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Gundolf S. Freyermuth

Cyberland

Eine Führung durch den High-Tech-Underground

FUEGO

Pressestimmen zu Cyberland:

»Ein wortwitziger Reiseführer, der die Protagonisten der neuen Zeit portraitiert.«

Aus: Amica (Hamburg, August 1996)

 

»Der frühere TransAtlantik- und Tempo-Autor Gundolf S. Freyermuth hat Cyberland bereist und eine vorzügliche Führung durch den High-Tech-Underground verfaßt. [...] Wer mehr über das Leben in der (nahen) Zukunft erfahren will, ist mit diesem Handbuch bestens bedient.«

Aus: Kurier (Wien, 21. August 1996)

 

»Freyermuths Essay ist ein Selbst-Versuch, zerfurcht von Brüchen in der Erzählzeit, Genrewechseln zwischen Reportage und Essay, Tempowechseln zwischen Portraitminiaturen und lang ausholenden Gedankengängen. Kurz: ein wichtiges Buch, denn es dramatisiert die Geburtswehen des vernetzten Individuums in der Neuen Medienwelt.«

Aus: zitty (Berlin, 15/1996)

 

»Die Eleganz, mit der diese Führung unternommen wird, ist frappierend. In seiner Schnittechnik erinnert das an Kubricks 2001 - Odyssee im Weltraum – vermeintlich Unvereinbares wie Steinzeitknochen und schwebende Raumfähren werden verschwistert, mit der Leichtigkeit eines Strauß-Walzers. [...] Cyberland ist Essay, Reportage, Lexikon und Bildungsroman in einem [...] ein Führer, der das Zeug zum Kultbuch des Cyberzeitalters hat.«

Aus: Tagesspiegel (Berlin, 8. September 1996)

 

» ... ein vielstimmiger Chor der Zukunftsgläubigen des High-Tech-Undergrounds, die Gundolf S. Freyermuth in seinem sehr lesenswerten und spannenden Buch zu Wort kommen läßt.«

Aus: pl@net (München, August 1996)

 

»Freyermuth hat sich aufgemacht, die Welt von morgen, die Welt des Cyberspace zu erkunden [...] Die Cyberzukunft ist aber nicht alles, was Freyermuth uns bietet, auch der Status quo dieser jungen Kultur wird in Cyberland genau reportiert, vielleicht etwas weniger spektakulär, aber nicht weniger unterhaltsam und vor allem lehrreicher.«

Aus: Die Welt (Berlin, 29. Juni 1996)

 

»Der Autor berichtet auf 283 Seiten von seinem Trip durch das - für Außenstehende undurchdringliche Dickicht des High-Tech-Underground. [...] Gut geschrieben.«

Aus: computer & co. (München, September 1996)

 

»Es gibt ein Land zu entdecken, dessen Einheimische fremdartige Gestalten und dessen Entdecker solche sind, die es zu Hause nicht mehr aushalten: Cyberspace, für Enthusiasten der neue Wilde Westen. [...] Gundolf Freyermuth, der sich auf eine Ranch in den White Mountains (Arizona) zurückgezogen hat, bereiste, über Modem mit der Welt verbunden, Cyberland. [...] Zurück zur Natur, aber mit allen technischen Möglichkeiten der Zivilisation!«

Aus: Wochenpost (Berlin, 12. September 1996)

 

»Gundolf Freyermuth gibt all diese Ideen und Visionen mit der kühlen Distanz eines Anthropologen wieder, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, einen neu entdeckten Stamm zu beschreiben.«

Aus: Radio Bremen (LeseZeichen, 24. August 1996)

 

»Freyermuth will den in der Alten Welt und im alten Denken Zurückgebliebenen mit seinen flott geschriebenen und kundigen Reportagen aus der Neuen Welt nicht nur deren Exotik vorführen, sondern ihnen Lust am Aufbruch vermitteln. [...] Freyermuths Fahrt durchs Cyberland mit seinen Eingeborenen ist ein spannendes und informatives Buch, das die Träumereien, Spekulationen und Obsessionen der Pioniere ausbreitet und so einen Blick auf die mögliche Zukunft erlaubt.«

Aus: Telepolis (München, August 1996)

Inhalt

 

Cover

Pressestimmen

I Vor dem evolutionären Sprung - Ein Überblick

II Der Fremdenführer - Mit R. U. Sirius an die Grenze der Gegenwart

III Cybernauten - Leben und Lieben in der Virtualität

IV Cyberzombies - Auferstehen von den Toten

V Der Cyborg-Prophet - Mit Max More nach Extropia

Nachweise

Literatur

Über den Autor

Über Fuego

Impressum

I Vor dem evolutionären Sprung

Ein Überblick

»Ich bin ein Zukunfts-Hacker.
Ich habe Heimweh nach der Zukunft.«

St. Jude

Vom Versuch,

die Gegenwart zu überwinden

Der Mann, einer der führenden Journalisten Ägyptens, gestikulierte mit der einen Hand hinauf zu dem gegenüberliegenden Dach, wo komplizierte elektronische Gerätschaft installiert war, und mit der anderen wies er hinunter in Richtung der Kairoer Slums, wo die islamischen Fundamentalisten den Ton angeben.

»Hier stehen wir!« rief er aus: »Ein Bein auf dem Mond! Das andere klemmt in der Gosse!«

Längst jedoch ist die Zerrissenheit zwischen den Epochen, dieses Dilemma der Ungleichzeitigkeit, kein isoliertes Leiden der dritten oder vierten Welt mehr. Auch in den industrialisierten Ländern, in Paris und New York, Berlin und Los Angeles, verbreitert sich die Kluft zwischen den digitalen Avantgardisten und dem analogen Rest der Menschheit. Während Millionen überfordert und hilflos dem technischen Fortschritt hinterher stolpern oder gar widerstrebend zurückbleiben, experimentieren Subkulturen mit atemberaubendem Elan an der neuen Hightech-frontier und stürmen unbesorgt voraus in die Zukunft.

Meine eigenen Erfahrungen mit dem heraufziehenden digitalen Zeitalter begannen 1984 damit, dass ich mir inmitten des medialen Trommelfeuers um das sogenannte Orwell-Jahr meinen ersten Computer kaufte. Er war kaum größer als der aufziehbare, Mozart-bimmelnde Spielzeugfernseher, den ich als Kind besessen hatte. Die totalitäre Bedrohung, vor der allenthalben gewarnt wurde, schien mir das neue elektronische Gerät daher nicht gerade, vielmehr wirkte der Computer angesichts seiner beschränkten Möglichkeiten eher rührend. Schon nach ein paar Stunden begann er, gehorsamer als der Durchschnittshund, das zu tun, was ich von ihm wollte.

Konnte es sein, fragte ich mich damals, dass die technischen Schrecken, die in unzähligen zukunftsängstlichen Leitartikeln und Jeremiaden so farbenprächtig ausgemalt wurden, von Männern und Frauen erzittert wurden, die wie Orwell selbst nie mit einem Computer umgegangen waren?

Ein bescheidenes Heimgerät verschaffte mir freilich kein tieferes Verständnis der sich rasant entwickelnden digitalen Techniken. Wie einst Don Quijote sah ich mich mit den Folgen eines Fortschritts konfrontiert, dessen Funktionieren mir ein Rätsel war. Von Informatik, dem Internet oder Nanotechnologie verstand ich soviel wie – oder noch weniger als – der Ritter aus der rückständigen Mancha seinerzeit von der revolutionären Windmühlentechnik. Anders als er zog ich es indes vor, das unverständlich Neue nicht zu bekämpfen, sondern zu erkunden, und zwar in seinen radikalsten Erscheinungen.

»Cyberland« berichtet von meinem langen, seltsamen Trip durch den Hightech-Underground. Das Buch erzählt von den Protagonisten der interessantesten Cyber-Bewegungen, denen ich teils in der Realität, teils im Cyberspace begegnete, es schildert die Abenteuer und befremdlichen Träume dieses zukunftshungrigen und zukunftsträchtigen Menschenschlags, der sich unablässig an den Grenzen unserer gegenwärtigen Existenz stößt – nicht nur an der relativen Primitivität von Maschinen und Computern, sondern auch an der Rückständigkeit der Gehirne und Körper, die der Menschheit bislang zur Verfügung stehen.

Mit den herkömmlichen Beschränkungen individueller Fähigkeiten und kollektiver Entwicklungsmöglichkeiten dürfte es jedoch bald vorbei sein, meinen die Männer und (wenigen) Frauen der diversen Cyber-Stämme. Der sich unablässig beschleunigende technische Fortschritt, der den Verlauf des zwanzigsten Jahrhunderts bestimmte, nähere sich einem epochalen Umschlagspunkt, an dem die Leistungsfähigkeit von elektronischen und biologischen Computern die menschlichen Möglichkeiten erreichen und überschreiten werde. Die logische Konsequenz daraus sei die gezielt betriebene Selbstverbesserung des Homo sapiens, aus der schon sehr bald eine symbiotische Lebensform von höherer Intelligenz und längerer Lebensdauer hervorgehen werde.

Was sich anbahnt, vergleichen einige – etwa John Perry Barlow von der Electronic Frontier Foundation (EFF) – mit der Entdeckung des Feuers, die am Anfang der Zivilisation stand. Andere gehen einen Schritt weiter und sprechen von der Möglichkeit eines Evolutionssprungs: gen- und nanotechnisch von Menschenhand gesteuert und vergleichbar mit jenem, der einst auf diesem Planeten intelligentes Leben entstehen ließ.

Zu dem Cybervolk, das eine solche Evolution im Zeitalter ihrer technischen Produzierbarkeit propagiert, zählen Dutzende von »Maverick«-Wissenschaftlern – Nonkonformisten und erfolgreiche Außenseiter wie der Begründer der Nanotechnologie Eric Drexler (Stanford), der Mathematiker und preisgekrönte Science-Fiction-Autor Vernor Vinge (San Diego State University), der Informatiker Marvin Minsky (Massachusetts Institute of Technology) oder der Robotiker Hans Moravec (Carnegie-Mellon University) –, aber auch hemmungslose Heimwerker, phantasierende Künstler und gläubige Science-Fiction-Fans.

In ihrer Mehrheit allerdings rekrutieren die utopischen Gruppen und Grüppchen ihre Anhänger aus der breiten Schicht der »knowledge worker« (Peter F. Drucker) und »symbolic analysts« (Robert Reich), aus der Schar hochqualifizierter Wissens-Techniker und Symbol-Verarbeiter also, die sich um die boomenden Hightech-Industrien und Spitzenforschungseinrichtungen herum versammelt hat. Dieser intellektuelle Mittelstand stellt das Fußvolk der Cyber-Bewegung, er bildet das faszinierte Publikum, das einer Vielzahl komplizierter Bücher und anspruchsvollen Cyberkultur-Zeitschriften wie »Mondo 2000« und »Wired« hohe Auflagen beschert und das für den immer dichter werdenden Verkehr im Internet und in kommerziellen Netzen wie CompuServe oder America Online sorgt.

Die unbändige Energie des Hightech-Undergrounds wie die glühende Bewunderung, die er bei seinen konventionelleren Mitläufern weckt, speisen sich aus dem professionellen Erfahrungswissen, dass Technik mehr als ein Mittel zu mundanen Zwecken ist. Wissenschaftlicher Fortschritt und technologische Erkenntnisse gehen nicht im Zuwachs an Rationalität und schieren Produktivitätsgewinnen auf, in ihnen wirkt vielmehr eine utopische Sehnsucht: der Wunsch, die planetarische Not und die Gewalt, die unsere Zivilisation allen Lebewesen antut, in Richtung zukünftiger Paradiese zu überwinden.

Sie sollen weder Armut und Unterdrückung noch Tod kennen, postulieren die Cyberutopisten, und Freiheit soll dann auch »morphologische Freiheit« meinen, das neue Menschenrecht, selbstbestimmt die eigene Existenz durch medizinische und genetische Interventionen verbessern zu können und dürfen.

Von dem Teil der Zukunft, der schon begonnen hat, von den gegenwärtig gewagtesten Versuchen, die Grenzen der Gegenwart zu überschreiten und mit dem Cyberzauber heute schon ernst zu machen, handeln die folgenden Kapitel.

Begonnen hat diese Zukunft, deren Prophezeiung vor anderthalb Jahrzehnten noch jeden in die Klapsmühle gebracht hätte, im amerikanischen Westen, an jener utopischen Ecke in der nordkalifornischen Bay Area, wo Haight-Ashbury und Silicon Valley sich kreuzen.

Wollte die Revolte der Hippies und Yippies, die sich in den sechziger Jahren von hier aus über die Welt ausbreitete, das Bewusstsein der Menschheit befreien – politisches Handeln, sexuelles Verhalten, psychisches und psychedelisches Erleben –, so betrieb die elektronische Revolution, mit der die jugendlichen Garagenbastler von Silicon Valley in den siebziger Jahren das digitale Zeitalter eröffneten, eine demokratische Hightech-Befreiung: Sie verlangten erschwinglichen und unkontrollierten Zugang zu jenen Apparaturen, über die bis dahin nur wenige Privilegierte in Konzernen, Universitäten und in den Regierungen verfügten, und sie konstruierten folgerichtig die ersten Personal Computer.

Die geographische Nähe beider Zukunfts-Szenen in der Bay Area brachte sie in den frühen achtziger Jahren zusammen. Und dort, wo sich Hippies und Hacker, Freaks und Nerds, Punks und Programmierer mischten und aus dieser Mischung die ersten Cybersubkulturen entstanden, soll auch diese skeptisch-staunende Erkundung von Cyberland beginnen.

II Der Fremdenführer

Mit R. U. Sirius an die Grenze der Gegenwart