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Elfriede Jelinek

Die Liebhaberinnen

Roman

Rowohlt Digitalbuch

Inhaltsübersicht

Über Elfriede Jelinek

Elfriede Jelinek, geboren in Mürzzuschlag, Steiermark. Aufgewachsen in Wien. Lebt in Wien und München. Für ihr Werk, das Romane ebenso umfasst wie Theaterstücke, Lyrik, Essays, Übersetzungen, Hörspiele, Drehbücher und Opernlibretti, erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, darunter 1998 den Georg-Büchner-Preis, 2003 den Else-Lasker-Schüler-Preis für ihr dramatisches Gesamtwerk und 2004 den Franz-Kafka-Literaturpreis.

 

Ebenfalls 2004 wurde ihr der Nobelpreis für Literatur verliehen.

Über dieses Buch

Auch in diesem Roman der österreichischen Autorin fasziniert das buchstäblich unheimliche Talent, Alltagsgeschichten auf den Grund zu gehen. Welche Entfaltungsmöglichkeiten hat eine Arbeiterin? Sie kann einen Mann heiraten, der ihr den gesellschaftlichen Aufstieg garantiert. Doch wie andere Möglichkeiten, so sind auch sozial attraktive Männer rar, und die attraktivsten sind schon vergeben. So setzt zwischen zwei «Liebhaberinnen» ein Konkurrenzkampf auf Leben und Besserleben ein, der mit Wucht ausgetragen wird.

 

«Beide ‹Liebhaberinnen› sind die Betrogenen. ‹wenn einer ein schicksal hat, dann ist es ein mann. wenn einer ein schicksal bekommt, dann ist es eine frau.› ... Bestechend an dieser Schriftstellerin ist die Genauigkeit und Schärfe, mit der sie in eine Welt falscher Glücksvorstellungen eindringt.» (Frankfurter Rundschau)

Impressum

Rowohlt Digitalbuch, veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Oktober 2012

Copyright © 1975 by Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Neuausgabe des 1975 in der Reihe «das neue buch» erschienenen Titels

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages

Umschlaggestaltung Barbara Hanke

Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved. Bitstream Vera is a trademark of Bitstream, Inc.

ISBN Buchausgabe 978-3-499-12467-9 (33. Auflage 2012)

ISBN Digitalbuch 978-3-644-46461-2

www.rowohlt-digitalbuch.de

ISBN 978-3-644-46461-2

vorwort:

kennen Sie dieses SCHÖNE land mit seinen tälern und hügeln?

es wird in der ferne von schönen bergen begrenzt. es hat einen horizont, was nicht viele länder haben.

kennen Sie die wiesen, äcker und felder dieses landes? kennen Sie seine friedlichen häuser und die friedlichen menschen darinnen?

mitten in dieses schöne land hinein haben gute menschen eine fabrik gebaut. geduckt bildet ihr alu-welldach einen schönen kontrast zu den laub- und nadelwäldern ringsum. die fabrik duckt sich in die landschaft.

obwohl sie keinen grund hat, sich zu ducken.

sie könnte ganz aufrecht stehen.

wie gut, daß sie hier steht, wo es schön ist und nicht anderswo, wo es unschön ist.

die fabrik sieht aus, als ob sie ein teil dieser schönen landschaft wäre.

sie sieht aus, als ob sie hier gewachsen wäre, aber nein! wenn man sie näher anschaut, sieht man es: gute menschen haben sie errichtet. von nichts wird schließlich nichts.

und gute menschen gehen in ihr ein und aus. anschließend ergießen sie sich in die landschaft, als ob diese ihnen gehören würde.

die fabrik und das darunterliegende grundstück gehören dem besitzer, der ein konzern ist.

die fabrik freut sich trotzdem, wenn frohe menschen sich in sie ergießen, weil solche mehr leisten als unfrohe.

die frauen, die hier arbeiten, gehören nicht dem fabrikbesitzer.

die frauen, die hier arbeiten, gehören ganz ihren familien.

nur das gebäude gehört dem konzern. so sind alle zufrieden.

die vielen fenster blitzen und blinken wie die vielen fahrräder und kleinautos draußen. die fenster sind von frauen geputzt worden, die autos meistens von männern.

alle leute, die zu diesem ort gekommen sind, sind frauen.

sie nähen. sie nähen mieder, büstenhalter, manchmal auch korsetts und höschen.

oft heiraten diese frauen oder sie gehen sonstwie zugrunde. solange sie aber nähen, nähen sie. oft schweift ihr blick hinaus zu einem vogel, einer biene oder einem grashalm.

sie können manchmal die natur draußen besser genießen und verstehen als ein mann.

eine maschine macht immer eine naht. es wird ihr nicht langweilig dabei. sie erfüllt dort ihre pflicht, wohin sie gestellt ist.

jede maschine wird von einer angelernten näherin bedient. es wird der näherin nicht langweilig dabei. auch sie erfüllt eine pflicht.

sie darf dabei sitzen. sie hat viel verantwortung, aber keinen überblick und keinen weitblick. aber meistens einen haushalt.

manchmal am abend fahren die fahrräder ihre besitzerinnen nach hause.

heim. die heime stehen in derselben schönen landschaft.

hier gedeiht zufriedenheit, das sieht man.

wen die landschaft nicht zufrieden machen kann, den machen die kinder und der mann vollauf zufrieden.

wen die landschaft, die kinder und der mann nicht zufrieden machen kann, den macht die arbeit vollauf zufrieden.

doch unsre geschichte beginnt ganz woanders: in der großstadt.

dort steht eine zweigstelle der fabrik, oder besser, dort steht die hauptstelle der fabrik und jene stelle im voralpengebiet ist die zweigstelle.

auch hier nähen frauen, was ihnen liegt.

sie nähen nicht, was ihnen liegt, sondern das nähen an sich liegt den frauen schon im blut.

sie müssen dieses blut nur noch aus sich herauslassen.

hier handelt es sich um eine ruhige weibliche arbeit.

viele frauen nähen aus halbem herzen, die andre herzenshälfte nimmt ihre familie ein. manche frauen nähen aus ganzem herzen, das sind nicht die allerbesten, die das tun.

in der städtischen insel der ruhe beginnt unsre geschichte, die bald wieder zu ende ist.

wenn einer ein schicksal erlebt, dann nicht hier.

wenn einer ein schicksal hat, dann ist es ein mann. wenn einer ein schicksal bekommt, dann ist es eine frau.

leider geht hier das leben an einem vorbei, nur die arbeit bleibt da. manchmal versucht eine der frauen, sich dem vorbeigehenden leben anzuschließen und ein wenig zu plaudern.

leider fährt dann das leben oft mit dem auto davon, zu schnell fürs fahrrad. auf wiedersehn!

anfang:

eines tages beschloß brigitte, daß sie nur mehr frau sein wollte, ganz frau für einen typ, der heinz heißt.

sie glaubt, daß von nun an ihre schwächen liebenswert und ihre stärken sehr verborgen sein würden.

heinz findet aber nichts liebenswertes an brigitte, auch ihre schwächen findet er nur ekelhaft.

brigitte pflegt sich jetzt auch für heinz, denn wenn man eine frau ist, dann kann man von diesem weg nicht mehr zurück, dann muß man sich auch pflegen. brigitte möchte, daß die zukunft es ihr einmal durch ein jüngeraussehen danken wird. vielleicht hat brigitte aber gar keine zukunft. die zukunft hängt ganz von heinz ab.

wenn man jung ist, dann sieht man immer jung aus, wenn man älter ist, dann ist es sowieso zu spät. wenn man dann nicht jünger aussieht, dann heißt das erbarmungslose urteil für die umwelt: kosmetisch in der jugend nicht vorgesorgt!

also hat brigitte etwas getan, das in der zukunft wichtig sein wird.

wenn man keine gegenwart hat, muß man für die zukunft vorsorgen.

brigitte näht büstenhalter. wenn man eine kurze naht macht, muß man viele davon machen, vierzig sind jedenfalls das absolute minimum in der akkordvorgabe. wenn man eine kompliziertere längere naht macht, muß man entsprechend weniger machen. das ist sehr human und gerecht.

brigitte könnte viele arbeiter bekommen, sie will aber den einzigen heinz bekommen, der ein geschäftsmann werden wird.

das material ist nylonspitze mit einer dünnen portion schaumgummi unterlegt. ihre fabrik hat viele marktanteile, die im ausland sind, und viele näherinnen, die aus dem ausland kommen. viele näherinnen scheiden aus durch heirat, kindesgeburt oder tod.

brigitte hofft, daß sie einmal durch heirat und kindesgeburt ausscheiden wird. brigitte hofft, daß heinz sie hier herausholen wird.

alles andre wäre ihr tod, auch wenn sie am leben bleibt.

vorläufig hat b. noch nichts als ihren namen, im lauf der geschichte wird brigitte den namen von heinz bekommen, das ist wichtiger als geld und besitz, das kann geld und besitz herbeischaffen.

das richtige leben, das sich äußern darf, wenn es gefragt wird, das richtige leben ist das leben nach der arbeit. für brigitte ist leben und arbeit wie tag und nacht. hier wird also mehr von der freizeit die rede sein.

heinz heißt in diesem speziellen fall das leben. das richtige leben heißt nicht nur heinz, es ist es auch.

außer heinz gibt es nichts. etwas, das besser ist als heinz, ist für brigitte absolut unerreichbar, etwas, das schlechter ist als heinz, will brigitte nicht haben. brigitte wehrt sich verzweifelt mit händen und füßen gegen den abstieg, der abstieg, das ist der verlust von heinz.

brigitte weiß aber auch, daß es keinen aufstieg für sie gibt, es gibt nur heinz oder etwas schlechteres als heinz oder büstenhalternähen bis ans lebensende. büstenhalternähen ohne heinz bedeutet jetzt schon lebensende.

es ist absolut dem zufall überlassen, ob brigitte lebt, mit heinz, oder dem leben entkommt und verkommt.

es gibt keine gesetzmäßigkeiten dafür. das schicksal entscheidet über das schicksal von brigitte. nicht was sie macht und ist, zählt, sondern heinz und was er macht und ist, das zählt.

brigitte und heinz haben keine geschichte. brigitte und heinz haben nur eine arbeit. heinz soll die geschichte von brigitte werden, er soll ihr ein eigenes leben machen, dann soll er ihr ein kind machen, dessen zukunft wiederum von heinz und seinem beruf geprägt sein wird.

die geschichte von b. und h. ist nicht etwas, das wird, sie ist etwas, das plötzlich da ist (blitz) und liebe heißt.

die liebe kommt von der seite von brigitte. sie muß heinz davon überzeugen, daß die liebe auch von seiner seite her kommt. er muß erkennen lernen, daß es für ihn ebenfalls keine zukunft ohne brigitte geben kann. es gibt natürlich für heinz schon eine zukunft, und zwar als elektroinstallateur. das kann er haben, auch ohne brigitte. elektrische leitungen kann man legen, ohne daß b. überhaupt vorhanden ist. ja sogar leben! und bowling oder kegeln gehen kann man ohne brigitte.

brigitte hat jedoch eine aufgabe.

sie muß heinz ständig klar machen, daß es ohne sie keine zukunft für ihn gibt, das ist eine schwere anstrengung. außerdem muß nachdrücklich verhindert werden, daß heinz vielleicht seine zukunft in jemand andrem sehen könnte. davon später.

das ist eine anstrengende, aber erfolgversprechende situation.

heinz will und wird einmal ein eigener kleiner unternehmer mit einem eigenen kleinen unternehmerbetrieb sein, bzw. werden. heinz wird einmal anschaffen, brigitte bekommt angeschafft. brigitte läßt sich lieber von ihrem eigenen mann in seinem eigenen geschäft, das auch ein wenig ihr eigenes geschäft sein wird, anschaffen.

wenn heinz nur nicht eines tages eine höhere schülerin wie zum beispiel susi kennenlernen wird! wenn heinz nur nicht, um gotteswillen, eines tages glaubt, daß jemand, der besser ist als es brigitte je sein wird, daß so jemand auch für ihn selbst besser ist.

wenn heinz das bessere findet, soll er es wieder auslassen. am besten, er lernt es gar nicht erst kennen, das ist auch sicherer.

wenn brigitte an ihrer nähmaschine sitzt und stretchsticht, schaumgummi und steife spitze unter den fingern fühlt, den modefarbenen neuen hexlein-bh, dann hat sie alpträume wegen jemand, den es noch gar nicht gibt, der aber heinz trotzdem in gestalt von etwas besseren über den weg laufen könnte.

nicht einmal bei der arbeit hat brigitte ihre ruhe.

sogar bei der arbeit muß sie arbeiten.

sie soll bei der arbeit nicht denken, etwas in ihr denkt jedoch ununterbrochen.

brigitte kann aus ihrem eigenen leben nichts besseres machen. das bessere soll vom leben von heinz herkommen. heinz kann brigitte von ihrer nähmaschine befreien, das kann brigitte von selbst nicht.

aber sie hat keine sicherheit dafür, weil das glück ein zufall und nicht ein gesetz oder die logische folge von handlungen ist.

brigitte will ihre zukunft gemacht bekommen. sie kann sie nicht selber herstellen.

die geschichte, wie die beiden einander kennengelernt haben, ist unwichtig. die beiden selber sind unwichtig. sie sind geradezu symptomatisch für alles, was unwichtig ist.

oft begegnen einander auch studenten und studentinnen, was beinahe identisch ist, bis auf das geschlecht. oft kann man über solche begegnungen aufregende geschichten erzählen.

solche leute haben manchmal sogar eine lange vorgeschichte.

obwohl brigittes vorgeschichte denkbar ungünstig für eine künftige vermögensbildung ist, hat sie dennoch heinz kennengelernt, in dessen händen sich einmal vermögen bilden wird.

brigitte ist die uneheliche tochter einer mutter, die dasselbe näht wie brigitte, nämlich büstenhalter und mieder.

heinz ist der eheliche sohn eines fernfahrers und seiner frau, die zuhausebleiben durfte.

trotz dieses klaffenden unterschiedes haben einander b. und h. kennengelernt.

in diesem speziellen fall bedeutet ein kennenlernen ein entkommenwollen, bzw. ein nichtauskommenlassen und festhalten.

heinz hat etwas gelernt, das ihm einmal die ganze welt öffnen wird, nämlich elektroinstallateur.

brigitte hat niemals irgend etwas gelernt.

heinz ist etwas, brigitte ist nichts, was nicht andre ohne mühe genauso sein könnten. heinz ist unverwechselbar, und man hat heinz auch oftmals nötig, z.b. bei einem leitungsschaden oder wenn man etwas liebe braucht. brigitte ist austauschbar und unnötig. heinz hat eine zukunft, brigitte hat nicht einmal eine gegenwart.

heinz ist alles für brigitte, die arbeit ist nichts als eine lästige qual für brigitte. ein mensch, der einen liebt, ist alles. ein mensch, der einen liebt und noch dazu jemand ist, das ist das optimum, das brigitte erreichen kann. die arbeit ist nichts, weil brigitte sie schon hat, die liebe ist mehr, weil man sie erst suchen muß.

brigitte hat bereits gefunden: heinz.

heinz fragt sich oft, was brigitte denn vorzuzeigen hat.

heinz spielt oft mit dem gedanken, jemand andren zu nehmen, der etwas zu bieten hat, wie etwa bargeld oder die räumlichkeiten für ein geeignetes geschäftslokal.

brigitte hat einen körper zu bieten.

außer brigittes körper werden zur gleichen zeit noch viele andre körper auf den markt geworfen. das einzige, was brigitte auf diesem weg positiv zur seite steht, ist die kosmetische industrie. und die textilindustrie. brigitte hat brüste, schenkel, beine, hüften und eine möse.

das haben andre auch, manchmal sogar von besserer qualität.

brigitte hat eine jugend, die sie auch mit andren teilen muß, etwa mit der fabrik und dem lärm darin und dem überfüllten bus. die fressen an brigittes jugend.

brigitte wird immer älter und immer weniger frau, die konkurrenz wird immer jünger und immer mehr frau.

brigitte sagt zu heinz ich brauche doch einen menschen, der zu mir hält, der für mich da ist, dafür halte ich auch zu ihm und bin immer für ihn da.

heinz sagt, daß er darauf scheißt.

es ist schade, daß brigitte heinz so sehr haßt.

heute zum beispiel kniet brigitte vor der klomuschel im schrebergartenhaus von heinz und dessen eltern auf dem kalten fußboden.

dieser fußboden ist kälter

als die liebe, die heiß ist und heinz heißt.

der fernfahrervater ist abwesend, und brigitte hilft im haushalt, was das einzige ist, womit sie sich beliebt machen kann, das heißt sie putzt freudig mit dem scheißebesen die klomuschel. vor fünf minuten hat sie gesagt, sie macht das ja gern. jetzt macht sie es schon nicht mehr gern. ihr wird ganz schlecht von all der scheiße, die sich im laufe der woche so in einem dreipersonenhaushalt ansammelt.

heinz wird, wenn schon nicht eine sekretärin, höhere schülerin, sekretärin, sekretärin oder sekretärin zur frau bekommen, doch eine frau zur frau bekommen, die eine richtige frau ist, also ordentlich mit dem besen und seinen widrigen Begleitumständen umgehn kann.

zu hause hilft brigitte nichts, das hieße kapital und arbeitskraft in ein von vorneherein zum scheitern verurteiltes mit verlust arbeitendes kleinunternehmen zu stecken. aussichtslos. hoffnungslos. brigitte investiert besser, dort, wo etwas herauskommen kann. ein ganzes neues leben.

da brigitte wenig hirn hat, ist der ausgang unsicher.

schließlich haben manager ihr hirn zu hilfe, wenn sie etwas planen. brigitte hat nur ihre finger ausgebildet gekriegt. sonst nichts. aber die mit den dranhängenden armen könnten für drei zupacken, wenn sie müßten. sie müssen. für heinz.

brigitte kriecht der mutti von heinz in den arsch. dort findet sie auch nichts andres als die gleiche scheiße wie in der muschel, die sie grade schrubbt. aber einmal wird diese hinter mir liegen, dann liegt die zukunft vor mir. nein, wenn die scheiße hinter mir ist, bin ich schon in der zukunft. zuerst muß ich mir einen status erarbeiten, der mich befähigt, überhaupt eine zukunft haben zu DÜRFEN. zukunft ist luxus. allzuviel gibts nicht davon.

diese kleine episode soll nichts weiter zeigen, als daß brigitte arbeiten kann, wenn es sein muß.

und es muß sein.

am beispiel paula

am beispiel paula. paula ist vom lande. das landleben hat sie bis jetzt in schach gehalten – ebenso wie ihre schwestern erika und renate, die verheiratet sind. die beiden kann man schon abschreiben, es ist genauso, als ob sie nicht auf der welt wären. mit paula ist das anders, sie ist die jüngste von ihnen und noch richtig auf der welt. sie ist 15 jahre alt. sie ist jetzt alt genug, um sich überlegen zu dürfen, was sie einmal werden möchte: hausfrau oder verkäuferin. verkäuferin oder hausfrau. in ihrem alter sind alle mädchen, die so alt sind wie sie alt genug, um sich zu überlegen, was sie einmal werden wollen. die hauptschule ist beendet, die männer im dorf sind entweder holzarbeiter oder sie werden tischler, elektriker, spengler, maurer oder sie gehen in die fabrik oder sie versuchen tischler, elektriker, spengler, maurer oder fabrikarbeiter und gehen dann doch in den wald und werden holzarbeiter. die mädchen werden ihre frauen. der jäger ist ein besserer beruf, er wird von auswärts importiert. lehrer und pfarrer gibt es nicht, das dorf hat keine kirche und keine schule. auch der intelligenzberuf des konsum-filialleiters wird von auswärts importiert, unter ihm arbeiten immer drei frauen und mädchen aus dem dorf und ein lehrmädchen aus dem dorf. die frauen bleiben bis zu ihrer heirat verkäuferin oder hilfsverkäuferin, wenn sie geheiratet worden sind, ist es aus mit dem verkaufen, dann sind sie selbst verkauft, und die nächste verkäuferin darf an ihre stelle rücken und weiterverkaufen, der wechsel geht fliegend vor sich.

so ist im laufe der jahre ein natürlicher kreislauf zustandegekommen: geburt und einsteigen und geheiratet werden und wieder aussteigen und die tochter kriegen, die hausfrau oder verkäuferin, meist hausfrau, tochter steigt ein, mutter kratzt ab, tochter wird geheiratet, steigt aus, springt ab vom trittbrett, kriegt selber die nächste tochter, der konsumladen ist die drehscheibe des natürlichen kreislaufs der natur, in seinem obst und gemüse spiegeln sich die jahreszeiten, spiegelt sich das menschl. leben in seinen vielen ausdrucksformen, in seiner einzigen auslagenscheibe spiegeln sich die aufmerksamen gesichter seiner verkäuferinnen, die hier zusammengekommen sind, um auf die heirat und das leben zu warten. die heirat kommt aber immer allein, ohne das leben. so gut wie nie arbeitet eine verheiratete frau im geschäft, außer der mann ist gerade arbeitslos oder schwerverletzt. alkoholiker ist er immer.

als holzarbeiter hat er einen schweren und gefährlichen beruf, von dem schon oft einer nie mehr zurückgekommen ist. daher genießen sie ihr leben unheimlich, solange sie jung sind, ab 13 ist kein mädchen mehr sicher vor ihnen, das allgemeine wettrennen beginnt, und die hörner werden abgestoßen, von welchem vorgang das ganze dorf widerhallt. der vorgang hallt durchs tal.

am ende ihrer jugend holen sich die jungmänner eine tüchtige, sparsame frau ins haus. ende der jugend. anfang des alters.

für die frau ende des lebens und anfang des kindcrkricgcns. während die männer schön reifen und zu altern beginnen und dem alkohol zusprechen, er soll sie stark und ohne krebs erhalten, dauert der todeskampf ihrer frauen oft jahre und jahre, oft auch noch so lang, daß sie dem todeskampf ihrer töchter beiwohnen können. die frauen beginnen ihre töchter zu hassen und wollen sie möglichst schnell auch so sterben lassen wie sie selber einmal gestorben sind, daher: ein mann muß her.

manchmal möchte eine tochter nicht so schnell sterben wie sie soll, sondern lieber noch ein zwei jahre verkäuferin bleiben und leben! ja leben! sie möchte in seltenen fällen sogar verkäuferin in der kreisstadt werden, wo es noch andre berufe gibt, solche wie pfarrer, lehrer, fabrikarbeiter, spengler, tischler, schlosser, aber auch uhrmacher, bäcker, Fleischhauer! und selcher! und noch viel mehr. noch viel mehr versprechen für ein leben in einer schöneren zukunft.

doch es ist gar nicht so leicht, einen mann mit einer schöneren zukunft festhalten zu können. die besseren berufe haben auch besseres zu bieten, daher dürfen sie gleich verlangen, daß man es macht, trotzdem darf man es nicht machen, weil sonst will der bessere beruf gleich etwas noch besseres, und aus. ein holzknecht wartet manchmal, ein besserer beruf wartet nie. kaum eine ist davon jemals zurückgekommen, außer auf besuch und mit einem bankert ohne vatter.

der verschwindend kleine rest kommt auch manchmal auf besuch nach hause, um der mutter und dem vatter die kinder zu zeigen, wie gut sie es haben, und der mann ist brav und gibt das ganze geld her und säuft nur wenig, und die küche ist ganz neu und der staubsauger ist neu und die vorhänge sind neu und der ecktisch detto und der fernseher ist neu, und die neue couch ist neu und der neue herd ist zwar gebraucht, aber wie neu, und der fußboden ist zwar abgetreten aber geputzt wie neu. und die tochter ist noch wie neu, wird aber bald verkäuferin werden und rapide altern und gebraucht werden. aber warum soll die tochter nicht verbraucht werden, wenn die mutter auch verbraucht worden ist? die tochter soll bald gebraucht werden, sie braucht es schon nötig, und her damit mit dem neuen besseren, als da sind pfarrer, lehrer, fabrikarbeiter, spengler, tischler, schlosser, uhrmacher, fleischhauer! und selcher! und viele andre, u.v.a. und alle brauchen sie ununterbrochen frauen und verwenden sie auch, aber selber wollen sie auf keinen fall eine schon gebrauchte frau kaufen und weiterverbrauchen. nein. das wird dann schwierig. weil wo nimmt man ungebrauchte frauen her, wenn frauen dauernd verbraucht werden? es gibt keine prostitution, es gibt aber eine menge unehelicher kinder, die, die hätte es nicht machen dürfen, sie hat es aber gemacht, dabei hat man es ihr gemacht, man hat es ihr gründlich besorgt, und jetzt steht sie da und muß selber die arbeit machen, auch die arbeit, die sonst der mann macht, und das kind bleibt bei der haßaufmutterundkinderfüllten oma. gebrauchte frauen werden selten und wenn, dann vom erstverbraucher genommen. dann müssen sie sich ihr leben lang anhören: wenn ich dich nicht genommen hätte, hätte dich kein andrer mehr genommen, und du hättest schauen müssen, wo du das geld fürs kind hernimmst, so habe ich dich im letzten moment doch noch genommen, und du kannst jetzt das geld von mir nehmen, nachdem ich mir das geld für den alkohol vorher genommen habe, und dann kann ich dich ohne schwierigkeiten dafür nehmen so oft ich will, aber, daß unsre tochter keiner widerrechtlich nimmt und benützt, da paß ich auf, daß sie nicht so eine wie ihre mutter wird, die sich schon VORHER hat nehmen lassen.

sie soll warten, bis sie wer nimmt, aber nachher, und sich dann nehmen lassen, aber erst nachher. wenn sie sich nämlich, so wie du, vorher nehmen läßt, dann kann sie nachher froh sein, wenn sie überhaupt noch einer nimmt. und unsre tochter kann froh sein, daß sie so einen vatter hat.

schrecklich, dieses langsame sterben. und die männer und die frauen sterben gemeinsam dahin, der mann hat dabei noch etwas abwechslung, er bewacht seine frau wie ein hofhund von draußen, er bewacht sie beim sterben. und die frau bewacht von drinnen den mann, die weiblichen sommergäste, ihre tochter und das wirtschaftsgeld, das nicht versoffen werden soll. und der mann bewacht von draußen seine frau, die männlichen sommergäste, die tochter und das wirtschaftsgeld, damit er was abzweigen kann zum saufen. und so sterben sie sich gegenseitig an. und die tochter kann es gar nicht mehr erwarten, endlich auch sterben zu dürfen, und die eltern kaufen für den tod der tochter schon ein: leintücher und handtücher und geschirrtücher und einen gebrauchten kühlschrank. da bleibt sie wenigstens tot aber frisch.

und was wird aus paula? verkäuferin oder hausfrau? über dem allen nur paula nicht vergessen! um die es hier geht. was wird mit paula? später sterben oder früher? oder gar nicht erst mit dem leben anfangen? gleich sterben? nicht warten können, und dann ist es zu spät, und das kind ist da und die mutter stirbt gleich anstatt erst nach der hochzeit? NEIN! paula möchte nämlich schneiderin lernen. das hat es im dorf überhaupt noch nie gegeben, daß eine was LERNEN möchte. das kann nicht gut gehn. die mutter fragt: paula, willst du nicht doch verkäuferin werden, wo du jemand kennenlernen kannst oder hausfrau wo du schon jemand kennengelernt hast?

die mutter sagt: paula, du MUSST verkäuferin werden oder hausfrau. paula antwortet: mutter, es ist gerade keine lehrstelle als verkäuferin frei. die mutter sagt: dann bleib zuhause, paula, und werde hausfrau und hilf mir bei der hausarbeit und im stall und bediene deinen vatter so wie ich ihn bediene und bediene auch deinen bruder, wenn er aus dem holz kommt, warum sollst du es besser haben als ich, ich war nie etwas besseres als meine mutter, die hausfrau war, denn damals hat es noch keine verkäuferinnen gegeben bei uns, und mein vatter hätte mich erschlagen, wenn es sie gegeben hätte.

und er hat gesagt, ich soll zuhause bleiben und der mutta helfen und ihn bedienen, wenn er aus der arbeit kommt und das bier holen vom wirten, das dauert 8 minuten hin und zurück, und wenn es länger dauert, dann brech ich dir das kreuz. und warum sollst du, meine tochter, es besser haben? bleib lieber zu haus und hilf mir, wenn dein vatter und dein bruder gerald nach hause kommen. und vielleicht brechen wir, ich und dein vatter und dein bruder gerald dir einmal wirklich das kreuz. HALLO!

paula sagt jedoch, mutter ich will aber nicht, ich will schneiderei lernen. und wenn ich die schneiderei fertiggelernt habe, will ich auch etwas von meinem leben haben, nach italien fahren und für mein selbstverdientes ins kino gehen, und nachdem ich etwas von meinem leben gehabt haben werde, will ich noch einmal, ein letztes mal, nach italien fahren, und für mein selbstverdientes noch einmal, ein allerletztes mal, ins kino gehen, und dann will ich mir einen braven mann suchen, oder einen weniger braven, wie man sie im kino jetzt immer öfter sieht, und dann will ich heiraten und kinder bekommen. und alle miteinander und auch noch zugleich lieben, ja, lieben! und es sollen zwei sein, ein bub und ein mädel. und dann möchte ich auch noch die pille nehmen, damit es nur zwei bleiben, ein bub und ein mädel, und alles immer sauber und rein, und nur mehr für die kinder und mich nähen müssen, und ein einfamilienhaus, selber bauen mit fleißigem mann.

und für die kinder und mich nähe ich alles selber, das spart viel geld, für fremde leute muß ich dann nicht mehr nähen, das wird er mir nicht erlauben, nein. mutta, bitte ich möchte schneiderei lernen.

die mutta sagt, daß sie es dem vatter sagt und dem gerald. sie war höchstens 3 mal im leben im kino, und es hat ihr nicht gefallen und sie nicht interessiert, und sie war froh, wie sie wieder zuhause war. in italien war ich überhaupt nicht, noch nie, und der fernseher ist viel interessanter, da sieht man die ganze welt, ohne, daß man gleich in ihr drinnensein möchte oder müßte. wie mein vatter noch gelebt hat, hab ich für ihn geschuftet, und dann hab ich für deinen vatter weitergeschuftet und für den gerald, und jetzt, wo du alt genug bist, um mit mir zu schuften, willst du plötzlich nicht mehr sondern die saubere schneiderei lernen, warum und für was hab ich mein leben lang geschuftet, wenn nicht für den vatter und den gerald, und jetzt, wo du endlich mitschuften könntest, willst du nicht. schlag dir das aus dem kopf! bevor es dir der vatter und der gerald rausschlagen. gleich sag ich es dem vatter und dem gerald. gleich!