Manuela Polaszczyk

 

 

DDR

Erwachsen werden ist schwer

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Twilight-Line Verlag GbR

Hauptstraße 131

D – 63829 Krombach

Deutschland

 

www.twilightline.com

 

ISBN: 9783944315379

 

© 2008 Twilight-Line GbR

Alle Rechte vorbehalten.

 

 

Einleitung

 

Es ist die Zeit der ersten Liebe. Sie lernt den ersten Kontakt mit den Lippen, vielleicht sogar mit dem ganzen Körper kennen. Es ist eine Zeit der Entdeckungen. Der Suche nach Neuem.

Sie, Maria, merkt, dass ihr Körper sich verändert. Die weiblichen Formen bilden sich heraus. Den jungen Männern entgeht das nicht.

Erst hat die Scham Oberhand. Die Scheu vor den durchdringenden Blicken. Dabei entgeht Maria, dass es ein uraltes Spiel ist. Ein Mann findet eine Frau nett, anziehend oder einfach nur attraktiv. In jedem Mann geht etwas anderes vor. Maria weiß nicht was das ist. Es ist nicht nur der Körper, der so anziehend auf Männer wirkt. Manche junge Frau hat einen graziösen, weiblichen Körper. Wieder andere haben knabenhafte, noch nicht ganz ausgereifte Körper.

Auch Marias Körper zeigt Formen einer heranreifenden Frau. Marias Leben ist verworren, auch in den Gefühlen der Liebe. Das Leben zeigt ihr wie leicht oder auch wie schwer es ist, den eigenen richtigen Weg zu finden.

Sie hat Probleme mit ihrem Umfeld. Sie kann sich nicht den Regeln unterordnen. Sie muss sie selbst sein. Doch sie wächst in einem Regime auf, in dem sie nicht klarkommt. Immer wieder versucht sie, aus ihren Gegebenheiten auszubrechen. Das bringt sie oft an den Rand des Erträglichen...

 

 

 

 

 

Erwachsen werden ist schwer

 

Wir wollen in die Disco. Ich weiß nicht, was ich anziehen soll.

Jeans, das ist klar. Mit einem Rock habe ich es nicht so. Und was ziehe ich oben drauf an? Ein T-Shirt? Oder eine Bluse?

Nein...

 

Meine Freundinnen, die mich abholen kommen, überreden mich, eine Bluse anzuziehen. So recht wohl fühle ich mich darin nicht. Viel Lust auf Disco habe ich eigentlich auch nicht. Trotzdem geh ich mit. Immer noch besser, als sich zu langweilen.

 

Dort angekommen, gehen meine Freundinnen gleich tanzen. Ich suche mir einen Platz an einem Tisch und setze mich. Ein paar Jungs sehen zu mir. Auf Männerbekanntschaft bin ich heute nicht aus. Das zeige ich auch ganz deutlich.

 

Nach Tanzen ist mir auch nicht. Ich bestell mir etwas zu trinken und schau belanglos in der Gegend herum. Ein junger Mann kommt und fordert mich zum Tanzen auf. Ich will doch gar nicht. Dennoch gehe ich mit.

 

Wir tanzen auseinander. Ist mir ganz recht. Anfassen muss der mich nicht gerade. Ständig blicken seine Augen auf mich. Das macht mich nervös. Der soll woanders hinschauen. Ich bin doch nicht aus Schokolade. Die will er ja auch nicht. Das Lied endet. Jetzt spielen sie langsames. Na, da bin ich ja hell begeistert.

 

Ich will mich setzen. Er lässt mich nicht. Er zieht mich zurück auf die Tanzfläche und hält mich ganz fest in seinen Armen. Ich wehre mich, aber es gefällt mir auch. Seltsam...

 

Meine Abwehr lockert sich. Ich werde ruhiger und entspanne mich in seinen Armen. Er beginnt ein Gespräch. Ich will nicht reden. Ich genieße diesen Augenblick. Und der, der macht alles kaputt mit seinem Gerede.

 

Er fragt mich nach meinem Namen. Etwas lieblos sage ich Maria. Mehr reden will ich nicht. Er sagt mir seinen Namen. Er heißt Alexander, Alex genannt. Während des Tanzens erzählt er mir fast seine ganze Lebensgeschichte. Ich sage fast gar nichts. Das macht ihm anscheinend nichts aus. Dafür redet er ja für uns beide.

Macht er dann doch mal Pause, lächelt er mich an. Ein seltsames Lächeln. Beruhigend, auch erregend, anders als das was ich kenne.

 

Hoffentlich ist die Musik bald zu Ende! Ich möchte mich setzen. Ich fühle mich gar nicht wohl in meiner Haut. Wenn ich ihn nur richtig ansehen könnte, aber dann werde ich rot und das wird peinlich. Ich will doch aber wissen wie er aussieht. Die Zeit scheint stehen geblieben, dieses eine Lied scheint niemals zu Ende zu gehen. Es scheint wie ein Traum. Ob so die Liebe ist? Wer weiß das schon...

 

Er hält mich immer noch in seinen Armen. Seine Augen sind geschlossen und auf seinem Mund liegt ein Lächeln. Er ist ganz sicher älter als ich. Fünf, sechs Jahre bestimmt. 20 Jahre wird er schon sein. Viel zu alt für mich. Ich möchte ja auch einen Freund, ebenso wie meine Freundinnen, aber ein zwanzigjähriger ist viel zu alt. Er denkt doch schon an ganze andere Dinge wie ich. Mit 20 will er ganz sicher Sex. Und ich? Ich möchte das doch jetzt noch nicht.

 

Mir gehen eine Menge Gedanken durch den Kopf. Krampfhaft versuche ich eine Ausrede zu finden, um ja nicht mehr mit ihm tanzen zu müssen. Beleidigen möchte ich ihn aber auch nicht. Er ist ja ganz nett.

 

Die Musik hat aufgehört. Langsam löst sich seine Umarmung von mir. Die Tanzfläche ist fast leer. Ich werde verlegen. Ich reiße mich los, drehe mich um und gehe. Zumindest versuche ich das. Er hält mich einfach fest. Jeder sieht das. Was denkt der sich dabei. Er, Alex, hindert mich am Weitergehen. Ich werde wütend. Was will der eigentlich?

 

Ich hatte nur die Absicht mit ihm zu tanzen und nicht das Bedürfnis auf einen halben sexuellen Akt, mitten auf der Tanzfläche. Er sagt es soll mir nicht peinlich sein von einem Mann umarmt zu werden. Es gäbe viele, die mich darum beneiden täten. Dann soll er doch zu denen gehen...

 

Der kann mir doch viel erzählen. Er glaubt anscheinend, ich bin so naiv. Immer noch mit seinem Lächeln auf dem Gesicht, aber etwas Wehmut in den Augen, bittet er um Verzeihung und verabschiedet sich. Er dreht sich um und geht.

Ich stehe da wie „Klein Doofi“ und weiß nicht wie ich reagieren soll. Er geht, ich sehe ihm nach. Von hinten betrachte ich seine Figur etwas genauer. Er sieht gut aus. Großes breites Kreuz, schmaler Hintern und lange Beine. Seine Haare reichen ihm bis auf die Schultern, leicht gewellt und in den Farben seiner Augen. Ein kräftiges Braun.

 

Immer noch sehe ich ihm nach. Er ist schon lange weg. Claudia, eine der Freundinnen, ruft mich. Ich brauche eine Weile, bis ich reagiere. Sie fragt mich, wer der süße Typ war und ob ich mich mit ihm verabredet habe. Ich verneine, drehe mich auf dem Absatz um und beende somit das Gespräch. Sie schaut mir verdutzt hinterher.

 

Marlies, die andere Freundin, kann sich eine Spitze nicht verkneifen. Sie fragt ob ich sauer bin. Na klar...

 

Ich bin sauer, sauer auf mich selbst, nicht auf diesen Mann. Der hat mich ja nur stehen lassen, weil ich ihm die kalte Schulter gezeigt habe. Ich packe meine Sachen und gehe heim.

 

Den Rest der Nacht bringe ich eher schlecht herum. Ich schlafe wenig. Immer wieder sehe ich sein Lächeln vor meinen Augen. Seinen Mund, der einfach zum Küssen verleitet. Seine ganze Ausstrahlung. Der Mann geht mir nicht aus dem Kopf. Werde ich ihn wiedersehen? Hm... Wer weiß das schon.

 

Am nächsten Tag muss ich wieder in die Schule. Meine Gedanken an ihn verdränge ich und gehe zur Tagesordnung über. Meine zwei Freundinnen fragen, ob ich mich beruhigt habe. Sie dachten ich war sauer, weil er sich nicht mit mir verabredet hatte. Der Gedanke daran ist mir bis zu dem Moment noch gar nicht gekommen...

 

Erst als ich wieder allein bin und meinen Gedanken nachhänge, muss ich gestehen, dass sie vielleicht nicht ganz Unrecht haben.

 

Die Tage vergehen. Die Gedanken an den Mann habe ich verdrängt. Es war doch nur ein Traum, einfach nur ein Traum. Im Laufe der Zeit, der nächsten Discobesuche, denke ich nicht mehr an ihn.

Ich lerne Jungs meines Alters kennen. So wie ich es ja auch wollte. Ich gehe immer öfter zur Disco und zu anderen Veranstaltungen und baue mit meinen Freundinnen so eine Art Clique auf. Wir machen fast alles zusammen. Viel Auswahl bleibt ja auch nicht. Was will man in der DDR auch schon groß machen. Die Bullen und die Stasi ärgern? Aber Kinder nehmen die ja nicht ernst. Es sei denn, man hetzt gegen den Staat.

 

Mittlerweile habe ich auch einen Freund. Er heißt Torsten und ist schon 16 Jahre alt. Ich bin gerade mal 15 Jahre alt geworden. Er ist nicht das, was man große Liebe nennt. Er ist gerade so viel, dass ich sagen kann, ich habe einen Freund. Er sieht nicht schlecht aus. Im Grunde ist er jedoch wie die meisten. Er will nur mit mir Sex machen und dann zur nächsten weiter gehen. Ich will aber noch nicht mit Jungs ins Bett gehen. Für mich soll das was ganz Besonderes sein, mit viel Romantik und Zärtlichkeit. Mit Gefühlen und mit dem gewissen Kick. Bei Torsten fehlt einfach das gewisse Etwas. Sagen werde ich ihm das natürlich nicht. Ich halt ihn halt nur so lange warm, bis sich etwas Besseres ergibt.

 

Marlies hat schon mal mit jemand geschlafen. Sie spricht nicht viel darüber, nur so viel, dass es ihr nicht gefallen hat. Sie meint, es tut weh und man fühlt sich hinterher nur benutzt. Mit wem sie Sex hatte, sagt sie allerdings nicht.

 

Wir sind beinahe jedes Wochenende unterwegs. Die Älteren machen oft Feten. Wir schleichen uns dann einfach dazu. Ich habe festgestellt, es macht einfach mehr Spaß, wenn Ältere dabei sind. Dann fühlen wir uns auch Erwachsen und können das „Nicht für voll genommen werden, von den Alten“ eher ertragen. Marlies wird immer komischer, wenn sie mich mit Torsten sieht. Hm...

 

Torsten hingegen baggert immer mehr. Küssen und schmusen lass ich mir ja gefallen, aber den letzten Schritt möchte ich mir doch noch aufheben. Er wird launischer und sagt, ich soll mich nicht so haben. Es gäbe nicht nur mich. Er könne ja jederzeit zu einer anderen gehen. Na und. Dann soll er sich doch eine andere suchen.

 

Wir sind wieder auf so einer Fete. Alle wie wir hier sind, trinken reichlich Alkohol, insbesondere ich. Torsten gießt immer wieder nach. Viel brauche ich ja eh nicht. Ich vertrage kein Bier. Als ich dann so richtig abgefüllt bin, kommt Torsten und zerrt mich in eine Ecke. Er befummelt mich. Ich Check das gar nicht richtig. Ich bin doch schon froh, dass ich noch so halbwegs stehen kann. Er zerrt mein T-Shirt hoch, grabscht nach meinen Brüsten. Er tut mir weh dabei. Gleichzeitig öffnet er meine Hose. Langsam komme ich wieder zu mir. Ich schiebe seine Hände weg. Gleichzeitig versuche ich, meine Hose wieder zu schließen und von ihm wegzukommen. Ich habe viel zu viel getrunken, als dass ich irgendetwas ausrichten könnte.

 

Er öffnet seine Hose und hat auch meine schon wieder auf. Meine enge Jeans kriegt er aber nicht so schnell runter, wie er gern möchte. Ich werde laut, und schreie ihn an. Er hält meinen Mund zu. Doch dann kann er meine Hose nicht runterziehen. Ich wehre mich immer mehr. Ich will nicht, dass er mich einfach so bumst. Und vergewaltigt werden will ich schon gar nicht. Ich balle meine Hände zu Fäusten und schlage auf ihn ein. Er lässt los, um sich zu wehren. Die anderen werden aufmerksam. Ein Mädchen, etwas älter als ich, kommt und hilft mir. Sie bringt gleich noch jemanden mit. Sie zerren den Torsten von mir weg und kümmern sich um mich. Ich ziehe mich wieder richtig an und versuche mich zu beruhigen. Ich zittere am ganzen Körper.

 

Dieser Mistkerl. Was denkt der eigentlich, wer er ist. So was lass ich mir nicht gefallen. Der kann was erleben. Dieses Mädchen, Gabi, hatte ich vorher schon einige Male gesehen, aber wir haben nie groß miteinander geredet. Sie bringt mir einen Kaffee. Ich setze mich in eine Ecke und trinke ihn. Langsam fühle ich mich wieder besser. Ich bin froh, dass ich nicht allein mit ihm war.

 

Marlies kommt. Sie ist verlegen. Sie hat ein riesiges schlechtes Gewissen. Sie setzt sich zu mir und sagt, er war es, der sie einfach genommen hat. Entsetzt sehe ich sie an. Jetzt begreife ich. Deshalb hat sie nie darüber sprechen wollen. Und deshalb will sie mit keinem Jungen alleine sein, gar geküsst oder gestreichelt werden. Meine Wut legt sich wieder. Gabi lässt uns allein. Marlies erzählt. Auch sie ist von ihm betrunken gemacht worden. Damals war es eine Fete bei Torsten. Seine Eltern waren nicht da. Sie hatte den Alkohol nicht vertragen und wollte sich etwas hinlegen. Er kam und zog sie einfach aus. Ihren Protest nahm er nicht ernst. Dann hat er ihr unmerklich wehgetan. Es hatte ihn nicht interessiert, dass er der erste Mann war und zumindest vorsichtig sein sollte, wenn er schon nicht von ihr ablässt. Sein Kommentar war nur, sie solle sich nicht so haben. Er hatte seinen Spaß. Sie hinterher nur blaue Flecken und ein furchtbares Gefühl von benutzt und weggeworfen. Er ließ dann von ihr ab und ging zu seinen Freunden zurück. Sie zog sich an und verließ das Haus.

 

Am nächsten Tag kam er und wollte das gleiche Spiel noch mal. Marlies hatte es ihrer Mutter erzählt. Sie kam an die Tür. Sagt zum Torsten, wenn er Marlies noch einmal berührt, zeigt sie ihn wegen Vergewaltigung an. Er ging, aber immer, wenn sie sich bei einer dieser Feten gesehen haben, machte er anzügliche Spitzen. Jetzt verstehe ich auch, warum Marlies immer so komisch war, wenn Torsten aufgetaucht ist.

 

Ich nehme sie in meine Arme. Gegenseitig trösten wir uns und schwören Rache. Wir wissen nur noch nicht wie. Ich sage ihr, dass irgendwann eine Situation kommen wird, an dem wir Gerechtigkeit üben lassen. Schon bald kommen wir zu dem Schluss, dass Männer nur Idioten sind. Sie sind es einfach nicht wert, erwähnt zu werden. Beruhigt, die Tränen abgewaschen, setzen wir uns wieder zu den anderen. Torsten ist weg. Bei den Älteren braucht der nicht mehr anzukommen. Sie sagen, sie wollen niemanden bei sich, der sich an Frauen vergeht. Oh... Sie sehen mich als Frau! Toll.

 

Bei der Truppe fühle ich mich wohl. Sie versprechen, auf mich aufzupassen und wenn es der Torsten noch einmal versuchen sollte, kann ich jederzeit auf ihre Hilfe rechnen. So stelle ich mir Freunde vor. Wir trinken immer noch. Hin und wieder geht einer brechen, dann macht er weiter. Gegrillt wird nebenbei auch. Nach Essen ist mir allerdings nicht. Ich geselle mich zur Gabi. Ich denke, sie könnte eine neue Freundin werden. Wir kommen ins Gespräch. Ich erfahre, dass sie bereits 18 Jahre alt ist. Sie hat es gut...

 

Gabi muss sich nicht mehr von den Eltern herumkommandieren lassen. Flüchtig kommt mir der Gedanke ans heimgehen. Ach was... Ärger bekomme ich sowieso. Dann kann ich auch bleiben. Obwohl die meisten ja schon weg sind. Marlies und Claudia auch. Der Rest rückt etwas näher zusammen und wer noch im Stande ist, erzählt etwas von sich selbst. Mir ist nicht nach Reden, aber ich höre interessiert zu.

 

So langsam machen sich meine müden Knochen bemerkbar. Ich sollte doch heimgehen. Lust habe ich keine, aber wenn ich gar nicht nach Hause komme, schickt mein Vater die Bullen los. Das kann ich nicht bringen. Auch einige der anderen machen sich auf den Weg. Sie nehmen mich mit und setzen mich vor der Haustür ab. Super, dann brauche ich wenigstens nicht zu laufen. Schon halb im Schlaf, schließe ich die Tür auf. Mein Vater hört mich. Gleich kriege ich ein paar Ohrfeigen und fliege an die nächste Tür. Wieder aufgerafft muss ich antworten, wo ich war, mit wem ich zusammen war und wieso ich jetzt erst komme.

 

Ich sage ihm, dass ich auf einer Fete war und nicht auf die Uhr gesehen habe. Als dann welche heimgefahren sind, habe ich mich mitnehmen lassen. Er akzeptiert es. Jedoch, dass ich mich kaum auf den Beinen halten kann, weil ich zu viel getrunken hatte, lässt er nicht durchgehen. Ich soll ins Bett gehen. Wir reden, wenn ich nüchtern bin. Das kann heiter werden. Das Waschen spare ich mir. Ich krieche gleich ins Bett. Schnell bin ich eingeschlafen, bin aber kurz darauf wieder wach.

 

Ich liege in meinem Bett und denke nach. Die ganze Situation mit Torsten kommt wieder hoch. Habe ich ihn dazu provoziert?

Ich weiß es nicht. Hätte ich es einfach geschehen lassen sollen? Bin ich nur zu feige gewesen? Ich weiß es nicht. Das verunsichert mich. Ich kann doch meinem Vater nicht sagen, dass ich beinahe vergewaltigt worden bin. Der bringt den um. Nein, am besten behalte ich alles für mich. Die anderen werden nichts sagen. Aber was ist, wenn ich Torsten über den Weg laufe? Oh Gott, bloß das nicht. Ich schlafe wieder ein.

 

Richtig gerädert stehe ich bald wieder auf. Ich fühle mich nicht gut. Erst jetzt kommt der Alkohol raus. Mein Kopf tut weh. Ich muss brechen. Mich ekelt es. Ich krieche in die Wanne, bade und versuche wieder nüchtern zu werden.

 

In die Schule muss ich heute nicht. Meine täglichen Haushaltspflichten habe ich trotzdem zu erledigen. Wenn ich dazu nicht fähig bin, rastet mein Vater völlig aus. Der hat da leicht reden. Ich musste schon mit 12 Jahren anfangen haushaltliche Pflichten zu übernehmen. Erst bei meiner Stiefmutter und jetzt lebe ich hier im Haus mit meinem Vater und schmeiß den ganzen Haushalt. Ich bin 15 Jahre alt und stell mir eigentlich was anderes vor in dem Alter. Er sagt nichts mehr zum gestrigen Abend. Nur, dass ich ins Heim komme, wenn ich so weiter mache. Na und? Da haue ich sowieso wieder ab. Das Thema ist beendet.

 

Ich quäle mich durch den Tag. Dann gehe ich beizeiten schlafen. Morgen ist ja auch wieder Schule. Torsten sehe ich einige Tage später wieder. Er sagt mir nicht mal „Guten Tag“. Macht nichts. Es kommt der Tag, an dem ich mich rächen werde. Ich kann warten.

 

Um auf andere Gedanken zu kommen, fahre ich in die nächstgrößere Stadt. Dort will ich mir ein paar vernünftige Klamotten kaufen.

 

Die Ferien stehen wieder vor der Tür. Mit meinen Freundinnen mache ich Pläne. Sie sind auch mit in der Stadt. Das wollen wir jetzt öfter mal machen. Jeder von uns hat sich ein verrücktes Kleidungsstück gekauft. Mit dem Eingekauften schwer beladen und bester Stimmung fahren wir am Abend wieder heim. Es war ein schöner Tag.

 

Ich freue mich auf meine Ferien. Dann kann ich endlich ein paar Tage weg. Vielleicht sogar die ganzen Wochen.

 

Die letzte Schulwoche geht zu Ende. Viel wird nicht mehr gemacht. Es gibt Zeugnisse. Bei der Übergabe werde ich nur darauf hingewiesen, mehr mitzuarbeiten, um im kommenden Schuljahr besser zu werden. Ich hätte die Fähigkeit, wäre aber nur zu faul. Wann soll ich denn für die Schule lernen? Nach dem Unterricht mache ich Sport, dann gehe ich heim und mach den Haushalt. Und wenn er Bock hat, baut er am Haus herum und ich darf helfen.

 

Jetzt sind erst mal Ferien. Die ersten zwei Wochen gehen wir alle drei arbeiten. Jede ist woanders. Von dem Geld wollen wir danach Urlaub an der Ostsee machen. Zu Hause benehme ich mich auch recht ordentlich, damit mein Vater dann auch ja sagt. Mit Ach und Krach bringe ich diese zwei Wochen herum. Ich bin fix und fertig. Ich will nur noch ausspannen und etwas anderes sehen. Mein Vater lässt mich nicht an die Ostsee. Meinen Freundinnen geht es nicht anders. Wir dürfen dafür immer mal ein Tag woanders hinfahren. Wie gnädig...

 

Das Höchste was sie uns gestatten, ist ein Wochenende mit zwei Übernachtungen in Berlin. Das aber auch nur, wenn Claudias Schwester mitfährt. Sie ist 22 Jahre alt und somit Aufsichtsperson. Wir sind alle einverstanden. Gleich am Wochenende soll es losgehen. Dann können es sich die Eltern nicht noch mal anders überlegen. Durch diese Fahrt werde ich mich wieder besser fühlen, hoffe ich.

 

Mit Feten war in letzter Zeit nicht sehr viel. Die meisten sind ja unterwegs. In den Augen meines Vaters bin ich immer noch ein kleines Kind. Ich darf nichts selbst entscheiden. Dabei bin ich doch schon 15 Jahre und 4 Monate.

 

Wir fahren also zusammen mit Carola, Claudias Schwester, nach Berlin. Im Zug sagt sie uns, wir müssen uns aber selbst beschäftigen. Nur nicht zu Hause quatschen. Sie will sich ja mit jemand treffen. Da kann sie uns nicht brauchen. Na, wir sie doch auch nicht. Doch, zum Einchecken in dem kleinen preiswerten Hotel. Als Minderjährige kann man kein Hotelzimmer mieten. Dann stehen sofort die Bullen auf der Matte.

 

In Berlin angekommen, laden wir zuerst unsere Sachen in die Zimmer. Pläne haben wir genug. Carola verdrückt sich gleich. Wir ziehen uns um und gehen in die Stadt. Dort kaufen wir uns gleich ein paar tollen Klamotten von dem schwerverdienten Geld, was wir ja vor der Reise erarbeitet haben. Die führen wir am Abend gleich in die Disco aus. Claudia ist recht redselig. Marlies und ich sind heute eher ruhig. Ich wische meine Gedanken, meine Melancholie, beiseite und bringe meine Stimmung hoch. Ich will leben und ich will was vom Leben haben. Alles andere ist mir egal.

 

Meine Blicke schweifen durch den Raum. Ich beschließe, mir ein Mann zu angeln. Einen, der mich in die Künste der besinnlichen körperlichen Liebe einführt. Die Disco ist echt heiß. Nicht so‘n Kleinstadt-Geschubse wie bei uns. Nein, hier ist Atmosphäre, hier ist Stil. Selbst das Publikum ist hier anders. Keine Spießer. Alle sind locker und gut drauf. Die Musik ist nicht unbedingt mein Fall. Zumindest kann man danach tanzen. Mir persönlich gefällt Blues ja besser. Schon aus dem Grund, da er hier als Protestmusik gesehen wird. Das sind auch Lieder gegen das System. Bei solchen Konzerten fühle ich mich einfach wohl. Ich glaube, bei solchen Treffen ist in der DDR ein Mensch noch wirklich ein Mensch. Das sind Gleichgesinnte, die sich einander respektieren. Natürlich gibt es auch dort Ausnahmen, aber die sind verschwindend gering.

 

Zurück zur Disco... Es gibt zwar bei weitem hübschere Frauen als mich, aber lange allein sitze weder ich noch die anderen. Hier bleibt einem gar nichts anderes übrig, als sich in männliche Gesellschaft zu begeben. Ich möchte eigentlich nicht tanzen. Ewig sitzen ist mir aber auch zu blöd. So tanze ich dann doch mal mit diesem oder jenem. Ich trinke und amüsiere mich.

 

Betrunken bin ich nicht. Mein Kopf ist immer noch so, dass ich denken kann. Wieder kommt mir der Gedanke an einen Mann, dem ich mich voll und ganz hingebe. Ich zweifle aber auch daran, ob das gut ist, was ich da vorhabe. Egal, da muss ich durch.

 

Durch Torsten bin ich misstrauisch geworden. Ich möchte einfach wissen, ob alle Männer so brutal sind. Der nächste, der mich zum Tanzen holt, den mache ich an. Wenn der dann Interesse zeigt mit mir ins Bett zu gehen, werde ich nicht nein sagen. Ich werde mitgehen, selbst wenn ich mir noch mehr Mut antrinken muss. Ich muss es einfach machen. Im Grunde mache ich es ja für mich.

 

Ein Mann, etliche Jahre älter als ich, bestimmt schon 25 Jahre, holt mich zum Tanzen. Ich zögere. Mein Typ ist der ja nicht gerade. Ich habe es mir vorgenommen, also werde ich es auch tun. Schon auf der Tanzfläche geht er in die Vollen. Er küsst und befummelt mich. Der weiß genau was er will. Ich mache mit. Mein Verstand hat durch den Alkohol eh ausgesetzt. Claudia kommt sich verabschieden. Sie hat einen Begleiter gefunden. Marlies ist auch in Gesellschaft. Ich lasse mich von meinem Typ überreden und geh mit ihm. Hoffentlich geht das gut...

Mein Herz rutscht mir fast in die Hose. Was ist, wenn ich dann doch kneife? Vergewaltigt er mich dann? Na hoffentlich nicht...

Seine Wohnung ist nicht weit weg von der Disco. Klein, aber doch recht gemütlich. Erst jetzt frage ich nach seinem Namen.

Seine Freunde nennen ihn Charlie. Toll, jetzt weiß ich immer noch nicht wie er wirklich heißt. Noch mal fragen will ich aber auch nicht. Blamieren werde ich mich auch so noch früh genug. Charlie bietet mir etwas zu trinken an. Noch mehr Alkohol? Das verkrafte ich nicht. Ich lasse mir Kaffee geben. Dadurch komme ich auch langsam wieder zu mir. Die Zeit brauchte ich aber auch. Schließlich will ich ein bisschen von dem mitkriegen, was hier ablaufen soll.

 

Charlie kommt gleich zur Sache. Schüchtern ist er nicht. In Minutenschnelle hat er mich und sich selbst ausgezogen. Ich bin baff. Seine Art gefällt mir. Er ist nicht grob. Er hat, wie es scheint, eine Menge Erfahrung. Er weiß, wie man eine Frau anfassen muss. Ich lasse mich fallen. Solange er mir nicht weh tut, kann er mich berühren. Er ist zärtlich, lieb, richtig leidenschaftlich. Charlie hat schon so viel Energie in die Sache gesteckt, dass er nicht mehr passiv neben mir liegen kann. Er zeigt mir, wie erregt er ist. Und er beweist mir, dass die sexuelle Vereinigung etwas ganz Tolles sein kann.

 

Innerlich hätte ich explodieren mögen, Schreien vor Lust und Begierde. Aber ich bin verklemmt und habe keinerlei Erfahrung. Ich traue mich einfach nicht. Woher soll ich auch wissen wie man reagiert. So ganz nebenbei lass ich verlauten, dass ich nicht die Pille nehme. Er sagt, er passt auf. Ich vertraue ihm. Schließlich wird er ja auch kein Kind wollen von einer Frau, die er gar nicht weiter kennt.

 

Nachdem wir uns voneinander gelöst haben, sieht er mich lange durchdringend an. Er zieht mich aus mit seinen Blicken. Dabei bin ich doch schon nackt. Ich bin unsicher. Meine Brüste sind für mein Alter viel zu groß. Ich habe straffe Rundungen am ganzen Körper. Er ist fraulich, erotisch und für einen Mann anziehend. Ich bin noch zu unerfahren, um das zu wissen. Er lächelt mich an. Ich werde verlegen. Er soll damit aufhören. Ich sage ihm er soll mich nicht so ansehen.

 

Er fragt mich, ob ich schon mal mit einem Mann geschlafen habe. Gegenfrage: Warum er das wissen will...

Charlie sagt, wenn ich nicht so verklemmt wäre, ich meine Verspannung lösen würde, dann wäre ich einfach super im Bett. Ziemlich verdattert sehe ich ihn an. Weiß er was er da sagt? Es ist ein Kompliment...

 

Auch etwas womit ich nicht umgehen kann. Aber es gefällt mir. Er hat ja eine Menge Erfahrung und wird das nicht einfach so sagen. Warum sollte er auch. Er sieht mich ja doch nicht wieder. Er steht auf und geht ins Bad. Ich decke mich zu.

 

Eigentlich könnte die Nacht noch eine Weile so weitergehen. Noch gestern hätte ich jeden einen Lügner geschimpft, der behauptet hätte, Sex wäre eine schöne Sache. Heute stimme ich dem zu und bin froh, den Schritt mit Charlie getan zu haben. Auch wenn ich diesen Mann vorher nie gesehen habe und wahrscheinlich auch nie wiedersehen werde.

 

Er kommt aus dem Bad. Ich gehe hinein. Ich dusche und entspanne mich dabei. Meine Sachen liegen noch am Bett. Ich ziehe mir den Bademantel über, der im Bad an der Tür hängt. Nackt wie er möchte ich nicht durch die Bude rennen. So locker kann ich nun doch nicht sein.

 

Er hat noch mal Kaffee gemacht. Der Kaffee tut gut. Er ist heiß und schmeckt. Charlie trinkt auch Kaffee. Ich setze mich auf den Rand des Bettes. Irgendwie ist mir unbehaglich in meiner Haut. Soll ich mich jetzt anziehen und gehen? Oder will er, dass ich bleibe? Ich starre meinen Kaffee an. Nur um nicht woanders hinschauen zu müssen. Charlie setzt sich zu mir.

 

Was kommt jetzt? Ich habe doch mit solchen Dingen überhaupt keine Erfahrung. Er legt seinen Arm um mich und beginnt ein belangloses Gespräch. Bei ihm ist alles so selbstverständlich. Auch mich nimmt er so. Das macht es mir leichter, mich zu entspannen. Meine Tasse ist leer. Er nimmt sie mir aus der Hand. Ich sehe ihm in die Augen. Sein Gesicht hat liebevolle Züge. Er hat leuchtende Augen, ist ein hübscher Kerl... Maria mache dir keine Gedanken. Du siehst ihn sowieso nicht wieder...

 

Er zieht mich zu sich aufs Bett. Macht er jetzt weiter? Er deckt uns beide zu. Fest umschlungen liege ich in seinen Armen. Er gibt mir einen Kuss und sagt „Gute Nacht“ und lässt uns in unseren Träumen entschwinden. Ich hätte ja nie für möglich gehalten, dass ein Mann so nett sein kann. Mir fallen die Augen zu. Der Alkohol macht sich halt auch bemerkbar. Ich schlafe ruhig und entspannt.

 

Am Morgen werde ich mit frischem Kaffee geweckt. Ich bin ausgeschlafen und fühle mich gut. Charlie gibt mir einen Kuss und sagt, ich soll mich anziehen. Er bringt mich ins Hotel. Wenn er nicht wegmüsste, hätte ich noch bleiben können, aber so... Der Traum ist zu Ende. Schnell holt mich die Realität zurück. Dennoch hat es sich gelohnt.

 

Startbereit komme ich aus dem Bad zurück. Er ist schon angezogen. Etwas verloren stehe ich jetzt in der Gegend herum und warte, bis er fertig ist. Er nimmt mich in den Arm. Bevor er mich am Hotel ablädt sagt er noch, ich soll wiederkommen. Irgendwann...

 

Es kann ja sein, dass ich mal wieder in Berlin bin. Ich nicke nur. Mit einem Kloß im Hals kann ich nicht reden. Er gibt mir noch einen Kuss und sagt, ich soll diese Nacht nicht gleich vergessen. Wie sollte ich? Er hat mich zur Frau gemacht.

 

Ich steige aus seinem Wagen, sage ade, drehe mich nicht mehr um und geh ins Hotel.

 

Charlie fährt davon. Ich werde ihn wohl nicht wiedersehen. Vergessen werde ich ihn aber auch nie. Er hat mir die Angst genommen. Und was noch wichtiger ist, er hat mir unwahrscheinlich viel Wärme und Zuneigung gegeben. Ich hatte nicht das Gefühl benutzt worden zu sein. Ich hatte nur das Gefühl geliebt zu werden. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht trete ich ins Zimmer ein. Die anderen sind bereits wach und haben sich Sorgen gemacht, wo ich abgeblieben bin. Jetzt sind sie etwas irritiert. Ich berichte von meiner heißen Nacht und von dem, was ich erlebt habe. Aber sie müssen mir versprechen, es niemanden zu sagen. Ich ziehe mich schnell um und gehe mit den anderen zum Frühstücken.

 

Ich mag Berlin... Viel mehr noch mag ich die Menschen hier. Sie nehmen alles viel lockerer und keiner macht sich keinen Kopf darüber, was die anderen über sie denken. Sie denken ja auch nicht so spießbürgerlich. Den Menschen hier sieht man einfach an das sie leben. Meine Gedanken kreisen um die Stadt. Wenn ich die Schule und die Lehre beendet habe, werde ich wohl nach Berlin ziehen. Es sei denn, ich finde vorher eine Möglichkeit, nach dem Westen zu kommen.

 

Claudia spricht mich an. Mit meinen Gedanken bin ich wieder meilenweit entfernt. Endlich merke ich, dass sie mich anspricht. Wir amüsieren uns. Gegen Mittag gehen wir in die Bowling-Bahn zum Essen. Es gibt dort ein Restaurant und man hat gleich Unterhaltung. Nach dem Essen organisieren wir uns eine Bahn zum Spielen. Es macht riesigen Spaß. Niemand von uns will wieder aufhören...

 

Wir beschließen am nächsten Tag noch mal dorthin zu gehen.

Es dämmert bereits. Wir treten den Rückzug in Richtung Hotel an. Am Abend wollen wir ja ins Blueskonzert und müssen uns vorher noch stylen. Ich freue mich auf das Konzert. Carola kommt auch dorthin. Dann lernen wir gleich den großen Unbekannten kennen. Unser Herrichten ist schnell getan. Beim Blueskonzert schaut keiner drauf ob die Haare perfekt gestylt sind. Und ob man die besten Klamotten zur Schau stellt. Nein. Wir duschen und ziehen einfach Jeans und T-Shirt an.

 

Schon als wir ankommen ist eine bombastische Stimmung. Die nehmen uns auf, als gehören wir schon immer dorthin. Es ist einfach schön. Man fühlt sich wie in einer großen Familie, die sich trifft und einfach Musik hört. Marlies ist begeistert. Sie war noch nie bei so einem Konzert. Hier kann man Tanzen wie man mag. Man drückt damit einfach seine Gefühle aus. Die Discogänger würden so etwas nicht gerade als Tanzen bezeichnen, aber wer fragt die...

 

Der Abend vergeht viel zu schnell. Ich habe keinen Bedarf mit einem Mann zu flirten. Mein Erlebnis vom vergangenen Tag ist immer noch in meinen Gedanken. Das muss ich ja erst mal verdauen. Ich fühle mich wohl. Richtig wohl. Am liebsten würde ich die ganze Welt umarmen.

 

An unseren Tisch kommen immer mehr Leute. Männer, Frauen. Alle reden miteinander. Einfach über alles, über Gott und die Welt. Hier gibt es auch eine Menge Leute, die die gleiche Einstellung zu dem Staat haben wie ich. Regimegegner.

Viele, die genauso wie ich, lieber im Westen von Deutschland leben würden. Und etliche, auch ich, täten am liebsten zum „Checkpoint Charlie“ laufen und auf ewig in Westberlin verschwinden. Aber es geht ja nicht...

 

Es bleibt halt ein Wunschtraum... Wenn mir jemand eine Flucht anbieten würde, wäre ich sofort dabei. Hier in der DDR ist mein Leben vorprogrammiert. Man hat keinerlei Entscheidungsfreiheit. Meinungsfreiheit gibt es sowieso nicht und das Recht zu leben wo und wie man will auch nicht. Manchmal denke ich, die DDR ist ein großes Gefängnis. Im Grunde ist sie es ja auch, aber es sagt niemand. Das wäre dann Hetze und wer lässt sich schon freiwillig einsperren?

 

Der Morgen bricht an. Langsam beenden wir den Abend. Die Zeit ist so schnell vergangen. Viel zu schnell, um sie festhalten zu können. Wir lassen uns von Leuten, die wir da kennen gelernt haben und die in unsere Richtung fahren, am Hotel abladen. Wieder dort angekommen, ist unsere Stimmung dann nicht mehr so toll. Denn am Mittag müssen wir ja wieder zurückfahren. Keiner von uns möchte das, aber immer noch minderjährig können wir es uns ja nun mal nicht aussuchen.

 

Carola treffen wir am Bahnhof. Wir duschen, ziehen uns um, packen unseren Krempel und machen dann die letzten Stunden noch ein bisschen Berlin unsicher. Noch mal in die Bowling-Bahn. Dort Frühstücken wir und lassen uns von ein paar Typen einladen mit denen zum Bowlen. So nach und nach sehen wir etliche vom Blueskonzert. Die warten auch auf ihren Zug. Es wird immer voller.

 

Ich geselle mich zu einigen vom Konzert. Die Stunden verfliegen. Niemand möchte auch nur eine einzige Minute missen. Dann ist es soweit. Wir müssen fahren.

 

Die Heimfahrt gleicht einem Trauerspiel. An dieses Erlebnis werde ich noch oft zurückdenken und immer werden meine Gedanken sehnsuchtsvoll an Berlin denken. Ich schau aus dem Zugfenster und nehme Abschied vom Erlebten. Nach Lachen ist keiner von uns. Das Leben geht aber weiter. Kann man nichts machen. Ich schlafe ein.

 

Die anderen wecken mich, als der Zug im Bahnhof einfährt. Die Stimmung hebt sich wieder. Bevor wir aussteigen, schmieden wir Pläne für die restlichen Ferien. Am liebsten würde ich immer unterwegs sein. Auch wenn es nur tageweise sein kann, aber! Ich werde zumindest versuchen, etwas zu erleben.

 

Die Eltern warten schon auf uns. Die Koffer und wir selbst werden verstaut und heimgebracht. Wir haben ausgemacht nichts über Jungs zu erzählen, nur das wir halt mit welchen getanzt haben. Sonst nichts. Unsere alten Herrschaften müssen schließlich nicht alles wissen. Meine Stimmung geht so. Meinem Vater berichte ich nicht viel. Geht ihn ja auch gar nichts an.

 

Ich habe viel gelernt in den letzten Tagen. Dass es auch Menschen wie mich gibt, die wie ich denken und auch ähnliche Interessen haben. Und wenn ich einsam bin, gehe ich in Zukunft einfach zu einem Blueskonzert. Dort finde ich Gleichgesinnte. Menschen, denen ich vertrauen kann.

 

Die nächsten Tage werden wieder eintönig. Ich gehe zu meinen Freundinnen und möchte mit ihnen in die nächstgrößere Stadt fahren. Claudia kann nicht. Marlies kommt mit. Wir wollen einfach nur bummeln und ein paar Leute veralbern.

 

Am nächsten Morgen geht es gleich los. Den ganzen Tag bleiben wir weg. Wir flirten mit Kerlen und stellen haufenweise Unsinn an. Wir lassen uns was ausgeben, verdrücken uns dann wieder. Oder treiben die Verkäufer in den Wahnsinn. Gegen Mittag treffen wir Bekannte aus unserem Nest. Mit denen zusammen veranstalten wir einen Kneipenbummel, bis uns der letzte Zug nach Hause bringt. Wie schon so oft habe ich zu viel getrunken. Ich bin so abgefüllt, dass ich nichts mehr raffe. Einige fangen in der Bahnhofskneipe an zu streiten. Sie suchen Ärger. Eine kleine Schlägerei ist ja nicht zu verachten... Für so etwas war ich ja schon immer zu haben. Marlies hat Angst. Solange wir alle zusammen bleiben kann gar nichts passieren. Der Streit artet aus. Irgend so ein dummes Rindvieh ruft die Bahnpolizei. Wir nichts als weg...