Gertrude Kubiena

Die Kraft chinesischer Hausmittel

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Gertrude Kubiena

Die Kraft chinesischer

Hausmittel

Gesund und vital

durch das Jahr

maudrich

Prof. Dr. med. et Mag. phil. Gertrude Kubiena

ist Fachärztin für HNO, langjährige Präsidentin der MedChin (Medizinische Gesellschaft für chinesische Gesundheitspflege) und Sinologin. Sie beschäftigt sich seit 1972 mit TCM. Als international begehrte Referentin und Autorin zahlreicher Bücher transportiert sie Faszination und Weisheit altchinesischer Medizintheorien verblüffend einfach und verständlich.

Wegen stilistischer Klarheit und leichterer Lesbarkeit wurde im Text auf die sprachliche Verwendung weiblicher Formen verzichtet. Ausdrücklich sei hier festgehalten, dass die Verwendung der männlichen Form inhaltlich natürlich für Frauen und Männer gilt und keinesfalls einen sexistischen Sprachgebrauch darstellt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Copyright © 2013 maudrich Verlag

Eine Abteilung der Facultas Verlags- und Buchhandels AG, Wien, Austria

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und der Verbreitung sowie der Übersetzung in fremde Sprachen sind vorbehalten.

Umschlaggestaltung: Silvia Wahrstätter, www.vielseitig.co.at

Umschlagfoto: © yonibunga – fotolia.com

Typografie & Satz: Hannes Strobl, Neunkirchen

eBook-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim
www.brocom.de

ISBN 978-3-85175-988-4

ISBN 978-3-99030-145-6 (pdf)

ISBN 978-3-99030-146-3 (epub)

Vorwort

Seit mehr als 30 Jahren unterrichte ich und schreibe Bücher über TCM für TCM-Fachleute und solche, die es werden möchten. In Österreich ist die Ausübung der Medizin Ärzten vorbehalten. Aber TCM ist für alle da, nicht nur für Fachleute! Es ist erstaunlich, wie viel davon in China echtes Volksgut ist. Als ich mir in Chengdu wieder einmal eine Rippe angeknackst hatte, zauberte ein chinesischer Freund prompt aus seinem Handschuhfach „Yun Nan Bai Yao“ hervor, ein wunderbares Mittel bei Verletzungen, Blutungen und starken Schmerzen. Ein anderes Mal war ich im heißen Sommer bei meinen Chinesisch-Lehrern in Beijing eingeladen. Sie begrüßten mich freudig damit, dass sie ganz etwas Besonderes für mich bekommen hätten und das waren Bittergurken. Über deren Geschmack kann man streiten, aber sie wirken kühlend und entgiftend, regen den Kreislauf an, verbessern die Sehkraft und fördern die Hautregeneration. Noch dazu wird ihnen eine Krebs-vorbeugende Wirkung zugeschrieben. Also – was will man mehr? Niemand von diesen netten Leuten hat etwas mit Medizin zu tun, aber sie wissen nicht nur über ihre Hausmittel Bescheid, sondern verfügen auch über ein gewisses Grundlagenwissen der TCM. Auch bei uns interessieren sich immer mehr Nicht-Mediziner für TCM. Im Jahr 2011 habe ich auf Anregung von Frau Dr. Nöbauer 24 Artikel über chinesische Küchenmedizin für die Ärztekrone geschrieben. Die Artikelsammlung war äußerst gefragt. Dank des Unternehmungsgeistes des Maudrich Verlages ist daraus – mit einigen wichtigen neuen Kapiteln und schönen Bildern – dieses handliche Buch entstanden. Wenn wir krank sind, brauchen wir den Arzt, aber wir können viel dazu tun, es gar nicht erst zu werden! Ein paar Hausmittel, chinesische oder auch einheimische, sollte man daher immer parat haben. Und – nie vergessen: Gesundheit beginnt in der Küche!

Gertrude Kubiena

Wien/Weißensee, im heißen Sommer 2013

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Inhalt

Vorwort

Einleitung

Ernährung im Reich der Mitte

Gesundheit beginnt beim Essen

Chinesische Ess- und Trinksitten

Die Grundlagen der TCM und Diätetik

Grundlagen der Diätetik

Yin und Yang

Das Qi und die drei Schätze: Jing, Qi, Shen

Die Fünf Elemente

Die fünf Geschmäcker und ihre Wirkung

Jede Jahreszeit hat ihren Geschmack

Der Mensch im Fokus der TCM

Wieso wird man eigentlich krank?

Die Konstitutionstypen

Chinesische Hausmittel: Praktische Hilfe für den Alltag (mit Rezepten)

Wie man chinesische Diätspeisen und Medikamente zubereitet

Wohlfühlen in der eigenen Haut

Haare: schön, stark und kräftig wie Rapunzel

Heiße und coole Tipps gegen Heiserkeit und Husten

Die Erkältung schlägt zu

Sommerleiden: Insektenstiche, Sonnenallergie

Sommerzeit – Reisezeit: Wie man Übelkeit und Reisekrankheit vorbeugen kann

Sommer- und Reiseleiden: akuter Durchfall

Was tun, wenn die Verdauung einmal nicht funktioniert?

Ein Herbst ohne Erkältung

Rheumatische Beschwerden

Harmonie-Rezepte für die Zeit mit Stress, Festen und Alkohol

Feiern ohne Reue

Hoher Blutdruck – Hypertonie

Niedriger Blutdruck – Hypotonie

Zu viel „Fett“ im Blut – Hypercholesterinämie

Frauengesundheit

Gedächtnis und Konzentration

Anhang

Kleines Küchenlexikon

Arzneimittel-Liste

Rezepte und Formeln

Literaturverweise

Stichwortverzeichnis

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Einleitung

Chinesische Medizin in der Küche bietet eine Fülle an Möglichkeiten, Krankheiten vorzubeugen und kleine persönliche Schwächen auszugleichen. Dieses Buch erhebt keineswegs Anspruch auf Vollkommenheit. Vielmehr soll es Appetit machen – auf chinesische Rezepte und auf weitere Bücher. Es ist bewusst klein und übersichtlich gehalten, um eine erste Orientierung zu bieten. Hier finden Sie Hinweise darauf, welche Nahrungsmittel für Sie geeignet oder ungeeignet sind, dazu einfache Kochrezepte und – man möge mir verzeihen – ein paar ganz wichtige Formeln für „echte“ Medikamente, die Sie sich bitte von Ihrem TCM-Arzt anschauen, variieren und verschreiben lassen. Es sind hochwirksame Substanzen enthalten, die wunderbar nützen, aber – falsch eingenommen – auch schaden können. Selbst zubereiten lassen sollten Sie sich ausschließlich Formeln für einmalige Einnahme – wie z. B. das Anti-Kater-Rezept xiao chai hu tang (Kleines Bupleurum-Dekokt) oder die maximal zwei Tage einzunehmenden einfachen Erkältungsrezepte und den Sonnenschutz. Probieren Sie ein paar einfache Kochrezepte aus, und Sie werden sehen: Was Ihrer Gesundheit zuträglich ist, kann auch gut schmecken.

Die Fünf-Elemente-Küche ist derzeit bei uns ungeheuer „in“. Dennoch habe ich zwecks Vereinfachung bewusst davon Abstand genommen. Bei den Kochrezepten müssen Sie sich also nicht an eine bestimmte Reihenfolge der Beigabe nach den Fünf Elementen halten. Echte Formeln enthalten meist überwiegend pflanzliche Bestandteile, die einzeln oder als Mischung in der Apotheke oder im Chinaladen erhältlich sind und auf bestimmte Weise zubereitet werden. Beachten Sie hier bitte den Unterschied zwischen Dekokt (eine Art Suppe), Arzneitrank und Granulat! Im Kapitel „Wie man chinesische Diätspeisen und Medikamente zubereitet“ (siehe S. 60ff.) finden Sie dazu nähere Hinweise.

Die meisten Zutaten für die Kochrezepte hingegen haben Sie ohnedies vorrätig, oder Sie bekommen sie auf dem Markt oder im Supermarkt. Die mit einem Stern (*) gekennzeichneten Zutaten erhalten Sie im Fachhandel, d.h. in der Apotheke, im Chinaladen oder im Reformhaus. Am sichersten ist die Apotheke, denn die dort gehandelten Waren müssen auf gesundheitsschädigende Inhaltsstoffe, wie Schimmelpilze und Insektenvertilgungsmittel, überprüft sein. In der Arzneimittel-Liste auf S. 170ff. finden Sie eine Auflistung der Zutaten, die lateinische, deutsche und chinesische Schreibweise sowie zahlreiche Bilder zur Illustration. Auch, in welcher Form und wo die Kräutermischungen bzw. Zutaten erhältlich sind, wird dort näher erläutert. Eine erweiterte Liste steht auf www.medchin.at zur Verfügung.

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Ernährung im Reich

der Mitte

Gesundheit beginnt beim Essen

„Eigentlich bin ich nach China gefahren, weil ich abnehmen will. Chinesisches Essen schmeckt mir nämlich gar nicht!“, lamentierte mein Freund Peter, während er sich vom 14. Gang, der gerade serviert wurde, reichlich bediente. Hier mit seinem Vorsatz zu brechen, ist verzeihlich, denn authentisches chinesisches Essen ist meist gesund und köstlich und schmeckt ganz anders als bei uns in den üblichen Chinarestaurants (gegen die ansonsten nichts einzuwenden ist).

Auf einer Chinareise hat man meist lokale Reiseleiter, die in der Regel sehr gefällig sind und fast alle Wünsche erfüllen. Fast, denn einen Wunsch äußert man vergeblich: eine Mahlzeit auszulassen. Das hängt mit der chinesischen Meinung zusammen, dass eine Mahlzeit, die man ausspart, die Lebensenergie Qi bereits erheblich schwächt, ein ganzer Fasttag somit zu völliger Energielosigkeit führt.

Bis vor wenigen Jahren war Essen in China knapp und man sah daher auch praktisch keine dicken Leute auf der Straße. Das hat sich durch den steigenden Wohlstand, den Einzug von McDonald’s und westlicher Lebensmittel – nicht zuletzt Milch, dem Getränk der Erfolgsgeneration – gründlich geändert. Neuerdings gibt es in China sogar Abmagerungskliniken – das wäre früher undenkbar gewesen!

Jedenfalls gehören Essen und Trinken zu den wesentlichen Dingen des Lebens und werden in China noch höher bewertet als bei uns. Gefeiert wird gern im Restaurant mit gutem Essen und am liebsten im großen Kreis. Je mehr Leute, desto mehr Speisen kommen auf den Tisch: Pro Kopf mindestens ein Gericht und eines mehr als die Anzahl der Gäste. Das Essen wird zentral platziert und entweder wird vorgelegt oder man bedient sich selbst. Getrunken wird von den Einheimischen meist Tee oder ein alkoholfreies Getränk. Bei Banketten wird reichlich Alkohol serviert: Schnaps, wobei der Maotai besonders hoch geschätzt wird. Ich gestehe, dass er nicht so ganz mein Fall ist, er schmeckt (für mich) ein bisschen nach Petroleum. Wein ist in China für gewöhnlich sehr süß und war früher für Österreicher nur schwer genießbar. Mittlerweile hat sich aber eine neue Weinkultur entwickelt. Es gibt chinesisch-französische Joint-Venture-Produkte, die hervorragend schmecken; auch österreichische Weine werden importiert. Nicht zu vergessen das chinesische Bier, dessen berühmteste Marke wohl Tsingtao ist. Die Chinesen haben die Braukunst erstklassig von deutschen Braumeistern gelernt. Man kann heute praktisch überall auch das lokale Bier trinken, das dann meist billiger ist als das Tsingtao.

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Daheim werden hauptsächlich Gemüse, Reis oder Nudeln und besonders gern gefüllte Teigtaschen gekocht. Für die Füllung hat jede Familie ihr eigenes Geheimrezept.

Nicht alle Chinesen essen gesundheitsbewusst – das ist genauso wie bei uns. Dabei weiß man sehr genau, dass Gesundheit beim Essen beginnt – eine Binsenweisheit! Im vorliegenden Buch beschäftigen wir uns mit diesem Thema und auch damit, wie man kleinere und größere Sünden diätetisch ausbügeln kann. Eine Grundweisheit vorab: Man soll regelmäßig essen, nicht zu heiß, nicht zu kalt, nicht zu fett, nicht zu viel und nicht zu wenig. Leicht gesagt – die Umsetzung erweist sich da oft als viel schwieriger. Wie sie mit einigen Tipps und Rezepten gleich besser gelingt, dazu später mehr.

Chinesische Ess- und Trinksitten

Chinesische Ess- und Tischsitten unterscheiden sich gewaltig von unseren. Reis wird nach den „guten Sachen“ serviert und Suppe kommt ganz zum Schluss. Salz wird kaum verwendet, man würzt stattdessen mit Sojasauce. Als Chinareisender sollte man auf jeden Fall den Umgang mit den Essstäbchen erlernen, denn es ist lästig, jedes Mal nach Besteck zu fragen, woraufhin dann oft eine hektische Suche beginnt. Stäbchen sind angenehm zu gebrauchen, man muss nur einige kleine Tricks kennen. Und sie sind auch sehr praktisch: Selbst fern jeglicher Zivilisation lassen sich Stäbchen aus Ästen leicht herstellen.

Die Zubereitung von Fleisch in kleinen Stückchen ist typisch und entspringt der Sparsamkeit: Es braucht viel weniger Heizenergie, um geschnetzeltes Fleisch abzubraten, als eine ganze Gans.

Zu einem guten Essen gehört einfach, dass man schmatzt und rülpst. Außerdem spuckt man Gräten, Knochen etc. einfach direkt auf den Tisch. Post festum wird alles in Bausch und Bogen vom Tisch gefegt; wenn es ein Tischtuch gibt, dann wird alles hineinverpackt und abtransportiert. Das ist ebenso gewöhnungsbedürftig wie die Tatsache, dass man mit den eigenen Stäbchen von den allgemeinen Tellern nimmt. Man muss sich eben darüber im Klaren sein, dass man sich in einem anderen Kulturkreis befindet. Das zeigt sich u. a. auch in der Vorliebe der Chinesen für knochennahes und fettes Fleisch. Ein Bekannter beschwerte sich bei mir darüber: „Was machen die nur mit den guten Stücken? Die essen sie wahrscheinlich selber in der Küche!“ Dem ist aber nicht so: Als Leckerbissen par excellence gilt zum einen das Nahrhafteste – das fette Fleisch – und zum anderen das Rareste. Beispielsweise hat ein Huhn sehr viel Fleisch, aber nur zwei gelbe Krallen, und diese sind in China wertvoller als das gesamte restliche Huhn. Schmackhaft zubereitet heißen sie übrigens Phönixkrallen – für Kenner eine wahre Delikatesse.

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Der Umgang mit den Essstäbchen – ein „Muss“ für Chinareisende

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Hühnerkrallen: eine chinesische Spezialität

Bei einem offiziellen Bankett muss man beim Trinken sehr aufpassen. Kaum hat man ein Schlückchen genommen, wird schon wieder nachgeschenkt und man verliert leicht die Kontrolle. Alkohol wird sowohl beim Kochen als auch in der Medizin verwendet. Er gilt als wärmend und „Blut bewegend“, d. h. den Kreislauf anregend.

Die Vorliebe für fettes Fleisch führt jedoch, sobald nun Überfluss herrscht, auch zu vielen Krankheiten – nicht anders als in der westlichen Welt. Wir wissen, dass ein hoher Cholesterinspiegel den Nährboden für Schlaganfall, Herzinfarkt, Gefäßverschlüsse etc. bildet. Dem kann jedoch vorgebeugt werden – teils mit ganz einfachen Mitteln. Zum Beispiel mit Goji-Beeren (auch Bocksdornfrüchte genannt), die mittlerweile auch bei uns leicht erhältlich sind. Man bekommt sie immer häufiger auch bei den großen Lebensmittelketten.

Für den Fall, dass Sie die Goji-Beeren auf speziellen Märkten kaufen wollen, hier die chinesischen Schriftzeichen:

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Die Grundlagen

der TCM und Diätetik

Grundlagen der Diätetik

Die Grundkonzepte der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) basieren auf drei Theorien: der Lebensenergie Qi, den beiden ergänzenden Kräften Yin und Yang und den Fünf Elementen. Zusammen bilden sie die Grundlagen der chinesischen Diätetik, der Lehre von der Zusammensetzung der Nahrung.

Alle drei Konzepte sind nicht auf die Medizin beschränkt, sondern beziehen sich auf alle Lebensbereiche. Ihren Ausgang nehmen sie in einfachen Naturphänomenen, die wir mit unseren Sinnen wahrnehmen können: Luft, Wolken und Atemhauch; Licht und Schatten; Flut und Ebbe, aber auch der Wechsel der Jahreszeiten, der Lebenslauf von der Geburt bis zum Tod. Alle diese Phänomene sind auch uns vertraut. In China dienten sie als Vorbilder zur Beschreibung menschlicher Befindlichkeiten und Vorgänge im Körper, wurden philosophisch betrachtet und die Quintessenz daraus sogar zu philosophischen Prinzipien erhoben. In der chinesischen Medizin gelten diese philosophischen Theorien bis heute.

Dass die chinesische Medizin auf philosophischen Grundsätzen beruht, ist nicht zuletzt durch die damalige Ausbildung zu erklären: In historischer Zeit gab es in China keine Medizinische Universität, sondern nur eine klassische Erziehung. Um für ein Staatsamt infrage zu kommen, mussten die Studenten in einer landesweit gleichen Prüfung ihre Kenntnis der chinesischen Klassiker nachweisen. Dazu gehörten auch die Medizin-Klassiker. Medizin auszuüben, galt übrigens nicht als besonders vornehm. Wer sich dennoch dazu berufen fühlte, der ging bei einem Meister, der in Medizin ausgebildet und erfahren war, in eine Art Lehre.

So führt uns die chinesische Medizin, insbesondere aber die Ernährungslehre, zurück zu den Wurzeln der philosophischen Prinzipien. Die Wirkung von Speisen, Getränken und Medikamenten wird zwar – wie alles in der chinesischen Medizin – den philosophischen Theorien untergeordnet. Wenn wir aber beurteilen, ob eine Speise eher leicht oder schwer ist, in den Kopf steigt oder schwer im Magen liegt, ob sie süß oder sauer schmeckt, uns wärmt oder kühlt, welche Farbe sie hat etc., verwenden wir wiederum unsere Sinnesorgane auf elementare Art – ganz wie die Beobachtungen, die erst zu diesem Ideengebäude geführt haben. Auch die Lehren darüber, wie Nahrungsmittel und in weiterer Folge Medikamente wirken, sind von diesen Beobachtungen geprägt. Dazu kommt noch so manche ganz spezielle Wirkung: Zum Beispiel wirkt Ingwer gegen Übelkeit, Reisekrankheit und Schwangerschaftserbrechen, Fisch fördert die Zahn- und Knochenbildung, Walnüsse sind sowohl für das Hirn als auch für die Potenz ein Geheimtipp.

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Ingwer gegen Übelkeit

Unbewusst wenden auch wir Grundsätze der chinesischen Medizin an, indem wir Nahrungsmittel entsprechend ihrer Wirkung einsetzen oder ergänzen: So würzen wir fette Speisen gern mit Pfeffer und aromatisch duftenden Kräutern, im Winter lieben wir wärmende Gewürze wie Zimt und Gewürznelken – davon kann man sich auch in der traditionellen westlichen Winterküche und nicht zuletzt an den Lebkuchen- und Punschständen der Weihnachtsmärkte überzeugen. Im Sommer hingegen schätzen wir Melonen und Gurken (oft unbewusst) aufgrund ihrer kühlenden Wirkung. Letztendlich leitet uns der natürliche Instinkt recht gut in die richtige Richtung – wir müssen ihn nur zu nützen wissen.

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Wärmende Gewürze wie Zimt und Gewürznelken im Winter

Yin und Yang

Wer kennt nicht die Monade, das Symbol für Yin und Yang? Man begegnet ihr auch in der westlichen Welt – als Firmenzeichen, Ohrgehänge, Halskette, Gläseruntersetzer, ja sogar als Fußabstreifer.

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Wenn ich meine Studenten frage, was ihnen – ohne einschlägige Vorbildung – zu Yin und Yang einfällt, dann höre ich immer als Erstes: „Gegensatz.“ Das stimmt schon, denn eine der ursprünglichen Bedeutungen für „Yin“ ist Schatten- und für „Yang“ Sonnenseite eines Berges. Aber das ist bei Weitem nicht alles! Diese gegensätzlichen Phänomene sind ohneeinander sinnlos – wie es keinen Schatten ohne Licht gibt. Das heißt, sie ergänzen einander auch. Philosophisch betrachtet geht es dabei um die Dynamik des Universums, wo sich Yin ununterbrochen in Yang umwandelt und umgekehrt. Daher dürfte man die Monade eigentlich gar nicht statisch betrachten, denn alles Lebende ist ständig in Wandel und Bewegung begriffen: Nacht und Tag, Ebbe und Flut, Schlafen und Wachen und – wesentlich für alle Überlegungen in puncto Diätetik – Nahrung und Energie.

Was auch im bloßen Bild sichtbar wird, ist ein perfekter Kreis, gebildet aus zwei „Fischen“. Der schwarze Fisch symbolisiert Yin, der weiße Yang. Wo Yin am größten ist, ist Yang am kleinsten und beginnt zu wachsen, und umgekehrt. Jeder Fisch verfügt über ein „Auge“ in der jeweiligen Komplementärfarbe: ein Zeichen dafür, dass ihm auch ein Keim der jeweils anderen Kategorie innewohnt.

Der Kategorie Yin werden z. B. Materie, Erde, Dunkelheit, Kühle, Nähren, Ruhe, Innen und Frau zugeordnet. Zu Yang hingegen gehören Begriffe wie Funktion, Himmel, Licht, Wärme, Umwandlung, Action, Außen und Mann.

Ziemlich chauvinistisch und nicht mehr zeitgemäß – oder? Man darf aber nicht vergessen, dass Yang aus Yin entsteht, dass Yin also die Grundlage für jede Aktivität ist!

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Die Prototypen für Yin sind Wasser und für Yang Feuer. Dies ist von besonderer Bedeutung für die Diätetik, wo das Temperaturverhalten von Nahrungs- und Genussmitteln eine wichtige Rolle spielt. Gemeint ist damit, welche Wirkung sie im Körper entfalten: „Heiße“ Nahrungsmittel sind solche, die Körper und Organe wärmen und aktivierend wirken. Laut TCM bewegen sie das Qi. Je anregender und wärmender eine Substanz wirkt, desto stärker ist ihr Yang-Aspekt ausgeprägt. Sie wirkt gegen Feuchtigkeit und Kälte und regt die Abwehrkräfte an. Als heiß gelten z. B. Alkohol, Lammfleisch und scharfe Gewürze wie Pfeffer, Ingwer und Zimt (siehe Tabelle S. 24ff.).

Was kühlt, verlangsamt dagegen den Fluss des Qi, wirkt beruhigend und ist Yin-lastig. Zu diesen Nahrungsmitteln zählen beispielsweise Tintenfisch, Schweinefleisch, Spargel, Bananen, Krabben, Algen (z. B. in Sushi), aber auch viele wasserreiche Obst- und Gemüsesorten wie die Wassermelone, Tomaten und Bambussprossen.

Zu viel Yin-lastige Nahrung und zu große Essensmengen machen uns träge. Zu viel Yang-lastige Nahrung und zu wenig Essen machen uns unruhig. Und beide Arten der Unausgewogenheit können uns den Schlaf rauben: Zu viel und zu schweres Essen beschwert den Magen und beunruhigt dadurch das Herz, zu wenig und zu „heißes“ Essen beunruhigt an sich.

Zum Glück gibt es nicht nur „heiße“ und „kalte“ Nahrungsmittel, sondern auch warme, kühle und neutrale. Und auch die Zubereitungsart beeinflusst die „Temperatur“ der Speisen. So fördert Braten oder Grillen die Hitze, während Kochen, Schmoren oder Dünsten sanfter wärmt. Zubereitungsarten mit viel Wasser – auch Einweichen oder Kochen – wirken kühlend. Eisgekühlte oder tiefgefrorene Nahrungsmittel wirken auch kalt.

Um herauszufinden, was Ihnen gut oder weniger gut tut, sollten Sie sich selbst folgende Frage stellen: