am Ankunftstag gemacht, um dann am nächsten Tag gleich loszusegeln. Diese Zeit fehlt uns jetzt für unsere erste „Überfahrt“. Also beschließen wir nur bis Nord-Rügen zu segeln. Dies ist mit 31 Seemeilen für den ersten Tag auch ausreichend. Es ist kaum Wind und die Wellen schaukeln uns kräftig durch. Katja wird es sogar zeitweise ganz flau im Magen. Mehrere Male fahren wir sogar mit Motor, da uns der Wind zeitweise total verlässt. Wir ankern gegen 16:00 Uhr vor Rügens Kreideküste. Ein schöner, wenn auch nicht ganz ruhiger Ankerplatz. Während ich diese Zeilen in mein Handy tippe, lernt Katja fleißig ein paar Worte schwedisch zur Vorbereitung auf unsere bevorstehende Reise. Wir gehen zeitig in die Koje um ausgeschlafen für die kommende Ostseequerung zu sein.

Tag 03 – Auf nach Schweden

7:25 Uhr setzen wir die Segel und nehmen Kurs auf den schwedischen Ort Simrishamn. Die rund 70 Seemeilen lange Etappe beginnt gemütlich mit rund 5 Knoten Fahrt. Leider ist dieser Zustand nicht von Dauer. Der Wind lässt nach und wir fahren mit nur noch 3 Knoten unserem Ziel entgegen. Ich bin noch immer oder schon wieder sehr müde. Der Stress der letzten Tage steckt tief in meinen Gliedern, und ich denke auch die noch ungewohnten Bewegungen des Bootes ermüden mich sehr. Katja übernimmt die Wache damit ich mich ein Stündchen ins Cockpit legen kann. Als ich aufwache, ist wieder etwas mehr Wind. Ich trimme die Segel und schon laufen wir wieder direkten Kurs mit rund 5,5 Knoten Fahrt über Grund. Trimmen bedeutet die Segel so einzustellen, dass man die für die aktuelle Windrichtung und Stärke bestmögliche Fahrt macht. Oft verändert man die Segel nur wenige Zentimeter und kann dabei durchaus mehrere Knoten an Geschwindigkeit gutmachen. Man verwendet in der Seefahrt zwei Geschwindigkeiten: Die Fahrt über Grund (speed over ground = SOG) ist die tatsächliche Geschwindigkeit, die das Boot, bezogen auf die Erde als Bezugspunkt, zurücklegt. Diese Geschwindigkeit wird auch auf dem Bildschirm eines GPS -Empfängers angezeigt. Die Geschwindigkeit durch das Wasser (Fahrt durch das Wasser = FdW) kann davon, bedingt durch Strömungen, stark abweichen.

Wir genießen das schöne Wetter mit mäßigen Winden, 25°C Lufttemperatur und Sonnenschein – Seglerherz was willst du mehr? Wir wünschen uns, dass es den gesamten Urlaub so bleibt. Auf Kreuzfahrtschiffen werden solche Tage „Erholung auf See“ genannt. Zu Mittag machen wir Bratkartoffeln mit Brathering und zum Abendessen Rührei. Katjas Appetit entscheidet meist was wir essen und ich bereite es dann zu. Viel Arbeit macht es ja auch nicht vakuumverpackte Bratkartoffeln zu erwärmen und zu verfeinern. Der Wind schwankt den ganzen Tag zwischen 1 und 3 Beaufort aus Nordwest über West bis Südwest bei konstantem Luftdruck. Am Abend nutze ich das schöne Wetter zum Waschen und Rasieren auf dem Netz. Mit Hilfe des Eimers geht das sogar während der Fahrt. Das ist viel schöner als zu Hause!

Gegen 21:30 Uhr gehen wir direkt neben dem Hafen Skillinge vor Anker. Wir sind also nicht ganz bis zu unserem Ziel Simrishamn gesegelt. Es war ein wunderschöner Tag, an dem wir 61 Seemeilen zurückgelegt haben.

Tag 04 – Die Hanöbucht

Wir sind in Schweden. Das ist deutlich am Wetter zu spüren. In der Nacht regnete es. Nun ist es bewölkt, kalt (14°C) und windig. Das Unangenehmste ist die Wassertemperatur von nur noch 12°C. In der Peene waren es fast 24°C und auf der offenen See 20°C. Durch diesen drastischen Temperaturabfall sind natürlich Schwertkasten und Scheiben beschlagen. Dies schafft ein unangenehmes und feuchtkaltes Klima an Bord. Also schnell Brötchen aufbacken und weiter. Im Sund wird das Wasser sicher wieder wärmer werden. Heute wollen wir die Hanöbucht überqueren - ein 60 Seemeilen Törn.

Wir segeln auf Halbwindkurs bei 4-5 Beaufort und ruppiger See mit 6-7 Knoten unserem Ziel entgegen. In diesem Jahr tragen wir kein Ölzeug (Regenbekleidung), denn das neue Verdeck schützt optimal vor dem Spritzwasser.