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Claudia Sticher

Feuer

Symbol des Lebens und des Glaubens

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Dr. theol. Claudia Sticher, geb. 1971, Pastoralreferentin des Bistums Mainz, war mehrere Jahre für die Revision der Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift in der Arbeitsstelle »Bücher der Kirche« der Deutschen Bischofskonferenz in Bonn tätig; 2009–2016 Persönliche Referentin von Karl Kardinal Lehmann; seit 2016 Referentin für Theologische Grundsatzfragen und Bibelpastoral.

© 2017 Verlag Katholisches Bibelwerk, Stuttgart

Für die Texte der Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, vollständig durchgesehene und überarbeitete Ausgabe
© 2016 Katholische Bibelanstalt GmbH, Stuttgart

Umschlaggestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart
Umschlagmotiv: © photocase.com, freeday
Satz: Barbara Herrmann, Freiburg
Herstellung: Finidr s.r.o., Český Těšín
Tschechische Republik

www.bibelwerk.de

ISBN 978-3-460-27192-0
eISBN 978-3-460-51031-9

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Altes Testament

1.Alltag – Von Fleisch und Erz

Feuer im Alltag Israels

Metallbearbeitung

2.Krieg, Gewalt und Strafgericht

Vernichtungsweihe

Exkurs Gewalt

3.Kult – Von Feuersäule und Brandopfern

Feuersäule des Exodus

Brennender Dornbusch

Entflammt für Gott – Elija

Brandopfer

Das erste Opfer – Kain und Abel

Exodus – Mahl vor dem Aufbruch

Relativierung des Opferkults

4.Metaphorik und Symbolik

Redewendungen und Spruchweisheit

Neues Testament

1.Feuer in Jesu Verkündigung

Feuer und Gericht

Fegefeuer und Hölle

2.Feuer im Nachwirken der Verkündigung Jesu

Pfingsten – Von Feuerzungen und brennenden Herzen

Feuertaufe und Firmung

3.Feuer bis ans Ende der Welt

Eschatologie und Apokalyptik – Lehre von den »letzten Dingen«

Zweiter Petrusbrief – Weltenbrand

Offenbarung des Johannes – Ein neuer Himmel und eine neue Erde

Anmerkungen

Literatur

Bibelstellenregister

Einleitung

Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon brennen! (Lk 12,49)

Keine Religion wird derzeit stärker verfolgt als das Christentum. Weltweit erleiden bis zu 100 Millionen Christen ihres Glaubens wegen Verfolgung, Bedrohung und Diskriminierung; Tendenz: steigend.

Der Messias Jesus von Nazaret hoffte, mit seinem Kommen ein Feuer zu entzünden; das Lodern von abgefackelten Hütten und Häusern, in denen seine Anhänger wohnen, meinte er allerdings keinesfalls. Denn im Hintergrund seiner Botschaft steht ein positives Verständnis des Feuers: Er will das nährende Feuer der guten Nachricht entfachen. Jesus leugnet die verzehrende Macht dieses Feuers nicht, vieles muss verbrannt und in der Glut geläutert werden; auch das zerstörerische Feuer des Gerichts gehört hinzu. Die Botschaft Jesu, wenn sie ernst genommen wird, entfacht einen Flächenbrand.

Die Weltgeschichte befindet sich in dem langen Zwischenraum von der ersten Ankunft Christi bis zu seiner Wiederkunft. Sein zweites Kommen wird das Ende der Welt bringen. Die Jünger in Jesu Nachfolge müssen sich dem Feuer aussetzen, das er gebracht hat. Richtend und rettend soll es sein Werk tun.

Der Tag des Herrn wird aber kommen wie ein Dieb. Dann werden die Himmel mit Geprassel vergehen, die Elemente sich in Feuer auflösen und die Erde und die Werke auf ihr wird man nicht mehr finden. Wenn sich das alles in dieser Weise auflöst: Wie heilig und fromm müsst ihr dann leben, die Ankunft des Tages Gottes erwarten und beschleunigen! An jenem Tag werden die Himmel in Flammen aufgehen und die Elemente im Feuer zerschmelzen. Wir erwarten gemäß seiner Verheißung einen neuen Himmel und eine neue Erde, in denen die Gerechtigkeit wohnt (2 Petr 3,10–13).

Mit dem Element Feuer gehen gewaltige Bilder einher. Menschliche Kulturgeschichte scheint ohne Feuer nur schwer vorstellbar. Kein Wunder also, wie stark es auch in religiöse Schriften Eingang gefunden hat. Bis Jesus seine Worte vom Feuer spricht, das er auf die Erde wirft, hat es als Element wie als Bildwort eine jahrtausendealte Vorgeschichte im Raum Israels durchlaufen. Und selbstverständlich nicht nur dort.

Feuer hat seine Bedeutung in Alltag, Krieg und Kult. An alle drei Bereiche lagert sich eine reiche Symbolik und Metaphorik an.

Unaufgebbare Ambivalenz des Feuers: lebenserhaltend durch seine Wärme und lebensverzehrend in seiner zerstörerischen Kraft.

Altes Testament

1.Alltag – Von Fleisch und Erz

Seit etwa 50.000 Jahren kann der Mensch das Feuer aktiv handhaben. Seiner übernatürlichen Unverfügbarkeit wird es dadurch nicht beraubt – Feuer ist etwas Göttliches, etwas Dämonisches, nicht von dieser Welt.

Vermutlich lernte der Mensch zuerst, Wildfeuer – etwa nach Blitzeinschlag oder spontan entstandene Brände – zu zähmen und zu erhalten. Seit der Jungsteinzeit rechnet man mit dieser Kulturtechnik. Schlugen Blitze in Bäume ein und entfachten so ein Feuer, war es tatsächlich eine »Himmelserfahrung«, die Menschen machten: Feuer kam »von oben« und damit aus der himmlischen Sphäre in die Menschenwelt. Vulkanische Erscheinungen, bei denen Feuer aus den Quellen des Erdinneren hervorströmt, waren ähnlich geheimnisvoll und dem menschlichen Bereich entzogen. In beiden Fällen – von oben wie von unten – brach etwas aus dem Bereich des Göttlichen ein.

Spontane, unverfügbare Brände zu erhalten, war in der Menschheitsgeschichte die vermutlich früheste Form, sich des Feuers zu bedienen. Das aktive Entfachen von Feuer trat später ergänzend hinzu.

Derartiges Zweckfeuer ist – im Gegensatz zu Schadfeuer – das beabsichtigte und kontrollierte Feuer. Es dient dem Erwärmen oder Verbrennen von Gegenständen, spendet Wärme und Licht und hält Raubtiere und Insekten fern. Wer sich um ein Feuer lagert, findet Schutz vor der Kälte, hat einen Orientierungspunkt in dunklen Nächten und hält wilde Tiere fern. Mit einer brennenden Fackel einem Wildtier entgegenzutreten, verschafft einen deutlichen Vorteil gegenüber dem eventuell notwendigen Kampf nur mit einem dicken Ast oder einfachen Waffen, zumal wenn die Dunkelheit den Schritt unsicher macht.

Zu diesen Aspekten, die das Äußere des Menschen betreffen, Wärme und Schutz, tritt ein »inneres Moment« hinzu: Rohes Fleisch ist für den menschlichen Organismus nur schwer verdaulich, obwohl sehr nahrhaft. Sobald der Mensch Fleisch gart, kocht oder auf dem Feuer brät, wird es deutlich bekömmlicher; der Erhitzungsvorgang schließt die Enzyme auf, der Verdauungsapparat wird entlastet. Zugleich werden eventuell in der Nahrung vorhandene Viren, Parasiten oder Bakterien durch die große Hitze unschädlich gemacht. Fleisch kann geräuchert für längere Zeit haltbar gemacht werden. »Gezähmtes Feuer« bringt so nicht nur in äußerlicher Hinsicht, sondern auch im Hinblick auf die Bekömmlichkeit und die Lagerungsfähigkeit von Fleisch einen entscheidenden Vorteil in die Menschheitsgeschichte.

Die vom Feuer immer ausgehende Gefahr haben Menschen in Kauf genommen, weil sie das Feuer nutzen wollten und konnten. Die Vorteile überwogen derart, weshalb beabsichtigtes Feuer (»Zweckfeuer«) die Menschheitsgeschichte bis heute begleitet. Nicht nur für die Zubereitung von Speisen wurde Feuer nutzbar gemacht, es bildet die Basis wichtiger Kulturtechniken: Feuer ermöglicht die Härtung von Holz und Stein; von Ton oder Lehm zu Keramik; es dient zur Schmelze von Erzen.

Dem steht das zerstörerische, meist unbeabsichtigte Feuer gegenüber, umgangssprachlich Brand genannt. Ein solches »Schadfeuer« verbrennt ungewollt Gegenstände und ist erst kontrollierbar, nachdem es eingedämmt wurde. Entstanden ohne erkennbaren Herd oder unkontrolliert von einer sicheren Feuerstelle übergesprungen, breitet es sich völlig unberechenbar aus.

Feuer im Alltag Israels

Anfang alles Notwendigen für das Leben des Menschen sind: Wasser und Feuer, Eisen und Salz, feinstes Weizenmehl, Milch und Honig, das Blut der Traube, Olivenöl und Kleidung (Sir 39,26).

Bemerkenswert, wie der Weisheitslehrer Jesus Sirach die Grundbedürfnisse menschlichen Lebens zusammenfasst; eine ähnlich pointierte Aufzählung gibt es ansonsten in der Heiligen Schrift nicht.

In der altorientalischen Umwelt Israels wird Feuer häufig selbst als Gottheit angesehen: Gibil oder Girra heißt im Zweistromland das vergöttlichte Feuer, Sohn des Gottes Anus und der Göttin Sala. Er repräsentiert Feuer in all seinen Aspekten: als zerstörerische Kraft und als sengende Hitze des Mesopotamischen Sommers; als schöpferische Kraft im Schmiedeofen oder beim Brennen von Ziegelsteinen, in dieser Hinsicht gilt er als Städtegründer.

Israel negiert eine Vergöttlichung des Feuers ausdrücklich, dennoch wird das Element mit Gott auf verschiedene Weise in Verbindung gebracht: im Kult, insbesondere den Brandopfern, in Theophanieschilderungen (Gotteserscheinungen) sowie in übertragener Redeweise.

Metallbearbeitung

Zuerst aber spielt das Feuer im profanen Alltag seine wichtige Rolle. Die materielle Kultur Israels wird – wie auch sonst in Archäologie und Geschichtswissenschaften üblich – mit den Bezeichnungen Bronze- bzw. Eisenzeit klassifiziert. In diese Namen eingeschrieben ist die Bedeutung der Kulturtechnik Erzschmelze, mit der Metalle gewonnen werden, angefangen beim Kupfer bis hin zu den härteren Metallen wie Eisen. In der Levante, also dem Gebiet, zu dem auch Israel/Palästina gehört, wird der Umbruch von der Bronze- zur Eisenzeit um 1200 v. Chr. angesetzt. Wenn man mit der Bibelwissenschaft die Staatenbildung unter Saul – David – Salomo, egal, wie umfangreich oder bescheiden deren Siedlungen dann wirklich gewesen sind, um das Jahr 1000 v. Chr. datiert, so war dem der große Umbruch um das Jahr 1200 v. Chr. vorausgegangen: Die Besiedlung und die Machtverhältnisse wurden durch das Auftreten der »Seevölker« umgekrempelt. Die materielle Kultur und hier insbesondere der gezielte Einsatz des Feuers beeinflusst durch Waffenherstellung und -gebrauch durchaus massiv bestimmte Herrschaftskonstellationen, vor allem, wenn sich Ungleichzeitigkeiten in der Beherrschung solcher Techniken ergeben.

Zunächst war die Eisenherstellung ein Monopol der Hetiter. Als deren Reich um 1200 v. Chr. untergeht, gelangt das Eisen über die Philister nach Israel. Die biblische Überlieferung malt diese Unterlegenheit der eigenen Bevölkerung breit aus:

Damals war im ganzen Land kein Schmied zu finden. Denn die Philister hatten sich gesagt: Die Hebräer sollen sich keine Schwerter und Lanzen machen können. Alle Israeliten gingen zu den Philistern hinab, wenn jemand sich eine Pflugschar, eine Hacke, eine Axt oder eine Sichel schmieden lassen wollte. … Als es nun zum Krieg kam, fand sich im ganzen Volk, das bei Saul und Jonatan war, weder ein Schwert noch ein Speer. Es gab sie nur bei Saul und seinem Sohn (1 Sam 13,19–20.22).

Selbst David (noch ist er nicht König, wohl aber bewährter Krieger und immerhin Schwiegersohn des Königs Saul) gelangt nur deshalb in den Besitz eines Schwertes, weil der Priester Ahimelech ihm gestattet: Das Schwert des Philisters Goliat, den du im Terebinthental erschlagen hast, liegt hier, in einem Mantel eingewickelt, hinter dem Efod. Wenn du es nehmen willst, nimm es! Außer diesem gibt es keines hier. David sagte: Kein anderes kommt ihm gleich; gib es mir! (1 Sam 21,10) Anders war Davids Bitte um eine Waffe – er ist eilig gekommen und daher nicht ausgerüstet – nicht zu erfüllen. Eiserne Waffen sind Mangelware, obwohl sie den anderen Waffen haushoch überlegen sind.

Feuer entfaltet seine kulturstiftende und positive Wirkkraft speziell beim Handwerk. Brennöfen waren in zwei Bereichen unabdingbar: zum Brennen von Keramik einerseits, bei der Metallschmelze andererseits.

Die Datierung von Tonscherben sagt viel aus über die Besiedlungsfolge einer Ruinenstätte. Gefäße aus unterschiedlichen Materialien waren unabdingbar für die Bevorratung von Lebensmitteln. Je haltbarer und besser verschließbar solche Behältnisse waren, desto zuverlässiger schützten sie das Vorratsgut vor Schädlingen, also Insekten und Tieren, oder vor Feuchtigkeit und Schimmel. In der über Jahrtausende hin besiedelten Stadt Jericho, die heute gar als »älteste Stadt der Welt« bezeichnet wird, finden sich präkeramische Schichten aus einer Zeit der Besiedlung, die noch keine Töpferware kannte. Die Kultur der Levante hing – wie überall – von zunehmenden Kenntnissen verschiedener Handwerksbereiche ab. Nicht wenige von ihnen nahmen dabei Feuer zu Hilfe. Teilweise erstaunt es, wie hochentwickelt manche Techniken bei vergleichsweise einfachen Herstellungsarten waren. Brenn- und Schmelzöfen zählen hinzu.

Ein Schmelzofen wurde aus Steinen gesetzt oder aus Lehmziegeln dickwandig gemauert, entsprechende Kanäle bzw. Düsen ermöglichten es, aufgrund der gezielten Luftzufuhr Temperaturen von über 1000° Celsius zu erreichen.

Bereits in der Bronzezeit wurden Verfahren zum Schmelzen von Erzen im Lehmofen entwickelt. Zu Beginn der Eisenzeit steht die Entdeckung eisenhaltiger Erze. Da aber die Temperaturen, die zur Reduktion des im Erz enthaltenen Eisenoxyds deutlich über den zur Bronzeherstellung nötigen liegen – bei etwa 1100–1200° Celsius – waren technische Weiterentwicklungen der Brennöfen erforderlich. Eine Windöffnung für die Sauerstoffversorgung des Feuers und mindestens eine Öffnung für den Abstich von aufgeschmolzenem Lehm und Gestein (Schlacke) war erforderlich. Die Verwendung von Blasebälgen darf vermutet werden. In Brocken zerkleinertes Eisenerz und Brennstoff wurden schichtweise in den Lehmofen eingefüllt und erhitzt – ein komplexes Unterfangen voller Unwägbarkeiten, das viel Erfahrung brauchte. Die Technik hat sich von der Antike bis ins Mittelalter hinein praktisch nicht verändert: Durch Abschmelzen der steinernen Sedimente wurde Roheisen gewonnen – es muss weiter verarbeitet und gereinigt werden – und die verflüssigten Sedimente sind als Schlacke aus dem Ofen geronnen. Der ganze Vorgang nimmt wenigstens 10–12 Stunden in Anspruch, bei dem stets nachgefeuert werden muss, damit die Temperatur konstant bleibt.