Cover Sächsisches Montanwesen in Russland: Ein Transfer von Wissen und Technologien

Sächsisches Montanwesen in Russland: Ein Transfer von Wissen und Technologien
von Friedrich Naumann

veröffentlicht 2015 von E-Sights Publishing

E-Sights Publishing
Dr. Jörg Naumann
Altendorfer Straße 61
09113 Chemnitz
Deutschland

Herausgeber: E-Sights Publishing
Lektorat, Design, Umsetzung : Dr. Jörg Naumann

Copyright © 2015 Friedrich Naumann

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ISBN: 978-3-945189-00-9

Inhalt

Vorbemerkungen

Gern nimmt die moderne Terminologie den Begriff Hightech zur Hand, um wissenschaftlich-technische Meisterleistungen zu deklarieren; deshalb scheint er uns bei Mikroprozessoren aus Silicon-Valley, künstliche Hüftgelenke, Herzschrittmacher und Magnetschwebebahnen mehr als vertraut. Vollkommen andere Perspektiven ergeben sich allerdings bei einer Projektion in die Vergangenheit und unter Einbeziehung gesellschaftlicher Entwicklungsniveaus verschiedener Kulturen. Fortschrittszentren nannte man derartige Standorte am Beginn der naturhistorischen Evolution des Menschen, wenn sie sich von Umgebendem unterschieden und sich durchzusetzen vermochten. Neuartiges gelangte auf diese Weise zur Entfaltung, brachte schließlich Technik und Wissenschaft hervor und differenzierte die geographischen Räume. Beim Eintritt in die Neue Zeit zeigten sich die Konturen zunehmend klarer: Zunächst steht Deutschland an der Spitze Europas, sodann folgt Holland als kapitalistische Musternation des 17. Jahrhunderts, schließlich entscheidet sich England in der Mitte des 18.Jahrhunderts für die Maschine und wird durch Hightech zur Werkstatt der Welt.

Russland war zu Beginn der Neuzeit vom westlichen Einfluß noch weitestgehend isoliert und hat diesen nur mit Verzögerung erfahren. Die vorherrschende byzantinische Kultur und die russische Orthodoxie beförderten eher Mystisches und Wundergläubigkeit, gleichermaßen konservierte die jahrhundertlange Mongolenherrschaft die gesellschaftliche Isolation, unterdrückte Freiheit und Souveränität des Geistes. Die Hinwendung zum weltlichen Denken und zur rationalen, naturwissenschaftlichen Weltbetrachtung, im Morgenrot der Renaissance von vielen Ländern willkommen geheißen, hatte somit kaum eine Chance. Dauerhaft wollten sich die russischen Herrscher jedoch europäischem Einfluß nicht entziehen und öffneten ihr Land deshalb schrittweise für jene, die Ansehen und Macht zu befördern versprachen. Kompetente Fachleute aller Couleur waren deshalb gern gesehene Gäste, verfügten sie doch über den gewünschten Vorlauf hinsichtlich höherer Bildung oder gediegener handwerklicher Fertigkeiten

Europäisierung und Import von Kunsterfarnen

Für die Regierungszeit Ivan III. (1462-1509) lassen sich vereinzelt derartige Immigranten, aus Südeuropa, Griechenland und Italien zugereist, erstmals nachweisen. Die nachfolgenden Regenten gingen mit diesem Thema jedoch wesentlich großzügiger um und warben deshalb im Ausland über ihre Gesandten oder einflußreiche Kaufleute um dringend benötigte Ärzte, Kunsthandwerker, Geschützmeister, Artilleristen, Papiermacher, Buchdrucker, Glockengießer und Techniker aller Art. Zar Michail Fjodorowitsch Romanows (1596-1645) Vision richtete sich schließlich auf eine Europäisierung, was bedeutete, die Zusammenarbeit mit Westeuropa und damit auch die Gewinnung von Fachleuten erheblich zu intensivieren. Er leitete damit eine Entwicklung ein, die bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts einen ersten Höhepunkt erreichen sollte.

Unter diesem Vorzeichen gerieten auch Bergbau und Metallverarbeitung ins Blickfeld, zumal höfischer Prunk wie auch Landesverteidigung einen erheblichen Stellenwert besaßen und bislang fast nur mit Rohstoffimporten zu befriedigen waren. Es schien also an der Zeit, eigene Ressourcen zu erschließen und zwar mit im Berg- und Hüttenwesen Erfahrenen, die das breite Spektrum dieser keineswegs einfachen Technologie sicher zu beherrschen wußten. Solche gab es vor allem in Ländern mit traditionsreichem Bergbau, z. B. in Schweden, England und Böhmen, vor allem jedoch in Sachsen, das durch seinen scheinbar unermesslichen Reichtum an Silbererzen weltweit Beachtung fand. Hier hatte sich im Laufe der Jahrhunderte die bergbauliche Tätigkeit mit ihren mannigfaltigen Facetten, Anforderungen und Gefährdungen in hohem Maße differenziert sowie eine Vielzahl von spezifischen Berufen wie auch eine eigene Bergbaukultur hervorgebracht, die der Region noch heute ihr besonderes Gepräge verleiht. Der Zar bemühte sich deshalb am sächsischen Hofe um die erforderliche Unterstützung und dies in der Erwartung, ähnlich reiche Funde wie im Erzgebirge machen und damit das Fundament seiner Herrschaft festigen zu können.

In welchem Umfang dieses Begehren erfolgreich war, läßt sich heute nicht mehr genau nachweisen; denn Moskowien stand auch im Bewusstsein der eher bodenständigen Sachsen noch als ein weit entferntes exotisches Land, eine barbarische Provinz, die sich irgendwo am Rande der christlichen Welt verlor. Zudem gab es religiöse Animositäten: Protestanten und Katholiken befürchteten, möglicherweise von den Orthodoxen erdrückt zu werden. Die Bereitschaft, dahin zu gehen, dürfte deshalb vorerst nicht allzu groß gewesen sein. Vereinzelt tauchen jedoch Namen von sächsischen Bergleuten, Erzschmelzern, Glasmachern „und dergleichen kunsterfarnen“ an verschiedenen Orten des russischen Reiches auf; unklar bleibt jedoch, auf welchem Wege sie dahin gekommen sind.