Cover

Ute Ehrhardt / Wilhelm Johnen

Wenn ich ehrlich bin,
dann lüg ich richtig gut

Wahrheit bringt uns nicht immer weiter

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Über Ute Ehrhardt / Wilhelm Johnen

Ute Ehrhardt und Wilhelm Johnen sind Diplom-Psychologen und arbeiteten lange Jahre als Psychotherapeuten, Seminarleiter und Coach. Ihr Schwerpunkt ist die Positive Psychologie. Sie suchen die Bausteine für ein erfolgreiches Leben. Ihre Strategie ist der Tabubruch. Berühmt wurden sie mit dem Buch Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin, das in 35 Sprachen übersetzt wurde.

Über dieses Buch

Hoch lebe die Lüge! Denn manchmal ist sie humaner, hilfreicher und freundlicher als die Wahrheit. Und so gehen die Bestsellerautoren Ute Ehrhardt & Wilhelm Johnen dem Phänomen der Lüge auf den Grund und decken auf, wie man sie bei anderen erkennt und wo man selbst gut beraten ist, es mit der Wahrheit nicht zu genau zu nehmen.

Impressum

eBook-Ausgabe 2013

Knaur eBook

© 2013 Knaur

Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt

Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise –
nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung: plainpicture/ballyscanlon

ISBN 978-3-426-41783-6

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Endnoten

1

vgl. Thomas Müller: Kleine Lügen erhalten die Freundschaft. In: Bild der Wissenschaft 9/2003, Seite 6668

2

Lukas Heiny: Lügen lernen. In: Financial Times Deutschland vom 392004

3

vgl. ebd.

4

Heiner Knallinger: Die II., München 2001

5

vgl. Manfred Hassebrauck/Beate Küpper: Warum wir aufeinander fliegen. Die Gesetze der Partnerwahl, Reinbek 2002, Seite 24f.

6

vgl. ebd., Seite 20f.

7

vgl. ebd., Seite 27f.

8

vgl. Martin E. P. Seligman: Der Glücks-Faktor, Bergisch Gladbach 2003, Seite 22

9

vgl. Christina Maria Berr: Zu schön, um von Dauer zu sein. In: Süddeutsche Zeitung vom 1242005, Seite 9

10

Zitiert nach: Markus Diem Meier: Alles nur Berechnung. In: Facts vom 252002

11

vgl. Hassebrauck/Küpper, a.a.O., Seite 119

12

vgl. ebd., Seite 115f.

13

vgl. ebd., Seite 88ff.

14

vgl. Seligman, a.a.O., Seite 318

15

vgl. Claudia Wallis: The New Science of Happiness. In: Time, special issue vom 1712005, Seite 43

16

Hartwig Hanser: Keine reine Erziehungssache. In: Gehirn&Geist, 5/2003, Seite 54

17

vgl. Hassebrauck/Küpper, a.a.O., Seite 57

18

vgl. ebd., Seite 95f.

19

vgl. Harald Martenstein: Vom Wesen der Liebe. In: Geo 12/02, Seite 88ff.

20

vgl. Hassebrauck/Küpper, a.a.O., Seite 96

21

vgl. ebd., Seite 63f.

22

vgl. ebd., Seite 117f.

23

vgl. ebd., Seite 117

24

vgl. ebd., Seite 193

25

vgl. ebd., Seite 62f.

26

vgl. Jörg Blech und Rafaela von Bredow: Eine Krankheit namens Mann. In: Der Spiegel vom 30.12.2003

27

vgl. Hassebrauck/Küpper, a.a.O., Seite 115

28

vgl. wissenschaft.de vom 2622001: Gefühlsausdruck bei Männern im unteren linken Gesichtsviertel, www.wissenschaft.de/sixcms/detail.php?id= 155085/

29

vgl. Hassebrauck/Küpper, a.a.O., Seite 34f.

30

vgl. ebd., Seite 40

31

vgl. Gerd Kröncke: Der Amerikaner und die Hutmacherin. In: Süddeutsche Zeitung vom 2./382003, Seite 3

32

Thomas Müller: Kleine Lügen erhalten die Freundschaft. In: Bild der Wissenschaft 9/2003, Seite 66

33

vgl. Wallis, a.a.O., Seite 47

34

vgl. ebd., Seite 48

35

vgl. Seligman: a.a.O., Seite 98

36

vgl. ebd., Seite 21

37

vgl. ebd., Seite 72

38

vgl. Kurt Sokolowski: Emotion. In: Jochen Müsseler/Wolfgang Prinz (Hrsg.): Allgemeine Psychologie, Heidelberg 2002, Seite 346

39

vgl. Wallis, a.a.O., Seite 43

40

vgl. Seligman, a.a.O., Seite 320

41

vgl. ebd., Seite 37

42

vgl. ebd., Seite 38

43

vgl. ebd., Seite 10f.

44

vgl. ebd., Seite 356

45

vgl. ebd., Seite 357f.

46

Christina Berndt: Medizin ist Show. in: Süddeutsche Zeitung vom 582003, Seite 15

47

vgl. Radio-Interview am 6112004, in »Zwischen Rhein und Weser«, WDR 2. Die GERAC-Studie an 3500 Patienten hat gezeigt, dass bei einer Akupunktur an chinesischen Akupunkturpunkten (Verum) mit einer Akupunktur an nicht-chinesischen Punkten kein signifikanter Unterschied nachgewiesen werden konnte.

48

Christina Berndt, zit. nach Verena Pilger, a.a.O., Seite 15

49

vgl. Robert A. Hahn: Nocebo. Der Glaube, der krank macht. In: Psychologie Heute 04/1996, Seite 64

50

Vgl. www.berlin-institut.org/fileadmin/user_upload/handbuch_texte/pdf_Karsch_Renten_EU.pdf

51

vgl. Jörg Blech: Die Krankheitserfinder. Wie wir zu Patienten gemacht werden, Frankfurt am Main 2003, Seite 58

52

Vgl. http://www.sueddeutsche.de/leben/schaedliche-nahrungsergaenzung-vorsicht-vitamine-1.59649 oder http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/gesundheitsrisiken-wissenschaftler-raten-von-vitaminpillen-ab-a-809208.html

53

vgl. Benedict Carey: Feeling Guilty? Small Lies, or a Secret Life Can Be Healthy. in: The New York Times, Beilage der Süddeutschen Zeitung vom 2412005, Seite 11

54

vgl. Simone Dietz: Die Kunst des Lügens, Hamburg 2003, Seite 45

55

Peter Estérházy: Harmonia Caelestis, Berlin 2001, Seite 7

56

vgl. Daniel Kahneman: Es geht um eine Colonoscopie. In: Time, special issue vom 1712005, Seite 47

57

vgl. Philip Wolff: Gut erfunden ist fast schon wahr. In: Süddeutsche Zeitung vom 31122004, Seite 13

58

vgl. Eduardo Gianetti: Lies we live by. London 2000, Seite 6ff.

59

Zitiert nach: David Nyberg: Lob der Halbwahrheit. Warum wir so manches verschweigen, Hamburg 1994, Seite 204/205

60

vgl. Frans de Waal: Wilde Diplomaten. Versöhnung und Entspannungspolitik bei Affen und Menschen, München 1991

61

Schulz von Thun, zit. nach Ute Ehrhardt: Und jeden Tag ein bisschen böser, Frankfurt/Main 1996, Seite 114ff.

62

vgl. Ijoma Mangold: Ein afrikanischer Eisberg. In Süddeutsche Zeitung vom 282003, Seite 11

63

Alex Rühle: Ein Brett im Kornfeld. In: Süddeutsche Zeitung vom 1972003, Seite 13

64

vgl. Dietz, a.a.O., Seite 43

65

Nyberg, a.a.O., Seite 195

66

SPIEGEL ONLINE: Die Wahrheit über die Lüge, 1822003

67

Jean Michel Saillo: Lügen Sie los! In: P.M., August 2006

68

vgl. Leo Kauter: Vom Lügen, Betrügen, und der Moral. Mülheim an der Ruhr 2003, Seite 50

69

vgl. o.A.: Tisch, bewege dich. In: Spiegel, 48/2003, Seite 77

70

Zitiert nach: Kristina Junker: Der große Bluff. In: Cosmopolitan, 11/2004, Seite 159

71

Heute zu finden unter www.alibi-profi.de

72

Heute unter www.move-your-card.com/

73

vgl. Heiny, a.a.O.

74

vgl. Harald Czycholl: Welche Entschuldigungen am besten ankommen. In: Welt Online, 712012

75

vgl. Heiny, a.a.O.

76

vgl. ebd.

77

vgl. Jochen Paulus: Aus Erfahrung werden Polizisten klug. In: Psychologie Heute, 8/2004, Seite 11

78

vgl. Eva Tenzer: Lügen in Zeiten moderner Kommunikation. In: Psychologie Heute, 8/2004, Seite 10

79

vgl. Joe Navarro: Menschen lesen – Ein FBI-Agent erklärt, wie man Körpersprache entschlüsselt, München 2010, Seite 220

80

vgl. Paul Ekman: Gefühle lesen – Wie Sie Emotionen erkennen und richtig interpretieren, Heidelberg 2010, Seite 304

81

vgl. ebd., Seite 296

82

vgl. Philip Wolff: Lügen haben lange Leitungen. In: Süddeutsche Zeitung vom 7122004, Seite 10

83

vgl. Tenzer, a.a.O., Seite 10

84

vgl. Wallis, a.a.O., Seite 47

85

Dietz, a.a.O., Seite 135

86

vgl. Daniel Goleman, Lebenslügen. München 1995, Seite 85

87

vgl. Elizabeth F. Loftus: Falsche Erinnerungen. In: Spektrum der Wissenschaft, 3/2002, Seite 63

88

vgl. ebd., Seite 62

89

vgl. ebd., Seite 66

90

vgl. ebd.

91

vgl. http:/ethologiepsychologie.wordpress.com/2011/11/15festingers-theorie-der-kognitiven-dissonanz/; Hauptwerk: Leon Festinger: Theorie der kognitiven Dissonanz, Bern [u.a.] 1978

92

Zitiert nach: Nyberg, a.a.O., Seite 133

93

David Nyberg: Kleine Lügen erhalten die Freundschaft, in: Bild der Wissenschaft 9/2003, Seite 66ff.

Wer die Wahrheit sagt, wird früher oder später dabei ertappt.

Oscar Wilde

Dass Papageien sprechen können,

macht sie nicht menschenähnlich;

die müssen erst einmal lernen zu lügen.

Robert Lembke

Alle Menschen lügen

Wer von sich behauptet: »Ich lüge nie!«, hat es bereits getan.

Lügen sind menschlich. Lügen sind verlockend. Lügen sind hilfreich. Also nutzen wir sie. Keiner entkommt dieser Versuchung. Jeder korrigiert die Wahrheit bewusst oder unbewusst. Jeder lügt.

Wer versuchen würde, niemals die Unwahrheit zu sagen, hätte es wirklich schwer im Leben und wäre oft unglücklich: Er hätte keine Freunde, häufig Ärger und viele Probleme im Job.

Gute Lügen stabilisieren Freundschaften.

Gute Lügen vermeiden Konflikte.

Gute Lügen verschaffen Vorteile.

Gute Lügen erhöhen Erfolgschancen.

Gute Lügen verstärken das Lebensglück.

Lügen gehört zu unserer Natur. Wir belügen andere und uns selbst. Wir versuchen zu verschleiern, was uns in ein schlechtes Licht setzen könnte. Wir beschönigen unsere Lüge, reden sie klein und vergessen sie wieder. Selbst eine faustdicke Lüge, die wir raffiniert eingefädelt haben, blenden wir nach kurzer Zeit aus, so schnell wie manchen Witz, über den wir eben noch herzhaft gelacht haben.

Haben wir erfolgreich gelogen, das Ziel erreicht, erfinden wir eine moralisch akzeptable Ausrede. Wir »überzeugen« uns davon, gerecht und integer gehandelt zu haben.

 

Im Grunde sind wir moralisch. Wir nutzen zwar die Vorteile einer kleinen Schummelei oder einer handfesten Lüge, aber ein Lügner wollen wir auf gar keinen Fall sein, auch nicht vor uns selbst. Wir halten das Prinzip der Wahrhaftigkeit hoch.

Das klingt paradox, ist es aber nicht: Gäben wir vor uns selbst jede Lüge zu, müssten wir unter Umständen unser Handeln korrigieren oder deutlicher zu unserer Lüge stehen. Solange die bewusste Lüge für uns frevelhaft bleibt, ist jedes weitere geschickte Erfinden neuer Unwahrheiten schwieriger. Wir hätten Skrupel, wären verunsichert. Andere würden dies spüren. Keiner würde uns mehr so leicht glauben. Unsere Lügen verlören Wirkung. Wie stünden wir da? Könnten wir uns selbst noch ernst nehmen?

Die Lüge kann nur im Verborgenen ihre volle Wirkung erzielen. Geschicktes Lügen ist keine Fähigkeit, mit der man prahlt. Man kann es nicht in einer Bewerbung als effiziente Fähigkeit hervorheben oder einer Geliebten zu Füßen legen. Aber eine klammheimliche Freude an einem gelungenen Täuschungsmanöver bleibt uns gelegentlich erhalten.

Wir wollen Sie für die Lüge gewinnen. Sie werden in Zukunft Lügen leichter erkennen, gelassener damit umgehen und die Intention einer Lüge genauer verstehen. Geben Sie das Vertrauen in einen ertappten Lügner nicht vorschnell auf. Wilhelm Busch spöttelt: »Der Beste muss mitunter lügen; zuweilen tut er’s mit Vergnügen.«

Lesen Sie unser Buch mit einem ähnlichen Augenzwinkern, denn unsere bestversteckte Fähigkeit – perfekt zu schummeln – ist das Salz unseres Lebens[1]: Ohne Lüge bliebe vieles fad, und nur ein deutliches Zuviel macht alles ungenießbar.

Lüge soll Lüge heißen

Wir befassen uns in diesem Buch nicht mit Betrügereien, die für die Hintergangenen große Nachteile nach sich ziehen. Wir beschäftigen uns hauptsächlich mit den kleinen alltäglichen Lügen. Wir zeigen, wie schwer es ist, sich selbst mit allen Ungereimtheiten und plötzlichen Impulsen, für die wir keine wirkliche Erklärung haben, wahrzunehmen.

Wir werden in diesem Buch jede Unwahrheit, jede absichtsvolle Auslassung und jede halbe Wahrheit als Lüge verstehen. Wir wollen nicht jedes Mal diskutieren, ob eine Unwahrheit gravierend, zielgerichtet oder vermutlich absichtlich war. Immer, wenn wir eigentlich wissen, was wahr ist, oder auch nur das Fünkchen einer Ahnung haben und dieser Wahrheit einen Schleier verpassen oder sie einfach neu erfinden – dann lügen wir.

Die Fähigkeit zu lügen ist eine intellektuelle Höchstleistung, ohne deren Existenz keine soziale Welt möglich ist.

Wir wollen Lügen als das beschreiben, was sie sind:

Für Menschen gilt: Es gibt kein Lebensglück ohne Selbstmanipulation. Optimismus ist keine Frage des Schicksals oder der Gene, sondern eine positive Selbststeuerung.

In der Liebe sind freundliche Lügen unumgänglich. Tiefe Verbundenheit wächst auf einer gewollten und gesteuerten Manipulation, trotz aller genetischen und biologischen Prägung.

Dass die Fähigkeit, intelligent zu lügen, zum beruflichen Erfolg gehört, sollte niemand ernstlich bezweifeln. Ein weiteres unerlässliches Detail sozialer Kompetenz ist der gute Spürsinn für Lügen: zu wissen, wie sie eingesetzt werden und wann wir sie erwarten müssen.

Vielleicht ist es Ihnen schon passiert: Spontan, ohne Nachdenken lügen Sie. – Im Nachhinein wird deutlich, die Lüge war effizient und erfolgreich. Und Sie erkennen: »Hätte ich lange nachgedacht, abgewogen, wäre es eher schiefgelaufen.« Dieses bauchsichere Schwindeln verlangt eine feinfühlige Toleranz für die Lüge. Dafür wollen wir werben.

Wer nicht selbst kann betrügen,

wird gemein betrogen,

wer nicht andere kann belügen,

wird gemein belogen.

Friedrich von Logau

Vergessen Sie alles,
was Sie über die Lüge
zu wissen glauben

Eine Hommage an die Lüge: Eine russische Adelige war mit ihrem Diener nach Amerika durchgebrannt. Niemand verstand, warum sie statt des sorglosen Lebens als Hofdame das entbehrungsreiche Dasein einer fast mittellosen Immigrantin führen wollte. Sie stirbt nach vielen Jahren verarmt in New York, aber die Frage, warum sie diesen Lebensweg mit diesem Mann eingeschlagen hatte, beantwortete sie stets gleich und immer mit strahlenden Augen: »Warum? Ganz einfach: Er konnte so herrliche Lügen erzählen, dass man sich wie die schönste Frau der Welt fühlte.« Eleganter lässt sich nicht verdeutlichen, was uns gelegentlich die Lüge lieben lässt; Schmeicheleien sind das universelle Schmiermittel im zwischenmenschlichen Kontakt.

Bei Schmeicheleien wird uns die Lüge kaum bewusst.

Allgemein gilt: Wir ignorieren, wie oft wir – selbstverständlich und risikobereit – lügen. Vor Gericht wird Wahrheit gefordert. Meineide und Falschaussagen werden mit erheblichen Geldstrafen – sogar mit Gefängnis – geahndet. Es wird geschworen. Das hält nur wenige davon ab, die Unwahrheit zu sagen.

Auch durch einen Richter wird die Wahrheit nicht sicher ans Licht gebracht, jeder weiß: »Vor Gericht gibt es ein Urteil, aber keine Wahrheit.«

Weshalb sollten Menschen im normalen Leben, wo in der Regel viel harmlosere Sanktionen drohen, etwas anderes tun? Wir leben mit der Lüge, ob es uns gefällt oder nicht. Und das ist gut so, denn sie ist deutlich nützlicher, als ihr Ruf vermuten lässt.

Zerstören Lügen Beziehungen?

Wir sind höflich, wir machen Komplimente, wir zeigen Anteilnahme, weil es erwartet wird. Wir verbergen unseren Ärger lächelnd, wir nicken zustimmend und verstecken unsere Zweifel, wir gehen langwierigen »sinnlosen« Diskussionen aus dem Weg, stimmen zu, ohne überzeugt zu sein. Um des lieben Friedens willen schweigen wir. Kleine soziale Lügen machen das Zusammenleben erst möglich.

Wir fragen: »Wird der andere meine Information verdauen können?« Wir variieren entsprechend die Wahrheit. Wer dieses soziale Gespür nicht besitzt, verliert sehr viel schneller die soziale Akzeptanz als der vorsichtige, clevere Lügner.

Zerstören Lügen Beziehungen? Sicher werden Beziehungen nach gravierenden aufgeflogenen Lügen beendet. Selten ist allein die Lüge der Grund für die Trennung.

Auch wenn es manchem verwerflich erscheint: Für erfolgreiche Lügen gilt das Gegenteil. Sie bleiben in der Regel unentdeckt, und sie halten die Beziehung aufrecht.

Machen Lügen einsam?

Unser moralischer Kodex möchte uns glauben machen: Menschen, die viel lügen, laufen Gefahr, einsam zu werden. »Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht« – das klingt nach zu erwartender Ausgrenzung. Sicher ist allerdings: Wer fortwährend auf der nackten Wahrheit besteht, ist deutlich einsamer. Wir kennen chronische Aufschneider, deren Geschichten tatsächlich zur Hälfte erlogen sind. Jeder ahnt die Lügen und amüsiert sich dennoch über den Unterhaltungswert. Jeder tut, als würde er das beschriebene Abenteuer, die aufgebauschte Heldentat, die lustig-peinliche Verwechslung, die intellektuelle Leistung glauben. Der Aufschneider wird zum Alleinunterhalter. Einsam ist er nicht.

Ebenso wenig wie derjenige, der die Lüge geschickt als sozialen Schmierstoff nutzt: Er oder sie verhindert Reibungen und Konflikte. »Was er nicht weiß …«, ist eine häufig benutzte Redensart. Nicht ohne Grund, denn viele Kulturwissenschaftler sind sich einig: »Lügen sind notwendig für das Zusammenleben der Gesellschaft. Mit Lügen lösen wir Konflikte. Etwa zwei Drittel aller Lügen sind ›pro-sozial‹, sie dienen nur indirekt dem eigenen Nutzen, ihr Hauptzweck ist der soziale Frieden.«[2]

Sind Lügner dumm?

Wir hören gelegentlich: »Wer wirklich klug ist, braucht keine Lüge.« Wer diese These vertritt, vergisst, dass die Lüge eine interaktive Angelegenheit ist. Wer erfolgreich lügen will, muss oft in Bruchteilen von Sekunden eine neue Realität erfinden, die unbedingt Berührungspunkte mit dem Wissensstand des Belogenen haben muss. Es stellt eine intellektuelle Höchstleistung dar, Konflikte vorherzusehen und die Lüge so zu konstruieren, dass sich möglichst wenig Unvereinbares mit dem Vorwissen des Belogenen ergibt. Wenn ein Knirps sagt: »Ich habe keine Bonbons genascht«, obwohl er vor dem leeren Bonbonglas steht, ist das ziemlich einfallslos. Wenn er keck behauptet: »Ich wollte nur nachsehen, ob noch Bonbons da sind, aber das Glas war schon leer«, ist das ausgesprochen schlau.

Auch die Vierjährige, die Papa nicht bei der Arbeit stören soll und, nachdem etwas Zeit verstrichen ist, angeblich zur Toilette geht, aber heimlich zu ihrem Papa läuft, ist schon ziemlich gut darin, mit einer lässigen Flunkerei ihr Ziel zu verfolgen.

Haben Lügen kurze Beine?

Ein ziemlich abgegriffener Satz über Lügen ist der Sinnspruch: »Lügen haben kurze Beine!« Er soll uns vor der sicher zu erwartenden Aufdeckung der Lüge warnen. Denn: »Es ist nichts so fein gesponnen, kommt doch ans Licht der Sonnen.« Und tatsächlich: Tagaus, tagein wird gelogen. Aber wie oft wird ein Lügner enttarnt? Wie oft wird jemand wirklich angeprangert oder öffentlich bloßgestellt? Eher gilt der Satz: »Wer einmal lügt, dem glaubt man … noch ziemlich lange.«

Und so wird der pfiffige Verkäufer mit erprobten alten Tricks fröhlich weiter Kunden einwickeln. Er wird behaupten, genau das Gerät selbst zu besitzen, welches er uns besonders empfiehlt. Dem potentiellen Käufer will er suggerieren, das Beste zu erwerben, was es auf dem Markt zu kaufen gibt, weil auch er, der Fachmann, es besitzt. Dieses Verkaufsargument kommt beim Kauf von Computern, Mobiltelefonen oder bei teuren Markenartikeln so häufig vor, dass es schon fast ein Witz ist. Aber es funktioniert immer noch.

Sind Lügen verantwortungslos?

Manche nennen einen Lügner verantwortungslos. Wir bezweifeln diese Behauptung. Eine labile Freundin sagt: »Ich seh beschissen aus!« Vielleicht reicht es, sie in den Arm zu nehmen und zu fragen: »Was ist los?« – Ihr ehrlich zu sagen: »Ja, du siehst beschissen aus!«, ohne sie aufzufangen, ist immer falsch. Es wäre wenig einfühlsam, ihr diese Wahrheit unverhohlen zuzumuten. Wer hier eine gnädige Lüge kreiert, handelt mit Sicherheit verantwortungsvoll.

Wer einem Betrunkenen die Autoschlüssel versteckt und behauptet: »Ich weiß nicht, wo die Schlüssel sind«, vermeidet eine ausweglose Diskussion und handelt verantwortlich.

Wer einen vor Wut Tobenden durch eine geschickte Lüge davon abhalten kann, etwas Unbesonnenes zu tun, handelt verantwortlich.

Wollen wir wirklich nie belogen werden?

Angeblich wollen alle die Wahrheit hören. Doch gemeint ist damit häufig nur: eine Wahrheit, die uns gefällt. »Sag mir ehrlich, was du denkst!« bedeutet, wenn wir genauer hinhören: »Bitte sei meiner Meinung oder tu wenigstens so.«

»Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.« Oder: »Wisse alles, was du sagst, aber sage nicht alles, was du weißt.« So lauten die typischen Kalenderweisheiten, die uns ermahnen, genau zu überlegen, bevor wir reden, und unter Umständen besser zu schweigen. Und solches Schweigen gleicht der Lüge aufs Haar.

Frisch Verliebte wollen keine Kritik am neuen Partner hören. Das würde nur verunsichern. Niemand bricht eine neue Beziehung ab, weil ein Freund auf die Schattenseiten der Angebeteten hinweist.

Wenn wir günstig einen Gebrauchtwagen gekauft haben, wollen wir nicht wissen, dass er aus einer Serie stammt, die für ihre Unzuverlässigkeit und die vielfachen Probleme mit der Elektronik berüchtigt ist. Es wäre keine Hilfe. Wir würden den Wagen kaum am nächsten Tag wieder verkaufen wollen.

»Habe ich das richtig gemacht?«, ist selten eine echte Frage. Sie zielt viel eher auf die Bestätigung eigener Vorstellungen. Denn eine Portion Unsicherheit ist immer im Spiel, wenn wir etwas getan oder entschieden haben. Die meisten Menschen brauchen vielfältige soziale Bestätigung. Wenn eine ehrliche Antwort betroffen macht oder demütigt, will fast niemand sie hören. Schon gar nicht, wenn eine Korrektur nicht mehr möglich ist.

Machen Lügen unglücklich?

Die vielleicht größte Drohung gegen die Lüge lautet: Wer lügt, kann nicht wirklich glücklich sein. Wir werden diesen Spieß umdrehen. Wir werden zeigen: Zum Glücklichsein gehört eine feinsinnige Form der Lüge!

Glück oder weniger emphatisch Zufriedenheit lässt Menschen länger leben. Glücksforscher bestätigen: Eine intelligente Selbstmanipulation ist Bedingung für ein positives Lebensgefühl.

Die Untersuchungen zeigen: Ohne eine subtile Lüge sind Glück oder Zufriedenheit nicht zu erreichen. Der Millionengewinn im Lotto, den sich manche als größte Quelle von Glück vorstellen, versagt nahezu immer.

Wirksam ist eine komplexe Selbststeuerung (»Reife Abwehr« genannt), die mit gutem Recht als Manipulation anzusehen ist, sie spiegelt die Kernkompetenz für stabiles Wohlbefinden. Martin Seligman, einer der bedeutendsten Wissenschaftler auf diesem Gebiet, hat die Bedingungen für ein positiv empfundenes und damit längeres Leben über zwei Jahrzehnte erforscht. Mehr im Kapitel »Kleine Lügen machen glücklich«.

Der Erfinder der Notlüge

liebte den Frieden mehr

als die Wahrheit.

James Joyce

Ehrlich währt am längsten?

Das Gute in uns spielt ab und an mit dem heroischen Gedanken, stets die Wahrheit zu sagen. Dass dabei eher ein Konflikt-Teufel am Werk ist, bleibt uns verborgen. Für einen kurzen Moment glauben wir, vieles wäre leichter, offener, klarer. Aber das Gegenteil träfe ein. Vieles wäre schwieriger, konfliktreicher, zerstörerischer.

In solchen Situationen ist niemand ehrlich.

Wer steht zu seinen aggressiven, egoistischen, lüsternen oder unsozialen Gedanken? Jeder vertuscht und lügt, um Konflikte und Streit zu vermeiden, um sein Image nicht zu gefährden oder um einfach seine Ruhe zu haben.

»Ehrlich währt am längsten« gilt ebenso wenig wie die Behauptung »Die Erde ist eine Scheibe«. Unzensiert werden kritische soziale Botschaften selten ausgetauscht. Kommen uns dennoch »ehrliche« Formulierungen in den Sinn, setzen wir alles daran, schnell eine sozialverträgliche Fassung zu finden. Doch keiner will diese soziale Cleverness als Unehrlichkeit gelten lassen. Wir vermeiden Peinlichkeiten, wollen die Contenance wahren. Wir nennen es soziales Geschick, emotionale Klugheit, Höflichkeit, Diplomatie, aber keinesfalls Lüge.

  Fällt es Ihnen schwer, diese gutgemeinten Verschleierungen Lüge zu nennen? Denken Sie: Es ist in Ordnung und geschieht in bester Absicht – Schroffheiten, Frivolitäten und Peinlichkeiten sollen vermieden werden?

Wahrscheinlich werden Sie auf den kommenden Seiten häufiger auf eine ähnliche Haltung bei sich stoßen. Sie werden widersprüchliche Impulse wahrnehmen. Ein Gefühl von »Man kommt um die Lüge nicht herum« stellt sich ein, aber Sie werden zögern, sich klar und deutlich zur Lüge zu bekennen. Wenn Sie mögen, lassen Sie sich auf diesen Konflikt ein. Sie erfahren mehr über sich und die Menschen in Ihrer Umgebung, wenn Sie die Lüge als alltäglichen, als selbstverständlichen Teil des Lebens verstehen. Und es kann spannend sein, gleichzeitig die eigene Abwehr gegen solche Wertungen zu spüren. Denn das ist der Konflikt in jedem Einzelnen und in der Gesellschaft.

Wenn Sie Lust haben, aktiv mit diesem Buch zu arbeiten, dann fragen Sie sich: »Wann habe ich das letzte Mal bewusst gelogen?« In wenigen Seiten sagen wir Ihnen, was wahrscheinlich geschehen wird, wenn Sie sich mit dieser Frage beschäftigen.

Lügen haben nur in einer Gesellschaft Erfolg, die Wahrheit fordert, sogar predigt und weitgehend einhält.

Wir wollen Sie nicht zu einem verantwortungslosen oder gar obsessiven Lügner machen. Wir wollen Ihre Wahrnehmung für Lügen schulen und Ihre Fähigkeit verbessern, wann immer Sie es wollen, mit Augenmaß und effizient zu lügen. Denn Lügen haben nur in einer Gesellschaft Erfolg, die Wahrheit fordert, sogar predigt und weitgehend einhält. Lüge darf nur Würze, niemals Nahrung sein. So viel Moral ist notwendig. Eine Gesellschaft voller Lügen würde sofort auseinanderbrechen. Sie wäre von Misstrauen geprägt. Es gäbe keine Verlässlichkeit mehr, Absprachen wären sinnlos.

Aber die Lüge muss entmythologisiert werden, der Makel des großen Frevels muss ihr genommen werden. Nur dann lässt sie sich unverkrampft einsetzen, und dann lässt sie sich ohne Bosheit und Aggression erkennen und letztlich wohlwollend enttarnen.

Wo fangen Lügen an?

»Mein Haus, mein Auto, mein Boot.« – Wer sagt dem Großkotz, wie sehr seine Überheblichkeit stört?

»Auf keinen Fall Rotwein zum Fisch!« – Wer bremst den Etikette-Papst?

»Quarterback, … da bin ich auch schon drauf geritten!«, behauptet der Aufschneider bei einem Gespräch über Westernreiten. Auf einem »Quarter Horse« hätte er wohl deutlich besser gesessen, denn ein Quarterback ist eine Spielerposition im American Football. Wer klärt ihn auf?

Selbst wer sich mit einer Kritik vollkommen im Recht fühlt und sich ärgert, der äußert diese selten direkt. Anstatt mit schonungsloser Offenheit auf den Punkt zu kommen, biegt man etwas bei, kritisiert in kleinen Dosen, deutet vorsichtig und charmant etwas an oder stichelt mit fröhlicher Ironie.

Die deutlich übergewichtige Miri ist in der zensierten Fassung »gut beieinander«. Aber in dem Moment, in dem Miris Mutter aus der Rolle fällt und das eigene Kind mit den Worten beschreibt: »Sie ist dumm und unglaublich fett«, herrscht betretenes Schweigen. Die anwesenden Freundinnen der Mutter sind geschockt. Solche schonungslose Offenheit erwarten wir von niemandem und schon gar nicht von der eigenen Mutter.

Aus gutem Grund entscheiden Menschen sich häufig für die Lüge. Wer würde bei einer Bewerbung sagen: »Eigentlich mag ich Ihre Firma gar nicht, aber ich brauche dringend einen Job. Also nehme ich auch eine Stelle in einem drittklassigen Betrieb wie dem Ihren an.« Man kann niemandem empfehlen, solche Wahrheiten auszusprechen.

Wenn ich eine Geschichte mit einigen zusätzlichen, aber leider erfundenen Details anreichere – ist das schon lügen?

Einen einzigen, zugegeben, stürmischen Kuss – muss man ihn dem Partner beichten?

Wenn man einen Mann oder eine Frau besonders anziehend findet, es aber partout nicht zugeben will – ist das unaufrichtig?

Wenn man den Ärger herunterschluckt, den man auf den Partner/die Partnerin spürt – ist das schon hintergehen?

Wenn wir einen anderen schlecht dastehen lassen, seine Fehler übertreiben, seine Erklärungen veralbern, uns auf seine Kosten lustig machen, um eine Pointe anbringen zu können – sind wir dann schon Intriganten?

Wenn wir einen Konflikt entschärfen, indem wir einige Details weglassen, die nicht ausschlaggebend sind – führen wir dann schon unser Gegenüber hinters Licht?

Statt absoluter, potentiell verletzender Aussagen benutzt jeder von uns Abschwächungen oder kleine Ausreden. Wahrscheinlich Dutzende. Und zwar jeden Tag. Sind das schon Lügen?

Die kleinen Tricks

Kaum jemand nimmt die eigenen kleinen Manipulationen noch wahr. Selbst in einem gewöhnlichen Gespräch wird genau darauf geachtet, Worte zu finden, die wenig konfrontativ oder verletzend sind.

In einem ruhigen Dialog werden Intentionen mit gezielten Argumenten unterstützt. Man will sein Gegenüber in eine bestimmte Richtung lenken – oder sagen wir richtiger: manipulieren. Diese Kontrolle ist allgegenwärtig, sie tritt nur in den Hintergrund, wenn jemand wütend oder aufgeregt ist oder sehr angespannt spricht.

Jemand spielt gut Klavier und sorgt auf Partys für Stimmung. Sie wollen ihn deshalb gern auf ein Fest einladen. Unglücklicherweise fehlt ihm aber die rechte Lust zu kommen. Wie überreden Sie ihn? Wahrscheinlich so: »Es wäre doch schön, wenn wir alle mal wieder zusammen feiern würden.« Dass Sie ihn als Stimmungsgaranten benutzen wollen, werden Sie kaum deutlich hervorheben.

Oder: Man hat einen Bekannten mit voller Absicht nicht über eine geplante Klettertour informiert. Beim nächsten Treffen wird man darauf angesprochen und redet sich mit der eigenen Schusseligkeit raus: »Oh, ich dachte, ich hätte dich angerufen, ich werde immer vergesslicher. Tut mir leid. Ich hatte mich schon gewundert, warum du nicht gekommen bist.«

Für einen Basar sollen Kuchen gebacken werden. Sie haben schon fünf Absagen kassiert, mit welcher Begründung bitten Sie die Letzte auf Ihrer Liste um Hilfe? Wahrscheinlich mit dieser: »Alle essen deinen Kuchen so gern.« Dass niemand diese Aufgabe übernehmen wollte, werden Sie wahrscheinlich verschweigen. Manchmal sind wir auch ehrlich: »Du bist die Letzte auf meiner Liste, du kannst mich nicht im Stich lassen.« Aber auch dann werden wir verschweigen, dass wir für diese Erpressung genau diesen Menschen ausgesucht haben, weil wir wissen, dass solche Argumente bei ihm besonders gut ziehen.

 

Harmlose Mogeleien werden nicht als Lügen klassifiziert. Vielleicht sind sie zu alltäglich, zu banal, zu durchschaubar? Eins sind sie sicher: hilfreich. Sie erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass wir erreichen, was wir erreichen wollen. Sie beugen schlechter Stimmung und größeren Konflikten vor.

Wir erkennen unsere kleinen und großen Tricks nicht als Lügen, unser Gewissen bleibt unbelastet. Würden wir alle Vorwände »Unwahrheit« nennen (was immer noch ein bisschen besser klingt als Lüge), hätten wir erheblich mehr Skrupel, sie auszusprechen. Es kommt also noch eine gehörige Portion Selbstbetrug hinzu, denn meistens ahnt man, dass man im Begriff ist, kräftig zu schummeln.

Jemand will sich mit uns treffen, wir mögen ihn nicht besonders.

»Ich habe am Wochenende keine Zeit.«

»Die Arbeit frisst meine ganze Freizeit auf.«

»Ich muss meine Eltern besuchen.«

»Ich hab mich schon verabredet.«

»Ich ruf dich morgen an.«

Alles gelogen!

 Haben Sie inzwischen nach den kleinen Lügen der letzten Zeit geforscht, wie wir es Ihnen vorgeschlagen haben?

Wahrscheinlich nur ein ganz kleines bisschen. Aber auch wenn Sie sich intensiv mit dieser Suche beschäftigt hätten, wäre das Ergebnis ähnlich: Wenn wir über vergangene Lügen nachdenken, fällt uns fast nie etwas Ernstliches ein. Vielleicht einige scherzhafte Lügen oder erkennbare Übertreibungen, aber nichts Knackiges, richtig Gelogenes.

Man lügt und verdrängt.

Wir würden gewinnen, wenn wir dieses Muster wahrnehmen könnten. Es wäre der erste Schritt, Lügen als etwas Normales zu verstehen und ihre Verdrängung aufzuheben. Zugegeben: Ganz einfach ist es nicht, denn jeder hat eine Vielzahl von Ausflüchten bereit, die ihn davor bewahren, zu erkennen oder zuzugeben, dass er gelogen hat.

Die Lüge hilft unserem Seelenheil

Ronald hat auf einem engen Parkplatz beim Öffnen der Autotür eine leichte Schramme in den Lack eines anderen Wagens gekratzt. Seine erlösende Erklärung: »Das hätte auch jemand anders gewesen sein können, so was passiert ständig. Ich habe auch immer neue Macken am Wagen«, und etwas verlegen fügt er hinzu: »Solange mich keiner gesehen hat, gilt: Wo kein Kläger ist, da ist auch kein Richter.« Ronald weiß sich reinzuwaschen. Und er wird diesen Vorfall schnell vergessen haben.

Mit einem geschickten inneren Schachzug hält man sich eine Menge Unannehmlichkeiten vom Hals. Viele Männer kennen diese Situation: Sie haben ein Spezialwerkzeug im Supermarkt entdeckt. Es ist ziemlich teuer, sie werden es wahrscheinlich nur einmal in drei Jahren benutzen, aber sie müssen es trotzdem unbedingt haben. »Sonderangebot – hat nur einen Bruchteil des ausgezeichneten Preises gekostet!«, so die Ausrede. Man kann sich eine Menge quälender Diskussionen ersparen, wenn man seiner besseren Hälfte gelegentlich einen Bären aufbindet.

 

Erst wenn wir uns gestatten, die Augen zu öffnen, fallen uns viele kleine und dennoch handfeste Lügen auf, die wir anderen aufgetischt und erfolgreich eingesetzt haben. Zum Beispiel: Die täglichen Beteuerungen des jungen Ehemannes, wie köstlich das Essen schmeckt; die Schmeichelei über das gute Aussehen der Freundin; das Selbstlob über die beruflichen Erfolge. Die Versprechungen über die Zuverlässigkeit des zu verkaufenden Wagens, die übersteigerte Begeisterung über den unangekündigten Besuch eines alten Freundes.