Wyatt Earp 133 – Pest aus El Paso

Wyatt Earp –133–

Pest aus El Paso

Roman von William Mark

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-482-0

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Düster und bleigrau lastete der Himmel über dem Dreiländereck.

Es war am späten Nachmittag als die Reiter auf der höchsten Kuppe der Organ Mountains anhielten und nach Süden blickten, wo New Mexico, Texas und Mexiko am Rio Grande del Norte vor jener Stadt zusammenstießen, die mehr Unglück erlebt hat, als sonst irgendeine Stadt in Amerika.

El Paso! Die Stadt des Todes, so hieß es schon vor einem halben Jahrhundert, als die Indianer in einem fürchterlichen Kampf die Ansiedlung völlig niederbrannten – die Stadt des Schreckens, so hieß es vor fünfundzwanzig Jahren, als weiße Banditen unter dem einäugigen Desperado Oliver Potomac die Stadt fürchterlich heimsuchten. Nach dem schrecklichen Bürgerkrieg, der fünf Jahre in den Staaten wütete, schienen die verkrachten Existenzen, die aus der großen Blutwelle ausgeschwemmt worden waren, sich hier in dieser Stadt ein Stelldichein gegeben zu haben. Dann war es plötzlich die erklärte Lieblingsstadt der Spieler. Die finsteren Elemente, die früher Santa Fé heimgesucht hatten, waren auf einmal vierhundert Meilen weiter südlich in El Paso am Rio Grande daheim.

Die beiden Männer, die auf der Anhöhe hielten, blickten in den düsteren Abend hinein. Der eine von ihnen saß auf einem hochbeinigen Falbhengst, trug schwarzes Tuchzeug, einen schwarzen flachkronigen Hut, ein graues Kattunhemd und eine schwarze Halsschleife. Sein Gesicht war von Wind und Wetter tief gebräunt und wurde von einem dunkelblauen Augenpaar beherrscht, das unter feingeschwungenen Brauen saß. Es war ein kantiges, gutgeschnittenes Männergesicht, das man nicht so leicht vergaß, wenn man es einmal gesehen hatte. Es war das Gesicht jenes Mannes, dessen Name von Montana bis zum Golf von Mexiko, von Kalifornien bis hinüber an die Ostküste der Staaten bekannt war: das Gesicht des Marshals Wyatt Earp.

Der Mann neben ihm saß auf einem schwarzen Hengst. Er war etwa ebenso hochgewachsen wie der andere, nur etwas weniger breitschultrig als dieser. Dafür allerdings war er bedeutend eleganter gekleidet. Viel zu elegant eigentlich für dieses Land. Der Anzug war perlschwarz und nach der neuesten Bostoner Mode geschnitten. Weiß war das Rüschenhemd, und die weinrote Samtschleife war gut zu der tiefgrünen, mit schwarzen Stickereien besetzten Weste abgestimmt. Der Mann hatte ein blaßbraunes aristokratisch geschnittenes, ebenmäßiges Gesicht, in dem ein intensiv dreinblickendes eisblaues Augenpaar stand. Auch ein Gesicht das man nicht so leicht vergaß, wenn man es einmal gesehen hatte. Das Gesicht des Spielers Holliday. Der ehemalige Doktor der Medizin, John Henry Holliday, war in den Union-Staaten kaum weniger bekannt als Wyatt Earp selbst.

Schweigend verharrten die beiden Männer auf der Anhöhe und beobachteten, wie sich die Dämmerung auf das Land legte. Sie hatten einen weiten Weg hinter sich. Mehr als neunhundert Meilen hatten sie von Pueblo aus hinter sich gebracht, um der Spur jenes Mannes zu folgen, der seit vielen Monaten Arizona, New Mexico und Colorado unsicher machte: der Big Boß der Galgenmännerbande!

Mehrmals schon glaubte der Marshal ihn sicher gefaßt zu haben, als der Desperado ihm im allerletzten Augenblick wie ein Phantom entwich. In Santa Fé hatte der Marshal dem Chief der Maskenmänner wie die Galgenmänner- oder Graugesichterbande auch genannt wurde, eine schwere Schlappe beigebracht, als er dessen Camp Ladore aushob.

Viele Bandenmitglieder wurden damals festgenommen. Der Weg des Verbrechers führte von Santa Fé aus direkt nach Dodge City und von dort hinüber nach Colorado. Es hatte sehr viel Mühe gekostet, den Weg des Outlaws zu verfolgen, Mühe und vergebliche Wege.

Ein solcher Mann wußte seinen Weg schon zu tarnen. Ein anderer, als eben der große Westläufer Earp, hätte die Spur des Verbrechers wahrscheinlich längst verloren. Es war das Pech des Banditen, daß er ausgerechnet diesen Wolf auf seiner Fährte hatte.

»Er ist in El Paso«, brach der Marshal das Schweigen.

Doc Holliday nahm sein goldenes Etui aus der Innentasche seiner Jacke, zog eine seiner langen russischen Zigaretten daraus hervor und riß am Sattelknauf ein Zündholz an, während er die Flamme in die Tabakfäden sog, meinte er:

»Es sieht so aus.«

Der Marshal stieß die Luft durch die Nase und drehte sich dann im Sattel um. Das Land, das hinter ihnen lag, war schon dunkel. Unebenes übersichtliches Land, über dem in der Ferne ein violettfarbener Streifen durch das Grau des Himmels fiel.

Der Georgier warf einen forschenden Seitenblick auf das scharfkantige Profil des Marshals, weshalb ritt der nicht weiter? Hatte der etwa auch das seltsam drückende Gefühl in der Magengrube, das er selbst empfand?

Der Missourier hatte dieses Gefühl längst. Und er kannte es genau. Schon von frühester Jugend an hatte es ihn vor nahenden Gefahren mit untrüglicher Sicherheit gewarnt.

Die erdbraune rechte Faust des Marshals hatte sich um die Zügelleinen gespannt.

»Reiten wir weiter, Doc.«

Sie setzten ihren Weg nach Süden fort. Und ritten geradewegs in die Hölle hinein!

Wären sie auf einer der beiden Fahrstraßen gewesen, deren östliche von Alamogordo und die im Westen aus Las Curces kam, hätten sie vielleicht ihrem Geschick entgehen können. Aber da sie von San Antonio aus schnurgerade durch das Land nach Süden geritten waren, hatten sie die Overlandstraßen, die mancherlei Umwege machten, vermieden und waren so direkt auf El Paso vorgestoßen.

Es war schon nach neun Uhr, als sie den McKelligan Canyon hinter sich hatten und einen schmalen Fahrweg erreichten, der nach mehreren Meilen auf die Alabama Avenue treffen mußte, die in die Stadt führte.

Ein kleines Gefährt kam den beiden entgegen und zockelte rechts am Wegrand an ihnen vorbei. Vorn auf dem Kutschbock saß ein einzelner Mann, der in sich versunken zu sein schien und nicht einmal den Kopf wandte.

Nach einer Weile folgte ein zweites Gefährt, ein kleiner Planwagen, und jetzt hielt der Marshal sein Pferd an und blickte dem Wagen hinterdrein.

Doc Holliday starrte aus schmalen Augen der düsteren Stadt entgegen.

El Paso warf seine Schatten voraus.

Mahnender war das Gefühl in der Brust des Marshals geworden, und im Nacken spürte er es wie eine Eisenklammer.

Aber keiner der beiden Männer sagte etwas.

Sie ritten weiter, und immer wieder kamen ihnen Wagen entgegen, die von stummen Drivern nach Norden geführt wurden.

Als sie in der Ferne die Lichter der Stadt vor sich auftauchen sahen, hielt der Marshal seinen Hengst an.

»Ich glaube, es ist richtig, Doc, wenn einer von uns beiden hierbleibt.«

Holliday nickte und glitt aus dem Sattel.

Wyatt Earp warf noch einen kurzen Blick auf den Freund, nahm dann die Zügelleinen auf und setzte seinen Falben in scharfen Trab.

Der Georgier stand gegen den Leib seines Pferdes gelehnt und blickte dem Freund hinterher. Ein würgendes Gefühl war in der Kehle des Spielers. Er fuhr sich mit der Hand zum Hals und sah sich nach den Wagen um.

»Weiß der Teufel«, knurrte er, »entweder ist irgend etwas mit mir nicht in Ordnung, oder…«

Dann nahte wieder einer jener Wagen und zog langsam vorüber.

Der Spieler nahm plötzlich den schwarzen Hengst am Zügel, zog ihn von der Straße weg und hielt auf eine leere Feldhütte zu, die etwa hundert Yard von der Straße entfernt stand. Da ließ er sich auf einer morschen Bank nieder, die der Besitzer ganz sicher vor einem halben Jahrhundert hier vor der Hütte angebracht hatte.

Die Nacht kroch über das Land dahin und senkte ihre schwarzen Tücher über die Stadt.

In unregelmäßigen Abständen kamen immer wieder Wagen aus El Paso und zogen nach Norden.

Auf einmal hielt eines der Gefährte an, bog vom Weg ab und machte unweit von der Feldhütte halt.

Der Gambler sah, wie zwei Männer etwas hinten vom Wagen zogen und es mit einem dumpfen Geräusch auf den Boden aufschlagen ließen.

Dann war das unverkennbare Geräusch von Schaufeln im Sand zu hören.

Die beiden Männer waren so in ihre Beschäftigung vertieft, daß sie den Schatten nicht bemerkten, der da plötzlich hinter ihnen aufgetaucht war.

Holliday stand am Rand der Grube, die die beiden Männer aushoben, und sah neben dem Wagen in eine Decke eingewickelt einen menschlichen Körper liegen.

Plötzlich hielt der eine der beiden Männer mit dem Schaufeln inne. Im schwachen Mondlicht hatte er am Grubenrand plötzlich die blanken Spitzen der Stiefeletten des Fremden gesehen.

»Was wollen Sie?« knurrte er.

»Weshalb begraben Sie den Toten hier?« fragte Holliday ruhig.

»Was geht es Sie an, wo wir ihn begraben. Es ist unser Vater.«

»Weshalb bringt ihr ihn nicht auf den Boot Hill von El Paso?«

»Das geht Sie nichts an. Wir können unseren Vater schließlich begraben, wo wir wollen.«

»Ihren Vater?«

Die Leiche in der Decke hatte kaum die Größe eines vierzehnjährigen Kindes.

Holliday blickte jetzt in die düsteren Gesichter der beiden Männer und ging dann auf den Toten zu. Als er sich bückte, sprangen die beiden aus der Grube heraus und wollten auf ihn eindringen, hielten aber wie angenagelt inne, als sie in beiden Fäusten des Fremden Revolverläufe blinken sahen.

Während der Georgier den rechten Revolver auf die beiden Männer gerichtet hielt, schlug er mit dem linken die Decke zurück, schob die Waffe ins Halfter, nahm ein Zündholz heraus und wollte es anreißen.

»Nein!« entfuhr es da einem der Männer.

Aber schon flammte der Lichtschein auf.

Der Spieler zuckte zurück.

Vor ihm, in ein altes weißes Laken eingehüllt, lag ein Kind, dessen Gesicht gräßlich von jener Seuche entstellt war, die der einstige Arzt genau kannte.

Die Pest!

Der zuckende Lichtschein des verlöschenden Zündholzes warf ein gespenstisches Licht auf die Szene.

Holliday richtete sich auf und blickte auf die beiden düsteren Gestalten, die schweigend vor ihm standen.

Und plötzlich hatte er begriffen. Wie ein Keulenschlag traf ihn die Erkenntnis. In El Paso ist die Pest!

»Seit wann?«

Die beiden finsteren Gestalten schwiegen.

Da schrie sie der Spieler an: »Ich habe gefragt, seit wann die Pest in der Stadt ist!«

»Das wissen wir nicht genau«, entgegnete der andere. »Plötzlich starb die Frau des Barbiers und dann sein Bruder. Und dann war es der Schmied, den die schwarzen Pocken dahinrafften. Ein paar Stunden später hörten wir, daß unten in der Wassergasse vier Kinder gestorben seien. Und dann war es die Lehrerin und der Reverend. Und immer weiter ging es.«

»Und die Wagen alle, die da aus der Stadt fahren? Wo wollen die hin?«

»Der Boot Hill ist voll, Mister, es gibt keine Handbreit Platz mehr. Man hat die Toten in Massengräber gelegt, aber schon reichen die Gräber bis an die Häuser heran. Die Toten müssen aus der Stadt geschafft werden.«

Der Spieler nickte mechanisch, schob auch den rechten Revolver ins Halfter zurück, wandte sich um und ging zu seinem Pferd.

Wyatt! hämmerte es plötzlich in seinem Hirn. Um Himmels willen!

Er zog sich in den Sattel, gab dem schwarzen Hengst die Sporen und sprengte, weit vornüber geneigt in vollem Galopp auf das nächtliche El Paso zu.

*

Als der Missourier die Alabama Avenue erreicht hatte, lenkte er seinen Falben in eine Nebengasse, die ein Stück am Scenic Creek entlangführte und dann auf die breite Montana Street hinauslief.

Wyatt Earp kannte El Paso. Er wußte, daß das Zentrum der Stadt sich weiter unten am Fluß befand, nämlich dort, wo die Montana Street auf die breite Mesa Avenue lief. Dort in der Nähe kam auch der Myrtley Boulevard auf die Mesa Avenue und von dort führte dann die Stanton Street über die Brücke hinüber in den damals noch zur Stadt gehörigen Teil Ciudad Juarez. Der Marshal hatte sich rasch durch mehrere Gassen der Montana Street genähert, als er plötzlich innehielt.

Die Unrast in seiner Brust war nicht gewichen, im Gegenteil: sie war stärker geworden. Verhängsnisvollerweise glaubte Wyatt Earp, daß sie auf einen Zusammenstoß mit den Maskenmännern zurückzuführen sei, wie es ja bisher, in den letzten Monaten, der Fall gewesen war. Das hatte die sonst so wache Aufmerksamkeit des Marshals für seine Umgebung etwas beeinflußt. Jetzt fiel ihm plötzlich das hektische Treiben in den Gassen auf. Überall vor den Häusern standen Wagen und Karren, und die Menschen liefen in seltsamer Stummheit hin und her.

Im Hoftor einer großen Gerätehandlung stand ein alter Mann mit einer Fackel, deren Lichtschein auf eine Gruppe fiel, deren Anblick den Missourier veranlaßte, aus dem Sattel zu steigen. Mehrere Männer und Frauen schleppten in Decken gewickelte Körper zum Tor, wo ein Karren bereitstand.

Wyatt Earp ging auf die Gruppe zu, und in dem Augenblick, in dem ihn der Lichtschein der Fackel erreichte und zuckend über seine hochgewachsene Gestalt huschte, peitschte ein Schuß über die Gasse, streifte seinen rechten Wangenknochen und stieß ihn zurück hinter den Torpfosten, wo er sich benommen am Holz der Fenz festkrallte.

Dann krachte ein zweiter Schuß. Die Kugel fetzte hautnah neben seinem linken Oberarm in das Holz.

Jetzt reagierte der Missourier katzenartig.

Er hatte das Aufblitzen dieses Schusses gesehen und jagte augenblicklich drei blitzschnelle Schüsse aus seinem schweren Buntline Special über die Gasse hinüber.

Drüben splitterte Glas. Und dann stürzte, mit dumpfem Krach, irgendwo ein Gegenstand zu Boden.

Die Gruppe am Hoftor verharrte wie gelähmt.

Der alte Mann mit der Fackel sah sich um, und als er in das blutende Gesicht des Fremden blickte, schüttelte er den Kopf.

»Der Tod, der Tod geht um in El Paso«, ächzte er, »und jetzt schießen sie sich auch noch nieder.«

Wyatt Earp – sein Taschentuch auf die brennende Wunde im Gesicht gepreßt – setzte mit zwei weiten Sprüngen auf den Wagen zu, der fast in der Gassenmitte stand, und blickte, über die Rücken der Pferde hinweg, auf das Haus hinüber, aus dem die Schüsse gekommen waren.

Zwei oder drei Sprünge mußten ihn auf die andere Seite der Gasse bringen.

Wenn er es riskierte, lief er Gefahr, in eine Kugel hineinzurennen.

Er nahm den Hut ab und setzte ihn auf die Mündung des Buntline Special. Langsam hob er die Waffe hoch.

Kaum sah der Hut über die Pferderücken hinweg, als eine neue Salve drüben aus dem Haus krachte.

Wyatt duckte sich augenblicklich nieder und rannte vorwärts.

Die Kugel, die der unsichtbare Gegner ihm noch zugedacht hatte, streifte seinen rechten Absatz nur.

Schweratmend verharrte der Missourier auf der anderen Straßenseite in einer Haustürnische.

Da sah er, wie der Falbe auf ihn zu trabte.

Links war eine Toreinfahrt.

Wyatt versetzte dem Tier einen leichten Schlag auf das Hinterteil und trieb es so in den Hof.

Er selbst tastete hinter sich und stellte fest, daß die Tür hinter ihm offen stand.

Sofort war er in dem Korridor und lauschte in das Haus. Alles war still.