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Das Buch

Kommissar Andreas Rauscher ist gerade Vater geworden und möchte sich um seinen Sprössling Max kümmern. Daraus wird nichts, denn er muss einen neuen Fall übernehmen. An der Novalis-Schule in Frankfurt-Bockenheim wird eine Schülerin vergewaltigt, ein beliebter Lehrer ermordet und ein Schüler-Video zirkuliert im Internet. Es herrscht Chaos an der Schule – Mobbing, Verleumdungen, böse Online-Umfragen.

Rauscher muss bald feststellen, dass immer mehr Tatverdächtige auftauchen, je weiter er ermittelt. Die Schulleitung, die Lehrer, die Schüler und die Frankfurter Mordkommission sind mit der Situation zunächst überfordert und rätseln über die Hintergründe.

Und dann verschwindet auch noch eine Schülerin spurlos – Rauscher und seinem Team bleibt nicht viel Zeit, um weiteres Unheil zu verhindern.

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Der Autor

Gerd Fischer wurde 1970 in Hanau geboren. Er studierte Germanistik, Politologie und Kunstgeschichte in Frankfurt am Main, wo er seit 1991 lebt. Weitere Krimi-Veröffentlichungen im mainbook Verlag: „Mord auf Bali“ 2006 (Neuauflage 2011), „Lauf in den Tod“ 2010, „Der Mann mit den zarten Händen“ 2010, Robin Tod 2011

Gerd Fischer

Paukersterben

Der fünfte Fall für Kommissar Rauscher

Krimi

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Für die viele, viele Unterstützung bedanke ich mich besonders bei:

Renate, Nine, Daliah, Anne, Ingeborg, Elisabeth, Ute, Claudia L., Thomas und Uli, Astrid, Andrea und Alex, Daniella und Uwe.

Die Ausgangssituation in „Paukersterben“ basiert auf einem realen Ereignis. Namen, Personen, Orte und Geschehnisse sind jedoch verfremdet dargestellt, sodass keine Rückschlüsse auf die wirklichen Vorkommnisse gezogen werden können.

Copyright © 2012 mainbook Verlag, Gerd Fischer

Signierte Bücher können ohne zusätzliche Versand- und Portokosten direkt beim Verlag auf www.mainbook.de bestellt werden

Lektorat: Renate Casey

Besuchen Sie uns im Internet:

ISBN 978-3-944124-10-0

Sie wisse’s ja

„Liewe Kinner, klaa Gezäppel“,
Sächt der Lehrer, „seht err hier:
Da zwei Äppel, dort zwei Äppel,
Merkt’s euch, gibt zesamme vier.

Also Fritz, du dich besinne,
Iwwerleg’s genau un kihl,
Will doch seh, ob de’s werst finne:
Zwei und zwei, des gibt wieviel?“

Fritz, der zoppt ehrscht an seim Kraache,
Un betracht sein Lehrer schlau:
„Weshalb soll ich’s Ihne saache?
Wisse’s ja doch selbst genau.“

(Carl Adolf Stoltze, Frankfurter Mundartdichter)

Prolog

Karla Bernhard hasste den Uringeruch, die vergilbten Kacheln und die versifften Klobrillen. Doch seit diesem Septembertag empfand sie nur noch Abscheu für die Schulhoftoilette der Novalis-Gesamtschule in Frankfurt-Bockenheim.

Ihre Freundinnen standen montags in der großen Pause zwischen der zweiten und dritten Stunde auf dem Schulhof, direkt vor jener großräumigen Toilette, und wirkten gelangweilt. Plötzlich Rufe. Winken. Karla wunderte sich und spazierte hin.

Hinter Lisa nahm Karla diesen Typen wahr, aus der 11. Breite Schultern, cooles Lachen, braune Haare. Sein Ruf als Mädchenschwarm eilte ihm voraus. Er trug einen hippen Hollister-Pulli, der ihr gefiel.

Aus dem Augenwinkel sah Karla, wie Jeanette ihm 20 Euro in die Hand drückte, den Daumen hob und sagte: „Wie verabredet.“ Eric, so hieß er, nickte.

Was war hier los?

Bevor Karla irgendwas kapierte, zerrte Eric sie am Arm ins Innere der Toilette, drückte sie in eine der Klokabinen und schloss ab.

Draußen hörte Karla lautstarkes Gickeln. Ihre Freundinnen postierten sich offensichtlich im Vorraum. Während sie sich fragte, was das soll, drängte Eric sie an die Klowand und verpasste ihr einen Zungenkuss.

Verdammt, was ging hier vor?

Sie stieß ihn von sich, schrie: „Hör auf!“

„Sei still“, erwiderte er, „sonst zeig ich den Film deinen Eltern.“ Er deutete nach oben.

Schock!

Karla schaute in die Kamera eines Handys. Oh Gott, dachte sie und erstarrte. Am liebsten hätte sie laut losgebrüllt, aber sie war plötzlich wie gelähmt. Brachte keinen Pieps über die Lippen. Das ging alles so schnell. Sie fühlte sich wehrlos. Hilflos. Ihre Augenlider flatterten einen Moment.

Was passierte hier gerade?

Sie hatte keine Ahnung, bis Eric ihre Hose aufknöpfte und sagte: „Zick nicht rum, okay? Deine Freundinnen wollen dir was Gutes tun.“

Blitzartig überlegte sie, was er mit „Gutes“ meinte, aber das Einzige, was ihr einfiel, lag weit jenseits ihrer Vorstellungskraft und sie verwarf den Gedanken. Doch unvermittelt ließ Eric seine Hose runter.

Was zum Teufel hatte er vor?

Sie konnte ihren Blick nicht von seinem erigierten Penis lösen. Hatte noch nie einen gesehen, zumindest nicht live. Ihre Freundinnen hatten erzählt, so ein Ding sei prall und glitschig. Seiner war weder das eine noch das andere, eher glatt und unförmig.

Erics rauchiger Geschmack lag noch auf ihrer Zunge, als er sie wieder küssen wollte: „Komm schon. Ich brauch bisschen Stimmung.“

Seine Zungenspitze fuhr Achterbahn in ihrem Mund, aber sie empfand es nicht als eklig. Eher fremd. Eric schob seinen Mittelfinger in ihre Spalte: „Ey, schon feucht! Bringen wir‘s hinter uns, Lady.“ Sie spürte, wie ihr Gesicht rot anlief.

Was erlebte sie gerade?

Wollte er sie etwa...?

Ihr widerstrebte, das Wort ‚vergewaltigen‘ auch nur zu denken. Seit einem Jahr hatte sie sich ihr erstes Mal so sehr gewünscht. Mit knapp sechzehn Jahren wurde es auch Zeit, aber doch nicht so! Nicht hier! Und vor allem nicht mit ihm!

Eric lachte, kramte ein Kondom aus dem Portemonnaie und riss es auf: „Hier! Kannst schon mal üben.“ Sein dämliches Grinsen verursachte ihr Gänsehaut. Schüchtern war sie schon immer gewesen, aber mit Eric auf zwei oder drei Quadratmetern fühlte sie sich eingezwängt wie in ein Korsett. Irgendwie reglos. Als er ihr das Kondom reichte, wurde Karla puterrot. Das Ding war glitschig, sie verzog das Gesicht. Mit Schrecken fiel ihr Jeanettes Geburtstag ein. Vor dem gemeinsamen Kondomaufblasen hatte sie sich gedrückt. Sie zögerte. Je länger sie mit Eric hier in dieser scheußlichen Kabine war, desto fassungsloser wurde sie.

„Los, mach schon!“ Eric griff ihre Hand, setzte das Kondom auf die Eichel und führte ihre Finger, bis sie das Kondom übergerollt hatte. Karla spürte, dass sein Schwanz hart war. Er wollte ihr bestimmt nur Angst einjagen, aber weiter würde er sicher nicht gehen. Niemals.

Oh, doch!

Sie fühlte, wie er ihn zielstrebig in sie drückte. Sie zuckte, spürte etwas Widerstand, dann glitt er hinein. Ein kleiner Schmerz kam und ging wieder.

Plötzlich drang von draußen ein Ruf herein: „Was ist da drin los?“ Karla kannte die Stimme. Sie gehörte ihrem Deutschlehrer, Herrn Kramer, der heute Pausenaufsicht hatte und einen Inspektionsrundgang unternahm.

Auch das noch!

Warum ausgerechnet er, dachte Karla. Er durfte sie hier keinesfalls sehen. Mit einem Male war ihr zum Heulen zumute.

Bitte, bitte, bitte nicht reinkommen!

Dann hörte sie Jeanettes Stimme: „Nichts, wieso?“ Sie versuchte Kramer abzuwimmeln. Karla nahm hektisches Rascheln und Schritte wahr. „Und was macht Lisa da oben mit dem Handy?“ Lehrer Kramer schien nicht locker zu lassen, doch dann fiel eine Tür zu und es war still.

Erics schwerer Körper presste sie mehr und mehr an die Wand. Sie versuchte, ihn wegzudrücken, aber es gelang nicht. Nach einer Weile kniff er die Augen zu und ruckte etwas. Gespürt hatte sie nichts mehr.

Eric zog das Kondom ab, warf es ins Klo, zog die Hose hoch und drückte die Spülung, die nach Wasserfall klang. Beim Hosezuknöpfen sah er sie lange an. Sie hatte das Gefühl, dass er etwas sagen wollte, doch er schwieg und öffnete die Tür.

Nachdem er hinausgegangen war, hörte sie abklatschende Hände vor der Toilette, Gelächter und Schritte, die sich entfernten.

Karla rutschte die Wand hinunter und blieb hocken. Dachte an Lisa, Jeanette und Alexa. Ihre besten Freudinnen. Etwas Gutes wollten sie ihr tun. Wie abgrundtief naiv waren sie eigentlich? Das war eine glatte Vergewaltigung gewesen! Dann dachte sie an Ralf Kramer und einige Tränen rannen die Wange hinunter. Einige Minuten später zog sie ihre Hose hoch und knöpfte sie zu. An ihren Fingern klebte Blut. Sie wusch sich am Waschbecken und spülte den Mund aus. Ihre Gedanken schwirrten.

Als sie gerade hinausgehen wollte, kam der Strahl. Sie kotzte auf die Kacheln. Graugrün waren sie, dreckig.

Montag, 27.9.

1

Konrad Mertens, Hausmeister der Novalis-Schule in Bockenheim, war allergisch gegen Dreck. Wenn er nichts anderes zu tun hatte, was selten genug vorkam, fegte er den Schulhof, den Parkplatz, die Wege, leerte die Mülleimer und räumte unnützes Zeug beiseite. Außerdem war er für alle Fassaden- und Gartenarbeiten zuständig. Der gesamte Außenbereich, der nicht klein war, war sein Revier. Und das seit über dreißig Jahren. Lehrer und Lehrerinnen kamen und gingen, Direktoren wechselten und jedes Jahr ging ein ganzer Schülerjahrgang ab. Nur er blieb. Er war eine Institution. Und das befriedigte ihn.

„Picobello“, sagte er gern, und damit meinte er seine Schule, die in Bockenheim lag, einem der westlichen Stadtteile Frankfurts, dem Herz Hessens.

Die heutigen Schüler, empfand Mertens, waren auch nicht mehr das, was sie mal waren. Den meisten war alles egal. Sie warfen wahllos Müll auf den Boden und er musste ihnen hinterher räumen. Wo sie gingen und standen, sah es danach aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Mertens fragte sich oft, wie sie das hinkriegten. ‚Ihr Deiwel‘ nannte er sie für sich, wenn er einen bei einer Schandtat erwischte. Aber er meinte es liebevoll, denn eigentlich mochte er seine Schüler. Nur wenn es um Sauberkeit und Ordnung ging, kannte er keine Freunde.

Insgeheim war es ihm gar nicht so unlieb, dass sie waren, wie sie waren, denn ansonsten hätte er nur halb so viel zu tun gehabt. Fürs Grobe war schließlich er zuständig. Heute früh zum Beispiel war er wie jeden Tag zur Schule geradelt und hatte vom Rad aus entdeckt, dass es gebrannt hatte. Ein Mülleimer war rußgeschwärzt. Einige verkohlte Fetzen lagen davor. Seine Nackenhaare hatten sich sofort aufgestellt. Es tat weh. Er fühlte tatsächlich so etwas wie körperlichen Schmerz, wenn er das mit ansehen musste. Das war wie eine Beleidigung für ihn und sein Ordnungsempfinden bekam eins über die Rübe.

Sie hatten alles Mögliche probiert: Anzeigen, Sicherheitsdienst, Nachtwächter. Aber die Schüler oder andere Krawallmacher und Rabauken waren nicht in den Griff zu kriegen. Es gab einfach zu viele. Sie konnten ihrer nicht Herr werden.

Für heute hatte Mertens sein Pensum bereits überschritten. Er war ja nicht mehr der Jüngste, hatte das eine oder andere Kilo zu viel auf den Rippen und das Säubern des Mülleimers, mit gefletschten Zähnen, hatte ihn Kraft gekostet.

Dennoch nahm er sich nun den Parkplatz vor. Seine eigentliche Aufgabe für den Vormittag. Die Büsche und Hecken mussten zurückgeschnitten werden, das Grünzeug weggebracht und dann musste er, wohl oder übel, fegen. Er musste es erledigen, sonst würde er nachts kein Auge zubekommen. Es war kurz nach zehn. Um eins wollte er durch sein und seinen freien Nachmittag genießen. Er nahm sich vor, dem Kiosk am Weingarten einen Besuch abzustatten und eine Flasche Ebbelwoi – oder auch zwei –mitzunehmen.

Konrad Mertens stand gerade auf der Leiter und schnitt Äste, als er einen Aufschrei hörte, anschließend ein dumpfes Geräusch und Trippelschritte.

Er setzte die Heckenschere ab und blickte sich um, aber es war niemand zu sehen. Dann meinte er ein Stöhnen zu hören oder ein Wimmern, als sei jemand gefallen und habe sich weh getan.

Er entschied nachzusehen. Auf Leitern klettern und wieder absteigen gehörte wahrlich nicht zu seinen Lieblingsaufgaben, zu beschwerlich und mühsam war es, die Knie machten nicht mehr mit und diese verdammte Schwerkraft zog mächtig, schließlich musste der robuste Leib hinauf und hinab bewegt werden.

Er kam heil auf den Pflastersteinen an und wischte sich einige Schweißtropfen von der Stirn. Puhhhh, die Hitze machte ihm schwer zu schaffen. Unnatürlich heiß für Ende September. Sein Biorhythmus hatte sich längst auf Herbst und ruhige Tage eingestellt.

Er legte sämtliche Gerätschaften und Werkzeuge auf einen Haufen, spähte umher und legte eine Hand ans Ohr wie eine Muschel. Nichts zu hören. Hatte er sich getäuscht? War er mittlerweile senil? Nahm er Sachen wahr, die es nicht gab? Das konnte und wollte er nicht glauben und ging weiter, um sich zu überzeugen.

Vom Parkplatz führte ein Weg zum Schulhof. Die Umgebung war nicht einsehbar, hohe Hecken, dichte Büsche und großblättrige Bäume verhinderten einen guten Blick. Das viele Grün mochte er, es war nicht so trostlos grau wie an anderen Schulen der Stadt.

Mertens bog auf den Weg ein und bewunderte die Sauberkeit. Sein Herz schlug höher. Lediglich ein Stück Silberpapier, die Verpackung eines Schokoriegels, störte sein Empfinden. Er hob es auf und steckte es in die Tasche seines Blaumanns. Zufrieden konzentrierte er sich wieder.

Doch je weiter er ging, desto unsicherer wurde er. Da war was. Er hatte sich nicht getäuscht, hielt die Hand an den Mund und rief: „Hallo. Is da wer?“ Ein Vogel antwortete mit Zwitschern, doch das war nicht das, worauf Mertens gehofft hatte. Also rief er wieder: „Hallo. Kann isch helfe?“

Er setzte einen Fuß vor den anderen und ihm wurde etwas mulmig. Es war keine Angst, die er verspürte, aber dennoch packte ihn ein sonderbares Gefühl.

Langsam und bedächtig ging er weiter und hielt die Augen offen. Immer noch war niemand zu sehen. Der Weg machte eine kleine Kurve, durch die er ging, bevor etwas durch die Büsche schimmerte. Dort lag etwas. Auf dem Boden. Es war rot und blau. Mertens rückte seine Brille zurecht, schlich weiter und reckte seinen Hals um die Ecke. Seine Augen weiteten sich. Er erkannte einen Kopf mit blonden Haaren, einen leblosen Körper und starre Augen. Blut blubberte aus einer Wunde. Ein Schrei verpuffte in Mertens‘ Hals.

2

Es war schon fast Mittag als Kommissar Andreas Rauscher von der Frankfurter Mordkommission den Schulhof seiner alten Schule betrat. Das erste Mal nach neunzehn Jahren.

Er fühlte sich sofort jünger. Erinnerungen schwappten hoch und hinterließen eine Gänsehaut. Am letzten Tag vor den großen Ferien zwischen der achten und neunten Klasse hatte er hinter der Turnhalle zum ersten Mal ein Mädchen geküsst. Anja hieß sie. Oder Anne? Er erinnerte sich noch an ihre rosigen Wangen und den Geschmack von Hubba Bubba-Erdbeer. Nach den Ferien hatte sie einen anderen geküsst.

Rauscher schaute sich um. Die Novalis-Schule hatte sich verändert. Die Gebäude waren älter, die Bäume höher, die Schüler größer geworden. So kam es ihm jedenfalls vor. Das Hauptgebäude, in dem die Verwaltung und das Lehrerzimmer untergebracht waren und in dem sich die Aula befand, ragte empor wie eh und je. Säulen zierten den Eingang, die Tür wirkte majestätisch. Es vermittelte den Eindruck einer Einrichtung für klassische Bildung. Rauscher deutete auf den großen Schulhof, den sie gerade hinter sich gelassen hatten.

„Den Basketballkorb gab’s damals noch nicht“, sagte Rauscher zu Jan Krause, Kommissar in seinem Team, der einen braunen Teint aus seinem zweiwöchigen Dänemarkurlaub auf Bornholm mitgebracht hatte. Und auch die eine oder andere Sommersprosse.

Sie liefen weiter Richtung Parkplatz. „Dafür hatten wir einen Bolzplatz mit Toren. Meine glorreichen Zeiten. Drei Dinger hab ich jede Pause gemacht.“ Krause schüttelte den Kopf.

„Wie ich diese Glorifizierung vergangener Zeiten liebe, ne! Schau dich doch mal an: Heute hast du zehn Dinger zu viel ... also Kilo natürlich.“ Rauscher boxte ihm auf den Oberarm.

„Erzähl nicht so einen Mist!“

„Na gut, dann halt neun.“ Er grinste und lief schneller, um Rauschers Schlägen zu entkommen.

Die Szene, die sie dann sahen, holte sie schlagartig auf den Boden der Tatsachen zurück. Sie steuerten auf eine Gruppe Menschen in weißen Overalls zu. Die Spurensicherung, allen voran Wolfgang Andres, ging bereits ihrem Job nach. Andres sah die beiden Kommissare und sagte: „Das Opfer heißt Ralf Kramer.“

Rauscher ging um den Toten herum. Er lag bäuchlings in einer Blutlache auf einem Steinweg, der den Lehrerparkplatz mit dem Schulgelände verband. Hohe Büsche und dichte Bäume säumten den Weg, der von rechts und links nicht einsehbar war. Ideale Stelle, dachte Rauscher.

Ein Mann im Blaumann, graue Schläfen und Oberlippenbart, stand etwas abseits und rief: „Unser Vertrauenslehrer, gell!“.

Rauscher drehte sich zu ihm und blickte ihn an. Von der anderen Seite kam Karsten Quast angelaufen. „Vertrauen ist ein großes Wort“, rief der Gerichtsmediziner und Pathologe in die Runde.

„Wer ist denn der Mann mit Schnauzer?“, fragte Rauscher.

„Konrad Mertens, der Hausmeister“, antwortete Andres. „Hat den Toten entdeckt.“

„Aha“, nickte Rauscher, „mit ihm spreche ich gleich“.

„Wo darf ich anfangen?“, fragte Quast, packte seine Handschuhe aus und zog sie über. Andres lotste ihn an die Seite des Opfers.

„Ein Einstich auf dem Rücken. Von der Tatwaffe fehlt bislang jede Spur. Sieht so aus, als sei der Täter von hinten gekommen und Kramer auf dem Bauch gelandet.“

„Na, dann haben wir ja schon das Täterprofil“, meinte Quast, „ein mieses, feiges Schwein! Irgendwelche Einwände?“ Krause erhob seine Stimme: „Kannst du ungefähr sagen, wie lange er schon da liegt?“ Quast ging in die Knie und inspizierte Augen und Haut des Toten.

„Genau nicht, aber der rigor mortis ist noch nicht voll ausgeprägt, also sicher keine sechs Stunden.“

„Der was?“, fragte Krause.

„Die Leichenstarre“, antwortete Rauscher, „kannst mich auch Cäsar nennen!“ Krause zeigte ihm einen Vogel.

„Würden die Herren Kommissare bitte langsam ernst werden?“, stöhnte Quast und sprach weiter: „Ich kann keine Kampfspuren ausmachen. Scheint sich nicht gewehrt zu haben. Oder anders ausgedrückt: Er ist eiskalt erwischt worden.“

„Hinterrücks erstochen“, Krause pfiff durch die Zähne. „Wer macht sowas? Und vor allem am helllichten Tag auf einem Schulgelände.“

„Übrigens, die gehört ihm“, schaltete sich Andres wieder ein. Er hielt eine Ledertasche hoch. „Handy und Terminkalender sind drin. Werden wir sofort checken. Außerdem ein Satz Klassenarbeiten. Deutsch, neunte Klasse. Ein Raubmord ist sehr unwahrscheinlich, denn sein Portemonnaie steckt noch in der Hose. Ebenso sein Schlüsselbund. Am Finger trägt er einen Ring, der offensichtlich ein paar Euro gekostet hat.“

Rauscher nickte, umrundete die Leiche, betrachtete sie aus allen Perspektiven und ging in die Knie. Die Einstichstelle war deutlich zu erkennen.

„Meinst du, er war sofort tot?“

„Das kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen.“ Quast legte den Kopf etwas schief, als denke er darüber nach. „Sieht jedenfalls so aus, als habe der Täter ziemlich gut getroffen.“

Auf den ersten Blick schien der Tote unerwartet seiner irdischen Existenz beraubt worden, sein Gesicht wirkte, als sei er sich keiner Schuld bewusst. Rauscher nahm seine Jeans und sein blutbespritztes Sweat-Shirt, unter dem ein Hemdkragen hervorschaute, in Augenschein. Markenware, gebügelt und gepflegt. Der Tote war auffallend blond, glattrasiert, die Haut schien eingecremt und sein Haar vor nicht allzu langer Zeit einen Friseur gesehen zu haben. Er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, hier ein Exemplar der Sorte Muttersöhnchen oder auch idealem Schwiegersohn vor sich zu haben.

„Sieht aus, als könne er kein Wässerchen trüben“, sagte Rauscher. Ihm fiel auf, dass der Tote mit dem Kopf Richtung Parkplatz lag. Konnte nur bedeuten, dass er ans Auto wollte. Es sei denn: „Wurde der Mann gedreht?“

„Auf den Bauch?“, fragte Quast.

„Nein. Ich meine, kann es sein, dass sein Kopf erst Richtung Schulhof lag.“

„Theoretisch ja, aber die Spuren deuten nicht darauf hin. Und die Kleidung ist auch nicht verrutscht oder eingerissen.“ Wollte er wegfahren, fragte sich Rauscher. Hatte er keinen Unterricht?

In diesem Moment durchbrach ein Schrei die Stille. Im ersten Stock des Hauptgebäudes war eine Frau ans Fenster getreten:

„Herr Mertens, kommen Sie schnell. Frau Adam ist zusammengebrochen. Der Notarzt ist verständigt. Kommen Sie, kommen Sie schon!“

„Die Direktorin“, sagte Mertens in fragende Gesichter. Rauscher erhob sich und wandte sich an Quast: „Karsten, kannst du nach ihr schauen?“

„Bin für die Toten zuständig!“, raunzte der Pathologe und maß Kramers Temperatur.

Rauscher gab sich einen Ruck, folgte dem aufgeregt davoneilenden Hausmeister und hatte Mühe, Schritt halten zu können.

3

In der dritten Stunde hatten sie Deutsch. Frau Huber, die Deutschlehrerin, war noch nicht erschienen. Karlas feine Freundinnen standen im Kreis vor dem Klassenraum und warteten. Jeanette hatte heute Klunkertag. An jedem Finger trug sie Ringe mit bunten Steinen. Außerdem schmückte ein kleines Krokodil sowohl ihr Polo-Shirt als auch ihre Sneaker. Lisa trat heute bauchfrei und wasserstoffblond auf. Manchmal dachte Karla, sie wechselte öfter die Haarfarbe als ihre Slips. Alexa schien die einzig Normale, allerdings war auch sie gut zu erkennen. Ständig tippte sie auf dem Handy herum und ein Kaugummi ploppte vor ihrem Mund.

Karla trat erst zögerlich, dann zielstrebig hinzu, stellte sich in die Runde und tat, als sei nichts geschehen.

Eisiges Schweigen.

Keine ihrer Freundinnen traute sich, sie anzuschauen. Sie blickten verstohlen zu Boden oder in die Luft. Lisa kramte in ihrer Handtasche herum. Alexa verschickte mehrere SMS und ließ einen Song von Lady Gaga laufen. Jeanette tuschelte mit Lisa, sie vermieden jeden Blick in Karlas Richtung.

Karla blieb still, in sich gekehrt. Sie spürte im Unterleib einen leichten Druck. Ein ungewohntes Gefühl wie beim Blutdruckmessen, wenn das Ding aufgepumpt wird. Nur nicht so fest. Karla meinte, Erics Geschmack noch im Mund zu haben, obwohl sie ihn mehrfach ausgespült hatte. Außerdem erinnerte sie sich an das feuchte Kondom. Und an das, was sie gefühlt hatte. Warum war sie feucht geworden? Im Sexualkundeunterricht hatte sie gelernt, dass Frauen feucht werden, wenn sie erregt sind. Hatte sie die Situation erregt? Es war ihr unangenehm, das merkte sie, aber andererseits hatte sie in einem Girls-Forum gelesen, dass Frauen Sex nur genießen konnten, wenn sie richtig feucht sind. Sie verdrängte den Gedanken und fixierte die Gesichter ihrer Freundinnen.

Mehrere Mitschüler liefen an ihnen vorbei in den Klassenraum oder hinaus, tollten herum. Wie immer. Sie ahnten nicht, was passiert war. Wie sollten sie auch?

Plötzlich hörte sich Karla sagen: „Was habt ihr euch eigentlich dabei gedacht?“ Ihre Stimme klang ruhig und gleichmäßig. Die Worte kamen wie automatisch über ihre Lippen, waren nicht zu stoppen. Einen Augenblick bereute sie, überhaupt etwas gesagt zu haben. Doch als sie ihre besten Freundinnen anblickte, war sie froh darüber. Jeanette lief rot an und stöhnte so laut, dass es ihr kurz darauf peinlich war und sie verlegen wegschaute. Alexa tippte auf ihrem Handy herum, bis ein Song von Usher begann, und fing plötzlich hysterisch an zu lachen. Lisa boxte Karla auf den Oberarm und verzog ärgerlich das Gesicht, bevor sie sagte: „Ey, deine schmachtenden Blicke waren echt nicht länger zu ertragen, besonders die zum Kramer.“ Sie gickelte wie ein Huhn beim Eierlegen. Karla zögerte, rang sich dann aber doch eine Antwort ab: „Warum hat es Eric dir nicht besorgt? Trauste dich nicht?“ Sie konnte einen Moment nicht glauben, was sie gerade gesagt hatte, merkte aber, dass ihre Worte nicht schlecht gewählt waren. Lisas Mund stand offen.

„Fandstes etwa nicht geil?“, platzte Lisa heraus.

„Obergeil, könnt´ schon wieder“, erwiderte Karla, was Lisa umso mehr erboste: „Föhn hier nicht so rum, okay?“

In diesem Moment hielt es Alexa offensichtlich nicht länger aus, drehte sich auf dem Absatz herum und rannte davon, die Treppe hinunter. Sie sahen erschrocken hinterher. Jetzt waren sie noch zu dritt.

Täuschte sie sich oder standen Jeanette Schweißperlen auf der Stirn? Und bei Lisa? War das eine kleine Träne im Augenwinkel? Ihre besten Freundinnen schienen mit der Sache nicht klar zu kommen. Na wartet, dachte Karla, dafür werdet ihr bezahlen. In diesem Moment schoss Frau Huber um die Ecke und trieb sie in den Klassenraum. „Wie oft soll ich euch noch sagen, dass ihr drinnen warten sollt und nicht davor? Setzen, los! Wo ist Alexa?“

„Weggerannt“, rief Jeanette von hinten. Frau Huber zuckte mit den Achseln, tat etwas pikiert und fummelte mit der rechten Hand in ihrem modernen Pagenschnitt, der sich mit dem Rest gar nicht vertrug, denn ihr Klamottenstil, braunes Kleid mit angedeuteten Rüschen, war nicht mehr der Frischeste. Besonders der lange gerade Pony, der zart zur Seite geföhnt war, hätte einer 20-jährigen gut gestanden. Bei Frau Huber wirkte er deplaziert. Oder anders ausgedrückt: Die Friseurin hatte sie wohl letzten Samstag überredet, sich mal was zu trauen, dabei aber vergessen, dass Frau Huber keine Modeberaterin an der Hand hatte, die ihren gesamten Stil aufhübschen und erneuern würde.

Völlig verpeilt, die Frau Lehrerin, dachte Karla, wie immer halt. Sie grinste, saß auf ihrem Platz und versuchte, ihre Umgebung auszublenden. Andauernd musste sie an Eric denken. Und an das Video. Verflixt, das hatte sie ganz vergessen. Sie musste an Lisas Handy herankommen.

Kai, ein Mitschüler, der immer eine Basecap trug und am Fenster saß, holte sie aus ihren Gedanken: „Hey, da unten ist die Polizei. Die sperren den Weg zum Parkplatz ab.“ Im Nu sprangen alle auf und schauten hinaus, bis auf Karla. Frau Huber fuchtelte wild mit den Armen und rief immer wieder: „Setzen! Sofort setzen!“ Niemand scherte sich darum. Nils, der schmächtigste unter den Jungs, deutete mit dem Finger auf mehrere Männer in weißen Overalls: „Das ist die Spurensicherung. Scheiße, Mann. Die kommen doch nur, wenn es ein Verbrechen gegeben hat. Da unten muss ein Tatort sein.“ Frau Huber postierte sich in zweiter Reihe und wollte ebenfalls einige Blicke aus dem Fenster erhaschen.

„Beruhigt euch, bitte. Ich werde sofort nachfragen, was da los ist.“ Sie lief kopfschüttelnd hinaus. „So kann ich doch keinen Unterricht halten!“

In der Zwischenzeit hatte Karla einen Zettel geschrieben und ihn auf Jeanettes Handy gelegt. Sobald sie es in die Hand nahm und anschaltete, würde sie ihn entdecken. Er enthielt nur eine Zeile: „Geiler Typ! Lass es dir auch von ihm machen!“

4

„Umgekippt...“, sagte eine Frau, „...als ich ihr eben von Kramer erzählt habe.“ Ihre Haare waren hochgesteckt, ihr Gesicht kreidebleich. Rauscher schätzte sie auf Anfang 50.

„Und wer sind Sie, bitte?“, wollte er wissen und sah sie mit forschendem Blick an. Er ließ seine Augen über eine wohlproportionierte Figur wandern, die in einem klassischen beigen Kostüm steckte. Ein Hauch Jil Sander Woman schwebte ihm in die Nase.

„Helga Fried, die Schulsekretärin.“ Die Frau setzte sich auf einen Stuhl, fächelte sich mit einer Zeitschrift Luft zu und schaute sorgenvoll zu ihrer Chefin. „Die Direktorin hatte heute früh einen Termin außer Haus und ist später gekommen. Und Herr Mertens war so freundlich, uns gleich zu informieren, nachdem er die Polizei verständigt hatte. Das hat Frau Adam wohl nicht verkraftet.“

Die Schulleiterin lag auf einem Sofa in ihrem Büro. Ein nasses Handtuch lag auf ihrer Stirn. Sie hielt die Augen geschlossen. Ein junger Mann mit kurzen braunen Haaren kümmerte sich um sie. Als Rauscher ihn sah, trat er näher.

„Herr ...?“

„Arnold“, sagte er, „Englisch und Deutsch-LiV.“

„Deutsch was?“

„LiV, die Abkürzung für Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst. Hieß früher Referendar.“

„Ach so. Andreas Rauscher, Mordkommission“, stellte er sich vor. Er schätzte Herrn Arnold auf Ende 20 und wunderte sich, wie leichenblass er war. Entweder hatte Frau Adams Zusammenbruch ihm das Blut aus dem Gesicht weichen lassen oder er war anämisch.

„Kennen Sie sich medizinisch aus, Herr Arnold?“

„Nicht professionell, aber ich habe mehrere Erste Hilfe-Kurse gemacht. So `ne Art Tick von mir.“

„Und können Sie was sagen?“

„Ist nur der Kreislauf. Wäre aber gut, wenn bald jemand käme.“

Herr Mertens blieb im Hintergrund und ließ den angehenden Lehrer machen.

„Haben Sie jemanden gesehen auf dem Parkplatzweg?“, wandte sich Rauscher an den Hausmeister. „Wegrennen zum Beispiel.“

„Nee!“

„Oder irgendwas beobachtet?“

„Isch hab nur mei Hegge geschnidde.“ Rauscher hörte von weitem den Notarztwagen und war erleichtert, dass Frau Adam endlich medizinische Hilfe bekommen würde. Er ging zum Fenster, blieb stehen, strich sich durch die kurzen schwarzen Haare und ließ seinen Blick schweifen. Auf dem Areal um den Parkplatz hantierte noch die Spurensicherung. Die Stelle war mittlerweile weiträumig abgesperrt. Auf dem Schulhof tummelten sich ein paar Schüler und versuchten einige Blicke zu erhaschen. Ansonsten war niemand zu sehen.

Verrückt, dachte er, nach neunzehn Jahren hatte er zum ersten Mal wieder seine alte Schule betreten und ausgerechnet wegen eines Mordfalls. Er nahm den Geruch wahr, der in den Räumen hing und der, so glaubte er jedenfalls, sich nicht im Geringsten verändert hatte. Muffig und abgestanden. Das alte Gebäude hatte nicht nur sein Äußeres bewahrt. Die hohen, kalten Räume. Die Leere. Außer ein paar Regalen und einem Schreibtisch stand nichts im Büro der Schulleiterin. Auf dem Schreibtisch hielt er vergeblich Ausschau nach einem Familienbild oder einem Foto ihres Ehemannes. Überhaupt wirkten der Raum und die Einrichtung sehr unpersönlich. An der Wand hingen exakt dieselben drei Gemälde wie früher. Die Bockenheimer Warte, als sie noch Straßenbahndepot war. Die Novalis-Schule beim 50-jährigen Jubiläum und der Fernsehturm, der inmitten eines Häusermeeres emporragte.

Alles war wie früher. Und doch war alles anders.

5

Frau Huber ließ auf sich warten. In der Klasse herrschte neugierige Anspannung. Polizei in der Schule kam nicht jeden Tag vor. Die Blässe in einigen Gesichtern deutete Unsicherheit an. Manchen schien es etwas flau im Magen zu sein. Andere überspielten ihre Gefühle, indem sie wild durch den Klassenraum rannten und herumschrien. Einer schrieb das Wort „PolizeiPussy“ an die Tafel und lachte über seinen Einfall. Eine Schülerin wischte es mit dem Schwamm ab und zeigte ihm voller Empörung einen Vogel.

Als Jeanette den Zettel auf ihrem Handy las, weiteten sich ihre Augen, doch dann verengte sie sie zu Schlitzen. Sie blickte Karla an, zerriss den Zettel, erhob sich und warf die Reste in den Papierkorb. Mit den Händen in den Taschen schlenderte sie durch die Reihe bis vor Karlas Platz und blieb direkt vor ihr stehen.

Karla schaute hoch und lehnte sich entspannt zurück.

„Hey“, sagte Jeanette, „wir dachten echt, du freust dich.“

„Spitzenidee von euch“, hörte sich Karla sagen. „Kurz und schmerzlos.“ Shit, dachte sie sofort danach, der Satz war danebengegangen. Sie wollte sich möglichst cool geben, aber es war misslungen. Darum fügte sie an: „Daran könnte ich mich gewöhnen.“ Sie zwinkerte mit den Augen.

„Sag mal, spinnst du jetzt?“, fragte Jeanette. „Mach bitte kein Drama daraus.“

„Soll ich mich etwa bei euch bedanken?“

„Warum nicht? Irgendwann musste es ja passieren.“ Karla schüttelte den Kopf. So einfältig konnte Jeanette nicht sein. So ganz ohne Gefühl. Nein, das war nicht ihre Freundin. Oder hatte sie sich so in ihr und den anderen getäuscht?

„Stimmt!“, beeilte sie sich deshalb zu sagen. „Aber wann, wo und vor allem mit wem hätte ich mir gerne selbst ausgesucht. Ihr seid keine Freundinnen, ihr seid Scheiße!“

Karla stand auf, spuckte vor ihr auf den Boden, machte kehrt und ging. Draußen holte sie ihr Handy aus der Tasche und tippte eine SMS an Dennis, der seit einem Jahr auf sie stand. Treffen halb eins unter dem Lindenbaum. Wäre doch gelacht, wenn er ihr nicht helfen würde.

6

Rauscher überlegte, wo er ansetzen sollte. Er fragte die Sekretärin, ob es möglich sei, alle Lehrer per Lautsprecher ins Lehrerzimmer zu beordern.

Frau Fried ging zu Frau Adam und wechselte einige Worte mit ihr. Kurz darauf stand die Sekretärin vor Rauscher: „Wir geben den Schülern frei und rufen die Lehrer im Lehrerzimmer zusammen. Dauert nicht lange.“ Sie ging in den Nebenraum und keine Minute später erklang die Ansage.

Rauscher rief aus dem Direktorenbüro Krause per Handy an und erteilte einige Anweisungen. Krause und weitere Beamte der Mordkommission sollten sich im Lehrerzimmer postieren und das gesamte Kollegium befragen, wer wann was gesehen und ob jemand morgens auf dem Parkplatzweg etwas beobachtet hatte.

Inzwischen kümmerte sich ein Arzt um Frau Adam. Herr Arnold stand daneben und schaute zu. Schmales Hemd, dachte Rauscher, als er ihn von oben bis unten musterte, und das meinte er nicht bezogen auf das Stück Stoff, das er am Oberkörper trug. LiV Arnold war richtiggehend dünn und lang, knapp 1,90 m schätzte er. Sein blasses Gesicht passte zu seiner ebenfalls blassen Erscheinung.

Da es noch dauern würde, bis er mit Frau Adam sprechen konnte, wandte sich Rauscher an Frau Fried: „Können Sie mir etwas über Herrn Kramer sagen?“ Frau Fried, die auf ihrem Schreibtischstuhl gesessen und den Arzt beobachtet hatte, stand auf und schaute ihn mit großen Augen an: „Ja, schon. Aber ... aber ich muss das erst mal sacken lassen.“ Ihre Stimme klang wie Heintje im Stimmbruch.

„Das verstehe ich gut, beruhigen Sie sich bitte. Ich brauche dringend Informationen. Können wir uns darauf einigen, dass ich weitere Fragen stelle und sie versuchen zu antworten, okay?“ Frau Fried nickte verhalten. Sie holte ein Tempo aus einer frischen Packung, setzte die Brille ab und wischte sich eine Träne aus dem Auge.

„War Herr Kramer verheiratet?“

„Nein. Wieso?“ Sie schmunzelte.

„Gut, wie lange war Herr Kramer schon an der Schule?“

„Erst seit einem Jahr etwa. Er ist damals hierher versetzt worden. In seiner alten Schule gab es Probleme.“

„Versetzt, aus welchem Grund?“

„Den genauen kann ich Ihnen nicht sagen, da müssen Sie die Chefin fragen.“

„Welche Fächer unterrichtete er?“

„Ich glaube Deutsch und Glück.“

„Wie bitte? Glück?“

„Ja, Glück.“

„Also kann man Glück jetzt lernen?“

Frau Fried zuckte die Achseln, tupfte sich hin und wieder die Augen und zog, nicht sehr ladylike, die Nase hoch. „Seit ein paar Jahren, soweit ich weiß.“ Wie praktisch, dachte Rauscher, und nahm sich vor, sich kundig zu machen.

„Aber Frau Adam kennt sich da besser aus“, fügte Frau Fried hinzu. „Tut mir leid, wenn ich ein wenig einsilbig bin, aber ... aber das geht mir ganz schön ans Gemüt.

„Wir machen trotzdem weiter. Wenn Sie gar nicht mehr können, sagen Sie Bescheid.“ Ein zögerliches Nicken signalisierte Frau Frieds Einverständnis. „Gab es in letzter Zeit irgendwelche besonderen Vorkommnisse an der Schule, insbesondere in Bezug auf Herrn Kramer?“

„Ha“, sagte sie nun schnippisch, „besondere Vorkommnisse gibt’s hier jeden Tag. Mehrfach sogar. Sie glauben ja nicht, was hier los ist. Aber mit Herrn Kramer hatte das alles nichts zu tun. Jedenfalls ist mir nichts bekannt.“

„Hatte er Feinde hier an der Schule?“

„Feinde? Wie meinen Sie das?“

„Schüler, die nicht mit ihm zurechtkamen. Oder Lehrerkollegen. Gab es Probleme irgendwelcher Art?“

„Nein“, sie überlegte. „Herr Kramer war ein sehr angesehener Lehrer. Soviel ich weiß, sehr beliebt. Gerade bei den Schülern. Deshalb ist er ja auch Verbindungslehrer geworden.“

„Verbindungslehrer? Ist das auch sowas Neumodisches?“

„Ich sage auch meistens noch Vertrauenslehrer, so hieß das früher. Er unterstützt die Schülervertretung bei Problemen. Aber dazu müssen Sie besser Frau Adam fragen.“ Wollte Rauscher ja, ging aber momentan noch nicht. „Außerdem“, fuhr Frau Fried fort, „hat Herr Kramer seit dem neuen Schuljahr die Stelle eines Oberstudienrates bekommen.“

Der Arzt packte seine Utensilien zusammen und erhob sich.

„Sie braucht jetzt Ruhe“, sagte er zu Frau Fried. „Ist aber halb so wild, wir müssen sie nicht mitnehmen. Am besten, Sie rufen ein Taxi, das sie heimfährt.“ Dr. Kaminski, erkannte Rauscher anhand seines Schildes, wollte sich gerade verabschieden, als Rauscher ihn ansprach: „Wann wird sie vernehmungsfähig sein?“

„In ein, zwei Stunden sollte es gehen, wenn Sie vorsichtig fragen.“ Er grinste, hob die Hand und ging hinaus.

Rauscher bot Frau Fried an, sich um Frau Adam zu kümmern und sie nach Hause zu fahren: „Mein letztes Date mit einer Direktorin liegt schon eine Weile zurück.“ Er zwinkerte Frau Fried zu. Sie schmunzelte, doch plötzlich zappelte sie auf ihrem Stuhl herum: „Ach herrje, die Konferenz heute Mittag“, sagte sie. „Es geht um einen Schulverweis für einen Schüler. Die muss ich absagen. Außerdem…“ Sie zögerte und tat, als überlege sie geschwind, „…die Theater AG. Frau Adams Leidenschaft. Sie leitet sie persönlich. Muss ich wohl auch absagen.“

„Aber vorher drucken Sie bitte eine Liste mit den Namen aller Lehrer und Schüler aus und geben Sie sie meinen Kollegen im Lehrerzimmer.“ Frau Fried stöhnte zwar, nickte aber gleichzeitig und wandte sich ihrem Computer zu.

Rauschers Handy klingelte und er schaute aufs Display. Elke. Er nahm an und hörte eine besorgte Stimme: „Wo bist du?“

„Novalis-Schule.“

„Ach, deshalb bist du nicht im Büro. Was ist denn passiert?“

„Toter Lehrer.“

„Oh, klingt nach Arbeit. Ich wär gerne dabei.“

„Musst dich wohl noch gedulden. Wie geht’s meinem Rauscherchen?“

„Mäxchen brauchte heute schon drei Windeln. Kannst du nach Feierabend welche besorgen? Tina und Sybille kommen gleich mit ihrem Nachwuchs, da kann ich nicht einkaufen gehen.“

„Tina und Sybille?“

„Ja, Tina aus dem Schwangerschaftskurs und Sybille aus dem Krankenhaus.“ Rauscher erinnerte sich, wenn auch nur schemenhaft.

„Viel Spaß, bei mir kann‘s aber spät werden“, fügte er hinzu.

„Wirst ja wohl zwischendurch zehn Minuten für deinen Sohn erübrigen können.“

„Klar. Und sonst?“

„Eine Frau Heller hat hier angerufen.“ Rauscher gefror das Blut in den Adern. Sein One-Night-Stand. Sein Ausrutscher, sein Albtraum! Verflixt nochmal, warum rief sie bei ihm zu Hause an?

„W…wer?“, stotterte er.

„Tanja Heller. Sie wollte dich sprechen. Ich hab ihr deine Büronummer gegeben. Wer ist das überhaupt?“

„Eine Kollegin. Sie hat uns im Robin-Fall unterstützt.“ Er zögerte. „Hat sie gesagt, was sie will?“

„Dich sprechen. Mehr nicht.“ Rauscher beruhigte sich etwas.

„Okay, dann bis heute Abend.“ Rauscher klickte das Gespräch weg. Er hatte nicht mal erwähnt, dass sie Max einen Kuss von ihm geben solle. Auf dem Handy fand er keinen Anruf. Tanja hatte die Nummer sicher noch. Also was sollte das?

7

Fünf nach halb eins und immer noch keine Spur von Dennis. Wo blieb ihr Verehrer? Eigentlich musste sie noch Hausaufgaben machen, aber sie hatte keinen Nerv, diesen beschissenen deutschen Dativ im letzten Diktat grün zu unterstreichen.

Karla saß auf einer Parkbank auf dem Spielplatz am Hessenplatz und beobachtete zwei Eichhörnchen, die Fangen spielten oder auf der Jagd nach Kastanien waren. Zwei Mütter tauschten in einiger Entfernung Weisheiten über die Erziehung ihrer Zweijährigen aus und schienen in allem übereinzustimmen, denn sie nickten sich ununterbrochen gegenseitig zu.

Sie schaltete ihren MP3-Player ein. Usher, yeahhh, das groovte und fegte böse Gedanken aus ihrem Kopf. Er rappte sich die Seele aus dem Leib, sang von Love und dreckigem Sex. Doch das holte sie ruckzuck auf den Boden zurück und sie war wieder auf der Schultoilette der Novalis-Schule, roch den Urinstein, das Putzmittel. Und es würgte sie wieder. Zum Glück musste sie nicht mehr kotzen.

Heimzahlen, dachte sie. Ja, ihren Freundinnen. Jeanette, der blöden Zimtzicke. Lisa und Alexa natürlich, den beiden Pienzchen. Sie musste unbedingt Lisa anrufen, um an das Video zu kommen. Obwohl sie ihr nie im Leben zutrauen würde, dass sie das Video jemandem zeigt. Alexa auch nicht. Nur bei Jeanette war sie nicht sicher. Aber die beiden anderen würden sie schon im Zaum halten.

Wer wohl die Idee hatte? Hatte Jeanette die beiden überredet? Sie wusste es nicht, aber sie würde es rausfinden. Und Eric, dieses käufliche Schwein? Sollte sie ihn anzeigen? Kam nicht infrage, dann würden es alle erfahren. Das wollte sie auf keinen Fall. Sie würde sich für ihn etwas anderes einfallen lassen. Er hatte ihr etwas Kostbares genommen. Ihre Unschuld, die sie sich für den Richtigen aufsparen wollte.

Sie drückte Usher weg und wählte Adele. Set fire to the rain. Sie sang mit. And it burns, and it burns. Und plötzlich musste sie an Herrn Kramer denken. Wie so oft in den letzten Wochen. Manchmal glaubte sie, ihre Gefühle für ihn waren übermenschlich. Vor einem Jahr, als er an die Schule gekommen war, hatte sich ihr Leben von Grund auf geändert. Seit er sie in Glück unterrichtete, hatte es plötzlich einen Sinn. Und seit sie zum ersten Mal seine Sprechstunde besucht hatte, wäre sie am liebsten immer in seiner Nähe gewesen. Sie hätte sich nie träumen lassen, dass ihr ein Lehrer mal so sympathisch sein könnte. Sein perfektes Lächeln, seine sanfte Stimme und sein chilliges Auftreten. Da war wieder dieses Gefühl, das ihr durch Mark und Bein fuhr. Sie seufzte. Und fröstelte etwas.

Dennis schlenderte herbei. Der Oberkörper und die Arme rappten, als stehe er auf einer Bühne. Die Hose hing unter dem Hintern. Karla hatte sich immer gefragt, wie er es anstellte, dass sie nicht zu Boden rutschte.

Wie im Reflex nahmen beide zeitgleich die Stöpsel aus dem Ohr.

„Hi. Wasnlos?“, fragte er, grüßte schüchtern mit erhobener Hand, rückte seine Basecap gerade und setzte sich neben Karla auf die Banklehne. Allerdings wahrte er Abstand. Aus Respekt. Sie hatte ihm vor zwei Monaten auf einer Party unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass sie nicht wünschte, von ihm angebaggert zu werden. Und angegrabscht schon gar nicht. Seitdem war er zurückhaltend, fast ehrfürchtig. Ihre Nähe suchte er trotzdem, mehrfach hatte er ihr gesagt, dass er sie cool fand und mit ihr gehen wollte.

„Ich muss dir was erzählen“, platzte sie heraus.

„Ach? Hastes auch schon gehört von deinem Kramer?“

„Nein.“ Sie hielt inne, schaute ihn unsicher an. „Was, was ist mit ihm?“ Ihre Stimme vibrierte.

„Na, wegen ihm war doch die Polizei auf dem Schulhof.“ Karla machte große Augen und schwankte ein wenig. „Tot isser“, fuhr Dennis fort. „Erstochen!“ Beim Wort „tot“ zuckte Karla so heftig zusammen, dass sie fast rückwärts von der Bank gefallen wäre und sich gerade noch abfangen konnte. Was folgte, war ein unbeschreiblicher Augenblick der Stille. Selbst die Muttis auf dem Spielplatz und die Vogelstimmen in den Bäumen ringsum schienen schlagartig verstummt.

Karla spürte einen heftigen Schmerz im Magen und hatte unweigerlich Erics offenen Hosenstall in der Klokabine vor Augen. Ihr wurde schwindelig und zudem riss sie eine Art Schweißausbruch aus der Bahn, den sie von sich überhaupt nicht kannte, bevor sie fast schrie.

„Scheiße! Kramer, echt?“ Frau Huber hatte ihnen freigegeben, aber mit keinem Wort Kramer erwähnt. Danach hatte sich Karla schnell aus dem Staub gemacht, denn sie wollte weder Jeanette, noch Lisa oder Alexa und schon gar nicht Eric begegnen.

„Ja“, sagte Dennis und hängte ein höhnisches Grinsen an. Karla zitterte, wollte nachfragen, mehr erfahren, wissen, woher Dennis das wusste, aber sie brachte kein Wort mehr über die Lippen. Stattdessen versuchte sie aus Dennis‘ Gesicht zu lesen, ob es ihm Freude machte, ihr diese Information zu überbringen, obwohl er doch ahnen musste, wie es sie treffen würde. Dennis war in dieser Hinsicht ein Schwein. Und in sie verliebt. Und er wusste auch um ihre Gefühle für Herrn Kramer.

„Du willst mich verarschen! Sag, dass du mich verarschst!“ Panik schwang mit. Angst und Entsetzen. Ihr Lieblingslehrer. Ihr Traumtyp. Sie hatte seine Stimme in der Klokabine von draußen deutlich gehört, als sich Eric an ihr verging.

Sie sprang auf, stand direkt vor Dennis, rüttelte und schüttelte ihn, schlug auf ihn ein, voller Verzweiflung. Immer wieder, bis er ihre Hände zu fassen bekam, den Kopf hob und sie ernst ansah.

„Bist du behindert oder was?“ Dann schwieg er, scheinbar hatte auch er kein gutes Gefühl dabei.

Als sie sich wieder einigermaßen gefangen hatte und Dennis mit starren Augen anschaute, wusste sie mit einem Mal, dass er nicht scherzte. Sie schlug sich die Hände vor den Mund, verspürte erneut Brechreiz. Tränen standen in den Augen. Ralf Kramer tot? Das konnte nicht wahr sein. Wer hätte ihm was antun können? Dem schönsten, besten, klügsten und vor allem einfühlsamsten Lehrer, den sie jemals gehabt hatte.

Ihre Gedanken schlugen Flic Flacs und ihr wurde bewusst, dass sie Dennis brauchen würde. Sie durfte nicht zu abweisend sein, obwohl sie sicher war, dass er ihr ohnehin aus der Hand fressen würde. Sie hielt einen Moment die Augen geschlossen. Dann löste sie die Spange, die ihre schwarzen Haare zusammenhielten. Nach kurzem Schütteln fielen sie leicht über die Schultern und ihre ganze Haarpracht kam zur Geltung.

„Hältst du bitte kurz meine Hand?“, hörte sie sich sagen. Ihr Mund blieb ein wenig geöffnet, sie schluchzte leicht und wischte eine kleine Träne aus dem Augenwinkel. Neben Angst und Trauer machte sich immer mehr ein weiteres Gefühl bemerkbar: Wut!

Dennis hingegen schien unsicher, packte dann aber doch zu. Zu verlockend die Aussicht auf eine Berührung. Kaum spürte er ihre Haut, hatte er das Gefühl, sie würden verschmelzen. Er grinste, wollte sie nach Kramer fragen, ließ es aber bleiben. Diesen Augenblick durfte er nicht zerstören mit diesem Penner. Er wusste genau, dass sie den Glücks-Lehrer sehr gemocht hatte. Oder sogar mehr. Heimlich war sie vielleicht in ihn verknallt, obwohl sie es mehrfach abgestritten hatte. Aber wer würde schon zugeben, sich in einen Lehrer verguckt zu haben? Ausgerechnet Karla, hatte er sich immer wieder gesagt. Jede andere Tussi an dieser gottverdammten Schule hätte von ihm aus mit allen Lehrern was anfangen können. Nur eben Karla nicht.

Und dann konnte sich Karla nicht mehr bremsen. Sie öffnete den Mund und es sprudelte nur so aus ihr heraus. Begleitet von vielen, vielen Tränen erzählte sie so sachlich wie möglich von dem morgendlichen Vorfall auf der Schultoilette, von der nassen Rauchzunge, die wieder und wieder in ihrem Mund gekreist war, von ihren entzückenden Freundinnen, die ständig gekichert hatten, ihr etwas Gutes tun wollten und sie verkauft hatten. Sie verschwieg keinen Namen und kein Ekelgefühl, an manchen Stellen übertrieb sie sogar etwas. Nur die Vergewaltigung sparte sie aus. Das war ihr zu peinlich. Sie erzählte lediglich, dass Kramer gekommen war und die Sache beendet hatte. Obwohl sie Dennis mit der ganzen Wahrheit sicher bis zur Weißglut angestachelt hätte.

Doch es reichte auch so. Beim Zungenkuss schäumte Dennis bereits und bei der Stelle mit dem Finger im Slip kochte er, sprang auf und schrie, sie solle verdammt nochmal still sein.

Das Video erwähnte sie vorsichtshalber auch nicht.

8

Ihr Blick glitt über das Schulgelände bis zum Parkplatz. Vom Schulhof sahen die Männer in ihren weißen Overalls aus wie kleine Playmobil-Männchen. Süß irgendwie. Sie wuselten über den Parkplatz, untersuchten jeden Strauch, drehten jedes Blatt herum. Was suchten sie eigentlich so lange?

Für einen Moment stand die Welt still und alles schien aus dem Gedächtnis getilgt. Ihre Trauer. Ihr Neid. Ihre Wut. Der Hass.