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Inklusion
vor Ort

Der Kommunale Index
für Inklusion –
ein Praxishandbuch

Inhalt

Vorworte

Einleitung

Der Fragenkatalog

Praktische Hinweise

Unsere Kommune als Wohn- und Lebensort

Inklusive Entwicklung unserer Organisation

Kooperation und Vernetzung in unserer Kommune

Inklusive Prozesse umsetzen

Beispiele aus der kommunalen Praxis

Anmerkungen

Impressum

13 Tipps

Vorwort
von Rita Süßmuth

Vielfalt bereichert

Unsere Gesellschaft lebt von der Verschiedenheit: Jeder Mensch ist anders, jeder Mensch kann mit seinen besonderen Fähigkeiten und Erfahrungen unser Zusammenleben bereichern. Gelingt es uns, die Vielfalt der Menschen anzunehmen, zu fördern und zu nutzen, profitieren wir alle: die Gemeinschaft als Ganzes und jede/r Einzelne, die/der in ihr lebt. – Das bedeutet, kurz zusammengefasst, Inklusion.

Seit langem bestimmen inklusive und integrative Ansätze meine eigene Arbeit. Ich bin überzeugt davon, dass unsere Gesellschaft inklusiv denken und handeln muss, wenn sie den Menschen, die in ihr leben, eine gute Zukunft bieten will. Inklusion ist dabei die konsequente Weiterentwicklung dessen, was wir vor langer Zeit unter dem Begriff der „Integration“ begonnen haben und nun auf eine neue Stufe stellen wollen:

Integration bedeutete meist die Eingliederung von Außenstehenden in etwas Bestehendes. Inklusion bedeutet aber Einbeziehung und Öffnung des Bestehenden. Sie bedeutet, selbst auf andere zuzugehen, eigene Grenzen zu verschieben. Nur wenn wir uns selbst öffnen, können wir Teilhabe, Chancengleichheit und Vielfalt in unserer Gesellschaft verwirklichen.

Durch das vorliegende Handbuch erhalten diese Ideen eine wertvolle Unterstützung. Zwei Aspekte liegen mir dabei besonders am Herzen: Zum einen wird das Konzept der Inklusion, das bisher vor allem im Bildungsbereich zu Hause war, auf einen neuen Bereich angewendet: den der Kommunen und der städtischen Gemeinschaft. Sie bilden sozusagen den Kern jeder Gesellschaft – deshalb ist es so wichtig, genau hier eine gesellschaftlich tragfähige Kultur der Inklusion zu verankern.

Der zweite Grund: Das vorliegende Buch ist ein Handbuch für die Praxis. Es regt nicht nur zum Nachdenken an, sondern vor allem zum Handeln. Es gibt Hilfestellung, Anregung und Orientierung für alle, die sich in kommunalen Einrichtungen, als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter genauso wie als Bürgerinnen und Bürger, für Inklusion einsetzen wollen. Es ist damit ein höchst demokratisch gedachtes Buch, das gesellschaftliche Werte nicht predigt, sondern zum Mitmachen einlädt.

Als Leserin und Leser werden Sie in diesem Buch viele Ideen und Inspirationen zum „Mitmachen“ finden. Sie werden sehen, wie viele Möglichkeiten und Anknüpfungspunkte es gibt, um sich aktiv am Prozess der Inklusion zu beteiligen. Je mehr Menschen dabei sind, desto eher gelingt es uns, die Chancen und den Reichtum der Vielfalt für den Fortschritt und die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft zu nutzen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth

Bundestagspräsidentin a. D.

Vorwort des
Herausgebers

Mit der Herausgabe unseres Handbuchs endet eine zweijährige Entstehungsphase, die für uns selbst ein „inklusiver Prozess“ war: Gemeinsam mit vielen Unterstützerinnen und Unterstützern aus unseren Pilotkommunen und anderen Bereichen haben wir ein echtes Gemeinschaftsbuch entstehen lassen. Jetzt sind wir froh, dass eine neue Phase beginnt: nämlich die, in der das Buch in der Praxis zeigt, wie es die Gestaltung inklusiver Lebenswelten für und mit vielen Menschen im Gemeinwesen unterstützen kann.

In diesem Handbuch stehen vor allem jede Menge Fragen im Mittelpunkt. Da liegt es nahe, im Vorwort selbst auf zwei Fragen einzugehen:

1. Was ist das Anliegen der Montag Stiftung Jugend Gesellschaft, dieses Handbuch herauszugeben?

Das Jahr 2010 kann als Jahr des Eintritts in die „Dekade der Inklusion“ gelten: Das Thema Inklusion und viele der damit verbundenen Ziele und Erwartungen erfahren heute eine breite gesellschaftliche Aufmerksamkeit und Umsetzung. Ähnlich wie der Begriff der Nachhaltigkeit, der seit den 1970er Jahren in unterschiedlicher Intensität bis heute wirkt, führt nun auch der Begriff der Inklusion zu einem langwierigen und fundamentalen Wandel im Denken und Handeln weiter gesellschaftlicher Bereiche. Wie die Nachhaltigkeit und alle Fragen rund um Umwelt, Energie und Klima wird uns auch der fundamentale Wandel zu inklusiven Lebens- und Alltagswelten langfristig begleiten.

Die Anfänge dieses Wandels sind ermutigend. Unser Handbuch will dieser Entwicklung einen weiteren Schub geben. Dazu haben wir, die Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft als Herausgeberin, selbst einen inklusiven Prozess angeregt: Wir haben Menschen in Kommunen zum Miterfinden des Handbuches aufgerufen. Zwei Jahre lang haben wir die Erfahrungen von vielen Menschen aus kommunalen Inklusionsprojekten gesammelt. Die Ergebnisse dieses Beteiligungsprozesses stecken in diesem Handbuch: Es ist ein Gemeinschaftswerk vieler Autorinnen und Autoren, vereint in einer Absicht – Inklusion im Gemeinwesen zu etablieren.

2. Warum bringen wir dieses Handbuch gezielt für den kommunalen Bereich heraus?

Inklusion bezieht sich immer auf Gemeinschaft: Durch gemeinsames Handeln eröffnen sich Möglichkeitsräume „zwischen“ den Menschen, um Teilhabe zu leben und für immer mehr Menschen zu ermöglichen. Eine Kommune ist eine große Gemeinschaft: In ihr leben Menschen zusammen, in vielen Formen und auf vielen Ebenen. Hier können Menschen im Austausch mit anderen Menschen und der Verwaltungsebene ihres Ortes gemeinsam wirksam werden.

Darüber hinaus gilt es, für die weiteren Handlungsebenen auch die Beteiligung von Bund und Ländern weiter einzufordern. Hier gibt es normative und juristische Verpflichtungen, die im Sinne des Subsidiaritätsprinzips nur auf die kommunale Handlungsebene verlagert werden können, wenn die notwendigen Mittel von der jeweilig nächsthöheren staatlichen Ebene zur Verfügung gestellt werden.

Das vorliegende Handbuch ist Instrument, Informationsquelle und anregendes Lesebuch zugleich. Wir hoffen, dass es auf allen Ebenen Menschen unterstützen kann, sich an der Entwicklung zu einer inklusiven Gesellschaft zu beteiligen.

An dieser Stelle möchten wir uns bei den vielen Menschen bedanken, die am Zustandekommen dieses Buches mitgewirkt haben: den Autorinnen und Autoren, den Menschen in den Pilotkommunen und all denen, die uns wertvolle Rückmeldungen und Einsichten in ihr inklusives Handeln vor Ort gegeben haben. Ein großer Dank geht auch an alle, die organisierend, lektorierend und gestaltend mitgewirkt haben, die die Fäden dieses Projektes (und es waren nicht wenige!) in der Hand gehalten, immer wieder geordnet und zu einer konstruktiven Zusammenarbeit für alle geführt haben. Besonders bedanken wir uns bei unserem Fachbeirat für die inspirierende und kritische Begleitung sowie bei den finanziellen Förderern für die großzügige Unterstützung. Die Namen und Institutionen hinter so viel Beteiligung und inklusiver Mitarbeit finden Sie in unserem Impressum auf Seite 216.

Wir freuen uns auf alle, die sich in Zukunft zusammen mit uns für mehr Teilhabe und Inklusion einsetzen wollen.

Dr. Karl-Heinz Imhäuser

Vorstand der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft

Grußwort aus der
inklusiven Praxis

Bremen-Tenever: Teilhabe für jede und jeden in allen Lebensbereichen

Bremen-Tenever ist ein Ort, an dem wir bereits seit vielen Jahren inkludierendes Handeln gegen reale Exklusion setzen. Die Erfahrungen der gesellschaftlich strukturierten Ausgrenzung haben die Bewohner/innen unseres Stadtteils schon früh – mehr oder weniger bewusst – veranlasst, eine Haltung und Engagement zu entwickeln, die Ausgrenzung bekämpft und um Inklusion ringt (ohne dass das Wort in den Mund genommen wurde): den Anspruch auf Würde, Respekt und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben einzufordern und zum Teil durchzusetzen.

Dabei sind die Bewohner Tenevers so „normal“ wie überall auf der Welt: wir lachen und weinen, lieben und hassen, sind voller Power oder total apathisch, hoffnungsvoll oder resigniert. Aber wir haben fünf Besonderheiten:

1. Hoch – ein Hochhausviertel mit 5.000 Einwohnern, das Anfang der 70er Jahre als Demonstrativbauvorhaben des Bundes errichtet und in kürzester Zeit von den Eigentümern und Spekulanten heruntergewirtschaftet wurde. Erst der Kampf der Bewohner/innen und weiterer Akteur/innen führte dazu, dass mit Hilfe der Stadt Bremen und der städtischen Wohnungsgesellschaft Gewoba das Quartier in den letzten Jahren tipptopp saniert wurde (Pilotprojekt Stadtumbau West).

2. Jung – ein Drittel der Bewohner/innen ist unter 21 Jahre. Hier wächst also die Zukunft auf – aber wie inklusiv sind die Kinder wirklich geachteter Bestandteil der Gesellschaft, wenn man an die Armut denkt? Daran ändert auch der neue Bildungs- und Teilhabe-Gutschein“ nichts: Er stigmatisiert statt inkludiert und frisst den Großteil der Mittel und Zeiten für den bürokratischen Aufwand.

3. International – in Tenever leben Menschen aus 90 Nationen, der Migrationsanteil beträgt ca. 65%. Wir fragen nicht: „Wer integriert hier wen in was?“ Wir sagen: International ist die Zukunft. Es gibt ein gewöhntes akzeptiertes Neben- und Miteinander, aber nach wie vor werden den Migranten gleiche Rechte abgesprochen. Hier haben wir alle noch viel zu leisten im Sinne des Inklusionsgedankens.

4. Arm – Das bedeutet ausgegrenzt sein von gesellschaftlicher Teilhabe, von Reichtum und Kultur unserer Gesellschaft; von Bildung (PISA) und Gesundheit. Die Armut ist das zentrale Problem. Alle Inklusion wird immer auch materielle Voraussetzungen haben. Das verlangt gesellschaftliche Gerechtigkeit und eine allen Menschen zugute kommende Verteilung von Reichtum.

5. Engagiert und vernetzt – Das Quartier Tenever zeichnet sich aus durch eine starke selbstorganisierte Vernetzung der Schulen und sozialen Einrichtungen. Hinzu kommt seit über 20 Jahren die Stadtteilgruppe Tenever: In ihr sitzen jeden Monat alle Akteur/innen öffentlich zusammen, also vor allem die Bewohner/innen und Bewohnergruppen, die Vertreter/innen der Politik, der Wohnungsgesellschaften, der Schulen und sozialen Einrichtungen, der lokalen Ökonomie und der öffentlichen Verwaltung. Sie führen den „Quartiersdiskurs“ über alle aktuellen kleinen und großen Themen, die das Quartier bewegen. Und sie entscheiden nach dem Konsensprinzip (das heißt: jeder der Anwesenden hat ein Veto-Recht) über das Quartiersbudget (jährlich ca. 300.000 Euro aus den Programmen WiN-Wohnen in Nachbarschaften und Soziale Stadt). Partizipation ist Inklusionsvoraussetzung und Ziel der Inklusion.

Ich denke, dass dieser erste kommunale Inklusions-Index, der im Wesentlichen aus Fragen besteht, uns weiterhelfen wird, unsere Haltung, Organisationen und Leitbilder noch deutlicher an der Leitidee Inklusion auszurichten. Nicht in dem Sinne, dass man die Fragen bearbeitet – und schon ändert man sich, seine Organisation, seinen Stadtteil, seine Stadt, die Kommune, unsere Gesellschaft. Aber wer die Fragen ernsthaft, also selbstehrlich beantwortet und bearbeitet, stößt auf verschiedenste große und kleine, allgemeine und konkrete Bereiche des eigenen Wirkens, der eigenen Organisation, Einrichtung oder Tätigkeit, des Lebens in unserer Stadt und ihren Stadtteilen.

Entscheidend ist in diesem Auseinandersetzungsprozess, dass die eigene Haltung, das Menschen- und Gesellschaftsbild eine Ausformung erlebt, die bewusster auf inkludierende Einstellungen und inklusives Verhalten zielt.

Möge dieses Buch – egal ob insgesamt, einzelne Abschnitte oder auch nur zwei, drei Fragen – für viele Anlass sein, über sich, ihre Arbeit, ihr Projekt, ihre Institution nachzudenken und dieses „Kleine“ oder jenes „Große“ zu ändern.

Möge die Auseinandersetzung mit den Fragestellungen vor allem auch in den Behörden und Ämtern sowie der Politik und den Medien dazu beitragen, den öffentlichen und grundgesetzlichen Auftrag, Teilhabe für alle Menschen in unserem Land zu fördern und zu gewährleisten, zu erfüllen.

Möge die Diskussion um diesen Leitfaden auf jeden Fall dazu beitragen, auf kommunaler Ebene das Klima für akzeptierendes, für inklusives Denken und Handeln zu stärken – und so unsere Gesellschaft solidarischer und gerechter zu gestalten.

Dank den Autor/innen!

Joachim Barloschky

Projektgruppe Tenever

20 Jahre Quartiersmanager in Tenever

Amt für Soziale Dienste

Lehrbeauftragter der Hochschule Bremen

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Einleitung

Inklusion – was ist das eigentlich?

Fragen über Fragen: der Index für Inklusion

Ich, du, wir, alle – die Kommune als lebendige Gemeinschaft

 



Inklusion – was ist das eigentlich?

„Inklusion“ heißt, Menschen willkommen zu heißen. Niemand wird ausgeschlossen, alle gehören dazu: zu unserer Gesellschaft, unserer Kommune, zu jeder kleinen oder großen Gruppe und Gemeinschaft. Alle werden anerkannt und alle können etwas beitragen. Unsere Gesellschaft wird reicher durch die Vielfalt aller Menschen, die in ihr leben. Das Wort Inklusion kommt aus dem Lateinischen und heißt so viel wie „Einschließen“ – im positiven Sinn von „Einbeziehen“: Alle Menschen gehören dazu, jeder kann mitmachen. Inklusion bedeutet auch, nachzudenken und zu beobachten: Wo und warum werden Menschen noch ausgeschlossen? Wie können wir das ändern?

Inklusion als Menschenrecht

Inklusion ist auf der ganzen Welt ein wichtiges Thema. Die Organisation der Vereinten Nationen hält Inklusion inzwischen im Rahmen der allgemeinen Menschenrechte für unverzichtbar. Sie hat dazu 2006 eine Konvention verabschiedet: die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen.1 Sie verlangt, dass alle Menschen gleich gut behandelt werden und die gleichen Rechte haben. Das gilt nicht nur für Menschen mit Behinderungen. Auch andere Menschen sind damit gemeint, die oft weniger Chancen haben als andere: Menschen, die wegen ihres Geschlechts, ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe oder ihrer sozialen Stellung benachteiligt werden.

Warum ist Inklusion wichtig?

Je unterschiedlicher und vielfältiger die Menschen einer Gruppe sind, desto mehr kann die Gemeinschaft und jeder Einzelne in ihr profitieren. Denn jeder Mensch hat etwas Besonderes, etwas, das andere weniger oder gar nicht haben. Das können z. B. persönliche, regionale, soziale, kulturelle oder andere besondere Eigenschaften, Erfahrungen und Fähigkeiten sein. Aber auch verschiedene Geschlechterrollen, ethnische Herkunft und Nationalitäten, Sprachen, Hautfarben oder soziale Milieus, Religionen und weltanschauliche Orientierungen, körperliche Bedingungen etc. Einfach alles, was einen Menschen ausmacht, kann für die Gemeinschaft interessant sein. Dabei sind die Möglichkeiten für Verschiedenheit unendlich.

Gelingt es einer Gemeinschaft, die in ihr vorhandenen Formen von Vielfalt zu erkennen, wertzuschätzen und zu nutzen, wird sie erfahrener und kompetenter. Sicherheit und Lebensqualität werden erhöht, weil inklusive Kulturen Bedrohung und Ausgrenzung abbauen.

Für Kommunen kann Inklusion auch wirtschaftlich interessant werden: Wenn alle Bürger/innen sich gegenseitig achten und schätzen, können viele Strukturen und Angebote einer Kommune auch gemeinsam genutzt werden. Je weniger Ausgrenzung es gibt, desto mehr kann die Unterstützung von Wenigen auf alle verteilt werden. Der Aufwand für die Kommune nimmt ab, die Identifikation und das Engagement der Bürger/innen für ihren Lebensort nehmen zu. Das wird durch bereits erfolgte Inklusions-Projekte bestätigt (siehe hierzu auch die Praxisbeispiele in diesem Handbuch ab Seite 182).

Inklusion als Haltung

Inklusion kann überall anfangen, hört aber nie auf. Inklusion ist ein lebendiger Prozess, der von unterschiedlichen Standorten gestartet und weitergeführt werden kann. Inklusion ist eine Haltung, eine persönliche Einstellung, mit der jede/r im privaten oder beruflichen Umfeld immer wieder etwas Neues entdecken und bewirken kann.

Inklusion als Haltung zeigt sich in unserem Denken und Handeln. Auch in der Sprache kommt diese Haltung zum Ausdruck: sowohl im wörtlichen Sprechen als auch in der Körpersprache. Wertschätzung, Akzeptanz und Anerkennung gegenüber anderen Menschen kann man auf vielen Wegen mitteilen. Deshalb bedeutet Inklusion auch, auf Menschen so zuzugehen, dass Kontakt und Austausch möglich werden, dass etwas Gemeinsames entsteht. Sprechen und Handeln ergänzen sich und können beide Inklusion ermöglichen.

Grundideen einer inklusiven Haltung

Inklusion versucht, die Herausforderungen unserer Welt menschenwürdig anzunehmen.

Inklusion will allen Menschen ermöglichen, am Leben teilzuhaben. Das bedeutet: anerkannt und wertgeschätzt zu sein, mitzuwirken, Kontakte und Freundschaften zu haben, gemeinsam voneinander zu lernen.

Inklusion erkennt jede Person in ihrer Einmaligkeit an: Jede/r lebt in unterschiedlichen Situationen und hat andere Kompetenzen, Bedürfnisse und Stärken.

Inklusion schätzt die Verschiedenheit von Menschen und versucht, sie aktiv zu nutzen.

Inklusion sieht einen Menschen als Ganzes und wendet sich gegen Einteilungen, die der Vielfalt von Menschen nicht gerecht werden (z. B. „Deutsche und Ausländer“, „Behinderte und Nichtbehinderte“, „Heterosexuelle und Homosexuelle“, „Reiche und Arme“ etc.).

Inklusion wendet sich dagegen, Menschen an den Rand zu drängen. Inklusion stellt Brücken und „Sprungbretter“ bereit, damit Menschen teilhaben können.

Inklusion macht aufmerksam und hilft, Ursachen, Formen und schon kleine Anzeichen von Diskriminierung zu erkennen und abzubauen.

Inklusion begegnet jedem Einzelnen mit Fairness, Offenheit und Respekt.

Inklusion ist kein Ergebnis, sondern ein „Prozess“. Selbst wenn inklusive Prozesse nie wirklich abgeschlossen sind, lohnt sich jeder kleine Schritt.

Inklusion bietet viele Wege, um sich an diesem Prozess zu beteiligen – alle Ideen sind willkommen, wenn sie zu mehr Akzeptanz und Möglichkeiten führen.

Fragen über Fragen:
der Index für Inklusion

Das vorliegende Handbuch will vor allem eins: möglichst viele Menschen für das Thema Inklusion gewinnen. Es ist ein Praxisbuch, das viele Anregungen gibt, wie man sich aktiv an Inklusion beteiligen kann.

Im Mittelpunkt des Buches stehen keine Antworten, sondern Fragen: Der eigentliche Index für Inklusion ist ein Fragenkatalog, d. h. eine Sammlung von Fragen, mit denen man unterschiedliche Themen rund um das große Thema Inklusion bearbeiten kann – allein oder im Gespräch mit anderen.

Was bedeutet „Index“?

Der Begriff Index hat viele Bedeutungen: Hinweis, Verzeichnis, Referenz, Register, Stichwortverzeichnis, Liste etc. Im Anhang eines Buches kann ein Index z. B. wichtige Begriffe auflisten und auf die Seitenzahlen verweisen. Der Index für Inklusion listet eine Vielzahl von Fragen auf und ordnet sie nach Themengebieten. So findet sich jeder Mensch gut zurecht – wie in einem guten Verzeichnis. Als „Referenzrahmen“ bietet der Index für Inklusion zugleich ein Gerüst von Empfehlungen und Anregungen. Er gibt Orientierung, ohne etwas vorzugeben. Jede/r kann dieses Verzeichnis und diesen Rahmen nutzen, um einen eigenen Weg zu finden und sich unterwegs immer wieder zu orientieren.

Warum Fragen?

Warum Fragen und nicht Antworten? Ganz einfach: Fragen öffnen Gespräche. Mit Fragen kommen wir in einen Dialog, Fragen regen das Nachdenken an. Die meisten der Fragen lassen sich nicht einfach mit „ja“ oder „nein“ beantworten. Sie bilden vielmehr den Ausgangspunkt dafür, sich selbst und andere zum Nachdenken anzuregen. Ob persönlich oder im Rahmen eines Projekts am Arbeitsplatz, ist dabei gar nicht wichtig. Jeder Mensch kann sich und andere befragen, jeder kann über mögliche Antworten nachdenken. Dadurch eröffnen sich Möglichkeiten, etwas Bestehendes zu verändern.

Woher kommt der Index für Inklusion?

Die Idee und der Titel kommen ursprünglich aus England: Die britischen Pädagogen Mel Ainscow und Tony Booth haben im Jahr 2000 den ersten Index for Inclusion herausgebracht: einen Fragenkatalog mit über 500 Fragen. Er sollte Schulen – und später auch Kindertagesstätten – dabei helfen, Aspekte wie Teilhabe und Vielfalt bzw. Ausgrenzung und Diskriminierung in der eigenen Einrichtung zu überprüfen.2 Inzwischen ist dieser Index in viele Sprachen übersetzt und international im Einsatz. In Deutschland haben Ines Boban und Andreas Hinz von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg den Text für Schulen übersetzt, an deutsche Verhältnisse angepasst und viel für seine Verbreitung und Weiterentwicklung getan.3 Die deutsche Fassung des Index für die Kindertagesstätten brachte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft heraus. Viele Schulen und Kindergärten im deutschsprachigen Raum arbeiten nun bereits mit dem Index.

Wie entstand der Kommunale Index für Inklusion?

Die Idee, den Index auch auf die Arbeit im Gemeinwesen anzuwenden, kommt ebenfalls aus England: Die britische Gemeinde Suffolk hat auf Basis des Index for Inclusion ein eigenes Handbuch für den kommunalen Bereich entwickelt. Diese Initiative war das direkte Vorbild für das vorliegende Handbuch. Der Fragenteil des Handbuchs aus Suffolk wurde übersetzt, bearbeitet und in Form eines ersten Arbeitsbuchs bereits in einer einjährigen Pilotphase getestet. Die Fragen und Ergebnisse aus dieser Phase waren dann die Basis für die Entstehung des Kommunalen Index für Inklusion.

An wen richtet sich das Handbuch?

An alle! An Mitarbeiter/innen der Kommune und kommunaler Einrichtungen genauso wie an Bürger/innen, Besucher/innen, Gäste – an jeden Menschen, der sich wünscht, von anderen offen und freundlich empfangen und behandelt zu werden und sich auch selbst so verhalten möchte. Inklusion lebt davon, dass möglichst viele Menschen und Einrichtungen sich gemeinsame Ziele setzen, sich vernetzen und austauschen.

Wie fängt man am besten an?

Diese Frage lässt sich entweder nur sehr lang oder sehr kurz beantworten. Sehr lang, weil es so viele verschiedene Möglichkeiten gibt – sehr kurz, weil jeder Weg in Richtung Teilhabe richtig ist. Im Kapitel „Veränderung planen und umsetzen“ gibt es jede Menge Ideen, Materialien, Hinweise und mehr, die zeigen, wie man auf die eine oder andere Art loslegen kann. Das Kapitel „Beispiele aus der kommunalen Praxis“ zeigt, wie Menschen in Kommunen das bereits getan haben. Im Prinzip kann jede/r selbst entscheiden – es gibt keine festen Vorschriften oder Methoden. Man kann die Fragen der Reihe nach durchgehen, sich einzelne Fragen aussuchen oder einfach mit Freund/innen, Nachbar/innen oder bei der Arbeit mit Kolleg/innen diskutieren.

Je größer der Zusammenhang, z. B. in einer Institution oder Einrichtung, desto eher bietet es sich an, externe Moderator/innen oder Prozessbegleiter/innen in die Arbeit mit einzubeziehen. Wichtig ist, durch den Index auf mögliche Verbesserungen im eigenen Umfeld aufmerksam zu werden, sie zu diskutieren und gemeinsam anzugehen.

Das hört sich alles so einfach an – ist es das auch?