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Die Seuche aus dem All


Die Seuche aus dem All

Terra Utopia - Band 3
Terra-Utopia, Band 3 1. Auflage

von: Michael Abrahams

1,99 €

Verlag: Novo Books
Format: EPUB, PDF
Veröffentl.: 16.09.2023
ISBN/EAN: 9783961273416
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 108

Dieses eBook erhalten Sie ohne Kopierschutz.

Beschreibungen

Rätselhafte Katastrophen erschüttern weltweit die Erdölkonzerne. Bohrinseln und Förderanlagen explodieren, Tankschiffe und Treibstofflager fliegen in die Luft und alle Fahrzeuge und Maschinen, die mit Verbrennungsmotoren angetrieben werden, versagen und niemand weiß warum.
Die Menscheit steht am Abgrund. Eine fieberhafte Forschung nach Ursachen und Auswegen beginnt.
Steuermann Hinnen fielen fast die Augen heraus: Fünfzig Meter vor der Kommandobrücke beulte sich das Mitteldeck auf wie eine Büchse Apfelmus, deren Inhalt gärte. Im Licht der Bordlampe sah es aus wie ein Hexentanzplatz.
Es war sowieso zu spät. Hinnen kam nicht mehr dazu, Alarm zu geben. Die Explosion riss ihn von den Beinen, bevor er kapierte, was passierte.
Tank 2, im vorderen Mittelschiff flog in die Luft. Die grelle Feuerlohe schoss in den nächtlichen Himmel, als wollte sie die tiefhängen-den Wolken verbrennen. Der Knall betäubte den Steuermann beinahe.
Zerrissene Wanten, Rohrfetzen, Gestänge prasselten ins aufgewühlte Meer und aufs Schiff. Scheiben klirrten. Schreie gellten. Durch das Heulen des Sturmes setzte ein unerhörter Spektakel ein.
Es war überflüssig, noch die Alarmsirene in Betrieb zu setzen. Hinnen, kaum wieder auf den Beinen, klammerte sich trotzdem sekundenlang daran fest. Der schwere Tanker legte über. Der Explosionsdruck hatte den vollbeladenen Schiffskörper aus der Balance geworfen.
Hinnen riss sich los und raste zum Schiffstelegraphen: Alle Maschinen stop! Ruder hart Steuerbord gegen die Wogen! Dann turnte er zum Sicherheitsautomaten: Feuer an Bord!
Hinnen fluchte vor sich hin. Dass eine Kommandobrücke so verhängnisvoll groß sein konnte! Bei den modernen Supertankern war das nun mal so. Die geräumige Kommandobrücke war gewöhnlich auch nicht nur mit einem Mann besetzt!
Die Feuergarbe prasselte so laut, dass sie das fauchen des Sturms übertönte. Augenblicklich trieb der die Flammen noch über Bord. Das Schiff gehorchte jedoch dem Steuer. Bei Nacht war lediglich nicht zu erkennen, wohin sich der Bug neigte.
„Mann, sind Sie wahnsinnig?" Kapitän Olson stürzte puterrot durchs Schott. Er hatte noch die Schlafanzughose an. „Ruder zurück auf alten Kurs! Solange der Sturm das Feuer über Bord treibt, verringert sich die Gefahr..."
„Und das Schiff bricht auseinander", brüllte Hinnen dagegen. „Wenn die See über Bug kommt, besteht die Chance, den Brand einzudämmen."
Es war sinnlos, sich zu streiten. Prinzipiell hatten beide recht. Seit der Explosion waren erst wenige Minuten vergangen. Drunten am Fußballfeld großen Deck kämpften bereits drei Löschtrupps gegen Feuersbrunst und Wogen. Der Kampf war ziemlich aussichtslos. Sie konnten nur die übrigen Tanks retten. Der in Brand geratene war kaum zu löschen.
Inzwischen war die gesamte Brückenbesatzung aufgetaucht. Aus der Funkkabine piepte das obligatorische SOS — Feuer an Bord. Der zweite Funker hatte sogar Sprechfunkverbindung mit Norddeich-Radio.
Das Schiff behielt den von Hinnen eingeschlagenen Kurs bei. Anfangs loderten die Flammen bis fast zur Brücke herauf. Der Wind trieb die Rauchschwaden jedoch nach oben. Die Löschmannschaften konnten nicht dicht genug heran zur Flammenwand. Aber Hinnens Rechnung ging auf: Die über den Bug hereinbrechenden Wellen beschützten den Tank 1 im Vorschiff vor den Gluten. Und immer wieder ergossen sich Wassermassen sogar noch ins flammende Inferno.
Mehr konnte niemand tun - und beten, dass der strapazierte Schiffsrumpf das Rollen durch die kurzen Nordseewellen aushielt.
„Wo waren Sie denn gerade, Bosworth?" wandte sich Olson an den Maat, der die Nachtwache mit Hinnen geteilt hatte.
„In der Kombüse, Sir. Ich wollte uns Kaffee 'raufholen. Bis wenige Minuten vorher war nichts."
„Das glaube ich auch so!" Olson rief nach dem Ingenieur. Aber der war kurz vorher an Deck gegangen. Beim Kampf gegen die Flammen wurde jede Hand benötigt. „Well, ich gehe, mich endlich umzuziehen. Behalten Sie den Kurs bei, Hinnen. Geben Sie langsame Fahrt, damit sich unser brennendes Schaukelpferd stabilisiert."
Niemand geriet wegen des Feuers in Panik. Keiner kam auf die Idee, in die Boote zu gehen. Bei dem herrschenden Seegang wäre das zudem riskanter als an Bord zu bleiben. Solange nicht das ganze Schiff loderte, war man nirgends sicherer als auf dem supergroßen Schiff.
„Geben Sie eine Warnung an die Löschmannschaften, Bosworth", rief Dr. Jongaard herein. Er war der Petro-Chemiker an Bord. „Ich muss schleunigst die übrigen Tanks entgasen. Die Temperatur nimmt ständig zu."
„Ist doch gar nicht möglich, Doc", rief Hinnen. Er blieb stur an den Steueraggregaten. „Die Sicherheitsautomaten pumpen ständig Wasser durch die Hohlschotts."
„Lassen Sie Bosworth machen, was ich gesagt habe! Ich habe keine Ahnung, wieso die Temperatur ansteigt. Sie tut es jedenfalls. Der Entgasungsdruck schießt die Männer von den Beinen, wenn er sie unvorbereitet trifft."
Bosworth war schon dabei. Er gab es über UKW an die Leiter der Löschtrupps. Es war hell genug, um von der Brücke aus zu sehen, dass sich die Leute untereinander verständigten. Die hochgehende See konnte ihnen mittschiffs nichts anhaben. Die über den Bug hereinbrechenden Wogen verloren sich im Flammenmeer.
Dr. Jongaard verließ sofort wieder die Brücke. Das Schiff war und blieb funktionsfähig. Solange das Feuer nicht auf andere Tanks übergriff, bestand keine Gefahr. Allerdings konnte das Schiff keinen Hafen anlaufen bevor das Feuer erloschen war. Augenblicklich war das sowieso illusorisch. Beim gegenwärtigen Kurs käme es eher am Nordpol heraus.
„Verdammt nochmal, wie will Jongaard denn an den Tank 'rankommen?" brüllte Hinnen plötzlich. Bei dem Lärm konnten sie nur laut rufen und eben brüllen.
„He — wo ist der Chef?" rief Newland aus der Funkkabine. „Ruft den Chef! Sein Typ wird verlangt. Wilhelmshaven ist dran!"
Bosworth betätigte sofort die Rufanlage : Kapitän auf die Brücke!
Unten auf Deck rannten der Petro-Chemiker und sein Assistent, beide verpackt in Asbestanzügen, von einem Entgasungsventil zum anderen. Sie müssten sie von Hand bedienen, um die Richtung der entströmenden Gase zu bestimmen. Die automatische Anlage konnte das nicht. Es gäbe eine Katastrophe, wenn die Düsen die Gase in die Flammen blasen würden.
„Das ist doch nicht möglich", polterte der Kapitän herein. Er hatte schon vom Anfang her gesehen, was die beiden an Deck taten.
„Ich versteh's auch nicht", rief Hinnen zurück. „Aber der Doc hat recht: Sehen Sie bloß mal, wie der Druck das Wasser peitscht!"
Der Begriff ,Wasser' war übertrieben. Das Metalldeck war lediglich nass. Der Druck der entweichenden Gase blies die Nässe regelmäßig davon.
Kapitän Olson war von der Erscheinung so verblüfft, dass er den Funker vergaß, der Wilhelmshaven dran hatte. Ihm war unerklärlich, woher der starke Druck stammte. Der Augenblick der lodernden Feuerwand beruhigte ihn auch nicht gerade.
„Sir", erinnerte Newland. „Dr. Wittmann, Wilhelmshaven, will Sie haben. Ich habe schon durchgegeben, was passiert ist."
„Ach ja." Der schlanke Kapitän riss sich zusammen. Er eilte zur Funkkabine. „Was ist denn eigentlich passiert, dass Sie es so genau wissen?"
Er erwartete keine Antwort und er bekam keine. Newland drückte ihm stumm das Mikrofon in die Hand, und Olson meldete sich.
„Hier spricht Wittmann", kam es, als ob er durch die Nase redete. „Mein Anruf ist illusorisch geworden. Das Malheur ist schon passiert. Hat es Verletzte gegeben, Kapitän? Over."
Olson runzelte die Stirn: Nach Toten fragte der Reeder gar nicht erst! „Bis jetzt nicht. Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie mit dem Feuer an Bord gerechnet haben? Over."
„Beunruhigen Sie sich nicht, Kapitän. Sie haben das Feuer ja unter Kontrolle! Und gerechnet' ist nicht das richtige Wort. Bis Sie die Reede von Wilhelmshaven erreichen, ist das Feuer bestimmt gelöscht. Benachrichtigen Sie uns, wenn neue Schwierigkeiten auftreten. Wo etwa stehen Sie gegenwärtig? Over."
Der Reeder müsste verrückt sein, überlegte Olson. Hatte der je auf einem brennenden Tanker gesessen? „Weiß ich nicht genau im Moment. Wir sind um 19.00 Uhr WT von Whalsey Shettland-4 mit Südwest und rund fünfzehn Seemeilen in See. Letzte Position gegen drei Uhr WT war 57-30 Nord und 1-20 Ost, etwa auf Höhe Aberdeen Skagerrak. Seit der Explosion haben wir Nord-Nordost-Kurs. Bis Löschboote eintreffen können, vergehen grob überschlagen fünf Stunden, erst recht bei dem Seegang.
Wenn der nachlässt, könnten wir in Leertanker umbunkern, falls bis dahin einer zur Stelle ist. Over."
„Der erfahrene Seemann sind Sie, Kapitän Olson, nicht ich. Wenn Sie Ihr Manöver für richtig halten, Versuchen Sie wenigstens, in die Nähe von Bohrturm ,Bergen-Süd 14' zu kommen. Kann achtern ein Hubschrauber landen? Over."
Olson unterdrückte seinen Unwillen. Diesen verdammten Reeder interessierte das Schicksal von Mannschaft, Schiff und Ladung anscheinend wenig. Und er wüsste etwas, das er dem Kapitän vorenthielt! „Sollen wir das Schiff aufgeben oder wie ist Ihre Frage zu verstehen? Over."
„Dazu besteht Ihrer Schilderung nach keine Veranlassung, Kapitän Olson. Rechnen muss man natürlich immer mit allem. Sie hatten in Shettland-4 direkt gebunkert, nicht wahr? Over."
„Ja. Vermuten Sie, dass Sabotage im Spiel ist? Over."
„Wir vermuten gar nichts Wir setzen uns mit der Satelliten Erdfunkstation in Verbindung, um Ihre genaue Position zu ermitteln. Mit Infrarot dürfte sich das Feuerwerk an Bord trotz Tiefdruckgebiet ermitteln lassen. Wir geben Ihnen dann genaue Kursbestimmungen nach ,Bergen-Süd-14'. Es wird etwa eine halbe Stunde dauern. Ende."
„Ende", bestätigte Olson grübelnd. Da stimmte etwas nicht. Er reichte Newland das Mikrofon zurück und lief auf die Brücke zu Hinnen.. Die Gesichter der paar Männer, flackerten gespenstisch im Schein der Flammen.
Er könnte die Wände hochgehen weil man so hilflos war. Mit zwanzig Mann Besatzung konnte man herzlich wenig tun. Die zwölf Leute des Löschtrupps standen vor einer Sisyphusarbeit. Die übrigen acht, er eingeschlossen, konnten ihre Posten nicht verlassen, wenn das Schiff manövrier- und betriebsfähig bleiben sollte. Wenn wenigstens die Nacht bald ein Ende hätte! Nach MEZ war es halb sechs.
Zehn Minuten später kehrte Dr. Jongaard zurück. Sein Assistent war sofort ins Labor hinunter gegangen. „Mit dem Rohöl geht etwas vor sich, das nicht sein dürfte, Olaf. Einen solch starken Überdruck durch Gase gibt es gar nicht. Wenn wir nicht aufpassen, zerreißt es die Tanks, ohne dass nur ein Funke in sie dringt."
„Wir sollen Kurs auf ,Bergen Süd-14' nehmen", sagte Olson düster. „Man will uns in einer halben Stunde die Position durchgehen. Wenn der Seegang so bleibt, bricht der Kahn auseinander. Die Wände an Tank 2 müssen ja schon glühen"
„Bergen Süd-14!" Jongaard, ein graumelierter Vierziger, sinnierte. „Das ist doch die Petro-Analytische! Sonderbar."
Der Kapitän zuckte die Schultern. „Wir müssen die Löschmannschaft ablösen, Die Frage ist bloß: Durch wen?"
„Kapitän – nur zur Information!" Der zweite Funkgast stand auf einmal neben Ihm. Er reichte Er reichte Olson Blätter mit aufgeklebten Morsestreifen und darunter handschriftlich die Dechifrierung.
Jongaard schaute dem Kapitän über die Schulter. Schon die erste der fünf angefangenen Meldungen erschreckte ihn. „Was ist plötzlich los, sag mal? Soviele Zufälle auf einmal gibt es gar nicht!"
Olson schwieg. Er studierte die Zettel und versuchte zu kombinieren: SOS Esso Albertine-3, Explosion in Vorder- und Achtertanks, Position: Rotes Meer. SOS Esso-Nelson, Explosionen in Tank 1, 3, 4, Position 100 sm südlich Cadiz. SOS Euro-Oil Queen Sea, Schiff völlig in Flammen, Position 70 sm Azoren ...
„Sir, wenn wir die Docker-Leitung öffnen", brüllte der Maschinen-Maat in die Brücke, „würde das nicht brennende Öl auslaufen können. Servo fürchtet, dass sonst der Boden durchglüht und der Kiel ausbricht."
In Olson kam Bewegung. Er drückte Jongaard die Papiere in die Hand. „Bosworth, fluten Sie Vorschiff auf 30. Ich bin gleich wieder da!"
Bosworth flitzte an die betreffenden Schaltanlagen. Hinnens Blick pendelte von der Flammenwand zu seinen Kontrollanzeigern. Unten an Deck sah er schon den Kapitän und den Maat über Deck rennen. Der Berg aus Löschschaum bröckelte bereits auseinander.
„Erinnern Sie sich, Hinnen", bemerkte der Petro-Chemiker nachdenklich, „was als Brandursache bei der Euro-Oil Exxon Alexandria vermutet wurde?"
Der Steuermann überlegt. Es war nicht einfach, die Kontrollgeräte zu beobachten, die Flammenwand im Auge zu behalten, für blitzschnelle Reaktionen bereit zu sein und auch das Gedächtnis zu strapazieren. Steuermann an Bord eines volltechnisierten Supertankers zu sein war nicht dasselbe wie der klassische Steuermann, wie man ihn aus Richard Wagners Fliegenden Holländer kannte. „Sprengladung — oder? Das war doch vor drei Wochen."
Jongaard zuckte enttäuscht die Schultern: Hinnen war eben kein Fachmann. Es war sinnlos, mit ihm darüber zu diskutieren. Die Hypothese löschte die Flammen nicht. „Haben Sie die Explosion hier zufällig beobachtet?"
Hinnen schrak hoch. Die Erinnerung lenkte ihn ab. Er bejahte und schilderte seinen Eindruck. Der Schreck über das Phänomen stak ihm mehr in den Knochen als das Feuer.
Der Petro-Chemiker nickte. „Ich bin im Labor. Rufen Sie mich, wenn Sie bei den Tanks was Auffälliges feststellen."
Der Kapitän rannte ihn beinahe um, als er zum Mittelschott hinauswollte. „Maschinen äußerste Kraft rückwärts. Wir müssen querlegen ..."
Hinnen reagierte sofort. Bosworth rannte zur Backbordanlage. Olson sprach über UKW mit den Feuerwehrleuten. Wenn das. Manöver nicht gelang, stand die totale Katastrophe unmittelbar bevor. Das wüssten aber nur er und der Maschinenmaat. Sekunden oder Minuten — was spielte das für eine Rolle? Bei der immer noch herrschenden Dunkelheit war die eine Richtung so gut zu erkennen wie jede andere. Die Flammenwand schien kurze Zeit in sich zusammenzufallen.
Der Koloss von Schiff stampfte schwer. Das vor kurzem kaum zu bemerkende leichte Wiegen des breiten Decks verstärkte sich enorm und zugleich seitlich. Brecher rollten von vorne her an der Reeling entlang. Die Männer waren gewarnt. Sie hielten sich fest. Die nachfolgenden Wogen konnten gefährlicher sein.
Im vorderen Teil mittschiffs zischten gigantische Dampffontänen hoch. Das tobende Meer erschüttete sich gegen die glühende Bordwand. Es knallte ein paarmal ohrenzerfetzend. Schweißnähte platzten und Nieten knallten davon wie Sprengladungen. Sonst aber passierte nichts.
Olson wischte sich den Schweiß vom Gesicht. „Das ist nochmal gut gegangen. Wer hier entbehrlich ist, 'runter zu den Löschtrupps. Die Wand aus Löschschaum muss neu aufgebaut werden."
Die über Backbord rollenden Brecher hatten den Berg weggewischt. Unten an Deck kam wieder Leben in das Dutzend Männer. Die Flammen loderten zur Seite. Das Schiff hatte dem Ruder gehorcht.
Inzwischen war die Positionsmeldung eingetroffen. Steuermann und Kapitän eilten zum Messtisch mit der Seekarte. Die größte Gefahr schien gebannt zu sein. Am Himmel zeigten sich erste Anzeichen, dass es Tag zu werden versprach. In fünf Stunden hätten sie Helgoland passieren sollen. Wie es aussah, erreichten sie nur mit einer gehörigen Portion Glück in fünf Stunden ,Bergen Süd 14'.
An Ablösung war nicht zu denken. Bei Feuer an Bord hatte sowieso niemand Sinn zu schlafen. Sie konnten nichts weiter tun als das Feuer in Schach zu halten und auf Kurs zu bleiben. Mit Anbruch des Tages quoll beizender schwarzer Qualm aus dem in Flammen stehenden Teil. Die Flammen wann nur noch von Deck aus zu sehen
Der nachlassende Sturm hielt die mächtige Rauchwolke zusammen wie eine Fahne.
Alle neunzig Minuten liefen Jongaard und sein Assistent von einem Entgaser-Ventil zum anderen. Jedesmal entwich den Düsen ein enormer Druck. Seine Herkunft blieb nach wie vor rätselhaft. Nicht einmal Kaptiän Olson wurde sich klar darüber, dass sie es allein Jongaard verdankten, noch zu schwimmen. Das wurde dem Chemiker selber nicht bewusst.
„10 Backbord voraus Trawler oder so was", riss Bosworth gegen halb zehn morgens die Männer auf der Brücke aus der Apathie. Die seit Stunden anhaltende Katastrophen-Drohung war zur Routine geworden.
„Es sind zwei", rief Hinnen. Er hatte sie auf den Radars.
„Feuerlöschboote der Marine", rief Newland aus der Funkkabine. „Sie halten auf uns zu. Wir sind mit unserer Rauchfahne nicht zu übersehen."
Olson lächelte. „Seit sechs Stunden Feuer, und wir leben noch. Behalten Sie Kontakt. Legen Sie alle Anrufe um auf Steuermann. Ich bin im Labor."
Die Wolken hingen höher. Der Seegang hatte naehgelasscn. Die Sicht war wenn als noch vor zwei Stunden. Von der Ölbohr-Insel ,Bergen Süd war immer noch nichts zu sehen, auch nicht auf Radar.
Das kleine Labor Dr. Jongaards lag unter den l Kommando- und Logisaufbauten. Imehr als diese besaß ein Tanker nicht.
„Ich habe Proben abgezapft, ja“, bestätigte Jongard. Denn Olson wüsste auf Anhieb, ws die Behälter enthielten. „Die Analyse läuft noch. Was ich in der Zentrifuge hatte, gibt keinen Aufschluss."
„Du bist überzeugt, dass es am Rohöl selber liegt", tippte der Kapitän. Die elektronischen Analytomaten erinnerten eher an eine Schaltstation als an ein klassisches Chemo-Labor. Zentrifugen, Reagenzgläser, Mörser, Bunsenbrenner und ähnliches wirkten dagegen wie Museumsstücke.
Jongaard hatte sie trotzdem benutzt. „Das war vor drei Wochen schon der Fall, als die ,Exxon Alexandria' explodiert ist. Ich hatte allerdings nur das Nordsee-Öl in Verdacht."
„Was für einen Verdacht?" Olson suchte sich den einzigen Sitzplatz. Er erinnerte sich seiner Vermutung, dass Dr. Wittmann ihm eine wichtige Information vorenthalten hatte, als er nachts mit dem Reeder über Sprechfunk verbunden war. Er fand es zudem seltsam, dass dieser Mann nachts überhaupt erreichbar gewesen war. „Habt ihr 'ne Tasse Kaffee für mich?"
Der Assistent lief schon. „Ihnen auch, Dok?"
Der machte eine bejahende Geste und notierte Zahlenwerte des Analytomaten. „Dass was mit dem Öl nicht stimmt. Spannung, Reaktionsträgheit, Tetraederwinkel der Moleküle — was weiß ich. Mit meinen simplen Mitteln habe ich nichts gefunden. Die in Aberdeen und Wilhelmshaven sind hundertfach besser ausgerüstet. Soviel ich weiß, haben sie aber auch nichts entdeckt."
„Wonach sollen sie denn suchen, das imstande ist, allen Sicherheitsvorkehrungen zum Trotz eine explosionsartige Selbstentzündung zu verursachen?" wunderte sich Olson. „Ich bin Seemann, kein Chemiker. Aber mich fragen sie zuerst."
Der Assistent kam mit dem Kaffee. Er löste Jongaard an den Geräten ab, die noch arbeiteten. „Wenn ich erinnern darf, Dok: In einer Viertelstunde müssen wir entlüften."
„Danke, ja." Jongaard musterte den noch relativ jungen, schlanken Kapitän, der so gar nichts von dem an sich hatte, was „alte Seebären" auszeichnete, nicht einmal einen Bart. „Ich weiß es nicht, Olaf. Dass eingebunkertem Rohöl mal Gase entweichen, ist ein alter Hut, aber kein Grund zur Explosion. Außerdem stimmt mein Verdacht nicht, dass sich die Erscheinung auf Nordsee-Öl beschränkt."
„Du denkst an die SOS-Rufe!"
„Im Atlantik, in der Straße von Gibraltar, im Roten Meer. Schlage nach, woher die Tanker kamen: Venezuela, Nigeria, Persischer Golf."
„Zufall und Sabotage schließt du aus "
„Ich bin Chemiker und kein Kriminalist. "
„In wenigen Minuten haben wir den Besuch von zwei Löschbooten. Ich wette, da ist jemand an Bord, dem die Ursache wichtig genug erscheint. Was soll ich sagen?"
„Was Hinnen beobachtet hat. Mehr wissen wir nicht."
„Hinnen?" Olson setzte verwundert die Tasse ab. „Bis jetzt hat er mir nichts..."
„Frage ihn, du wirst es kaum glauben, Olaf. Deshalb hat er auch nichts gesagt. Wir kümmern uns inzwischen um die Ventile. Ein Wunder, dass das Vorschiff mit Tank I noch nicht in die Luft geflogen ist. An jene Ventile kommen wir gar nicht heran."
Kapitän Olson hatte Verständnis für den umschriebenen Hinauswurf. Er müsste sowieso zurück zur Brücke. Wenn sich sogar Marine-Einheiten um sein brennendes Schiff kümmerten, wollte man mit Sicherheit den Kapitän sprechen und nicht nur den Steuermann. Er begleitete die beiden Chemiker an Deck. Seit Wind und Wellen nachgelassen hatten, durfte man sieh kurze Zeit auch ohne Ölzeug hinauswagen. Jongaard und sein Assistent trugen allerdings Asbestanzüge.
Die Feuerlöschboote befanden sich auf gleichem Kurs beiderseits des Tankers. Wegen der nach schräg hinten über Bord hängenden schwarzen Wolke fuhr das eine dicht vor ihr her.
Das leere Deck verriet, dass zwischen Tanker und den Booten reger Funksprechverkehr herrschte. Die Löschtrupps hatten sich zurückgezogen. Denn auf den Meter genau würden die Sprühkanonen der Löschboote nicht zielen können.
Blitzartig ging Olson auf, in welche Gefahr sich Jongaard und sein Assistent begaben. Denn sie müssten an Deck agieren. Er konnte sie auch nicht zurückpfeifen, weil es an der Zeit war, die Ventile zu öffnen.
Er raste hinauf zur Brücke. Noch hatten die beiden Begleitschiffe mit dem Löschbombardement nicht begonnen. Hinnen erteilte über Funk gerade Anweisungen und Zielansprachen.
„Halt — nicht: Die müssen noch warten", brüllte Olson vom Schott her. ,,Jongaard ist an Deck. Geben Sie her..."
Das war tatsächlich in letzter Minute. Jongaard hatte keine Ahnung, in welcher Gefahr sie schwebten. Der Strahl der Löschka-none brauchte ihn nicht einmal zu treffen. Der Druck wenige Meter daneben reichte aus, Menschen wie einen Spielball über Deck zu schleudern. Knochenbrüche wären noch harmlose Folgen.
Die Arbeit war ihnen schon zur Routine geworden. Diesmal drückte Jongaard Behälter gegen die Ventile, um die Gase aufzufangen. Eine naive Beschäftigung: Gewöhnlich wurden Schläuche und Druckflaschen angeschlossen.
„Komme mir vor wie die Schildbürger, die das Licht mit Kesseln auffangen wollten, um es ins Rathaus zu tragen", sagte er grinsend.
„Für unsere Zwecke genügt es", widersprach der andere. „Warum haben Sie dem Chef nicht gesagt, was Sie vermuten?"
„Weil er auf mein Wort baut", entgegnete Jongaard unwillig. „Dass eine Kommission an Bord kommt, ist sicher. Aber die Untersuchungs-Inspektoren sind Knallköpfe ohne Phantasie. Wenn der Kapitän ihnen die Bakterien-Hypothese serviert, ist die vom Tisch, ohne dass ihr je einer wenigstens nachgegangen ist."
„Mir leuchtet sie auch nichl ein."
„Das glaube ich Ihnen. Ich zweifle selber daran. Sie ist auch nicht auf meinem Mist gewachsen. Um sie im Öl selbst nachzuweisen, reicht die Kapazität unserer Analytomaten nicht Mit dem Hand-werkszeug unserer Garküche brauchen wir wochenlang oder schaffen es nie. Ich hoffe, dass sich im Gas mikroskopische Spuren nachweisen lassen."
„Und wenn die Theorie stimmt?"
„Hypothese, junger Mann!" erinnerte der Chemiker vorsichtig. „Wenn sie stimmt, fressen die Bakterien das Erdöl auf."
„Und das bedeutet?"
„Rechnen Sie es sich selber aus: Das Erdöl ist immer noch die Basis der Energiewirtschaft unserer Welt."
„Falls es stimmt und tatsächlich Bakterien die Ursache sind, wo kommen die auf einmal her? Die Erdölförderung ist über hundert Jahre alt."
„Stellen Sie leichtere Fragen, Menschenskinder. Aber sosehr hypothetisch ist das nicht. Bei den Tankerkatastrophen in den sechziger und siebziger Jahren hat man außer den chemischen Bindemitteln, die das ausgelaufene Rohöl allmählich zersetzen sollten, auch Bakterien eingesetzt. Die netten Tierchen haben also keine Frankenstein-Geschichte irgendeines Umweltschutz-Fanatikers. Fertig?"
„Fertig." Der Assistent rannte mit den gefüllten Behältern von Deck.
Jongaard schloß die letzten Ventile und folgte ihm. Er sah hinauf zur Brücke. Hinter den Scheiben gab Olson ihm Handzeichen.
Gleich darauf ließ sich der Kapitän mit dem Kommandoschiff der beiden Lösch-Trawler verbinden. „Hier spricht Kapitän Olson. Sie können anfangen. Besten Dank für Ihre Hilfe ..."
Drei Minuten vergingen. Dann schössen von jeder Seite vier gigantische weiße Strahlen genau ins Zentrum der Feuergluten. Die bekamen keine Gelegenheit hochzusprühen.
Es dröhnte und donnerte wie Trommelfeuer der Artillerie bei Großmanövern.

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