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Inhaltsverzeichnis

Das Buch
Der Autor
Widmung
Die mit den Locken (The Curly Kind)
Don’s Story (Don’s Story)
Tagebuch eines Rauchers (Diary of a Smoker)
Der Michelin-Mann hat das Wort (Firestone)
Giantess (Giantess)
Parade (Parade)
Mein Manuskript (My Manuscript)
Die Dichterlesung (After Malison)
Musik für Liebende (Music of Lovers)
Wir kommen zurecht (We Get Along)
Glens Homophobie-Infobrief Dritter Jahrgang , zweite Lieferung (Glen’s Homophobia Newsletter Vol. 3, No. 2)
Jamboree (Jamboree)
Frohe Weihnacht allen Bekannten und Verwandten!!! (Season’s Greetings to Our Friends and Family!!!)
Die WeihnachtsLand-Tagebücher (SantaL and Diaries)
Mein Vermächtnis (The Last You’ll Hear From Me)
Fuselfieber (Barrel Fever)
Copyright

Der Autor

David Sedaris geboren am 26.12.1956 in Johnson City, New York, aufgewachsen in Raleigh, North Carolina, lebt zur Zeit in Paris. Er schreibt u. a. für The New York Times, The New Yorker und Esquire. Mit seinen Büchern Naked, Fuselfieber oder Ich ein Tag sprechen hübsch wurde er zum Bestsellerautor.

Die mit den Locken (The Curly Kind)

H eute nachmittag brachte ich den Müll der Rosenblatts weg, als das Dienstmädchen von nebenan die Tür hinter sich zumachte, ihre weiße Uniform straffzurrte und auf den Knopf für den Aufzug drückte. Wir sind hier im elften Stock, vier Apartments pro Etage und nur ein Aufzug, deshalb dauert es meist ein bißchen. Ich sah zu, wie sich dem Dienstmädchen zwei kleine Kinder, von einem irischen Kindermädchen begleitet, anschlossen. Während sie warteten, griff die Bonne in ihre Leinentasche und gab dem Jungen eine Tüte Cheetos, die er öffnete und sofort auf den Fußboden entleerte, wobei er kreischte: »Ich wollte aber doch die mit den LOCKEN. Weißt du denn GAR NICHTS?«

Das Kindermädchen senkte den Kopf, während das Dienstmädchen und ich einen Blick wechselten und mit den Schultern zuckten, als wollten wir sagen: »Was soll man machen?« Der Aufzug kam, und sie stiegen ein, hinter sich eine orangefarbene Matte aus Cheetos ohne Locken, die von den Mietern der elften Etage zertreten werden, bis ein Hausmeister nach oben geschickt wird, um sie aufzufegen.

Ich habe dieses Dienstmädchen von nebenan schon drei- oder viermal gesehen. Sie ist eine kühlschrankgroße, dunkelhäutige Frau mit hinten abgeschnittenen Halbschuhen, damit sie bequemer gehen kann. Ich sehe sie und denke an Lena Payne.

Meine Mutter war nie eine große Hausfrau, und es trieb mich in den Wahnsinn, wie chaotisch es bei uns zu Hause war. Als wir schon fünf Jahre lang in Raleigh wohnten, standen immer noch Umzugskartons im Wohnzimmer. Ich kam von der Schule, versorgte Mantel und Bücher säuberlich in meinem Zimmer, warf den Staubsauger an und machte mich an die Arbeit, wobei ich die Klamotten meiner Schwestern, ihre halbleeren Gläser und die Schüsseln mit Kartoffelchipskrümeln einsammelte, die vor dem Fernseher stehengeblieben waren. Ich spülte Geschirr, polierte die Möbel und fand, so ging es nicht. Ich war bei der Geburt vertauscht und in den falschen Haushalt verschleppt worden. Irgendwo verbrachte meine leibliche Familie ihre Tage damit, sich unter strikt sterilen Laborbedingungen zu fragen, was wohl aus mir geworden sein mochte. Mein Zimmer war makellos, ein Schrein. Ich machte es jeden Tag sauber. Meinen Schwestern war es nicht gestattet, die Schwelle zu überschreiten. Sie standen in der Diele und betrachteten mich, als wäre ich ein exotisches Zootier, ausgestellt in seinem natürlichen Habitat.

Während meine Mutter mit ihrem sechsten Kind schwanger ging, gab mein Vater schließlich nach und erlaubte ihr einmal pro Woche eine Haushaltshilfe. Als Lena vorgestellt wurde, dachte ich, jetzt geht es endlich voran. Ich machte mich auf den Schulweg, während meine Mutter den tragbaren Fernseher anschaltete und ihr eine Tasse Kaffee überreichte. Ich kam sieben Stunden später aus der Schule zurück, fand in der Küche ein Bügelbrett, sowie Mom und Lena mehr oder weniger in derselben Position vor –, mit Kaffee vor dem Fernseher.

Es kam mir vor wie der vollkommene Zusammenschluß: Die beiden faulsten Menschen auf dem Antlitz der Erde haben sich gefunden, um gemeinsam Mike Douglas und General Hospital zu sehen. Ich lief zum Staubsauger, um ihn zu berühren. Er war kalt wie Erz. So ging es nicht.

Normalerweise fuhr Mom Lena zum Einkaufszentrum, wo sie von einer Freundin mit nach Hause genommen wurde, aber eines Tages hatte es im Fernsehen etwas Gutes gegeben, und Lena war länger geblieben. Meine Mutter bot an, sie nach Hause zu fahren, und ich fuhr mit. Wir verließen das Raleigh, das ich kannte, mit seinen asphaltierten Straßen, und fuhren auf unbefestigten Wegen, die mit Hütten gesäumt waren –, echten Hütten, die Art, die ich in Life gesehen hatte. Als unser Kombi hielt, leerte sich Lenas Hütte, und auf der Veranda versammelten sich sieben Kinder, die nach uns Ausschau hielten. Der Vorgarten war ein kahler, staubiger Hühnerhof. Ich hatte noch nie ein lebendiges Huhn gesehen und beschloß, eins als Haustier haben zu wollen. Lena sagte, ich könne eins haben, wenn ich es fangen könne. Ich identifizierte das Huhn meiner Wahl und malte mir sofort aus, wie es in meinem persönlichen grasbewachsenen Vorgarten wohnte und possierlich um Körnerfutter bat. Es würde Penny heißen und jeden Tag niederknien und Gott danken, daß es bei mir und nicht bei Lena lebte. Ich dachte, das Huhn kommt vielleicht zu mir, wenn ich mit beruhigender Stimme auf es einrede. Ich dachte, man könnte ein Huhn überzeugen, wenn man ihm ein besseres Leben verspricht. Als das nicht funktionierte, beschloß ich, ein Huhn zu überwältigen, und ich versuchte es, immer und immer wieder. Ich warf mich auf das Huhn und verdreckte meine Schulklamotten in Wolken von Schmutz und Staub. Schließlich gab ich auf. Als ich aufstand, um mir den Lehm aus dem Gesicht zu wischen, merkte ich, daß mich alle auslachten: Lena, ihre sieben Kinder, sogar meine eigene Mutter krümmte sich auf dem Vordersitz. Ich weiß noch, wie ich die Hütte anschrie: »Ich brauche eure dreckigen Hühner nicht. Wir kaufen uns unsere eigenen –, im Laden.«

Im Auto auf dem Nachhauseweg versuchte meine Mutter vergeblich, mir die Schande zu vermitteln, die ich über sie gebracht hatte, aber ich hörte gar nicht zu. Ich verzichtete lediglich die nächsten paar Wochen lang auf Hühnchen. Sobald eins serviert wurde, stellte ich mir den dampfenden Kadaver vor, wie er zeichentrickfilmmäßig das Köpfchen hebt und mich auslacht. Es dauerte Jahre, bis sich meine Einstellung änderte.

 

Heute nachmittag bin ich in G.L.s Wohnung gegangen, um seine Jalousien sauberzumachen, die bei einem Brand dreckig geworden waren. Ich habe diesen Mann letzte Woche kennengelernt, als ich losgeschickt worden war, um seine Bücher auszupacken und alphabetisch in die Regale zu ordnen. Er hat eine ziemliche Bibliothek: ledergebundene Jane-Austen- und Emile-Zola-Ausgaben als linke und rechte Begrenzung mehrerer Kochbücher und zahlloser Handbücher, die sich dem Studium des Sex in seiner sadomasochistischen Spielart widmen. Als G.L. mir die Tür aufmachte, trug er einen Bademantel und trank Kaffee aus einer stiefelförmigen Tasse. Er ist kein angenehmer Mensch, scheint aber ganz gut zurechtzukommen, solang es nach seinem Willen geht. Er führte mich zum nächsten Fenster und schlug vor, ich sollte Sofix-Speziallöser und Küchenrolle nehmen, aber dann hätte ich Wochen gebraucht. Da ich Erfahrung mit Jalousien habe, dachte ich, es ist schneller und produktiver, wenn ich sie abnehme und in der Wanne wasche. Ich dachte, er streitet mit mir, aber er zog den Bademantel aus und sagte: »Klar, meinetwegen.« Er stand kurz in Unterhose herum, dann ging er ins Badezimmer und ließ Wasser ins Waschbecken, um sich irgendwo zu rasieren. G.L.s Badezimmer ist winzig, und ich dachte, er braucht vielleicht ein bißchen Privatsphäre, deshalb stand ich nur so dumm im Wohnzimmer herum, bis er rief: »He, wollen Sie jetzt diese Jalousien saubermachen oder nicht? Ich bin ja schließlich kein Krösus.«

Ich nahm eine der Jalousien ab, langsam und vorsichtig, als würde ich einen Tumor aus dem besonders empfindlichen Teil des Hirns herausoperieren. Ich hielt die Jalousie in Händen und zählte bis zwanzig. Dann bis dreißig. Wieder rief er, und ich mußte mich an ihm vorbeidrücken, als ich das Badezimmer betrat. Ich schaffte es an ihm und dem Waschbecken vorbei bis zur Wanne, vor der ich niederkniete, um die Jalousie in Wasser mit Ammoniak zu baden. Neben dem Waschbecken hatte G.L. einen Fernseher aufgestellt, einen tragbaren Fernseher von der Größe einer Autobatterie, den er beständig beschimpfte und umschaltete. Ich konnte den Bildschirm nicht sehen, hörte aber zu, wie er sich von einem Samstagsnachmittagsprogramm zum nächsten meckerte, bis er bei einem Infomercial hängenblieb, in dem es um etwas ging, was DER SAUERSTOFFCOCKTAIL genannt wurde. Aus dem, was ich hören konnte, reimte ich mir zusammen, daß DER SAUERSTOFFCOCKTAIL eine kleine Stärkung aus gereinigter Luft ist. Die Werbesendung deutete an, der frühe Höhlenmensch habe einen zutiefst befriedigenden Sauerstoffanteil genossen, aus welchem er die Kraft schöpfte, großartige Höhlenmalereien hervorzubringen und immer noch genug Energie auf die Jagd von Mastodons verwenden zu können. Teilnehmer der gerade stattgehabten Olympiade bezeugten die Tugenden DES SAUERSTOFFCOCKTAILS, und ich lauschte, über den Wannenrand gebeugt, wobei ich eine Sadistenjalousie mit Ammoniak schrubbte. Ich hätte gern den Duschvorhang gelupft, weil ich neugierig auf DIESEN SAUERSTOFFCOCKTAIL war. Gibt es ihn in Dosen, Flaschen, als Nasenspray? Trugen die Olympioniken Badeanzüge oder Straßenkleidung?

Die Jalousien wurden nicht in dem Maße sauber, wie ich das gehofft hatte, weshalb ich der Mischung noch etwas Clorix beifügte, was dumm war. Wenn man Ammoniak mit Chlorid kombiniert, kann das tödlich sein, ich habe aber entdeckt, daß die Kombination wahre Wunder vollbringen kann, solange man sich sagt: »Ich will leben, ich will leben ...« Ich versuchte mich daran zu erinnern. Ich malte mir aus, wie ich den Auftrag erledige und dann zu EINEM ER-FRISCHENDEN SAUERSTOFFCOCKTAIL nach Hause eile. Mein Hals begann zu brennen, und ich hörte, wie G.L. anfing zu würgen und zu husten. Als er den Vorhang teilte, um mich zu fragen: »Versuchen Sie, mich umzubringen?« mußte ich schwer überlegen, um auf die richtige Antwort zu kommen.

 

Bart und ich haben schon wieder die Wohnung von jemandem saubergemacht, der für die Sesamstraße schreibt; das ist in diesem Monat der dritte. Kennengelernt habe ich noch keinen davon, aber jeder hat einen kleinen Schrein, in dem Plüschmodelle von Grobi und Bibo sowie acht Emmy-Trophäen für Verdienste um das Kinderfernsehen ausgestellt sind. Acht Stück. Ich hatte noch nie persönlich eine Emmy gesehen und stellte fest, wie der Stil sich mit den Jahren geändert hat. Die Drehbuchautorin von heute nachmittag hatte ihre Trophäen säuberlich im Gänsemarsch auf dem Fensterbrett aufgestellt. Ich fand es traurig, wie einige der früheren Modelle von Korrosion befallen waren. Ich hatte mir immer vorgestellt, daß sie aus purem Golde wären, sie sind aber nur beschichtet. Immerhin haben sie ein zufriedenstellendes Gewicht, eine Schwere, die Leistung suggeriert. Ich hob jede Trophäe an, um das Fensterbrett sauberzumachen, und solange ich sie in Händen hielt, posierte ich vor dem mannshohen Spiegel und sah demütig aus.

»Das kommt für mich völlig überraschend«, sagte ich und hoffte, das Publikum glaubt es. Ich habe den größeren Teil meines Lebens damit verbracht, meine Dankreden zu planen, und fange immer mit diesem Spruch an. Es ist ermüdend, Gewinnern dabei zuzuhören, wie sie Leuten danken, von denen die meisten von uns noch nie etwas gehört haben, aber in meinen Preisphantasien erwähne ich gern alle, von meinem Englischlehrer in der zwölften Klasse bis hin zu dem koreanischen Laden, wo ich Zigaretten und Katzenfutter kaufe. Und das ist das Schöne an acht Emmys. Ich hielt jede einzelne hoch und sagte zum Spiegel: »Aber am allerherzlichsten möchte ich Amy, Lisa, Gretchen, Paul, Sharon, Lou und Tiffany für ihre Unterstützung danken.« Dann schnappte ich mir die nächste und fuhr mit Hugh, Evelyne, Ira, Susan, Jim, Ronnie, Marge und Steve fort. Bei meiner achten Emmy suchte ich bereits nach Namen. Ich stand da und versuchte darauf zu kommen, wie die Vertrauensperson im Ferienlager geheißen haben mochte, als Bart den Raum betrat und mir schamhaft bewußt wurde, daß ich vergessen hatte, ihm zu danken.

Don’s Story (Don’s Story)

Vielen, vielen, vielen Dank. Ich kann einfach nicht glauben, daß dies wirklich geschieht. Ich meine, das ist jetzt das wievielte? – das dritte Mal, daß ich heute abend hier oben bin: Bester Schauspieler, Bester Regisseur und jetzt auch noch Bester Film. Wie soll ich all die Preise nach Hause kriegen? Mit einem Lastwagen? Ha ha.

Ich möchte hier einen Augenblick lang innehalten, denn, wie ich schon sagte, ich hätte wirklich nicht gedacht, daß dies passieren wird. Ich habe viel, viel Zeit damit verbracht, mir zu wünschen, daß es passiert, aber daß es tatsächlich stattfindet, das ist schon, ha ha, ein ganz klein wenig überwältigend.

Wie ich bereits früher am Abend erwähnte, als ich meinen Oscar als Bester Schauspieler entgegennehmen konnte, bin ich vor fast einem Jahr hier in Los Angeles, Kalifornien, ohne die geringste Erfahrung angekommen. Ich hatte vorher noch nie im Leben als Schauspieler oder Regisseur oder Produzent gearbeitet. Ich war nur ein Typ aus Cumberland, North Carolina  –, ein Mann mit einem Traum.

»Was ist denn hier los?« fragen Sie sich jetzt wahrscheinlich. »Dieser Don hier, dieser Träumer, hat noch keinen Tag in seinem Leben geschauspielert, und trotzdem räumt er hier die Oscars ab. Wie hat er das geschafft? Was ist denn so besonders an ihm?«

Nun, genau darum geht es in meinem Film, Don’s Story. Es ist alles drin: von dem Tag, an dem ich mit siebzehn die High School abbrach, bis zu dem Tag, an dem ich mit sechsunddreißig meine Sachen packte, um nach Hollywood abzuhauen. Ich stelle mir vor, daß Sie jetzt gerade das interessiert, was nicht im Film vorkommt.

»Wie hat er es geschafft? Dieser Niemand, dieser Träumer.«

Nun, wie ich schon sagte, vor fast einem Jahr verließ ich Cumberland in einem Greyhound-Bus mit einem kleinen Beutel Kartoffelchips, acht Dollar und einem Traum. Ich machte mich lang und dehnte mich bis kurz hinter Gatlinburg auf zwei Plätze aus, wo ich dann gezwungen wurde, einen der beiden Plätze an eine Frau abzutreten, die Mrs. Patricia Toni hieß. Mrs. Toni wollte nach Encino, Kalifornien.

»Was ist denn in Encino?« fragte ich, weil ich versuchte, ein guter Nachbar zu sein.

Es stellte sich heraus, daß Mrs. Tonis Tochter in Encino war, in einem Krankenhaus, weil sie an Erschöpfung litt. Ich weiß nicht viel über Erschöpfung, aber ich stelle mir vor, daß sie einen ganz schön mitnimmt, also sagte ich: »Das ist ja furchtbar.« Und sie faltete ihre Zeitung auseinander und sagte: »Da haben Sie verdammt recht, das ist furchtbar.«

Bei jedem Halt kaufte Mrs. Toni die Lokalzeitung und erörterte die Geschichten über Verbrechen und Mord.

»Hören Sie mal hier, da steht, da ist dieser Mann in eine Tankstelle gegangen und hat vier Menschen erschossen. Das ist meiner Meinung nach gemein. Sowas finde ich wirklich furchtbar. Wenn ich eine der Geschworenen wäre, würde ich ihn so schnell schuldig sprechen, daß ihm der Kopf schwirrt. Ich würde keine Zeit verschwenden und dem Steuerzahler sein Geld wegfressen. Einfach die Gaskammer durchstarten und weiter im Text zum nächsten Fall. Der Mistkerl. Hier steht, wo er einem fünf Jahre alten Jungen durch den Hals geschossen hat. Die Kugel ist hier rein- und da wieder rausgegangen. Ich finde sowas furchtbar, Sie nicht?«

Nun, ich kannte den Todesschützen nicht. Vielleicht hatte er ja, wer weiß, einen ganz guten Grund für das, was er tat, aber um des lieben Friedens willen stimmte ich ihr zu und sagte, ich fände das auch furchtbar.

»Da haben Sie verdammt recht, das ist furchtbar. Genau durch den Hals. Der Hals ist ein sehr empfindlicher Bereich. Das weiß jeder. Ganz furchtbar ist sowas. Ich fand das neulich schon furchtbar, als dieser Spinner in Little Rock den Collie seiner Mutter erstochen hat. Siebzehnmal, einen bildhübschen Collie namens Moxie. Die Mutter hat nur noch geweint. Siebzehnmal hat er bei diesem Hund zugestochen. Ein- oder zweimal hätten doch gereicht, aber er hat es siebzehnmal gemacht, und sowas finde ich furchtbar. Sie nicht?«

Verbrechen passieren im ganzen Land, und Mrs. Toni nahm bei Tag und Nacht bis Reno von ihnen Notiz, wo sie einen Halt verschlief und die Gelegenheit verpaßte, eine frische Zeitung zu kaufen. An diesem Punkt, nachdem wir fast drei Tage miteinander verbracht hatten, fragte sie mich endlich, wie ich hieß und wohin ich fuhr und warum, und ich sagte ihr, daß ich Don heiße und daß ich ins Gebiet von Los Angeles fahre, um mir einen Namen in der Filmindustrie zu machen, und sie sah mich an und sagte: »Das kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein –, Sie?« Dann wandte sie sich an den Mann auf der anderen Seite des Mittelgangs, zeigte auf mich und sagte: »Der hier glaubt, er wird so ’ne Art Filmstar.« Und sie legte sich die Hände auf den Bauch und krümmte sich vor Lachen vornüber, und da habe ich sie... naja, gehauen, sowas Ähnliches jedenfalls. Ich habe sie ganz schnell mit dem Kloschlüssel, den ich bei der letzten Haltestelle gekriegt hatte, gestochen. Ich habe sie einfach . . . mit dem Ding richtig schnell . . . gepiekt, und da hat sie, ha ha, einen Riesenaufstand gemacht. Der Busfahrer mußte anhalten, und sie hat ihren Pullover hochgezogen und allen die kleine Stelle auf der Seite gezeigt –, nur eine ganz kleine Kerbe, und sie zeigte auf mich und sagte: »Ich finde sowas furchtbar. Ganz ernsthaft jetzt. Da steigt man in den Bus, um seine Tochter zu besuchen, die klinisch erschöpft ist, und wird am helllichten Tage praktisch erstochen. Und sowas kommt dann in die Zeitung, finde ich jedenfalls. ›Frau in Bus erstochen.‹ Sowas ist furchtbar.«

Also warf mich der Busfahrer hinaus, auf die staubige Fernstraße hinaus. Ohne Fahrgelderstattung oder so, einfach rausgeschmissen. Inzwischen hatte ich nur noch zwei Dollar, also habe ich den Daumen in die Luft gehalten und wurde von einem Mann namens Enrique Maldonado mitgenommen, und heute abend stehe ich hier zur Oscar-Verleihung auf der Bühne und möchte ihm öffentlich danken. Das Glück wollte es, daß er die ganze Strecke bis Los Angeles fuhr und mich bei der Münzwäscherei gleich da, wo er wohnte, abgesetzt hat. Glücklicherweise gab es in der Münzwäscherei ein Telefonbuch, und ich hatte einen Vierteldollar dabei, also habe ich zwei und zwei zusammengezählt und bei Paramount Pictures angerufen. Als die Empfangsdame den Hörer abnahm, habe ich gesagt: »Geben Sie mir den Menschen, der bei Ihnen das Sagen hat.«

Sie sagte: »Augenblick, bitte.«

Dann, im Hintergrund, hörte ich sie sagen: »Mr. Tartikoff, da ist ein Anruf für Sie.«

Und ich hörte, wie er sagte: »Ach, gut.«

Er kam ans Telefon, und ich sagte: »Mr. Tartikoff, ich heiße Don Singleton, und ich würde gern einen Film machen.«

Er sagte: »Hmmmm. Einen Film worüber?«

Und ich blickte hinüber und sah, wie jemand das Flusensieb ausleerte, und ich sagte: »Einen Film über mein Leben.«

»Ich bin ganz Ohr, Don«, sagte Mr. Tartikoff.

In dem Augenblick schaltete sich das Fräulein vom Amt ein, sagte mir, ich solle weitere Münzen einwerfen, und Mr. Tartikoff sagte: »Don, rufen Sie von einem Münzfernsprecher aus an?«

Ich gestand, daß dies der Fall war, und er fragte mich, ob wir uns irgendwie mal persönlich unterhalten könnten, also gab ich ihm die Adresse, und kurz darauf fuhr eine riesige Langlimousine vor, und Mr. Tartikoff kam in den Waschsalon, formte die Hände zu einem Schalltrichter und schrie: »Befindet sich hier ein Don Singleton?« und ich sagte: »Ja, das bin ich.«

Wir gaben uns die Hand, und er sah sich um, und er sagte: »Sagen Sie, Don, hier ist es echt feucht. Was meinen Sie, gehen wir irgendwo anders hin?«

Er sagte, er sei auf eine große Promi-Party eingeladen, und fragte, ob ich Lust hätte mitzukommen, und ich habe etwa, ha ha, zwei Sekunden darüber nachgedacht und sagte, klar. Dann öffnete sein Fahrer die Tür, und wir stiegen in die Limousine, und auf dem Weg zur Party stellte mir Mr. Tartikoff, Brandon, Fragen über mein Leben.

Er schenkte uns jedem ein Glas Scotch von der Bar ein und studierte mich und sagte: »Wie alt sind Sie, Don –, etwa fünfunddreißig?«

»Sechsunddreißig.«

»Haben Sie je gearbeitet?«

Ich sagte ihm, ich hätte fast vier Jahre lang als Geschirrwäscher in der K&W-Cafeteria gearbeitet. Da habe ich mit siebzehn angefangen und bin mit einundzwanzig gefeuert worden, weil ich ins Essen gespuckt hatte.

»Dafür haben die Sie gefeuert?« sagte Brandon. »Die spinnen doch. Jeder, den ich kenne, spuckt ständig in irgendwas.« Er spuckte in sein Glas und trank daraus. »Wegen sowas kann man doch um Gottes willen niemanden feuern.«

Dann spuckte ich mir auf die Finger, beugte mich vor und rieb die Spucke dem Fahrer in den Nacken.

Da sah Brandon mich an und sagte: »Ich habe bei dir so ein Gefühl, Don –, und zwar ein gutes«, und wir tranken einander klimpernd zu.

Etwa um diese Zeit bog die Limousine ab, und wir fuhren über eine lange baumbestandene Allee bis zu einem großen Herrenhaus mit weißen Säulen und Fenstern mit Hinterglasmalerei und einem seichten Burggraben voller Schwäne und Schildkröten, und jemand kam und öffnete den Wagenschlag, und ich blickte auf und sah Barbra Streisand, und sie trug . . . nun, genau das, was sie heute abend auch anhat. Sie und Brandon umarmten sich, und dann wandte sie sich mir zu und hob die Augenbrauen, als wollte sie sagen: »Wer zum Kuckuck ist denn das?« Brandon sagte Barbra, daß ich Don heiße und früher in der K&W-Cafeteria Geschirrspüler war, und ha ha, ich kann Ihnen sagen, Barbra Streisand kam aus dem Fragen gar nicht mehr heraus.

»Geschirrspüler? Erzählen Sie doch mal, war das ein durchlaufendes ›Waste King‹-Düsenstrahlsystem mit Fließband oder eine Doppelheißbecken-Anlage? Welche Spülmittel habt ihr verwendet? Bei welcher Temperatur wird ein Trinkglas in Anführungsstrichen ›sauber‹?« Sie nahm mich am Arm und führte mich ins Haus, wo es vor lauter Berühmtheiten nur so wimmelte: Joey Bishop, Faye Dunaway, Shari Lewis, Kevin Costner, Gene Rayburn, Tatum O’Neal, Tom Cruise, Cathy Lee Crosby, Carol Channing, Buddy Ebsen – ich könnte noch ewig so weitermachen. Barbra Streisand gab mir einen Champagner-Cocktail und stellte mich überall vor, und ich fühlte mich, ha ha, als gäbe ich eine Pressekonferenz, so viele Menschen haben mir Fragen zu meinem Leben gestellt.

»Was haben Sie gemacht, nachdem Sie den Job in der Cafeteria verloren hatten?« fragte Chastity Bono.

Und ich habe gesagt: »Nichts, hab nur so zu Hause herumgehangen. «

Michael Douglas hat gefragt, was meine Eltern dazu zu sagen hatten, und ich habe gesagt: »Naja, Sie kennen ja meine Eltern.« Und dann wurde mir klar, nein, diese Berühmtheiten kannten meine Eltern ja gar nicht. In meinem Film, Don’s Story, werden meine Eltern von Charles Bronson und Don Rickles gespielt. Ich finde, sie haben ganz phantastische Arbeit geleistet –, besonders Don Rickles, der meine Mutter gespielt hat. Eine ganze Reihe von Schauspielerinnen war scharf auf die Rolle, aber als Regisseur habe ich mich für Don Rickles entschieden, und zwar nicht, weil meine Mutter komisch wäre – ganz und gar nicht –, und auch nicht, um Mr. Rickles’ Karriere einen kleinen Auftrieb zu verschaffen, sondern weil man einfach, ha ha, dem Mann eine Perücke aufsetzt, und schon sieht er genauso aus wie sie. Ha ha. Und Charles Bronson –, was soll ich sagen? Er ist einer der Besten in der Branche. Und das ist das Merkwürdige im Showbusiness, daß es ein stetiger Lernprozeß ist . . . Für jeden. Letztes Jahr, als diese Berühmtheiten mich fragten, wie meine Eltern denn so wären, ist es mir schwergefallen, die richtigen Worte zu finden.

Meinen Job bei K&W habe ich im Alter von einundzwanzig verloren, und die nächsten vierzehn Jahre lang haben mich meine Eltern nie, auch nicht ganz kurz, in Frieden gelassen. Ständig versuchten sie mir ein schlechtes Gewissen einzuimpfen, weil ich nicht gearbeitet habe. Wenn ich für jedesmal, das sie an meine Schlafzimmertür gedonnert und »WAS TREIBST DU EIGENTLICH DA DRIN?« gekreischt haben, fünf Cent gekriegt hätte, hätte ich mehrere Millionen Dollar verdient. Naja, ha ha, inzwischen habe ich, glaube ich, mehrere Millionen Dollar verdient, aber so wäre es schon viel früher passiert.

»WAS TREIBST DU EIGENTLICH DA DRIN?«

Und dann habe ich gesagt, ich plante, Hollywood im Sturm zu nehmen, und dann haben sie gebrüllt: »DU HAST SIE DOCH NICHT MEHR ALLE. DU BIST WAHNSINNIG. VERSTEHST DU? WAHNSINNIG. KOMM AUS DIESEM ZIMMER RAUS UND BESORG DIR EINEN JOB. DEIN BRUDER HAT AUCH EINEN JOB, UND DER HAT NICHT MAL EINE LINKE HAND –; WENN DEIN BRUDER ARBEITEN KANN, KANNST DU DAS AUCH. HÖRST DU MICH ÜBERHAUPT? KOMM AUS DIESEM SCHLAFZIMMER RAUS.«

»Das muß sehr schwer für Sie gewesen sein«, sagte Dr. Joyce Brothers. Und das mußte ich zugeben, ja, es war schwer. Dann hat mich jemand gefragt, was für ein Schloß ich an meiner Schlafzimmertür hatte, und Brandon Tartikoff fing meinen Blick auf und machte so eine schneidende Geste am Hals, und ich, ha ha, habe sie, obwohl ich noch keine zwei Stunden in Hollywood verbracht hatte, sofort verstanden, was wahrscheinlich auch viel damit zu tun hat, daß ich heute abend mit dem Oscar für die beste Regie abhauen werde. »Und Schnitt!« Danke, Brandon.

Es war gräßlich, mich von all meinen wunderbaren neuen Freunden aus dem Showbusiness verabschieden zu müssen, aber es wurde allmählich Zeit, und Brandon geleitete mich zur Tür hinaus zu unserer wartenden Limousine. Und gerade als ich mich auf dem Rücksitz niederließ, sah ich, wie Barbra Streisand sich an Vincent Price wandte und zu ihm sagte: »Ich mag den Jungen. Er weiß, wie man überlebt.«

Du auch, Barbra. Du auch.

Wir verließen die Party und fuhren zu einem Restaurant namens Spago, wo Brandon und ich mehrere Stunden lang redeten und Spaghetti aßen. Er schien so interessiert an jedem Aspekt meines Lebens und hatte eine Unmenge Fragen.

»Erzählen Sie doch mal, Don, nachdem Sie die Cafeteria verlassen hatten, haben Sie die nächsten vierzehn Jahre lang absolut nichts gemacht. Gott, das ist faszinierend.«

Ich merkte, wie Leute an den Tischen ringsum die Ohren spitzten und versuchten, unser Gespräch mit anzuhören, also meinte Brandon, wir sollten in ein Séparée umziehen.

»Wie war Ihr Tag? Wann sind Sie aufgewacht?«

Ich erzählte ihm, daß ich die Augen für gewöhnlich um halb zwei, zwei geöffnet habe, aber erst gegen Viertel vor drei aus dem Bett gestiegen bin, wenn meine Mutter ihre Leuchtfarben-Weste anzog und das Haus verließ, um vor der Brooks-Grundschule freiwillig als Schülerlotsin tätig zu sein. Dann bin ich runtergegangen und habe die Küche durchstöbert und bis etwa vier ferngesehen, wenn ihr Auto in die Einfahrt einbog. Das war der Punkt, an dem ich in mein Zimmer zurückging und die Tür abschloß und bis etwa halb sechs meine Hände anstarrte.

»Ihre Hände sind mir gleich aufgefallen«, sagte Brandon. »Sie sind wirklich ganz was Besonderes. Wann haben Sie sich zum letzten Mal die Fingernägel geschnitten?«

»Neunzehnhundertdreiundachtzig, vierundachtzig.«

»Waschen Sie sich je die Hände?« fragte er.

»Vielleicht«, sagte ich. »Vielleicht auch nicht.« Ich war nicht schwierig –, nur geheimnisvoll.

In dem Moment brachte uns der Kellner unsere Rechnung, und er sagte: »Ihre Hände sind mir gleich aufgefallen, als Sie reinkamen. Sie sind faszinierend. Hände sagen ja so viel über einen Menschen aus. Ich glaube, Sie sollten bei uns anfangen.«

»Nun mal langsam«, sagte Brandon. »Ich glaube, Don hat bis an sein Lebensende genug von der Arbeit in Restaurants.«

Als wir wieder in der Limousine saßen, fragte Brandon, ob ich schon eine Bleibe habe, und als ich gestand, ich hätte keine, rief er über Autotelefon beim Beverly Wilshire an und nahm eine Reservierung vor. Dann sagte er: »So, na gut, Don, jetzt ist es, sagen wir, halb sechs, und Sie haben den späten Nachmittag damit verbracht, sich Ihre Hände anzusehen. Was dann?«

Ich habe ihm erzählt, daß mein Vater von der Arbeit nach Hause kam, und, ha ha, lieber Gott, ich konnte ihn bis oben hören: »WO IST ER? WAS HAT ER HEUTE GEMACHT? WAS MEINST DU DAMIT, DU HAST IHN NICHT GESEHEN?« Dann kuckte er in den Kühlschrank und fing an zu brüllen: »ZUR HÖLLE MIT IHM. WO IST DER REST VON DER FÜLLUNG? DER WAR DOCH GESTERN ABEND NOCH DA! VERDAMMTNOCHMAL. HE, DU DA OBEN –, ICH REDE MIT DIR.«

»Das ist sehr lustig nachgemacht«, sagte Brandon. »Ich meine, ich kenne den Mann ja gar nicht, aber ich kann ihn mir total vorstellen. Bitte mehr davon.«

»WAS ZUM TEUFEL IST DENN DEIN PROBLEM? DA HABE ICH HIER EINEN VOLL AUSGEWACHSENEN SOHN, DER UMS VERREKKEN KEINEN JOB FINDET –, DER NICHT MAL DAS VERDAMMTE HAUS VERLÄSST UND SOBALD ICH DEN RÜCKEN KEHRE, RUNTERKOMMT UND MIR MEINE FÜLLUNG WEGFRISST. ICH HABE FÜR DIESE FÜLLUNG SCHLIESSLICH SCHWER GEARBEITET. HÖRST DU MICH DA OBEN ÜBERHAUPT? VON JETZT AN GILT FÜR DIESE KÜCHE BEI DIR ›BETRETEN VERBOTEN!‹, MISTER! FÜR DICH GIBT’S NICHTS MEHR ZU SPACHTELN. WENN ICH MIT DIR FERTIG BIN, WIRST DU DAS ISOLIERMATERIAL AUS DEN WÄNDEN FRESSEN, DU VERDAMMTER NICHTSNUTZ!«

Dann kam er und donnerte gegen meine Tür, und ich setzte mir meine Kopfhörer auf und hörte mir Platten an, um ihn zu übertönen.

»Hatten Sie eine große Plattensammlung?« fragte Brandon.

Ich habe ihm gesagt, daß ich zwei Schallplatten hatte, Look at Yourself von Uriah Heep und Don’t Look Down von den Ozark Mountain Daredevils –, beides Platten, die ich mir gekauft hatte, als ich in der Cafeteria Arbeit hatte.

»Das sind echt tolle Platten«, sagte Brandon. Wir kamen beim Hotel an und haben in das Zimmer eingecheckt, und das war echt, ha ha, groß, mit Wohnzimmer und Schlafzimmer und Vorhängen und einem Beistelltisch. Ich konnte gar nicht drüber wegkommen. Brandon ging an die Hausbar und schenkte uns einen Schlummertrunk ein und sagte: »Also gut, Don, Sie hören sich Ihre Platten an –, und was dann?«

Ich habe ihm erklärt, daß ich mir die Platten angehört habe, bis meine Eltern eingeschlafen waren, meist gegen halb zwölf oder zwölf, und dann bin ich nach unten gegangen und habe nachgesehen, was ich zum Abendessen finden konnte. Nach etwa 1986 haben meine Eltern nur noch genug für sich selbst gekocht, aber ein bißchen was konnte ich immer finden. Manchmal waren es nur ein paar Handvoll rohe Makkaroni oder ein halbes Stückchen Butter, aber irgendwas war es immer. Dann habe ich im Portemonnaie meiner Mutter oder unter den Sofakissen nach Kleingeld gesucht.

»Jede Nacht?«

»Jede Nacht, und über die Jahre kam da, ha ha, ganz schön was zusammen. Dann habe ich ferngesehen, bis das normale Programm aus war und nur noch Testbilder gesendet wurden. Da habe ich mir dann vielleicht noch ein paar Stunden lang Testbild angesehen, um einen klaren Kopf zu bekommen, und bin ins Bett gegangen und habe am nächsten Tag wieder ganz von vorne angefangen.«

Brandon bot mir eine bereits angezündete Zigarette an, sah auf seinen Schlummertrunk hinunter und fragte: »Warum sind Sie abgehauen, Don? Warum?«

Ich sagte ihm, ich wäre einen Tag, nachdem mein Vater den Kühlschrank und alle Küchenschränke mit Vorhängeschlössern versehen hätte, von zu Hause abgehauen. An diesem Punkt zählte ich mein Kleingeld, zerkratzte und zerfetzte jedes Möbelstück im Hause und schritt zur Tür hinaus, um mich meinem Schicksal zu stellen.

Brandon schüttelte den Kopf und sagte: »Don, diese Geschichte hat alles

Und noch in derselben Nacht unterschrieb ich einen Vertrag. So einfach war das –, genauso, wie ich es mir immer vorgestellt hatte.

Und ich möchte Brandon dafür danken, daß er meine Fähigkeiten erkannt und mir die komplette künstlerische Kontrolle übertragen hat, von der Besetzung bis hin zu allem anderen. Ich möchte Uriah Heep und den Ozark Mountain Daredevils dafür danken, daß sie die Filmmusik beigesteuert haben. Ich möchte allen Akademiemitgliedern dafür danken, daß sie mir ihre Stimme gegeben haben, aber am allermeisten möchte ich mich bei den Bürgern dieses Landes dafür bedanken, daß sie Don’s Story zum Kassenschlager Nummer eins gemacht haben, denn, das kann ich euch sagen, Akademie hin, Akademie her, wegen eurer beständigen Unterstützung ist der Oscar zu dem geworden, was er ist. Gewisse Menschen mögen diese Übertragung jetzt mit Wut und Eifersucht ansehen –; gewisse Menschen, die mich falsch behandelt und unterschätzt haben, wünschen sich wahrscheinlich jetzt, alles rückgängig machen zu können, nochmal ganz von vorn mit mir anzufangen, aber ich fürchte, dazu ist es nun zu spät. Darüber würde ich gern auch noch sprechen, aber unser Moderator steht neben der Bühne und zeigt auf seine Uhr, ich werde diesen kleinen Hinweis verstehen und sage gute Nacht, vielen Dank, ich liebe euch alle.

Tagebuch eines Rauchers (Diary of a Smoker)

Ich fuhr mit meinem Fahrrad bis zum Bootsteich im Central Park, kaufte mir dort einen Becher Kaffee und setzte mich auf eine Bank, um zu lesen. Ich zündete mir eine Zigarette an und freute mich des Lebens, als die Frau, die vier Meter von mir entfernt am anderen Ende der Bank saß, plötzlich mit den Händen vor ihrem Gesicht herumzufuchteln begann. Ich dachte, sie will eine Biene verscheuchen.

Sie fuhrwerkte in der Luft herum und rief: »Entschuldigen Sie, macht es Ihnen was aus, wenn wir diese Bank zur Nichtraucherbank machen?«

Bei so einer Aussage weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll. »Macht es Ihnen was aus, wenn wir diese Bank zur Nichtraucherbank machen?« Es gibt kein »wir«. Bei dieser Abstimmung erklären beide die Stimme des jeweils anderen für ungültig. Was sie meinte, war: »Macht es Ihnen was aus, wenn ich diese Bank zur Nichtraucherbank mache?« Ich könnte es verstehen, wenn wir zusammen in einem Aufzug oder im Kofferraum eines Autos zusammengesperrt wären, aber hier waren wir unter freiem Himmel. Wer dachte sie denn, wer sie ist? Diese Frau trug Sandalen, was immer ein sicheres Zeichen für Ärger ist. Sie sahen aus wie die Art Schuhwerk, welches Moses getragen haben mochte, als er Vorschriften in Steintafeln meißelte. Ich sah ihre Sandalen und ihre wildbewegten Arme an und drückte meine Zigarette aus. Ich tat, als gäbe es da gar kein Problem und starrte dann die Seiten meines Buchs an. Ich haßte sie und Moses – alle beide.

Der Ärger mit aggressiven Nichtrauchern ist, daß sie meinen, sie täten einem einen Gefallen, wenn sie einem das Rauchen verbieten. Sie scheinen zu glauben, daß man eines Tages zurückblicken und ihnen für jene kostbaren fünfzehn Sekunden danken wird, um die sie unser Leben gerade verlängert haben. Sie verstehen nicht, daß es nur weitere fünfzehn Sekunden sind, die man damit verbringen kann, sie inbrünstig zu hassen und auf Rache zu sinnen.

 

Meine Schulversicherung läuft in ein paar Wochen aus, und ich machte einen Termin für eine ärztliche Routineuntersuchung. Die zahlen sie noch; alle anderen Beschwerden wurden als »kosmetisch« abgetan.

Wenn man eine Nierentransplantation will, zahlen sie die, aber wenn man verzweifelt eine Haarbalgverpflanzung braucht, ist das »kosmetisch«. Sagen Sie mir, was das soll.

Ich stand zwanzig Minuten lang im Untersuchungszimmer herum und hatte Angst, mich ein bißchen umzusehen, weil ständig eine Krankenschwester oder ein verwirrter Patient die Tür aufmachte und reinkam. Und es ist schon schlimm genug, in der Unterhose ertappt zu werden, aber noch schlimmer, in der Unterhose ertappt zu werden, wenn man sich auf einem wildfremden Rezeptblock Valium verschreibt.

Als der Arzt endlich kam, überflog er meine Unterlagen und sagte: »He, wir haben fast am selben Tag Geburtstag. Ich bin einen Tag jünger als Sie!«

Das wirkte wahre Wunder und stärkte meine Moral. Das ist mir ja noch nie passiert, daß mein Arzt jünger ist als ich. An sowas war gar nicht zu denken.

Er fing mit ein paar einleitenden Fragen an und sagte dann: »Rauchen Sie?«

»Nur Zigaretten und Gras«, antwortete ich.

Er sah mich an: »Nur Zigaretten und Gras? Nur?«

»Kein Crack«, sagte ich. »Das Zeug rühre ich nicht an. Zigarren auch nicht. Schreckliche Angewohnheit, ganz scheußlich.«

 

Ich war auf Montage und taute bei jemandem die Tiefkühltruhe ab, als ich den Bericht der Verbraucherschutzorganisation über das Passivrauchen hörte. Er kam im Radio, und sie berichteten es immer und immer wieder. Der Bericht hatte auf mich die gleiche Wirkung wie die früheren Berichte der Verbraucherschutzorganisation auf Autohersteller und Betreiber chemischer Fabriken: Ich fand ihn reaktionär und unfair. Der Bericht beschuldigt Raucher, besonders rauchende Eltern, der kriminellen Fahrlässigkeit, als wären das Menschen, die geladene Pistolen auf dem Beistelltisch herumliegen lassen, neben Rasiermessern und Krügen voll Benzol.

Über Weihnachten sahen wir Kartons mit Familienfotos durch und spielten das Spiel »Mom finden, Moms Zigaretten finden«. Auf jedem Foto ist eine. Wir haben Fotos von ihr, wie sie schwanger ist und sich über ein brennendes Streichholz beugt, und andere, auf denen sie mit ihren neugeborenen Babys posiert, mit einem Heiligenschein aus Zigarettenrauch über unseren Köpfen. Diese Fotos wärmten unser Herz.

Sie rauchte in der Badewanne, wo wir ihre ersoffenen Kippen säuberlich neben der Shampooflasche aufgereiht fanden. Sie rauchte während der Mahlzeiten und benutzte ihren halbleeren Teller oft als Aschenbecher. Moms Theorie lautete, wenn man das Essen kochte und den Abwasch machte, durfte man seinen Teller verwenden, wie man wollte. Wir fanden, das hatte Sinn.

Selbst nachdem bei ihr Lungenkrebs festgestellt worden war, rauchte sie weiter, allerdings nicht mehr so oft. Auf ihrer letzten Fahrt ins Krankenhaus, mit schwerer Lungenentzündung, sagte sie meinem Vater, sie habe zu Hause etwas liegengelassen, und er mußte noch einmal wenden. Und dann stand sie am Küchentresen und genoß ihre, wie sie wußte, letzte Zigarette. Ich hoffe, sie hat sie sehr genossen.

Keiner von uns kam je auf die Idee, Mom könnte mit dem Rauchen aufhören. Sie sich ohne Zigarette vorzustellen, war, als versuchte man, sie sich auf Wasserskiern vorzustellen. Jeder von uns soll sich seine eigene Lebensqualität aussuchen und Spaß haben, wo er ihn findet, nur soll er sich dabei klar sein, daß, wie Mom zu sagen pflegte, »es dich früher oder später erwischt«.

Mich hat es erwischt, sobald ich von der Arbeit nach Hause kam und Hugh seine Interpretation des Berichts der Verbraucherschutzorganisation vortrug. Er sagte mir, ich dürfe in keinem Zimmer mehr rauchen, in dem er sich gerade aufhalte. Unsere Wohnung ist klein –, vier winzige Räume.

Ich sagte ihm, da ich die halbe Miete zahlte, müßte ich während der halben Zeit, in der wir uns im selben Zimmer aufhielten, rauchen dürfen. Er stimmte zu, unter der Bedingung, daß, sobald ich mir eine Zigarette anzünde, sämtliche Fenster aufgerissen werden müssen.

Es ist kalt draußen.