Cover

Geheimnis Nr. 32

Timm Milan, geboren in Wuppertal, aufgewachsen in Wuppertal, zur Schule gegangen in Wuppertal. »Du musst mal hier rauskommen«, riet ihm ein Freund nach dem Abi. »Besonders, wenn du Schriftsteller werden willst!« Timm Milan zog das zwar in Erwägung und brach sein Germanistikstudium ab, weil es da aber auch nie um Literatur ging. Er blieb jedoch. Das Fernweh braucht er für seine Geschichten über Diebstähle und wilde Freundschaften. Genau wie die Langeweile und die Schwüle der verwinkelten Gassen der Wuppertaler Sommer.

Als Abwechslung reicht ihm die Arbeit in einer Grundschule, bei der er mehr von dem Schulhoflärm und den Klassenzimmerproblemen literarisch gebrauchen kann als gedacht und bei seinen Mountainbikefahrten in und um das Tal, aus dem er vielleicht nie so ganz herauskommen wird. Außer auf den Schwingen der Fantasie natürlich.

»Geheimnis Nr. 32« ist seine erste Veröffentlichung bei Beltz & Gelberg.

Sonntag: Alte Geheimnisse

»Das muss unter uns bleiben – bitte!«

Damit hat es angefangen, diese ganze verrückte Woche. Dabei war Sonntag! In die Schule mussten wir trotzdem, wegen dieser dösigen Jubiläumsfeier. Jetzt gab es unsere Schule schon fünfundzwanzig Jahre, juhu. David und ich, wir waren echt spät dran und erwarteten eigentlich, dass der ganze Schulhof voller Leute wäre. Gekreische, Musik, Gläsergeklirre. War aber nicht. Zumindest auf dem oberen Hof schien nichts los zu sein.

»Bestimmt alle in der Mensa«, murmelte David.

Aber plötzlich war da eben dieses Krachen. Na ja, eigentlich war es mehr ein Klirren, so, wie wenn Glas zerbricht. Musste aber etwas ganz schön Großes sein. Es schien aus Richtung des Lehrerzimmers zu kommen. Und als wir dort ankamen, standen Lina und Marie da. Lina ist Davids große Schwester, Marie ihre beste Freundin, und irgendwie sah das lustig aus, wie sie da standen, weil Marie so pummelig und rund ist und Lina so schmal.

Sie betrachteten beide das Lehrerzimmerfenster.

Marie hat ganz runde Augen und sieht eigentlich immer erstaunt aus, aber diesmal ganz besonders. »Wir wollten es nicht einbolzen!«

Tja, hatten sie aber – im Lehrerzimmerfenster war ein riesiges gezacktes Loch. Man konnte sogar reingucken. Man sah die Tische und die Kaffeemaschine, und über einem Stuhl hingen die Sportklamotten vom Jakobs.

Trotzdem machten beide Gesichter, als würden sie nicht begreifen, was die Scheibe da gerade gemacht hatte, wie zum Teufel sie auf die Idee kam, einfach so zu Bruch zu gehen.

Sie drehten die Köpfe zu uns.

»Bitte«, flüsterte Lina, als wären sie die Siebtklässler und wir die Großen. »Kann das unter uns bleiben?«

Alles nur ein Unfall, meinten sie. Den Ball hätten sie gefunden, im Gebüsch, und damit hätten sie nur ein bisschen rumgespielt und dann …

Aus der Ferne hörte man dumpfe Musik. Anscheinend fand die Feier tatsächlich ausschließlich in der Mensa statt.

»Ja und wo ist der jetzt, der Ball?«, fragte David.

Marie nickte in Richtung Lehrerzimmer. Es stimmte: Da war er drin, der Ball. Er war fast bis an die Tür gerollt.

Irgendwas fand Marie daran unheimlich lustig. Sie fing so sehr an zu lachen, dass sie sich den Bauch halten musste. Sie kommt schnell aus der Puste.

Lina knuffte sie in die Seite. »Das kommt nur davon, dass sich das Marsupilami mal wieder nicht kontrollieren kann.«

Marsupilami – so nennt Lina Marie manchmal, weil Marie ihre Haare immer in einem festen geflochtenen Zopf trägt. Sie witzeln immer, dass sie ihn bewegen könnte, wie dieses gelbe Comic-Vieh seinen Schwanz bewegen kann. Und als Lina das Marsupilami so lachen sah, musste sie auch lachen. Als ich dabei ihren Atem roch, wusste ich auch, wieso die beiden so albern waren.

Lina versuchte, sich wieder einzukriegen.

»Also, was ist jetzt? Ihr verpetzt uns doch nicht, oder?« Sie sahen uns flehend an.

»Daniel?«

Das war ich.

»David?«

Das war David, mein bester Freund, schon seit der ersten Klasse. Und David und ich, wir nickten.

Lina atmete erleichtert aus und wollte gerade noch etwas sagen, aber plötzlich veränderte sich ihr Gesicht. Das lag daran, dass die alte Wolle kam. Das heißt, erst kam nur ihre Stimme, der Rest von ihr war noch ziemlich weit weg. Aber die Mädchen rannten daraufhin so schnell los, wie ich sie noch nie hatte rennen sehen. Mordsbeschleunigung! Dass Marie überhaupt so schnell unterwegs sein konnte! Sie sprangen bei der Hausmeisterwohnung über den Zaun, und als die Wolle endlich angeschnauft kam, waren sie längst über alle Berge. Nur wir standen noch wie die Idioten vor dem Lehrerzimmerfenster mit dem Riesenloch!

In solchen Situationen passiert mir immer was Dummes: Ich hab im Bauch, ganz unten, so ein Gefühl, als würde da eine Sprudelflasche aufgehen, und dann, wenn ich was sagen will, bringe ich die Wörter durcheinander.

David meinte sofort zur Wolle: »Das waren wir nicht!«

Und ich wollte das dann ergänzen und rief: »Ja, wir sind nur hier, weil wir einen Hörer geräuchert haben!« Natürlich verbesserte ich mich gleich und rief: »Nicht geräuchert, gehört! Ich meine, weil wir ein Geräusch gehört haben!«

Die Wolle sah kurz zwischen uns hin und her, dann machte sie eine winkende Bewegung.

Dass wir das nicht gewesen waren, das sei ihr klar. Sie sei ja vielleicht alt, aber deshalb noch lange nicht blind.

Sie schnaufte und ihre Locken glänzten silbrig. Ich weiß nie, ob das ihre eigenen Haare sind oder eine Perücke.

Sie meinte dann, dass sie definitiv zwei Mädchen gesehen habe, und zwar aus der Oberstufe, der Größe nach zu urteilen. Nur so aus der Entfernung habe sie nicht erkennen können, wer. Sie deutete auf ihre Brille. Sie trägt so eine Halbierte, die sie immer ganz vorne auf der Nasenspitze balanciert. Und über die Ränder sah sie uns jetzt ganz erwartungsvoll an.

Ich sah zu David und der zuckte mit den Schultern.

»Keine Ahnung, aus welcher Klasse die waren. Wir kannten die nicht.«

»Ihr habt doch gerade mit denen gesprochen – das sah für mich aber schon so aus, als würdet ihr die kennen!«

In meinem Bauch sprudelte es mittlerweile wie verrückt, und wenn die Wolle mich jetzt angesprochen hätte – ich hätte ihr alles erzählt. Aber David ist da ganz anders, er würde seine Schwester nie verraten.

»Ach so«, sagte er, als würde ihm jetzt aufgehen, wo das Missverständnis lag. »Nein, die haben uns nur gefragt, was hier los ist, ob hier gefeiert wird oder was. An einem Sonntag ist hier ja normalerweise nichts los.« David sah der Wolle direkt in die Brille. »Und von der Feier konnten sie ja nichts wissen, weil sie ja nicht von dieser Schule sind.«

David und ich, wir sind zwar beste Freunde, seit ich denken kann, aber manchmal frage ich mich, wieso eigentlich. Er ist so viel klüger als ich. Denn natürlich waren die Mädchen auf unserer Schule. Auf so eine Taktik wäre ich nie gekommen, echt nicht!

Die Wolle nahm die Brille ab und musterte uns, als würde sie gleich mit unseren Eltern telefonieren wollen, aber dann setzte sie die Brille wieder auf und grunzte, wie immer, wenn sie jemandem was durchgehen lassen musste.

»Na, dann macht mal, dass ihr hier wegkommt«, murmelte sie und guckte sich das Loch an. Sie musterte jeden Zacken einzeln, als könnten die ihr sagen, wer die zwei Mädchen waren, und schüttelte immer wieder den Kopf.

»Die glaubt uns nicht«, meinte ich, als wir etwas weiter weg waren.

David verzog das Gesicht.

»Wenn das rauskommt, kriegen die echt Ärger.« Er zählte an den Fingern ab: »Mutwillige Zerstörung von Schuleigentum, illegaler Alkoholkonsum und dann noch Tatortflucht.«

David redet oft so, weil sein Vater früher bei der Kripo war.

»Vielleicht können sie dann nicht mehr nach Belgien …«

Ich wusste, was er meinte. In dem Zimmer seiner Schwester stand eine Spardose, da waren Bilder draufgeklebt von diesem Triumphdings mit den Pferden, und da kam alles Geld rein, das sie irgendwo abzwacken konnten. Sobald sie mit den Prüfungen durch waren, wollten sie da nämlich hin, und zwar für so lange, wie das Geld in der Dose eben reichen würde. Jeder zweite Satz, den sie sagten, fing an mit »Wenn wir in Belgien sind« oder mit »Bevor wir nach Belgien fahren«.

So geht das schon seit fast zwei Jahren und sie büffeln für das Abi wie die Irren. Besonders Marie muss sich anstrengen, ihre Noten sind nicht so gut wie Linas.

Ich schüttelte den Kopf. »Aber außer uns hat sie niemand gesehen. Niemand wird es rauskriegen. Solange wir die Klappe halten«, fügte ich hinzu.

Und als ich das sagte, drehte David den Kopf zu mir und hatte so einen ganz bestimmten Ausdruck drauf, wie immer, wenn wir beide gleichzeitig dasselbe dachten.

Ich glaube, das muss ich erklären. David und ich, wir haben eine besondere Art, mit Geheimnissen umzugehen. Davids Mutter hat einen Schrebergarten, direkt hinter dem Sportplatz, auf dem wir im Sommer immer Sport haben. Es gibt eine besondere Stelle, zwischen Gemüsebeet und Hecke, da ist eine Pringles-Dose vergraben. Ursprünglich war sie mal grün, aber jedes Mal, wenn wir sie ausgraben, ist sie ein wenig blasser. Mittlerweile hat sie so eine Farbe wie das Weiße in einer Mandarine. Die Unterseite wird immer rostiger, aber das Schnauzbartgesicht mit der Krawatte bleibt erstaunlich gut erhalten.

Dieses Gesicht, das ist »der Hüter der Geheimnisse«. Na ja, so nennen wir es immer.

Wenn wir ein Geheimnis haben, schreiben wir es auf einen Zettel, der Zettel kommt in einen Briefumschlag und der Umschlag in die Dose. Wir sammeln schon seit der Fünften. Die Leute aus der Schule – wenn die wüssten, was alles in der Dose ist, die würden uns umbringen, im Ernst! Wir haben über fast jeden was, auch über die Lehrer.

Über die alte Wolle zum Beispiel:

Geheimnis Nr. 17:

Psst! Wir haben die alte Wolle dabei gesehen, wie sie die Ohrringe in ihrer Manteltasche gefunden hat. Sie hat ganz verwundert geguckt und den Kopf geschüttelt, und dann hat sie die Ohrringe verschwinden lassen. Danach hat sie sich umgesehen, ob sie auch niemand beobachtet. Die ganze Woche vorher hatte sie unsere Klasse beschuldigt, sie ihr geklaut zu haben. Am Ende haben wir Geld gesammelt, und Bianca und Nadine haben ihr neue gekauft. Die hat sie angenommen und danach nie mehr darüber geredet. Dabei hatte sie nur vergessen, wo sie sie hingetan hat!

So was eben. Und das ist noch eines der harmlosen!

Mittlerweile wurde es langsam dunkel. Auf dem Sportplatz waren noch Scheinwerfer an, aber in der Gartensiedlung war niemand außer uns. Ganz schön gespenstisch! Wir holten die Schippen und fingen an zu buddeln. Es ist ja schon Frühling, aber die Erde war noch ziemlich hart, wir mussten richtig hacken mit den Schippen. Aber irgendwann machte es dann Tock! und David grinste und rief: »Bingo!« Das sagt er zu allem, wahrscheinlich war sein Vater früher Bingospieler, wenn er nicht gerade Verbrecher gejagt hat.

Mit der Dose setzten wir uns in »die Abtei«. So nennen wir das Häuschen, das zum Garten gehört. Das hat auch mit Davids Vater zu tun. Bei der Kripo war er nämlich Abteilungsleiter. Irgendwann hat David mal einen Brief gefunden, auf dem war das so abgekürzt: Abt.-Leiter. Das hat er wohl erst nicht so ganz kapiert. Jedenfalls nennen wir seitdem Davids Papa »den Abt«. Den Schrebergarten hat er gekauft und mit allem bepflanzt, was da jetzt wächst. Deshalb also die Abtei.

Und während wir da saßen und mit dem neuen Zettel beschäftigt waren, passierte was ganz Gruseliges. Vom Fenster des Gartenhäuschens aus kann man nämlich genau auf das Beet gucken, und durch die Gardine sah ich unten beim Gemüsebeet eine Gestalt stehen, riesig groß und rabenschwarz. Und sie war über das Beet gebeugt, direkt neben der Stelle, an der wir gerade die Pringles-Dose ausgebuddelt hatten!

Ich griff nach einem von Davids Armen und drückte ihn. Der verschrieb sich daraufhin.

»Was hast du denn für Probleme? Und lass meinen Arm los!«

Ich hielt ihm den Mund zu.

»Da draußen ist jemand und guckt sich das Gemüsebeet an!«, flüsterte ich.

David machte Kulleraugen und wurde ganz still. Aber als wir die Gardine vorsichtig zur Seite schoben, war niemand mehr zu sehen.

Wir sahen uns eine Weile unschlüssig an, dann legte David einen Finger an den Mund und stand auf. Mir reichte er ein Brotmesser, selber nahm er einen Kochlöffel. So bewaffnet schlichen wir auf die Tür zu. Ich sah David in Gedanken zählen, schließlich nickte er und wir stürmten mit einem lauten »Ha!« nach draußen.

Aber da war niemand, nicht hinter der Abtei und auch nicht beim Schuppen, und wir kamen uns etwas blöd vor, mit dem Besteck in der Hand. Das Brotmesser hätte sowieso nicht viel genutzt, das war nämlich so stumpf, dass man damit nicht mal ein Brötchen halbieren konnte.

»Gestalt – ja klar!« David lachte. »So wie letzten Sommer beim Zelten, als du überzeugt warst, unser Nachbar würde uns aufs Zelt pinkeln.«

Das stimmt, es hatte sich auch wirklich so angehört. Dass es angefangen hatte zu regnen, hatte ich allerdings nicht mitgekriegt.

»Aber eben war da jemand, okay?«

Mittlerweile standen wir wieder an dem Beet und sahen auf das Loch am Rand. David meinte, dass es vielleicht nur der Alte von nebenan gewesen sei. Der kam nämlich schon mal neugierig gucken, was wir abends hier so machen.

Ich nickte.

»Jedenfalls müssen wir die Dose jetzt woanders vergraben.«

Das wollte David aber überhaupt nicht! Er meinte, dass unsere Dose für Erwachsene doch nur eine Kinderei war und wir sie deshalb vergraben könnten, wo wir wollten. Niemand würde danach buddeln.

Aber schließlich hatte der Typ die Geheimstelle gesehen! Uns blieb also gar nichts anderes übrig, fand ich.

David war zwar ganz schön genervt, aber nach einer kurzen Diskussion haben wir eine neue Stelle gesucht – beim Apfelbaum, direkt neben einer der Steinplatten. Da war das Graben allerdings viel schwieriger und David fluchte die ganze Zeit über die Wurzeln.

Mittlerweile war es richtig dunkel und in der ganzen Gartensiedlung raschelten friedlich die Bäume. Es war jetzt überall still, auch auf dem Sportplatz und mir wurde ganz komisch zumute. Ich hatte nämlich noch eine ganz andere Theorie, wer die Gestalt gewesen sein könnte. Das klingt jetzt total blöd, aber groß und dünn, so hat David immer den Abt beschrieben. Ich selber wusste ja nicht, wie er aussah, er war ja schon tot, als wir eingeschult wurden. Und als ich die Gestalt am Beet gesehen habe, da dachte ich irgendwie, dass er vielleicht nachts zurückkommt und – na ja – im Garten nach dem Rechten sieht. Klar, ich weiß schon, Gespenster gibt es nicht. Aber ich hatte diese Gestalt gesehen – Tatsache. Und mir gefiel es einfach, dass es der Abt sein könnte. Dass er einfach ab und zu vorbeikommt und guckt, ob alles in Ordnung ist und welche Früchte schon reif sind.

David sagte ich davon aber nichts. So was ist nichts für ihn. Geister und so was, meine ich.

Wir waren fertig mit Buddeln und legten die Dose in das neue Loch. Der Hüter der Geheimnisse leuchtete weißlich in der Dunkelheit. Am Tag hat er ja so kleine Schweinsäuglein, aber nachts verwandeln sie sich und werden ganz groß. Das macht mir immer Gänsehaut.

Und an diesem Abend im Garten, als wir die Dose wieder zuschaufelten, da dachten wir, dass das schon alles wäre. Nur ein neues Geheimnis, weiter nichts. Und mit Geheimnissen, da kannten wir uns schließlich aus. Niemand hütete mehr als wir! Gut, wir hatten die alte Wolle angelogen. Aber da steckte weiß Gott Schlimmeres in der Dose. Und alles, was da bis jetzt drin war, das war lächerlich gegen all das, was in dieser Woche dann passiert ist. Ich meine, all das mit den Briefumschlägen und der Klassenfahrt und Bianca und dem großen Christoph. Die Woche war absolut verrückt! Aber so richtig dämmerte uns das erst am Montagmorgen.

Auf dem Rückweg gingen wir sogar noch über den Sportplatz und taten, als wären wir die olympischen Sprinter beim Start und die Tollsten beim Kugelstoßen und so. Wir hatten halt keine Ahnung, was in der Woche alles passieren würde.

Montag: Neue Schuhe

Man hörte es schon, bevor man auf dem Schulhof ankam. Joschua und Nadine meinten bei der Bushaltestelle, dass am Wochenende was los gewesen sei, Einbruch und alles verwüstet, aber wir verstanden sie nicht richtig. Am Tor meinten einige, verwüstet sei zwar nichts, aber Diebe seien da am Werk gewesen, und das Einzige, das gestohlen worden sei: Aufgaben für die Abiturklausuren. Das sei schon oft versucht worden, aber jetzt endlich mal einem geglückt. Aber da kam Joschua von hinten angerempelt und rief: »Quatsch, die hatten es nur auf die Computer abgesehen!«

»Die alten Kisten?«, meinte Nadine. »Niemals! Die haben nur die Monsterkaffeemaschine aus dem Lehrerzimmer geklaut!« Die sei nämlich das einzig Wertvolle an der ganzen Schule. Auf dem Gang meinte Bianca aber, gar nichts sei geklaut worden, die Idioten hätten nur alles verwüstet, das würden solche Leute nämlich unbedingt immer tun müssen, alles verwüsten, ohne Grund!

Als Frau Asche-Feinstrick endlich kam, waren wir alle ganz gespannt, wie die offizielle Version lauten würde. Selten hatte sie eine so stille und aufmerksame Klasse.

Seit letztem Sommer müssen wir alle an Zweiertischen sitzen, weil die Asche-Feinstrick meint, so wären wir leiser. Zwischen den Tischen ist jeweils viel Platz. David und ich dürfen schon lange nicht mehr zusammensitzen, und als die Feinstrick uns jetzt so auf die Folter spannte, sah ich zu David rüber. Er sitzt zwei Tische weiter neben Joschua.

Frau Asche-Feinstrick machte ein Gesicht, als hätte sie ihre Hausaufgaben nicht gemacht.

»Bevor wir mit dem Unterricht anfangen, muss ich euch etwas mitteilen. So wie es aussieht, ist irgendwann gestern, offenbar während der Jubiläumsfeier, jemand ins Lehrerzimmer eingebrochen und hat einige Dinge gestohlen.«

»Die Computer!«

»Die Kaffeemaschine!«

»Nein, die Abiklausuren!«

Frau Asche-Feinstrick machte ein gequältes Gesicht. Die ersten Strähnen waren ihr schon aus dem Zopf gesprungen, wie immer, wenn sie sich aufregt.

Sie wartete, bis es wieder ruhig war, und erklärte dann, dass die Diebe ziemlich genau gewusst haben müssten, was sie wollten, denn das Einzige, das fehlte, waren die Briefumschläge dieser und der neunten Klasse, mit dem eingesammelten Geld für den Ausflug am Freitag. Und wie es aussah, war bei der Suche nach dem Geld nicht groß gewühlt worden. Abgesehen von dem Loch in der Scheibe und dem Fußball auf dem Boden, war das Lehrerzimmer nämlich unversehrt.

Sekundenlanges Schweigen in der Klasse. Ich sah zur großen Weltkarte, die über der Tafel hängt. Seit Wochen freuten sich alle auf den Wandertag. Da würden wir nämlich zur neuen Eissporthalle fahren. Im Jahr davor waren wir das erste Mal dort gewesen und wir redeten jetzt noch davon. Dazu gibt es auch ein Geheimnis.

Geheimnis Nr. 14

Psst! Wir haben Joschua mit Bianca gesehen. Als alle auf dem Eis waren, wollten wir in die Umkleide. Die Tür war angelehnt und wir machten sie nur einen Spalt auf, und Joschua und Bianca saßen da und hielten sich an den Händen. Bianca hatte die Schlittschuhe noch an und war ganz rot im Gesicht und dann nickte sie und Joschua nickte auch, und dann haben sie sich geküsst, und zwar richtig.

Wir sind dann ein bisschen durch die Halle gegangen und irgendwann haben wir Nadine gefunden. Sie hockte neben dem Softeis-Automaten und heulte. Sie hat ihre Mütze als Taschentuch benutzt, das war total eklig! Dabei heult sie doch sonst nie. Sie ist total in Joschua verknallt. Und Bianca ist doch eigentlich ihre beste Freundin!

Bis zu den Sommerferien waren Bianca und Joschua dann zusammen gewesen. Aber das ist schon lange her und jetzt haben sie nicht mehr viel miteinander zu tun. Bei der Abstimmung war Bianca natürlich trotzdem für die Eissporthalle, weil Schlittschuhfahren ja ihr Ding ist, sie geht einmal die Woche und übt Sprünge und so. Frau Asche-Feinstrick war allerdings erst mal nicht so begeistert. Monatelang mussten wir quengeln, dann hatte sich noch herausgestellt, dass die Halle den Eintritt erhöht hatte, und es war ein zweites Mal abgestimmt worden. Wieder war die Mehrheit für die Eissporthalle gewesen und das Geld also bar eingesammelt worden – in lauter einzelnen Umschlägen.