Rüdiger Fikentscher

Liebe, Arbeit, Einsamkeit
Ein Gelehrtenpaar in zwei Diktaturen

Wilhelm Schubart, Papyrologe
Gertrud Schubart-Fikentscher, Rechtshistorikerin

mitteldeutscher verlag

Inhalt

Cover

Titel

Geleitwort

Prof. Dr. jur. Dr. h. c. ROLF LIEBERWIRTH

Vorwort

1 »Sie stehen auf vorgeschobenem, vielleicht verlorenem Posten«

2 Ein Pastorensohn aus Schlesien

3 Wilhelms Universitäten

4 Zum Grauen Kloster

5 Familientreffen

6 Eine Fabrikantentochter aus Sachsen

7 Wilhelms Frage

8 Nur der Park war immer heil

9 Gertruds Blick auf den Ersten Weltkrieg

10 »O, was ich will? Einen Beruf!«

11 »Sogar Vater schreibt«

12 Tante Luise erzählt von Großvater

13 »Welch ein Gefühl, an die Wahlurne zu treten«

14 »Bestanden – ach, ich bin namenlos glücklich!«

15 Zeitgeschichte im Tagebuch

16 Liebe, Arbeit, Einsamkeit

17 Wohlstand und Elend

18 »Strauß dirigierte selbst«

19 »Welche Religion ich bekenne?«

20 Briefe aus Ägypten

21 Sie liebten die Berge

22 Ein Leben lang mit Kindern

23 Auf Hitler keinen Eid!

24 Preisträgerin der Akademie

25 Mit siebzig ausgebombt

26 Gertruds Weg zur Hochschule

27 Die deutsche Sprache

28 Leipzig, Halle, Heidelberg

29 »Ehren stellten sich überreich ein«

30 »Hier ist auch Deutschland!«

31 Entlassung in die Wissenschaft

32 »Gottes ist der Orient …«

33 »Es ist still im Haus – und Wilhelms Uhr tickt«

34 »In Mainz hat heute der Rechtshistorikertag begonnen, zu dem wir nicht fahren dürfen«

35 »Ein weiser Mann schweiget und erwartet die Zeit«

36 »Seele, vergiss sie nicht, Seele vergiss nicht die Toten«

Bildtafeln

i Lebensdaten von Wilhelm Schubart und Gertrud Schubart-Fikentscher im gemeinsamen Überblick

ii Bibliografie Wilhelm Schubart

iii Bibliografie Gertrud Schubart-Fikentscher

iv Verwendete Quellen und Literatur

v Stammbäume und verwandtschaftliche Beziehungen

vi Personenregister

Weitere Bücher

Impressum

Geleitwort

Über Leben und Lebenswerk eines Menschen kann aus der Sicht des jeweiligen Betrachters mehr oder weniger viel und auch inhaltlich Unterschiedliches geschrieben werden. Für einen Verwandten steht in der Regel die Familie zu ihrer Zeit mit all ihren Höhen und Tiefen im Mittelpunkt, für einen Wissenschaftler das historische Wirken im engeren oder weiteren Fachgebiet. Rüdiger Fikentscher versucht sich, sowohl als Mitglied der Familie als auch als wissenschaftlich vielseitig interessierter Mediziner, nun hier mit Akribie an beidem. Zwei zur Familie gehörende wissenschaftlich bedeutende Persönlichkeiten, das Gelehrtenehepaar Gertrud und Wilhelm Schubart, werden von ihm in ihren Anschauungen und Wirken unter besonders schwierigen politischen Verhältnissen vorgestellt. Mir war es vergönnt, mit beiden menschlich und wissenschaftlich außerordentlich geschätzten Gelehrten in ihren letzten Lebensjahrzehnten sehr verbunden zu sein. Gertrud Schubart – in der Wissenschaft Schubart-Fikentscher – lernte ich im Wintersemester 1948/​49, meinem letzten Studiensemester an der Martin-Luther-Universität, als neu ernannte Hochschullehrerin für Bürgerliches Recht und Deutsche Rechtsgeschichte kennen und bald wegen ihrer gründlichen Art, den Stoff den Studierenden vorzutragen, sehr schätzen. Der Zufall wollte es, dass ich wenige Wochen später als Kandidat auch von ihr im Staatsexamen geprüft wurde. Als dann wieder einige Wochen später die Stelle eines Fakultätsassistenten neu besetzt werden sollte, fiel die Wahl des damaligen Dekans auf mich. Von nun an stand ich allen Mitgliedern des Lehrkörpers unserer Fakultät als Hilfskraft zur Verfügung, auch Frau Professor Dr. jur. Gertrud Schubart-Fikentscher. Ihre Anwesenheit an der Fakultät war stets nur kurz, weil sie noch nicht in Halle wohnte, sondern nach Leipzig zurückfuhr, wo ihr 23 Jahre älterer Ehemann, der Altphilologe Wilhelm Schubart, ein weltberühmter Papyrusforscher, wie ich erst später erfuhr, eine Professur innehatte. In mein Aufgabengebiet habe ich mich schnell einarbeiten können und musste schon nach einem halben Jahr die anstehende Dekanatswahl vorbereiten helfen. Diese Wahl fiel auf Gertrud Schubart-Fikentscher, was ihr noch sehr viel Sorgen bereitete; denn die inzwischen über 65-jährigen Professoren, sozusagen der Stamm der Fakultät, ließen sich nun emeritieren und standen leitungsmäßig nicht mehr zur Verfügung. Ein weiteres Problem für die neu gewählte Dekanin war der noch ungewohnte hallische Universitäts- und Fakultätsbetrieb. Am Ende der Sitzung kam sie auf mich zu und sagte: »Bitte, lassen Sie mich nicht auch noch im Stich!« Ich sagte ihr das zu, und seither, seit Ende des Jahres 1949 bis zu ihrem Ableben im März 1985 haben wir zunächst wissenschaftsorganisatorisch und nach und nach auch fachlich auf dem Gebiet der deutschen Rechtsgeschichte, speziell in der Christian-Thomasius-Forschung, sehr gut zusammengearbeitet.

Als es schließlich Monate später gelang, nun auch in Halle eine sehr angenehme Wohnung zu mieten und entsprechend einzurichten, trat für Gertrud und Wilhelm Schubart die für ihre fachliche Arbeit notwendige Ruhe ein. Beide erfüllten weiterhin auch noch ihre Lehrverpflichtungen in Leipzig. Von einem Dienstwagen der Universität Leipzig jede Woche abgeholt und zurückgefahren, lernte ich, als mitfahrender Assistent für rechtshistorische Seminare, auch Wilhelm Schubart kennen und in seiner gütigen und niemals um Abstand besorgten Art außerordentlich schätzen. Speziell seine wissenschaftspädagogischen Ratschläge haben mir als Anfänger in der Wissenschaft sehr geholfen. Beide trugen dazu bei, dass ich bald mit kleinen Beiträgen an die wissenschaftliche Öffentlichkeit treten und auf dem Gebiet der Rechtsgeschichte promovieren konnte. Inzwischen war Gertrud Schubart-Fikentscher vom Senat der Universität mit der Vorbereitung und Durchführung der Feierlichkeiten zum 300. Geburtstag des geistigen Begründers der hallischen Universität, Christian Thomasius, betraut worden. Ihre erfolgreiche Arbeit fand größte Anerkennung im Lehrkörper der Universität und weit darüber hinaus. Als sie dann am 1. September 1957 als 60-Jährige emeritiert wurde und ich wegen fehlender Fachkräfte ihre Lehraufgabe übernehmen musste, war unsere wissenschaftliche Zusammenarbeit keineswegs beendet, sondern verstärkte sich im Gegenteil immer mehr. Jeden Donnerstagvormittag durfte ich sie in ihrer Wohnung aufsuchen, wo ich beide, Gertrud und Wilhelm Schubart, an ihren Schreibtischen in ihrem gemeinsamen Arbeitszimmer vorfand. Und nun begann der Gedankenaustausch, an dem sich auch Wilhelm Schubart gern beteiligte. Der immer umfangreichere Briefwechsel wurde ebenso erörtert wie die gegenseitigen Entwürfe von Veröffentlichungen, die geplanten Rezensionen und die angeforderten Begutachtungen. Emeritierung bedeutete für Gertrud Schubart-Fikentscher, sich nunmehr vollständig der Forschung widmen zu können. Ihre immer zahlreicheren Veröffentlichungen fanden im deutschsprachigen Raum und auch in den Nachbarländern große Beachtung. Dafür wurde sie am 7. Dezember 1959 zum ordentlichen Mitglied in die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig gewählt, eine Gelehrtengesellschaft, der Wilhelm Schubart schon seit 1941 als korrespondierendes und seit 1947 als ordentliches Mitglied angehörte. Dass ein Ehepaar als Vertreter unterschiedlicher Fächer einer Akademie angehörte, war eine große Seltenheit, die allerdings nur ein Jahr währte; denn Wilhelm Schubart verstarb schon am 9. August 1960 während eines Urlaubs in Altenhof/​Schorfheide. Ich durfte für ihn, wie auch ein Vierteljahrhundert später für Gertrud Schubart, die Trauerrede halten. Sie war jetzt allein, aber nicht einsam; denn sie war von nun an für die Familie da, wie auch umgekehrt, und die Forschung verdankte ihr noch lange Zeit wichtige Ergebnisse auf dem Gebiet der deutschen Aufklärung.

Prof. Dr. jur. Dr. h. c. Rolf Lieberwirth

Vorwort

Mit diesem Buch möchte ich zwei außergewöhnlichen Menschen ein gemeinsames Denkmal setzen, das mehr aussagen kann als die beiden Standsäulen, die ihnen von ihren Einzelwissenschaften errichtet worden sind. Getrennt voneinander steht unter diesen: »Wilhelm Schubart (1873  1960), Professor für Alte Geschichte, Papyrologe von Weltruf« sowie »Gertrud Schubart-Fikentscher (1896  1985), Rechtshistorikerin, erste Frau in Deutschland auf einem juristischen Lehrstuhl«. Beides bedeutet sehr viel, und ihre Schüler, Amtsnachfolger und namhafte Fachgelehrte würdigten sie und ihre wissenschaftlichen Leistungen mit Zuneigung und Hochachtung.

Mir geht es darüber hinaus um die Schilderung zweier ringender Menschen, die, aus ganz unterschiedlichen Lebensräumen des 19. Jahrhunderts kommend, sich in einer gemeinsamen geistigen Welt zusammenfanden und wechselnden Herausforderungen stellen mussten und stellten. Sie bereicherten die Wissenschaft nicht nur auf ihren Spezialgebieten, sondern weit darüber hinaus, und waren Mitglieder ein und derselben Akademie der Wissenschaften, ein weltweit seltenes Beispiel. Sie haben die Nazi-Zeit ebenso wie die Zeit der kommunistischen Diktatur mit Haltung überstanden, dabei manches auf sich genommen, vielen Menschen geholfen, ihnen das Leben erleichtert, manches sogar gerettet, ohne darüber zu reden. Die Schilderung ihres Lebens auf der Grundlage umfangreicher Tagebuchaufzeichnungen, Akten und Briefe erlaubt zugleich einen tiefen Blick in die Geschichte des 20. Jahrhunderts von der Kaiserzeit, der Weimarer Republik, der Nazi-Zeit bis in die Jahrzehnte der Teilung Deutschlands. Wir erleben zwei Wissenschaftler, die nicht nur allen namhaften Fachkollegen ihrer Zeit begegnet sind, sondern auch vielen bedeutenden Menschen aus Politik und Kultur, mit denen sie in jahrelanger Verbindung standen.

Ohne den nötigen Respekt zu verlieren, nenne ich beide nur mit Vornamen und, um den erforderlichen Abstand zu wahren, mich selbst in der dritten Person. Gertrud war die Schwester meines Vaters und seit 1928 mit Wilhelm verheiratet. Beiden verdanke ich unendlich viel, denn nach Wilhelms Tod lebte ich während meines ganzen Studiums und darüber hinaus in Gertruds Haushalt. Wilhelm schien stets anwesend zu sein, wenn beim Frühstück oder Abendessen über mehr gesprochen wurde als den unvermeidlichen Kleinkram. Jahre später befragte ich Gertrud systematisch nach ihrem Leben und der Familie, sie wiederum unterstützte meine Nachforschungen und überließ mir den gesamten schriftlichen Nachlass beider. Seitdem war mir klar, dass ich eines Tages ein Buch über sie beide schreiben musste. Doch lange Zeit konnte ich mich nicht dazu entschließen, die Eindrücke waren zu frisch. Nun ist der zeitliche Abstand ausreichend und ich selbst habe ein Alter erreicht, das es mir nicht mehr erlaubt, länger zu zögern. Das gesamte Material war im Familienarchiv längst vorbereitet und erforderte nur noch einige Ergänzungen aus anderen Archiven.

Es kam mir darauf an, möglichst viele eigene Zeugnisse der beiden und ihrer zum Teil bedeutenden Zeitgenossen lebendig werden zu lassen. Dabei geht es nur teilweise darum, die Ergebnisse ihrer wissenschaftlichen Arbeiten zu zeigen, sondern vielmehr um ihre Persönlichkeiten, ihre Anstrengungen und Entwicklungen, die die Voraussetzungen dazu gewesen sind. Es geht um Menschen, die an den öffentlichen Angelegenheiten teilnahmen, auch darunter litten, die neben ihrer Wissenschaft viele andere Interessen und Fähigkeiten besaßen und damit ihr eigenes Leben und das ihrer Umgebung in erstaunlichem Umfang bereicherten.

Vielen habe ich zu danken. Zunächst denen, über die ich schrieb und meiner engeren und weiteren Familie, den Lebenden und Verstorbenen, die die Grundlage für vieles bildeten. Meiner Frau danke ich, die mit viel Verständnis meine Konzentration auf diese Arbeit begleitet hat und mir direkt und indirekt eine große Hilfe war. Ich danke allen, die mich ermutigten sowie mit Rat und Tat unterstützten, besonders den Rechtshistorikern Prof. Dr. jur. Dr. h. c. Rolf Lieberwirth und Prof. Dr. jur. Heiner Lück aus Halle sowie Dr. Fabian Reiter, dem Leiter der Papyrussammlung im Ägyptischen Museum Berlin, ebenso Frau Dr. Gerlinde Kuppe und Herrn Franz Peter Ewert für die kritische Durchsicht meiner Texte. Schließlich gilt mein Dank Herrn Roman Pliske für seine sofortige Bereitschaft, dieses Buch in dem von ihm geleiteten Mitteldeutschen Verlag erscheinen zu lassen.

Rüdiger Fikentscher

Editorische Notiz

In diesem Buch wurden möglichst viele Originaläußerungen aus Tagebüchern, Briefen, Aufzeichnungen oder Schriften verwendet. Sie sind durch Anführungszeichen gekennzeichnet, mit Ausnahme Gertruds umfangreicher handschriftlicher Tagebucheintragungen, die über viele Kapitel verteilt eingearbeitet und kursiv gesetzt wurden.

Die fettgedruckten Abbildungsnummern im Text beziehen sich auf den Bildtafelteil.

1
»Sie stehen auf vorgeschobenem, vielleicht verlorenem Posten«

— REICHSMINISTER A. D. EUGEN SCHIFFER

an Gertrud am 29. Januar 1951

Seine Schüler sind Direktoren an den großen Museen der Welt. Nun aber sitzt Wilhelm allein und voller Befürchtungen in einem Café. Kein typischer Ort für ihn, und was er bestellt hat, ist ebenso unbekannt wie belanglos. Wichtig ist nur der Platz am Fenster, durch das er ein benachbartes Gebäude sehen kann, genauer gesagt dessen Tür. Würde Gertrud gleich jetzt verhaftet, könnte er sie beim Besteigen des Autos noch einmal sehen, denn das Ehepaar hatte nach den Erfahrungen in zwei Diktaturen ernsthaft mit dieser Möglichkeit gerechnet. Dann stünde ihr die Härte des Gefängnisses bevor und er wäre in seinem hohen Alter auf sich allein gestellt. Ob das gemeinsame Leben danach noch einmal weitergehen könnte, war ungewiss. Doch die getroffene Entscheidung musste sein.

Was war geschehen? Wir schreiben den 12. Juni 1951. Halle an der Saale liegt mitten in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands, die sich seit knapp zwei Jahren DDR nannte. Der Kampf um die Macht wurde von den Kommunisten schon vor Kriegsende von Moskau aus gut vorbereitet und sofort danach konsequent geführt. Walter Ulbricht war in engster Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht der wichtigste Organisator aller wesentlichen Aktionen. Sein berühmter Satz: »Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben«, stammt bereits aus dem Frühjahr 1945. Und in diesem Geiste wurde tatsächlich gehandelt. Hinsichtlich der politischen Parteien hieß das zunächst, dass mit Ausnahme der Nazi-Partei alle wieder zugelassen oder neu gegründet werden durften und sollten. Auf ausdrücklichen Wunsch der Sowjets sogar eine NDPD, um die »kleinen Nazis« irgendwie aufzufangen und zu organisieren. Gertruds politische Entwicklung in den Zwanzigerjahren, aus der Sozialarbeit und Frauenbewegung kommend, ging in Richtung Sozialdemokratie. Durch die Nazi-Herrschaft darin bestärkt, wurde sie im Dezember 1945 SPD-Mitglied. Beide lebten damals in Zwickau, wo sie als 1943 in Berlin Ausgebombte bei der Familie untergekommen waren.

Schrittweise hatten es die Kommunisten sehr bald geschafft, die sogenannten bürgerlichen Parteien kleinzuhalten oder, wie es später treffend hieß, gleichzuschalten, sie in die sogenannte Nationale Front einzubinden. Doch mit den seit der Weimarer Republik »verfeindeten Brüdern«, den Sozialdemokraten, ging das nicht, hatte man sie doch als Vertreter der Arbeiterklasse anerkannt und beklagte deren Spaltung durch die Existenz zweier Parteien. Außerdem zeigten die ersten Wahlergebnisse, dass die Kommunisten unterlegen sein würden. Was lag also näher, als mit Hilfe der Besatzungsmacht einen solchen Druck auf die SPD und deren Mitglieder auf allen Ebenen auszuüben, dass sie sich einer Vereinigung mit der KPD nicht mehr erfolgreich widersetzen konnten? Auf dem Vereinigungsparteitag am 21./​22. April 1946 im Berliner »Admiralspalast« endete mit der Konstituierung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands – SED – die kurze Geschichte der SPD im sowjetischen Besatzungsgebiet Nachkriegsdeutschlands. Von den rund 1,2 Millionen Mitgliedern der SED kamen etwa 53 Prozent aus der SPD, eine Mehrheit, die wegen der ungleichen Kräfteverteilung nicht wirksam werden konnte. Denn erstens war der Zusammenschluss nur in Teilbereichen freiwillig geschehen, im Übrigen unter dem Druck der Besatzungsmacht, sodass schon sehr früh und völlig zutreffend der Begriff »Zwangsvereinigung« geprägt wurde. Zweitens setzte sogleich eine konsequente Zurückdrängung der Sozialdemokratie innerhalb der SED zugunsten der KPD ein, auch das alles mit voller Unterstützung und Mitwirkung der Sowjets.

Damit kommen wir zu der persönlichen politischen Haltung Gertruds. In der Partei war sie neu und unerfahren, aber dennoch beunruhigt. Sie fragte die erfahrenen Genossen an der Universität Leipzig, ob denn das alles gut gehen könne und bekam zur Antwort: »Keine Sorge, wir haben die besseren Köpfe.« Nach und nach erlebte sie, was aus den »besseren Köpfen« wurde und zog daraus ihre Konsequenz, nachdem sie ordentliche Professorin und Dekanin der Juristischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg geworden war und sich viele Blicke auf sie richteten. Manches war ihr zugemutet worden. Oft hatte sie sich energisch gewehrt, worüber an anderer Stelle dieses Buches noch einzugehen ist, ebenso wie über vieles, das sie erreicht hatte und durchsetzen konnte. Doch dann kamen auch noch die »Säuberungen«, offiziell »Überprüfungen« genannt, innerhalb der SED hinzu. Das war mitten in der Stalin-Zeit gewiss kein Spaß. Es begann damit, dass am 26./​27. Oktober 1950 das Zentralkomitee der SED beschlossen hatte, alle Mitglieder und Kandidaten der Partei überprüfen und durch neue Mitgliedsbücher bestätigen zu lassen. Der damit verbundene riesige Aufwand konnte natürlich nur regional und schrittweise erfolgen. Es wurden Kommissionen gebildet, die selbst überprüft werden mussten und keineswegs so gut arbeiteten, wie es gewünscht wurde. Die Berichte der Instrukteure darüber sind sehr aufschlussreich. Aber man ging, wenngleich mit Unterbrechungen, zielstrebig voran. Am 6. Juni 1951 wurden die Überprüfungen in Sachsen-Anhalt wieder aufgenommen, nicht ohne intern noch einmal auf die Schwächen und Mängel im bisherigen Verlauf hinzuweisen. Das Ziel war die »Entwicklung der Partei neuen Typus und der unversöhnliche Kampf gegen alle opportunistischen, antileninistischen Auffassungen, in denen die Überreste des Sozialdemokratismus und Sektierertums zum Ausdruck kommen«. Der Begriff des »Sozialdemokratismus« war zum schweren Vorwurf geworden. Ehemalige SPD-Mitglieder mussten sich entweder still verhalten, auf den eigenen Vorteil bedacht der neuen Macht anschließen, in »den Westen gehen« oder hatten Schlimmes zu befürchten. Verhaftungen, Gefängnis, Straflager bis nach Sibirien waren an der Tagesordnung ebenso wie vieles andere, was eine weitgehend rechtlose Zeit hervorbringt.

Gertrud und Wilhelm hatten das alles vor Augen und mussten annehmen, dass eine Dekanin nicht unbemerkt und folgenlos die Partei verlassen konnte. Außerdem waren sie von jemandem, der es ohne Zweifel wissen musste, gewarnt worden. Der große Liberale Eugen Schiffer, Reichsminister in drei Kabinetten der Weimarer Republik, Ehrendoktor der hallischen Universität und nach dem Krieg Inhaber höchster Ämter in der sowjetisch besetzten Zone, schrieb Gertrud in einem Brief vom 29. Januar 1951: »Sie stehen auf vorgeschobenem, vielleicht verlorenem Posten.« Er selbst hatte seine Konsequenzen gezogen, Funktionen aufgegeben und war nach Westberlin übergesiedelt. Doch für Gertrud war das Maß des Hinnehmbaren voll. Es würde sich herausstellen, ob ihr Posten nur vorgeschoben oder bereits verloren war.

Zum 12. Juni 1951 hatte man sie vor die Parteikommission bestellt. Vorher sollte sie, wie alle anderen auch, einen entsprechenden Fragebogen ausfüllen, in dem es neben den Angaben für einen neuen Ausweis auch um die weitere persönliche Arbeit und Haltung in der Partei ging. Sie hatte nichts geschrieben, was Verwunderung auslöste und übergab stattdessen ihre Austrittserklärung. Der Text war genau bedacht und bei aller Vorsicht klar formuliert. »Hierdurch erkläre ich meinen Austritt aus der SED entsprechend dem Parteistatut § 4,1 a. Zur Begründung führe ich Folgendes an:

1. Die Überprüfung in der SED fordert von jedem Genossen, dass er sich gewissenhaft selbst prüft, ob er dem entspreche, was die Partei von ihrem Genossen erwartet. Ich habe in den letzen Monaten, als die Prüfungen begannen, besonders durch das Studium der Parteipresse immer deutlicher erkannt, dass es für mich richtiger sei, aus der Partei auszutreten.

2. Die SED will und soll eine Arbeiterpartei sein. Ich stamme aus dem Bürgertum, war und bin in meiner Berufsarbeit Angestellte, also Angehörige eines Berufskreises, der, nach der Parteipresse, fast zu viel vertreten ist.

3. Ich habe mein Leben lang ernsthaft gearbeitet, in der sozialen Arbeit wie in der Wissenschaft. Diese Berufsarbeit füllt mich völlig aus. Dazu kommt die weitere Beanspruchung als Hausfrau und die Unterstützung meines Mannes, der in seinem hohen Alter meiner bedarf. Alle diese Pflichten spannen meine Kraft bis zur äußersten Grenze des Möglichen an, wie ich soeben an einer schweren Krankheit erfahren habe. Ich bin deshalb außerstande, noch irgendwelchen Parteipflichten nachzukommen. Schon in Leipzig war für mich die gleiche Lage. Dort habe ich zunächst im DFD und der SED viel mitgearbeitet, musste es dann aber wegen beruflicher Überlastung und Krankheit (infolge Überanstrengung) aufgeben.

4. Von Jugend an habe ich lebhaftes Interesse für politische Fragen gehabt und einen Begriff von der Notwendigkeit, an öffentlichen Aufgaben mitzuwirken; aber einer Partei anzugehören, ohne wirklich aktiv sein zu können, erscheint mir nicht nur unbefriedigend, sondern auch unrecht.

5. Ich denke nicht daran, einer anderen Partei beizutreten, weil ich an meiner sozialistischen Auffassung festhalte und weiter mit der SED Fühlung behalten will. Aber als erwachsene Frau von Mitte Fünfzig habe ich mir eine eigene Überzeugung gebildet, die wohl nicht immer dem entspricht, was die Partei erwarten kann.« Halle, d. 12. Juni 1951, Unterschrift.

Die Kommission las die Erklärung, war auf diesen einmaligen Vorgang nicht eingestellt und sah sich offenbar nicht imstande, mit ihr darüber zu diskutieren. In jeder demokratischen Partei, wie wir sie heute kennen, hätte man ihr gewiss noch ein Bleibeangebot gemacht. Doch der Vorsitzende verabschiedete sie lediglich mit einem großzügigen »die Partei trägt nichts nach«. Und tatsächlich geschah vorerst nichts, alles lief normal weiter. Über spätere Auswirkungen ist an anderer Stelle zu schreiben. Das Ehepaar konnte zunächst aufatmen, sich aber noch nicht sicher fühlen. Dafür gab es zu viele schlimme Beispiele aus seiner Umgebung, von denen drei hier zur Kennzeichnung der damaligen Verhältnisse genannt werden sollen.

Prof. Dr. Willi Brundert (1912  1970) studierte Rechts- und Staatswissenschaft in Halle, wo er von 1930 bis 1933 als SPD-Mitglied Vorsitzender der Sozialistischen Studentenschaft an der Universität war. In der Nazi-Zeit gehörte er zum Widerstandskreis um Carlo Mierendorff und Theodor Haubach. Nach Kriegsteilnahme und Gefangenschaft war er zunächst Lehrbeauftragter an der Universität Halle und ab 1. Mai 1948, zeitgleich mit Gertrud, Professor mit Lehrauftrag für öffentliches und Wirtschaftsrecht. Sie waren also Kollegen, wenngleich Brundert zugleich noch als Ministerialdirektor im Wirtschaftsministerium des Landes Sachsen-Anhalt tätig war. Auch ist er von 1948 bis zu seiner Verhaftung am 28. November 1949 Senator der Universität gewesen. Verhaftet hat man ihn wegen angeblicher Wirtschaftsspionage und verurteilt wurde er nach einem der großen Schauprozesse unter der Leitung von Hilde Benjamin im Dessauer Theater, zusammen mit dem gleichfalls angeklagten Minister und CDU-Landesvorsitzenden Dr. Herwegen zu 15 Jahren Zuchthaus. Nach sieben Jahren vorwiegender Einzelhaft entließ man ihn. Willi Brundert ging nach Hessen, wurde Staatssekretär, Leiter der Staatskanzlei und war ab 1964 Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt am Main, bis er infolge einer aus der Haftzeit stammenden Krankheit bereits 1970 starb. Gertrud hat ihn persönlich und sein Schicksal gut gekannt.

Adam Wolfram (1902  1998) war Bergmann, Gewerkschafter und seit 1919 SPD-Mitglied. In der Nazi-Zeit nahm ihn die Gestapo zweimal in »Schutzhaft«. Nach Kriegsende trat er sogleich wieder in die Gewerkschaft und die SPD ein, stand zwar der Zwangsvereinigung sehr kritisch gegenüber und arbeitete mit den alten Genossen stets weiter zusammen, war aber auch Mitglied des Landesvorstandes der SED. Von Oktober 1948 bis 1950 war er Präsident des Landtages von Sachsen-Anhalt. Wilhelm und Gertrud werden ihn vermutlich nicht persönlich, wohl aber durch seine damals sehr wichtige Funktion gekannt haben. Er war ein Freund Willi Brunderts und verteidigte ihn bis zu dessen Verurteilung. Deswegen wurde er verdächtigt, war weiteren politischen Vorwürfen ausgesetzt, besonders, dass sein »Zigarrenclub«, ein regelmäßiges Treffen ehemaliger Sozialdemokraten bei ihm als Landtagspräsidenten, als Zentrum der Parteifeinde angesehen wurde, gegen das man im »Kampf gegen den regionalen Sozialdemokratismus« vorgehen müsse. Der Druck auf ihn wuchs ständig, bis er sich ihm am 20. August 1951 durch die Flucht entziehen konnte, also nur wenige Wochen nach Gertruds Parteiaustritt.

Ernst Thape (1892  1985) stammte aus einer sozialdemokratischen Familie in Magdeburg, lernte Maschinenschlosser, studierte in der Schweiz Technikwissenschaften und war anschließend bis zum Beginn der Nazi-Zeit politischer Redakteur der Magdeburger »Volksstimme«. Dann wurde er wiederholt verhaftet und war bis 1945 sechs Jahre lang Häftling im KZ Buchenwald. Nach Kriegsende wurde er der erste Landesvorsitzende der SPD in Sachsen-Anhalt. Durch die gemeinsame Haft hatte er die Hoffnung, die Kommunisten würden sich zu Demokraten entwickeln, und man könne nach dem Krieg gemeinsam mit ihnen den Wiederaufbau Deutschlands gestalten. Zwar hat er die Zwangsvereinigung als solche erkannt, doch glaubte er an die Überlegenheit der Sozialdemokraten in der gemeinsamen Partei. Gleich im Sommer 1945 beauftragte ihn die sowjetische Besatzungsmacht mit dem Amt für Wirtschaft und Verkehr der Provinz Sachsen. Bald stand er den Stalin-treuen Kommunisten in dieser Funktion im Wege und erhielt deswegen ab Mai 1946 das Ressort für Volksbildung, Wissenschaft und Kultur. Bei dieser Aufgabe soll er sich auch Verdienste beim Wiederaufbau der Universität Halle erworben haben. Doch 1948 war für ihn der Weg in Richtung einer stalinistischen Diktatur immer deutlicher zu erkennen. Führende Sozialdemokraten wurden verhaftet, der Druck wurde größer, sodass Thape am 28. November 1948 von Halle nach Westberlin fliehen musste. Mit einem Brief an den liberalen Ministerpräsident Hübener kündigte er sein Ministeramt und erklärte den Austritt aus der SED. In seinem Buch »Von Rot zu Schwarz-Rot-Gold«, einer bemerkenswerten Autobiographie, stehen seine Abschiedsworte an die »Freunde in der Zone«, gesendet von RIAS Berlin: »Der Austritt aus der SED ist dann, wenn er ehrlich begründet wird, nur möglich durch die Flucht, weil die sowjetische Besatzungsbehörde, die ja die absolute Macht in ihrem Bereich hat und nur sich selbst verantwortlich ist, einen solchen Austritt als feindliche Handlung gegen die sowjetische Militärmacht ansieht und entsprechend handelt. Blutenden Herzens muss ich meine Familie und meine vielen Freunde in Sachsen-Anhalt verlassen, um weiter für Deutschland wirken zu können.« Das war zu der Zeit, als Gertrud bereits nach Halle berufen war, sie und Wilhelm auf eine dortige Wohnung hofften, also die Verhältnisse kannten.

Man muss diese Männer und ihre Schicksale vor Augen haben, um die damalige Zeit und ihre besonderen Nöte zu verstehen, auch um zu ermessen, welch persönlicher Mut hinter der Entscheidung von Gertrud und Wilhelm stand. Denn sie konnten unter diesen Umständen nicht davon ausgehen, dass sie von den Machthabern als bedeutende und in der deutschen und internationalen Wissenschaft anerkannte Personen eingestuft wurden und man es deswegen nicht wagte, in der befürchteten Weise gegen sie vorzugehen. Und die Kraft, in eine ungewisse Zukunft zu fliehen, hatten sie allein schon wegen Wilhelms Alter und Gesundheitszustand nicht mehr. Es galt also nur noch, standzuhalten und moralisch aufrecht zu bleiben. Über all das sprachen sie mit anderen nicht, und vielleicht haben sie sich selbst nie eine Antwort darauf gegeben, was eine solche Entscheidung für ihr Verhältnis zueinander bedeutet hat. Doch es ist anzunehmen, dass es sich dabei um die tiefste Gemeinsamkeit ihres Lebens gehandelt haben könnte. Und deshalb beginnt dieses Buch, losgelöst von anderen Vorgängen und Begebenheiten, mit der Schilderung jener Tage im Juni 1951.

2
Ein Pastorensohn aus Schlesien

Der Mensch vermag Lebensweise, Anschauungen und Glauben seiner Eltern abzulehnen oder gar ihnen schroff gegenüber zu treten, aber verleugnen kann er sie nicht.

— WILHELM SCHUBART

Im Mai 1956 teilte der Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zu Wien ganz sachlich mit, dass Wilhelm Schubart zum korrespondierenden Mitglied gewählt worden sei. Es schlossen sich einige Mitteilungen und Bitten an, darunter die nach Überlassung eines kurzen Lebenslaufes. Wilhelm erfüllte diese Bitte sehr bald und begann die nur anderthalb Seiten mit dem Wort, er sei ein »Zufallsschlesier«. Diesen Begriff hatte er zuvor nicht gebraucht, doch wurde er später wegen seiner Bildhaftigkeit wiederholt aufgegriffen. Die Erklärung für den »Zufall« ergibt sich allerdings sehr leicht aus dem von ihm aufgeschriebenen Lebensweg seiner Eltern. Drei Jahre zuvor hatte er nämlich auf Wunsch seiner Frau »einiges über mein Leben zu schreiben versucht«. Der Wunsch war insofern verständlich, als er dies vor drei Jahrzehnten schon einmal getan hatte, die Blätter aber alle im Krieg verbrannt sind. Es galt also, den damaligen Verlust auszugleichen, was ihm wegen seiner sehr ausgeprägten Bescheidenheit und Neigung zu Selbstzweifeln offenbar nicht leicht gefallen ist. Jedenfalls schrieb er im Vorspann: »Freilich steht mir heute vieles in anderem Lichte, und manches mag seither verblasst sein. Immerhin will ich es versuchen. Allerdings muss ich bei diesem Versuch mich selbst verleugnen, denn mein Wunsch wäre es, zu schweigen, nicht weil ich etwas zu verbergen hätte, sondern weil mein Leben nichts gilt und nichts bietet. … Die Lebensleistung steht auf andern Blättern, und diejenigen, die etwas danach fragen, gehören dem Kreis der Gelehrten an; die Sache drängt die Person zurück, darüber werden die Mitforscher urteilen, wenn sie es der Mühe wert achten.« Es muss hier sogleich angemerkt werden: Sie haben es der Mühe wert erachtet und zwar weltweit und über seinen Tod hinaus.

Doch nun zurück zu den Ursprüngen, seinen Eltern (Abb. 1, 2) und der Kindheit, vorwiegend mit seinen eigenen Worten: »Meine frühesten Erinnerungen haften an dem kleinen Landstädtchen Festenberg, nahe der russischen Grenze, umgeben von Wald und wieder Wald, ohne Bahnverbindung, aber nicht ganz außerhalb der Welt, weil Tischlerei und Weberei manche Beziehung nach außen vermittelten. Jedoch im Ganzen sah dieses Nest aus wie viele andere seiner Art: Die Bewohner waren Ackerbürger, die Kaufleute waren Juden, ein Stich ins Polnische blieb unverkennbar. Die Hauptstraße stieg vom Schlosse der Grafen Reichenbach zur evangelischen Kirche auf; das Pfarrhaus lag etwas seitwärts im großen Gehöft und Garten. Mein Vater hatte als Pastor eine große Gemeinde zu betreuen, die Stadt und viele Dörfer, deren manche mehrere Wagenstunden entfernt lagen; sein Gehilfe, der zweite Pastor, war alt und geistesschwach, sodass mein Vater alle Hände voll zu tun hatte. Unser kleines bescheidenes Pfarrhaus mit dem Garten war das Heim, worin meine Schwester Elisabeth und ich aufwuchsen. Als meine Eltern von Liegnitz dorthin kamen, waren wir Kinder von drei und vier Jahren, kein Wunder, dass mir von Liegnitz, wo ich geboren bin [am 21. Oktober 1873] so gut wie keine Erinnerung geblieben ist.«

Und auch die Geburt in Liegnitz war in gewisser Weise Zufall, weil sein Vater noch kurz zuvor ein Jahr lang Pfarrer in der Kirche Wang gewesen und erst kurz zuvor nach Liegnitz gegangen war, um dort die Innere Mission zu übernehmen. Von der Kirche Wang ging damals wie heute eine gewisse Ausstrahlung aus, was sich aus der Einzigartigkeit ihrer Geschichte und ihres Baues erklärt, wovon auch Wilhelm in späteren Jahren nicht unberührt blieb. Es handelt sich um eine im 12. Jahrhundert im norwegischen Vang gebaute Stabholzkirche der Wikinger-Architektur. Sie wurde 1841 von Friedrich Wilhelm I V. erworben, in Einzelteilen zerlegt nach Preußen gebracht, und auf Wunsch seiner Freundin Gräfin Friederike von Reden auf dem Brückenberg im Riesengebirge unterhalb der Schneekoppe wieder aufgebaut. Die feierliche Eröffnung erfolgte 1844, und die Reisenden erfreuen sich ihrer noch heute.

Doch wie kam der gebürtige Westfale Friedrich Schubart (1837  1908) an diesen besonderen Ort? Er hatte sehr bald festgestellt, dass er als junger Pfarrer in Westfalen und dem Rheinland wenig Aussicht hatte, um aus den für ihn meist recht trostlosen Verhältnissen herauszukommen – Wilhelm beschreibt dafür recht eindrucksvolle Beispiele –, sodass er sich überallhin meldete und zum eigenen Erstaunen 1872 diese Stelle bekam. Seit einem Jahr war er verheiratet und das junge Pastorenehepaar hatte schon ein Jahr gemeinsam in der kleinen westfälischen Diaspora-Gemeinde Wiedenbrück verbracht. Wilhelm schreibt darüber: »Schon das letzte Jahr dort hatte meine Mutter miterlebt, ohne sich mit Land und Leuten befreunden zu können. Schlesien, auch das höchste Dorf Preußens, lag ihr näher. Sie stammte aus den Franckeschen Stiftungen in Halle, verlebte ihre Jugend im Pfarrhause zu Trotha, und blieb, als der Student Schubart die Universität verließ, mit ihm in brieflicher Verbindung, die 1871 zur Heirat führte.« Aber auch bis dahin ist das Leben des Vaters nicht leicht gewesen. Er war der Sohn eines Gymnasiallehrers in Bielefeld, hatte zwei Schwestern, die beide frühzeitig verstarben, und auch der Vater erlebte das vierzigste Lebensjahr nicht. Die Witwe zog mit dem Sohn in eine Kleinstadt im Teutoburger Wald, wo er die Volksschule besuchte. Trotz sehr bescheidener Verhältnisse ermöglichte es die Mutter, dass der Sohn in Bielefeld das Gymnasium besuchte, wo er sich mit Privatstunden, das Stück für 20 Pfennige, durchschlug. Nach dem Abitur »verstand es sich von selbst, wenn auch unter großen Opfern, dass er studieren sollte, und zwar Theologie, in der billigsten Fakultät der Theologen-Universität Halle. Der Verwandtschaft, meistens Lehrern, lag dies Fach am nächsten. Zum Abschied gab die Mutter dem Studenten mühsam gesparte 300 Taler, ›mehr kann ich dir für das ganze Studium nicht aufbringen‹. In Halle gab es Stipendien, gab es Freitische. … Seine kindliche Gläubigkeit wandelte sich in bewusste Orthodoxie ohne Härte, echte Frömmigkeit und Bescheidenheit prägten sein Wesen unwandelbar bis zum Ende. Kurze Zeit lang gehörte er einer Verbindung an, der Burschenschaft Pflug, musste sie aber bald aufgeben, aus Mangel an Geld, der ihm nur wenige Vergnügungen zuließ. Schon damals wurde er in das Haus des Pastors Rudolph in Trotha eingeführt, dessen dritte Tochter Sophie später seine Frau und meine Mutter wurde.«

Über Westfalen, Wang und Liegnitz war die junge Familie also in das Städtchen Festenberg gelangt, wo die Kinder ihren ersten Unterricht erhielten und zwar trotz des Altersunterschiedes gleichzeitig und gemeinsam. Allerdings schickten die Eltern ihre Kinder nicht in die Schule, sondern die Lehrer der Schule kamen ins Haus. »Diesen bescheidenen Volksschullehrern verdanke ich es, dass ich die Grundlagen sicher lernte und später weder mit der Rechtschreibung noch mit dem Rechnen jemals zu kämpfen hatte«, schreibt Wilhelm später. Mit den Schlossherren bestand eine freundliche Beziehung, öfter waren die Eltern dort zu Gast und nahmen die Kinder mit. Die etwas älteren Töchter kamen zum Konfirmandenunterricht ins Pfarrhaus, manchmal auch eher, um mit ihnen zu spielen. Wilhelm weiter: »Die älteste Tochter, nachdem sie ihre Großmutter zu Tode gepflegt hatte, wurde Diakonisse und Gemeindeschwester da, wo sie einst Herrentochter gewesen war, ein Vorbild christlicher Demut und Liebesarbeit. Aber auch wenn sie den Fußboden scheuerte, blieb sie die Gräfin. Dieser Frau nahegestanden zu haben, rechne ich mir zum Glück und zur Ehre an. Noch kurz vor ihrem Tod durfte ich die mehr als Neunzigjährige in Berlin wiedersehen.«

»Sehr früh begann mein Vater, uns etwas Französisch beizubringen, was er gut verstand, und zwar auf eine damals noch ungewöhnliche Weise, ohne Grammatik, sofort durch Lesen und Sprechen kleiner Sätze. Allein zu oft traten seine Amtspflichten dazwischen, sodass nicht viel daraus wurde. … Die fromme Luft des Hauses umgab das ganze Dasein, blieb aber unbewusst, noch frei von dem Druck, den wir später fühlten. Sonne, Friede, Glück schwebten über den Festenberger Jahren.«

»Im Herbst 1881 übernahm mein Vater die Stelle des Hausgeistlichen im Evangelischen Vereinshause in Breslau und trat damit in den Dienst der Inneren Mission. Aus der ländlichen Freiheit, Stille und Schönheit wurden wir in die hässliche laute Großstadt versetzt. … In Breslau, damals eine Stadt von etwas mehr als 250.000 Einwohnern, der zweitgrößten Preußens, der dritten des Reiches, wohnten wir nahe am Rande, ziemlich fern der alten ausdrucksvollen Innenstadt. … Das Heim der Inneren Mission war ausgesprochen hässlich, unsere Wohnung fast düster, der kleine Garten von Hinterhäusern umfasst. … Bald begann für uns der Ernst der Schule, die Wankelsche Privatschule am Ring. Die Lehrer, zum großen Teil in anderen Ämtern beschäftigt, konnten nichts Besonderes leisten, und die wenigen Hauptlehrer, gescheiterte Kandidaten der Theologie und dergleichen, taugten nicht viel. Als das staatliche König-Wilhelm-Gymnasium eröffnet wurde, siedelte ich dorthin über und zwar in die Quarta. Diese Schule war streng, forderte und lehrte viel, das muss ich ihr dankbar nachsagen, aber ihr fehlte alles Persönliche, jede geistige Gemeinschaft zwischen Lehrern und Schülern, ja auch der Schüler untereinander. Wenn unsere Lehrbeamten, so kann ich sie nur nennen, ihre Stunden gegeben hatten, war es aus mit jeder Beziehung zu uns. Lebensfreude, Schwung, Gefühl für Natur und Kunst lagen außerhalb des Klassenzimmers und des Schulhofes. … In den letzten Jahren lernte ich zusammen mit Alfred Pillet hebräisch bei dem katholischen Religionslehrer Hildebrandt. Wir übersetzten schriftlich die Thora und er las sein Brevier, für beide Teile eine glückliche Lösung. … Mein Fleiß täuschte Begabung vor, dass ich keine Liebhaberei fand und pflegte, erscheint mir heute als ein schwerer Mangel, der durch die besten Zensuren nicht ausgeglichen werden kann. Schule und Elternhaus waren mit mir zufrieden, als ich 1892 als primus omnium das Abiturientenexamen bestand, mit guten Kenntnissen in Geschichte und den alten Sprachen, aber ohne eine Ahnung von der Geschichte der Kunst, die in Breslau sehr wohl zu lernen war. Mit Wahrheit darf ich sagen, dass ich mir auf mein Abgangszeugnis nichts einbildete, dass ich mich freute, ist verzeihlich. Die Eltern nahmen es als selbstverständlich hin.«

»Meine Schwester segelte leicht und lustig durch die Höhere Mädchenschule, lernte was nötig war, ohne sich erheblich anzustrengen. Ihr Teil war die Begabung, meiner der Fleiß, und so blieb sie mir immer überlegen« (Abb. 3). Wilhelm beschreibt den Geist des Hauses mit seiner frommen Umgebung so, dass trotz aller Enge doch Konzerte möglich waren, dass er berühmte Geiger und Sängerinnen erlebt hat und auch Shakespeare-Aufführungen. Doch »das Theater galt den Frommen als sündhaft, nicht weil sie etwa die hohe Dichtung ablehnten, sondern weil sie den Lebenswandel der Schauspieler ablehnten, ohne ihn zu kennen. … Doch der Eindruck auf uns war unbeschreiblich.«

Höhepunkte des Lebens der Kinder waren die jährlich ermöglichten Ferienreisen nach Landeck. Dort trafen sie Kinder ihres Alters, trieben wilde Spiele in der Natur und belustigten sich über die Gesellschaft auf der Kurpromenade. »Unter den wandelnden und Brunnen-trinkenden Kurgästen gingen die Badeärzte in Gehrock, Zylinder und Elfenbeinstock hin und her, hier und da eine gnädige Frau begrüßend und eine Unze mehr oder weniger des übel schmeckenden Schwefelwassers verordnend. Wie viel Spaß uns Kindern dieser Betrieb machte, lässt sich denken. … Als der Vater 50 Jahre alt wurde, reiste er mit uns allen in seine westfälische Heimat. Damals, es war 1887, sah ich den Kölner Dom in einer Mondnacht aus dem Nebel ragen, sah den Rhein mit Burgen und Städten und auf dem Heimweg noch die Wartburg.«

»Das Jahr 1889 griff tief in unser Leben. Die Konfirmation, der Genuss des Abendmahls, waren uns eine heilig-ernste Sache, eine hohe Verpflichtung, ein mystisches Erlebnis, und ich bin noch heute froh darüber, dass es so war. Bald nachher brach die schwere Krankheit meiner Mutter aus.« Sie litt an Gicht, die sie bald an Haus und Stuhl fesselte, und die 15-jährige Schwester musste nach und nach in vielen Angelegenheiten die Mutter vertreten, eine schwere, aber bestandene Prüfung für alle. Bei der Arbeit der Inneren Mission wurde es üblich, dass sich viele vornehme Damen in der sozialen Arbeit einsetzten. Damit gaben sie jedoch dem frommen Verein eine aristokratische Prägung. »Nach dem Gottesdienst, den mein Vater sonntags in unserem Betsaal hielt, kamen gern solche Damen auf einen Augenblick zu meiner Mutter. Uns Kindern gefiel es gut, Baronessen und Gräfinnen zu begrüßen, und wir haben dabei gelernt, uns in solcher Gesellschaft frei zu bewegen.«

3
Wilhelms Universitäten

Jeder Mensch schaut die Welt auf eigne Art, und was er schaut ist ihm einzige Wahrheit.

— WILHELM SCHUBART

»Meine Eltern brachten mir das Opfer, mich außerhalb studieren zu lassen, obwohl es in Breslau für sie leichter geworden wäre. Als ich im April 1892 nach Tübingen fuhr, begann ein schöner Sommer in der alten reizvollen Stadt am Neckar, und ich habe ihn genossen, ebenso die geistige Weite, die sich in der Universität auftat, wie das herrliche Land ringsumher, das ich auf vielen Wanderungen kennenlernte. Die Vorlesungen besuchte ich, auch theologische auf Wunsch der Eltern, aber die übrige Zeit gönnte ich mir Freiheit, und das war wohl ein guter Anfang des Studiums. Unter den Professoren fand ich kaum große Gelehrte, aber mir boten sie viel, am meisten Dietrich Schäfer, durch den ich Geschichte aus den Quellen zu holen lernte. Damals wurden mir Gregor V II. und Heinrich I V. lebendige Gestalten und sind es bis heute geblieben. … Ungern verließ ich Tübingen und alles, was ringsum bezaubert … aber die Eltern wünschten, ich solle ihnen näher kommen, und so schien Halle, die Heimat meiner Mutter, etwa in der Mitte günstig gelegen zu sein.«

»Meine drei Halleschen Semester liegen im Gegensatz zum Tübinger Sommer in meiner Erinnerung unter trüben Schatten. Indem ich der Wissenschaft näher zu treten begann, fühlte ich Zwiespalt. Die Philosophie zog mich mehr an als meine Hauptfächer, Geschichte und alte Sprachen, und sie erschloss mir ein Reich des Geistes, das ganz anders aussah als die heimische christliche Welt. Noch dachte ich nicht daran, mich von ihr zu lösen, aber ich spürte, dass auf diesem Gebiete nicht jede Aufgabe rein aufgehe. Statt Vorlesungen auszuarbeiten und Seminare zu besuchen, las ich leidenschaftlich Platon und J. J. Rousseau, beide ohne Vorbereitung und Erläuterung, gewiss nicht vergeblich, aber doch nicht mit so viel Gewinn, wie ich hätte haben können. Unter den Professoren hörte ich gern den altem Haym. Übungen über des Aristoteles Buch von der Seele, im Sommer in seinem schönen Garten an der Saale, gehören zu den freundlichen Bildern aus Halle. Gern erinnere ich mich auch der Halleschen Singakademie, in deren Chor ich vor allem Bach kennenlernte.«

»Wer aber stark auf mich wirkte, das war der Philosoph, Logiker und Mathematiker Benno Erdmann (1851  1921), und bald genug durfte ich mich als seinen Schüler betrachten, den er beachtete und fördern wollte. Dass ich mich von dem Wege, den er mir öffnete, durch den Gedanken an eine unsichere Zukunft und an des Vaters Mittel, durch die Rücksicht auf die Eltern abdrängen ließ, war eine Feigheit, die ich mir nie vergeben habe. Die Eltern fürchteten wohl auch, das Studium der Naturwissenschaften, das Erdmann als Vorstufe forderte, werde mich dem Glauben entfremden. Es ist auch ohne dies geschehen. Die erste Freude, als der bewunderte Professor mir sagte, er halte mich für fähig, Philosophie als Lebensaufgabe zu treiben, wich bald der gedrückten Stimmung des nicht schuldlosen Verzichts.« Mündlich überliefert ist dazu, dass es wohl an der harten Tatsache gelegen hat, dass Erdmann die klare Bedingung von mehreren Semestern Naturwissenschaft vor der weiteren Beschäftigung mit der Philosophie gefordert habe, was die damaligen finanziellen Möglichkeiten überfordert hätte. In dieser Zeit errang Wilhelm bei Erdmann einen Preis, von dessen Geld er einen Neufundländer, der den Namen »Lord« erhielt, erwerben konnte, und der besonders von den Geschwistern sehr geliebt wurde. »Als die unheilbare Krankheit [der Schwester] ausbrach, konnte ich ihr nicht nahe sein. Auf langen einsamen Wegen, die ihre innere Unruhe und ihre Todesahnung mildern sollten, begleitete sie der treue Lord, der Freund und Schützer.« Seiner Schwester Elisabeth war er aufs Innigste verbunden. Sie starb, kaum 25-jährig, im November 1899. Ihren frühen Tod hat Wilhelm nie verwunden und trauerte bis in sein hohes Alter um sie mit Worten, die man sonst wohl eher für eine Geliebte findet.

Aus seiner hallischen Zeit erzählte Wilhelm eine Begebenheit mit den gusseisernen Löwen, die bereits Heinrich Heine 1824 in seinem »Buch der Lieder« besungen hat:

»Zu Halle auf dem Markt,

Da stehn zwei große Löwen.

Ei, du hallischer Löwentrotz,

Wie hat man dich gezähmet!«

Als Heine die Löwen sah, zierten sie seit einem Jahr den Marktbrunnen, wo sie jedoch zum Ärger der Bürger ständig irgendwie »verziert« oder »geschändet« wurden. Das führte dazu, dass die Stadt sie der Universität schenkte und sie seit 1870 den Eingang ihres Hauptgebäudes, nunmehr »Löwengebäude« genannt, bewachen. Wilhelm konnte die Löwen dort täglich sehen und bemerkte eines Morgens, dass der Schabernack mit ihnen nach dem Ortswechsel nicht aufhörte, denn jemand hatte sie des Nachts blau angestrichen.

Aber zurück zum Studium. »Die beiden folgenden Semester in Berlin gehörten der Arbeit, denn nun musste ich den künftigen Beruf, das Lehramt und als Eingang die Staatsprüfung ins Auge fassen. Noch versuchte ich, mit der Philosophie in Fühlung zu bleiben und begann ein Thema anzugreifen, das ich aus mehreren Vorschlägen Erdmanns gewählt hatte. Unberaten entschloss ich mich zum schwersten, das ich nach heutiger Einsicht auf keinen Fall bewältigen konnte. … So habe ich ein Jahr an einer Kette von Missgriffen verloren. Im Übrigen beherrschte nun das Fachstudium mein Lernen und Leben. … Um meinem Vater die lang genug getragene Last des studierenden Sohnes zu erleichtern, bemühte ich mich um Privatstunden und hatte das Glück, den etwas älteren Wilhelm Belecke zu finden, der von der Naturwissenschaft zur Kunstgeschichte überging und dafür Griechisch nachholen musste. Er ist mir ein lieber Freund geworden, der einzige, mit dem ich bis ins Alter verbunden blieb. Seine Familie gewährte mir auch einen Einblick in die alte lübische Hanseatenwelt, eine wahre Aristokratie nach Wuchs und Werden. Seit dieser Zeit habe ich mein Studium in der Hauptsache aus eigner Arbeit bezahlt. Der Tag war genau eingeteilt und bis auf sechs Stunden Schlaf mit Arbeit erfüllt. So wenig meine Lage mir erlaubte, Vergnügungen der Großstadt mitzumachen, mein Gesichtskreis hat sich unendlich erweitert, nachdem ich die erste Fremdheit überwunden hatte. Sparsam zwar, aber mit Wahl gönnte ich mir Theater, Oper, Konzert, lernte Ibsen, Sudermann, Hauptmann, Mozart, Beethoven, Wagner kennen und fand endlich auch Zugang zur bildenden Kunst. In den Hohlstunden zwischen den Vorlesungen beschaute ich, auch hier ohne Buch und ohne Führer, im Alten Museum griechische Bildwerke und vor allem die Gemäldegalerie. Wieder entging mir ohne Frage vieles, was mich die Kunstgeschichte hätte lehren können. Aber alles der Anschauung wieder und wieder abzugewinnen, hatte doch auch seine besonderen Werte. Mindestens weiß ich seitdem, was ein Autodidakt ist, was er leisten kann und was ihm versagt bleibt.«