Hermann Ritter, Johannes Rüster, Dierk Spreen, Michael Haitel (Hrsg.)

HEUTE DIE WELT – MORGEN DAS GANZE UNIVERSUM

Rechtsextremismus in der deutschen Gegenwarts-Science-Fiction | Science-Fiction und rechte Populärkultur

 

AndroSF 54

 


Hermann Ritter, Johannes Rüster, Dierk Spreen,

Michael Haitel (Hrsg.)

Heute die Welt – morgen das ganze Universum

Rechtsextremismus in der deutschen Gegenwarts-Science-Fiction | Science-Fiction und rechte Populärkultur

 

AndroSF 54

 

 

Die in diesem Werk enthaltenen Beiträge wurden ggf. auch im Bereich der Zitate gefühlvoll, d. h., nicht sinnentstellend, an die aktuelle deutsche Rechtschreibung angepasst.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

© dieser Ausgabe: Mai 2016

p.machinery Michael Haitel

 

Titelbild: Michael Haitel, unter Verwendung einer Grafik von Lothar Bauer

Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda, Xlendi

Lektorat: Michael Haitel

Herstellung: global:epropaganda, Xlendi

 

Verlag: p.machinery Michael Haitel

Ammergauer Str. 11, 82418 Murnau am Staffelsee

www.pmachinery.de

für den Science Fiction Club Deutschland e. V., www.sfcd.eu

 

ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 049 8

 


Vorwort: Wenn’s doch nur um Julius Caesar ginge

 

 

Wer vor einem […] Laienpublikum über Julius Caesar spricht, und glaubt, dass deren erste Assoziation nicht der Caesar der ›Asterix‹-Comics ist, macht sich Illusionen.

Johannes Dillinger, Uchronie: Ungeschehene Geschichte

 

Es ist paradox: Wohl niemand kann sich der Faszination der Vergangenheit entziehen – und gleichzeitig wird sie in den seltensten Fällen ungebrochen reflektiert.

Dies beginnt bei der eigenen Biografie, die nostalgischen Färbungen wie retroaktiven Rechtfertigungen unterworfen ist, und endet noch lange nicht beim oben erwähnten Comic-Caesar. Kurz: Geschichtliches Bewusstsein findet jenseits streng akademischer Diskurse stets fiktionalisiert statt, unser Bild von der Vergangenheit speist sich nicht zuletzt aus einem popkulturellen Zitatenschatz.

Mit einem Problem: Das Spiel von Narrative und Historie, das etwa René Goscinny, der ursprüngliche Autor der Asterix-Alben, virtuos beherrschte, bedarf zur Entschlüsselung eigentlich eines beachtlichen Vorwissens: Ob Vercingetorix seine Waffen dem siegreichen Römer stolz hinknallte (wie z. B. in Asterix und der Avernerschild) oder gebrochen zu Füßen legte (wie z. B. in Die Trabantenstadt)? Prinzipiell egal, könnte man sagen. Wer De bello Gallico gerade nicht im Detail im Hinterkopf hat, ist zwar ziemlich aufgeschmissen, dem Amüsement dürfte dies aber keinen Abbruch tun.

Wenn es nur um Caesar ginge, wäre das auch kein Problem: Der zeitliche, kulturelle wie ideologische Sicherheitsabstand sorgt dafür, dass die satirisch kreative Geschichtsklitterung unproblematisch bleibt, auch wenn sie nicht als solche erkannt wird. Schwieriger wird es allerdings, wenn es sich um einen historischen Zusammenhang handelt, der zeitlich, kulturell wie ideologisch ungemütlich nahe an die eigene Lebenswirklichkeit herankommt.

Der Nationalsozialismus bzw. seine Manifestation in der deutschen Geschichte im 20. und 21. Jahrhundert ist eben nicht nur ein weltpolitisches Phänomen 1933–45, dessen mahnende Reflexion heute wesentlicher Bestandteil des bundesdeutschen Erinnerungsnarrativs ist. Vielmehr haben sowohl die völkischen, faschistischen und nationalsozialistischen Diskurse und Gesellschaftsentwürfe selbst als auch ihre post-faschistischen Wiedergänger eine populärkulturelle Dimension: Es zieht sich ein roter Faden von den völkischen Utopien (die Jost Hermand 1988 in seiner Monografie Der alte Traum vom neuen Reich so treffend analysierte) zur Selbstästhetisierung der faschistischen Diktaturen in Deutschland, Italien und Spanien – und von diesen wiederum zu den modernen rechtskonservativen bis rechtsradikalen Epigonen, die sich gerne im Rahmen des verfassungsrechtlich Möglichen aus beider Zeichen- und Mythenvorrat bedienen.

Einmal mehr erweist sich hier die fantastische Literatur als Seismograf gesamtkultureller Zusammenhänge, finden das psychologische Spiel mit Archetypen der Fantasy und die allegorische Qualität der Science-Fiction als Ideenliteratur zu großer Wirkung zusammen. Deshalb gilt gerade für diesen literarischen Bereich in besonderem Maße: Ob affirmative faschistoide Allmachtsfantasie, weltanschaulich taubstumme Naziästhetik im Actionfilm oder geschliffene Satire – die Verarbeitung von totalitär-nationalsozialistischen Versatzstücken in der Popkultur bedarf dringend der Decodierung, damit der Umgang mit der Zeitgeschichte differenzierter erfolgt als der mit Julius Caesar.

 

Diesen Versuch unternehmen die drei Beiträger in diesem Band aus deutlich unterschiedlichen Perspektiven:

Hermann Ritter, von Haus aus Historiker, erschließt den weiten Raum völkischer Esoterik. Dabei spannt er den Bogen von den verquasten theo- und ariosophischen Gedankengebäuden der vorletzten Jahrhundertwende, für die etwa Helena Blavatsky oder Lanz von Liebenfels stehen, über die synthetisch-germanisierenden faschistischen Mythen bis hin zu den vrilgetriebenen Reichsflugscheiben, mit denen revisionistische Allmachtsfantasien fantastisch verbrämt werden.

Johannes Rüster, Literaturwissenschaftler, beschäftigt sich mit literarischen Texten, die das beliebte Spiel des »Was wäre, wenn« unter faschistischen Vorzeichen betreiben. Er flaniert entlang einer Reihe von Romanen, die in alternativen Weltentwürfen faschistische Ideologie als mehr oder weniger siegreich beschreiben, ob in Form der SS-Untergrundarmee eines Oliver Henkel, die funktional am ehesten an die heutigen IS-Kämpfer erinnert, oder, wie bei Otto Basil, als der von innen verrottete Glanz eines Reiches, das sich zu Tode geendsiegt hat.

In guter dialektischer Tradition folgt auf die historisch-literarisierende These und die literarisch-historisierende Antithese die Synthese: Der Soziologe Dierk Spreen untersucht anhand der Romanreihe Stahlfront, wie literarische und ideologische (nicht zu vergessen: verlagsökonomische) Aspekte im Zusammenspiel ein Werk entstehen lassen, das durch »viele und intensive rassistische, Teile der NS-Ideologie bejahende und Homosexuelle diskriminierende Textpassagen« den »für eine Indizierung erforderlichen deutlichen Grad der Jugendgefährdung« aufweist (so das VG Köln).

 

In der Zusammenschau zeigt sich letztlich, wie sehr krude völkische Esoterik anschlussfähig an die Allmachtsfantasien eines oft materiell wie intellektuell unterprivilegierten Publikums sein kann. Dies ist, auch das wird erkennbar, beileibe kein neues Phänomen. Vielmehr, und das ist das eigentlich Deprimierende, scheint es sich mehr um eine Konstante zu handeln, um das dumpf stammtischlernde Hintergrundgeräusch einer demokratischen Gesellschaft, das sich selbst durch pseudowissenschaftliche Verlängerungen einer Vielzahl von Disziplinen zu adeln versucht, von der Geschichtswissenschaft über die Medizin bis zur Raumfahrttechnik.

Damit wird letztlich auch die Intention dieses Bandes klar: Diesem tumben Raunen sollen ein paar helle Beiklänge beigemischt werden, in die braunverdunkelten Geister ein kleines Flämmchen der Aufklärung getragen werden. Nicht mehr – aber auch nicht weniger.

 

Hermann Ritter

Johannes Rüster

Dierk Spreen