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Nr. 2934

 

Unter der Flammenflagge

 

Geheimmission Stavaka – bei den Preissängern von Sevcooris

 

Christian Montillon

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog: Lob des Gondunats

1. Allein, aber nicht einsam

2. Sekundenglück

3. Von Haustieren und Floskeln

4. Vom Wesen der Freiheit

5. In der Arena

6. Zeitenwende

7. Betrug

8. Danket dem Gondunat

9. Im Visier der Observanten

10. Begeisterung

11. Stromschnelle

12. Wahrheit

13. Tag der Verehrung

14. Den Tod betrügen

15. Das dunkle Zimmer

Epilog: Große Erwartungen

Leseprobe PR NEO 161 – Michelle Stern & Madeleine Puljic – Faktor I

Vorwort

Prolog

1. Abschiedsgeschenk

2. Trümmerwelt

Gespannt darauf, wie es weitergeht?

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Gut dreitausend Jahre in der Zukunft: Perry Rhodans Vision, die Milchstraße in eine Sterneninsel ohne Kriege zu verwandeln, lebt nach wie vor. Der Mann von der Erde, der einst die Menschen zu den Sternen führte, möchte endlich Frieden in der Galaxis haben.

Unterschwellig herrschen immer noch Konflikte zwischen den großen Sternenreichen, aber man arbeitet zusammen. Das gilt nicht nur für die von Menschen bewohnten Planeten und Monde. Tausende von Welten haben sich zur Liga Freier Galaktiker zusammengeschlossen, in der auch Wesen mitwirken, die man in früheren Jahren als »nichtmenschlich« bezeichnet hätte.

Besucher aus anderen Galaxien suchen Kontakt zu den Menschen und ihren Verbündeten; dazu zählen auch die Thoogondu aus der Galaxis Sevcooris. Einst waren sie in der Milchstraße beheimatet und haben nun den Wunsch geäußert, erneut Kontakt aufzunehmen. Gegenwärtig hält sich Rhodan in ihrem Goldenen Reich auf, wo er auch auf ein Splittervolk der Menschheit gestoßen ist: das Neue Solare Imperium.

Was bewegt die Thoogondu und die Gäonen? Können sie wirklich als Partner der Milchstraße gewonnen werden oder hegen sie Pläne, die dem Wohl der Galaxis zuwiderlaufen? Aufschluss darüber erhofft man sich von einer genauen Analyse der politischen Situation in Sevcooris. Informationen finden sich hoffentlich UNTER DER FLAMMENFLAGGE ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Gucky – Der Mausbiber macht Männchen und rettet diesmal nicht das Universum.

Lua Virtanen – Die Kosmopsychologin lässt die Maske platzen.

Vogel Ziellos – Der Zellaktivatornutzer begegnet den Preissängern von Sevcooris.

Virr Shallou – Er bringt ein Edikt zu Fall.

Kluutrud – Der Observant observiert den Lobeswettstreit.

Prolog

Lob des Gondunats

 

Und Virr Shallou sang:

»Was garantiert der Garant?

Den Frieden,

nach außen wie

nach innen.«

Seine Stimme hallte weit, die Zuschauer jubelten:

»Was garantiert der Garant?

Das Wissen, im Wissen

die Wissbegier,

den Geist.«

Er schloss die Augen vor Ergriffenheit und Dankbarkeit:

»Was garantiert der Garant?

Die Erinnerung

in ihrer Vielfalt und

die Wahrheit, die

dem Frieden dient.«

Das große Finale erreichte sein Herz ebenso wie das der Zuhörer:

»Wer dem Gondunat dient,

dient dem Frieden;

wer dem Frieden dient,

dient sich selbst.«

1.

Allein, aber nicht einsam

 

Es gab nur die ewige Schwärze, das grandiose Nichts des Alls und, weit entfernt, eine unendliche Zahl funkelnder Sterne. Obwohl Lua Virtanen es besser wusste, dachte sie: Wir sind verloren. Nicht etwa, weil sie sterben würden ... sondern auf jene Art verloren wie die Murmel, die aus der Tasche eines Kindes fällt und irgendwo in eine Ecke rollt.

Vergessen.

Der Unterschied bestand darin, dass sie kein Spielzeug waren, sondern eine Menge denkender Wesen in einem Stück Technologie, das zwar nur als Beiboot galt, und doch ein Raumschiff von nicht zu verachtender Größe war. Genauer gesagt, handelte es sich bei der BJO BREISKOLL um einen MARS-Kreuzer mit 500 Metern Durchmesser – mit Ringwulst 600 Meter, nicht zu vergessen – und es lebten fast zweitausend Personen an Bord.

»Alles andere als eine Murmel«, murmelte Lua.

Vogel Ziellos, der hinter ihr stand, sie umarmte und mit ihr durch das simulierte Holofenster schaute, drehte den Kopf zu ihr. Sein Schnabel pikte sie am Hals. »Was meinst du?«

»Vergiss es.«

»Nein, ich ...«

»Vergiss es!«

Er klapperte ein wenig; das, was bei einem normalen Menschen ein beleidigt-belustigtes Zusammenpressen der Lippen gewesen wäre. Um normal scherte er sich allerdings nicht – und Lua ebenso wenig. Deshalb passten sie so gut zusammen. Ein Glück. Wenn sie sich voneinander entfernten, würde Vogel nach ein paar Dutzend Stunden sterben. So ein geteilter Zellaktivator war eben ...

... nicht normal.

Sie küsste ihn auf die Wange, da, wo der Schnabel in weiche Haut überging. Ihre Lieblingsstelle. »Wir sollten zur Zentrale gehen«, sagte sie.

»Findest du?« Er drehte sich um, deutete auf das Bett in ihrer Kabine. »Vielleicht sollten wir lieber ...«

»Zur Zentrale«, fiel Lua ihm ins Wort.

Mit dem an- und abschwellenden Summton, den sie seit einigen Tagen nutzten, meldete die Kabinenpositronik einen Anruf. Vogel winkte – die optische Erkennung dafür, das Gespräch freizuschalten.

»Habt ihr Zeit?« Das war Farye Sepheroas Stimme – ihres Zeichens Kommandantin der BJO BREISKOLL und Enkelin von Perry Rhodan. »Ich würde euch gerne in der Zentrale sprechen.«

»Wir kommen«, sagte Vogel und unterbrach die Verbindung. Er schaute Lua in die Augen. »Das hast du gewusst!«

»Zufall«, sagte sie.

»Solche Zufälle gibt es nicht.«

Sie hob die Schultern. »Wer weiß?«

 

*

 

»Ein Wettstreit«, sagte Farye.

»Wie meinst du das?«, fragte Vogel.

Gucky verschränkte die Arme vor der Brust und klopfte mit dem Biberschwanz auf den Boden der Zentrale. »Musst du denn alles ganz genau wissen?«

Der Mausbiber stand zwischen Farye und den beiden Neuankömmlingen. Sie hielten sich zu viert abseits, weit genug von den anderen Offizieren in der Zentrale, um ungestört reden zu können. Gucky grinste breit und zwinkerte.

»Genügt es dir denn nicht zu wissen, dass der Retter des Universums ...« Er verneigte sich spielerisch und hob beide Hände. »... und die Kommandantin dieses Luxusschiffchens beschlossen haben, dass wir bei dem Wettstreit mitmischen?«

»Dass wir uns die Sache höchstwahrscheinlich mal ansehen!«, verbesserte Farye. »Ihr bemerkt den feinen Unterschied? Entschieden, Gucky, wird später!«

»Wortklauberei!«, beschwerte sich der Mausbiber und sah aus, als wollte er zu einer weitschweifigen Rede ausholen.

Lua kraulte ihn im Fell des Nackens, woraufhin er schwieg. Und durchaus zufrieden aussah. Wahrscheinlich hatte er genau das gewollt, der raffinierte kleine Kerl. Der Gedanke brachte Lua zum Lächeln.

»Ich glaube, jetzt wird er dich nicht mehr unterbrechen, Farye«, sagte sie. »Also los, erklär uns die Situation. Was hast du vor?«

»Zunächst mal: Ich habe das Abwarten satt.«

Gut. Sehr gut. So ging es wohl jedem an Bord.

»Es gibt seit Tagen keinen Funkkontakt mehr mit der RAS TSCHUBAI. Wir haben lange genug hier in der Nähe des Aalootsystems gewartet, ob sich Perry irgendwie melden kann. Und wir ...«

»Wir hängen hier in der Halbraumvakuole rum, damit uns keiner sieht«, fiel Gucky ihr ins Wort, »was irgendwie auch nicht lässig ist, solange wir von der RAS nichts hören.«

Farye warf ihm einen giftigen Blick zu, zweifellos weit weniger genervt, als sie vorgab. »Lässt du mich ausreden, bitte?«

»Sie ist schuld!« Gucky deutete auf Lua.

Lua schnappte nach Luft – und begriff. Sie hatte aufgehört zu kraulen. Also fing sie wieder an.

»Jetzt wirst du keinen Pieps mehr von mir hören«, versicherte der Mausbiber.

Farye Sepheroa setzte neu an: Die BJO BREISKOLL hatte nach ihrer Rettungsaktion, durch die Gucky, Vogel und Lua aus der Gefangenschaft befreit worden waren, wieder mit der RAS TSCHUBAI Kontakt aufnehmen wollen. Doch das Mutterschiff war verschwunden – Perry und die anderen waren in einer zweifellos wichtigen Mission unterwegs; sie hätten die BJO sonst nie ohne Nachricht zurückgelassen.

Nur eines stand fest: Die RAS TSCHUBAI hatte den Planeten Thooalon verlassen, und das ohne eine Hinweisboje oder etwas Vergleichbares. Wahrscheinlich hatte Rhodan keinen Hinweis auf die BJO zurücklassen wollen, der den Thoogondu in die Hände fallen könnte.

An Bord herrschte durchaus eine gewisse Besorgnis unter der Besatzung, aber keine Unruhe oder gar Panik. Im Gegenteil: Luas Einschätzung nach fühlte sich vor allem Farye als Kommandantin sogar ein wenig befreit. Gewissermaßen, als wäre eine Nabelschnur durchgeschnitten worden.

Die BJO BREISKOLL war zwar verlassen – aber damit auch frei und auf sich selbst gestellt.

Farye hatte Gucky angeboten, das Kommando zu übernehmen, weil der Mausbiber die größte und längste Erfahrung von allen an Bord hatte. Seine Antwort war eindeutig gewesen: »Ich berate lieber die Beste für den Job.«

Irgendwie, so kam es zumindest Lua vor, hatte sich Farye danach verändert, war noch mehr sie selbst geworden. Und als solche traf sie nun eine Entscheidung, die das Schicksal aller an Bord der BJO BREISKOLL bestimmen konnte.

Wie es die Aufgabe einer Kommandantin war.

»Ich werde mich an die Mannschaft wenden und die Lage erklären«, sagte Farye. »Aber vorher wollte ich es mit euch besprechen.«

Wieso gerade mit uns?, lag es Lua auf der Zunge, aber sie schwieg und nahm es einfach an.

»Das war ein Tipp von ihrem Berater«, sagte Gucky, als hätte er ihre Gedanken gelesen. Ob er es wohl wirklich getan hatte? »Derselbe Berater, der jetzt übrigens wieder schweigt.«

Der Mausbiber schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Das Fell sträubte sich unter Luas Finger.

»Es steht fest, dass wir nicht hierbleiben und länger tatenlos abwarten werden«, fuhr Farye fort. »Darum habe ich OXFORD ein wenig lauschen lassen, und unsere Schiffspositronik hat den allgemeinen Funkverkehr ausgewertet. Mit dem Ergebnis, dass OXFORD mir drei mögliche Ansatzpunkte für eine Erkundungsmission vorgeschlagen hat.«

»Klingt gut«, sagte Vogel, der sich bisher erstaunlich ruhig verhalten hatte. »Wir müssen mehr über die Thoogondu und ihr Goldenes Reich herausfinden. Sie sind ... giftig. Scheinheilig. Die Katastrophe von Mandaam mit der zerstörten Sonne war eigentlich eindeutig genug. Dann kommen wir in dieser Galaxis an und landen kurz darauf im Gefängnis.«

Und in was für einem, dachte Lua. Ihr lief ein Schauder über den Rücken, als sie an die menschenverachtenden Zustände im Scuul dachte.

»Also, wenn ihr mich fragt«, fuhr Vogel fort, »sind die Thoogondu ...« Er schwieg.

»Hinterfotzig?«, schlug Gucky vor, und, nach ein paar Sekunden, in denen alle schwiegen: »Was? Kennt ihr das Wort etwa nicht? Es bedeutet ...«

»Ich habe extra mitten im Satz abgebrochen«, sagte Vogel. »Rhetorik, weißt du?«

»Außerdem«, sagte Lua gutmütig, »wolltest du doch schweigen.«

»Fällt mir schwer«, gab der Mausbiber zu. »War zu lange untätig. Ich bin eben kein Retter des Universums a. D.! Ein bisschen Action würde mir guttun. Dass die Thoogondu Dreck am Stecken haben, ist wohl klar – haben wir ja am eigenen Leib erfahren. Denen gehört mal kräftig eins auf die Mütze!« Er zupfte am Fell unter seinem Mund. »Und falls ihr das auch nicht versteht – es bedeutet, dass man ihnen mal kräftig in den Hintern treten müsste.«

Farye grinste. »Das sehen wir alle genauso. Fragt sich nur, wo dieser Hintern ist! Also, zurück zur Sache. OXFORD hat drei Vorschläge gemacht.« Sie winkte kurz und sagte mit veränderter Tonlage: »OXFORD, projizier die Bilder!«

Vor ihnen baute sich ein Holo auf, so realistisch, als könnte man die winzige Sonne oder einen der Planeten, die sie umkreisten, mit einem einzigen Handgriff schnappen. Wie Murmeln, dachte Lua wieder, und ein Schauder lief ihr über den Rücken.

Es handelte sich um eine hellrote Sonne, und im System schien es auf den ersten Blick zu viele Planeten zu geben – bis Lua begriff, dass es sich teilweise um Raumschiffe handelte, die im Holo verhältnismäßig viel zu groß dargestellt wurden, damit man sie überhaupt erkennen konnte.

Farye griff in das Holo und zog einen Ausschnitt größer. »Es sind Pentasphären der Thoogondu«, sagte sie. »Dutzende, um genau zu sein. Der Funkauswertung zufolge ist dies das Tokklasystem, und die Pentasphären halten sich dort ohne Genehmigung der Systemregierung auf. Diese hat zunächst protestiert, die Beschwerde dann jedoch zurückgezogen. Gerüchte besagen, dass dort etwas – was auch immer – havariert sei. Aber die Gerüchte sind zum Verstummen gebracht worden.«

»Da es hier nicht um einen Wettbewerb geht«, kommentierte Vogel, »ziehst du es wohl nicht in Betracht, dorthin zu fliegen.«

»Ich wollte es euch dennoch zeigen und eure Meinung hören.«

»Es könnte interessant sein, übersteigt aber die Möglichkeiten der BJO, wenn du mich fragst«, sagte Vogel.

Lua nickte nur.

Farye ebenso. »Ganz meine Auffassung. Also zum zweiten Vorschlag.« Sie räusperte sich. »OXFORD?«

Das Holo löste sich auf. Ein letzter Funke leuchtete nach, dort, wo die Sonne projiziert worden war. Ein neues Bild entstand.

Es zeigte einen Planeten aus dem All. Soweit es sich auf diese Entfernung beurteilen ließ, schien es sich nicht um ein besonders gemütliches Plätzchen zu handeln, zumindest nicht für Terraner oder sonstige Sauerstoffatmer. Es handelte sich um einen Gasriesen, der in der Färbung und den Schlieren an Jupiter im Solsystem erinnerte.

»Das ist Hunt«, sagte Farye. »Das Holo zeigt nichts Aufregendes – aber genau darum geht es. In der Atmosphäre gibt es einige Raumstationen, und es hätte ein Großraumfrachter ankommen müssen. Das Schiff ist auf der Handelsroute von Yuuger nach Hunt spurlos verschwunden, ein Rätsel für alle Beteiligten.«

»Uninteressant«, urteilte Lua. »Zumindest für uns.«

»Außerdem sind Einsatzkräfte des Gondunats vor Ort«, sagte Gucky, »und die muss man ja nicht unbedingt unterstützen.«

»Bleibt die dritte Alternative, die OXFORD aus dem Funkverkehr gefischt hat.« Farye atmete tief durch, während das neue Bild entstand.

Der Gasriese löste sich auf, und es war, als verwischten sich seine Konturen, um eine neue Welt zu formen. Eine, die rundum freundlicher wirkte. Ein Planet mit einer einzigen, riesigen Landmasse, in der Tausende von Seen lagen. Rund um die Gewässer breitete sich üppiges Grün aus, vereinzelt erhoben sich braune Berge, sehr selten auch kahle Felsenspitzen.

Zwei Monde zogen ihre Bahn um den Planeten.

»Oschal«, sagte Farye. »Ein Planet, der die meiste Zeit unbedeutend ist im galaktischen Geschehen. Doch alle sieben Jahre ändert sich das – und eben genau in diesen Tagen. Dann reisen aus der ganzen Galaxis die sogenannten Stavakas an, und der große Wettstreit beginnt.«

»Ein Wettstreit worin?«, fragte Lua.

Farye gab die Antwort, und Vogel sah im nächsten Augenblick genauso verblüfft aus, wie Lua sich fühlte. »Das darf nicht wahr sein!«

»Oh doch!« Farye lächelte.

2.

Sekundenglück

 

Der Serkun lächelte.

Zumindest glaubte Virr Shallou, dass die Grimasse, die das Tier zog, ein Lächeln war. Beweisen konnte er es natürlich nicht. Trotzdem lächelte auch er. Es war eine Freude, zu singen. Und es war eine Freude, sich darauf vorzubereiten.

Freude ... und harte Arbeit.

Andere begriffen das nicht und hielten es für reinen Spaß. Wie dumm musste man sein, um nicht zu begreifen, wie schwierig es war? Bei aller Freude kostete es Virr Shallous ganze Kraft, und manchmal mehr als das.

Es gab Tage, da hingen seine Sinnesbüschel schlaff und farblos herab, und er konnte nichts mehr riechen und schmecken. Wenn er Glück hatte. Es konnte nämlich auch sein, dass er sich vorkam, als steckte er mitten in einem Berg aus verfaulendem Fleisch. Spätestens dann musste er eine Pause einlegen.

Aber das sagte sich leicht.

Ein echter Preissänger kannte keine Pausen, konnte nicht einfach abschalten. Die Gedanken arbeiteten immer weiter. Suchten nach immer neuen, ausgefeilteren Methoden, das Gondunat und den Gondu höchstpersönlich zu preisen.

Es war eine Kunst!

Die höchste.

Und sie erschöpfte sich nicht im Singen, nicht in Worten, nicht in neu erschaffenen Melodien. Es gab so viel mehr: Die richtige Erfindung, die passende Technologie, die das Gondunat im Glanz eines neu geborenen Sterns oder eines alles verschlingenden Schwarzen Lochs erstrahlen ließ.

Doch dieses Mal ging es um Gesang.

»Nicht wahr, Farro?«, fragte er den Serkun.

»Ro«, wiederholte das Tier, als könnte es tatsächlich sprechen, und dabei lächelte es wieder.

Virr Shallou beugte sich, rieb die Sinnesbüschel an den Schuppen des Kleinen. Es schmerzte ein wenig, aber es belebte auch. Die Düfte rundum wurden schärfer, klarer, tiefer. Genau wie seine Gedanken. Es war wie ein Rausch.

»Was garantiert der Garant?«, flüsterte Shallou, und die Positronik zeichnete jedes Wort auf. Er plusterte die Büschel, und der Geruch überflutete ihn: ein wenig herb, wie wilde Pilze, und rot wie ein Feuer hoch oben in den Bergen.

»Das Wissen und im Wissen den Geist.«

Er zögerte.

»Nein. Falsch.«

Ein neuer Atemzug, das Feuer breitete sich aus, fiel über die Klippen, taumelte hinunter ins tiefe Meer, tauchte unter und versank immer noch lodernd in den ewigen Fluten.

»Im Wissen die Wissbegier, in der Wissbegier den Geist.«

Jemand sagte etwas, aber er verstand es nicht. Die Stimme kam wie aus einer anderen Welt, sie war laut und leise, dumpf und schrill, gelb und schwarz. Jeder Geruch verblasste mit den unerwünschten Worten, und gleichzeitig erloschen auch Vision und Inspiration.

»Was?«, herrschte er den Neuankömmling an.

»Was tust du hier?«

Was sollte er schon tun? Er war ein Preissänger!

»Wieso bist du ganz allein in dieser Höhle?«

Allein? Aber er hatte doch Farro, den Serkun!

»Ich mache mir Sorgen, Vater.«

Vater?

Der Neuankömmling kam näher, berührte ihn. »Hast du wieder versucht, den richtigen Lobpreis für das Gondunat zu finden? Aber du weißt doch, dass du nicht zugelassen bist, weil du die Prüfung nicht bestanden hast.«

Die Berührung wurde dichter, stärker, und er roch etwas Neues: Familie. Liebe, in dumpfes Blau getaucht. Gleichzeitig nahm er seine Umgebung wahr, zum ersten Mal seit ... ja, seit wann?

Dies war tatsächlich eine Höhle, ein kahles Felsenloch. Irgendwo hinter ihm plätscherte träge Wasser, und über ihm hing traurig das Netz einer Spinne. Das Tier selbst war nicht zu sehen.

»Hast du Farro gesehen?« Mitleid lag in der Stimme, genau wie in der Berührung.

»So deutlich, als wäre er hier.« Virr Shallou bemerkte nun erst, dass er auf dem Boden lag. Mühsam richtete er sich auf. Sein Kopf berührte fast das Spinnennetz. »Es war, als wäre er tatsächlich hier gewesen.« Er weinte, und eine Träne rann durch das Sinnesbüschel, warm und salzig, und er roch seine eigene Trauer.

 

*

 

Später traten sie aus der Höhle. Der Tag war gleißend hell und ließ ihn blinzeln. Trotzdem zog bereits Dranal über den Himmel, und wie immer spendete der Anblick des zweiten Mondes Virr Shallou Trost.

Er suchte Worte. »Wieso weißt du, dass ich ...«

»Es ist nicht das erste Mal.« Sein Sohn umschlang mit der Stola, die ihm um die Schultern lag, den Arm seines Vaters, einmal, zweimal. Der Saum des luftigen, dunkelroten Stoffes kitzelte ihn am Handrücken. »Komm einfach mit.«

Sein Sohn – Virr Lashoul, so hieß er, natürlich, Shallou hatte den Namen schließlich selbst erfunden, aus den Lauten, die seinen eigenen bildeten. Jedenfalls ging sein Sohn los, mit weiten Schritten, wie sie typisch für Jungen waren, die kurz davorstanden, selbst Männer zu werden. Bald spannte sich der Stoff und zog Virr Shallou mit sich, der losstolperte.

Mit jeder Bewegung, jedem Luftholen, kehrte Virr Shallou stärker in die Wirklichkeit zurück, in das Hier und Jetzt. Es wehte ein leichter Wind, der die Büsche rascheln ließ. Die Farben taten wohl, das satte Rot der Blätter, das ätherische Orange der Erdschicht, die so weit oben dünn über dem Felsboden lag.

»Wohin bringst du mich?«, fragte er seinen Sohn.

»Wart einfach ab, ich zeige es dir.«

»Aber ...«

»Es schmerzt, aber es muss sein, Vater.«

»Ich habe Angst.«

»Ich weiß. Du bist nicht allein.«

Shallou dachte nach. »Danke.«

So eilten sie durch die Felsen, vorbei an einer Senke aus Gras und Moos und einem defekten Spinnenroboter, wie man sie in dieser Gegend zu Tausenden fand. Eines der dünnen Beinchen bewegte sich, als würde es im Wind zittern.

Bald erreichten sie eine Hütte, und hinter der Hütte eine Grabstätte. Virr Shallou erinnerte sich, wie sie entstanden war.

Wie er höchstpersönlich mit größter Präzision den Desintegratorstrahler eingesetzt hatte, um eine perfekte Kugel aus dem harten Felsen zu dampfen.

Wie er den toten Farro hineingelegt hatte, dessen Panzer stumpf und matt gewesen war und nur noch nach einem fernen Wind gerochen hatte, wie er über der Wüste weit jenseits der Gewässer wehen mochte.

Wie er zähflüssiges Synthoglas darüber gegossen hatte.

Nun schaute er nach unten, an der Seite seines Sohnes, auf den für die Ewigkeit konservierten Körper seines treuen Haustieres.

»Ich ...« Er versuchte, mehr zu sagen, aber er konnte nicht.

»Du standest kurz vor der Prüfung, Vater«, sagte Lashoul, »aber als du Farros Leiche gefunden hast, ist deine Kunst in dir erloschen. So hast du es selbst gesagt, am Anfang, und du wolltest es akzeptieren, aber manchmal vergisst du alles und flüchtest dich in ...«

»Ja. Ich weiß.«

»Es tut mir leid.«

»Danke.«

»Erinnerst du dich?«

»An alles.«

»Wie geht es dir?«

»Schlecht.«

Sie standen noch ein wenig beisammen und schwiegen. Lashoul ging als erster. Shallou blieb noch ein wenig, starrte auf das Synthoglas und hob irgendwann, endlich, den Blick. Hinter der Grabstätte fiel der Hang steil ab.

Er sah hinunter in das Tal, und darin lag die Stadt. An ihrem Rand erhob sich die Rede-Arena, und daneben, deutlich zu sehen, der Turm der Bekräftigung.

Eines Tages, dachte Virr Shallou, werde ich es schaffen. Eines Tages werde ich den Turm ersteigen und mich hinunterstürzen.

3.

Von Haustieren und Floskeln

 

Farye Sepheroa sah glücklich aus: entspannt und entschlossen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Dass sie mit Lua und Vogel hatte sprechen wollen, konnte für sie nicht mehr gewesen sein als der Wunsch nach Bestätigung – die Entscheidung hatte sie vorher bereits gefällt, und sie war zweifellos richtig gewesen.

OXFORD übertrug ihre Stimme in jeden Winkel der BJO BREISKOLL, und sie sprach zwar wie eine Kommandantin zu ihrer Mannschaft, aber auch wie zu einer Familie.

»Mit der BJO steht uns ein mächtiges Instrument zur Verfügung«, sagte sie. »Wir könnten mit unserem Schiff zwar nicht in die Milchstraße zurückkehren, weil sie zu weit entfernt liegt, aber wir können die RAS TSCHUBAI finden. Wir werden alle gemeinsam nach Hause zurückkehren, wenn es so weit ist.«

Farye saß auf ihrem Kommandantensessel, und wer ein Bildholo aufrief, konnte sie sehen: eine nicht mehr ganz junge, aber längst nicht alte Frau, zuversichtlich, die dunklen Haare nach hinten gekämmt, sodass die fingerkuppengroßen Vertiefungen in ihren Schläfen deutlich frei lagen. Eine Zeit lang hatte sie diese Überbleibsel ihrer Abstammung bewusst unter der Frisur versteckt; diese Reste der Vortexaugen ihrer Großmutter, von der wohl ihre besondere Pilotenbegabung stammte – falls man außer Acht ließ, dass auch ihr Großvater Perry Rhodan ebenfalls ein nicht gerade unbedeutender Pilot war.

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Illustration: Swen Papenbrock

»Wir können notfalls Jahrzehnte autonom operieren! Uns kommt in dieser fremden Galaxis eine besondere Bedeutung zu. Wir sind nicht zufällig in Sevcooris. Etwas liegt vor uns, etwas, das nur wir erledigen können.

Wir sind nicht in einer toten Wüste gestrandet, in der wir irgendwie ums Überleben kämpfen müssten. Es wimmelt vor Leben ... und vor Aufgaben. Wir müssen mehr über die Thoogondu herausfinden, mehr über ihr Sternenreich, das Gondunat.«