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Die Hexe aus dem Moor


Die Hexe aus dem Moor

Horrorkabinett - Band 7
Horrorkabinett, Band 7 1. Auflage

von: Terence Brown

1,99 €

Verlag: Novo Books
Format: EPUB, PDF
Veröffentl.: 27.01.2024
ISBN/EAN: 9783961273607
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 108

Dieses eBook erhalten Sie ohne Kopierschutz.

Beschreibungen

Wer ist das hübsche Mädchen, das Charles Vance immer wieder in seinen Alpträumen sieht? Und wer sind die furchtbaren Monster, die dieses Mädchen auf grausamste Weise quälen?
Und dann wird Charles Vance immer mehr in die Alptraumwelt hineingezogen. Realität und Illusion sind nicht mehr zu unterscheiden. Und wenn er das Mädchen dort retten will, muss er zum Kämpfer für das Gute werden und Zaator, den bösen Dämon der Unterwelt bezwingen. Doch sein Gegner scheint unüberwindbar . . .
Charles Vance schreckte hoch. Gesicht und Körper waren schweißüberströmt. Mit zitternden Fingern tastete er zu der kleinen Lampe auf seinem Nachttisch.
Das sanfte Licht beruhigte seine aufgepeitschten Nerven. Er warf einen Blick auf die Armbanduhr.
»Vier Uhr«, murmelte er leise. »Immer zur selben Zeit habe ich diesen schrecklichen Alptraum. Und er dauert nun schon seit fünf Tagen an. Genau so lange, wie ich mich in diesem Hause aufhalte.«
Charles Vance fuhr sich über das männlich wirkende Kinn. Seine blauen Augen blickten noch leicht verstört. Mit mechanischer Geste schob er sich eine Strähne seines dunkelblonden Haares aus der Stirn.
Er nahm ein Glas Wasser von dem kleinen Tisch und trank hastig einige Schlucke. Der Schlafanzug klebte ihm am Körper, als er aus dem Bett sprang und mit nervösen Schritten zum Fenster lief.
Die bleiche Scheibe des Mondes stand am nächtlichen Himmel. Kalt und klar funkelten die Sterne. Der Wind bauschte die Gardinen auf, als Charles Vance das Fenster öffnete.
Von irgendwoher kam der klagende Ruf eines Käuzchens. Sturmwind rauschte in den Bäumen und Büschen, die das große Haus umgaben. Einige hundert Meter weiter begann schon die Moorlandschaft, die das einsame Haus umgab.
Vance schloss das Fenster, zog einen frischen Schlafanzug an und schenkte sich einen Whisky ein. Der hochprozentige Alkohol beruhigte etwas seine Nerven.
Der hagere Mann ließ sich auf die Bettkante nieder und stützte den Kopf in die Hände.
Seit fünf Tagen befand er sich in der schottischen Einöde, hatte gehofft, seinen Roman hier beenden zu können. Doch schon in der ersten Nacht hatte er diesen furchtbaren Alptraum erlebt, der sich nun ständig wiederholte.
Tabletten und Schlafmittel, sogar Alkohol, hatten nichts genützt. Immer wieder erlebte er das furchtbare Geschehen in der großen Höhle, sah die vermummten Gestalten und den zuckenden Körper des jungen Mädchens, das zum Altar geschleppt wurde.
Charles Vance erhob sich. Nervös lief er in dem geräumigen Schlafzimmer auf und ab.
»Vielleicht bin ich im Begriff, überzuschnappen«, murmelte er leise. »Das gibt es doch einfach nicht. Ich bin schließlich ein durch und durch nüchterner Mensch. Möchte nur wissen, was dieser gräuliche Spuk zu bedeuten hat?«
Der hagere Mann, der ungefähr fünfunddreißig Jahre alt war, schenkte sich nochmals einen Schluck des goldbraunen Whiskys ein. Dann stellte er das leere Glas zur Seite, löschte die Nachttischlampe und kroch wieder unter die Decke.
Charles hatte die Arme im Nacken verschränkt und starrte zur Zimmerdecke empor. Ein paar bleiche Strahlen des Mondlichts sickerten zum Fenster herein und zeichneten bizarre Figuren auf die Einrichtungsgegenstände.
Mit Schaudern dachte Vance daran, dass er das Haus für vier Wochen gemietet hatte. Und bis zur nächsten Ortschaft waren es ungefähr dreißig Meilen durch die unwegsame Moorlandschaft.
»Ich werde schon morgen eine Fliege machen«, sagte Charles Vance leise. »Keine zehn Pferde halten mich mehr. Hier scheint es zu spuken.«
Kalte Schauer liefen ihm über den Körper. Seine Haut prickelte, als würden tausende von Ameisen über seinen Körper laufen. Sein Herz schlug jäh schneller.
Charles Vance hatte das Gefühl, als versuchte eine eiskalte Hand, ihm das Herz aus der Brust zu reißen. Sein Atem ging keuchend. Eine dicke Ader pulsierte auf der Stirn. Die Augen traten ihm fast aus den Höhlen.
Sekunden vergingen, dann konnte Charles Vance wieder normal atmen. Er schloss die Augen, doch er erblickte nur sofort wieder die große Höhle mit den Vermummten vor sich. Er glaubte das vor Entsetzen verzogene Gesicht des jungen Mädchens greifbar nahe zu sehen.
Vances Oberkörper ruckte hoch.
Irgendwo im Haus knackte es. Draußen schrie erneut das Käuzchen.
Charles Vance zitterte am ganzen Körper. Seine Hand tastete zur Whiskyflasche, die er dann an die Lippen setzte, um einen großen Schluck zu nehmen.
Langsam wich das Grauen von ihm.
Morgen würde er das Haus verlassen. Sein Entschluss stand fest.
*
Die Sonne blinzelte durch die schnell jagenden Wolken, die am Morgen den Himmel bedeckten. Tautropfen blinkten wie Diamanten auf den Blättern der Bäume und Büsche.
Charles Vance fühlte sich wie gerädert, als er erwachte. Sein Gesicht war bleich. Mit einem kratzenden Geräusch fuhr er sich über das unrasierte Kinn.
Er versuchte die düstere Erinnerung an dem nächtlichen Traum abzustreifen, sprang aus dem Bett und öffnete die Fensterflügel.
Draußen erkannte er James Riders, den Butler, der sich mit dem Zimmermädchen Georgia unterhielt. Außer den beiden gab es noch eine ältere Frau namens Helen Brown, deren Tätigkeitsfeld die Küche war.
Charles, der hier Ruhe und Einsamkeit gesucht hatte, verspürte das jähe Gefühl, unter Menschen zu wollen. Schneller als sonst beendete er seine Toilette und ging in den Frühstücksraum hinunter, wo er vom Butler bereits erwartet wurde.
»Guten Morgen, James«, sagte Charles Vance. Der ungefähr fünfzigjährige Butler verneigte sich steif. Charles wurde den Eindruck nicht los, dass er einen Besenstiel verschluckt haben musste.
»Good Moming, Sir«, erwiderte James Riders. »Haben Sie heute besondere Wünsche, oder kann Georgia das Frühstück bringen?«
»Wie immer, James«, nickte der hagere Mann.
»Haben Sie gut geschlafen, Sir?« fragte er und verzog keine Miene. Sein rundliches Gesicht mit den aufgeplusterten Wangen erinnerte Charles an einen Posaunenengel.
»Ich hatte schon wieder diesen schrecklichen Traum«, entgegnete Vance. »Ich halte es hier nicht mehr aus, möchte Sie bitten, dass Sie anschließend sofort zur nächsten Ortschaft telefonieren, damit man mich abholt.«
James Riders runzelte die Stirn, doch dann nickte er.
»Wie Sie befehlen, Sir. Allerdings möchte ich darauf aufmerksam machen, dass Sie das Haus für vier Wochen gemietet haben und auch für diesen Zeitraum bezahlen müssen.«
»Okay, okay«, sagte Charles Vance. »Ist mir schon klar. Aber hier halte ich es nicht länger aus, ohne verrückt zu werden.«
Der Butler verneigte sich steif und ging mit gemessenen Schritten davon. Charles musste grinsen, dann lächelte er noch mehr, als Georgia herein huschte.
Das Kleid umschmiegte den formvollendeten Körper wie eine zweite Haut. Die schwarze Pagenfrisur gab dem jungen Mädchen etwas Kokettes.
Die vollen Lippen lächelten freundlich. Sie machte einen artigen Knicks und begann zu servieren. Charles musste sich sehr beherrschen, um ihr nicht einen Klaps auf das wohlgerundete Hinterteil zu geben.
»Gut geschlafen?« fragte er das Mädchen, das ihn aus unergründlichen Augen ansah.
»O ja, Sir«, antwortete sie. Ihre Stimme klang leicht rauchig und vielversprechend. »Ich hoffe doch, dass auch Sie gut geschlafen haben, Sir?« fragte sie.
Charles winkte ab.
Ihm fiel wieder der Traum ein, der jede Nacht zu einem schrecklichen Erlebnis werden ließ.
»Einen guten Appetit, Sir«, sagte Georgia. »Sollten Sie noch Wünsche haben, dann läuten Sie bitte!«
Georgia eilte davon.
Vance sah ihr nach. Sein Blick hatte sich an den schlanken Beinen festgesaugt, die überhaupt kein Ende nehmen wollten. Der hagere Mann seufzte tief und machte sich dann über sein Frühstück her.
Es schmeckte ihm ausgezeichnet. Nach einer halben Stunde schob er den leeren Teller zurück und zündete sich eine Zigarette an.
Der Butler glitt ins Zimmer. Seine Stirn hatte sich in Falten .gelegt.
Charles ahnte schon, dass etwas Unangenehmes auf ihn zukommen würde. Er drückte die halb gerauchte Zigarette im Aschenbecher aus.
»Tut mir leid, Sir«, sagte James. »Ich habe keine Verbindung mit Warriage bekommen. Die Telefonleitung scheint nicht in Ordnung zu sein. Vielleicht hat der Sturm sie beschädigt. Das kommt öfter vor, Sir. Kein Grund zur Beunruhigung. Bis heute Nachmittag dürfte alles wieder in Ordnung sein.«
Charles Vance zerquetschte einen Fluch. Er warf einen Blick auf die Armbanduhr.
»Sobald alles wieder in Ordnung ist, James, geben Sie mir umgehend Bescheid!«
Vance erhob sich und ging zum Arbeitszimmer hinüber. Vielleicht konnte er trotz allem einige Stunden schreiben. Der Abgabetermin, den er von seinem Verleger diktiert bekommen hatte, rückte immer näher.
Normalerweise hätte es der hagere Mann spielend geschafft, wären nur nicht diese Aufregungen in den letzten Tagen gewesen. Manchmal hatte Charles das Gefühl, als gelänge es ihm überhaupt nicht mehr, auch nur einen vernünftigen Gedanken zu fassen.
Er setzte sich hinter die Schreibmaschine, spannte ein leeres Blatt ein und las die letzte Seite, die er vor zwei Tagen geschrieben hatte.
Die ersten Sätze gingen flott von der Hand, doch dann musste Vance wieder an die schrecklichen Alpträume denken. Seit Tagen grübelte er darüber, was dies alles zu bedeuten hatte. Doch er kam zu keinem Ergebnis.
Schon bald wanderte er ruhelos in dem großen Raum umher. Schließlich hielt er es nicht mehr aus und beschloss, im Garten einen Spaziergang zu machen.
Die Sonne stand jetzt hoch am fast wolkenlosen Himmel. Doch am Horizont drängten schon schwere Gewitterwolken herauf, die wohl schon bald ihren nassen Segen abladen würden.
Charles wanderte weiter. Bald lag das Moor vor ihm. An einigen Stellen gluckste es trügerisch. Das Gras wuchs sehr hoch. Verkrüppelte Kiefern ragten aus dem sumpfigen Boden hervor.
Charles Vance blieb stehen.
Er wusste, dass ein unbedachter Schritt den Tod bedeuten konnte. Jetzt verfluchte er seinen Einfall, sich in diese Einöde zurückgezogen zu haben.
Doch nun gab es nichts mehr zu ändern.
»Ach was«, murmelte Vance plötzlich. »Warum lass’ ich mich von einem Traum so verrückt machen? Ist doch nur ein Traum! Wenn ich wieder in London bin, gehe ich zu einem Psychiater. Vielleicht habe ich in den letzten Jahren zu viele Horror-Stories gelesen.«
Charles ging weiter.
Der Himmel bewölkte sich immer mehr. Die Sonne verbarg sich hinter den schwarzen Regenwolken. Vance stellte den Kragen seiner Jacke hoch, denn ein aufkommender Wind blies über das flache Land, trieb Blätter und kleine Zweige vor sich her.
Der hagere Mann machte kehrt.
Er fluchte, als er über einen morschen Ast stolperte und hinfiel. Hände und Kleidung waren beschmutzt. Natürlich konnte dies seine Laune nicht verbessern.
Bäume und Büsche bogen sich im Wind, der plötzlich heulte und jammerte, als würde er von tausend Teufeln gehetzt.
Die ersten Tropfen fielen.
Charles Vance beeilte sich, zum Haus zurückzukommen, doch der Boden wurde vom niederprasselnden Regen innerhalb weniger Minuten aufgeweicht.
Der hagere Mann hatte das Gefühl, auf Schmierseife zu laufen. Immer wieder rutschte er aus, konnte sich nur noch taumelnd auf den Beinen halten.
Es wurde dunkel, während der Wind noch lauter heulte und der Regen unaufhörlich hernieder rauschte.
Vance hatte alle Mühe, nicht die Orientierung zu verlieren. Wieder stolperte er und schlug lang hin. Seine Hose war jetzt vollkommen ruiniert.
Das Wasser stand ihm in den Schuhen. Vance schnappte wie ein Ertrinkender nach Luft.
Plötzlich erstarrte er.
Zwischen zwei Büschen, deren Zweige sich wie die zuckenden Leiber von großen Schlangen hin und her bewegten, sah er die Gestalt eines Mädchens.
Der zarte Körper wurde von einem weißen Kleid umhüllt, das fast durchsichtig wirkte. Die langen Haare fächerten über die Schulter und bewegten sich wie selbständige Geschöpfe.
Große Augen sahen den hageren Mann durchdringend an. Die Lippen bewegten sich, doch kein Laut drang an Charles Vances Ohren.
Der hagere Mann stand noch immer wie erstarrt.
Fassungslos starrte er auf die Gestalt des jungen Mädchens, das ihm jetzt zuwinkte, als benötigte es Hilfe.
Charles Vance schloss die Augen.
Seine Gedanken überschlugen sich.
Doch als er wieder zu der Stelle hinüber blickte, war das Mädchen noch immer da.
Vance kannte die junge Frau genau.
Seit fünf Tagen geisterte sie durch seine Alpträume. Es war jenes Mädchen, das von den vermummten Schergen zu dem blutbefleckten Altar geschleppt wurde.
Vance stöhnte auf.
Er schrie, doch der Wind riss ihm die Worte von den Lippen. Langsam taumelte er auf das Mädchen zu, das ihm nach wie vor in gespenstischer Lautlosigkeit zuwinkte.
Erneut stolperte Vance und musste zu Boden. Als er mühsam wieder auf die Beine kam, war das weißgekleidete Mädchen verschwunden.
Der Regen peitschte in Charles Vances Gesicht. Seine Haare lagen plattgedrückt am Kopf.
Er rieb sich die Augen, doch das Mädchen im weißen Kleid blieb verschwunden.
Das Wüten des Sturms verstärkte sich weiter.
Vance wankte zu der Stelle hinüber, wo sie gestanden hatte. Seine Blicke suchten den Boden ab, konnte jedoch keinerlei Fußspuren entdecken.
Wieder schlich namenloses Grauen durch seinen hageren Körper. Wie ein gehetztes Tier sah er sich nach allen Seiten um. Es war inzwischen fast dunkel geworden.
Der Wind peitschte die Äste der Bäume und Büsche. Aus den schwarzen Wolkenmassen zuckten schwefelgelbe Blitze, erhellten für Sekundenbruchteile das Land.
Berstender Donner rollte heran. Es schien, als würde die Welt untergehen.
Charles Vance brachte sich unter Kontrolle. Er lief los - in der Hoffnung, das Haus schnellstens zu finden. Wieder landete er nach wenigen Metern auf dem aufgeweichten Boden, der sich schwammig anfühlte.
Fluchend kam er auf die Beine und fühlte, dass der Sumpf ihn festhielt. Mit aller Kraft zog er einen Fuß aus der teigigen Masse hervor.
Sein Schuh blieb stecken und versank mit einem schmatzenden Laut. Schon reichte ihm das Moor bis zu den Knöcheln.
Vance warf sich nach vom, konnte einen Ast erreichen und hangelte sich aus der sumpfigen Stelle heraus. Sein Aussehen glich jetzt dem eines Schlammcatcher in der dreizehnten Runde.
Vorsichtig setzte er Schritt vor Schritt.
Dann trat er zwischen den Büschen hervor.
Sein Gesicht verzog sich zu ungläubigem Staunen. Strahlender Sonnenschein blendete ihn. Das große Haus lag vor ihm, umflutet von goldenen Sonnenstrahlen.
Kein Wölkchen bedeckte den blauen Himmel. Der Frühlingswind säuselte sanft in den Bäumen.
Immer noch stand der hagere Mann wie erstarrt. Das Wasser tropfte aus seinen Kleidungsstücken. Eine große Lache bildete sich zu seinen Füßen.
Langsam wandte er sich um, doch wohin er auch blickte, sah er nur strahlenden Sonnenschein.
War er wieder einem Spuk zum Opfer gefallen? Hatte er sich den Sturm nur eingebildet? War das Mädchen im weißen Kleid nur ein Bild seiner überreizten Phantasie gewesen?
Kopfschüttelnd lief Charles Vance auf das Haus zu. James Riders kam ihm entgegen. Der fassungslose Ausdruck auf dem Pausbackengesicht des Butlers ließ Charles lächeln.
»Aber, Sir«, stieß James hervor. »Was ist geschehen? Sind Sie in den Sumpf geraten?«
Charles Vance nickte.
»So ähnlich, James«, sagte er ausweichend. »Bitte legen Sie mir frische Kleidung zurecht. Ich möchte mich umziehen.«
Der Butler stürzte davon.
Charles sah das neugierige Gesicht von Georgia, die aus einem der vielen Fenster blickte.
Eine halbe Stunde später hatte der hagere Mann geduscht und sich umgezogen. Immer wieder dachte er über die Ereignisse nach, die er im Moor erlebt hatte. Sie wollten ihm einfach nicht aus dem Sinn gehen.
Charles blieb in seinem Arbeitszimmer. Nachdenklich starrte er auf die Schreibmaschine, spannte dann die halb beschriebene Seite aus und führte ein neues Blatt ein.
Dann schrieb er alles nieder, was er in den letzten vierundzwanzig Stunden erlebt hatte. Es ging ihm flott von der Hand, doch eine Erklärung der unheimlichen Geschehnisse fand er nicht.

*

»Wie sieht es mit dem Telefon aus?« fragte Charles Vance und blickte James fragend an.
»Sorry, Sir, doch die Leitung ist nach wie vor tot. Dauert scheinbar dieses Mal länger als sonst.«
James Riders stand steif wie ein Ladestock vor Vance. Sein Gesicht sah rosig aus.
»Was gibt es noch?« fragte Vance.
»Das Abendessen ist bereitet, Sir. Wünschen Sie unten oder hier im Zimmer zu speisen?«
»Ich komme runter«, meinte der hagere Mann. »Sie können servieren lassen. In fünf Minuten bin ich unten.«
Der Butler verschwand. Sanft fiel die Tür hinter ihm ins Schloß. Charles schrieb noch einige Sätze und erhob sich. Draußen senkte sich die Dämmerung hernieder.
Vom Moor krochen weiße Nebelschwaden heran, die bald wie Leichentücher alles überziehen würden.
Vance sog die frische Luft in seine Lungen. Schon wollte er vom Fenster zurücktreten, als er zwischen den wabernden Nebelschleiern eine Gestalt zu sehen glaubte.
Er hielt den Atem an.
Seine Augen verengten sich. Plötzlich spürte er wieder eine kalte Hand, die schmerzhaft nach seinem Herzen griff. Sein Körper war innerhalb weniger Sekunden wie in Schweiß gebadet.
Vance schluckte schwer. Sein Adamsapfel tanzte auf und ab, schien zu einem selbständigen Lebewesen geworden zu sein.
Er starrte auf das Mädchen in Weiß, sah das feine Gesicht, das ihn mit einem flehenden Ausdruck anblickte.
Sie schien wie ein Schmetterling zwischen den immer dichter werdenden Nebelschwaden zu gaukeln. Ihre Füße schwebten über dem Boden.
Vance konnte es deutlich sehen.
Seine Hände schraubten sich so fest um den Fenstersims, dass die Knöchel bleich schimmerten. Wie gebannt blickte er zu dem schwebenden Mädchen hinüber, das ihm jetzt zuwinkte.
Charles Vances Erstarrung löste sich.
Fast zaghaft hob er eine Hand und winkte zurück.
Ein Lächeln glitt über die geisterhaft bleichen Gesichtszüge des Mädchens im weißen Kleid, doch die Augen blieben voller Traurigkeit und tiefem Schmerz.
Der hagere Mann machte kehrt und rannte aus seinem Zimmer. Er eilte die Treppe hinunter, rannte beinahe Georgia über den Haufen, die ihm erschreckt nachsah, und verließ das Haus.
Draußen versuchte er sich zu orientieren.
Charles sah die wogenden Nebelschleier, doch von dem Mädchen keine Spur. Verzweifelt wanderte sein Blick nach allen Seiten. Dann eilte Vance zu der Stelle hinüber, wo sich das Mädchen befunden hatte.
Nichts. Sie war und blieb verschwunden.
Wieder hatte Charles Vance das Gefühl, dass ihm seine Phantasie einen Streich gespielt hatte. Unentschlossen blieb er stehen, schloss die Augen und verweilte so einige Sekunden.
Es war jetzt fast vollkommen dunkel geworden. Ein Vogel krächzte in den Zweigen eines Baumes. Irgendwo heulte ein Hund die bleiche Scheibe des Mondes an, die jetzt langsam über dem Horizont aufstieg und immer höher kletterte.
Charles kehrte ins Haus zurück, wo ihn Georgia mit sonderbarem Blick musterte.
Sie hält mich bestimmt für verrückt, dachte Vance. Kein Wunder, vielleicht bin ich es auch schon geworden. Irgend etwas geht hier vor, und ich scheine der Mittelpunkt dieser gespenstischen Auseinandersetzung zu sein.

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