Über Tecia Werbowski

Autorenfoto: Marie Reine-Mattera

Tecia Werbowski, geboren 1941 in Lwow, Polen, verbrachte ihre Kindheit in Prag, wo ihre Mutter nach Kriegsende als Kulturattaché der Polnischen Botschaft tätig war. Nach ihrem Studium und einer Lehrtätigkeit in Warschau emigrierte sie 1968 nach Kanada und pendelt seitdem zwischen Montreal und Prag.

Für meinen Sohn

Berufstätige Frau, gebildet, mit Faible für Natur, Kunstgeschichte, Literatur und mit liberalen politischen Ansichten, Psychoanalytikerin, sucht liebevollen, intelligenten, erfolgreichen, charakterlich einwandfreien Mann. Empathiefähigkeit erwünscht. Ich bin attraktiv, schlank, gerne verständnis- und hingebungsvoll, warmherzig, habe Sinn für Humor und bin selten einem Mann begegnet, der meine Gesellschaft nicht geschätzt hätte. Raum N.Y.C. bevorzugt. Sie sind zwischen 55 und 65 …

Suche die Liebe meines Lebens, freue mich aber auch über einen Spaziergang, eine Tasse Kaffee oder ein Gespräch mit einem geradlinigen, unverheirateten Nichtraucher europäischer Herkunft. Ich bin 65, geschieden und unabhängig, wohne in San Francisco und suche einen Mann zwischen 50 bis 80. Meine Interessen: gute Gespräche, Reisen, Lesungen, Freunde, Hunde, ausländische Filme, Wandern. Stimmen Sie mit mir in etwa überein, bitte ich um Kontaktaufnahme. Bin in Philadelphia von Mitte März bis Mitte Juni. Sind Sie also von der Ostküste, so melden Sie sich bitte unter …

Good luck, ladies. T.W.

Ich habe meinem Sohn geschrieben, dass Leon plötzlich die Frau seiner Träume gefunden hat – und dass ich es nicht bin. Ich wollte zwar nicht seine Frau pour toujours sein und war eigentlich auch nicht in ihn verliebt, war jedoch schockiert, wie sehr es mich verletzt hat. Am Abend war Richards Stimme auf dem Anrufbeantworter. Es war eine so nüchterne wie ernüchternde Nachricht: »Ma, du bist zu kopflastig, du schreibst über Frauen und kennst die Männer nicht. Warum liest du nicht Michel Houellebecq?« Handelte es sich hier um männliche Solidarität? Wollte er etwa für Leon Partei ergreifen, statt mich in meiner Empörung darüber zu unterstützen, wie ein Mann eine Frau behandeln kann und damit ungestraft davonkommt, ganz einfach aufgrund der grausamen Statistik? Versteht mein Sohn wirklich nicht, dass jeder Mann, so unattraktiv und abscheulich er auch sein mag, einen Harem von sieben Frauen haben kann, während für eine Frau mittleren Alters die Chancen, einen passablen Mann zu finden, gleich null sind?

Nichts hat sich seit 1972 verändert, als Gail Parent in Sheila Levine ist tot und lebt in New York schrieb: »Feministinnen, ich muss euch leider enttäuschen, aber nur wenige eurer Mitstreiterinnen würden ihre Hochzeitsnacht einer eurer Versammlungen opfern.« Ich bin um viele Jahre älter geworden, aber offensichtlich nicht klüger, seitdem ich damals diese peine d’amour hatte, die mich nun mit der gleichen Intensität erneut quält.

Es ist November in Montreal, die Zeit des Salon du Livre, die Zeit des ersten Schnees, in der die Busse wegen des Schneematsches langsamer fahren, die Menschen sich beeilen, um dem Wind zu entkommen, der in ihre resignierten Gesichter bläst. Wie ankämpfen gegen die jahreszeitliche Veränderung? Wie ankämpfen gegen den natürlichen – und für manche grausamen – Umwandlungsprozess von weiblicher Reife in einen Zustand der Menopause und Postmenopause mit Blutungen und Hitzewallungen und dem Gefühl, ins Schwarze Loch von Kalkutta geworfen worden zu sein?

Wie ankämpfen gegen die Tatsache, dass trotz des Fortschritts, der von Frauen und für Frauen erreicht wurde, und trotz all des feministischen Getues die Welt immer noch eine Männerwelt ist? Das ist eine etwas trostlose Einführung zum Thema »Einander kennenlernen« oder besser noch zur Begegnung zweier junggebliebener Bürger »in den besten Jahren«, die ich zu beschreiben beabsichtige, wenn es so weit ist.

Bevor ich vorgebe, eine berühmte Schriftstellerin zu sein, noch ein paar Worte über einen jüngeren Menschen, der nicht mehr so jung ist wie die noch jüngeren Männer und Frauen, deren Lebensanschauung darauf beruht, sich Nasen, Ohren, Zunge und Geschlechtsteile piercen, sich Rücken, Beine und Oberkörper tätowieren zu lassen und Poetisches in allen Variationen des Wortes fuck von sich zu geben.

Mein Sohn hat mit all dem nichts am Hut – obwohl das Rasieren nicht so seine Sache ist. Die Postkarten, die Richard (und seine jeweiligen Freundinnen) mir schrieben und die um die halbe Welt reisten, um zu mir zu gelangen, befinden sich jetzt in einer Schachtel neben meinem Bett und buhlen um meine Aufmerksamkeit.

Richards erste sexuelle Erfahrungen mit Claire, einer siebzehnjährigen Pariserin, müssen wohl auf einer Schlafwagenpritsche im Zug von Paris nach Innsbruck stattgefunden haben. Die Bewegungen eines Zuges, der irgendwohin und nirgendwohin fährt – das hat ja durchaus etwas Erotisches.

Eine Gruppe von Studenten, unterwegs mit Skiern und Rucksäcken, voller Ideen à la Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir. Tagsüber fahren sie mit den Skiern die sanften Abhänge der österreichischen Berge hinab, schauen in den klaren Himmel und sind mehr als zuversichtlich, was ihre Zukunft betrifft. Claire hat diesen abwesenden Philosophenblick (den eines jungen Mädchens, das wie seine Mutter sein will), blondes, vom Wind durchwehtes Haar und ein gutmütiges, etwas mütterliches Lächeln, wenn sie Richard anschaut. Seine Brillengläser beschlagen von der Zärtlichkeit für sie und die Welt im Allgemeinen. Er liebt die Frauen. Ist das nicht mein Verdienst, mein Werk?

Ich höre noch immer die aufgeregten, glücklichen Stimmen und Ausrufe im Hintergrund der Skihütte. Mir scheint, dass ein Champagnerkorken unter lautem Gejohle bis zur Decke geknallt ist. Es ist 00 Uhr 05 am ersten Januar, und mein Sohn ruft mich an, um mir ein glückliches, glückliches neues Jahr zu wünschen. Er hat ein solches Vertrauen in alles und jeden. Ich kann förmlich die guten österreichischen Speisen riechen, die Frische der Bergluft, die durch die halbgeöffnete Tür hereinströmt.

Denn den jungen Leuten ist vor lauter Glück heiß geworden, und nicht nur die Drinks sind berauschend. Ich höre die beschwingten Walzermelodien aus der Zeit meiner Großmutter noch harmonischer und sanfter dank des Ozeans, der zwischen uns liegt.

Hier in Montreal bringt der Winter Frustration zum Ausdruck, der Wind heult, durch das Schneegestöber sind meine Fenster fast vollkommen zugeweht und schneiden mich von der Außenwelt ab.

Wie gern wäre ich gerade jetzt in Warschau oder Wien, in der Philharmonie, in meinem langen schwarzen Samtkleid, mit Perlen am Hals und Diamantohrringen, die wie Schneeflocken glitzern. Ich gehe die Treppe auf würdevolle österreichisch-ungarische Art hinab, mit einem Kavalier im Smoking, der mich zum Walzer aufgefordert hat. Ein Märchentraum wie aus einem Groschenroman! Fast schäme ich mich, ihn aufzuschreiben.

Ich frage mich, was aus Claire geworden ist. Ob sie es wohl geschafft hat, ihren Traum zu verwirklichen? Ob sie ihr blondes Haar gebändigt und züchtig hat schneiden lassen? Ob sie nun eine Brille trägt? Ob sie geheiratet hat? Ob ihre Mutter noch immer mit einer Gabel ihren Briefkasten öffnet? Ob sie beim Musikhören noch immer die Augen schließt? Ob sie raucht? Ob sie sich noch an meinen Sohn erinnert?

Meine erste Verabredung mit einem zweiundsiebzigjährigen Mann – Sommer 2002

Die Luft ist heiß und feucht. Ich habe ein Treffen mit einem Verehrer, der mir seine Aufwartung macht. Ein kleiner Mann mit einem gutmütigen, rosigen Gesicht und drei fehlenden Zähnen links, die aber anscheinend demnächst implantiert werden (lassen wir ihm Zeit), hält in einem Lexus vor meinem Haus. Damit erzeugt er Unruhe bei meiner Nachbarin, die sich darüber erregt, was ein Lexus doch für ein wahnsinnig teures Auto ist, wie sie mir sagt, und so ein großes noch dazu. Ich besitze kein Auto. Ich kenne mich mit Autos auch nicht aus und habe nie verstanden, warum so ein kleiner Mann so ein riesiges Auto braucht. Aber befinden wir uns nicht in Amerika, wo alles eine Nummer größer ist?

Ich bin Leon wohl sympathisch genug, damit er mich ins Café Mozart in der Altstadt einlädt, in das er mit seiner Frau zu gehen pflegte. Ich erinnere mich nicht mehr daran, was wir gegessen haben, als wir dort, in einer dunklen Ecke dieses Cafés, saßen und dem Kellner beim Gähnen zusahen. Leon erklärte mir, dass er eine Reisegefährtin suche. Er sei sehr einsam seit dem Tod seiner Frau vor drei Jahren. In meiner Erinnerung sieht er aus, als würde er gleich anfangen zu schluchzen, aber es gelingt ihm, nur schmerzhaft das Gesicht zu verziehen, und mit dieser Miene leert er rasch sein Glas Weißwein. Er schaut mich an, ohne mich wirklich zu sehen, und ich bin mir gar nicht sicher, ob ich seine Reisegefährtin werden will. Er beschreibt seine Frau, während er hastig sein Essen kaut.

Sie war tüchtig und klug.

Ehrgeizig und energisch.

Eine ausgezeichnete Köchin, besonders von rumänischen Gerichten.

Aus einer guten europäischen Familie.

Eine hingebungsvolle Mutter und eine wunderbare Gefährtin.

Hervorragend in ihrem Job.

Eine phantasievolle und einfühlsame Liebhaberin.

Nett zu anderen, großzügig und hilfsbereit zu jedermann.

Wer könnte schon mit solcher Perfektion mithalten? Diesem perfekten Bild sollte ich nun die nächsten dreieinhalb Jahre ausgesetzt sein. Ich bekam keine Gelegenheit, sie zu vergessen. Nicht für einen Augenblick.

Berlin – Warum nicht?