Michael G. Fritz

La vita è bella

MINIATUREN AUS VENEDIG

mitteldeutscher verlag

Immer nur Dir gewidmet

I

Inhalt

COVER

TITEL

WIDMUNG

TEIL I

AUF DEN TISCHEN DES TRÖDELMARKTS 

CORRIERE ESPRESSO BARTOLI 

DER MANN IN DER LEDERJACKE 

HILF NIE EINER FRAU 

DIE STEINERNE FRATZE WACHT ÜBER DER PFORTE 

DIE PIAZZA SAN MARCO IST VOLLER MUSIK 

HINTER SIEBEN BRÜCKEN 

TEIL II

BUONGIORNO SIGNORA 

DIE SIGNORA LÄSST GRÜSSEN 

DIE KIRCHE SAN POLO IST GUT GEFÜLLT 

NACH DEM FEST 

SICH IM SCHATTEN DER HÄUSER 

WENN SIE DIE REINIGUNG 

WIEDER MAL REGNET’S, SIGNORA 

DER NACHBAR DER SIGNORA HAT ZWEI KATZEN 

IN DER CALLE, DIE ETWAS BREITER 

DAS GURREN DER TAUBEN 

SANTA MARIA GLORIOSA DEI FRARI 

DIE SIGNORA ZIEHT FRÜH UM ZEHN 

WIE DIE WELLEN AM LIDO ÜBER MIR 

BESUCHEN SIE MICH AUF TERRA FERMA 

DIE GLOCKEN VON 

AN DER PUNTA DELLA DOGANA GLEITE 

WIE VERSPROCHEN EIN VENEZIANISCHES GERICHT 

TEIL III

DAS GESCHÄFT HAT 

DIE JUNGE FRAU 

VORREI VEDERE PER FAVORE 

HEMINGWAY HAT IMMER 

AUS DEN FENSTERN DER HÄUSER 

HIER WEHT IMMER EIN WIND 

IN DEM GEMÄLDE BACCANALE IN ONORE DI PAN 

AN DEN STÄNDEN DIESSEITS UND JENSEITS DES 

DU HATTEST SO VIELE GAMBERETTI GEGESSEN 

DIE DREI MÜTTER KOMMEN MIT IHREN KINDERWAGEN 

WIE AUF EINEM FAMILIENFOTO: DER ÄLTERE JUNGE 

DER HUND DER SCHÖNEN FRAU BLEIBT 

AM ABEND FINDEN SICH DIE GONDELN ZUM SCHWARM 

TEIL IV

ALS ES SICH VON NORDEN 

DIE KIRSCHEN WUCHSEN UNS IN DEN MUND 

JÖRGI? JÖRGI IST TOT 

DER KNABE AUF DEN SCHULTERN DES VATERS 

GRETA È NATA IL 28. MAGGIO 

DIE KINDER TRETEN UNENTWEGT 

DIESE KLEINE, BITTE, WILL ICH SAGEN 

ES GIBT WIEDER FISCHE IM GIUDECCA-KANAL 

IN MEINER KNEIPE 

DAS LETZTE VAPORETTO HAT DEN WÄCHTER 

TEIL V

EINMAL MUSS DAS FEST JA ZU ENDE SEIN 

CHE COS’È QUESTA, FRAGE ICH AM STRAND 

IN DEINEM SCHAMHAAR FINDEN SICH VOM LIDO 

DIE LAGUNE SCHLÄGT 

VORREI UN BICCHIERE DI VINO ROSSO, PER FAVORE 

WENN SIE ITALIENISCH LERNEN WOLLEN 

DAS GÄSTEHAUS DER 

DER ALTE LIEGT AUF DER BRÜCKE 

DAS SCHIFF SINKT, ICH MUSS NIEMANDEN FRAGEN 

AUF DEM BAHNSTEIG IST EINE UNBESTIMMTE BEWEGUNG 

IMMERFORT DER HAGEREN GESTALT 

UNTER DEN PINIEN 

ICH NEHME DIE FREITREPPE ZUM HOTEL DES BAINS 

DANK

IMPRESSUM

AUF DEN TISCHEN DES TRÖDELMARKTS in Cannaregio gibt’s angeschlagene Glasfiguren und Heiligenbildchen, Aschenbecher aus Messing, vergilbte Fotos von Schauspielern, Bilderrahmen und stockfleckige Drucke, das Motiv ist immer die Serenissima. An der Hauswand hängt ein Vogelbauer mit einem Kanarienvogel darin, dessen Gesang über das in der Sonne liegende Areal schwebt. Ich arbeite mich, lustlos in Büchern und Zeitschriften blätternd, an die Kasse heran, hinter der eine Frau steht, viel größer als ich, massig und ganz in Schwarz.

Den Vogel, sage ich, nach nichts anderem als diesem Vogel stünde mir der Sinn. In der Tasche meines Jacketts, das ich trotz der Hitze trage, laß ich Münzen klimpern, die ich eine nach der anderen auf den Tisch zähle, ich weiß nicht mehr, wie viele. Die Frau nickt anerkennend, während ich einen Schein dazulege. Den Vogel bekomme ich aber nicht.

Ach, l’uccello, sagt sie.

Sì, l’uccello.

Der singt, wann er will und kostet bloß Futter, ruft die Frau, und wenn man nicht aufpaßt … Sie macht eine auffahrende Handbewegung und lacht und will gar nicht mehr aufhören zu lachen, ihr ganzer Körper bebt und ihr Mund steht sperrangelweit offen, daß ich tief in ihre Kehle blicken kann, das Zäpfchen flattert unaufhörlich wie die Zunge eines Vogels.

CORRIERE ESPRESSO BARTOLI prangt schwarz auf rot am Motorkahn, auf dessen geschlossenem Deck die beiden Männer in Arbeitskluft liegen, nebenher navigieren und italienische Weisen schmettern, dabei jeder sein Mobiltelefon vor dem Mund. Es sieht aus, als mißtrauten sie der Lautstärke der eigenen Stimme und sängen jeder dem anderen durchs Telefon zu, und zwar per Expreß.

DER MANN IN DER LEDERJACKE neben dem eisernen Tor bewegt sich zur Seite, er hantiert aufgeregt mit Feuer, steckt er sich ein Zigarillo an? In dem Moment drücke ich gegen den Knauf und trete sofort ein in den Garten hinter der Mauer, hoffentlich unbemerkt, denn bei dem Mann, ich bin sicher, muß es sich um einen Wächter handeln, der jeden Eindringling fernzuhalten hat. Die Zweige des reichlich wuchernden Oleanders neigen sich schwer von Blüten, Zypressen und Agaven säumen die Wege, überhaupt tut das Grün dem Auge wohl angesichts der steinernen Pracht der Stadt, so vollkommen sie sich auch gibt. Der Springbrunnen zieht die Aufmerksamkeit auf sich, ein Knabe aus Marmor ergießt sich aus seinem gewaltigen Phallus in die Schale auf dem Platz vor dem Pavillon. Er macht ein verschmitztes Gesicht: wegen seines Glieds oder der einfallslos immer gleichen Litanei des Strahls? Die Sockel, die den Platz umstehen, sind für Figuren errichtet, die allerdings fehlen.

Ich spüre eine Berührung an der Schulter, ein flüchtiges Antippen, mehr nicht, und höre sie im gleichen Augenblick.

Endlich, raunt sie mir ins Ohr, wo bleibst du denn. Die junge Frau in ausgewaschenen Jeans hat braune Augen und dunkelblondes Haar, das auf ihre Brust fällt. Die Frau bleibt stehen, streicht die Haare zurück. Sie will nur bewundert werden. Ich kann gar nicht anders.

Wo warst du so lange, sagt sie und zieht mich in den Pavillon. Ist’s eine Verwechslung oder ein Unternehmen in meine Vergangenheit, eine Frau von früher, die auf wundersame Weise ihr Alter gehalten hat? Ich zähle die Namen durch, die bedeutenden und die, nach denen ich grübeln muß – ich benutze die Finger. Ach, so viele Hände muß ich gar nicht bemühen. Diese Frau kenne ich nicht, oder?

Wir trinken abwechselnd Wein und Tee, sie beißt, während wir schweigen, in ein Gebäck und legt den Rest auf meine Untertasse. Ich nehme ihn selbstverständlich, er ist trocken und zuckersüß.

Katja, rufe ich auf, Katja?

Na hör mal, daß dir das noch einfällt.

Ich weiß gar nicht, sage ich dann, weshalb nichts aus uns beiden geworden ist. Waren wir nicht oft zum Tanz, es hat sich doch was abgespielt zwischen uns.

Und ob, lautet ihre Antwort. Doch dein Blick wanderte immer woandershin. Irgendwann warst du fort, fort aus unserer Gegend.

Ich höre Zikaden schlagen, die lauter und lauter werden, eine lärmende Woge, von allen Seiten auf uns zuflutend.

Jetzt bist du ja da, mein Lieber. Du hattest keine Wahl, du mußtest herfinden, du weißt es nur nicht. Ich hab dir etwas zu zeigen.

Sie strebt voran, mich im Schlepptau, wir lassen die Hände nicht mehr voneinander. Liegt’s daran, daß wir vom Weg abweichen und im Kreis gehen oder ist der Garten von unerschöpflichen Ausmaßen – er will kein Ende nehmen. Vor einem Jasminstrauch (und wie er riechen kann!) legt sie den rechten Zeigefinger über ihre Lippen, schiebt mit routiniertem Griff Zweige auseinander, und gemeinsam beugen wir uns nach vorn. Wir sehen im Abstand von einigen Armlängen Paare bei der Liebe, blendend weiße Leiber. Auf dem Höhepunkt verströmen sie ineinander, lösen und finden sich wieder zu stets neuen Konstellationen. Heftig stöhnend mit sich selbst beschäftigt, vergessen sie die Welt um sich herum.

Hinter uns zittert die Erde, an uns vorbei auf das Lager zu hastet eine Putte, der Knabe vom Springbrunnen, ich erkenne ihn an seinem ihm vorauseilenden, schlenkernden Phallus. Er springt erregt zu den Paaren, um mitzutun. Die Figuren, jetzt weiß ich’s, sind von den Sockeln gestiegen. Sie starren sich den lieben Tag lang an, wie sie ihr Schöpfer geschaffen hat, und verzehren sich. In einem unbeobachteten Augenblick nutzen sie ihre Chance. Ob sie’s schon immer so halten?

Von Anfang an, flüstert Katja, sie altern nicht.

Wie du, stelle ich fest.

Dem Liebenden vergeht die Zeit nicht. Sie neigt mir ihren Mund zu. Ich küsse sie, berühren meine Lippen unter der Haut Marmor?

HILF NIE EINER FRAU