Andrea Brown

Träum weiter, Baby!

Roman

 

Deutscher Taschenbuch Verlag

Von der Autorin durchgesehene Ausgabe 2008
© Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

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eBook ISBN 978-3-423-40386-3 (epub)
ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-21075-1

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Inhaltsübersicht

Vorwort zur überarbeiteten Ausgabe

gimme gimme gimme

er gehört zu mir

girl left alone

machsoweita

when the lion sleeps at night

wild wild Iife

the streets of philadelphia

drugs dont’t work

red hot

dancing queen

I will survive

what’s love got to do with it?

I don’t want to talk about it

I dream of jeannie

20.000 meilen

laura non c’è

love and marriage

for whom the bell tolls

dumm gelaufen

wish

I’m dreaming of a white christmas

she’s got her ticket

ray of light

 

Für Tinka, Julika, Anouschka, Ricarda, Tonya, Nicole, Ditti, Katharina und alle anderen Mädels, die es mal mit Fröschen, mal mit Prinzen zu tun haben...

Vorwort zur überarbeiteten Ausgabe

›Träum weiter, Baby!‹ ist für alle, die auf der Suche nach dem Happy-End das Gefühl haben, in einer Sackgasse gelandet zu sein. Wieder mal keinen Prinzen, sondern nur einen quakenden Frosch erwischt? Seien wir ehrlich Mädels, wem von uns ist das noch nicht passiert? Wir alle kennen die Kerle, die am Anfang der Beziehung behaupten, daß sie wahnsinnig gerne italienisch essen gehen, und dann stellt sich raus, daß damit die Pizza gemeint ist, die sie beim Fußballgucken essen, und deren Kartons sich unter dem Bett stapeln. Oder sie sagen, daß sie deine beste Freundin nett finden, bist du merkst, daß sie auf einer Party lieber mit ihr flirten als mit dir. Oder – ganz schlimm! – die Männer, die plötzlich wie vom Erdboden verschluckt sind und sich dann herausstellt, daß sie heimlich eine Frau und drei Kinder haben...

Es kann passieren, daß sich ein Frosch in einen Prinzen verwandelt, aber manchmal funktioniert die Verwandlung auch umgekehrt, und aus dem Prinzen wird ein Frosch. Und was dann...?

Dann macht man es sich am besten erst mal mit einem netten Buch in der Badewanne gemütlich und tröstet sich mit dem Gedanken, daß es anderen ähnlich geht. Daß man nicht allein ist! Und daß es immer ein Happy-End gibt! Auch wenn dieses ganz anders aussieht, als man erwartet hat.

In diesem Sinne wünsche ich viel Spaß beim Lesen,

Andrea Brown

gimme gimme gimme

»Du weißt gar nicht, wie gut du es hast«, seufzte Paula, »Single zu sein ist der totale Streß.«

Sie hatte recht. Ich wußte wirklich nicht, wie gut ich es hatte oder ob ich es besser hatte als sie. Drei Jahre Beziehung sind wie eine Käseglocke. Ich hatte vergessen, wie es war, Single zu sein. Und erst recht, was so stressig an dem Zustand gewesen war, daß ich ihn unbedingt hatte beenden wollen.

Im Vergleich zu meinem Leben kam mir das Singledasein ziemlich entspannt vor! Paula wurde jedenfalls ständig sehr chic von irgendwelchen Kerlen zum Essen eingeladen, die zwar, wenn man ihr glauben durfte, alle eine Macke hatten, aber das schien mir zumindest abwechslungsreicher, als das Essen selbst zu kochen und sich mit ein und derselben Macke herumzuschlagen. Doch wie erklärte man das einer Frau wie Paula, die fest davon überzeugt war, daß sie nur den mackenlosen Prinzen finden mußte, um dann bis ans Ende ihrer Tage auf rosaroten Wolken zu schweben. Daß sie diesen himmlischen Zustand noch nicht erreicht hatte, lag an den Männern, die sich nach einem vielversprechenden Flirt ausnahmslos als Idioten entpuppten. Mittlerweile hatte Paula die Testphase auf eine Nacht reduziert. Das war sinnvoll, weil sie dadurch Enttäuschungen vermied, aber auf der anderen Seite hatte sie kaum Zeit, sich den Namen des jeweiligen Typen zu merken, geschweige denn, den Test zu vertiefen oder sich möglicherweise wirklich mal zu verlieben.

»Nimmst du ihn jetzt oder nicht?«

Der Typ mit der Pudelmütze wurde ungeduldig.

Wir waren auf dem Flohmarkt im Kunstpark Ost, einer Ansammlung von ehemaligen Fabrikhallen, die weder ein Park noch besonders künstlerisch waren, sondern eine ehemalige Knödelfabrik, in die nach dem Auszug der Teigprodukte Nachtclubs Einzug gehalten hatten. Unter anderen auch der Club, in dem Sascha arbeitete, mein nicht ganz perfekter Traumprinz. Tagsüber war auf dem Gelände Flohmarkt.

Ich war hier, um ein Ostergeschenk für Sascha zu suchen. Es sollte diesmal etwas Besonderes sein, um den Flop vom letzten Jahr auszugleichen. Ich hatte es witzig gefunden, Schokoeier in Saschas Zimmer zu verstecken, aber Sascha zeigte wenig Phantasie, was Verstecke angeht, so daß er die Eier nur durch Zufall fand, wenn er sich entweder draufsetzte oder -legte. Auf diese Weise hatte ich eine helle Couch und ein Paar Schuhe ruiniert, was die Freude über die nette Idee deutlich geschmälert hat.

Paula suchte nichts Bestimmtes. Sie war nur mitgekommen, weil sie gerade den Testkandidaten der letzten Nacht vor die Tür gesetzt hatte und jemanden zum Reden brauchte, aber inzwischen hatte sie tütenweise Kleinkram sowie eine Lampe in Form einer Ananas für ihre Küche erstanden, die quer über dem Kinderwagen lag, in dem mein Baby unserem Treiben verwundert zuguckte. Außerdem zerrte sie einen alten Schaukelstuhl hinter sich her, den sie dringend brauchte, um in Zukunft schaukelnd fernsehen zu können. Wie würde Paula wohl mit dem Vorsatz, etwas kaufen zu wollen, zum Shoppen gehen?

»Hm? Was meinst du, Melanie«, fragte sie jetzt und hielt ihre perfekt manikürte Hand in die Luft, an deren Ringfinger ein glitzernder Klunker hing.

»Ich find ihn klasse«, sagte ich, »und sehr praktisch, wenn du Lichtsignale in andere Galaxien schicken willst.«

»Also, verarschen kann ich mich selber«, grinste die Pudelmütze.

»Ist schon gut, ich nehme ihn«, sagte Paula kurz entschlossen.

Sie reichte dem Typen einen Schein, dann beachtete sie weder ihn noch den Klunker weiter.

»Kannst du mir mal sagen, warum ich immer nur Nieten kennenlerne«, fragte sie statt dessen. »Ich ziehe sie an wie ein Magnet!«

Sie stöhnte theatralisch und fuhr sich mit der Hand durch die dunkle Mähne.

»Ich weiß nicht, wozu ich mir überhaupt die Mühe mache, die Wohnung zu verlassen. Ich investiere ein Vermögen in Klamotten und Drinks, aber das Ergebnis steht in keinem Verhältnis zum Aufwand. Als ob man den zukünftigen Vater seiner Kinder in einer Bar kennenlernen würde!«

Genau das war mir passiert, und Paula reagierte prompt auf mein Schweigen.

»Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel«, korrigierte sie sich schnell, »Sascha ist ein süßer Typ. Aber generell ist doch mit Leuten etwas faul, die jeden Abend in der Kneipe rumhängen.«

»Du hängst doch auch jeden Abend in der Kneipe rum«, sagte ich vorsichtig.

Paula lachte.

»Du weißt, daß ich nicht kochen kann! Außerdem lerne ich in meiner Küche bestimmt nie jemanden kennen.«

»Dann mach doch ein Fest«, schlug ich vor, »wenn die Bierkästen in der Küche stehen, ist sie garantiert voller Männer.«

»Ich weiß nicht. Die Typen, die ich einladen würde, kenn ich doch alle schon. Entweder beschissen oder besetzt. Meistens beides! Nee, so geht das nicht. Ich sage dir, ich brauch dringend wieder einen Job.«

Für Paula lohnte sich der Aufwand, arbeiten zu gehen, nur, wenn er mit interessanten Zusatzvergünstigungen verbunden war. Wie Männer kennenlernen. In ihrem letzten Job in einer Modeagentur war sie viel gereist, hatte Designerklamotten zu Spottpreisen bekommen und jede Menge Kandidaten für ihre nächtlichen Eignungstests an Land gezogen. Es war der ideale Job für Paula gewesen, der aber leider vor zwei Monaten zu Ende gegangen war, weil die Agentur Pleite gemacht hatte. Paula trug die Arbeitslosigkeit mit Fassung, weil ihr das frühe Aufstehen sowieso auf den Keks gegangen war und außerdem keine finanziellen Einbußen damit verbunden waren, solange sie von ihrem Vater mehr Geld bekam, als sie jemals selbst verdienen konnte. Das einzige, was Paula wirklich nervte, war, daß sie jetzt ihre Testpersonen aus dem Nachtleben rekrutieren mußte.

»Mein Vater hat mich neulich gefragt, wann ich wieder Arbeit habe«, sagte sie und rollte mit den Augen.

»Als ob du wüßtest, wann die Regierung ihr Wahlversprechen einlöst!«

Paula lachte.

»Sehr witzig! Du hast keine Ahnung, wie schwer es ist, den richtigen Job zu finden!«

»Fast so schwer wie den richtigen Mann, schätze ich? Besonders, wenn man so realistische Ansprüche stellt wie du!«

Paula lachte und knuffte mich, so gut es geht, wenn man einen Schaukelstuhl schleppt, in die Seite. Dabei rempelte sie einen Typen an, der sich jetzt mit schmerzverzerrtem Gesicht das Schienbein rieb.

»O je, hab ich dir weh getan?« fragte Paula.

»Überhaupt nicht«, zischte der Typ mit gequältem Lächeln zwischen den Zähnen durch und humpelte davon.

Abgesehen von seinem ungelenken Gang sah er ganz nett aus: dunkelhaarig, groß, genau so, wie ein Typ aussehen mußte, der Paula gefallen könnte, wenn sie ihn nicht vorher mit einem Schaukelstuhl niederstreckte.

»Tut mir leid«, schrie sie hinter ihm her. Dann zuckte sie mit den Achseln. »Also, so eingeschnappt hätte der nicht zu reagieren brauchen! Die Typen haben doch alle ’ne Macke! Ich sage dir, der einzige normale Mann, den ich kenne, ist Moritz.«

Sie beugte sich über den Kinderwagen und küßte meinen Sohn. Moritz grinste sie begeistert an und verkrallte seine kleinen Finger in ihren Locken. Paula befreite sich lachend.

»So ein Süßer! Der hat den Charme seines Vaters geerbt!«

»Ist das gut oder schlecht?«

Sie lachte.

»Ich hätte auch gerne so ein Knuddelteil«, sagte sie dann allen Ernstes, »obwohl ich natürlich keinen Bock auf die Krampfadern durch die Schwangerschaft oder Schmerzen bei der Geburt habe.«

»Du kannst ja adoptieren. Ist ja ohnehin die große Mode! Und nur mal fürs Protokoll: Ich habe keine Krampfadern.«

»Mel, du weißt, was ich meine. Ich seh doch an dir, wie es ist, ein Kind zu haben. Superanstrengend! Aber du könntest mir Moritz mal öfter leihen. Zum Üben!«

»Du kannst sofort damit anfangen«, sagte ich.

Ich war wie immer unausgeschlafen und hätte ein paar Stunden babyfreie Zone gut gebrauchen können. Das Knuddelteil wäre bestimmt einverstanden gewesen, aber Paula schüttelte den Kopf.

»Nicht heute! Ich bin total fertig, die Nacht war echt lang!«

»Hat es denn wenigstens Spaß gemacht?«

»Wenn es Spaß ist, neben einem Wildfremden aufzuwachen und sich zu fragen, wie er in deine Wohnung gekommen ist?«

»Ich weiß genau, was du meinst.«

Paula lachte. »Soll das ein Witz sein? Du liebst deinen Sascha doch! Und wenn er dich mal nervt, dann hast du ja immer noch die Kleinausgabe.«

Die Kleinausgabe fing jetzt an zu quengeln, weil er hungrig war, und ich dachte, daß sein Vater vermutlich zu Hause dasselbe tat. Ich hatte Sascha versprochen, etwas zum Frühstück mitzubringen, und wahrscheinlich wartete er inzwischen schon darauf. Also entschied ich mich, kurzen Prozeß mit dem Ostergeschenk zu machen, und kaufte bei einem Kollegen der Pudelmütze eine alte Cabriobrille als Osterei für Sascha. Er würde sich bestimmt freuen, und ich könnte vielleicht aufhören, mich darüber zu ärgern, daß er so viel Geld für einen Zweisitzer ausgegeben hatte, weil ich die Aktion durch den Kauf der Brille sozusagen im nachhinein legitimierte.

Als wir fertig waren, verstauten wir Paulas Errungenschaften in ihrem Auto und fuhren zum Viktualienmarkt, wo der samstägliche Run auf die Stände seinen Höhepunkt erreicht hatte. Da man mit einem sperrigen Kinderwagen schlechte Startchancen hat, wartete Paula mit Moritz im Auto, bis ich ein paar Grundnahrungsmittel erkämpft hatte.

Als ich zurückkam, weinte Moritz, und Paula sah völlig gerädert aus.

»Was hat der Kleine bloß«, fragte sie in einem Tonfall, der darauf schließen ließ, daß sie ihre spontane Kinderwunschattacke überwunden hatte.

»Hunger«, sagte ich, »wir müssen nach Hause. Kommst du noch auf einen Kaffee mit?«

»Nee, ist schon gut, ich will die junge Familie nicht stören.«

»Du störst nicht!«

»Ich weiß, aber ich brauch dringend meinen Schönheitsschlaf«, grinste sie.

Sie küßte Moritz, der sich inzwischen auf meinem Arm beruhigt hatte, umarmte mich, und dann brauste sie davon. Nach Hause in ihr gemütliches Bett.

Während ich den Kinderwagen nach Hause schob, versuchte ich wieder, mich daran zu erinnern, was am Singledasein eigentlich so stressig gewesen war? Es fiel mir nicht ein.

er gehört zu mir

Als ich nach Hause kam, dröhnte Musik aus der Küche. Sascha stand mit dem Rücken zu mir am geöffneten Kühlschrank und starrte hinein. Auf dem Herd brutzelte etwas, und das Öl spritzte auf die Kacheln an der Wand.

»Hallo!«

»Wo kommst du denn her?« fragte Sascha, ohne sich umzudrehen.

»Vom Einkaufen mit Paula.«

»Wie geht’s ihr?«

»Sie hat die Männerkrise. Ich hab Brötchen mitgebracht, magst du welche?«

»Hmhm! Ike auch.«

Ike war anscheinend der Typ, der am Küchentisch saß und mit der flachen Hand auf den Boden der Ketchupflasche schlug. Als ich hereinkam, stand er auf und reichte mir die Hand: »Hi! I’m Ike.«

»Melanie.«

Ich lächelte ihm zu, daraufhin setzte er sich und widmete sich wieder der Ketchupflasche.

»Hi«, sagte ich zu dem Gesicht hinter der Flasche.

Sascha nahm mir die Tüte mit den Brötchen aus der Hand und gab sie Ike, der die Flasche abstellte und sich bediente. Dann unterhielten sich die beiden auf englisch über irgendwelche Jobangelegenheiten. Sascha arbeitete in einem Club, für den er DJs buchte. Meistens besprach er sich mit ihnen in seinem Büro oder in einem Café, aber manche der Jungs waren so bekannt, daß er sie vor Fans oder Journalisten schützen wollte und sie deshalb mit nach Hause brachte. Es war daher nicht ungewöhnlich für mich, in meiner Küche überraschend auf fremde Männer zu stoßen. Die meisten von ihnen waren sehr nett. Es gab nur selten Ausnahmen, Typen, die mich wie eine Kellnerin behandelten und bedient werden wollten. Oder mich ignorierten, wie Ike.

Während er und Sascha das Gespräch wieder aufnahmen, blieb ich unschlüssig in der Tür stehen und überlegte, ob ich mich dazusetzen oder ins andere Zimmer gehen sollte. Eigentlich hatte ich vorgehabt, Moritz zu füttern, aber ich hatte nicht das Gefühl, daß Ike ein großer Fan kleiner Babys war, deshalb trug ich Moritz erst mal ins Wohnzimmer und zog ihm den Anorak aus, was er mit einem genervten Gesichtsausdruck und wild rudernden Ärmchen quittierte.

»Ich weiß, du hast Hunger und findest den Service hier etwas lahm, aber gib mir etwas Zeit. Ich arbeite daran!«

Moritz schien nicht überzeugt, im Gegenteil: Seine Unterlippe schob sich nach vorn, und seine Stirn zog sich in bedrohliche Falten. Es war klar, daß ich dringend Maßnahmen ergreifen mußte, um den Supergau zu verhindern, deshalb hielt ich Moritz eine Schneekugel aus meiner Sammlung vor die Nase. Normalerweise darf er die zerbrechlichen Dinger, für die ich wertvolle Urlaubsstunden geopfert hatte, um verkitschte Souvenirläden zu durchstöbern, nicht anfassen, aber dies war ein Notfall. Ich schüttelte die Kugel, so daß der Grand Canyon im Schneegestöber verschwand, und Moritz grinste zufrieden. Dann streckte er seine Hände aus, und im nächsten Moment hielt er die Erinnerung an den letzten Urlaub mit meinen Eltern in seinen Wurstfingerchen und schüttelte sie so kräftig, daß er einen roten Kopf bekam. Die Chancen standen gut, daß sein Interesse zumindest so lange anhalten würde, bis ich das Fläschchen fertig hatte.

Als ich wieder in die Küche kam, hatte Sascha gerade eine Flasche Champagner geköpft und reichte Ike ein Glas.

»Cheers«, sagte Ike.

Ike nahm einen Schluck. Das Zeug beflügelte ihn anscheinend, denn er fing plötzlich an ›O sole mio‹ zu singen und hob sein Glas in die Luft. Sascha grinste und prostete zurück. Ich rührte den Brei an und stellte das Fläschchen in den Wärmer. Währenddessen überlegte ich, wann ich das letzte Mal mit Sascha Schampus getrunken hatte. Es fiel mir nicht ein.

»Gibt es einen Anlaß?« erkundigte ich mich.

Sascha antwortete nicht.

»Willst du auch?« fragte er statt dessen.

Ich schüttelte den Kopf.

»Ein Kaffee wäre mir lieber. Wir müssen ja heute noch die Möbel schleppen.«

»Welche Möbel?«

Sascha guckte mich erstaunt an.

»Na, die Kindermöbel für Moritz’ Zimmer! Du weißt doch, wir hatten mit Nicole verabredet, daß wir sie heute holen!«

»Das war doch nicht heute?«

»Doch.«

»Quatsch!«

»Nein, im Ernst!«

»Sag mal, willst du behaupten, daß ich Termine nicht auf die Reihe kriege, oder was?«

Sascha guckte verärgert.

»Das habe ich nicht gesagt.«

»Aber gemeint!«

»Wenn du keine Zeit hast, holen wir die Möbel eben ein andermal ab!«

»Darum geht es nicht«, sagte Sascha.

»Ach, nicht?«

»Nein. Du kapierst einfach nicht, daß ich in meinem Job flexibel sein muß! Ike ist aus London hier, und ich muß mich um ihn kümmern. Job ist Job, verstehst du?«

»Ja. Aber warum hast du mir nicht früher gesagt, daß du keine Zeit hast?«

»Ich wußte es selbst nicht. Tut mir leid, daß ich nicht in einer Bank arbeite!«

Die Vorstellung von Sascha, der von morgens halb neun bis um fünf Überweisungszettel ausfüllte, war so absurd, daß es sich nicht lohnte, darüber zu diskutieren. Sascha kam kaum rechtzeitig aus dem Bett, um seine eigenen Überweisungen zu machen, geschweige denn die anderer Leute.

Ich seufzte.

»Oder willst du, daß ich meinen Job vernachlässige?«

»Schon gut! Ich rufe meine Schwester an und sage ihr, daß wir ein andermal kommen.«

Sascha grinste.

»Ich kann mir vorstellen, wie du hinter meinem Rücken über mich ablästerst! Der Typ ist unzuverlässig, mecker, mecker.«

»Ich weiß nicht, wie du darauf kommst, daß ich so über dich rede. Ausgerechnet mit Nicole!«

Sascha hatte keine Ahnung. Sosehr ich hin und wieder jemanden zum Reden gebraucht hätte, meine Schwester wäre der letzte Mensch gewesen, dem ich mein Herz ausgeschüttet hätte.

Ike stand auf und drückte die Zigarette auf dem Teller aus.

»Let’s get going«, sagte er.

Sascha nickte und nahm seine Jacke.

»Mach dir einen schönen Tag, Mel!«

Er ging mit Ike in den Flur, ich hinterher.

»Und was habt ihr so vor?«

»Wir drehen erst mal eine Runde mit dem Cabrio durch die Stadt. Ike war noch nie in München.«

»Und danach?«

»Weiß ich noch nicht.«

»Wann kommst du ungefähr nach Hause?«

»Ist das ein Verhör?«

»Ich wollte nur wissen, ob wir uns am Abend sehen.« Ich hatte keine Lust, schon wieder den ganzen Abend alleine rumzusitzen. »Wenn du keine Zeit hast, sag’s mir einfach, dann mach ich was anderes!«

Das war reines Wunschdenken, denn in der Realität ist mit einem Säugling der Aktionsradius für abendliche Unternehmungen stark eingeschränkt, so daß mir meistens nichts anderes übrigblieb, als zu Hause herumzusitzen, aber ich wollte zumindest das Gefühl haben, daß ich etwas planen könnte, wenn ich es wollte.

»Ich melde mich später«, sagte Sascha.

Ich nickte.

Sascha guckte mich prüfend an, dann legte er den Arm um meine Taille und sagte zu Ike, der in der Türe stand, er solle schon mal runtergehen. Als Ike weg war, zog Sascha mich ganz nah an sich heran.

»Hey Baby, versteh mich doch. Meinst du etwa, mir macht es Spaß, für den Typen den Babysitter zu spielen?«

»Na ja, mein Baby ist wirklich etwas niedlicher«, sagte ich versöhnlich.

Sascha grinste. »Niedlich zu sein ist auch nicht Ikes Job.«

»Was soll das denn heißen?«

»Nichts! Nur, daß ich den Abend auch lieber bei dir verbringen würde!«

Er guckte mir tief in die Augen. Sascha hatte die schönsten blauen Augen, die ich jemals gesehen hatte.

»Ich tu das für uns, Mel, sobald wir im Lotto gewonnen haben, schmeiß ich den Job!«

»Sehr witzig!«

Sascha lachte: »So gefällst du mir schon besser!«

Dann küßte er mich, bis ich Schmetterlinge im Bauch hatte, und im nächsten Moment stürmte er die Treppe hinunter.

»Ich ruf dich an«, rief er, als er unten angekommen war.

Kurz darauf hörte ich, wie der Turbo aufheulte und aus dem Hof fuhr.

Ich riß das Küchenfenster auf, damit der Dampf abziehen konnte. Dann fütterte ich Moritz und legte ihn schlafen. Während ich die Küche aufräumte, telefonierte ich mit Nicole.

»Wie, Sascha hat keine Zeit?« fragte sie verständnislos.

Das war zu erwarten gewesen. Nicole lebte in einer anderen Welt. Auf ihrem Planeten kamen die Männer abends pünktlich nach Hause und hatten das dringende Bedürfnis, den Müll runterzubringen und mit ihren Frauen über ihre Gefühle zu reden. Wenn das nichts half, kauften die Männer ihnen Gucci-Taschen. Die Kinder schliefen in dieser Welt gleich nach der Geburt nachts durch und trugen selbstreinigende Designer-Klamotten. Und Au-pair-Mädchen putzten die Küche, so daß man selbst genügend Zeit hatte, sich seiner aufregenden Karriere zu widmen. Man konnte nicht erwarten, daß jemand aus Nicoles Welt Verständnis dafür hatte, wie es in meiner zuging, und jeder Versuch, es ihr zu erklären, erschien mir zwecklos.

»Was ist denn los«, wollte sie wissen, »gefallen euch die Sachen nicht? Ich weiß, wir haben nicht den gleichen Geschmack...«

»Doch, natürlich, die Möbel sind toll!«

Das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Es war sogar schamlos übertrieben, denn die Möbel waren klobige Holzklötze, die Fred Feuerstein gefallen würden, aber nach der Steinzeit etwas aus der Mode geraten waren. Doch darum ging es nicht. Moritz war inzwischen einfach zu groß für sein Babybettchen. Er lag darin wie ein Braten in der Kasserolle. Da unser Konto aber von der Anschaffung des Cabrios noch sehr strapaziert war, war es geradezu ein Glücksfall, daß Nicole das Zimmer ihrer Töchter umgestalten wollte und uns die pädagogisch wertvollen Holzklumpen, die sie gekauft haben mußte, als Schwangerschaftshormone ihr Gehirn attackiert und die Kontrolle über ihren Geschmackssinn übernommen hatten, gegen Selbstabholung überlassen wollte.

Nicole seufzte. »Dann hol sie endlich ab! Du weißt jetzt schon lange genug, daß wir das Kinderzimmer leer kriegen müssen, weil die neuen Sachen kommen. Sag mal, wieso kriegt ihr das nicht auf die Reihe?«

»Es tut mir leid«, sagte ich zum hundertsten Mal, »Sascha ist was Geschäftliches dazwischengekommen.«

»Ich möchte mal sehen, daß dem was Familiäres dazwischenkommt«, meckerte Nicole.

»Wieso sagst du das? Es gehört zu seinem Job, die DJs zu betreuen, die im Club auflegen. Er kann sich das ja auch nicht aussuchen.«

»Man kann sich aber seine Zeit einteilen. Sascha hat einfach noch nicht kapiert, daß er Familie hat!«

Da mir kein Argument einfiel, das die Behauptung entkräften konnte, bediente ich mich kurzerhand in Saschas Sprüchesammlung.

»Job ist Job«, warf ich ein, »das verstehst du doch, oder?«

»Ach, ich hab keine Lust, mit dir zu streiten«, sagte Nicole, »und, was machst du heute abend?«

»Nichts Besonderes. Arbeiten.«

Ich korrigierte gerade das Manuskript für ein Buch über Magritte. Es war gut geschrieben, und die historischen Angaben stimmten, soweit ich das recherchiert hatte, so daß man das bißchen Komma-Einsetzen kaum als Arbeit bezeichnen konnte, davon abgesehen, daß man nicht darüber nachdenken durfte, ob es Sinn machte, den x-ten Bildband über diesen Menschen herauszugeben. Aber das Komma-Einsetzen gab mir das Gefühl, noch mit der Welt jenseits der Windeln verbunden zu sein, und außerdem konnten wir das Geld gut gebrauchen.

»Und wo ist Sascha?«

»Im Club.«

»Aha!«

»Ich dachte, du wolltest nicht streiten!«

»Ich habe nichts gesagt. Wenn du Lust hast, komm doch zu uns. Wir haben ein paar Leute zum Essen eingeladen.«

»Schön! Und was gibt’s?«

»Keine Ahnung. Jörg kocht.« Nicole lachte. »Es wird dir schmecken. Er veranstaltet zwar immer das totale Chaos in der Küche, aber das Ergebnis rechtfertigt den Aufwand.«

Ich konnte nur hoffen, daß Nicoles derzeitiges Au-pair-Mädchen das genauso sah, wenn sie das Chaos beseitigte.

»Also was ist, kommst du?«

»Ich weiß nicht. Sascha wollte mich nachher anrufen. Ich guck mal, was er sagt.«

»Also, ich will mich ja nicht einmischen, aber ich finde, du solltest deine eigenen Pläne machen!«

»Das ist mein Plan!«

»Wie du meinst«, sagte Nicole, »Sascha kann auch gerne nachkommen, wenn er mit dem DJ fertig ist, solange es ihn nicht stört, daß Matthias auch da ist!«

Matthias war mein Ex und ein guter Freund von Nicole. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte ich ihn geheiratet und wäre jetzt die gutsituierte Ehefrau eines Anwalts, der abends pünktlich auf der Matte stand, um den Müll runterzubringen, sowie stolze Besitzerin mehrerer Gucci-Taschen.

Matthias war nett, aber irgendwie hatte es zwischen uns nicht geklappt. Ich hatte ihn auf meinem neunundzwanzigsten Geburtstag kennengelernt. Nicole und Jörg hatten ihn mitgebracht. Ich hatte eine ziemlich wilde Party veranstaltet, zu der ich so gut wie jeden Menschen eingeladen hatte, der mir irgendwann mal seine Telefonnummer gegeben hatte, weil ich richtig abfeiern wollte, bevor ich nächstes Jahr unwiderruflich die Schallmauer durchbrechen würde. Meine Freunde hatten mir Antifaltencremes, Vitaminaufbaupillen und andere nette Aufmerksamkeiten mitgebracht, die mir deutlich machen sollten, daß man das Älterwerden mit Humor nehmen mußte, aber spätestens nach dem Öffnen der Geschenke fühlte ich mich wie eine überreife Frucht, die einer Zukunft auf dem Komposthaufen entgegenvegetiert, wenn sie nicht bald Blüten trägt. Meine biologische Uhr tickte, und Matthias war der einzige Mensch in Sicht, der mich vor der Kompostierung bewahren konnte. Er war ein Lottogewinn, und ich tat mein Bestes, um mich in ihn zu verlieben. Meine Freundinnen beglückwünschten und beneideten mich, und Nicole meinte anerkennend, endlich hätte ich mal einen normalen Mann aufgegabelt. Matthias machte seinen Job in der Kanzlei, ich mein Praktikum im Verlag, und abends trafen wir andere Juristen auf ein Bier und am Wochenende seine Eltern zum Golfen. Meine Freunde trafen wir nicht so oft, weil Matthias sie unreif fand, wohingegen er es unheimlich reif fand, auf getrennten Rechnungen zu bestehen, wenn wir zu zweit essen gingen. Aber ich hatte keine Schmetterlinge im Bauch, wenn ich ihn küßte, und nach ein paar Wochen vergeblicher Versuche, mir einzureden, daß ich mit dem Lottogewinn eine Familie gründen könnte, traf ich Sascha. Nicole konnte sich nicht mit der Tatsache abfinden, daß sie jetzt statt eines Anwalts einen Nachtclubfritzen in der Familie hatte, doch da Sascha und ich nicht verheiratet waren, gab sie die Hoffnung nicht auf.

»Wann gibst du endlich auf?«

»Ich weiß nicht, was du meinst«, sagte Nicole scheinheilig, um dann weiterzusticheln, »aber wenn Sascha den Abend mit einer anderen verbringt, darfst du das auch!«

»Doro ist Saschas Chefin. Sie arbeiten zusammen, das ist was anderes. Matthias flirtet mich dauernd an!«

»Hast du was gegen Männer, die nett zu dir sind?«

Sie raubte mir den letzten Nerv. Wie konnte Sascha nur denken, daß ich mich ausgerechnet bei Nicole ausheulte?

»Ich bin mit Sascha zusammen!«

»Genau deshalb frage ich ja!«

Ich schwieg beleidigt.

»Entschuldige«, sagte Nicole, »das war gemein.«

»Allerdings!«

»Also, wenn dir die Decke auf den Kopf fällt, komm mit Moritz vorbei! Ansonsten wünsch ich dir einen schönen Abend, und du meldest dich und sagst mir, wann der Terminplan deines Liebsten es erlaubt, daß ihr die Möbel abholt, o.k.?«

»O.k.!«

Nachdem ich aufgelegt hatte, wischte ich den Herd. Die Jungs hatten ein ziemliches Chaos in der Küche hinterlassen, aber die Bewirtung von DJs gehörte nun mal zu Saschas Job, und ich wollte ihn darin unterstützen. Es war für Sascha stressig genug, sich den ganzen Tag um Ike zu kümmern, da sollte er nicht noch abends, wenn er nach Hause kam, eingetrocknete Ketchupflecken vom Küchentisch kratzen müssen.

Normalerweise war Sascha ein ordentlicher Typ, besonders wenn es um sein Zimmer ging. Im Gegensatz zur übrigen Wohnung sah es dort aus wie im Hotel. Sascha war zu selten zu Hause, um dort Unordnung zu machen, und außer ihm benutzte das Zimmer keiner. Es war als Büro gedacht gewesen, aber dann hatte der Club ihm einen Laptop zur Verfügung gestellt, und seitdem buchte er die Musiker meistens von dort, weil er sich direkt mit Doro absprechen konnte. Wenn es Fragen gab, mußte er nur die Treppe hochgehen, denn sie wohnte in der Wohnung über dem Club. Moritz und ich hielten uns nie in Saschas Zimmer auf. Ich stehe nicht auf Hotelatmosphäre, und Sascha mochte es nicht, wenn Moritz’ Spielsachen oder meine Manuskripte in seinem Zimmer herumlagen. Er brauche einen neutralen Raum zum Abspannen, sagte er, da die ganze restliche Wohnung von Moritz und mir belegt sei, und er im Club auch keine Ruhe hatte. Ich ließ ihm sein Reich, zumal seine dreckigen Socken an strategisch wichtigen Punkten des Zimmers, zum Beispiel neben der Couch, herumlagen, so daß man gar nicht erst auf den Gedanken kam, es sich dort gemütlich zu machen. Ich benutzte das Zimmer nur als Durchgang zum Balkon, und Sascha schlief manchmal dort. Seit Moritz auf der Welt war, schlief er oft in seinem Zimmer, damit ich nicht wach wurde, wenn er von der Arbeit spät nach Hause kam, weil ich ja wegen Moritz ziemlich früh aufstehen mußte.

Als ich mit der Küche fertig war, goß ich die Blumen auf dem Balkon. Auf Saschas Schreibtisch lag ein Flyer mit den News aus dem Nachtleben. Ich dachte, es könnte nicht schaden, mal reinzugucken, um wenigstens aus zweiter Hand zu erfahren, was in der Welt so abging. Als ich den Flyer in die Hand nahm, fiel der Ersatzschlüssel vom Club, der anscheinend darunter gelegen war, auf den Boden. Sascha ist ein Meister im Verlieren von Schlüsseln, deshalb verstaute ich den Schlüssel in einem Kästchen im Flurregal, das ich ziemlich kitschig fand, aber nicht wegwerfen wollte, weil mein Vater es mir aus Indien mitgebracht hatte, und ging mit dem Flyer in die Küche.

Inzwischen hatte ich Hunger, aber keine Lust, etwas zu kochen, weil sich der Aufwand für eine Person nicht lohnt. Daher nahm ich einen Schokopudding aus dem Kühlschrank und setzte mich, da ich nicht gern alleine esse, damit vor den Fernseher.

Eine Talk-Show-Tante grinste mir entgegen.

Ich grinste zurück und nahm genüßlich einen Löffel Pudding, während sich die Talker gegenseitig in der Luft zerfetzten. Es ging um Mütter, die ihren Töchtern den Freund ausgespannt hatten. Das Thema ließ mich kalt, weil ich mir nicht vorstellen konnte, daß meine Mutter und Sascha sich ineinander verlieben könnten. Also schaltete ich um zu Olli Geissen. Der quetschte gerade einen hübschen Kerl zu seinen Erfahrungen mit Designerdrogen aus. Ich blieb bei Olli, weil sein Gast besser aussah als die fehlgeleiteten Mamis.

»Ich habe keine Lust, dauernd vernünftig zu sein«, sagte er zu Olli, »das Leben ist kurz, und ich will meinen Spaß haben.«

Das Publikum klatschte, und Olli strahlte den Spaßvogel begeistert an. Er sah wirklich umwerfend aus.

»Ich will Party machen«, sagte er, »wozu leben wir denn sonst?«

Olli lächelte unverbindlich. Er lebte unter anderem, um mit Leuten wie ihm Geld zu machen.

»Und hattest du schon mal einen Blackout?« Er zeigte sein Zahnpastalächeln. Der Spaßvogel guckte ihn verständnislos an.

»So, daß du dich am nächsten Tag an nichts erinnerst«, erklärte Olli.

»Weiß ich nicht«, sagte der Hübsche, »kann mich an keinen Blackout erinnern.«

Das Publikum johlte.

»Ich finde es ganz klasse, daß du so ehrlich bist«, sagte Olli mit ernstem Gesicht. »Jetzt schauen wir mal, was unser Experte dazu meint.«

Er hielt das Mikro einem Mittvierziger mit fettigen Haaren unter die Nase. Schmalzlocke war Drogenberater und fand es weniger klasse, was der hübsche Spaßvogel so von sich gab.

»Jeder Blackout zerstört Unmengen von Gehirnzellen«, gab er zu bedenken.

Das tat mir leid für den Hübschen, zumal er ohnehin nicht aussah, als verfüge er über besonders viele davon. Auch Olli und das Publikum schwiegen bedrückt. Aber der Hübsche trug es mit Fassung.

»Na und«, sagte er, »wir benutzen sowieso nur zehn Prozent unserer Gehirnmasse, den Rest kann ich doch zerstören, wie ich will!«

Da hatte er auch wieder recht. Das Publikum klatschte.

Schmalzlocke fing wieder an zu schwafeln, und ich schaltete zurück zu den Müttern und Töchtern. Dann klingelte das Telefon, aber als ich abhob, war niemand dran. Am anderen Ende wurde aufgelegt, und dann tutete mir das Freizeichen ins Ohr. Zu spät! Ich schaltete den Anrufbeantworter an und ging zurück ins Wohnzimmer, als gerade die Werbung lief. Eine Mami in weißen gebügelten Jeans und einem pinken gebügelten T-Shirt stand in der Tür und winkte einem Mann in einem schnittigen Auto zu. Sie hielt ein ebenso gebügeltes Baby im Arm. Der Mann brauste davon, und sie winkte ihm hinterher. Eine glückliche Familie, dachte ich, sofern der Vater nicht demnächst einen Verkehrsunfall hat, was mehr als wahrscheinlich war, denn statt auf die Straße zu achten, winkte er seinen Lieben zu. Wenn das mal gutging! Der nächste Spot spielte in einem traumhaften Loft, dessen Renovierung so kostspielig gewesen sein mußte, daß es sich auf keinen Fall um die Werbung für einen Bausparvertrag handeln konnte, es sei denn, die Bank wollte sich selbst in den Ruin treiben. Eine schöne Frau lag im Bett und küßte den Vater ihrer Kinder oder einen anderen gutaussehenden Mann, während die lieben Kleinen aus Frühstücksmargarine einen Kuchen zusammenmanschten. Als er fertig war, stürmten sie das Schlafzimmer und zeigten Mami und dem gutaussehenden Mann ihr kulinarisches Machwerk. Die beiden grinsten hocherfreut in die Kamera, was darauf schließen ließ, daß der gutaussehende Mann der Liebhaber war, denn kein Mann, der länger mit einer Frau zusammen ist, bemüht sich so sehr, nicht genervt zu wirken, wenn er beim Sex gestört wird. Ich versuchte mir vorzustellen, wie Sascha nach einer langen Nacht im Club mit Restalkohol und Rückständen anderer Chemikalien im Blut reagieren würde, wenn Moritz sein Bett stürmen und ihm einen fettigen Margarinekuchen unter die Nase halten würde. Er würde vermutlich draufkotzen. Unser Leben lief leider völlig anders ab als in der Werbung.

Olli war zurück. Er hatte wieder den Experten hinzugezogen, der etwas über Stimmungsschwankungen und emotionale Defizite erzählte. Er hatte eine so einschläfernde Stimme, daß ich zurück zur talkenden Tante zappte. Da ging es heiß her. Eine Mutter und eine Tochter stritten sich um einen grinsenden Fettmops, der anscheinend das Objekt ihrer Begierde war. Ich konnte nicht begreifen, was sie an dem Typen fanden, aber das passierte einem ja öfter.

»Von dir habe ich mir lange genug den Spaß am Leben nehmen lassen«, keifte die Mutter, »damit ist jetzt Schluß!«

Das Publikum tobte.

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, weniger fernzusehen, damit mein Gehirn von den vielen Talk-Shows nicht restlos aufgeweicht wurde. Auf dem Couchtisch lag der Magritte und machte mir ein schlechtes Gewissen. Ich versteckte ihn unter dem ›Gott der kleinen Dinge‹, den ich mir als Fitneßtraining für meine grauen Zellen angeschafft hatte. Jetzt glotzte mir das Buch vorwurfsvoll entgegen. Ich nahm es in die Hand und wollte es gerade aufschlagen, als die Tochter sagte, die Mutter habe ihr bis jetzt jeden Mann weggenommen, einschließlich ihres Vaters, den die Mutter anscheinend böswillig verlassen hatte. Ich legte das Buch weg und streckte mich auf der Couch aus. Talk-Shows waren einfacher zu konsumieren als Bücher und gaben einem das Gefühl, unter Leuten gewesen zu sein, selbst wenn der einzige Ansprechpartner, den man an dem Tag hatte, ein sieben Monate altes Baby war. Außerdem konnte ich oft nicht mehr als ein paar Seiten am Stück lesen, weil dann Moritz garantiert aufwachte. Er hatte einen Riecher dafür, mich im entscheidenden Moment zu unterbrechen. Beim ›Gott der kleinen Dinge‹ war das ständig passiert, und immer, wenn ich das Buch das nächste Mal wieder aufschlug, hatte ich vergessen, wer mit wem verwandt oder verschwägert war, und inzwischen war es mir völlig egal, wer von der Sippschaft für Sophie Molls Tod verantwortlich war.

»Keine Panik«, beruhigte ich ihn, »wir werden deine anale Phase prima meistern, und du mußt später bestimmt in keine Talk-Show gehen und davon erzählen, daß du anderen Leuten deinen Schniedel zeigen willst, o.k.?«

Da das Wetter einigermaßen war und ich sowieso nichts Besseres vorhatte, beschloß ich, mit ihm spazierenzugehen.

»Die Nummer Sieben: Nudeln in Austernsauce mit Shrimps, zum Mitnehmen bitte«, sagte ich zu dem Kellner.

»Die Nudeln hätte ich gerne einmal, und dann noch einmal die Fünfzehn, Spezialität aus dem Mekong-Delta. Ist das gut?«

»Aha! Dann nehme ich sie.«

Ich nickte.

Ich war nicht durstig, aber die Frage ließ vermuten, daß ich es werden würde, bis die Gerichte fertig waren. Wer es eilig hat, sollte eben keine Spezialitäten bestellen. Ich hatte Zeit, daher guckte ich wieder in die Karte.

Um ihm zu zeigen, daß ich die Innovation unterstützte, bestellte ich einen Alabama, obwohl mich Alkohol auf nüchternen Magen immer müde macht. Aber ich hatte ja nichts Besonderes vor, um die Zeit, bis Sascha nach Hause kam, zu überbrücken, außer Moritz ins Bett zu bringen und vielleicht am Manuskript zu arbeiten, wenn nichts in der Glotze kam. Wartezeiten überbrückt man am besten mit Tätigkeiten, die man jederzeit abbrechen kann. Wie Fernsehen. Ich war die Königin des Wartens. Zuerst hatte ich mein halbes Leben darauf gewartet, meinen Prinzen zu treffen, und jetzt, wo ich ihn hatte, wartete ich darauf, daß er nach Hause kam.

Einer der Typen im Anzug beugte sich über den Kinderwagen.

»Mädchen oder Junge?«

»Meinen Sie das Baby oder mich?«

»Es ist nicht zu übersehen, daß Sie eine Frau sind, noch dazu eine sehr attraktive!«

Der Typ überschlug sich fast.

»Karl-Gustav!«

»Das ist ein sehr spezieller Name«, schleimte er, »wie sind Sie denn darauf gekommen?«

»Interessant«, sagte der Typ.

Dann drehte er sich um und unterhielt sich weiter mit dem anderen Anzugtypen. Ich schlürfte meinen Cocktail, und als das Essen kam, zahlte ich und schob Moritz nach Hause.