>> Ob das mein Motorrad sei, fragt ein rötlicher Backenbart von rechts und sieht mir lächelnd in die Augen. Ja. Es sei eine Kawasaki, und sein strammer Bierbauch schüttelt sich im Erstaunen, dass dies doch keine Zweitackt-Rennmaschine sei. Nein, die Zeiten seien vorbei, und Kawa baue den Typ seit 1999, und ich meine, die machen ihren Job sehr gut. Ohne Zweifel, antwortet er und sagt dann etwas, was sich vielleicht auf die Königswelle bezieht.

Am Samstag sei ein Fest hier im Dorf. With lifemusic and many acts. Ob ich dann noch in der Gegend sei. Ich möge mal kurz auf seine Sachen aufpassen, die er auf den Brunnenrand legt, und er verschwindet in die nächste Straße.

Dann kommt er mit einer Zeitung wieder, erklärt mir seitenknisternd die Events, kommentiert die Bands, und ich nicke dann am dollsten, wenn ich sein Englisch nicht verstehe. Er reicht mir die Hand, daraufhin die Zeitung und wünscht mir einen schönen Tag. Im Weggehen dreht er sich noch mal um mit der Bitte, vorsichtig zu fahren. Und fort ist er. <<

Laurids Anders, 1959 in Berlin geboren, verbrachte seine Jugendjahre in Siegen/ Westfalen. Er studierte in Freiburg Medizin und ist seit 1989 in einem Hamburger Krankenhaus als Arzt tätig.

Vorwort

Die vorliegende Reiseerzählung hat sich so wie beschrieben zugetragen und ist keine Fiktion. Auch wenn manche beteiligte Akteure in der Erzählung einen anderen Namen erhalten haben, sind Orte und B&Bs authentisch geblieben.

Die Erzählung nimmt die Route Südengland entgegengesetzt zum Uhrzeigersinn, was eigentlich anders geplant, aber letztlich eine gute Entscheidung war. So hatte ich bei schönem Wetter gute Motorradwege am Meer.

Wenn mich jemand fragt, ob ich Südengland nochmals in dieser Art erfahren wolle, würde ich sofort mit einem ‚Ja‘ antworten. Von den insgesamt 4.000 zurückgelegten Kilometern fuhr ich 2.500 in England. Und diese Kilometer waren ungehetzt, mit Zeit, mit Weile und Ruhe. Und oft auch verbunden mit spontanen Verlängerungen vor Ort.

Ist dieses Buch ein Reiseführer? Nicht wirklich. Und vielleicht doch. Aber nicht in einer Weise, dass Hotels, Unterkünfte, bestes Essen und Sehenswürdigkeiten tabellarisch aufgeführt werden. Nein, eher in der Art, dass man - oder jeder selbst - die Zuversicht haben kann, auch in der ‚Fremde‘ nicht allein zu sein. Communication helps.

Meine Motto, was mich oft genug grinsen ließ, heißt: Mal seh‘n, was geht.

29.06.2012. Hamburg

Der Vorgarten trocknet langsam in schwülem Dunst. Innenhof mit junger Birke. Die grauen Stühle und der Marmortisch vor mir hellen auf.

Das Zwitschern der Vögel erstummte vorhin. Dicke Tropfen platschten auf die Bohlen der Veranda, der Himmel dunkel. Und angenässt ging ich ins Haus.

Drinnen waren die Fenster gekippt, ließen die Vorgewitterwärme angenehm ins Haus nach so vielen kalten Frühsommertagen. Ich ging in die Küche und schaute durchs Fenster hinaus links ins Carport: Hinter lauten Regengardinen steht das Motorrad. Ruht seit ein paar Tagen, schlank in grün.

Die letzten Tropfen sind gefallen. Das wars erstmal. Blumentöpfe stehen in regenvollen Untersetzern auf den Stufen, und hemdsärmelig unterm Balkon schreibe ich diese Zeilen. Schöne Luft jetzt, kühler nach dem Regen. Amseln erzählen wieder fleißig dem unscheinbar bedeckten Himmel. Oder doch einer weit entfernten anderen die Geschichten des Tages? Dann Zarrzarrzaarr-Geschnatter mit Flügelschlagen ziehen tief die Krähen zu ihren Baumgelagen nach Süden.

Ich will in 12 Tagen mit dem Motorrad durch England fahren. Das hier ist der Anfang meiner Reiseerzählung. Aufgeregtes Kribbeln im Bauch wieder. Und das hört kaum auf.

Letzte Woche war ich mit meiner Tochter beim Outdoor-Laden in Hamburg um ihr als Anerkennung für das Abitur ein 'Zelt fürs Leben' zu kaufen. So haben wir es auf jeden Fall genannt. Und wir haben vereinbart, dass ich es ausleihen dürfe. Freude mit schönem Grün und Innenrot kam nach Hause. Und beide waren wir mächtig stolz. Ein wasserdichter Sack dazu, da soll das drin sein. Für hinten über die Sitzbank.

29.06. Freitag

Der große schwarze Sack liegt auf dem Dielenboden. Ich hebe seine Öffnung leicht bei der Kunststofflippe und schiebe das Zelt hinein. Dann Isomatte und das Anglerdreibein. Und Schlafsack stopft den Sack zu einer riesigen schwarzen Wurst. 79 Liter sollen sie fassen. Auf den Boden gestellt, rolle ich den Falz und klacke die Enden des Verschlusses ineinander.

Dann einmal hoch zum Wiegen: genau 10 Kilo. Trockengewicht. Ich nenne die Wurst ‚Das Haus‘. Es soll hinten über die Seitenkoffer mit Gummibändern geschnallt werden.

Die beiden Seitenkoffer muss ich mal aus dem Schuppen holen. Sie werden die Bedürfnisse des alltäglichen Seins aufnehmen: Kleidung, Sauberkeitsartikel, Elektrozeug, Bücher und ein Kopfkissen (das hat bei 'das Haus' leider keinen Platz mehr. Muss das Topcase doch mit?).

30.06. Samstag

Meine beiden sind jetzt seit drei Tagen in Island. Unglaublich, wie die Zeit vergeht. Diesigwetter im Norden der Insel, die Gegend schöner als der lang gehegte Traum. Ich lese heute Morgen die Zeilen, die meine kleine Große gestern Abend noch schrieb. Zwei Länderstunden sind sie später.

Die Katzen bleiben jetzt drin. Vielleicht können die heute Abend noch mal raus. Ich will gleich los, mit Freunden an die Ostsee: Fischbrötchen in Neustadt, mit dem Motorrad. Es ist schon elf.

02.07. Montag

18 Uhr schaue ich auf mein Handgelenk. „Das war mal dringend nötig“, denke ich an den abgebrochenen Arbeitstag und den spontanen Entschluss, der Ungefährheit ein Ende zu setzen. Jetzt liegt mein Rucksack mit der Beute vor mir auf den Bohlen der Veranda. Die gefütterten Kater schwänzeln drum herum, schnuppern zweimal maunzig, und der graue schlüpft sich durchs Gebüsch zum Nachbarn.

Blumengießen mit dunkler Wolkenruhe. Der Orangekater wälzt sich auf den Dielen. Vogelsingen. Ich setze mich zur Sonne, die im Westen Himmelsbänder unterm Schwarz verflechtet.

Den Rucksack auf meinen Beinen greife die Mappen und Bücher auf den schwarzen Tisch. Landkarten von Südengland, ein Reiseführer und der Roman freudeln mich an. Seit Tagen gänsehautet mich mein Ungewiss - und jetzt liegt dieses Ungewiss rechts neben mir und wird wohl Wahrheit werden.

Gedanken schweifen zurück nach Norderstedt: Ich hatte meine W800 direkt vor dem Einkaufscenter abgestellt. Der Helm war - unglücklich geneigt gewesen? - neinein, der war auf meinem Kopf. Na - wie auch immer lag mein Handschuh auf dem Boden. Das wäre mir garnicht aufgefallen, wenn nicht der freundliche Christoph mich angesprochen hätte. Der sagt mir ein Hallo Andreas. Was ich denn hier mache. Ich wundere ihn an, ziehe den Helm vom Kopf, gebe Christoph die Hand, lächle ihm ein Dankeschön in die Augen. Die Handschuhe sammeln sich derweilen in den Helm.

Nach England wolle ich. Nein nicht jetzt hier. Hier sei ich wegen des ADAC da hinten. Die haben Karten.

Stirnrunzeln vorhin, und ich muss schmunzeln.

Ja, antworte ich, ein GPS gibts auch, aber ohne Kartenübersicht kann ich das Tagesziel nicht erkennen. Nickend erkundigt er sich nach meiner Begleitung, und er weiß im Augenblick, dass es einen Grund fürs Alleinefahren geben könnte.

„Allein“, meint er, „geht so ein Abenteuer in Richtung Selbsterfahrung.“ Ich schürze die Lippen, blicke zu Boden und dann zu ihm auf: „Ich wusste das bisher zwar noch nicht. Aber wenn du das so sagst - ich glaube, da ist was dran." Christoph herzlich hob die Hand zum Abschied und ruft noch eine gute Reise in meinen Rücken.

Ich schaue nach oben. Der Himmel zeigt Blau unter einer zerklüfteten Wolkenlandschaft Südenglands. Träumereien - und dann wieder Garten vor mir. Rechts der Birke quillt Bambus unterm roten Haselnuss. Zu meiner Linken zeigt das Motorrad Profil. Ich muss es gleich noch auf dem Hauptständer um 180 Grad drehen und unters Carport bugsieren.

Ja - vielleicht wird meine Fahrt ein Insichkehren sein. „Seltsam", denke ich dann, „Christoph dort in Norderstedt, steht da vor mir wie abgesandt." Ja, vielleicht kennt er meine Absicht besser als ich. Selbsterfahrung, wie: Mal sehen, was geht. Oder: Ich bin ich und niemals direkt Du.

„Ich weiß mein Sein“ und kenne doch nur das eigene, wie jeder nur sein eigenes Sein kennt.

„Mein Sein ist Aufmerksamkeit, die sich manchmal wundert oder staunt. Und wenn das Sein grinst, bin ich auf dem Weg das zu tun, was ich tun sollte. Wenn das Sein weint, habe ich meinem Außen weh getan. Manchmal weiß ich nicht einmal warum.“

03.07. Dienstag

Mein neues Navi funktionierte nicht. Hatte es zurückgeschickt. Heute gibts Nachricht, dass das noch 10 Tage dauern kann. „Geht nicht", habe ich geantwortet. Mal sehen, was wird. Ohne Navi fahr ich nicht los.

Karten und Reiseführer: Ich habe einen neuen Plan: Will nicht Kilometer scheffeln, sondern Südengland kennen lernen. Ich streiche die Optionen Wales und Schottland aus meiner Zielvorstellung und konzentriere mich auf 'Cornwall & Südwestengland', so wie der Titel meines Reiseführers das jetzt von mir will.

Am 11. Juli werde ich zunächst Station in Siegen machen, alte Freunde besuchen. Landstraße - versteht sich. Am nächsten Tag gehts dann nach Calais, und weiter durch den Eurotunnel nach Folkestone. Es wird Abend sein, wenn ich englischen Boden befahre. Und Unterkunft? Lässt sich nicht planen.

Bed & Breakfast kann sein. Ich würde erst mal Camping ansteuern wollen. Zelt, Schlafsack und Isomatte stelle ich mir gerade mal ausgesprochen gemütlich vor. Die Isomatte kann mit ihren acht Zentimetern Auflagehöhe einfach nur gut sein. Schmal, o.k.. Dann kommt aus meinem Gepäck noch was Weiches rechts unter meinen Ellbogen. Und dann ist gut.

05.07. Donnerstag.

Mail vom Navi: Es ist heute repariert auf den Weg gegangen. Na - das ist eine gute Nachricht.

Wo ist eigentlich meine Halterung, die ich mir hatte anfertigen lassen? Schreibtischschublade rechts, genau! Und dann in Zangen und Schlüssel gewühlt: kein Fund.

Egal. Dann soll die Post erstmal kommen.

Das Stromkabel muss ich noch legen. Aus der Lampe? Schaumama.

Soll ich das Topcase nun mitnehmen? Ist ja dann ne Menge Gepäck: Tankrucksack, Topcase, Seitenkoffer und ‚das Haus‘ quer drüber. Weiß noch nicht, werde am Samstag probepacken - und mir vorher noch drei weitere wasserdichte Beutel kaufen. Hätte dann sechs. England ist nun mal nass.

06.07. Freitag

Neuer Plan ohne Siegen. Ich fahre in erster Etappe nach Amsterdam. Und von dort aus am nächsten Tag nach Calais.

Das Wohnzimmer sortiert sich und offenbart seine Packbereiche. Wie gut, dass das scheinbare Durcheinander keinen stört: Um den linken Koffer liegen die Moppedsachen: Hosen, Werkzeug, Zweitschlüssel, Kettenspray. Um den rechten die Kulturgüter: Unterwäsche, Handtücher, Kulturbeutel und Hemden. Gut so. Die Elektronikabteilung kann ich noch nicht zuordnen.

07.07. Samstag

Keine Post mit Navi. Langsam mach ich mir Sorgen, ob ich denn den nächsten Mittwoch als Abfahrttag halten kann. Nee - ohne Navi fahr ich nicht.

Motorradausflug über Haseldorf nach Kollmar. Kurz hinter Haseldorf freue und scheue ich die schwarzen Wolken: Ich brauche einen Test mit dicken Tropfen und halte rechts in einem Bushäuschen. Die Gummihose aus dem Tankrucksack gezogen zuppel ich sie über die feuchte Hose. Der Tankrucksack soll jetzt mal zeigen, was er kann, und ich lasse die Überfalterung stecken.

Kollmar mit Fischbrötchen im Stehen. Der linke Stiefel knatscht sein Nass. Der soll definitiv nicht mit nach England (den rechten lass ich dann aber auch Zuhause).

Kauend schaue auf die orangeroten Bierbänke vor mir, die außer dicken Tropfen keine Gäste haben. Der Helm liegt neben mir im Gras. „Schwarzes Rund auf grünem Grund“, drehe mich zur dunklen Elbe. „Jacke, Hose und Helm können so bleiben." Ich hab ja noch andere Moppedschuhe.

08.07. Sonntag

Offroad-Veranstaltung in Tensdorf. Meine Moppedfreundin Ute brütet mit mir in der Mittagshitze mit Schwindelattacken bei der Kiesgrube. Warum wir hier sind, wissen wir jetzt gerade nicht. Für das Vormittagsrennen ist es zu spät, und die Pause der Veranstalter bis nachher macht Unsinn. Dann ist es warum auch immer Zwei. Wir raffen uns auf zum Geknatter für die Siegerrunden im flirrenden Flug.

Auf dem Weiterweg nach Plön hängen dicke Wolken im Rücken. Kaffeetrinken mit böser Vorahnung an sehr ruhigem See.

Im Nachhauseweg lässt das Schwarz alle Massen los, und wir warten in einem Holzverschlag den Blitz weg.

Daheim angekommen schütte ich das Wasser aus den alternativen Stiefeln. Die kommen auch nicht mit nach England.

09.07. Montag