Angela Waidmann

Zoe. Das Glück hat vier Hufe.

Filmstars im Galopp

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Weitere Bände in dieser Reihe:
Kopfüber ins Abenteuer

Angela Waidmann, 1965 geboren, im Rheinland aufgewachsen, schreibt Geschichten, seit sie fünf Jahre alt ist. Nach ihrem Examen als Historikerin machte sie sich selbstständig und arbeitet u. a. als Journalistin. Die begeisterte Reiterin schreibt Pferdefachbücher und veröffentlichte zahlreiche Kinder- und Jugendbücher, darunter viele Pferderomane. Mit ihrem Mann und ihrem Sohn, dem Lusitano- Wallach Vingador und Katze Niki lebt sie in einem Dorf im Spessart. Weitere Bände in dieser Reihe: Kopfüber ins Abenteuer

 

 

Für meinen Schwager „Hanni“ Georg Bonn,
Schauspieler

 

 

 

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1. Auflage 2016
© Arena Verlag GmbH, Würzburg 2016
Alle Rechte vorbehalten
Einbandgestaltung: formlabor, unter Verwendung von Motiven von
© www.slawik.com und Annette Shaff/shutterstock.com
Vignetten von mxtama/istockphoto.com
ISBN 978-3-401-80557-3

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Kapitel 1

Irrtümer und andere Katastrophen

Mensch, Zoe, nun sitz doch endlich still!“, knurrt Arpad genervt.

Ich werfe ihm einen ärgerlichen Blick zu und zupfe unruhig an meinem Sicherheitsgurt. Der hat vielleicht gut reden! Wie soll ich ausgerechnet jetzt stillsitzen, wo wir gerade unterwegs zum Casting sind? Zu meinem Casting, wohlgemerkt, durch das ich mit Glück eine Rolle als Statistin in dem Hollywood-Film „Das Erbe der Musketiere“ ergattern kann! Arpad hat natürlich die Ruhe weg. Es steht ja auch schon seit zwei Tagen fest, dass er den Hauptdarsteller Travis Lauter doubeln wird. Ursprünglich sollte das zwar sein Vater machen, der schon seit vielen Jahren als Stuntman arbeitet, aber der liegt nach einem Verkehrsunfall noch im Krankenhaus. Und weil die Dreharbeiten in ein paar Tagen beginnen und das Filmteam auf die Schnelle keinen Ersatz gefunden hat, wird Arpad für seinen Vater einspringen, obwohl er erst 14 ist.

Aber bei mir steht noch alles auf dem Spiel. In genau dreiunddreißig Minuten werde ich mich der Casting-Direktorin vorstellen. Obwohl ich in dem Film kein Wort sprechen muss, will man mich genau kennenlernen, ebenso mein Pony Filou, auf dem ich öfter durchs Bild reiten soll. Ich bin schrecklich aufgeregt. In der letzten Nacht hab ich kaum ein Auge zugetan und heute Morgen in der Schule konnte ich mich überhaupt nicht konzentrieren. Ein Glück, dass die Sommerferien vor der Tür stehen! Gleich nach Ferienbeginn werden die Dreharbeiten anfangen, und wenn ich jetzt überzeugen kann, werde ich dabei sein. Wer da von mir verlangt, ruhig zu bleiben, hat ja wohl den Verstand verloren!

Maja, Arpads Schwester, die zwischen uns auf der Rückbank des Autos sitzt, denkt wohl so ähnlich, denn sie gibt ihrem Bruder einen Rippenstoß.

Ich blicke zum x-ten Mal durch die Heckscheibe auf den Pferdeanhänger hinter uns. Wie mag sich mein alter Filou jetzt fühlen? Wenigstens hat er den Lipizzanerhengst Favory neben sich, ein ausgebildetes Stuntpferd. Er gehört Attila Erdelyi, Arpads und Majas Vater. Arpad und Favory sollen sich heute der Regisseurin vorstellen: Angelina Jones. Die ist anscheinend total berühmt. Trotzdem kann Arpad alles viel lockerer angehen als meine Wenigkeit, immerhin ist er schon fest engagiert. Ich dagegen …

Also, ich darf gar nicht darüber nachdenken.

Frau Sattler setzt den Blinker und fährt von der Autobahn ab. Sie ist die Besitzerin von Hof Buchental, wo die beiden Pferde untergebracht sind, und sie war so nett, uns heute zum Set zu bringen. Es geht ein Stück am Waldrand entlang… um eine Kurve… dann kann ich Burg Greifenstein sehen, wo ein Teil der Dreharbeiten stattfinden wird. Weithin sichtbar liegt die Burg mit den vielen Türmen und hohen Mauern auf einem Hügel über dem Tal.

Arpads Augen leuchten. „Das ist echt eine tolle Kulisse für einen Film.“

Ich nicke nur, denn vor lauter Aufregung schnürt sich mir derart die Kehle zu, dass ich keinen Ton herausbringe. Außerdem werde ich den Gedanken nicht los, dass ich vor der Kamera doch eigentlich immer total doof aussehe. Meine Freundinnen haben mich ja schon oft genug mit dem Handy gefilmt. Das hatte ich irgendwie ausgeblendet, als ich mich für das Casting beworben habe. Darum hoffe ich inständig, dass ich richtig geschminkt werde und ein Kostüm bekomme, bevor ich mich vorstelle. Oder dass ich jetzt noch gar nicht gefilmt werde. Wer weiß – vielleicht will die Casting-Direktorin mich ja nur persönlich kennenlernen?

Frau Sattler fährt ein paar Kilometer auf einer gewundenen Straße an einem Flüsschen entlang, dann biegt sie nach rechts ab. Der Jeep holpert auf einer schmalen, schlecht geflickten Asphaltstraße den Berg hinauf und prompt wird mir ein bisschen schlecht.

Jetzt sind wir schon fast oben. Aber Frau Sattler muss an den Straßenrand fahren und anhalten, weil ihr durch das halbrunde Burgtor ein Lastwagen entgegenkommt.

„Was hat denn der hier oben zu suchen?“, krächze ich.

„Wahrscheinlich hat er Kostüme hergebracht oder Requisiten oder Baumaterial. Die Burg wird ja gerade zu einer riesigen Filmkulisse umgebaut“, erklärt Maja.

Vorsichtig gibt Frau Sattler wieder Gas und wir rollen in den großen Innenhof, der von alten Gebäuden mit dicken Mauern umschlossen wird.

„Wo sollen wir denn bloß parken?“, überlegt Frau Sattler laut.

Das ist wirklich eine gute Frage, denn auf dem Hof ist die Hölle los. Massenweise Leute laufen herum; sie rufen, hämmern und schleppen Sachen. Alles wirkt so hektisch, als würde nächste Woche hier kein Film gedreht, sondern ein König samt Hofstaat antanzen.

Aus dem Pferdeanhänger ertönt ein klägliches Wiehern, das eindeutig von Filou stammt. Kein Wunder! Er steht schon seit mehr als einer Stunde in dem schaukelnden Anhänger und jetzt ist er auch noch in einem lauten, unruhigen Durcheinander gelandet.

„Ich geh mal jemanden fragen“, sagt Frau Sattler und steigt aus dem Wagen. Hinter uns wiehert Filou noch einmal, dann stampft er ungeduldig mit einem Huf auf.

„Wir sollen zurück durch das Tor fahren und dann nach rechts abbiegen“, erklärt Frau Sattler, als sie nach ein paar Minuten wieder zurückkommt. „Dort ist eine große Wiese, auf der wir parken können.“ Sie lässt den Motor wieder an und lenkt ihr Auto vorsichtig zwischen den hin und her laufenden Leuten hindurch.

Gefühlte Ewigkeiten später klettern wir endlich aus dem Wagen. Arpad geht sofort zum Pferdetransporter hinüber.

„Komm, Maja, hilf mir mal. Wir holen zuerst Favory heraus. Dann ist Filou ruhiger, wenn er aussteigen muss“, schlägt er vor.

Tatsächlich macht der Lipizzanerhengst keine Schwierigkeiten, als Stuntpferde-Profi ist er ja auch das Reisen gewohnt. Während er völlig gelassen rückwärts die Rampe hinunterspaziert, erhasche ich einen Blick auf mein Pony. Es ist nach der langen Fahrt ein bisschen verschwitzt und seine großen dunklen Augen schauen mich an, als wolle es sagen: „Was macht ihr nur mit mir?“

Filou tut mir ein bisschen leid und plötzlich bekomme ich ein ganz schlechtes Gewissen. Denn zum ersten Mal, seit ich mich mit ihm für den Statisten-Job beworben habe, frage ich mich, ob das, was ich tue, für ihn auch richtig ist.

Dann steht Favory auf der Wiese und sieht sich interessiert um. Ich will zu Filou in den Anhänger gehen, aber Frau Sattler fasst mich am Arm. „Lass mal, das mache ich. Du bist so aufgeregt, dass du dein Pony nur noch nervöser machst.“

Ist das so offensichtlich?, denke ich betroffen. Ich murmele ein Dankeschön, gehe zu Maja hinüber und sehe zu, wie Frau Sattler Filou langsam aus dem Anhänger führt.

Ich habe mein Pony heute besonders hübsch gemacht, es sogar mit warmem Wasser und Pferde-Shampoo abgewaschen, seine dichte Mähne mit einem bunten Band verflochten und rote Bandagen um seine Beine gewickelt. Wie es jetzt auf der Wiese steht, aufgeregt, mit geblähten Nüstern, wehendem Schweif und blitzsauberem, in der Sonne leuchtendem Fell, ist es wirklich wunderschön. Also ehrlich: Filou sieht gerade gar nicht so aus wie ein Wallach von 21 Jahren, sondern wie ein temperamentvoller junger Hengst. Ich bin so unendlich stolz auf ihn!

„Was machen wir denn jetzt?“, frage ich Frau Sattler. „Haben die in der Burg Ihnen auch gesagt, wo wir hinmüssen?“

Sie nickt. „Du musst zurück in den Hof, dann in den Pallas, das große Gebäude rechts. Drinnen geht es links eine Wendeltreppe hinauf, danach zur zweiten Tür auf der rechten Seite.“

Na gut, jetzt wird’s also richtig ernst. Oje! Auf was hab ich mich nur eingelassen?

„Okay“, sage ich und versuche, nicht zu nervös zu klingen. „Bleiben Sie so lange bei Filou?“

Sie nickt. „Ich lasse ihn erst mal grasen, damit er sich an die neue Umgebung und die unruhige Atmosphäre gewöhnt. Anschließend führe ich ihn ein bisschen auf dem Waldweg dort drüben herum. Dann ist er schon aufgewärmt, wenn du gleich vorreitest. Arpad, du weißt besser als ich, was du jetzt zu tun…“

Rrrumms!

Im Burghof muss etwas umgekippt sein. Filou macht einen erschrockenen Satz rückwärts, stößt mit den Hinterbeinen an einen Baumstumpf, springt wieder nach vorne und bleibt wie angewurzelt stehen.

„Puh!“, macht Frau Sattler, die von meinem Pony beinahe von den Füßen gerissen wurde. Dennoch legt sie ihm beruhigend die Hand auf den Hals.

Auweia! Wenn so was nachher beim Vorreiten passiert, werde ich vor aller Augen im Dreck landen. Das war’s dann mit meiner Rolle als Statistin.

„Alles klar?“ Arpad sieht prüfend in die Runde, aber außer dem Schrecken ist niemandem etwas passiert. Dann erklärt er: „Ich bleibe hier, die Regisseurin kommt raus, um Favory und mich kennenzulernen. “

Du hast’s gut!, denke ich und spüre ein bisschen Eifersucht. Die weltberühmte Regisseurin Angelina Jones bequemt sich, zu dir zu kommen. Ich dagegen muss sehen, wie ich mich durch das Durcheinander im Burghof bis zur Casting-Direktorin durchschlage.

„Zoe, an deiner Stelle würde ich jetzt losgehen. Bis zu deinem Termin sind es weniger als zehn Minuten“, fordert mich Frau Sattler auf.

Huch! Schon so spät? Wenn ich nicht mal mehr auf die Uhr schaue, muss ich total durch den Wind sein. Maja packt mich am Ärmel und zieht mich mit sich in Richtung Burg. Zum Glück hat sie versprochen, mich zu begleiten.

Obwohl wir uns beeilen, dauert es länger als erwartet: Am Burgtor lassen wir einen Traktor mit einem Anhänger voller Holzbohlen vorbei und auf der Treppe zum Pallas müssen wir uns zwischen Unmengen von Kisten durchwursteln. Als wir den Rittersaal im Erdgeschoss betreten, haben wir nur noch zwei Minuten Zeit! Trotzdem bleibe ich stehen und sehe mich fasziniert um, denn an der Wand stehen Reihen um Reihen mit Ständern voller Kostüme und Requisiten: schöne lange Frauenkleider, Lederjacken, Hüte mit breiten Krempen, glänzende Degen, altmodische Pistolen, prachtvoll verzierte, schwere Sättel …

„Nun komm schon! Dein Casting fängt an.“ Majas drängende Stimme reißt mich aus meinen Träumereien. „Wenn du als Statistin eingestellt bist, hast du genug Zeit, dir alles anzusehen. Vorher müssen die dich aber erst mal nehmen.“

Sie hat recht. Wir hasten auf die halb offen stehende Holztür an der linken Seite des Rittersaales zu und fast stoße ich mit einer Frau zusammen, die noch einen weiteren Kleiderständer auf Rädern hinter sich herzieht. Am liebsten wäre ich die enge Wendeltreppe hochgerannt, aber das geht nicht, weil die alten Stufen gemeinerweise verschieden hoch sind und ich bei jedem Schritt höllisch aufpassen muss, nicht zu stolpern.

Um kurz nach halb vier betreten wir einen langen Flur und nach wenigen Schritten bleiben wir vor der zweiten Tür rechts stehen. Darauf ist mit Klebestreifen ein Zettel angebracht, auf dem mit großen Lettern Anne Davenport – Second Assistant Director geschrieben steht.

Komisch, eigentlich sollte ich doch bei der Casting-Direktorin vorsprechen, denke ich. Aber man hat mir gesagt, dass ich hier klopfen soll, also mache ich das auch. Wenn ich falsch gelandet bin, wird man mich schon an die richtige Adresse weiterleiten. Mein Herz wummert wie wild.

„Herein“, erklingt eine weibliche Stimme von drinnen.

Die Situation erscheint mir plötzlich absolut unwirklich. Es kann doch gar nicht sein, dass ich an einem Casting für einen Hollywood-Film teilnehme! Bestimmt liege ich in Wirklichkeit in meinem Bett und hab einen schönen Traum. Gleich wird mich mein Wecker erbarmungslos aus dem Schlaf reißen und dann muss ich zur Schule.

„Nun geh schon!“, drängelt mich Maja. Weil ich nicht sofort reagiere, öffnet sie an meiner Stelle die Tür und gibt mir einen leichten Schubs. Ehe ich mich’s versehe, stehe ich in einem kleinen, schmalen Raum, in dem es außer Maja und mir nur einen mit einem Computer bestückten Schreibtisch gibt und dahinter eine etwa dreißig Jahre alte, dezent geschminkte Frau mit langen dunkelblonden Haaren. Sie lächelt mir freundlich zu.

Aha, denke ich. Diese Frau ist wohl so was wie die Sekretärin der Casting-Direktorin.

„Guten Tag“, bringe ich etwas mühevoll heraus. „Ich… also, ich bin Zoe und… ääh… ich wurde zum Casting eingeladen.“

Hab ich mich jetzt richtig ausgedrückt? Eigentlich hätte ich mich ja mit meinem vollen Namen vorstellen müssen und vielleicht hätte ich besser sagen sollen „Man hat mich zum Casting gebeten“ oder „Ich darf mich bei Ihnen als Statistin vorstellen“.

„Hallo.“ Die Frau steht auf und gibt mir ihre Hand. „Ich bin Anne Davenport, die zweite Regieassistentin.“ Sie spricht gut Deutsch, allerdings mit einem deutlichen englischen Akzent.

„Sehr… äh… erfreut.“ Mist, verdammt, warum bin ich bloß so unsicher?

„Maja Erdelyi“, stellt meine Freundin sich vor. „Ich bin die Schwester von Arpad, der Travis Lauter doubelt.“

Komischerweise klingt sie total ruhig und sicher. Dabei ist sie meistens ziemlich schüchtern, wenn sie jemanden neu kennenlernt. Aber als Stuntreitertochter kennt sie sich beim Film halt gut aus. Ganz im Gegensatz zu mir. Trotzdem: Wenn ich weiter hier rumstehe und diese zweite Regieassistentin anstarre wie ein verschüchtertes Huhn, nehmen die mich ganz sicher nicht.

„Es freut mich auch“, erklärt Frau Davenport. „Zoe, wir gehen gleich nach nebenan. Dort wirst du ein paar Szenen spielen. Ich werde dich filmen und zeige die Aufnahmen dann Mary Alvarez, der Casting-Direktorin.“

„Ist sie gar nicht hier? Ich dachte…“, beginne ich verwirrt.

„Nein. Und das ist mit voller Absicht so“, erklärt Frau Davenport lächelnd. „Schließlich wollen wir wissen, welchen Eindruck du vor der Kamera machst.“

„Okay“, murmele ich verzagt. Das macht ja auch wirklich Sinn, trotzdem hat mich die Nachricht wie ein Schlag getroffen.

Jetzt muss ich also doch vor die Kamera und werde vorher nicht mal geschminkt…

Na gut, Zoe, das war’s dann wohl mit deiner Statistinnen-Rolle, denke ich enttäuscht. Wenn Mary Alvarez diese Filmaufnahmen sieht, hast du nicht mal mehr den Hauch einer Chance.

„Wo ist denn deine erwachsene Begleiterin?“, will Frau Davenport wissen.

Ihre Frage bringt mich fast an den Rand der Verzweiflung. Soll Frau Sattler jetzt etwa auch noch herkommen, um Zeugin meines Untergangs zu werden? Aber was machen wir solange mit Filou?

Weil ich nicht gleich etwas sage, erklärt Maja: „Frau Sattler ist auf der Wiese hinter der Burg und passt auf Zoes Pony auf.“

Frau Davenport runzelt die Stirn. „Habt ihr sonst niemanden mitgebracht, der diesen Job übernehmen könnte?“

Ich schüttele nur stumm den Kopf und Maja antwortet: „Ich könnte runtergehen und sie ablösen.“

Oh nein, lass mich hier bloß nicht alleine!, denke ich und werfe ihr einen Hilfe suchenden Blick zu.

Ob Frau Davenport das bemerkt hat? Jedenfalls erklärt sie: „Na gut, ich glaube, das ist nicht nötig. Hauptsache, Frau Sattler ist in der Nähe.“

„Uff!“, murmele ich. Wenigstens diese Klippe ist umschifft.

Dann folge ich Frau Davenport in den nächsten Raum. Der ist viel größer als ihr Büro, die Decke ist mit hübschen Stuckornamenten geschmückt und in der hinteren Ecke steht ein altmodischer Kachelofen. An der rechten, fensterlosen Seite hat jemand eine hölzerne Bühne aufgebaut.

Das sind wohl die Bretter, die die Welt bedeuten. Und auf denen ich mich gleich bis auf die Knochen blamieren werde, denke ich.

Die Regieassistentin nimmt eine kleine Kamera von der Fensterbank und schaltet sie ein.

Ich atme tief durch. Okay, die Sache ist gelaufen, bevor sie richtig angefangen hat, sage ich mir. Die nächsten paar Minuten sind garantiert mein erster und letzter Auftritt beim Film. Und gerade darum werde ich sie so richtig genießen.

„Was immer du jetzt auch tust, stelle dir bitte vor, du würdest dabei ein langes Kleid und wertvollen Schmuck tragen“, sagt Frau Davenport.

„In Ordnung“, erkläre ich.

Komischerweise werde ich jetzt ganz ruhig. Ich nehme eine gerade Haltung an und hebe vornehm den Saum meines imaginären Kleides. Mit gemessenen Schritten gehe ich zu der Bühne und steige so vorsichtig die Treppe hoch, als könne ich jeden Moment mit meinen nicht vorhandenen hohen Absätzen stolpern. Dann drehe ich mich zu der Regieassistentin und Maja um und mache einen angedeuteten Hofknicks.

Frau Davenport lächelt. „Würdest du dich jetzt bitte mit ein paar Sätzen vorstellen?“

Ich nicke gehorsam, aber eigentlich habe ich etwas ganz anderes im Sinn. Jetzt ist sowieso alles egal.

Ich mache ein derart arrogantes Gesicht, dass es Arpad alle Ehre gemacht hätte, und lege los. „Seid gegrüßt, Diener und Knechte“, beginne ich, wobei ich mich heimlich über Maja amüsiere, weil die bei meinen Worten die Augen aufreißt. „Ich bin Ottilie von Hohenstein, die Kammerzofe Ihrer Hoheit, der Prinzessin. Nehmt jetzt meine Befehle entgegen. Magd Maja, tritt vor!“

Meiner Freundin klappt die Kinnlade herunter. Dass sie trotzdem tut wie geheißen, liegt wohl daran, dass ich gerade fast so geklungen habe wie unsere Deutschlehrerin, wenn sie mal wieder jemandem eine Strafarbeit aufbrummt.

„Du gehst hinunter und kehrst den Burghof“, befehle ich und wedele genervt mit meinem imaginären Fächer, weil sie sich nicht gleich rührt. „Na los, worauf wartest du noch?“

Jetzt beginnt Maja, über das ganze Gesicht zu grinsen. Sie verbeugt sich tief und macht tatsächlich ein paar Schritte Richtung Tür. Mir beginnt das Theater richtig Spaß zu machen. „Und nun zu dir, Knecht Ruprecht“, sage ich zu dem Ofen in der Ecke.

Schnell schaltet die Regieassistentin die Kamera aus, dann fängt sie schallend an zu lachen.

„Das war so zwar nicht geplant, aber du warst trotzdem richtig gut“, sagt sie, als sie sich wieder ein bisschen gefangen hat. „Ich werde den Film genau so an unsere Casting-Direktorin weiterleiten.“

Der kommen bestimmt die Tränen. Leider aber nicht vor Lachen, denke ich bedrückt.

Frau Davenport wird wieder ernst. „Ab jetzt machst du aber genau das, was ich dir sage, okay?“ Dann wendet sie sich Maja zu. „Könntest du dich bitte zu Zoe auf die Bühne stellen?“ Meine Freundin nickt und geht in Position. „Also“, erklärt Frau Davenport, „wenn ich die Hand hebe, ist die Kamera wieder eingeschaltet. Zoe, du tust dann bitte so, als wäre Maja die Prinzessin und du würdest sie einkleiden.“

Ich beiße mir auf die Lippen, murmele „Okay“ und warte auf meinen Einsatz. Dann lege ich los, ziehe Maja ein nicht vorhandenes Korsett an und schnüre es mit energischen Bewegungen zu.

„Noch ein bisschen fester, Euer Majestät?“, frage ich sie nach den ersten paar Handgriffen.

„Ja, b… bitte“, stottert Maja, die große Mühe hat, ihr Kichern zu unterdrücken.

„Jawohl, Majestät, wie Ihr wünscht.“ Jetzt tue ich so, als müsse ich mich mächtig anstrengen, um das Korsett noch enger zu machen. Anschließend hole ich das Kleid und ziehe es Maja so vorsichtig über, als hätte ich einen mit Gold durchwirkten Seidenstoff in der Hand. Danach hebe ich nacheinander ihre Füße an und streife ihr hochhackige Schuhe über. Schließlich richte ich mich mit einer eleganten Bewegung wieder auf und frage: „Mit welchem Geschmeide gedenkt Ihr Euch heute zu schmücken, Euer Hoheit?“

„Äääh… keine Ahnung“, antwortet Maja viel zu ehrlich.

„Ich würde Euch die silberne Kette mit den roten Edelsteinen empfehlen. Natürlich auch die passenden Ohrringe“, schlage ich dienstbeflissen vor. „Das würde wunderbar zu Eurem grünen Kleid passen. Oder nehmt das goldene Geschmeide mit den violetten Steinen und dazu den golddurchwirkten Kopfputz. Sie würden Euren schönen blauen Augen wunderbar stehen.“

„Dann nehmen wir doch das goldene“, entscheidet sich meine Freundin, die sich endlich in ihre Rolle eingefunden hat.

„Stopp, das genügt“, ruft die Regieassistentin. Sie schaltet die Kamera aus und fährt fort: „So, nun noch eine letzte Szene. Vielen Dank, Maja, das war’s erst mal. Und Zoe, sei so gut und stelle dir vor, dass die Burg gerade von Feinden gestürmt wird. Die ersten Soldaten dringen schon in die Kemenate ein und wollen die Prinzessin entführen. Du weißt dir nicht mehr zu helfen und schreist laut vor Schrecken. Alles klar?“

Muss ich jetzt auch noch das hysterische Weiblein spielen? Na gut, meinetwegen…

Ich atme ein paarmal tief durch.

„Film läuft!“, ruft Frau Davenport.

Aus unerfindlichen Gründen habe ich jetzt wirklich fast das Gefühl, als würden gerade ein paar zu allem entschlossene Kerle in den Raum stürmen. Entsetzt starre ich auf die Tür, raufe mir die Haare und beginne dann zu kreischen, als wäre ich dem Wahnsinn nahe. Dabei wanke ich dramatisch ein paar Schritte in Richtung Maja und sinke meiner verdutzten Freundin wie ohnmächtig in die Arme.

„Sehr gut“, bemerkt die Regieassistentin mit wackeliger Stimme, schaltet schnell die Kamera aus und kriegt schon wieder einen Lachanfall.

„Du warst super!“, wispert mir Maja ins Ohr, bevor ich mich aufrichte.

„All right“, erklärt Frau Davenport. „Jetzt fehlen nur noch die Aufnahmen mit deinem Pony. Kommt ihr mit nach unten?“

„Okay“, antworte ich, obwohl mir schon wieder mulmig wird. Wie wird sich Filou in der unruhigen, absolut unbekannten Umgebung verhalten? Ich hab jedenfalls nicht die geringste Lust, vor laufender Kamera im Dreck zu landen. Aber na gut, eigentlich ist es egal, wenn’s schiefgeht. Ich hab eh nichts mehr zu verlieren.

Als wir bei dem Jeep und dem Pferdetransporter ankommen, sind Arpad und Favory verschwunden. Meinen Filou kann ich nur von Weitem sehen. Frau Sattler hat ihn gesattelt und aufgetrenst und führt ihn über einen Feldweg am Waldrand entlang. Mein Pony scheint sich an die neue Umgebung und sogar an den Krach, der über die Burgmauer zu ihm hinüberschallt, schon ganz gut gewöhnt zu haben, jedenfalls trottet es mit entspannt gesenktem Kopf dahin.

Jetzt hat Frau Sattler uns gesehen. Sie winkt und kommt mit Filou zu uns herüber. Während sie sich der Regieassistentin vorstellt, streichele ich meinem Pony zur Begrüßung über die Stirn, ziehe noch den Sattelgurt nach, setze meine Reitkappe auf den Kopf und streife die Reitstiefel über. Dann geht’s los: Vor laufender Kamera steige ich in den Sattel, reite ein paar Runden im Schritt und lasse Filou danach in den Trab übergehen.

Ich glaube, mein kluges Pony hat kapiert, dass das hier unser ganz großer Auftritt ist. Mit lockeren, schwingenden Bewegungen schwebt er in einer schönen Dressur-Haltung über die Wiese und reagiert auf jede Hilfe. Bestimmt sieht es jetzt total hübsch aus, ganz im Gegensatz zu mir. Mit der klobigen Reitkappe auf dem Kopf wirke ich sicherlich noch dämlicher als vorher. Unsicher werfe ich einen Blick in Richtung Maja, doch sie nickt mir zu und macht ein Daumen-hoch-Zeichen.

Plötzlich dringt aus dem Burghof der erschrockene Schrei eines Mannes an unsere Ohren und es klirrt so laut, als würde eine riesige Glasscheibe zerspringen. Mein Pony erschrickt und macht einen mächtigen Satz, und noch bevor ich kapiert habe, was passiert, verliere ich das Gleichgewicht und rutsche auf seinen Hals. Mit gehetzten Galoppsprüngen ergreift Filou die Flucht, ich klammere mich an seiner Mähne fest, doch es hilft nichts: Ich stürze endgültig und lande mit Wucht auf dem Hinterteil.

Ist das peinlich! Mit wild pochendem Herzen hocke ich im Gras, mein Hintern tut weh und ich fühle mich fürchterlich. Am liebsten würde ich einfach losheulen. Zum Glück bleibt Filou in wenigen Metern Entfernung stehen; mit aufgerissenen Augen schaut er zur Burgmauer hinüber, hinter der jede Menge lauter Rufe ertönen. Dann wird es still – offenbar haben sich wenigstens die Männer im Hof von ihrem Schrecken erholt und machen sich wieder an die Arbeit.

Ich rappele mich auf, gehe zu meinem Pony und lege ihm den Arm um den Hals, drücke meinen Kopf in seine Mähne und dränge die Tränen zurück, die sich größte Mühe geben, in meine Augen zu steigen.

Das war jetzt wohl der letzte Nagel im Sarg meiner Statistinnen-Karriere, denke ich. Aber dann wird mir klar, dass es trotz allem immer noch etwas zu verteidigen gibt, nämlich meine Ehre! Nein, ich werde nicht vor laufender Kamera aufgeben, und losheulen werde ich schon gar nicht!

Entschlossen hebe ich den Kopf.

Maja ist zu uns herübergekommen und nimmt Filou am Zügel. „Alles klar?“, fragt sie.

„Kein Problem, wirklich“, antworte ich und werfe der Regieassistentin, die mit erschrockenem Gesicht neben Frau Sattler steht, einen fragenden Blick zu. „Soll ich wieder aufsteigen?“

„Gerne, wenn du kannst“, erklärt sie.

Ich grinse schief und schwinge mich wieder in den Sattel. Zum Glück bleibt es jetzt im Burghof ruhig und das Reiten klappt wunderbar. Nach ein paar Runden im Trab nehme ich meinen Mut zusammen und lasse Filou angaloppieren. Auch das macht er ganz prima und so ruft mir Frau Davenport zu: „Vielen Dank, ihr könnt Schluss machen.“

Ich lasse mein Pony Schritt gehen und atme auf. Die Regieassistentin kommt zu uns herüber.

„Ihr beiden habt das super gemacht.“

Der Schreck sitzt mir immer noch in den Gliedern und mein Hintern tut weh, darum zucke ich nur mit den Achseln.

„Du, das mit dem Sturz war gar nicht schlimm“, tröstet sie mich. „Erst recht nicht, weil du die Situation so tapfer gemeistert hast. Überhaupt scheinst du mir ein sehr nettes, mutiges Mädchen zu sein. Und dein Pony ist einfach niedlich. Ich bin gespannt, was Mary Alvarez zu euch beiden sagt.“