Cover

Die großen Western
– 257 –

… und der Tod wartet schon

U. H. Wilken

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74093-267-1

Weitere Titel im Angebot:

Sie kommen ohne Pferd, einzeln und lautlos – graue Schatten in der Nacht. Sie sehen einander nicht, können sich nicht mehr durch Zeichen verständigen. Jeder ist auf sich allein gestellt. Jeder ist bewaffnet. Jeder hält Dynamitstangen in der Faust.

Die bewaffneten Posten patrouillieren nach festem Wachplan. Das flackernde Licht der zwei Stallaternen fällt auf die blauen staubbedeckten Uniformen. Die Schritte reiben durch den Sand. Manchmal fällt ein leises dumpfes Wort.

Wie ein Klotz steht das Depot am Ende der Straße. Hier lagert Schießpulver für schwere Kanonen, stehen Lebensmittel für die weit im Südosten kämpfenden Unionstruppen bereit, wartet eine Unmenge von Munition auf den Abtransport.

Licht fällt auf die Straße. Dort drüben lärmt es, stehen viele gesattelte Pferde vor den Häusern, bewegen sich mehr als hundert Yankees umher.

Eine schicksalhafte Nacht im Hinterland des Feindes.

Und sie kommen näher, die lautlosen Schatten der Männer, wischen über den Boden, verharren, gleiten weiter.

Fünf Männer, die Pflicht, Aufopferung und kalten Haß nicht mehr voneinander trennen können. Eine kleine Gruppe von verwegenen Männern, die den Tod verachten und doch für ihr Land, für den Süden, leben wollen.

Und während dieser erbarmungslose und größte aller Bruderkriege das Land im Osten und Süden zerstört, während Feuer den einst fruchtbaren Boden ausglüht und Tausende von Frauen, Kindern und Verwundeten immer weiter nach Süden fliehen, handeln diese fünf Männer im Rücken der Nordstaaten-Armeen, riskieren Kopf und Kragen und nähern sich immer mehr dem Depot des Nordens, der dieses Land besetzt hat.

Tagelang haben Cash Sharkey und seine Männer das Depot beobachtet, haben die kleinen Truppenbewegungen gesehen, die Zeiten der Postenablösung festgehalten und sich ihre Chancen ausgerechnet.

Und nun, in dieser Nacht, da Wolken über den Himmel ziehen, sind sie auf wenige Yards ans Depot herangekommen.

Jeder weiß, was er zu tun hat. Jeder ist bereit, das höchste Opfer zu bringen.

Cash Sharkey erreicht als erster die Wand des Depots, kauert sich nieder und schiebt Dynamitstangen unter die hölzerne Wand des großen Lagers. Rechts und links von ihm gleiten die Männer ans Depot heran. Messer schaben leise, bohren Löcher unter die Wand, dünne Dynamitstangen liegen bereit.

Sharkey löst in fieberhafter Eile ein paar Bretter, zwängt sich hindurch, klemmt Dynamit unter ein Pulverfaß, rollt die Zündschnur aus, wirft das Ende ins Freie. Vorn ertönt eine Stimme. Ein anderer Posten antwortet. Höchste Zeit, zu verschwinden – denn gleich wird ein Posten nach hinten kommen. Ihm wird ein zweiter in kurzem Abstand folgen…

Noch einmal blickt Sharkey forschend umher. Er sieht die Pulverfässer, die Munitionskisten, Tonnen mit Reis und noch viele andere Dinge, die eine kämpfende Armee braucht. Von der Straße sickert schwaches Licht durch ein paar Bretterfugen. Ein großer leerer Frachtwagen steht dicht vor dem breiten Tor.

Er verzieht das magere Gesicht. Die Yankees sind allzu leichtsinnig. Sie wiegen sich in Sicherheit und vertrauen ihrer Macht und Stärke. Niemand aus dem niedergeworfenen Volk dieses Südstaates wird es riskieren, auch nur einen Blaurock anzuspucken – geschweige denn, ein bewaffnetes Depot in die Luft zu jagen.

Doch genau das werden Cash Sharkey und seine Männer tun. Sie haben den Auftrag, alle wichtigen Schienenstränge hochzujagen, die auf ihrem Wege ins Ungewisse liegen, alle Depots zu vernichten, wenn sie eine Chance dafür haben.

Denn auf den Schienen rollen die Waggons, kommt der Nachschub nach den Fronten im Osten und Süden – und jeder Transport wird später vielen Südstaatlern das Leben kosten.

Es gilt, die Nachschubwege des Nordens zu zerstören und die Transporte zu lähmen.

Er horcht.

Einer der Posten geht schon los, um die vorgeschriebene Runde ums Depot zu machen.

Sharkey zwängt sich wieder ins Freie. Ein leiser Zischlaut ertönt. Flammen flackern auf. Zündschnüre beginnen zu glimmen. Sharkeys Leute ziehen sich zurück. In diesem Moment kommt der Posten um die Ecke. Sharkey steht dicht vor ihm, wie aus dem Boden gewachsen. Ehe der Posten einen warnenden Schrei ausstoßen kann, schlägt Sharkey auch schon zu, fängt den Bewußtlosen auf und zerrt ihn hinter sich her. Er verliert Zeit. Die Zündschnüre zischen leise. Das Feuer frißt sich schnell unter der Wand hindurch. Nur noch Sekunden bis zur Detonation…

»Captain!«

Leise und scharf ist die Stimme. Einer der Männer ruft Sharkey. Sie können sich in der Nacht kaum sehen. Sharkey läßt den Posten zu Boden fallen und läuft geduckt los.

Vier Sekunden, drei, zwei…

Bäume tauchen auf, ein paar alte Ställe. Sharkey wirft sich hin. Hinter ihm fliegt das Depot mit ohrenbetäubendem Krach in die Luft, ein Feuerblitz erhellt die Nacht, es knallt, kracht, faucht und jault wild. Schreie gellen durch die Nacht. Schüsse peitschen plötzlich. Im Nu ist die Hölle los. Die Pulverfässer gehen hoch, die Munition beginnt zu knattern. Holzteile wirbeln durch die Luft, Feuerschlangen zucken umher.

Sharkey kriecht auf allen vieren unter die Bäume, springt auf und hetzt weiter.

Vor ihm laufen seine Leute – vier Mann, Soldaten des Südens wie er, tollkühn und besessen, dem Krieg die große Wende zu geben, damit der Süden doch noch gewinnt.

Wumm…, wumm…, wumm… Nacheinander gehen immer neue Pulverfässer hoch. Das Depot ist zusammengebrochen, Feuerbälle durchstoßen die brennenden Trümmer und jagen hoch empor.

Im zuckenden Feuer erkennt Sharkey, wie die Nordstaaten-Soldaten in ihrem Camp umherhasten und die Pferde einfangen.

Er keucht vom schnellen Lauf. Endlich sieht er vor sich ihre Pferde. Er schwingt sich in den Sattel. Seine Leute sind schon auf den Pferden. Durch die Bäume zuckt es grell und rot. Es riecht nach verbranntem Pulver und Holz.

Wild stampfen die Pferde. Die rauhen Männer sehen Sharkey an.

Da ist Jimmy Boyd, der jüngste. Er ist blaß. Schweiß glänzt auf seinem schmalen Gesicht, in dem die erbarmungslose Zeit ihre Spuren hinterlassen hat. Seine Augenlider flattern wie im Fieber.

Dann Tom Caldwell – ein paar Jahre älter, schwarzhaarig, Sohn eines Texaners und einer Mexikanerin. Steif sitzt er im Sattel, hält ein Gewehr.

Etwas hinter ihm hockt der bullige Frank Burnett auf dem Pferd. Sein Vater, einst Fährmann auf dem Big Muddy, ist gefallen. Frank haßt die Yankees wie sonst nichts auf der Welt.

Der vierte Mann heißt Jesse Lane. Er ist in diesem Land groß geworden. Er kennt hier jedes Nest. Als Freiwilliger ist er in die Armee eingetreten. Der Auftrag hat ihn nun wieder nach Missouri geführt. Sein Arm steckt in einer Schlinge. Die Schulter ist blutverkrustet. Sharkey hat ihm vor zwei Tagen, als Jesse sich auf Erkundungsritt befand und von Yankees angeschossen wurde, die Kugel herausgeholt. Es geht ihm nicht gut.

Sie alle wissen, wohin sie zu reiten haben. Jeder wird allein reiten und sich durchzuschlagen versuchen.

Sharkey blickt kurz zurück. Sein scharfes Profil hebt sich vor dem flammenden Rot deutlich ab. Er nickt vor sich hin, sieht die Männer an und sagt mit heiserer Stimme: »Viel Glück, Männer!«

»Viel Glück, Captain«, murmelt Frank Burnett.

Irgendwo klopft dumpfer Hufschlag. Die Yankees suchen…

»Reitet!« sagt Sharkey rauh. »Schlagt euch durch! Ich will jeden von euch wiedersehen…!«

Sie nicken stumm, reißen die Pferde herum und jagen los – jeder nimmt einen anderen Weg.

Ihre Wege verlaufen im weiten, endlosen Land.

Plantagen liegen brach, verwüstet. Farmen sind niedergebrannt. Felder verwuchert, Höfe verwahrlost. Baumwolle ist abgebrannt, Ställe sind eingerissen worden. Wie Grabsteine ragen rußgeschwärzte Schornsteine aus Ruinen empor.

Die Männer sind noch einsamer geworden.

Auf einer Anhöhe verhält Cash Sharkey. Mit verengten Augen blickt er zurück. Fernab glüht das Feuer der Nacht. Schwaches Licht fällt auf die Straße. Reiter jagen umher.

Wir haben es wieder einmal geschafft, denkt er, aber nichts von Triumph ist in ihm. Es bleibt noch viel zu tun. Wer weiß, ob sie sich jemals wiedersehen werden. Das Land wimmelt von Yankees. Brücken werden scharf bewacht. Truppentransporte rollen auf den endlosen Straßen durch das Land. Tausend Gefahren lauern überall.

Die Hölle wartet schon…

Weiter!

Er reitet ohne Rast.

Im Osten färbt sich der Himmel, Morgenröte überzieht den Himmel. Der Horizont beginnt zu glühen. Ein neuer Tag zieht herauf.

Viele Meilen liegen vor ihm und seinen Männern.

Er denkt über ihren Auftrag nach. Mitten im Gefecht wurde er plötzlich zurückgezogen. Ein Befehl von höchster Stelle. Der Auftrag: Nehmen Sie sich ein paar Männer, die Ihnen bekannt sind – möglichst aus Ihrer Abteilung. Sie müssen sich auf sie verlassen können. Reiten Sie getrennt. Treffen Sie sich am Missouri. Sie werden mit allem ausgerüstet. Später müssen Sie sich Dynamit selber besorgen. Es gibt Depots genug im Hinterland der Yankees. Jagen Sie alles hoch, was für den Norden wichtig ist. Wir müssen den Nachschub blockieren. Handeln Sie in eigener Verantwortung, Captain Sharkey. Wir verlassen uns auf Sie und Ihre Männer…

Das war vor vielen Monaten.

Inzwischen haben sie zwei Schienenstränge auseinandergesprengt – und letzte Nacht das Depot.

Es ist erst der Anfang…

Die Verfolger sind hinter ihnen. Es ist ein heißer Mittag, als Cash Sharkey am Rande einer langen Senke sein Pferd zügelt und mit scharfen, verkniffenen Augen nach Süden blickt.

Weit hinten sieht er dunkle Punkte, die sich bewegen – Reiter in den blauen Uniformen der Nordstaaten!

Schralender Wind treibt den Staub von den Anhöhen. Viel Staub liegt auf Sharkeys Schultern. Er trägt derbe, einfache Kleidung. Wie seine Männer, so hat auch er die graue Uniform des Südens abgelegt, um sich nicht zu verraten. Ein Captain ohne Uniform…

Schweiß perlt auf seinem harten Gesicht, sickert durch die Staubschicht, zeichnet kleine feine Fäden.

Er atmet scharf ein, zieht das Pferd herum und reitet weiter, taucht hinter der Anhöhe unter. Vor ihm dehnt sich ein Waldgebiet aus. Er lenkt das Pferd unter die Bäume und reitet kreuz und quer, verwischt die Spur und überquert den flachen Höhenzug. Hier gleitet er aus dem Sattel, zieht das Gewehr aus dem Scabbard und geht zurück, legt sich auf den warmen Boden und wartet. Vor ihm ist eine Baumschneise. Er kann weit hinuntersehen. Nach langer Zeit sieht er mehrere Reiter aus der Senke hervorkommen, fünf – acht – zehn Mann. Sie rotten sich zusammen. Er verzieht das knochige Gesicht, bleibt liegen, beobachtet wachsam.

Schon bald reiten die Yankees weiter. Er verliert sie aus den Augen. Doch er ist voller Argwohn. Diese Yankees geben nicht so schnell auf.

Wo mögen jetzt seine Leute sein? Auch sie versuchen, allein durch die Yankee-Ketten hindurchzuschlüpfen. Auch ihnen wird es nicht immer gelingen, ihre Spuren zu verwischen. Auch sie werden hartnäckige Verfolger auf ihrer Fährte haben.

Plötzlich hört Sharkey einen fremden Laut. Irgendwo unterhalb seines Verstecks ertönt Hufschlag. Holz bricht. Dumpf und verzerrt klingt eine Stimme. Es rasselt und klirrt leise. Ein Pferd schnaubt laut. Stimmen sind zu hören.

Sharkey rührt sich nicht.

Die Verfolger kommen immer näher. Noch suchen sie unten zwischen den Bäumen nach seiner Spur. Doch sie werden sehr bald schon die Anhöhe emporkommen…

Er legt das Gewehr ab, duckt sich und liegt still, verläßt sich auf sein scharfes Gehör und ist dabei entschlossen, sein Leben so teuer wie möglich zu verkaufen.

Jetzt taucht ein Mann weit unten am Ende der Schneise auf, hält sein Pferd am Zügel und blickt umher.

Wind raunt in den Bäumen, Blätter rascheln. Es riecht stark nach harzigem Holz. Ein Häher jagt über die Lichtung hinweg. Seltsam still ist es auf einmal. Nur manchmal knackt Holz. Sharkey blickt vorsichtig hoch. Der Yankee verharrt noch immer dort unten vor den Bäumen, halb im Schatten.

»Corporal!«

Weitab ruft eine heisere Stimme.

Sharkey blickt wieder hinunter. Der Yankee dort unten verschwindet zwischen den Bäumen.

Sekunden später tacken Hufe davon, den Hang hinunter.

Der dreißigjährige Captain bleibt noch liegen. Bald sieht er weit unten die Kette der Reiter. Erst jetzt erhebt er sich, gleitet geduckt zu seinem Pferd zurück, sitzt auf und reitet weiter nach Norden.

Einmal lacht er hart auf.

Die Stimme ist ohne Klang.

Der Tag vergeht, die Nacht fällt über das Land. Im Süden durchzieht der mächtige Missouri das Land. Vor Sharkey taucht ein einsames Gehöft auf. Er macht einen Bogen darum und reitet rastlos weiter…

*

Lynn Harpers horcht. Ihr dunkles feingeschnittenes Gesicht befindet sich im Lichtschein des Kerzenständers. Das schwarze Haar schimmert seidig und weich, fließt auf die bloßen Schultern und berührt das Abendkleid.

Draußen rollt ein Wagen vorbei. Die Achsen ächzen und quietschen. Jemand flucht verhalten.

Lynn braucht nicht hinauszusehen, um zu wissen, wie es auf der nächtlichen Straße aussieht.

Überall lümmeln schwarze Horden. Farbige, die mit ihrer jäh gewonnenen Freiheit nichts anzufangen wissen. Yankees prägen das Gesicht dieser kleinen Stadt, die vor dem Kriege vergessen schien. Am Rande der Stadt steht das Zeltcamp der Soldaten. Am Ende der Straße stehen zwei Galgengerüste. Die Erhängten sind vor ein paar Tagen heruntergeholt worden. Der neue Stadtkommandant, ein Yankee, hat mit jenen Männern, die selbst noch kämpften, als Missouri längst besetzt war, kurzen Prozeß gemacht und sie öffentlich hängen lassen. Nun duckt sich diese kleine Stadt in Angst, und kein Einwohner wagt sich in die Saloons, wo die Yankees lärmen. Die Besitzer der Saloons, des Stores und des Frachtwagenhofes sind enteignet worden. Es sieht schlimm aus in dieser Stadt, die so weit von der Front im Osten und Süden entfernt ist…

Lynn Harpers ist allein im Haus.

Ihr Vater ist im Kriege, ihre Mutter arbeitet im Haus des Stadtkommandanten, weil es ihr befohlen worden ist.

Sie kann nicht klagen, es geht ihr gut. Sie wird von den Yankees mit Respekt behandelt, und ein Yankee-Offizier macht ihr sogar den Hof. Er hat sie für heute abend eingeladen. Es soll ein Tanz stattfinden, drüben im großen Gemeindehaus. Lynn weiß längst, daß sie dieser Einladung folgen muß. Und es ist auch etwas Seltsames mit ihr geschehen: Sie kann den jungen Yankee-Offizier nicht hassen. Sie fühlt eine Zuneigung, die sie erschreckt, die den Haß zwischen Nord und Süd überbrückt.