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Isaure • mit Bertrand Ferrier

Augen zu und durchwischen

Indiskretionen einer Putzfrau

Aus dem Französischen von Barbara Reitz und Thomas Wollermann

Rowohlt Digitalbuch

Inhaltsübersicht

Über Isaure / mit Bertrand Ferrier

Isaure, Jahrgang 1980, hat einen Bachelor in Kunstgeschichte und einen Master in Literaturwissenschaften. Sie lebt in Paris und arbeitet als professionelle Putzfrau.

Über dieses Buch

Sie ist jung, sie hat zwei akademische Abschlüsse – und sie arbeitet als Putzfrau. Kein Wunder, dass Isaure es nicht beim Saubermachen belässt, sondern ganz nebenbei noch die Wohnungen ihrer Kunden inspiziert. Mit messerscharfer Ironie erzählt sie, wie diese es mit Ordnung und Sauberkeit halten und was ihre Einrichtung über sie verrät. Ob Hipster-Paar, Schauspielerin, neureiche Familie oder allein lebende Katzenbesitzerin – Isaure kennt ihre neurotischen Ticks und Geheimnisse und plaudert mit Vergnügen darüber.

Impressum

Die Originalausgabe erschien 2012 unter dem Titel «Mémoires d’une femme de ménage» bei Éditions Grasset & Fasquelle.

 

Redaktion Boris Heczko

 

Rowohlt Digitalbuch, veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Februar 2013

Copyright © 2013 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

«Mémoires d’une femme de ménage» Copyright © 2012 by Éditions Grasset & Fasquelle

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages

Umschlaggestaltung ZERO Werbeagentur, München

(Abbildung: Image Source/Getty Images; FinePic, München)

Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved. Bitstream Vera is a trademark of Bitstream, Inc.

ISBN Buchausgabe 978-3-499-63010-1 (1. Auflage 2013)

ISBN Digitalbuch 978-3-644-48641-6

www.rowohlt-digitalbuch.de

ISBN 978-3-644-48641-6

«Hier wäre das Leben leicht, wäre einfach. Alle Verpflichtungen und Probleme des Alltags fänden eine natürliche Lösung. Jeden Morgen wäre eine Zugehfrau da.»

Georges Perec, Die Dinge

Vorwort

Ich heiße Isaure, bin dreißig Jahre alt, habe einen Bachelor in Kunstgeschichte und ein Hochschuldiplom in Literaturwissenschaften. Irgendwann sah ich keinen Sinn mehr darin, auch noch die Doktorarbeit zu schreiben, auf die das zusteuerte (die Forschungsarbeit interessierte mich zwar, der Titel war mir letztlich schnuppe). Also schmiss ich praktisch in letzter Minute alles hin und stürzte mich in die Arbeitswelt. Dank eines Diploms, das ich via Fernstudium erhalten habe, wurde ich medizinische Sekretärin in einer Pariser Klinik. Fünf Monate hielt ich durch, bis mir diese erste Arbeitserfahrung eine Depression bescherte, die sich gewaschen hatte.

Sechs Monate Arbeitslosigkeit brachten mich zu der Überzeugung: Zu Hause ist es einfach schöner als im Büro. Arbeit kann einem wirklich den ganzen Tag versauen.

Allerdings bewogen mich schließlich meine nörgeligen Eltern und das magere Arbeitslosengeld, mir was Neues zu suchen. Und von dieser neuen Arbeit möchte ich hier berichten. Nicht etwa, weil sie mehr interessant (oder weniger interessant) wäre als eine andere Beschäftigung oder weil ich dort Stars kennengelernt hätte, über die es nun Pikantes zu erzählen gäbe. Nein, einfach deshalb, weil diese Arbeit normalerweise von Leuten verrichtet wird, die keine Stimme haben und von denen niemand weiß, was sie eigentlich denken. Oder ob sie überhaupt denken.

Natürlich schaut man nicht auf sie herab, da sei die gutbürgerliche Heuchelei vor. Man grüßt sie freundlich, man plaudert auch mal ein paar Takte mit ihnen, man findet sie überraschend nett – manchmal. Man staunt, dass sie auch so etwas wie Humor zu haben scheinen. Aber meistens entdeckt man an ihnen allerhöchstens gesunden Menschenverstand.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich spreche hier nicht für eine Gewerkschaft oder so was. Ich vertrete nichts und niemanden. Und von mir selbst werde ich so wenig wie möglich reden, weil – pah, wen interessiert das schon? Und ich habe auch mit niemandem ein Hühnchen zu rupfen. Ich will einfach nur von Ihnen erzählen. Nicht von «Ihnen», wie Sie sich – frisch geduscht, adrett und lächelnd – anderen präsentieren. Sondern davon, wie Sie sind, bevor Sie aus dem Haus gehen, und was von Ihnen zurückbleibt, wenn Sie glauben, gar nicht da zu sein, während Ihre gesamte Wohnung sich mir ungeniert anvertraut.

Dieses Buch erzählt, wie ich Ihr Schatten geworden bin. Eine, die über die Oberfläche der Dinge huscht und damit unvermeidlich eine intime Beziehung zu ihnen eingeht. Eine, die in einen präsentablen Zustand versetzt, was man nicht zeigen möchte, die öfter die Rückseite des Porträts sieht als das hübsche Gesicht, das die Vorderseite ziert, die Ihre Schubladen öffnet, in Ihren Sachen herumkramt, Sie besser kennt als jeder andere, sich aber am Ende des Tages diskret zurückzieht. Eine, auf die Sie zählen können, die nichts offenbart, die nicht redet, Ihren Scheck nimmt und sich bedankt.

Die Putzfrau, das unbekannte Wesen.

1 Ich sorge für Bewohnbarkeit

Putzfrau (man könnte auch Innenraumbewohnbarmacherin oder Staubmausdompteuse sagen) wird man aus denselben Gründen, aus denen man ein Star werden will:

Das Wichtigste zuerst: die Arbeitszeiten. Ich habe keine Lust, früh am Morgen zu arbeiten (mit «früh» meine ich den kompletten Vormittag, jedenfalls alle Termine, bei denen man vor elf Uhr aus dem Haus muss). Irgendwann habe ich festgestellt, dass ich am besten schlafe, wenn der Tag bereits anbricht. Oder ich habe es mir einfach angewöhnt, ich weiß es nicht mehr. Jedenfalls ist es wirklich nichts für mich, um sechs oder sieben aus den Federn zu steigen.

Interessante Begegnungen: Es geht mir eigentlich eher um die Begegnungen, die man dort nicht hat.

Ich habe definitiv keine Lust auf Bürokollegen. Oder auf Freundinnen, die ich von der Arbeit kenne. Schon beim bloßen Gedanken kräuseln sich mir die Zehennägel.

Bloß keine Zwangsgemeinschaften.

Ich scheiße auf Teamgeist!

Bürointrigen!

Getuschel und Gemauschel!

Keine endlosen Scheidungsgeschichten oder Berichte von irgendwelchen Saufgelagen, bei denen ich nicht durchblicke, wer wen vollgekotzt hat und warum das ausgerechnet mir aufgetischt wird.

Keine Verabredungen nach Feierabend mit Leuten, die mit mir nicht mehr gemeinsam haben, als dass die gleiche Firma auf ihrem Gehaltszettel steht.

Nein, ich will mich nicht mit meinen Kollegen auf Facebook «befreunden». Nein, ich weiß nicht, was David zu Yaël gesagt und damit die Bar-Mizwa des Kleinen verdorben hat, das alles interessiert mich einen Dreck. Ich will keine Beziehungen, die sich nur den Zufällen des Arbeitsmarkts verdanken. Für diese Gesellschaft, wo einem ständig irgendein Pessimist damit kommt, die Menschen hätten ja, ach herrje!, gar keine richtigen Sozialkontakte mehr, habe ich nur eine Antwort parat: «Rutscht mir alle den Buckel runter! Feierabend ist Feierabend!»

Und was nun die Bezahlung angeht: Eine unabhängige Putzkraft hat einen besseren Stundensatz als eine medizinische Sekretärin in einer Klinik. Schätzungsweise so viel besser, wie ein deutscher Sportwagen mehr bringt als eine chinesische Klapperkiste.

Klar, im Unterschied zu Stars werden selbständige Putzfrauen nur während ihrer Arbeitsstunden bezahlt. Sie sind sozusagen für die Drehtage bestellte Sauberkeitsstatisten. Ihr attraktiver Stundenlohn gibt jedoch keine genaue Vorstellung von der Höhe des Schecks, den sie am Monatsende kassieren, sofern sie das Glück haben, nicht durch ärgerliche Umstände wie Krankheit oder Streik an der Arbeit gehindert worden zu sein. Immerhin hat der Staat Vorkehrungen getroffen und zahlt ihnen zwischen zwei Rollen gegebenenfalls Sozialhilfe.

Und natürlich gilt für die unabhängige Putzfrau wie für den Filmstar: Geld, sofern man genug davon hat, ist vollkommen nebensächlich. Ausschlaggebend dafür, ob man ein Engagement annimmt oder nicht, sind vor allem das Arbeitsumfeld, der Auftraggeber und die Herausforderung.

Na gut, seien wir ehrlich, ein bisschen geht es doch ums Geld. Vor allem ums Geld.

Und in dieser Hinsicht erlebe ich keine Enttäuschung.

Beim Blättern in den Kleinanzeigen fällt mir sogleich die Annonce eines Paars namens Brochant ins Auge, das ganz bei mir in der Nähe wohnt und eine Putzfrau sucht. 14 Euro die Stunde sind ein Argument: Das ist mein Beruf, definitiv.

14 Euro!

Für mich, die ich mich zum Mindestlohn abrackerte, würde das eine Verdoppelung meiner Gage gleich beim ersten Auftritt bedeuten. Na schön, erst mal nur für zwei Stunden die Woche, trotzdem kein schlechter Anfang. Erst der Anfang. Jetzt kommt es darauf an, sich diese erstklassige Gelegenheit nicht entwischen zu lassen. Das Angebot, das ich da entdeckt habe, ist ein Pfund, mit dem ich wuchern muss. Ein Sprungbrett zu einem Luxusleben voller fauler Vormittage.

Ich rufe die Inserenten (das Pendant zu den Interessenten) an und vereinbare einen Vorstellungstermin für den nächsten Tag, Samstag um elf.

Elf. Eine Uhrzeit halbwegs nach meinem Geschmack. Vielleicht hätte ich die Sache noch etwas weiter hinausschieben können. Nicht viel allerdings: Schlag zwölf endet der Vormittag, und der Nachmittag beginnt.

 

Am Samstag finde ich mich pünktlich bei meinen beiden potenziellen Arbeitgebern ein. Sie heißen mit Vornamen Juliette und Guillaume.

Juliette ist noch ziemlich jung. Mit ihrem blonden, zerzausten Carré-Schnitt, ihrem breiten Lachen, ihrem Clownsgesicht und ihrer schrägen Brille wirkt sie, als wäre sie an der Schwelle der zwanzig stehen geblieben. Verständlich, mit so einem Vornamen wird man nicht gern älter. Ich habe noch nie eine Juliette jenseits der zwanzig kennengelernt.

Guillaume, schwarze Hose, schwarzes Hemd und Hausschuhe, bemüht sich, gesetzt und reif zu wirken. Er ist sehr sparsam mit seinen Gesten und lässt sich bei der erstbesten Gelegenheit in den mit Stoff bezogenen Clubsessel fallen, der mitten im Wohnzimmer steht. Dort lässt er die Arme links und rechts über die Lehnen baumeln und schaut ein wenig verloren vor sich hin. Ich gebe ihm maximal dreißig Jahre. (Später erfahre ich, dass die Brochants fünfundzwanzig und siebenunddreißig sind. Vielleicht ist das Glück eine Art Konservierungsstoff, so wie das Formalin, jedenfalls macht es nicht älter.)

«Möchten Sie etwas trinken?», fragt mich Juliette.

Ich lehne ab, stolz, so leicht den ersten Test zu bestehen. Man nimmt bei einem Einstellungsgespräch grundsätzlich keine Erfrischungen an. Das weiß selbst eine Möchtegern-Putzfrau.

Meine Gesprächspartnerin kniet an dem niedrigen japanischen Tisch. Guillaume verschanzt sich hinter seinen gerunzelten Augenbrauen. Das Reden überlässt er ihr. Ist auch wohl besser so!

«Wir suchen jemanden, weil …», setzt sie an.

Und fährt fort: «Eigentlich suche hauptsächlich ich jemanden. Ich bin eine ziemliche Sauberkeitsfanatikerin, und wir haben keine Zeit, uns um den Haushalt zu kümmern. Wir arbeiten bis spät, und am Wochenende sind wir unterwegs.»

Die Art, wie sie mir ihre Motive darlegt, erweckt bei mir fast den Eindruck, als wolle sie sich bei mir dafür entschuldigen, dass sie mir ihr Leben zum Abstauben überlässt. Ich bin nahe daran, ihr beizuspringen und zu sagen: Mach dir keine Gedanken, Juju. Ich bin froh, Arbeit zu haben, das ist kein unsittliches Angebot, was du mir da machst, ich finde Putzen nicht peinlich oder eklig. Doch bevor ich dazu komme, ändert Juliette den Ton und fällt über Guillaume her.

«Wenn es nach dir ginge, würden wir natürlich niemanden suchen», erklärt sie dem Mann im Haus.

Daraus schließe ich, dass ihr Lebensgefährte ein ziemlicher Dreckspatz sein muss. Wie ich bald feststelle, stimmt das von Juliettes Warte aus betrachtet sogar in gewissem Sinn. Die restliche Welt würde ihn eher als Zwangsneurotiker betrachten. Er lässt niemals etwas herumliegen. Zum Beispiel versorgt er seine Schuhe nach Gebrauch in kleinen Stoffbeuteln.

Trotzdem hat er – nach Ansicht seiner Lebensgefährtin – große Probleme mit der Ordnung. Wenn er beispielsweise seine Brille absetzt, legt er sie nie ins Etui.

Hoffnungslos.

 

Juliette fragt mich, woher mein komischer Vorname kommt und was ich sonst so mache. Ich antworte ihr auf diese unvermeidlichen Höflichkeiten: «Ich bin schon Putzfrau, seit ich mit dem Studium angefangen habe.»

Sie schauen mich mitleidig an. Nun erwarten sie ein Klagelied über Armut, die Schwierigkeit, ein Stipendium zu ergattern, etwas über Standhaftigkeit angesichts der Widrigkeiten des Schicksals, Einblicke in den Erfahrungsschatz eines Lebens, in dem man weiß, wie teuer man sich seine Diplome erkauft. Doch vor allem wollen sie von meiner Hoffnung hören, eines Tages dieser elenden Existenz zu entrinnen. Sie tragen ihr Mitgefühl schon auf der Zunge. Doch ich mache ihnen einen Strich durch die Rechnung, indem ich kurzerhand erkläre: «Ich weiß aber inzwischen, dass ich gar keine andere Arbeit machen könnte. Mir macht das Spaß. Ich putze gern bei anderen Leuten.»

«Sie könnten vielleicht in einem Luxushotel arbeiten», schlägt sie mir freundlich vor.

«Ja, daran habe ich auch schon gedacht. Allerdings hasse ich es, in einer richtigen Firma zu arbeiten. Schon die Einstellungsgespräche, ich rede nicht gern. Und außerdem kann ich nicht dauernd Leute um mich haben.»

Ich beiße mir auf die Unterlippe. Vielleicht habe ich jetzt doch ein wenig zu sehr die Asoziale raushängen lassen. Wer möchte schon, dass in seiner Wohnung eine Autistin vor sich hin brummelt?

«Ach, das verstehe ich nur zu gut», platzt es aus Guillaume heraus.

Juliette wirft ihm einen vielsagenden Blick zu.

Ich begreife, dass mein potenzieller künftiger Arbeitgeber eine eigene Firma gegründet hat, um die meiste Zeit allein zu Hause arbeiten zu können. Er hat stets eine Schachtel Beruhigungsmittel in Griffweite, und auf seinem Nachttisch liegt verräterischerweise das Skript einer Musikkomödie, bekanntlich ein Mittel, mit dem Leute ihre Angststörungen bekämpfen. Zu seinem eigenen Besten zwingt er sich, darin mitzuspielen, und lernt fleißig, auf einer Gitarre herumzuschrammeln.

(Wer noch nie was von dem Buch Die Kunst der Selbstachtung von Christophe André gehört oder mal erlebt hat, wie ein Therapeut Leute mit Sozialangst dazu drängt, «Theater zu spielen, um in Kontakt mit anderen zu kommen und aus sich herauszugehen», weiß wahrscheinlich nicht, wovon ich rede. Achten Sie mal darauf.)

Die Offenbarung meiner Fehler hat offenbar das Eis gebrochen. Schon liegen die Punkte Berufserfahrung und Motivation hinter uns, nun geht es um die Arbeitsstunden. Da ich gerne ab und an zu meinen Eltern in die Bretagne fahren würde, liegt mir an ausgedehnten, viertägigen Wochenenden. Ich habe also weder Lust, am Freitag noch am Montag zu arbeiten.

«Wir haben uns gedacht, Sie könnten am Freitag und am Montag kommen», verkündet Juliette just in dem Augenblick, als ich ihnen diese nicht verhandelbare Bedingung präsentieren will.

«Prima», sage ich wie aus der Pistole geschossen.

Keine Ehre.

Kein Stolz.

Wankelmütig.

Aber ich bedaure es nicht, so schnell meinen Traum von langen Wochenenden aufgegeben zu haben. Einerseits sind da die 14 Euro pro Stunde, und andererseits ist das nun mal so mit Einstellungsgesprächen: Erst sagt man mal zu allem ja und amen, und später, wenn es um die Unterzeichnung des Arbeitsvertrags geht, verhandelt man die problematischen Punkte nach. Einem Unternehmer wie Guillaume muss ich ja schließlich nicht die Anfängertricks beibringen, oder?

Auf ihre Bitte rücke ich meine Sozialversicherungsnummer und meine genaue Anschrift raus. Als Zugabe möchte Juliette noch die Telefonnummer eines früheren Arbeitgebers, wobei sie nachdrücklich betont: «Nicht zur Kontrolle, aber …»

Es folgt eine wirre, sicherlich überzeugende Erklärung, der ich gar nicht zuhöre. Das geht mir sonst wo vorbei. Gehört einfach zum Spiel. Erkundigungen. Referenzen. Ob Putzfrau, Sänger oder Schreiner, es ist immer dasselbe: Wer anfangen will, muss schon angefangen haben. Ohne erste Erfahrung keine zweite.

 

Nachdem die Formalitäten erledigt sind, macht Juliette mit mir – vom Keller bis zum Speicher – einen Rundgang durch das Zwei-Zimmer-Domizil, das die beiden mir anvertrauen wollen. Wir treten quasi vor die Tür der Wohnung in der obersten Etage eines Altbaus, um systematisch vom Eingang her anzufangen, wo sich auf einem Tischchen Bildbände, Romane und Reiseführer kreuz und quer stapeln, dazwischen Schlüssel und ein Motorradhelm.

Das Wohnzimmer, das ich nun mit einem schon eher professionellen Blick mustere, wird von einem riesigen, ziemlich bunten Gemälde dominiert, das Blumen in Neonrosa zeigt. Kunsttheoretisch betrachtet totaler Kitsch, trotzdem irgendwie sympathisch, verleiht dieser monströse Schinken doch dem sonst sehr nüchternen, in Schwarz und Weiß gehaltenen Raum (Schreibtisch aus Wenge-Holz, riesiger Flachbildfernseher, niedriger, asiatisch anmutender Couchtisch und hinter dem Sofa eine kleine Fensternische mit schwarzen Design-Vorhängen, das alles auf cremefarbenem Teppichboden) eine lebendige Note.

Das Schlafzimmer ist funktional eingerichtet: Bett, Kleiderschrank mit Spiegeltüren, an einer Wand ein großer, alter Kontorschreibtisch, der als Dokumentenablage dient. Vor den Fenstern imposante beigefarbene Doppelgardinen … sofern man Beige eine Farbe nennen will, was mir, die ich es gerne etwas kräftiger liebe, eigentlich widerstrebt.

Wieder zurück in den Flur, von wo man in die Küche gelangt. Ganz hinten ein großer Kühlschrank und ein Herd. Keine luxuriösen Küchengeräte, wie ich es eigentlich erwartet habe. Das wäre wohl zu angeberisch. Man setzt lieber ein paar Akzente. Man gehört zur Bohème bourgeoise, kurz Bobo genannt. Protz ist etwas für Leute, die das nicht so richtig schaffen.

Das Detail hier ist eine Kaffeemaschine der Marke Magimix. Die Botschaft ist klar: Uns kommt hier nicht so ein billiges Senseo-Dings aus dem Elektronikmarkt ins Haus. Wir mögen guten Kaffee. Wir haben Stil.

Juliette folgt meinem Blick und konstatiert befriedigt meine Anerkennung.

«Das ist unsere Kaffee-Ecke», untertitelt sie.

Neben dem Gebrauchskunstwerk für den finanziell besser gestellten Koffeinjunkie stehen zwei Schalen: eine für die unvermeidlichen Kaffeekapseln, eine mit Prinzenrolle Vanillegeschmack. Zu einem richtigen Bobo gehört eben auch eine Prise Regression.

Auf dem Kühlschrank ein wildes Durcheinander von Fotos des Paares.

Juliette und Guillaume in New York.

Juliette und Guillaume beim Rafting.

Juliette und Guillaume in der Wüste.

Nett und einfältig wie eine Kinderbuchserie.

Die Idee mit dem Kühlschrank-Fotoalbum ist abgedroschen, aber die dokumentierten Reiseziele machen was her. Das passt soziologisch ins Bild. Der Bobo ist nicht originell, aber er versteht es, sich von anderen abzusetzen.

Inmitten der Fotos ein Magnetkugelschreiber neben einem Block Post-its.

«Praktisch, zum Updaten der Einkaufsliste», erklärt Juliette.

Vor meinem geistigen Auge erscheint ein kleiner Bildschirm auf dem Kühlschrank, der sich morgens mit einem charakteristischen «Pling» und der Frage meldet: «Möchten Sie jetzt Ihre Einkaufsliste updaten?»

Mein Blick gleitet kurz über die Edelstahlspüle und die rustikale Arbeitsplatte (schlichtes Holz). Darüber ein Regal voller eingestaubter Flaschen. Die verhängnisvolle Frage «Soll ich die Flaschen auch abstauben?» verschiebe ich auf später.

Ich habe nie verstanden, warum manche Weinliebhaber sich die Haare raufen, wenn man ihre Flaschen abstaubt. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich keinen Tropfen Alkohol trinke.

Die Wand neben der Badezimmertür ist mit einem riesigen Stadtplan von Paris tapeziert. Auch hier nichts Spektakuläres: ein Waschtisch mit Holzunterschrank, eine Dusche ohne Schiebetür oder Vorhang und ein sauberes Klo ohne Schnickschnack – das sieht man nicht oft, dämmert es der zukünftigen Profi-Putzfrau.

Ich bemerke mit Genugtuung, dass Juliette wirklich einen Hang zur Sauberkeit hat, wenn auch nicht unbedingt einen Putzfimmel. Untrügliches Zeichen: Alles ist ordentlich aufgeräumt. Da steht keine Shampooflasche in der Dusche herum. Keine Ansammlung unbenützter Cremes. Keine Putzmittel und kein sichtbarer Vorrat an Klopapier. Ein einziges großes Handtuch zum Abtrocknen und für jeden ein Fach im Badezimmerschrank. Darin jeweils ein Zahnputzbecher, Deo, eine Tagescreme, das war’s.

Kurz, hier gefällt’s mir.

«Ach, ehe ich’s vergesse, unsere vorige Angestellte hat immer abgehakt, was sie gemacht hat», erklärt mir Juliette nach beendeter Inspektion. «Sie konnte in der einen Stunde nicht alles schaffen, deshalb habe ich zwei Listen gemacht. Eine mit den Aufgaben, die unbedingt jedes Mal erledigt werden sollten: das komplette Bad mitsamt den Spiegeln und dem Fußboden reinigen, außerdem Herd und Arbeitsplatte. Und eine zweite mit den Dingen, die anschließend noch gemacht werden können, je nachdem, wie viel Zeit noch bleibt: Böden wischen oder wenigstens staubsaugen, die Möbel, den Fernseher, den Schreibtisch abstauben, die Kacheln in der Dusche abwischen etc.»

Ich staune, wie wenig meine Vorgängerin im Verlauf einer Stunde in dieser kleinen und blitzsauberen Wohnung erledigt hat. Die zukünftige Professionelle in mir bemerkt auch schon die Ungereimtheiten: Staubsaugen, ohne zuvor Staub zu wischen? Doch ich halte lieber mal meinen Mund. Vielleicht hat die Sache ja doch einen Haken …

Juliette zeigt mir, wo die Putzsachen verstaut sind, und schlägt vor, gleich heute Nachmittag meine Arbeitsprobe abzuliefern, da seien sie nicht da. Ich stimme zu.

Nun stehe ich schon fast im Berufsleben. Heute Abend werde ich wissen, ob meine Umschulung erfolgreich war.

 

14 Uhr. Ich beginne meine Arbeitsprobe, indem ich die Reinigungsmittel vortanzen lasse. Sie legen sich mächtig ins Zeug: Welches darf mitspielen, welches scheidet aus? Die meisten bestehen den Test mit Bravour. In dieser Wohnung ist alles praktisch eingerichtet und in gutem Zustand. Ich bin zufrieden.

Dann atme ich tief durch und schaue mich um. Der große Augenblick ist gekommen.

Wenn ich Fußballer wäre, dann würde ich jetzt sagen, dass ich ein wenig unter Erwartungsdruck stehe, aber ich bin dennoch ziemlich gelassen. Ich will und werde mich hier voll einbringen und zweihundertprozentig mein Bestes geben, um diese Wohnung auf Vordermann zu bringen.

Das Problem ist nur, dass ich kein Fußballspieler bin, weshalb solche Sätze von mir noch bescheuerter klingen als sowieso schon. Und außerdem will gar niemand etwas von mir wissen. Oder mich anfeuern. Ich finde mich damit ab.

Im Widerspruch zu Juliettes Regel, aber im Einklang mit dem, was mir logisch erscheint, fange ich mit dem Staubwischen an. Antistaubspray, abwischen, Staublappen ausschütteln, Staubwedel: Ich wärme mich gewissenhaft auf.

Bis zum Schlafzimmer vorgedrungen, lüfte ich, schüttle das Bettzeug und die Kopfkisten auf, ziehe die Steppdecke glatt. Zwei Kopfkissen pro Person: eins zum Schlafen, eins bloß zur Zierde. Ein Plüschtier, irgendwas Unförmiges zwischen Hund und Bärchen. Ich platziere es «ästhetisch ausgewogen» neben den Zierkissen, gemäß meinem Motto: Ohne Ordnung keine Ästhetik. Und umgekehrt.

Ich staube die kleinen Nachttischchen und den großen Kontorschreibtisch ab. Einige Bücher und Massageprodukte liegen darauf herum – hopp, die sind rasch adrett arrangiert. Einmal über die Fußleiste hinter dem Bett gewischt: Tatsächlich, da war Staub. Fällt kaum auf, sorgt aber für Pluspunkte, falls meine Arbeitgeber es doch bemerken. Ich sprenkle etwas Glasreiniger auf den Lappen, um rund um die Griffe ein paar Fingerspuren von den Spiegeltüren zu wischen. Schmutz ist was anderes. In diesem Zimmer könnte man vom Fußboden essen. Gut, dass ich – dem Beispiel der Hausherren folgend – die Schuhe am Eingang ausgezogen habe.

Im Wohnzimmer staube ich den großen Fernseher, den Schrank und vor allem den transparenten Stuhl ab, den ich spitzenmäßig finde. Auch den Laptop vergesse ich nicht, samt Bildschirm. Ich klopfe die Lehne des Sofas ab, schüttle die Kissen auf und inspiziere die Problemzonen (Fußleisten, Steckdosen, Lichtschalter). Keine große Sache.

Ich räume den Staublappen und das zugehörige Putzzeug weg und nehme die Küche in Angriff. Kein Geschirr. Mit einer Desinfektions-Entkalkungs-Scheuermilch mache ich mich an die Arbeitsplatte, den Spülstein, das Äußere des Kühlschranks, den ich anschließend auch von innen säubere, bloß um mal zu sehen, was drin ist. Fruchtjoghurt, Cola Zero, Red Bull in Massen, Schalen mit Suppen und, Skandal!, Unmengen Heineken-Bier in der Gemüseschale. Anschließend kümmere ich mich um die Kaffee-Ecke. Für die Glaskeramikfelder benutze ich ein Spezialmittelchen, vergesse auch die Regler von Herd und Backofen nicht. Rein aus Prinzip, denn auch die sind eigentlich sauber.

Weiter geht’s mit dem Badezimmer: WC-Reiniger in die Toilette, die Duschwand abbrausen, den Duschteppich am Fenster ausschütteln, den Badezimmer-Mülleimer in den Küchen-Mülleimer entleeren, Waschbecken scheuern, den Badezimmerschrank auswischen, Dusche ausspülen, Toilettenschüssel mit der Bürste reinigen, abspülen, fertig.

Mein Staublappen, mein Werk, mein Haushalt.

Ich schaue auf die Uhr: eine Stunde, nicht schlecht fürs erste Mal … aber ich habe die Böden nicht gewischt. Sorgsam darauf bedacht, mir meinen 14-Euro-Job zu erhalten, opfere ich den Brochants eine Viertelstunde meiner kostbaren Freizeit, um den Teppichboden zu saugen und das Parkett zu feudeln. Ergebnis: Ich stehe vor der Wohnung mit einem Wischmopp und einem Eimer, den ich nur ausleeren kann, wenn ich über den nassen, gerade gewischten Boden tripple. Völlig verzweifelt und überzeugt, dass ich nun meine professionelle Glaubwürdigkeit vergeigt habe, rufe ich Juliette an und schildere ihr mein Dilemma. Sie lacht schallend.

Am Abend erhalte ich mein Zeugnis per SMS: tadellos. Wenn es mir passt, soll ich Montag anfangen. Diesmal lache ich, weil ich an einen Schlager von Jean Dubois denken muss, in dem es um den ersten Arbeitstag geht: «Schluss mit Pauken, Lernen, Praktika-a-a-a.»

Das trifft genau meine Stimmung.

 

So startet meine Profi-Karriere als Putzfrau mit einem Paukenschlag: Mir winken 28 Euro – für zweieinviertel Stunden Arbeit gleich bei mir um die Ecke? So macht Arbeiten Spaß.