Cover

Melissa Mayhue

Die Frau des Highlanders

Roman

Aus dem Amerikanischen
von Georgia Sommerfeld

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Über Melissa Mayhue

Den Büchern von Melissa Mayhue merkt man an, dass sie sich mit Männern auskennt: Schließlich hat sie einen geheiratet und ist die Mutter von dreien. Mit ihnen gemeinsam lebt sie in Colorado, im Schatten der wundervollen Rocky Mountains. Melissa Mayhue hat drei verrückte Hunde, eine alles bestimmende Katze, eine verrückte Schildkröte und viel zu viele Fische.

Über dieses Buch

Denver 2007: Als der attraktive Connor aus dem 13. Jahrhundert in ihrem Schlafzimmer auftaucht und sie bittet, ihn in die Vergangenheit zu begleiten, glaubt Kate, sie träumt – und erlebt die vier leidenschaftlichsten Wochen ihres Lebens …

Impressum

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2007 unter dem Titel »Thirty Nights with a Highland Husband« bei Pocket Books, New York.

 

eBook-Ausgabe 2013

Knaur eBook

© 2007 Melissa Mayhue

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2010 Knaur Taschenbuch

Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt

Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise –

nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Redaktion: Gerhild Gerlich

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung: Franco Accornero via Agentur Schlück GmbH; FinePic®, München

ISBN 978-3-426-42036-2

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Für meine Mutter, Beatrice Alexander, die mich schon früh das geschriebene Wort lieben lehrte und mich vor allem mit der Welt der Liebesromane bekannt machte.

 

Und für meinen Mann, Frank, der mich stets ermutigte und niemals daran zweifelte, dass ich alles schaffen konnte, was ich mir in den Kopf gesetzt hatte.

Prolog

Die Legende des Feentals

Vor langer, langer Zeit spähte an einem herrlichen Frühlingstag im schottischen Hochland ein Prinz des Feenvolks durch einen Spalt in dem Vorhang, der seine Welt von der der Sterblichen trennte. Und tief in einem Tal, das er sein Eigen nannte, gewahrte Pol eine wunderschöne junge Frau beim Kräutersammeln. Er konnte seinen Blick nicht von ihr wenden und am Ende, als ihr Korb beinahe gefüllt war, hatte er sich in diese Sterbliche verliebt. Seine Liebe war so groß, dass er durch den Spalt im Vorhang schlüpfte und der Maid in seiner strahlenden Schönheit erschien. Er veränderte seine äußere Gestalt nicht, denn das Mädchen sollte ihn als den lieben, der er war.

Rose hatte an jenem Tag, von der Lieblichkeit des Tals bezaubert, gar nicht bemerkt, wie tief sie in den Wald gewandert war. Als Pol vor ihr erschien, raubte ihr seine Schönheit den Atem, und sie wusste sofort, dass er die wahre Liebe ihres Lebens war.

Pol und Rose lebten glücklich in ihrem idyllischen Tal an dem kleinen Bach, wo Pol sie das erste Mal erblickt hatte, aber nach einem Jahr als Sterblicher musste er in seine Welt zurückkehren, denn es herrschten strenge Gesetze im Feenland.

Eines dieser Gesetze bestimmte, wie lange einer von ihnen sich außerhalb des Feenreiches aufhalten durfte. Einmal zurückgekehrt, würde Pol erst nach hundert Jahren wieder in die Welt der Sterblichen gelangen können. In seiner Lebensspanne fielen hundert Jahre nicht ins Gewicht, aber Pol wusste, dass seine Rose dann nicht mehr da sein würde.

Rose kehrte in der Gewissheit zu ihrer Familie zurück, ihren Prinzen für immer verloren zu haben. Anfangs war ihr Vater, der alte Laird, überglücklich, seine kleine Tochter wieder bei sich zu haben, und fasziniert von der Geschichte über den Feenprinzen, mit dem sie das vergangene Jahr verbracht hatte. Doch dann stellte sich heraus, dass Rose ein Kind unter dem Herzen trug, und ihr Vater und ihre Brüder gerieten außer sich vor Zorn. In ihren Augen war Rose nicht nur entehrt, sondern auch noch von einem gottlosen Zauberwesen besudelt. Und so begannen sie, sie anstatt wie eine geliebte Tochter und Schwester wie eine verachtenswerte Magd zu behandeln.

Rose schuftete täglich von Sonnenaufgang bis zum Einbruch der Dunkelheit in der heißen Küche und musste alle möglichen Erniedrigungen erdulden, doch es machte ihr nichts aus, denn ohne Pol war sie innerlich tot.

Pol wiederum konnte nur mit stetig wachsender Seelenpein durch den Spalt im Vorhang schauen und zusehen, was seiner geliebten Rose widerfuhr.

Schließlich kam der Tag, an dem sie drei kräftigen, gesunden, wunderschönen Mädchen das Leben schenkte. Aber Rose, deren Lebensgeister durch den Verlust ihrer wahren Liebe erloschen waren, überlebte die Geburt nicht. Roses Vater weigerte sich, die Neugeborenen auch nur anzuschauen, und verfügte, dass sie tief in den Wald gebracht und den Feen überlassen werden sollten, zu denen sie gehörten – oder den Wölfen.

Der alte Laird ritt höchstselbst an der Spitze des kleinen Trupps in den Wald. Wie das Schicksal es wollte, befanden sie sich in dem Tal, in dem Pol Rose zum ersten Mal gesehen und dann mit ihr gelebt hatte. Der alte Laird befahl, die Säuglinge am Ufer eines kleinen, seichten Baches ins Gras zu legen. Roses Brüder, die jeder eines der Kinder getragen hatten, taten wie geheißen und stiegen wieder auf, um das Tal zu verlassen.

Pol beobachtete, was geschah, erzürnt und verzweifelt. Zuerst war seine geliebte Rose gestorben, und nun wurden ihre Kinder, seine Kinder, grausam im Stich gelassen. Sein gequälter Aufschrei drang bis zu seiner Königin, die, in einer seltenen Anwandlung von Großmut ihren eigenen Gesetzen zuwiderhandelnd, den Vorhang so weit öffnete, dass Pol hindurchschlüpfen konnte.

Plötzlich heulte ein wütender Wind durch das Tal, und Donner grollte. Der Boden unter den vier Reitern erbebte, und der Laird stürzte aus dem Sattel. Entsetzt sahen der alte Mann und seine Söhne mitten in dem Bach Felsen aus dem Bett brechen und sich aufeinandertürmen, bis das Wasser schließlich über diese Stufe in ein tiefes Loch am Fuß der Wand stürzte.

Langsam stieg Pol aus den Tiefen des kristallklaren Strudellochs herauf, wobei er jedem der Sterblichen in der Gestalt dessen erschien, was derjenige am meisten fürchtete.

»Ich bin Pol, ein Feenprinz. Und Ihr« – mit einer weit ausholenden Geste umfasste er den Vater und seine Söhne – »habt meinen Zorn erregt. Nun werdet Ihr dafür bezahlen.« Sein Blick glitt zu seinen Kindern, die, seltsam unbeeindruckt von dem Tumult um sie herum, still im Gras lagen. »Diese drei sind meine Töchter. Mein Blut fließt in ihren Adern.« Pol nahm die Säuglinge einen nach dem anderen hoch. »Ich nenne jede von euch nach eurer Mutter, meiner geliebten Rose. Von nun an bis in alle Zeit werden eure Töchter eine Form ihres Namens tragen, damit die Erinnerung an sie in dieser Welt auf ewig weiterlebt. Ich gebe jeder von euch mein Zeichen und meinen Segen. Erkennt dieses Tal als das Heim eurer Mutter und eures Vaters.«

Pol wandte sich dem alten Laird zu. »Ich übertrage Euch die Sorge für die Erziehung und Sicherheit meiner Töchter.«

»Sie sind Eure Abkömmlinge«, erwiderte der alte Laird eisig. »Weder meine Söhne noch ich werden Eure Brut unter unserem Dach dulden.«

»Oh, doch, das werdet Ihr, alter Mann, und zwar mit Freuden.«

Ein grüner Schein ging von dem Feenprinzen aus und wurde größer und größer, bis das ganze Tal von seinem Licht erfüllt war, umfing den alten Laird und seine Söhne, zwang sie in die Knie, gewann die Macht über den Geist der Sterblichen.

Pol lächelte in boshafter Befriedigung, als er seine Stimme in den Köpfen der Männer erschallen ließ, denn er wusste um die Schwäche der Sterblichen. Die Stimme in ihren Köpfen war für sie erschreckender als das gesprochene Wort. »Solltet Ihr oder ein anderes männliches Mitglied Eurer Familie meine Töchter in irgendeiner Weise vernachlässigen, sie verletzen oder jemand anderem gestatten, sie zu verletzen, sie davon abhalten, ihre eigenen Entscheidungen im Leben zu treffen oder sie daran hindern, ihre große Liebe zu finden, werdet Ihr meinen Fluch zu spüren bekommen. Ihr werdet keinen männlichen Nachkommen haben. Allen bereits lebenden Söhnen wird das gleiche Schicksal beschieden sein. Ihr werdet nie wieder die Nähe einer Frau genießen können. Eure Familie wird aussterben, es wird Euren Namen nicht mehr geben in Eurer Welt.«

Pol hielt inne, um seine Worte wirken zu lassen, und fuhr dann fort: »Mein Segen für meine Töchter wie mein Fluch werden in alle Ewigkeit gelten, weitergegeben von Mutter an Tochter. Selbst der kleinste Tropfen meines Blutes in ihren Adern wird ihnen die Kraft verleihen, mich und alle Feen zu Hilfe zu rufen. Mein Zeichen auf meinen Töchtern und auf allen Töchtern ihrer Linie danach lässt alle Männer wissen, welche Strafe sie erwartet, wenn sie meinen geliebten Töchtern etwas antun.«

Während Pols drohende Stimme noch in den Köpfen des alten Lairds und seiner Söhne dröhnte, umfing Pol seine Kinder zum ersten und letzten Mal, hüllte sie ein in seine smaragdgrün schimmernde tiefe Liebe.

Der alte Laird lag vor Angst zitternd noch immer auf dem Boden, wohin er gefallen war. Er konnte die Säuglinge durch die grüne Wolke, in die sie eingehüllt waren, nicht sehen, doch er meinte, so unglaublich es auch erschien, Kinderlachen daraus zu hören.

Im nächsten Moment erklang eine unheildrohende Warnung in den Köpfen der Männer: »Denkt an meine Worte.«

Dann verflüchtigte sich der grüne Dunst.

Lange danach schlichen der Laird und seine Söhne zu den Kindern und fanden sie friedlich schlafend, das Zeichen des Feenprinzen tragend. Der alte Laird hob seine Enkelinnen – denn die mussten sie von heute an für ihn sein – eine nach der anderen behutsam hoch, übergab sie seinen Söhnen und hetzte mit ihnen aus dem Tal hinaus.

Pols Töchter wuchsen und gediehen, heirateten und gründeten Familien. Obwohl viele der nachfolgenden Generationen auf Wanderschaft gingen und sich über die ganze Welt verstreut niederließen, hielten die Männer aller Linien weiter die Legende vom Feenprinzen in Ehren.

1

Sithean Fardach
The Highlands of Scotland
1272

Das Klirren von Metall auf Stein ließ die Luft vibrieren, während der auf dem Boden gelandete Becher ausrollte.

»Wutausbrüche helfen dir nicht, Jungchen«, sagte der alte Krieger kopfschüttelnd zu dem ihm am Ende des langen Tisches gegenübersitzenden jungen Mann. »Du hast nur gutes Ale verschwendet.«

Der Blick, mit dem Connor MacKiernan ihn daraufhin bedachte, hatte schon viele starke Männer eingeschüchtert. »Mir hilft überhaupt nichts. Ich bin ein schwacher, hilfloser Narr, dem nur noch eine einzige Möglichkeit offensteht. Ich habe keine Wahl.« Er legte den Kopf in die Beuge seines Arms, der auf dem Tisch ruhte. »Ich bin ein Ritter des Königs, aber mein Schwert könnte auch die Zierfeder einer Frau sein, so wenig kann ich damit ausrichten.« Er spuckte die Worte regelrecht aus. »Ich wollte Rosalyn nicht einbeziehen. Diese Angelegenheit ist nicht die Sache meiner Tante, Duncan, sondern ganz allein meine. Meine Aufgabe ist es, meine Familie zu beschützen, nicht, sie größerer Gefahr auszusetzen.«

Duncan schob lachend seinen Stuhl zurück. »Ich wette, Lady Rosalyn würde das anders sehen, Connor. Hat sie dir nicht gesagt, dass sich mit ihrem Plan alles nach deinen Wünschen entwickeln würde?«

»Ja.« Connor hob den Kopf. »Und das bereitet mir Sorge. Es gibt keinen rechten Weg aus diesem Desaster. Das weißt du so gut wie ich.« Er beugte sich zu Duncan vor und zog eine Braue hoch. »Sie geht ein großes Risiko ein.«

Duncan nahm einen großen Schluck aus seinem Krug und zuckte mit den Schultern. »Sie wird ihre Gabe einsetzen. Genau wie ihre Mutter es getan hat und deren Mutter. Sie verleugnet nicht, wer sie ist.« Duncan trank wieder einen Schluck und lächelte. »Kein Grund, das gute Ale zu verschwenden.« Er stand auf, ging ans andere Ende des Tisches und legte Connor die Hand auf die Schulter, während er sich neben ihn setzte. »Sie weiß um die Gefahr, die es für sie bedeutet, wenn sie es tut – aber sie weiß auch um die Gefahr, die es für euch alle bedeutet, wenn sie es nicht tut. Du musst hier bei deiner Schwester bleiben, Jungchen.«

»Ich weiß. Es ist meine Pflicht, dafür zu sorgen, dass sie in Sicherheit und glücklich ist.«

Duncan senkte den Kopf und sagte leise: »Du weißt, dass es Männer gibt, die dir folgen würden. Männer, die für dich kämpfen würden, wenn du dich entschlössest, dich gegen deinen Onkel zu stellen, dich entschlössest, dir zu erobern, was dir rechtmäßig zusteht. Du hast sehr wohl eine Wahl.«

»Und wie viele würden dann ihr Leben lassen, Duncan? Wie viele Unschuldige würden auf dem Schlachtfeld bleiben? Wir haben das doch schon so oft besprochen. Ich bin nicht bereit, so viele meiner Leute zu opfern.« Er stöhnte gequält auf. »Es gibt nichts daran zu deuteln, Duncan. Ich habe meine Familie wieder enttäuscht. Rosalyn hatte recht. Wenn ich Mairi retten will, ohne meine Leute in den Tod zu schicken, bleibt mir nichts anderes übrig, als meine Tante durch die Anwendung ihres Zaubers in Gefahr zu bringen.« Resigniert seufzend schüttelte er den Kopf. »Rosalyn will heute Abend aufbrechen. Sie wird bald herunterkommen.«

»Sie ist schon heruntergekommen.«

Beim Klang der vom Eingang her ertönenden herrischen Stimme sprangen die Männer auf. Eine hochgewachsene, blonde Frau mit einer Haltung, die ihrem Ton entsprach, kam auf die beiden zu.

»Hör auf zu jammern, Connor. Wir haben das alles ausführlich erörtert. Du weißt, dass es keinen anderen Ausweg gibt. Ich verspreche dir – dies wird all deine Probleme lösen. Hast du das Geschenk?« Rosalyn MacKiernan lächelte ihren Neffen an, ignorierte seinen finsteren Ausdruck ebenso, wie Duncan es getan hatte. In der selbstverständlichen Erwartung, dass ihre Anordnung befolgt worden war, streckte sie die Hand aus.

»Ja.« Connor griff in seinen Sporran und reichte ihr einen kleinen Samtbeutel.

Rosalyn öffnete ihn und schüttete den Inhalt in ihre Hand. »Oh, sehr gut, Connor. Du hast genau das Stück gewählt, auf das ich gehofft hatte.« Freudestrahlend hob sie den Smaragdanhänger hoch. Die Facetten blitzten im Schein der Kerzen. »Ich weiß noch, wie Dougal diesen Schmuck deiner Mutter schenkte. Es war bei dem Abendessen, als die beiden bekanntgaben, dass sie heiraten würden.« Ein Schleier legte sich über ihre blauen Augen, als sie sich an den Moment erinnerte, doch gleich darauf kehrte sie in die Gegenwart zurück. »Oh. Das hätte ich ja fast vergessen.« Die Art, wie sie ihren Neffen jetzt anlächelte, beunruhigte ihn. »Ich brauche irgendetwas Kleines von dir, Connor. Etwas Persönliches.« Wieder streckte sie erwartungsvoll die Hand aus. Als sie seine Verwirrung sah, erklärte sie: »Ohne etwas von dir wirkt der Zauber nicht.« Sie blickte sich in der Großen Halle um. »Ich weiß – dein Plaid. Ein Stückchen von deinem Plaid wird den Zweck erfüllen.« Als er die Stirn runzelte, seufzte sie. »Also wirklich, Neffe, musst du denn aus allem einen Kampf machen?«

Connor schüttelte den Kopf. Er wusste, dass es ihm nichts nützen würde zu widersprechen. Also schnitt er ein Eckchen von seinem Plaid ab und reichte es Rosalyn. »Ich hoffe, das ist alles, was du von mir willst, Tante.«

»Ja, das ist es.«

Rosalyn schwieg, und Connor spürte, wie sich die Mächte des Schicksals um ihn sammelten.

»Nun ja – abgesehen von deiner Anwesenheit im Tal.« Sie schaute bemerkenswert unschuldig drein.

Duncan verschluckte sich an dem Ale, das er gerade getrunken hatte. »Im Feental?«, brachte er erstickt hervor. »Ich hätte mir denken sollen, dass Ihr dorthin wollt.« Er schaute Connor an. »Vielleicht hattest du ja doch recht, Jungchen. Ich gehe die Pferde holen.« Dann fiel ihm etwas ein. »Was sage ich den anderen, wohin wir reiten? Dein Onkel wird sie befragen, wenn wir fort sind.«

Connor überlegte nicht lange. »Sag ihnen, dass wir nach Cromarty wollen und in vierzehn Tagen zurückkommen.«

Obwohl fünfundzwanzig Jahre älter als Connor, stand Duncan MacAlister ihm näher als sonst ein Mann. Der ergraute Krieger hatte Connors Vater von Jugend an gedient. Nur Duncan verdiente das Vertrauen, das wahre Ziel dieser Reise zu erfahren.

Duncan nickte. »Lady Rosalyn«, er deutete eine Verbeugung an, »ich erwarte Euch draußen im Hof.«

»Ich nehme an, du willst zum Clootie Well.« Ärger blitzte aus Connors blauen Augen. Er schüttelte den Kopf. »Ich bin sicher, dass ich es bereuen werde«, murmelte er.

Rosalyn strahlte ihren Neffen an. »Mein Gepäck steht am Fuß der Treppe. Du kannst es hinausbringen und Duncan mit den Pferden helfen. Ich komme gleich.«

Lächelnd blickte sie ihm nach, als er zur Tür hinausstampfte. Wie ähnlich er seinem Vater war. Jeder ein gutaussehender, starker Mann, so wie ihr Vater einer gewesen war. Beide hatten feste Vorstellungen von Recht und Unrecht, von Ehre und Verantwortung für die Familie, beide richteten sich nach Maßstäben, die strenger waren als die, die sie bei anderen anlegten.

Diese hohen Ideale hatten ihrem älteren Bruder einen frühen Tod auf einem Schlachtfeld beschert. Sie würde alles tun, um zu verhindern, dass Connor das gleiche Schicksal ereilte. Sie wusste um die Opfer, die ihr Neffe schon für die Familie gebracht hatte, um die Bürde, die er trug, und sie liebte ihn dafür noch mehr. Doch dieses eine Mal sollte Connor bekommen, was er wollte.

Rosalyn steckte das Stückchen von seinem Plaid zu dem Smaragdschmuck in den Samtbeutel und zog die Bänder lächelnd zu. Sie hatte etwas ganz Besonderes vor mit diesem Stoff. Und mit ihrem Neffen.

Wenn sie das Feental erreichten, würde sie die Quelle der Kraft anzapfen und die Worte sprechen, die den Zauber innerhalb des Smaragds in Gang setzen und den Stein zu der Gesuchten führen würden.

2

Denver, Colorado
Gegenwart

Verdammt! Warum habe ich nicht irgendwas getan, irgendwas gesagt?« Caitlyn Coryell knallte die Tür zu und schleuderte den Schlüsselbund quer durchs Zimmer.

Das ist einfach toll. Jetzt führte sie schon Selbstgespräche. Wieder etwas, wofür Richard sie kritisieren würde. »›Was glaubst du eigentlich, wer du bist?‹ Ja, das hätte ich zu ihm sagen sollen.« Cate schüttelte den Kopf. »Oder was anderes. Irgendwas.« Stattdessen hatte sie sich von ihm wie ein kleines Kind zur Tür hinausschieben lassen. Als wäre nichts passiert.

Steifbeinig marschierte sie den Flur hinunter zum Schlafzimmer, kickte ihre Sandalen weg und ließ ihre Tüten und Pakete aufs Bett fallen. Dann ging sie ins Wohnzimmer zurück, sank aufs Sofa, zog die Knie an, schlang die Arme darum und legte den Kopf darauf.

Nach einer Weile richtete sie sich auf. »Ich bin ein so jämmerliches Etwas.« Vielleicht hat Richard recht. Hatte er das nicht immer? Vielleicht war es wirklich ihre Schuld. Wenn sie nur nicht so …

»Nicht so was?«, murmelte sie. Geistesabwesend drehte sie den Diamantring an ihrer linken Hand. »Nicht so ich wäre.« Sie seufzte tief. »Nicht so ängstlich.« Zu ängstlich und schwach, um die einfachste Entscheidung zu treffen.

Ich höre mich an wie ein weinerliches kleines Mädchen. Sie nahm das Telefon von der Station und wählte.

Es klingelte. Dreimal. Nimm ab. Jesse müsste doch jetzt auf seinem Zimmer sein. Es war ungefähr Mitternacht in Barcelona. Sie brauchte ihn. Sie hatte zu allen drei älteren Brüdern ein gutes Verhältnis, aber Jesse stand ihr am nächsten. Er war nicht nur ihr Bruder, er war ihr bester Freund.

Es gab keinen Grund für ihn, noch unterwegs zu sein. Sie hatten heute früh das Büro kontaktiert. Die Mission war ein Erfolg gewesen, die Geiseln befanden sich in Sicherheit. Das Team sollte längst im Hotel sein.

Das vierte Klingeln. Komm schon, Jess. Nimm ab. Nimm ab. Nimm ab. Cate stand auf, holte, das Telefon am Ohr, eine Schachtel Taschentücher aus dem Bad und klemmte sie unter den Arm. Die würde sie für den Tränenstrom brauchen, den sie für später plante.

Das fünfte Klingeln. »NIMM DEN VERDAMMTEN HÖRER AB!«, schrie Cate verzweifelt. In dem Moment klickte es am anderen Ende.

»He, was soll denn das Geschrei … bist du das, Cate? Ist was passiert?« Jesse kam offenbar aus dem Tiefschlaf.

»Tut mir leid, Jess. Ich war bloß ungeduldig. Es ist nichts passiert.« Außer du zählst, dass ich meinen Verlobten eine Woche vor der Hochzeit im Büro mit seiner Sekretärin auf dem Schreibtisch erwischt habe.

»Du holst mich mitten in der Nacht aus dem Bett … wie spät ist es überhaupt … um mir zu sagen, dass nichts passiert ist?« Jetzt klang er ärgerlich.

Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, ihn anzurufen, aber jetzt war es zu spät. »Richard hat gesagt … also, wir hatten eine Auseinandersetzung, und ich habe darüber nachgedacht, was Richard gesagt hat, und …« Ihre Stimme verlor sich, während die Erinnerung an die »Auseinandersetzung« wach wurde.

Sie hatte Richard in der Mittagspause mit einem Picknick überraschen wollen, da er ihr erklärt hatte, er sei zu beschäftigt, um sich mit ihr treffen zu können. Er war allerdings beschäftigt – und überrascht waren sie alle drei. Die Blondine auf dem Schreibtisch hatte einen schrillen Schrei ausgestoßen, und Cate hatte den Picknickkorb fallen lassen.

Jesses Stimme holte Cate in die Gegenwart zurück. »Red schon, Cate. Was hat er gesagt? Wenn du willst, setze ich mich in den nächsten Flieger, und dann nehme ich mir den Kerl vor, dass ihm Hören und Sehen vergeht.«

Zumindest war er jetzt hellwach.

»Nein, Jess, du weißt, dass ich das nicht will.« Nicht dass er es nicht könnte mit seinen schwarzen Gürteln in Gott weiß wie vielen Kampfsportarten.

Sie schloss die Augen und ließ den Film weiterlaufen.

Sie war rückwärts durch die Tür auf den Flur hinausgetreten, doch dort blieb sie wie angewurzelt stehen. Sie konnte einfach nicht glauben, dass ihr das passierte. Plötzlich war Richard da gewesen, hatte sie am Arm gepackt und ins Büro gezerrt, während die Blondine das Zimmer verließ. Die Person hatte nicht einmal den Anstand, verlegen auszusehen.

»Warum?«, hatte Cate sich fragen hören und sich für das Zittern in ihrer Stimme gehasst. »Warum hast du mir das angetan?«

»Ich habe dir nichts angetan, Caitlyn. Es hatte nichts zu bedeuten. Du weißt, unter welchem Stress ich der neuen Fälle wegen stehe, die ich übernommen habe. Wie oft habe ich dich gebeten, mit mir zu schlafen? Wenn du es getan hättest, wäre ich nicht gezwungen gewesen, mir anderswo Entspannung zu verschaffen.«

»Du gibst die Schuld an diesem …«, unfähig, in Worte zu fassen, was sie gesehen hatte, deutete sie auf den Schreibtisch, »diesem … Benehmen deiner Arbeit?«

Richard hatte sie zu dem großen Ledersofa geführt, höflich abgewartet, bis sie Platz genommen hatte, und sich dann auf die Armlehne gesetzt. Immer der perfekte Gentleman.

»Nein. Wenn jemand Schuld ist, dann bist es du. Ich bin ein Mann mit Bedürfnissen. Das habe ich dir erklärt.«

Cate schüttelte den Kopf, um die Erinnerung zu verbannen. Es wäre vielleicht besser, ihrem Bruder die Einzelheiten zu verschweigen. »Außerdem sagt Richard sowieso, dass ich Schuld bin.«

»Was für ein Scheißkerl. Du hast wirklich was Besseres verdient.« Zu diesem Schluss kam Jesse jedes Mal, wenn sie über Richard sprachen.

»Alles, was ich von dir will, ist eine ehrliche Antwort auf eine Frage. Versprichst du mir die?«

»Bei allem, was mir heilig ist, Caty Rose. Los, frag schon.«

»Richard sagt, ich sei nicht abenteuerlustig, ich wäre wie ein Zug, der jeden Tag dieselbe Strecke fährt, und wüsste gar nicht, was Leben wirklich ist.«

»Ich bin schuld?«, hatte sie Richard gefragt. »Wie kann ich daran schuld sein, dass du … dass du so was getan hast?«

Richard hatte sie mit dem hochmütigen Blick bedacht, den sie bei ihm in der Vergangenheit anderen gegenüber gesehen hatte – dem Ober, der zu lange brauchte, um den Wein zu bringen, oder dem Verkäufer, der nicht sofort sprang. »Du lebst am Leben vorbei. Das Einzige, wofür du Begeisterung zeigst, ist Coryell Enterprises. Ich muss ständig zurückstehen hinter der Firma deines Daddys und deiner Arbeit dort.«

»Was mein Vater und meine Brüder tun, ist wichtig. Sie riskieren ihr Leben, um Leute zu retten.«

»Ich sage nicht, dass es nicht wichtig ist, Caitlyn. Ich sage, dass du mich behandelst, als sei es dir wichtiger als ich. Du erlebst keine eigenen Abenteuer. Du verbringst zehn bis zwölf Stunden täglich mit der Leitung dieses Büros und koordinierst die Abenteuer anderer. Du verhandelst mit einigen der mächtigsten Menschen der Welt, aber sieh dich an – wie ein Zug, der täglich dieselbe Strecke fährt. Du machst dich nicht einmal zurecht, wenn ich dich nicht daran erinnere. Was soll ich davon halten? Wie kann ich eine politische Karriere anstreben ohne eine Frau an meiner Seite, die mich in jeder Hinsicht unterstützt? Eine Frau, die sich für meine Karriere aufopfert?«

Es tat ihr weh, dass er ihr ihre Leidenschaft für ihre Arbeit vorhielt, denn die war das Einzige, was sie ihrer Meinung nach wirklich gut konnte. »Es stimmt nicht, dass ich nicht abenteuerlustig bin«, begehrte sie auf.

Sein spöttisches Lachen war wie ein Schlag ins Gesicht. »Ach ja? Dann beweise es. Wenn du auch nur einen Funken Abenteuerlust in dir hast, dann schläfst du jetzt und hier mit mir.« Er war aufgestanden und hatte seine Krawatte zurechtgerückt. »Aber du wirst es nicht tun, stimmt’s? Das ist zu weit außerhalb der Norm für Caitlyn Coryell.«

Sie war schuld. Er hatte gesagt, es sei allein ihre Schuld.

»Glaubst du, er könnte recht haben?« Sie hasste den jämmerlichen, flehenden Klang ihrer Stimme.

Nach einer langen Pause sagte Jesse: »Okay, in Ordnung. Du weißt, dass ich Richard nicht mag. Ich habe ihn nie gemocht. Wie oft habe ich dir gesagt, dass er nicht der Richtige für dich ist? Du willst Ehrlichkeit – hier hast du sie. Nein, Schätzchen, du bist nicht abenteuerlustig. Nicht mehr. Dein letztes Abenteuer endete damit, dass du kopfüber von einem Pferd flogst.«

Sie schauderte in Erinnerung an die schmerzhafte Landung. Es war so aufregend gewesen, sich zu einem Ausritt auf Vaters Pferd davonzustehlen – zumindest die ersten paar Minuten. Wie hieß es doch gleich in dem Sprichwort: Übermut tut selten gut. Sie hatte Wochen gebraucht, um sich von dem Sturz zu erholen.

»Aber viel bedenklicher ist, wie du dich verändert hast, seit du Richard kennst, Caty. Du bist so bemüht, genauso zu sein, wie er dich haben will, dass du mir wie ein Roboter vorkommst. Du solltest dich reden hören. Es gibt kaum einen Satz von dir ohne ›Richard sagt‹.«

Jesse war in Fahrt gekommen. »Du trägst dein Haar, wie Richard es will, du besuchst die gesellschaftlichen Veranstaltungen, die ihm wichtig sind, du hungerst dich fast zu Tode, weil Richard nur Superschlanke mag, du kleidest dich nach seinem Geschmack. Du wirst nicht mal Grandmas Hochzeitskleid tragen, verdammt, und wir wissen beide, dass du dein Leben lang davon geträumt hast, darin zu heiraten.«

»Richard sagte, dass er nur mein Bestes wolle, dass er mich liebe.« Sie merkte kaum, dass sie in der Vergangenheitsform von ihm gesprochen hatte.

»Es tut mir sehr leid, dass ausgerechnet ich es bin, der dir das sagt, aber es muss endlich gesagt werden: Richard liebt dich nicht. Wenn er es täte, würde er nicht versuchen, dich umzumodeln. So wie du bist, bist du genau richtig. Richard liebt nur Richard. Und das Coryell-Vermögen. Und die Möglichkeit, über Coryell Enterprises nützliche Kontakte zu knüpfen. Er ist ein Mistkerl, Caty, und du solltest ihn schleunigst ablegen wie eine schlechte Angewohnheit.« Jesse hielt inne, um Luft zu holen.

»Er ist nur ein ehrgeiziger Anwalt«, verteidigte sie Richard, doch es geschah automatisch, nicht aus dem Bedürfnis heraus, den über alles geliebten Mann zu verteidigen.

»Anwalt oder nicht – er ist ein Mistkerl. Und weißt du was, Caty? Ich glaube, du liebst ihn auch nicht. Ich habe dich kein einziges Mal wirklich glücklich erlebt, seit du eingewilligt hast, den Kerl zu heiraten. Ich glaube, du willst einfach nur verliebt sein, weil du denkst, dass es an der Zeit dafür ist. Aber Liebe kommt nicht auf Bestellung. Sie schleicht sich ein, wenn man am wenigsten damit rechnet. Du kannst sie nicht in deinem Terminkalender notieren. Du kannst sie nicht erzwingen. Du musst dir vor dieser Hochzeit nächste Woche ein paar ziemlich ernste Fragen stellen und sie aufrichtig beantworten.«

»Okay, das reicht. Danke für deine Ehrlichkeit. Ich weiß, dass du mich nicht verstehen kannst.« Wie sollte er auch? Sie verstand ja selbst nicht, weshalb sie eingewilligt hatte, Richard zu heiraten. Oder weshalb sie ihn noch immer heiraten wollte. »Wie ist es – werdet ihr es rechtzeitig zur Hochzeit schaffen?«, wechselte sie das Thema.

Jesse seufzte tief. »Du willst sie also wirklich durchziehen?«

Diese Frage beschäftigte Caitlyn seit Stunden.

Nachdem sie sich von Richard angehört hatte, dass alles ihre Schuld sei, aber dass er ihr vergebe, dass er sie liebe und sie den Zwischenfall vergessen müssten, war sie wortlos von seinem Sofa aufgestanden, hatte wie betäubt das Büro durchquert, vorbei an dem Picknickkorb, und die Tür geöffnet.

»Denk an das Essen heute Abend«, mahnte er. Sie drehte sich um und sah ihn auf sich zukommen. »Es werden ein paar sehr wichtige Leute da sein, Caitlyn. Versuche, fertig zu sein, wenn ich dich abhole – ich will sie nicht warten lassen. Ach, und Caitlyn – steck die Haare hoch. Damit siehst du vornehmer aus.« Als wäre nichts geschehen, verabschiedete er sie mit einem Kuss auf die Stirn, schob sie auf den Gang hinaus und schloss die Tür hinter ihr.

Wollte sie die Hochzeit wirklich durchziehen? Noch immer vor einer Entscheidung zurückscheuend, gab sie das Erste, was ihr einfiel, zur Antwort. »Ich habe heute das letzte Stück, das der Brauch erfordert, erstanden. Ich war in diesem kleinen Antiquitätenladen in Lower Downtown, und dort habe ich ›etwas Altes‹ zum Tragen gefunden. Es ist ein wunderschöner Anhänger. Der Stein sieht aus wie ein Smaragd, aber dafür war er zu billig, ich habe nämlich nur zehn Dollar für Anhänger und Kette bezahlt.« Cate zwang sich zu einem munteren Ton. »Oh, du lieber Gott, es ist ja gleich halb sechs! Wir müssen aufhören – ich muss mich für heute Abend stylen.«

Der Seniorpartner der Kanzlei gab anlässlich der bevorstehenden Hochzeit ein Dinner. Wenn sie, Caitlyn, nicht rechtzeitig fertig wäre, würde Richard ihr eine Szene machen.

»Okay, aber ich lege erst auf, wenn du mir versprichst, dass du dir die Sache sorgfältig überlegst. Es ist noch nicht zu spät, deine Meinung zu ändern. Also – versprichst du’s mir?«

Als könnte ich an etwas anderes denken!

»Ist ja gut – ich verspreche es. Mach dir keine Sorgen um mich, Jesse. Ich hab dich lieb. Grüß Dad und die Jungs.«

»Ich hab dich auch lieb, kleine Schwester. Mach dir klar, was du wirklich willst. Dass Mom und Granny in deinem Alter verheiratet waren, bedeutet nicht, dass du jetzt heiraten musst.« Bevor sie protestieren konnte, fuhr er fort: »Wir müssen hier noch ein paar Dinge erledigen, aber das sollte in wenigen Tagen geschafft sein. Wenn ich wieder zu Hause bin, werden wir dieses Gespräch fortsetzen, ob du willst oder nicht.« Damit legte er auf, ehe sie etwas dagegen sagen konnte.

Sie stellte die Schachtel mit den Zellstofftüchern auf den Tisch – im Moment hatte sie keine Zeit für Tränen – und ging in Gedanken versunken ins Bad.

 

Warum konnte sie sich nicht entscheiden?

Beruflich handelte Cate tagtäglich Verträge aus, konferierte mit Klienten der Firma ihres Vaters und sammelte sensible Hintergrundinformationen für Verhandlungen oder Geiselrettungen. Sie handelte sogar die geschäftliche Seite von Coryell Enterprises, wann immer Regierungsstellen sie für zivile Geheimoperationen unter Vertrag nahmen. Wie konnte sie in diesem Fall so schwach und unentschlossen sein?

»Weil es eine Privatangelegenheit ist.«

Nachdem sie eine halbe Stunde unter der Dusche verbracht und zu ergründen versucht hatte, was mit ihr los war, stand Cate, in ein Badetuch gewickelt, vor dem Schlafzimmerspiegel und begutachtete sich.

»Für einen Modeljob würde es nicht reichen, aber hässlich bin ich nicht. Außerdem bin ich intelligent. Ich leiste gute Arbeit. Ich bin nicht gemein, und ich rieche nicht schlecht.« Cate lächelte ihr Spiegelbild schief an. »Aber ich bin vielleicht nicht ganz bei Trost, denn ich führe schon wieder Selbstgespräche. Vielleicht habe ich ja einen Nervenzusammenbruch.«

Ein Gedanke schoss ihr durch den Kopf. Liebe ich Richard denn genug, um seinetwegen einen Nervenzusammenbruch zu erleiden? Nein.

Ein kleines Wort, dieses Nein, aber eines mit großer Wirkung. Es versetzte sie in die Lage, plötzlich klar zu sehen. Nein, sie liebte Richard nicht so sehr. Im Moment mochte sie ihn nicht einmal. Vielleicht war es ihr deshalb immer so leichtgefallen, ihm zu sagen, dass sie vor der Hochzeit nicht mit ihm schlafen würde. Jesse hatte recht. Richard war ein Mistkerl. Aber sie konnte ihm nicht die alleinige Schuld geben. Sie hatte alles ignoriert, was sie an ihm störte, weil sie glaubte, sie müsste endlich verliebt sein. Und Richard war ihr als perfekter Kandidat erschienen. Er war groß und durchtrainiert, blond, intelligent und sah ungewöhnlich gut aus. Er hielt ihr die Tür auf, ging Hand in Hand mit ihr, begleitete sie, wohin immer sie wollte. Er war aufmerksam und liebevoll. Er war stets Herr der Lage und wirkte wie ein Magnet auf andere Menschen. Er war immer beherrscht und souverän. Er war nicht nur alles, was sie sich von einem Mann wünschen konnte – er war alles, was sie selbst sein wollte. Und er hatte sie geliebt.

Nein. Er hatte sie benutzt. Er hatte sie nie geliebt. Er hatte es genossen, durch sie all die wichtigen Leute kennenzulernen, die für sie nichts Besonderes waren, da sie dank der Firma ihres Vaters immer Teil ihres Lebens gewesen waren. All diese mächtigen, berühmten Menschen, die für einen ehrgeizigen Anwalt mit politischen Ambitionen von großer Bedeutung waren. Und alle hatten zugesehen, wie er sie zum Narren hielt – nein, wie sie sich selbst zum Narren machte.

Cates Knie gaben nach, und sie sank auf das Fußende des Bettes. Richard mochte sie benutzt haben, aber sie hatte ihn ebenfalls benutzt. Sie hatte sich verlieben wollen, und als er ihr begegnete, hatte sie sich eingeredet, dass es passiert war. Sie hatte ihn genauso wenig geliebt wie er sie. Ein ganzes Jahr lang hatte sie sich etwas vorgemacht.

»Dafür, dass du beinahe ein Genie bist, bist du ziemlich dämlich, Cate Coryell. Du hattest zwar den Unterrichtsstoff so schnell intus, dass du ein paar Klassen überspringen konntest, aber was das Leben angeht, hast du nichts kapiert.«

Sie würde ihre Haare nicht glätten, sich nicht schminken und nicht groß anziehen müssen, denn sie würde Richard heute Abend nicht zu dem Dinner begleiten.

Und sie würde ihn nicht heiraten.

Sie stand auf und ging in die Küche. In dem geschlossenen Fach über dem Kühlschrank stand eine Flasche, die ihr Bruder Cody ihr vor drei Jahren zum Einundzwanzigsten mit der Ermahnung geschenkt hatte, den Inhalt mit Vorsicht zu genießen. Da sie keinen Alkohol trank, hatte sie noch nie davon gekostet, doch sie fand, dass sie sich zur Feier ihrer Freiheitserklärung einen Schluck verdient hatte.

»›An dram buidheach‹«, las sie laut, was auf dem rückwärtigen Etikett stand. »›Der Drink, der Zufriedenheit schenkt.‹ Genau, was ich jetzt brauche. ›Hergestellt in Schottland‹.«

Seit dem College und dem Besuch des Kurses »Geschichte des Mittelalters« hatte sie nach Schottland reisen wollen, in dieses Land mit der tragischen, turbulenten und gleichzeitig so romantischen Vergangenheit. Sie hatte die Stunden genossen, die Geschichte aufgesaugt wie ein Schwamm.

Cate hatte Richard sogar vorgeschlagen, die Flitterwochen in Schottland zu verbringen, aber er war auf Belize fixiert, wo der Seniorpartner der Kanzlei mit Vorliebe Urlaub machte.

Nun, das ist jetzt kein Problem mehr.

Cate öffnete die Flasche, goss etwas von der goldklaren Flüssigkeit in eines ihrer hübschen Weingläser, klemmte sich die Flasche unter den Arm und kehrte ins Schlafzimmer zurück.

»Es ist an der Zeit, hier einiges auszusortieren.«

Sie trank einen Schluck, rang nach Luft und hustete. Cody hatte recht gehabt – das Zeug war wirklich mit Vorsicht zu genießen.

Sie trat in den begehbaren Kleiderschrank, stieg über eine umgefallene Holzkiste und holte von dem Bord über der Kleiderstange eine mit einem smaragdgrünen Band verschnürte Schachtel herunter. Vorsichtig, als wäre der Inhalt zerbrechlich, stellte sie sie aufs Bett, öffnete sie und hob die alte, elfenbeinfarbene Spitzenrobe heraus, die ihre Großmutter und später ihre Mutter bei ihrer Hochzeit getragen hatten. Und sie, Cate, hätte beinahe Richard zuliebe darauf verzichtet, sie zu tragen!

Nie wieder würde sie auch nur darüber nachdenken, einen ihrer Träume zu opfern! Nie wieder würde sie auch nur darüber nachdenken, weniger als das Optimale zu akzeptieren. Und wenn sich herausstellen sollte, dass sie zu den Frauen gehörte, für die es den einen Einzigen nicht gab? Dann sollte es eben so sein. Allein wäre sie auf jeden Fall besser dran als aus den falschen Gründen mit dem falschen Mann zusammen.

Mit energischen Schritten kehrte sie in die Schrankkammer zurück, holte einen Kleidersack heraus, öffnete ihn und warf den weißen, rüschenbesetzten Inhalt auf den Boden.

»Was für ein scheußliches Ding!« Sie schüttelte sich. »Und das hätte ich mir um ein Haar von Richard aufzwingen lassen!« Sie hatte drei Monate warten müssen, bis der Designer Zeit für eine Anprobe fand. Das Kleid war sündteuer gewesen, aber sie hatte es selbst bezahlt, also konnte sie damit auch machen, was sie wollte.

Sicherlich würde sich bald wieder eine der Wohltätigkeitsorganisationen bei ihr melden, die für ihre Secondhandläden sammelten. Diesmal hätte sie etwas nie Getragenes abzugeben.

Sie belohnte sich für diese weitere Entscheidung mit einem weiteren Schluck Drambuie. Glühend rann der Whisky-Likör durch ihre Kehle.

Als Nächstes war die Durchsicht der Garderobe an der Reihe, die sie für die Flitterwochen gekauft hatte. Cate ließ das Badetuch fallen, zog die weiße Spitzenunterwäsche an und betrachtete sich im Spiegel. Normalerweise bevorzugte sie Schlichtes, Praktisches, aber dieses Set war so hübsch, dass sie beschloss, es zu behalten. Mit einem dritten Schluck besiegelte sie die Entscheidung.

Dann nahm sie den Handtuchturban ab, schüttelte ihre noch feuchten, kastanienbraunen Haare aus und schnürte sie mit dem Band von der Hochzeitskleidschachtel ihrer Großmutter zum Pferdeschwanz. Danach schlüpfte sie in den smaragdgrünen Pyjama, der ihr an der Puppe so sexy erschienen war. Der elastische Bund hing auf der Hüfte, das Trägertop reichte kaum bis zur Taille. Sie hatte lange nach einem so geschnittenen Modell gesucht, das ihr passte. Gewöhnlich war mit ihren nicht einmal Einssechzig alles zu lang für sie.

Richards Meinung nach sollte sie noch zehn Pfund abnehmen, aber vielleicht würde er nicht mehr darauf bestehen, wenn er sie so sähe. Nicht, dass es dazu kommen würde. Noch ein kleiner Schluck. Dieser fühlte sich schon richtig gut an.

Cate wandte sich ihrem Frisiertisch zu und suchte aus der Schmuckschatulle die Diamantohrringe heraus, die ihr Vater ihr zum Collegeabschluss geschenkt hatte. Normalerweise trug sie nur ihre schlichten, silbernen Kreolen, aber zu einer Hochzeit wären Diamanten angemessen. Wenn eine Hochzeit stattfände. Was nicht der Fall ist. Cate hatte Schwierigkeiten, die Ohrstecker zu befestigen – die Finger gehorchten ihr nicht richtig. Und auch ihr Gleichgewichtssinn war leicht gestört.

Ihr Blick fiel auf den schmalen Bandring, den ihre Großmutter ihr zu einem Geburtstag geschenkt hatte. Der Smaragd war ihrer beider Glücksstein. Cate steckte ihn an den rechten Ringfinger, leerte ihr Glas und schenkte sich nach.

Dann griff sie nach der langärmeligen, seidenen Stehkragenjacke im Asia-Look, die das Pyjama-Ensemble komplettierte, hielt jedoch in der Bewegung inne, als ihr Blick auf die kleine Tüte fiel, die sie gleich nach dem Heimkommen mit den übrigen Einkäufen aufs Bett hatte fallen lassen. Sie enthielt ihren kleinen Schatz, die Kette mit dem Anhänger, die sie entdeckt hatte, bevor sie zu Richard gegangen war.

Nein, nicht noch einmal an diese Szene denken.

Stattdessen würde sie die Kette anprobieren, um zu sehen, ob sie an ihr genauso gut aussah wie auf dem Samtkissen in dem Laden.

Cate hielt die Kette hoch und bewunderte das Feuer des kunstvoll geschliffenen Smaragds. Natürlich war es kein echter, denn dann hätte sie ihn nie für zehn Dollar bekommen. Aber die Fassung und die Kette sahen antik aus. Vielleicht hatte der Ladenbesitzer ja nicht gewusst, was für einen Schatz er ihr da verkaufte, und sie hatte das Schnäppchen ihres Lebens gemacht. Wie auch immer – der Schmuck war auf jeden Fall »etwas Altes« für ihre Hochzeit. Wenn ich heiraten würde. Was sie unter diesen Umständen natürlich nicht tat.

Cate legte die Kette an und trat einen Schritt zurück, um sich im Spiegel zu betrachten.

»Nicht schlecht.«

Der Anhänger fühlte sich seltsam warm an auf der Haut und verursachte Cate ein Kribbeln, das bis zu ihrem Hals und ihren Schultern ausstrahlte. Oder lag das am Alkohol?

Sie zog das Band aus dem Haar, gab ihre ungebärdigen Naturlocken frei und hob ihr Glas.

»Auf dein Wohl, Richard. Sieh dir an, was du beinahe …« Sie brach ab, als hinter ihrem Spiegelbild plötzlich ein seltsamer, grüner Schimmer sichtbar wurde.

»Was zum …?« Sie fuhr herum. Mitten in ihrem Schlafzimmer entstand ein pulsierendes, stetig größer werdendes kugelartiges Gebilde aus smaragdgrünem Licht. Noch verblüffender war der sich darin materialisierende Mann.

War sie betrunken?

Oder war das der Nervenzusammenbruch, den sie vorhin bereits in Erwägung gezogen hatte? Bilden Betrunkene mit einem Nervenzusammenbruch sich ein, dass unglaublich attraktive Männer in ihrem Schlafzimmer auftauchen?

»Oh, mein Gott. Was tun Sie in meinem … wer sind … wie kommen Sie hier rein?« Cate stellte ihr Glas auf den Frisiertisch, packte den davorstehenden Stuhl und hielt ihn schützend vor sich. Das zierliche Sitzmöbel könnte einen Hünen wie diesen zwar nicht aufhalten, aber sie fühlte sich trotzdem irgendwie sicherer.

Er richtete sich zu seiner vollen, imponierenden Größe auf und starrte Cate eine Weile schweigend an. Schließlich räusperte er sich und sagte: »Mein Name ist Connor MacKiernan. Ich bin durch die Zeit zu Euch gereist, weil nur Ihr mir helfen könnt, Milady.«

Auch seine Stimme war atemberaubend.

Cate schüttelte den Kopf, um die Halluzination zu vertreiben. Es nützte nichts. »Aha«, brachte sie mühsam hervor. »Durch die Zeit.« Mein Gott, was für ein schöner Mann. Und dieser Tonfall …

Ein wie ein schottischer Krieger aus alter Zeit gekleideter Mann stand mit gespreizten Beinen und in die Seite gestemmten Armen in einer Sphäre von smaragdgrünem Licht in ihrem Schlafzimmer! Sie musste verrückt sein.

Connor neigte leicht den Kopf zur Seite und zog fragend eine Braue hoch. »Ich bin es nicht gewohnt zu betteln, aber wenn Ihr es verlangt, werde ich es tun. Die Zeit drängt.«

»Ja, wunderbar. Hier steht Braveheart in meinem Schlafzimmer und hat’s eilig. Was wollen Sie – wollt Ihr von mir? Warum kann nur ich Euch helfen? Und wobei?« Auch Cate stemmte die Arme in die Seite. Hatte nicht irgendjemand gesagt, man sollte in einer Situation wie dieser in die Offensive gehen? Fast hätte sie laut aufgelacht, als ihr klarwurde, dass sehr wahrscheinlich noch nie jemand in einer Situation wie dieser gewesen war.

Ihre Haltung und ihr Ton missfielen ihm sichtlich, und es war vielleicht keine gute Idee, ihn zu verärgern. Er sah bärenstark aus. Bärenstark und umwerfend.

War das ein Messer, was da aus seinem Stiefel lugte?

»Ich kann mich nicht mit langen Erklärungen aufhalten, Frau. Begnügt Euch damit, dass es wichtig ist und wir nur wenig Zeit haben.« Er war zusehends lauter geworden, und seine Stimme hallte von den Wänden wider.

Cate, die ihn noch immer mit großen Augen anstarrte, erwiderte: »Tut mir leid. Entschuldigung. Ich bin es nur nicht gewöhnt, dass aus dem Nichts fremde Männer – genau gesagt, bewaffnete fremde Männer – in meinem Schlafzimmer erscheinen.« Sie warf einen vielsagenden Blick auf seine Wade.

Es war eindeutig ein Messer, was da aus seinem Stiefel lugte.