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Nr. 2863

 

Die Finale Stadt: Unten

 

Atlan in der ersten Facette – er begegnet dem Sediment Hoffnung

 

Michael Marcus Thurner

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

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Auf der Erde schreibt man das Jahr 1518 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Die Menschen haben mit der Liga Freier Terraner ein großes Sternenreich in der Milchstraße errichtet; sie leben in Frieden mit den meisten bekannten Zivilisationen.

Doch wirklich frei ist niemand. Die Milchstraße wird vom Atopischen Tribunal kontrolliert. Dessen Vertreter behaupten, nur seine Herrschaft verhindere den Untergang – den Weltenbrand – der gesamten Galaxis.

Perry Rhodan ist von einer Expedition in vergangene Zeiten in die Gegenwart zurückgekehrt. Diese wird nicht nur durch die Atopen bedroht, sondern auch durch die brutalen Tiuphoren, die durch einen Zeitriss aus tiefster Vergangenheit zurückgekehrt sind. Immerhin scheint mit dem ParaFrakt eine Abwehrwaffe gefunden zu sein.

Indessen hat sich der Arkonide Atlan ins vermutete Herz der Atopischen Macht begeben – die Ländereien jenseits der Zeit, über die Thez regiert. Mit Thez selbst oder einem seiner Vögte zu sprechen und dadurch die Milchstraße von der Atopischen Ordo zu befreien, ist Atlans Ziel. Sein Weg führt in DIE FINALE STADT: UNTEN ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Atlan – Der Arkonide setzt seinen Fuß in die Finale Stadt.

Lua Virtanen – Die »Tochter des ANC« kann ihre Fähigkeiten einsetzen.

Vogel Ziellos – Der Vogeljunge begegnet Lichtgestalten.

Der Bruderteil – Eine Legende nimmt Gestalt an.

Pashnard – Ein Caräer verschreibt sich der Hoffnung des Unten.

Litanei der Finalen Stadt: Unten

(Faszikel Eins)

 

Die Letzte Stadt ist auch

die Stadt der Letzten.

Hier wohne ich;

es gibt kein anderswo.

 

 

1.

Atlan

 

Der Sturz nahm keinen Anfang und fand kein Ende. Es gab kaum Orientierungspunkte. Kein Unten, kein Oben. Manchmal meinte ich, kopfüber zu fallen, dann wieder fühlte ich den vagen Zug von Schwerkraft an meinen Beinen.

Ich würde es Leichtkraft nennen angesichts der geringen Wirkung, meinte der Extrasinn.

»Was nimmst du wahr?«, fragte ich mit lauter Stimme, bloß, um sie wieder mal zu hören.

Dasselbe wie du, Narr!

»Ich könnte einer Sinnestäuschung unterliegen, die du durchschaust.«

Meine Wahrnehmungen sind dieselben wie deine.

Der Extrasinn zog sich tiefer in mein gedankliches Innerstes zurück, ich war erneut mir selbst und dem endlosen Sturz überlassen.

Ich schloss die Augen und öffnete sie nach einigen Sekunden wieder. Um neu zu fokussieren, um mir meiner Situation bewusst zu werden.

Ich trieb durch den Expander, jenes von Matan Addaru installierte Fernverkehrssystem, das der Atopische Richter oder seine Bälge zur Überwindung großer Distanzen im Inneren der Veste Tau verwendeten.

Ich war von einem Graublau umgeben, das der Röhre des Expanders eine Räumlichkeit gab. Im Dahinter war nichts. Wortwörtlich. Dort drohte die völlige Leere.

Ab und zu nahm ich meine beiden Begleiter wahr, Lua Virtanen und Vogel Ziellos. Sie trudelten ebenso wie ich durch die Röhre, mit weit ausgestreckten Armen, als suchten sie Halt.

Funkverbindung kam keine zustande, meine Zurufe brachten ebenfalls keine Reaktionen. Nur einmal hob Vogel Ziellos einen Arm und winkte in meine Richtung, doch dies mochte Zufall sein.

Ich näherte mich der graublauen Innenwand, um mich rasch wieder zu entfernen und dann noch näher an die vermeintliche Hülle heranzugeraten.

Ich sah Blitze. Leuchterscheinungen, die sich in meine Netzhaut brannten und sonderbare Eindrücke hinterließen. Solche, die nicht mit meinen Empfindungen übereinstimmten.

Ich meinte, einer Vision ausgesetzt zu sein. Ich fühlte abgrundtief Fremdes. Gefahr. Ein katastrophales Ende des Sturzes. Etwas, das in weiterer Folge das Schicksal der Milchstraßenvölker besiegelte. Scheiterte ich, scheiterte Perry Rhodan, scheiterte das Galaktikum.

Der Raumzeitexpander beförderte mich aus dem Haus Addaru in Richtung Atopischer Hof. Das war, was mir in aller Klarheit bewusst war. Darüber hinaus vermochte ich kaum zu sagen, was ich hier zu tun und zu suchen hatte und warum ich so endlos lange in dieses leere Nirgendwo stürzte.

Der Schacht ähnelt der n-dimensionalen Laterale, meldete sich der Extrasinn zu Wort. Jenem System, das beim Rücktransport von Luna aus dem Neuroversum auf den Mond zugegriffen hat. Das ist ganz gewiss kein Zufall. Das Haus Addaru ist nun mal mit dem Mond identisch und nur durch die Zeit getrennt.

Ich ließ den Gedanken sacken. Ich hatte die Rückversetzung des Erdenmondes nicht leibhaftig erlebt. Ich kannte bloß Schilderungen des Vorgangs. Der Extrasinn hatte diese Informationen verdichtet und verarbeitet und einen Extrakt daraus gebildet. Um nun zu vergleichen und mir Zusammenhänge bewusst zu machen, die mir sonst verborgen geblieben wären.

»Danke«, sagte ich, eine – gedachte – Antwort blieb aus.

Mein Fall setzte sich fort, diesmal kopfüber. Die Entladungsblitze der Wandungen zogen an mir vorbei, mal langsamer und mal rascher. Für kurze Zeit sah ich Lua Virtanen in meiner unmittelbaren Umgebung. Sie war in ihren Schutzanzug gepackt. Die weit aufgerissenen Augen starrten mich ängstlich an. Sie öffnete den Mund weit, und ich ahnte, dass sie meinen Namen rief. Bevor ich verstehen konnte, was sie mir sagen wollte, drehte sich ihr Körper von mir weg, von äußeren Umständen erzwungen.

Sie fiel langsamer als ich. Ich folgte ihren drehenden Bewegungen mit Blicken – und erkannte in unmittelbarer Umgebung einen weiteren Körper auftauchen. Winzig zwar, doch es konnte sich bloß um Vogel Ziellos handeln, meinen anderen Begleiter.

Die beiden führten einen sonderbaren, sinnentrückten Tanz auf. Sie benahmen sich wie zwei balzende Auerhähne, umkreisten einander, schnappten nach Armen und Beinen des jeweils anderen und breiteten ihre eigenen Glieder weit aus. Als könnten sie mithilfe ihrer Bewegungen aufeinander zusteuern.

Ich verlor sie ein weiteres Mal aus den Augen, meine Wahrnehmungen kehrten sich ein weiteres Mal um. Ich stürzte mit den Füßen voran.

Der Atopische Hof ...

Ich dachte an das Ziel meiner Reise. An all die Mühen, die ich auf mich genommen hatte, um in dieses wundersame Land – oder Nicht-Land? – vorzudringen.

Ich war jahrhundertelang durch die Synchronie unterwegs gewesen, hatte nach unendlichen Mühen den Ringplaneten Andrabasch erreicht, war mithilfe des KATAPULTS in die Transgressionszone des Limbus versetzt worden, in das Sturmland, das auch ein anderes sein könnte – gelegen vor den Jenzeitigen Landen –, und hatte mein eigentliches Ziel nach weiteren Schwierigkeiten und Opfern erreicht.

Nun fiel ich dem Endpunkt meiner Reise entgegen. Ich wollte einem leibhaftigen Atopen gegenübertreten. Ich hatte vor, so viel wie möglich über ihn und seinesgleichen zu erfahren. Ich wollte ihn dazu bringen, die Milchstraße, die in den Jenzeitigen Landen GA-yomaad hieß, in Ruhe zu lassen.

Heerscharen von Helfern des Atopischen Tribunals nahmen sich das Recht heraus, über das Schicksal der Völker unserer Sterneninsel zu bestimmen. Uns Vorschriften zu machen. Uns in fremde Systeme und Mechanismen zu zwingen.

Meine Augen tränten, ein Gebläse meines Schutzanzugs fächelte das Salzsekret beiseite und bespritzte mein Gesicht mit ein wenig Wasser.

Etwas huschte an mir vorbei. Nein, zwei Etwasse! Lua und Vogel hatten tatsächlich zueinandergefunden. Sie hielten sich wie Formations-Fallschirmspringer fest an den Händen. Sie trudelten und überschlugen sich mehrmals, ohne einander loszulassen.

Ich meinte, ihre Stimmen im sonst toten Funkempfänger zu hören, doch ich mochte mich täuschen. Das Gerät sprach bereits seit Beginn unseres Sturzes nicht an, so wenig wie die Flugaggregate.

Unvermittelt fanden die beiden zu einem ruhigeren Flug und schwebten etwa dreißig Meter unter mir. Sie wandten sich zu mir hoch, die beiden Gesichter waren als winzige Flecken zu erkennen.

Sie nutzen ihre Fähigkeiten als Geniferen, mutmaßte der Extrasinn. Sie verwenden Techniken zur Stabilisierung ihres Flugs, die du nicht anwenden kannst. Sie ertasten hyperenergetisches ... hm ... Material und nutzen es zu ihren Gunsten.

»Alles schön und gut – aber was möchten sie mir sagen?«

Du sollst ihre Bewegungen imitieren, damit sie zu dir aufschließen können.

Ich beobachtete die beiden Jugendlichen für eine Weile. Ja, der Extrasinn hatte recht. Lua und Vogel deuteten mir mit je einer freien Hand, was ich zu tun und zu lassen hatte. Es waren immer wieder dieselben Bewegungsabläufe, die an Brustschwimmen gemahnten.

Vorsichtig streckte ich die Arme aus und teilte virtuelle Wogen vor mir, drückte sie beiseite, zog meine Hände nahe zur Brust. So etwas wie ein Widerstand war unvermittelt zu spüren. Er fühlte sich unruhig an, wie der reißenden Wassers.

Du musst ruhige und gleichmäßige Tempi machen!, mahnte mich der Extrasinn. So, wie es dich dein Vater gelehrt hat.

Vater ... Ich hatte nicht viele kindhafte Erinnerungen an ihn. Diese eine, da wir beide lachend und prustend in einem ruhigen Seitenarm des Kogruk-Flusses herumgetollt hatten und er mir auf spielerische Art und Weise das Schwimmen beigebracht hatte, war eine der prägendsten.

Ich kehrte mit den Gedanken in die Gegenwart zurück. Schleier wickelte sich fester um meinen Oberkörper. Schleier, der Balg des Atopen Matan, den ich seit geraumer Zeit mit mir trug. Das Schein-Lebewesen behinderte mich in meiner Bewegungsfreiheit.

Ich kämpfte gegen seinen Widerstand und schaffte es, mehrere Tempi ruhig und gleichmäßig auszuführen. Lua gab mir ein Zeichen, dass ich das Richtige tat, während Vogel mir zeigte, was ich mit den Beinen tun sollte.

Ich verstand nicht, wie und weshalb all diese Bewegungen wirken konnten. Dennoch halfen sie mir. Mein Sturz fühlte sich ruhiger und ausgeglichener an, ich blieb stets in derselben Position und hatte nicht mehr mit Desorientierung oder Übelkeit zu kämpfen.

Ich wusste, dass ich die beiden Geniferen erreichen musste. Sie waren der Ausweg aus diesem endlosen Sturz. Sie erfühlten dieses Medium mit ihren speziellen Sinnen und erkannten womöglich Strukturen, anhand derer wir diese Reise beenden konnten.

Über das Wie und Warum wollte ich nicht nachdenken. Ich verließ mich auf meinen Instinkt und die präzisen Angaben des Extrasinns, der meine Bewegungsabläufe immer wieder korrigierte.

Da waren die beiden. Ich erblickte ihre Gesichter. Die feinen Züge des jungen, hellhaarigen Mädchens und den Flaumbesatz, der um den Schnabel des sonst menschenähnlichen Burschen besonders stark wucherte. Die Schnabelhälften berührten das Helmvisier. Sie hatten dort sichtbare Spuren hinterlassen; kleine Kratzer auf der Innenbeschichtung, die normalerweise von den automatischen Anzugsystemen wegpoliert wurden. Doch in diesem Medium funktionierte Milchstraßen-Technologie bloß mangelhaft.

Lua Virtanen bedeutete mir, es ruhig anzugehen und lange abzuwarten, bevor ich nach den Händen der beiden griff. Ich befolgte ihren Rat und übte mich in Geduld. Ich meinte, mit ihnen kollidieren zu müssen, als sie endlich mit dem Kopf nickte.

Ich tastete nach den ineinander verschränkten Händen von Lua und Vogel – und schaffte es gerade so, sie mit den Fingerspitzen zu erreichen, mich irgendwie und gegen einen plötzlich spürbaren Widerstand zu verhaken. Mit aller Kraft zog ich mich zu den Gefährten hin, bis wir die Arme ineinander verschränkt hatten und nun wie eine Dreier-Formation in eine unergründliche Tiefe stürzten.

 

*

 

Ich nickte den Jugendlichen dankbar zu. Erst in diesem Moment fühlte ich, wie intensiv der Zellaktivator in meiner linken Schulter pochte. Ich musste mich während der Annäherung an die beiden gehörig angestrengt haben.

Ich neigte meinen Kopf zu Lua und berührte ihren Helm. »Und nun?«, brüllte ich.

Die Schallwellen übertrugen sich. Die junge Frau nickte mir zu, als Zeichen dafür, dass sie mich verstand. Sie nahm sich Zeit, bevor sie antwortete. Ich hörte ihre Stimme wie aus weiter Ferne: »Die Blitze an der Wandung ... hyperenergetischer Natur. ... sind Effekte der Konstruktion der Röhre.« Sie holte tief Atem, bevor sie weiterredete. »... eine Auswirkung des Betriebs des Expanders ...ziehungsweise einer Fehlfunktion!«

Wir befanden uns, so fuhr sie fort, nicht in einem natürlichen, sondern in einem programmierten Raum aus vektorierten hyperphysikalischen Energien.

Die Kombiarmbänder, die leidlich gut funktionierten, vermochten den Raum nicht zu analysieren, ihn nicht zu erkennen. Aber er blieb auf eine sonderbare Art und Weise fassbar für Lua.

Die Blitze wären polarisiert, so meinte sie. Und sie schaffe es, sich innerhalb gewisser Grenzen mithilfe der Blitz-Phänomene zu orientieren.

Ich verstehe, meldete sich der Extrasinn nachdenklich.

Ich kümmerte mich nicht weiter um die Erklärungen der jungen Frau. Ich dachte an das nächste Zwischenziel. An einen möglichen Ausstieg aus der Röhre des Expanders.

»Kannst du uns zu einem Ausgang bringen?«, schrie ich.

Sie nickte. »Ich habe ... gefunden. Aber es ist nicht der, zu dem uns der Schacht eigentlich leiten möchte.«

Ein unkontrollierter Ausstieg bedeutet erhöhte Gefahr. Wir sollten den Dingen ihren Lauf lassen und diesen Sturz in aller Ruhe fortsetzen, empfahl mir der Extrasinn. Bereiten wir uns konzentriert auf das Ende der Reise vor und wappnen wir uns gegen mögliche Gefahren.

Nein. Ich würde mich nicht an seinen Rat halten. Laut rief ich: »Wir nehmen den früheren Ausgang! Unser Fall durch den Expander verläuft nicht regulär, am Ziel erwartet uns nichts Gutes!«, behauptete ich, einem Instinkt folgend.

Du Narr!, schalt mich der Extrasinn.

Ich ignorierte ihn. »Tu es, Lua! Sieh zu, dass du uns so rasch wie möglich hier rausschaffst.«

Sie nickte und schloss die Augen. Ich spürte, wie sich ihr Körper entspannte. Vogel und ich packten fester zu, sodass sie nicht aus unserem Dreier-Verbund fallen konnte.

Sie zitterte, ich hörte sie würgen. Die Suche nach einem Weg aus der Röhre verlangte ihr viel, wenn nicht alles ab. Aber sie war eine Geniferin, sie war die Tochter des ANC, sie verfügte über Fähigkeiten wie kein anderes Wesen. Sie konnte es schaffen. Sie würde es schaffen.

Ich wartete geduldig. Irgendwann hatte ich das Gefühl, dass sich etwas änderte. Meinem Empfinden nach näherten wir uns dem Ende der Röhre. Wir fielen mit verminderter Geschwindigkeit, die Blitzerscheinungen rings um uns wurden intensiver.

»Festhalten!«, rief Lua.

Sie griff fester zu.

Das Blitzlichtgewitter verstärkte sich. Es nahm einen immer größeren Teil meiner Wahrnehmungen ein, beanspruchte meine Sinne und berührte mich tief in mir. Wie ein Magengrummeln, das sich zu Übelkeit und einem kaum mehr unterdrückbaren Brechreiz wandelte. Ich wollte meine Ängste laut hinausschreien.

Ich fühlte Vogels Körper zittern, die Schnabelhälften klapperten gut hörbar aufeinander. Lua wimmerte, sie schmiegte sich eng an mich. Ein Blitz kam auf uns zu. Erfasste uns, erhitzte unsere Schutzanzüge, berührte die Haut.

Fraß uns auf.

Ich sah Licht und hörte einen Aufschrei, der womöglich von mir selbst stammte.

Und dann war ich umgeben von brauner, faulig wirkender Substanz.

2.

Der Konglomerierte Bacctou,

dortmals und anders

 

Er stand ruhig da. So, wie er es immer tat.

Die Arme befanden sich in Schwingbewegung. So, wie es sich gehörte.

Diese Diskrepanz war ein besonderes Element seiner Existenz, auf das der Konglomerierte Bacctou großen Wert legte. Stillstand und Bewegung waren kein Widerspruch des Daseins, ganz im Gegenteil. Sie ergänzten einander in hervorragender Art und Weise.

Der Arkonide Atlan war mitsamt seiner Begleiter in einem Transferprozess begriffen. Der Konglomerierte Bacctou würde diese Entwicklung abändern, weil sie ihm nicht gefiel.

Nimmermüde Wolken trieben durch seinen mehrdimensionalen Kontrollraum, der den Namen Brücke erhalten hatte. Sie zerteilten und zerfaserten und verbanden sich aufs Neue. Sie schränkten die Sicht für jene ein, die nicht über seine Sinnesmöglichkeiten verfügten.

Einige der Fischer wirkten müde, andere waren von sonderbarer Aufregung erfasst. Sie hoben und senkten ihre Fühler, öffneten immer wieder ihre Blättermünder. Die rosafarbenen Stängel bewegten sich schlangenartig.

Der Konglomerierte Bacctou gab einige Impulse an die Fischer weiter. Seine Dienstlinge hatten Aufgaben zu verrichten. Er wollte, dass Atlan von seinen Begleitern getrennt wurde. Der Träger des Vitalenergiespeichers sollte dem Transfer entnommen und in einen Lateral-Pferch verbracht werden. Für die beiden anderen Geschöpfe war eine Ausstülpung der eingesetzten Laterale vorbereitet worden. Dort sollten sie bis zum Ende ihrer Existenz verbleiben. Wann immer das war und wie immer diese Zeitspanne verlief.

Der Konglomerierte Bacctou verfolgte die Arbeit der Fischer mit der notwendigen Aufmerksamkeit. Sie unterhielten sich untereinander mithilfe derselben energetischen Impulse, die er ihnen gegenüber als Verbindungssprache einsetzte. Immer wieder drangen sie in die Laterale vor und forcierten die Manipulationen.

Er fühlte, wie sie ihre Arbeit verrichteten. Sie taten das Richtige. Es war über und durch alle Dimensionen hinweg spürbar.

Es war Zeit für den Konglomerierten Bacctou, die Armschwingungen zu beschleunigen und seine Handringe herzuzeigen. Derartige Bewegungen regten die Arbeitsbereitschaft der Fischer an.

Eine höherdimensionale Dissonanz erfasste die Laterale und schuf neue, ungewöhnliche Gegebenheiten. Warum fanden Atlan und seine Begleiter zueinander? Wie schafften sie es, trotz eingeschränkter Sinne Bezüge zu schaffen?

Der Konglomerierte Bacctou verfolgte interessiert das Geschehen. Er bemerkte, wie den Fischern immer mehr die Kontrolle entglitt. Die vorbereitete Falle wurde umgangen, wurde von den drei Wesen ignoriert. Sie schlichen sich aus dem System, das für sie vorbereitet gewesen war, und gingen ihrer eigenen Wege.

Der erste Versuch, des Trägers eines Vitalenergiespeichers habhaft zu werden, war gescheitert.

Der Konglomerierte Bacctou ließ die Arme langsamer schwingen.

3.

Atlan

 

Wir marschierten durch undefinierbare Flüssigkeit, die kaum eine Sicht erlaubte. Meine beiden jugendlichen Begleiter nahm ich lediglich als vage Gestalten wahr. Unter uns war schlammige Masse, durch die wir stapften. Sedimentartige Ablagerungen umschwemmten uns. Ablagerungen, die sich schwer über unsere Anzüge legten und uns bei jedem Schritt behinderten.

Immerhin: Der Funk funktionierte, auch einige Außensensoren des Anzugs sprachen an. Schutzschirm, Flugaggregat und Antigrav hingegen versagten durchweg.

»Ist das tatsächlich bloß Wasser?«, fragte Vogel Ziellos mit gepresster Stimme.

»Nein«, antwortete Lua. »Wir bewegen uns durch eine Kloake.«

Sie hatte recht. Rings um uns trieben Fäkalien, wie eine oberflächliche Analyse meines Anzugs ergab. Ich maß Ballaststoffe und Stärkeklumpen an. Gewebereste, Haare, Knochensplitter, Sehnen und Fasern, die von Fett ummantelt wurden. Ich war froh, dass die Geruchswahrnehmung über die Außensensoren nicht funktionierte.

Vor uns hob eine sonderbare Wasserkreatur ihren Kopf. Auf einem schlangenähnlichen, grob geschuppten Körper saß ein Chitinschädel, aus dem mehrere Scherenarme wuchsen. Das Tier war mindestens drei Meter lang und betrachtete uns intensiv, bevor es wieder im Bodenschlamm versank.

»Versucht aufzutauchen!«, sagte ich zu meinen Gefährten. »Das Wasser ist möglicherweise nicht sonderlich tief. Und bleibt beisammen.«

Ich ging in die Knie und stieß mich wie in Zeitlupentempo nach oben ab. Der Untergrund wollte mich kaum freigeben. Ich schaffte es schließlich, wobei meine Schwimmbewegungen kaum halfen. Der Schlamm zerrte an uns, ließ uns nicht hoch.

»Ich ... bekomme keine Luft mehr«, hörte ich Vogel Ziellos gepresst sagen.

»Das bildest du dir bloß ein«, widersprach ich. »Es sind die Dunkelheit und die Orientierungslosigkeit.«

»Nein. Der Anzug – er verformt sich. Er fällt in sich zusammen. Der Druck in der Innenatmosphäre lässt nach.«

Geriet Vogel in Panik, spielten ihm seine Nerven einen Streich?

Ich sah ihn unmittelbar neben mir treiben, als dickes, von Feststoffen überbackenes Etwas. Er hatte es kaum geschafft, sich aus dem Schlamm zu lösen.

Mühsam bewegte ich mich auf ihn zu und befreite ihn von einem Teil seiner Kruste. Darunter war der Anzug zu spüren.

Das Material warf Falten und zog sich zusammen. Vogels Empfindungen waren also richtig gewesen. Die Lebenserhaltungssysteme versagten aus Gründen, die ich nicht verstand.

Die Beschädigung muss bereits im Expander passiert sein, meldete sich der Extrasinn nach längerer Zeit wieder zu Wort. Der Dreck kann unmöglich daran schuld sein. Womöglich haben die hyperenergetischen Interferenzen des Blitzgewitters die lebenserhaltenden Systeme durcheinandergebracht.

Ich benötigte keine Analyse unserer Lage, ich brauchte Ratschläge. Lösungsvorschläge. Andernfalls würde Vogel ersticken.

»Atme flach und ruhig und beweg dich nicht«, riet ich dem Jungen. Und, an Lua gewandt: »Fühlst du einen Sog?«

»Nein. Ja. Er ist schwach, kaum wahrnehmbar.«

»Du machst fünf Schritte in jede Richtung und kehrst dann wieder an deinen Ausgangspunkt zurück. Stell fest, ob an einer Stelle die Strömung stärker wird. Versuch, dir ein Bild davon zu machen. Stärkere Strömung bedeutet klareres Wasser. Los, mach schon!«

Ich wartete keine Antwort ab und kümmerte mich um Vogel. Ich tastete seinen Anzug ab und befreite ihn von weiteren Ablagerungen. So lange, bis ich eines der Außenventile ertastet hatte.

Es war eine heikle und angesichts der Umstände mühsame Arbeit, eine Steckverbindung herzustellen und unsere beiden Schutzanzüge miteinander zu verbinden. Der Schlauch, der für derartige Fälle zur Verfügung stand, war dünn und kaum zu ertasten.

»... keine Luft mehr ...«, ächzte Vogel.

»Halt durch, ich habe es gleich!« Ich konnte kaum etwas sehen, immer wieder rutschte ich mit den Fingern am Schlauch ab.

Endlich schaffte ich es, die Schnittstelle zu fixieren. Ich öffnete das Ventil für den manuellen Druckausgleich und spürte, wie sich Vogels Anzug ein wenig aufblähte. Der Sauerstofftransfer funktionierte, wie ich erleichtert feststellte.