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WOLFGANG JENEWEIN

WARUM UNSERE CHEFS
PLÖTZLICH SO NETT ZU
UNS SIND

UND WARUM SIE ES WAHRSCHEINLICH SOGAR ERNST MEINEN

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Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger

Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren bzw.

Herausgeber und des Verlages ist ausgeschlossen.

1. Auflage

© 2018 Ecowin Verlag bei Benevento Publishing,

eine Marke der Red Bull Media House GmbH,

Wals bei Salzburg

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Gesetzt aus der Minion, Helvetica

Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:

Red Bull Media House Gmbh

Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15

5071 Wals bei Salzburg, Österreich

Redaktion: André Pleintinger

Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT

Umschlaggestaltung: www.b3k-design.de, Andrea Schneider, diceindustries

Grafik S. 78: © Randy Glasbergen/Glasbergen Cartoon Sevice/glasbergen.com

ISBN 978-3-7110-0167-2

eISBN 978-3-7110-5232-2

Für Poldi, Lauri, * und Theresa

Inhalt

Vorwort

1. Von Menschenbildern in Unternehmen

Angestellte – nur Zitronen?

Manager – nur Pflaumen?

2. Warum wir menschlicher wirtschaften müssen

Die VUKA-Welt: Raus aus dem Hamsterrad!

Der Kunde: Nicht mehr König, sondern Partner

Die Generation Y: Werte statt Geld, Macht und Status

3. Führen mit Gefühl – Wie geht das?

Der Charme des Expeditionsleiters

Nicht ausbrennen – brennen!

Vom Manager zum Leader

Drachen und Prinzessinnen oder die Kraft der Vision

Tom Sawyer und das magische Dreieck

Superman? Waschlappen? Die Zweifel der Manager

Vom Krieger zum König

Empathie: Mögen Sie Menschen wirklich?

Auch mal weinen können

4. Der Schwarm: Jeder ein Leader

Tierische Beispiele

Raus aus dem Einzelbüro!

Frauen und Diversität

Lernen von ABB

5. Echte Leader: Klinsmann, Guardiola, Löw

Der Klinsmann-Plan

Guardiola und die Schwarmintelligenz

Löws Meisterstück

Weckruf für den VfB Stuttgart

Was Fußballprofis über sich hinauswachsen lässt

Moderne Leader und ihre Grenzen

Auf ein letztes Wort

Vorwort

Sie haben Angst davor, im Job einen Fehler zu machen, weil Ihr Chef jedes Mal, wenn ein Fehler passiert, sofort verrücktspielt? Sie trauen sich nicht zu sagen: »Was Sie da verlangen, das ist unmöglich zu schaffen, wir sollten ganz anders vorgehen, um unser Problem zu lösen!«?

Sie wurden noch nie gefragt, ob Sie sich wohlfühlen in Ihrem Team und ob Sie vielleicht lieber einen anderen Job machen wollen – etwas, das Ihren Neigungen und Ihren Leidenschaften entspricht?

Sie sollen einfach nur funktionieren?

Treffen diese Einschätzungen allesamt auf Sie zu, dann sollten Sie sich Sorgen machen. Wir alle sollten uns Sorgen machen. Denn diese Art, ein Unternehmen zu führen, ohne sich um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu kümmern, ist immer noch weit verbreitet. Dieser Führungsstil macht Menschen unglücklich, was schon schlimm genug ist. Aber mehr noch: Er ist gefährlich für unsere Wirtschaft, für unser ganzes Land.

Der VW-Skandal um gefälschte Abgaswerte hat nicht nur einen der größten deutschen Konzerne in seiner Existenz gefährdet. Er hat die ganze Marke »Made in Germany« in Verruf gebracht. Und hinter all dem steckt kein Charakterfehler der Manager, keine betrügerische Absicht, sondern eine falsche Führungskultur. Die zuständigen Ingenieure hatten einfach nicht den Mumm zu sagen: »Was ihr da oben von uns verlangt, das schaffen wir nicht.« Es gab kein ehrliches, konstruktives Miteinander, keine Diskussionskultur.

Die schlechte Nachricht ist: So ein Regime der Angst herrscht immer noch in vielen deutschen Unternehmen.

Die gute Nachricht ist: Immer mehr deutsche Unternehmen und auch VW verstehen mittlerweile, dass sie sich ändern müssen. Sie stellen ihre Führungskultur auf den Prüfstand, holen sich Hilfe von außen, lassen sich erklären, wie moderne Führung funktioniert. Genau hier versuche ich zu helfen. Seit vielen Jahren ist es mein Anliegen, Führungskräfte und Organisationen menschlicher und emotionaler zu machen.

Martin Winterkorn, der gescheiterte VW-Konzernchef, hatte jede Menge Ahnung von Autos. Und er konnte ein Unternehmen mit 500 000 Mitarbeitern lange Zeit erfolgreich führen wie ein General. Pläne wurden abgearbeitet, jeder einzelne in dem Konzern hatte zu funktionieren beim Plan, das große Ziel zu erreichen: Nummer eins in der Welt werden.

Warum man Nummer eins in der Welt werden will? Muss man doch niemandem erklären, versteht sich doch von selbst, denken die meisten Führungskräfte noch heute. Dieses Denken stammt aus den 1990er-Jahren.

Solche Führungskräfte hatten ihre Zeit, ihr Stil war zwar nicht menschenfreundlich, aber dafür effizient. Sie haben ihre Unternehmen und damit die deutsche Wirtschaft an die Weltspitze geführt. Doch nun ist ihre Zeit vorüber.

In einer globalisierten, sich ständig wandelnden, von der Digitalisierung geprägten Welt führt der Weg, Menschen auf diese Art und Weise zu führen, ins Fiasko. Die Konkurrenz wird immer schärfer, der Wettbewerbsvorteil von heute ist schon morgen wieder dahin, die Ansprüche der Kunden steigen. Wer dann ganz schnell einen umweltfreundlichen Diesel auf den amerikanischen Markt bringen will, weil der Markt das dringend verlangt, läuft Gefahr, sein Unternehmen zu überfordern. Die Pläne der Generäle, die starren Hierarchien und die vielen Kontrollen machen den Konzern unflexibel. Wenn in einem Konzern Ingenieure unter einem Regime der Angst arbeiten, wagen sie keinen Widerspruch. Sie fangen stattdessen an zu tricksen.

Um es einmal auf die Spitze zu treiben: Meiner Überzeugung nach könnte der VW-Konzern von einer Person geführt werden, die wenig Ahnung von Autos hat. Dafür aber umso mehr von Menschen und der Art, wie Teams funktionieren. Ein moderner Leader muss sich in Menschen hineinversetzen können. Er muss die Mitarbeiter aktivieren, muss Leidenschaft und Begeisterung in ihnen wecken, muss sie einschwören auf ein gemeinsames Ziel. Zusätzlich muss er oder sie verstehen, wie junge Menschen ticken, die mit dem Internet, mit WhatsApp, mit Twitter, mit Facebook aufgewachsen sind. Wieso? Weil sie die Mitarbeiter der Zukunft und auch die Kunden der Zukunft sind! Wer diese Generation versteht, kann auch zukunftsfähige Produkte und Dienstleistungen entwickeln.

Die VW-Krise erschütterte Deutschland inmitten der großen Flüchtlingskrise. Zwei verschiedene Phänomene, aber doch vergleichbar. Denn beide Krisen bedeuteten für das Land ein Rendezvous mit der Globalisierung und warfen die Frage auf, wie unsere Führungskräfte darauf reagieren sollten.

»Wir schaffen das«, sagte Kanzlerin Merkel und erntete heftige Kritik, weil sie keinen Masterplan vorlegte. Als könne ein Land einen Masterplan für die Bewältigung globaler Flüchtlingsströme haben. Daraus sprach die Sehnsucht nach der alten, übersichtlichen Zeit, nach einem General, der angeblich weiß, wo es langgeht. Merkel dagegen handelte nach Art eines modernen Anführers. Sie vertrat unerschütterlich die Vision eines freundlichen Deutschlands, handelte aber Schritt für Schritt, im Vertrauen auf das Engagement und die Empathie der Bürgerinnen und Bürger. Eine Lösung für das Flüchtlingsproblem wird das Land nur durch Dialog, Austausch und Miteinander finden.

Befehl und Gehorsam waren vorgestern. Die Zauberworte, die in die Zukunft weisen, heißen: Empathie und Kommunikation. Das gilt für das politische System genauso wie für die Wirtschaft.

Das wahre Potenzial, das in den Unternehmen steckt und wach geküsst werden muss, sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Das wahre Potenzial sind: Sie!

Nur mit dieser dem Menschen zugewandten Philosophie kann man heutzutage tatsächlich High Performance erreichen. Weltmeister werden. Bundestrainer Joachim Löw hat es vorgemacht.

»Zeig der Welt, dass du besser als Messi bist!« Mit diesen Worten schickte er Mario Götze als Einwechselspieler ins WM-Finale 2014 gegen Argentinien.

Komprimiert und auf den Punkt gebracht lässt sich mit diesem Satz meine Vorstellung moderner Führung zusammenfassen: emotional und vertrauensvoll, stärkenorientiert und positiv, individuell und inspirierend.

Löw zeigte mit diesem einen Satz volles Vertrauen und Empowerment. Er stellte Mario Götze auf eine Stufe mit Messi und motivierte ihn über ein positives Zielbild.

Man nennt das: Positive Leadership.

Löw sagt eben nicht: »Geh rein und mach das verdammte Tor – du verdienst schließlich genug.« Das würde man Delegation mit klarer Anweisung nennen. Er vertraute auf die Stärke von Götze, im richtigen Moment seine Genialität zu entfalten. Er gab ihm Extra-Energie. So wachsen Menschen über sich hinaus.

»Ich baue auf dich, du bist der Beste.«

Wollen Sie nicht auch von Ihrem Chef genau so behandelt werden?

1. Von Menschenbildern in Unternehmen

Dem Phänomen der Führung begegnete ich schon früh im Leben. Als Sohn eines Dachdeckermeisters durfte oder musste ich ihn bei der Arbeit oft begleiten. Wir diskutierten darüber, wie er Mitarbeiter motivierte, und ich erlaubte mir anzumerken, ich hätte manchmal das Gefühl, seine Leute könnten mehr Einsatz zeigen und provozierte ihn mit der Behauptung, sie hätten genau drei Ziele am Tag: Brotzeit, Mittag, Feierabend und dazwischen machten sie Dienst nach Vorschrift.

Mein Vater fand das gar nicht lustig und erklärte mir, dass Dachdecken einer der härtesten Jobs der Welt sei. Die Mitarbeiter stehen bei plus 35 Grad und bei minus 10 Grad auf dem Dach. Sie sind Wind, Regen und Sturm ausgesetzt und dabei ständig in Gefahr, vom Dach zu stürzen. Unter diesen Bedingungen sei er froh, dass sie überhaupt zur Arbeit kommen. Und es gebe kaum Fluktuation und kaum Krankheitstage, das sei in anderen Betrieben ganz anders. Ich entschuldigte mich, aber ich merkte, dass sich mein Vater doch Gedanken machte.

Zwei Wochen später präsentierte er eine Idee: Bis dahin hatten vier Leute immer die eine Seite und dann die andere Seite des Daches gedeckt, nun teilte er die Mitarbeiter in zwei Zweier-Teams ein. Sie deckten gleichzeitig von beiden Seiten bis zum First um die Wette. Die Siegermannschaft erhielt dann von der Verlierermannschaft die Brotzeit für den nächsten Tag bezahlt.

Diese Idee kam bei den im Schnitt 30-jährigen Mitarbeitern blendend an. Die Motivation stieg, die Männer hatten Freude am Wettbewerb und wollten zeigen, wie gut sie sind. Obendrauf war das noch der erste selbstfinanzierte Bonus in unserem Unternehmen, was meinen Vater sehr freute. Schon als Kind hat er mir immer halb im Spaß, halb im Ernst erklärt: »Mein Geldbeutel hat’s am liebsten dunkel.«

Mein Vater musste jedoch erfahren, dass jeder Wettbewerb auch seine Grenzen hat und es immer wieder Anpassungen im System braucht. Nach einiger Zeit stellte sich heraus, dass immer die gleichen Teams das Wettdecken gewannen, darum führte mein Vater wechselnde Partnerschaften ein. Wer wirklich ein großer Dachdecker sei, der gewinne auch mit einem anderen Partner, so sein Argument. Es funktionierte erneut. Die Kollegen lernten voneinander und miteinander. Neben dem Wettbewerb (Competition) gab es nun auch Zusammenarbeit (Cooperation).

Mein Vater achtete darauf, dass er nicht immer nur beobachtete, sondern ab und an auch selbst mitmachte. Dann waren die Mitarbeiter doppelt motiviert. Er musste aber ebenfalls lernen, dass zu viel Wettbewerb schädlich sein kann. Viele Dachplatten wurden in der Eile gebrochen, die Sicherheit der Mitarbeiter war hin und wieder gefährdet. So musste mein Vater neben der Zeit noch andere Zielgrößen wie Qualität und Sicherheit einfließen lassen. Er hatte zudem ein gutes Gespür dafür, wann die Männer einfach keine Lust auf Wettbewerb hatten. Dann ließ er sie in Ruhe arbeiten.

In der Summe hat mein Vater dadurch die Motivation, die Leistung und das Miteinander in seinem Unternehmen gesteigert. Er war ein glaubwürdiger Anführer, er hatte Charakter. Wir sprechen von »Idealized Influence«.

Meine Mutter lebte im Betrieb das Miteinander vor. Sie lernte mit jedem einzelnen Lehrling für die Prüfung. Sie sorgte für den Zusammenhalt im Betrieb. »Social Glue«, sagt man dazu im Wirtschaftsjargon, wie ich später erfuhr. Es gab kaum jemanden, der diesen Betrieb verlassen wollte. Alle hatten das Gefühl, dass man sich um sie kümmerte, dass man sich wirklich für sie interessierte. Meine Mutter hatte Empathie.

Identifikationskraft und Empathie: Meine Mutter und mein Vater haben die Begriffe nicht gekannt, aber sie haben sie gelebt.

Über meinen ersten Tennistrainer, der trotz eines steifen Beines großartiges Tennis spielte und ein fantastischer Lehrer war, habe ich in der Schule eine Facharbeit geschrieben – weil ich es so unglaublich faszinierend fand, wie der Mann seine Spieler in seinen Bann schlug, und sie zu Höchstleistung trieb.

Und später faszinierten mich die unterschiedlichen Typen von Fußballtrainern. Wie konnte es sein, dass ein Trainer mit den besten Spielern keinen Blumentopf gewann, und der andere Trainer mit einer Ansammlung von Durchschnittskickern einen Titel nach dem anderen einheimste?

Es ging immer wieder um Fragen der Menschenführung, des Miteinanders. Wie muss eine Mannschaft organisiert sein, um Erfolg zu haben? Das hat mich auch als Wirtschaftswissenschaftler am meisten beschäftigt. Wie funktionieren Teams, vor allem: Hochleistungsteams?

Und so kam es, dass ich schon früh begann, Unternehmen und deren handelnde Personen zu studieren und später auch zu beraten.

Ich bin kein Unternehmensberater, der sich um Kostenstrukturen und Produktionsabläufe kümmert. Ich versuche, Unternehmen und Managern dabei zu helfen, wie sie mit ihrem wertvollsten Kapital umgehen sollten. Mit den Menschen.

Um zu verstehen, was wir als Wissenschaftler untersuchen und den Unternehmen zu vermitteln versuchen, genügt es zunächst einmal, zwei Arten der Führung zu unterscheiden.

Da gibt es erstens die »transaktionale Führung«. Sie funktioniert nach dem Motto: »Ich, Chef, gebe dir Geld; dafür tust du, Mitarbeiterin oder Mitarbeiter, was ich von dir verlange. Und wenn du nicht tust, was ich sage, werde ich dich bestrafen. Ansonsten lasse ich dich in Ruhe.« Ganz verkürzt: Transaktion – Austausch – Geld gegen Leistung.

Und da wäre zweitens die »transformationale Führung«. Sie stellt den Menschen in den Fokus, sie funktioniert nach dem Motto: »Wir arbeiten für ein gemeinsames Ziel, mehr noch, wir brennen für dieses Ziel, wir leben dafür, Tag für Tag. Und ich, Chef, werde alles dafür tun, dass du, Mitarbeiterin oder Mitarbeiter, dich mit deinen Leidenschaften und Stärken einbringen kannst. Ich helfe dir, im Einklang mit den Zielen und Visionen des Unternehmens zu wachsen.« Transformationale Leader helfen den Menschen, besser zu werden. Transformation bedeutet: das Individuum und das Unternehmen zu entwickeln, sich zu transformieren auf eine höhere Ebene.

Idealized Influence und Empathie – siehe oben – spielen dabei eine ganz wesentliche Rolle. Meine Eltern haben die transformationale Art der Führung praktiziert, mein Tennistrainer und manche meiner Fußballtrainer auch.

Die transaktionale Art der Führung muss nun keinesfalls ganz aus den Unternehmen verschwinden.

Dazu ein extremes Beispiel aus der Corporate-Welt: Wer ein Kernkraftwerk leitet, muss die Belegschaft nicht täglich zum wilden Brainstorming ermuntern. Hier kommt es vor allem auf Struktur und Verlässlichkeit an. Aber selbst in einem Kernkraftwerk kann es hilfreich, ja überlebenswichtig sein, wenn die Mitarbeiter nicht nur festgelegten Regeln folgen, sondern manchmal diese Regeln hinterfragen. »Sind wir hier wirklich auf dem richtigen Weg, Chef? Kann es sein, dass wir etwas übersehen?«

Meiner Überzeugung nach müssen Anführer im Umgang mit ihrem Team so transaktional wie nötig, so transformational wie nur irgend möglich handeln.

Das wird durchaus anstrengend für alle Seiten, denn man muss sich aufeinander einlassen. Was erwartet die Mitarbeiterin von einem Chef, was erwartet die Chefin von einem Mitarbeiter?

Was erwarten wir voneinander?

Angestellte – nur Zitronen?

Wer Menschen führen will, muss Menschen verstehen, muss erkennen, wie sie ticken. Solche Menschenbilder sind ein weites Feld der Philosophie, aber um die Sache zu vereinfachen, empfehlen wir Unternehmen: Teilen Sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in vier Kategorien ein, wohl wissend, dass das zu kurz gesprungen ist.

Ich höre schon den Einwand: »Was ist das für ein Menschenbild? Jeder Mensch ist anders, deshalb nennt man ihn ja auch Individuum. Es gibt die Lauten und die Leisen, die Schönen und die Hässlichen, die Großen und die Kleinen, die Ehrlichen und die Verlogenen, die Faulen und die Fleißigen, die Armen und die Reichen, die Klugen und die Dummen, die Fröhlichen und die Traurigen, die Einzelgänger und die Herdentiere, die Reizbaren und die Geduldigen. Unendlich viele Typen mehr und unendlich viele Abstufungen dazwischen. Jede Frau und jeder Mann verdient es, für sich betrachtet zu werden.«

Sie haben recht, und doch: Wer für Menschen und für Teams verantwortlich ist, dem kann diese Vereinfachung auf vier Kategorien wertvolle Hinweise für Fragen der Führung und des Teambuildings geben.

Wir zeichnen, jedes Mal wenn wir ein Unternehmen in der Personalentwicklung beraten, ein Diagramm. Auf der y-Achse bilden wir die Leistung (»Results«) ab. Auf der x-Achse bewerten wir, wie wertvoll die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter als Mensch für das Unternehmen ist, in welcher Weise sie also die Werte (»Values«) des Unternehmens respektive des Teams, in dem sie arbeiten, vertreten.

Wir beschränken uns auf ein Kontinuum mit jeweils zwei Abstufungen: hohe Leistung, wenig Leistung; hohe Wertekongruenz, wenig Wertekongruenz.

Es gibt Teammitglieder, die keine Leistung bringen und nur schlechte Stimmung verbreiten. Sie befinden sich links unten in unserem Diagramm. Wir wollen sie »Lemons« nennen, Zitronen. Es handelt sich meist um Mitarbeiter, von denen die Führungskräfte sagen: »Die hat mir die Personalabteilung eingebrockt, oder der Vorgänger.«

Links oben im Diagramm ordnen wir Mitarbeiter ein, die zwar ihre Leistung bringen, die aber schwierig im Umgang sind. Wir nennen sie auch die einsamen Wölfe oder akademisch korrekt soziale Tretminen – denn wenn man auf sie trifft, explodieren sie meist. Sie wissen alles besser, hören nur selten zu und leben nach dem Motto: »Ich unter der besonderen Berücksichtigung von mir.«

Im Diagramm tummeln sich dann rechts unten, also mit viel Wertekongruenz aber wenig Resultaten, auch die lustigen, die fröhlichen, die stets beliebten Leute. Sie verbreiten gute Stimmung, man ist gern mit ihnen zusammen. Aber leider: Sie sind ein wenig langsam von Begriff, brauchen immer eine zweite und manchmal eine dritte Erklärung. Wir nennen sie »Happy Bears«, glückliche Bären. Immer positiv, immer gut drauf, gern gesehen im Team, nur die Leistung ist schwach bis mittelmäßig.

Dann gibt es natürlich noch die »Stars«. Sie sind in unserem Diagramm rechts oben eingeordnet. Unglaublich beliebt, unglaublich kooperativ. Unglaublich, was sie leisten.

Wer nur solche Leute hätte, der hätte ein wirkliches High-Performance-Team.

Diese Matrix ist keine neue Idee. Jack Welch, in den Jahren von 1981 bis 2001 Vorstandsvorsitzender bei General Electric, hat sie entwickelt. Aber immer noch sind Manager begeistert, wenn wir ihnen die Matrix vorlegen. Endlich haben sie ein Raster, um ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu bewerten und die Gruppendynamik in einem Team besser zu verstehen.

Und mal ganz ehrlich, ist es nicht sogar für einen Angestellten wirklich verlockend, die anderen Kolleginnen und Kollegen einzusortieren?

Kollege X, dumm und faul und unzugänglich, die »Zitrone«, sollte man den nicht längst rausschmeißen? Und Kollegin Y, Frau »Happy Bear«, die stets Kaffee kocht, Kuchen mitbringt, immer wieder die Kolleginnen und Kollegen fragt, wie das werte Befinden ist und wie die Kinder sich in der Schule schlagen, die gut ist für das Miteinander, den Kollegen hilft, wenn sie Deadlines haben, die den Social Glue, also den Klebstoff in einem Team stärkt – tut sie das nur, um davon abzulenken, dass sie zu langsam ist, mit der neuen Software umzugehen, und dass sie ständig Fehler macht, die wir anderen ausbügeln müssen?

Es ist jedenfalls ein verführerisches System, und es gerät immer wieder in Misskredit. Ende des Jahres 2013 wurde bekannt, dass die damalige Yahoo-Chefin Marissa Mayer ihre Manager zwingt, die Angestellten nach einem ähnlichen System zu bewerten, mit fünf Kategorien und jeweils festen Quoten für jede Kategorie.

So wurden zehn Prozent der Belegschaft den »Greatly Exceeds« zugeteilt, 25 Prozent den »Exceeds«, 50 Prozent den »Achieves«, zehn Prozent den »Occasionally Misses« und fünf Prozent den »Misses«. Die Superherausragenden, die Herausragenden, die Leistungserfüller, die gelegentlichen Flops, schließlich die Flops. Und aufgrund der starren Quoten scheint klar zu sein: Das ist ein System, um Leute rauszuschmeißen. Denn das Management ist gezwungen, in jedem Fall fünf Prozent der Leute als Flops zu definieren. Man spricht von »Forced Rankings«, erzwungenen Ranglisten.

Warum es solche Rankings gibt? Sie werden damit begründet, dass kein Abteilungsleiter aus purer Menschenfreundlichkeit selbst das mieseste Team noch zu einer Ansammlung von Superstars hochjazzen soll. Aber es führt kein Weg daran vorbei: Selbst wenn der Abteilungsleiter tatsächlich eine Ansammlung von nichts als Superstars führt, ist er durch das System gezwungen, manche seiner Leute zum Abschuss freizugeben.

Lernt die Wirtschaft also niemals dazu? Verfährt die New Economy nach denselben brutalen Regeln wie die Old Economy? Und am Ende werden die »Lemons« rausgeschmissen? Das ist nicht mein Ziel und nicht mein Thema. Aber an den Fakten kommt niemand vorbei. Das amerikanische Meinungsund Personalforschungsinstitut Gallup versucht, mit seinem Global Engagement Index die Haltung von Beschäftigten zu ihrem Arbeitgeber in Zahlen zu fassen. Die Ergebnisse sind seit Jahren stabil: Etwas mehr als zehn Prozent sind »actively engaged«, bringen sich also aus eigenem Antrieb ein. Zwei Drittel sind »engaged«, versehen also Dienst nach Vorschrift. Und fast ein Viertel sind »actively disengaged«.

Das ist eine ziemlich frappierende Zahl: Fast ein Viertel aller Beschäftigten würde demnach mehr oder weniger offen das Team behindern. Die Zahlen für Deutschland lauten: 15 Prozent wollen das Team voranbringen, 70 Prozent versehen Dienst nach Vorschrift und immerhin noch 15 Prozent streuen Tag für Tag Sand ins Getriebe des Unternehmens.

Meine Frage ist nun: Könnte es sein, dass es an den Managerinnen und Managern liegt, wenn so viele Menschen nicht alles tun, um in ihrem Job das Beste zu erreichen? Schließlich ergreifen nur die allerwenigsten Menschen einen Beruf, um lediglich Geld zu verdienen. Die allermeisten verfolgen am Anfang ihres Berufswegs Ziele, Hoffnungen, Träume.

Deshalb wendet sich mein Blick, sobald in einem Unternehmen Zitronen, glückliche Bären, einsame Wölfe und Stars identifiziert sind, zu der Person, die diese Einteilung vorgenommen hat.

Wie gehst du, Managerin und Manager, mit diesen Leuten um? Was ist dein Plan, um aus glücklichen Bären und einsamen Wölfen, vielleicht sogar der einen oder anderen Zitrone einen Star zu machen? Wenn Manager wissen wollen, wie man mit der Lemon-Matrix nach meiner Erfahrung richtig umgeht, dann empfehle ich ihnen Folgendes: Denken Sie doch einmal nach, ob Ihnen Resultate oder Werte wichtiger sind! Wo setzen Sie Ihre Priorität? Im Zweifelsfall empfehle ich, auf Werte zu setzen. So hat das im Übrigen auch Bundestrainer Joachim Löw gehalten. Bewusst oder unbewusst haben Jürgen Klinsmann und Joachim Löw diese Resultate-Werte-Matrix auch bei der Auswahl ihrer Spieler für die Nationalmannschaft beachtet. Sie haben nicht nur auf Leistung, sondern mindestens ebenso stark auf Verhalten und Werte der Spieler geachtet.

Ich empfehle darum jeder Führungskraft: Haben Sie mehr Geduld mit den Happy Bears als mit den einsamen Wölfen bzw. sozialen Tretminen. Sie können Menschen nämlich auf Basis guter Werte entwickeln. Über Coaching, Schulungen und Feedback kann man Happy Bears sehr viel einfacher zu Stars entwickeln, als das mit einsame Wölfen möglich wäre. Bei den einsamen Wölfen stimmt nämlich etwas mit ihren Werten nicht – sie passen nicht richtig ins Team und das für eine Führungskraft zu entwickeln, ist weitaus schwieriger. Was die Eltern verpasst haben, kann man als Führungskraft nur schwer nachholen. Nun werden Sie vielleicht argumentieren: »Aber die soziale Tretmine liefert wenigstens Ergebnisse.« Das stimmt, allerdings übersieht man dabei, dass sie durch ihr Verhalten oft die Leistung anderer im Team reduziert, weil diese sich durch ihn oder sie demotiviert fühlen. Die Frage, die man sich als Führungskraft deshalb immer stellen sollte, lautet: Ist man trotz oder wegen der sozialen Tretmine so erfolgreich?

Ich habe sehr oft erlebt, dass Teams über sich hinauswachsen, wenn der Chef, die Chefin den Mut hatte, einen einsamen Wolf aus dem Team zu nehmen. Plötzlich wachsen die vermeintlichen Happy Bears über sich hinaus und sind wie entfesselt.

Gleiches können wir auch in der Fußballnationalmannschaft beobachten. So entwickelten sich Spieler wie Bastian Schweinsteiger, Thomas Müller und Manuel Neuer in einem wertebasierten Umfeld zu großen Stars. Werte in einem Team zu verankern, das ist die große Aufgabe von Anführern. Nur dann kann auch die Leistung stimmen.

Manager – nur Pflaumen?

Es gibt jede Menge Untersuchungen, jede Menge Literatur über das Versagen des modernen Managements. So manche Autoren behaupten, dass die Hälfte aller Managerinnen und Manager fehl am Platz sind. Man muss solche Zahlen nicht ernst nehmen, aber Unternehmern ist bewusst, dass die Pflaumen in ihren Chefetagen sie viel Geld kosten.

Die Gründe, die dafür genannt werden, sind vielfältig. Manche Manager haben keine Ahnung vom Geschäft und keinen strategischen Weitblick. Andere können mit dem Risiko weitreichender Entscheidungen nicht umgehen – entweder spielen sie va banque mit dem Unternehmen oder sie haben nicht den Mumm, in schwierigen Momenten zu ihren Überzeugungen zu stehen. Wieder andere sind im Laufe der Jahre im einsamen Chefbüro arrogant geworden. Sie hören nicht mehr auf Rat, verschlafen Entwicklungen.

Im Wesentlichen lassen sich wohl zwei Gruppen von versagenden Managern unterscheiden: die eine mit fachlichen Schwächen, die andere mit menschlichen Schwächen.

Ich bin – entgegen manchem Vorurteil – überzeugt davon, dass in unseren Chefbüros weder massenhaft Ahnungslose noch massenhaft Psychopathen sitzen. In der Regel ist das Hauptproblem: Manager haben zu viel Ahnung vom Geschäft. Und zu wenig Ahnung von den Menschen, die sie führen sollen.

In unseren Unternehmen hat sich über die Jahrzehnte ein System etabliert, welches dafür sorgt, dass primär Expertise und Kompetenz befördert wird. Der beste Ingenieur wird Oberingenieur, der beste Arzt wird Oberarzt, der beste Assistent wird Oberassistent, der beste Arbeiter wird Vorarbeiter.

Das ist zu einem gewissen Grad gut so, Kompetenz und Expertise sollen belohnt werden. Viel zu selten wird aber systematisch darauf geachtet: Kann diese Person Menschen führen und vor allem, will sie das auch? So lange die Welt stabil ist und die Geschäftsmodelle sich nur graduell entwickeln, wie das mehrheitlich in den 1970er-, 1980er-, 1990er- und teilweise noch den 2000er-Jahren der Fall war, ist es gut genug, wenn man eine Abteilung, einen Bereich oder sogar ein Unternehmen mehrheitlich über Kompetenz und Inhalte führt. Das Operating Model hat sich über Jahre etabliert, und es braucht keine radikalen Innovationen, darum kann ein Manager das Unternehmen auch primär über Expertise lenken.

Heute sehen sich Unternehmen aber in einem disruptiven Umfeld – die digitale Transformation erfordert von allen Organisationen ein Überdenken der bestehenden Geschäftsmodelle und Innovationen in allen Bereichen. In so einem Umfeld braucht es Führungskräfte, die neben ihrer Sachkenntnis die Menschen verstehen und motivieren können. Denn nur gemeinsam kann man diese große Transformation schaffen.

Darum muss ein Manager heute auch und vor allem das Leading, Engaging und EnablingMmMm