Handbuch der Zauberpilze
Dieses Buch ist meiner Mutter Wikkie gewidmet.
Verlegt durch
Nachtschatten Verlag
Kronengasse 11
CH-4500 Solothurn
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www.nachtschatten.ch
4. überarbeitete und ergänzte Auflage 2016
© 1999 Arno Adelaars, Amsterdam
www.arnoadelaars.com
© für die deutsche Ausgabe: Nachtschatten Verlag
Übersetzung aus dem Niederländischen: Rowan Krischker, Amsterdam Mit Textbeiträgen von Markus Berger (Monografie Psilocybe germanica u. a. )
Bildnachweis: soweit nicht anders vermerkt, stammen alle Illustrationen aus dem Archiv des Autors, von Christian Rätsch oder des Nachtschatten Verlages. Seite 79: Jochen Gartz, Seite 104: Markus Berger.
Umschlaggestaltung: Sven Sannwald, Lüterkofen
Layout: Janine Warmbier, Hamburg
Lektorat: Pascale Breitenstein
Herstellung: Steinmeier, Deiningen
Printed in Germany
ISBN 978-3-907080-49-1
eISBN 978-3-03788-572-7
Alle Rechte der Verbreitung durch Funk, Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, elektronische Medien und auszugsweiser Nachdruck sind vorbehalten.
VORWORT
1DIE ENTDECKUNG DER HEILIGEN ZAUBERPILZE IN MEXIKO
Pilzliebhaber und Pilzfeinde
Eine unvergeßliche Nacht
2DIE ERSTE PSYCHEDELISCHE WELLE
Trippen steht auf dem Stundenplan des Professors
Es war einmal an einem schönen Karfreitag
Pilgernde Hippies
Kultivierte Rauschpilze
3DIE ZWEITE PSYCHEDELISCHE WELLE
Nach dem Überwinden der Schwellenangst
House
Conscious Dreams: Der erste Smart Shop öffnet seine Pforten
Smart Bars
Psilos wurden verboten, aber nicht vollständig
4DIE PSYCHEDELISCHE ERFAHRUNG
Der Verlauf des Rausches
Wirkung der Substanzen
Mensch und Psilos
Setting
Konsumieren der Rauschpilze
Der Weg der Substanzen durch den Körper
Die Wirkung der Substanzen im menschlichen Gehirn
Kreuztoleranz im menschlichen Organismus
5ANWENDUNG
Anwendungsbereiche der Rauschpilze
Wahre Geschichten von Rauschpilzkonsumenten
Im Wald
Selbsterkenntnis
Ein schöner Tag zum Sterben
Zauberpilze bei den Mazateken
Zauberpilze und Hellseherei
In der Therapie
Entziehungskur mit vierhundert Kahlköpfen
»Psilos haben mein Leben verändert«
Wissenschaftliche Untersuchungen
6DARSTELLUNGEN UND BESCHREIBUNGEN VERSCHIEDENER RAUSCHPILZE
Psilocybe semilanceata (Spitzkegeliger Kahlkopf)
Psilocybe cubensis (Göttlicher Dungpilz)
Panaeolus cyanescens (Blauverfärbender Düngerling)
Psilocybe cyanescens (Blauverfärbender Kahlkopf)
Psilocybe azurescens (Azurblauverfärbender Kahlkopf)
Psilocybe germanica (Deutscher Kahlkopf)
Panaeolus subbalteatus (Dunkelrandiger Düngerling )
Prozentgehalte wirksamer Substanzen in getrockneten Proben
Liste einheimischer Rauschpilze
7PILZZUCHT
Anleitung zum Anlegen einer Pilzkultur
Gläser
Substratzubereitung und Sterilisieren
Inokulieren und Wachstum
Kulturumgebung
Impfmaterial
Ernte und Konservierung
Kontrolliste
Illustrationen
8RISIKEN
Rauschpilze
Rauschpilze selbst sammeln
Bad Trip
Drogenpsychose und Behandlung
Das Betäubungsmittelgesetz
Vermeiden von Risiken
9AUF WASSONS SPUREN: ETHNOMYKOLOGIE
Rot mit weißen Punkten
Die Zauberpilze sprechen
10PSILOCYBIN-PILZKULTUR GANZJÄHRIG ZUHAUSE
(Anhang von F. Spitzkegulus & B. Paramycelius)
Vorbemerkung zur Pilzkultivierung
Geschichte der Oberflächenkultur
Arbeitsvorschrift zur Oberflächenkultur
Einfaches Impfen grosser Myzelbruten
Lagerung und Verarbeitung der Myzelien
Resultate der Oberflächenkultur
Literatur
WORTE DES DANKES
ANMERKUNGEN
BIBLIOGRAPHIE
GLOSSAR
Noch keine zehn Jahre nach den Schlagzeilen um die Partydroge Ecstasy steht wieder ein bewußtseinsverändernder Stoff im Mittelpunkt. Diesmal ziehen keine wilden Parties und ein neuer Musikstil die Aufmerksamkeit der Medien auf sich; das Phänomenale an den Rauschpilzen ist, daß sie öffentlich in Smart Shops angeboten und verkauft werden.
Wie es dazu kam, daß der erste Smart Shop Hollands Rauschpilze feilbot, ist hier zu lesen, ebenso die wunderliche Geschichte von der Entdeckung eines lange geheimgehaltenen indianischen Rituals und über die Rolle, die die Rauschpilze am Anfang der Psychedelischen Revolution der sechziger Jahre spielten.
Weiter werden die Wirkung der Psilos im Körper, verschiedene Anwendungsmethoden und deren Risiken in diesem Buch behandelt. Nicht jedem ist die Anwendung psychedelischer Pilze in die Wiege gelegt. Im Gegensatz zu demjenigen anderer Mittel ist der von Zauberpilzen verursachte Rausch nicht immer angenehm. Nach den ersten Erfahrungen steht man früher oder später sich selbst gegenüber. Bemerkenswerterweise geben erfahrene Gebraucher an, daß gerade unangenehme Erfahrungen wie z.B. Selbstkonfrontationen und die daraus resultierenden Selbsteinsichten wichtige Gründe für die Einnahme von Rauschpilzen sein können.
Gegenwärtige politische Kontroversen können evtl. dazu führen, daß Psilos in Zukunft verboten werden. Um zu verhindern, daß Pilzliebhaber in dunkle Machenschaften und Schwarzhandel verwickelt werden, enthält dieses Buch außer einer Anleitung zum Anlegen einer eigenen Pilzzucht auch die Namen von verschiedenen Rauschpilzen, die in Europa vorkommen und von denen angenommen wird, daß sie die gleichen psychedelischen Stoffe enthalten wie die Exemplare, die in den Smart Shops verkauft werden.
Pilze sind die Früchte eines Organismus, der unter dem Erdboden lebt. Dieses unterirdisch gedeihende Lebewesen wird Myzelium genannt. Sobald ein Pilz aus dem Boden wächst, verrät dieses Myzel seine Anwesenheit, ansonsten bleibt es genau so verborgen wie der mexikanische Kult um die Zauberpilze, der aus Angst vor den spanischen Eroberern vier Jahrhunderte lang geheimgehalten wurde.
Es ist schwer zu sagen, wie weit der Kult um die Zauberpilze historisch zurückgeführt werden kann. Bei Ausgrabungen in Mexiko und Guatemala wurden Hunderte pilzförmiger Statuen gefunden, die Jahrtausende alt sind.
Seit der Entdeckung Mittel- und Südamerikas vor ungefähr 500 Jahren versuchen die Spanier, die Eingeborenen zum katholischen Glauben zu bekehren. Viele verschiedene Indianerstämme verehren heilige Pflanzen. In den Augen der spanischen Eroberer sind sie heidnische Götzenanbeter. Alles, was auch nur im geringsten mit Pilzen, Kakteen, Stechäpfeln oder anderen psychedelischen Pflanzen zu tun hat, muß verschwinden. Es darf nur einen Gott geben, und das ist der römischkatholische. Mit allem anderen wird kurzer Prozeß gemacht, es wird in Stücke gerissen, zerhackt bzw. dem Erdboden gleichgemacht. Indianische Bücher werden verbrannt, Statuen zerstört, und unzähligen Eingeborenen wird das Leben geraubt, nur weil sie Heiden sind. Die Spanier halten alles schriftlich fest als Beweis für die primitive und unmenschliche Lebensart der Indianer.
Einer der ersten Europäer, der die Zauberpilze erwähnt, ist Bernardino de Sahagún, ein Franziskanermönch aus dem 16. Jahrhundert:
Es gibt kleine schwarze Pilze, die sie Nanácatl nennen. Vor Sonnenaufgang essen sie die Pilze mit Honig. Sobald die Wirkung eintritt, fangen sie an zu tanzen, zu lachen oder zu heulen. (…) Manche erwecken den Anschein, tief in Gedanken versunken zu sein. Andere sehen sich selbst sterben; wieder andere glauben sich von einer wilden Bestie zerrissen, und manch einer bildet sich ein, bei einer Schlacht den Feind gefangenzunehmen. Andere wiederum glauben, daß ihnen zur Strafe für begangenen Ehebruch der Schädel eingeschlagen wird.1
Aus anderen spanischen Quellen des 16. Jahrhunderts geht hervor, daß bei der Krönungszeremonie zweier aztekischer Herrscher ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung psychedelische Pilze zu sich nahm.
In Nahuatl, der Sprache, die bis heute von vielen Mexikanern indianischer Abstammung gesprochen wird, werden Rauschpilze Teonanácatl genannt, was frei übersetzt »das Fleisch der Götter« bedeutet.
Schon bald wird den Indianern klar, was sie ihren Eroberern zu verdanken haben. Der Kult um die Zauberpilze kann nur noch im verborgenen überleben. Weder den Folterqualen der Inquisition noch den Beichtstühlen der katholischen Kirche gelingt es, den Indianern auch nur ein Wort darüber zu entlocken. Mehr als vier Jahrhunderte lang wird der Zauberpilzkult vor den spanischen Unterdrückern geheimgehalten.
Mitte der dreißiger Jahre findet ein amerikanischer Student der botanischen Wissenschaften in einer Universitätsbibliothek ziemlich karge Information über Teonanácatl. Er heißt Richard Evans Schultes und ist der Urenkel deutscher Einwanderer, der erste seiner Familie, der an der Prestige-Universität Harvard in Cambridge, Massachusetts, zugelassen wird. Er ist gerade von einer Expedition zu den Kiowa-Indianern in Oklahoma zurückgekehrt. Im Sommer 1936 wohnte er religiösen Ritualen der »Native American Church« bei, bei denen der Konsum des meskalinhaltigen Peyotekaktus im Mittelpunkt steht.
Richard Schultes Interesse an den Rauschpilzen, die »das Fleisch der Götter« genannt werden, ist enorm. Als er jedoch versucht, mehr über diese Pilze in Erfahrung zu bringen, liest er, daß sie gar nicht existieren. Ein berühmter amerikanischer Botaniker verfaßte Anfang dieses Jahrhunderts einen wissenschaftlichen Artikel, in dem er behauptet, daß es sich bei der Entdeckung der Rauschpilze nur um ein Mißverständnis handeln konnte. Offensichtlich haben die spanischen Chroniker aus dem 16. Jahrhundert den Zauberpilz mit einem getrockneten Peyotekaktus verwechselt, schrieb der amerikanische Botaniker Safford. Wie wäre es sonst möglich, daß 400 Jahre Nachforschungen vor Ort erfolglos blieben? Safford meint, daß die spanischen Chronikverfasser aus dem 16. Jahrhundert keine Pilzkenner waren und die Eingeborenen lediglich primitive, zurückgebliebene Wilde, die sowieso keine Ahnung hatten.
Der junge Richard Schultes ist von Saffords Argumenten nicht überzeugt. Er hat gerade mit eigenen Augen gesehen, wie umfassend und detailliert das botanische Wissen der Kiowas ist. Kakteen mit Pilzen verwechseln? Schultes ist ein Botaniker in Ausbildung, also noch keine Autorität, aber er hat bis vor kurzem Tausende getrockneter Kakteen gesehen, und keine einzige davon sieht einem Pilz auch nur im geringsten ähnlich.
Das Glück ist ihm hold: Während er im Universitätskräutergarten Proben getrockneter Kakteen für seine Arbeit über die »Native American Church« vergleicht, findet er einen Brief an einer dieser Proben. 1923 schrieb Blas Pablo Reko aus Guadalajara (Mexiko) an Saffords Nachfolger:
Übrigens entnehme ich Ihrer Beschreibung der Lophophora (wissenschaftliche Bezeichnung des Peyotekaktus), daß Dr. Safford hier den Teonanácatl von Sahagún meint. Das ist jedoch gänzlich falsch. Tatsächlich handelt es sich, wie von Sahagún beschrieben, um eine Pilzart, die auf Misthaufen gedeiht und die noch immer unter ihrem ursprünglichen Namen von den Indianern der Sierra Juarey in Oaxaca bei religiösen Ritualen benutzt wird.2
In aller Eile verfaßt Richard Schultes einen Brief an Blas Pablo Reko; daraus enwickelt sich eine Korrespondenz, mit der er ab und zu ein paar Rauschpilze zugesandt bekommt. Diese sind jedoch in so schlechtem Zustand, daß Schultes die Spezies nur mit großer Mühe identifizieren kann. Die Überbleibsel lassen sich noch am ehesten mit der Panaeolus-Familie vergleichen.
Fest entschlossen, das Geheimnis der Zauberpilze zu entschleiern, fahren Blas Pablo Reko und Schultes im Sommer 1938 mit dem Bus nach Mexiko. Nach wochenlanger Reise, oft unter erbärmlichen Umständen, erreichen die beiden Weissen das Dorf Huautla de Jiménez in der Provinz Oaxaca. Reko bringt Schultes mit einem mazatekischen Händler, dem Eigentümer des größten Ladens im Dorf, einem angesehenen Mann, in Kontakt. Dieser berichtet, einem Ritual beigewohnt, selbst aber keine Zauberpilze eingenommen zu haben. Er ist davon überzeugt, daß diese Zauberpilze ein Geschenk Jesu seien, da es in seinem Dorf weder Medizin noch Ärzte gibt.
Eunice Pike, eine junge Amerikanerin, die die Eingeborenen zum Evangelium bekehren will, kann Schultes ein bißchen mehr über die Rauschpilze erzählen. Sie lebt bereits ein paar Jahre bei den Mazateken und hat einmal versucht, einer jungen Indianerin zu erklären, was der Himmel ist:
Ich sagte, es sei ein sehr schöner Ort, ein Ort ohne Tränen. Die Indianerin fragte, ob ich schon einmal dort gewesen wäre. Verneinend erklärte ich ihr, daß nur die Toten den Himmel kannten. Traurig blickte sie mich an, meinte, sie hätte Mitleid mit mir, und lief - den Tränen nahe - weg.
»Eigenartig«, meinte Schultes.
»Erst danach wurde mir bewußt, daß die Mazateken behaupten, sie seien schon mal im Himmel gewesen.«
»Mit Hilfe der Zauberpilze?«
»Ja, sie glauben, daß Jesus durch die Zauberpilze zu ihnen spricht und daß die Visionen Botschaften Gottes sind. Wie nannten Sie sie?«
»Teonanácatl«, sagte Schultes, »manche glauben, daß es ‘Fleisch der Götter’ bedeutet.«
»Im Mazatekischen haben die Zauberpilze verschiedene Namen. Einen können Sie direkt mit ‘Die kleinen Heiligen’ übersetzen.«
»Haben Sie sie jemals mit eigenen Augen gesehen?«
Sie verneinte.
»Wie wirken sie? Was berichten die Menschen darüber?«
Sie blickte in seine Augen und sagte nichts. Resignierend seufzte sie: »Es sind Dinge, von denen wir keine Ahnung haben. Das Christentum ist wie eine Lage dünnen Firns über dem Leben dieser Menschen. Nachts höre ich sie singen, sie fangen immer mit dem Vaterunser an. Meine Vorgängerin behauptet, das Herz Christi zu haben und die Tochter der Heiligen Jungfrau Maria zu sein. Im nächsten Augenblick jedoch ist sie die Tochter des Mondes und der Sterne, die Schlangen- oder Vogelfrau oder etwas anderes.«
Sie lachte sanft.
»Stört Sie das nicht?«, fragte Schultes.
»Ja, natürlich«, sagte sie. »Oder eigentlich nicht. Warum sollte es mich stören? Als ich zum ersten Mal hierher kam, habe ich mich bei einem alten Mann über den Kult der Zauberpilze beschwert. Wissen Sie, was er mir erwiderte?«
»Nein«, lächelte Schultes.
Er meinte: »Was soll ich denn machen? Ich muß den Willen Gottes kennen und kann nicht lesen.«3
Trotz aller Mühe gelingt es Schultes nicht, an einem Ritual teilzunehmen. Er spricht nur wenig Spanisch – und hat damit viel mit den meisten Mazateken gemeinsam.
Der Zufall will es, daß zur gleichen Zeit auch eine andere Gruppe unterwegs ist, um den Kult der Zauberpilze zu erforschen. Irmgard Weitlaner, der Tochter eines österreichischen Indianerspezialisten, und ihrem zukünftigen Ehemann, Jean Basset Johnson, gelingt es, einem Ritual beizuwohnen. Während dieses Rituals nimmt jedoch nur der Medizinmann Zauberpilze zu sich. Der Patient und dessen Familie, die um dieses Ritual gebeten haben, bekommen keine Pilze, ebensowenig die Europäer. 1939 verfasst Jean Basset Johnson zwei wissenschaftliche Artikel über das Ritual und dessen zugrundeliegende Glaubenssysteme.4 Später treffen die beiden Gruppen einander wieder und tauschen Erfahrungen aus.
Schultes hat mehr Glück beim Sammeln der mysteriösen Teonanácatl. Es gelingt ihm, ein Exemplar nach Harvard mitzunehmen und dieses wissenschaftlich zu identifizieren. 1939 wird der Panaeolus sphrinctrinus zum ersten Mal in der wissenschaftlichen Literatur unter dem Titel The Identification of Teonanácatl, a Narcotic Basidiomycete of the Aztecs erwähnt. Der Artikel schlägt nicht wie eine Bombe ein, der Zweite Weltkrieg ist nämlich auf dem Vormarsch. Richard Schultes kehrt nicht nach Mexiko zurück. Er schätzt die politische Lage korrekt ein und bereitet sich auf eine Expedition in den Dschungel des Amazonasgebietes vor, wo er insgesamt zwölf Jahre verbringt, mindestens 300 unbekannte Pflanzen entdeckt und für die US-Regierung Untersuchungen über Kautschuk vornimmt.
R. Gordon Wasson, dem Vizepräsidenten der amerikanischen Handelsbank J. P. Morgan & Co., kommt die Ehre zu, als erster Weisser bei einer Velada, einem nächtlichen Zauberpilzritual, Psilos einzunehmen. Obwohl Wasson ein Bankier und Journalist, kein Mykologe oder Botaniker ist, steht sein ganzes Leben im Bann der Rauschpilze. Der Grund für diese lebenslange Faszination ist ein bizarrer Vorfall, der sich während seiner Flitterwochen ereignete. 1926 heiraten die Kinderärztin Valentina Pavlovna und Gordon Wasson. Während einer Wanderung durch die Natur stößt das junge Paar auf eine Weide mit Pilzen. Die Jungverheirateten reagieren total verschieden. Valentina sammelt begeistert Pilze, während Gordon den widerwärtigen Objekten Blicke voller Abscheu zuwirft, in der Annahme, in Kürze zum Witwer befördert zu werden. Zu Hause bereitet Valentina ein herrliches Mahl. Gordon nimmt keinen einzigen Bissen zu sich. Sie wundern sich über ihre gegensätzliche Reaktion.
Nach längerem Hin und Her entwickeln sie die Theorie, die die Weltbevölkerung in Mykophile und Mykophobe einteilt. Die Hälfte der Weltbevölkerung hat Angst vor Pilzen, die andere Hälfte liebt Pilze. Faszination oder Abscheu sind vom kulturellen Hintergrund abhängig. Gordon Wasson, mit angelsächsischem Hintergrund, gehört deutlich zu den Mykophoben. Seine russische Frau Valentina, eine Slavin, ist eine Mykophile, d.h. eine Pilzliebhaberin.
Die Verblüffung des Ehepaares über ihre unterschiedliche Reaktion mündet in einem gemeinsamen Projekt. Sie wollen ein Buch über die russische Küche schreiben. Darin soll die Zubereitung von Pilzen, einschließlich Rezepten und einer Beschreibung aller eßbaren Pilze, vorkommen. Beim Sammeln des Materials für ihr Projekt stossen die Wassons immer wieder darauf, wie unterschiedlich Menschen Pilzen gegenüberstehen. Alle Völker dieser Erde sind entweder in das eine oder andere Lager einzuteilen. Was sind die tieferliegenden Gründe dieser Kluft zwischen Mykophilen und Mykophoben? Die Wassons sind davon überzeugt, daß dabei eine vergessene Wahrheit von größter Wichtigkeit ist.5 Als das Ehepaar im September 1952 zwei Briefe erhält, verschwindet das Kochbuch im Hintergrund. Einer der Briefe ist von einem Freund der Wassons, vom Dichter Robert Graves, der andere von einem italienischen Verleger, mit dem das Ehepaar wegen seines Kochbuchs Kontakt aufgenommen hatte. Beide Briefe enthalten die gleiche Botschaft: daß aller Wahrscheinlichkeit nach noch immer ein Zauberpilzkult in Mexiko existiert.
Die Wassons nehmen Kontakt mit dem Botanischen Museum der Harvard-Universität auf. Richard Evan Schultes sendet den Wassons seinen 1939 veröffentlichten Artikel über die heiligen mexikanischen Zauberpilze und fügt die Adresse des Mannes hinzu, mit dem er in Huautla de Jiménez gewesen ist: Blas Pablo Reko.
1953 organisieren die Wassons auf eigene Faust ihre erste Pilzexpedition in das Dörfchen, das in der Provinz Oaxaca liegt. Es folgen acht Expeditionen, bis endlich im Sommer 1955 sich das Glück der Wassons erbarmt.
Am 29. Juni 1955 trifft Gordon Wasson im Dorf Huautla de Jiménez den mazatekischen Indianer Cayetano Garcia Mendoza, der im Gemeindehaus von Huautla arbeitet. Wasson fragt ihn: »Können Sie mir helfen, das Geheimnis der Heiligen Zauberpilze kennenzulernen?« Zu seiner großen Überraschung antwortet der Indianer: »Nichts leichter als das.« Am Abend nimmt Mendoza den Amerikaner mit zu sich nach Hause. Gemeinsam pflücken sie Rauschpilze. In den späten Abendstunden geleitet Mendoza Wasson in die Lehmhütte einer Curandera, einer Medizinfrau.
Wie sich herausstellt, heißt die Medizinfrau Maria Sabina, außer ihr befinden sich noch 20 andere Teilnehmer in der Hütte. Wasson und sein Fotograf sind die einzigen Weissen und bekommen je ein Dutzend Zauberpilze zugeteilt. Maria Sabina nimmt die doppelte Menge. Wasson will sich durch die Wirkung der Pilze nicht überwältigen lassen, so daß er sich später so genau wie möglich erinnern kann, was passiert. Es bleibt bei der Hoffnung. Je weiter die Nacht fortschreitet, desto intensiver werden seine Erlebnisse. Er sieht mit Juwelen verzierte Paläste, Gärten und ein mythologisches Wesen, das eine fürstliche Kutsche zieht. Kurz danach scheinen die Lehmmauern der Hütte zu verschwinden, und er glaubt, durch die Luft zu fliegen. Er sieht, wie sich die Erde unter ihm dreht, und beobachtet eine Kamelkarawane, die langsam einen Berg besteigt.
Sechs Tage später nimmt Wasson mit seiner Frau und seiner siebzehnjährigen Tochter Zauberpilze. Es ist das erste Mal, daß Weisse diese Pilze außerhalb eines indianischen Rituals zu sich nehmen. Wieder hat er vergleichbare Visionen und erneut fällt ihm auf, wie deutlich die Bilder sind. Er hat das Gefühl, daß seine Wahrnehmungen verglichen zum Alltag schärfer sind. Er stellt sich die Frage: »Sind diese Zauberpilze das geheime Sakrament der alten Mysterien? Sind die Rauschpilze der Grundstein aller Religionen?«
Gordon Wasson versucht während des Rests seines Lebens, diese Fragen zu beantworten. Auf der Suche nach Antworten findet er immer mehr. Ein Jahr nach seiner ersten Erfahrung mit magischen Pilzen kehrt Wasson nach Mexiko zurück, diesmal in Begleitung des berühmten französischen Pilzkundigen Professor Roger Heim. Es gelingt Wasson und Heim, sieben verschiedene Sorten Rauschpilze zu identifizieren, die Visionen verursachen. Professor Heim entnimmt Pilzsporen. Wieder in Paris, gelingt es ihm, zwei Arten Rauschpilze künstlich zu kultivieren. Eine Art davon steht momentan im Mittelpunkt des Interesses, nämlich Psilocybe cubensis, die in den Smart Shops »Mexikaner« genannt wird.
Inzwischen schreibt man das Jahr 1957. Während die erste künstliche Kultivierung dieses speziellen Rauschpilzes fruchtbare Resultate ergibt, erscheint in der beliebten amerikanischen Zeitschrift »Life« eine lange Reportage aus der Feder Gordon Wassons. Seeking the Magic Mushroom (auf der Suche nach dem Zauberpilz) lautet der Titel dieser vorbildlichen journalistischen Arbeit, die mit Fotos der nächtlichen Zeremonie unter der Leitung von Maria Sabina und aquarellierten Darstellungen sieben verschiedener Rauschpilze versehen ist.6 In diesen Tagen ist »Life« wortwörtlich eine Weltzeitschrift. Das Fernsehen steckt noch in den Kinderschuhen und spielt bei den Nachrichten noch keine Rolle. »Life« wird weltweit ausgegeben und erscheint außer in englischer auch in spanischer Sprache. Nach dem Druck dieser Ausgabe ist der Zauberpilzkult der Mazateken nicht länger geheim. Die ganze Welt weiß davon.
Viele Wissenschaftler wollen herausfinden, welcher Stoff die Visionen hervorruft. Roger Heim sendet 100 Gramm seiner selbstgezüchteten Rauschpilze an den Schweizer Chemiker Albert Hofmann, der als Angestellter beim Arzneimittelkonzern Sandoz in Basel arbeitet. Albert Hofmann genießt Ende der fünfziger Jahre den Ruf als Erfinder eines Stoffes im wissenschaftlichen Raum, der in therapeutischen Experimenten gebraucht wird: LSD. Aufgrund seiner Erfahrung mit dem Synthetisieren von LSD ist es für Hofmann nicht weiter problematisch, die wirksamen Substanzen der Psilos zu isolieren. Er nennt sie Psilocybin und Psilocin. Innerhalb kürzester Zeit gelingt es Hofmann, diese Substanzen rein chemisch herzustellen.
Der Grund, warum Hofmann im Gegensatz zu anderen Forschern Erfolg hat, liegt an der unterschiedlichen Arbeitsmethode. Hofmann konsumiert die Rauschpilze selbst, um herauszufinden, ob sich wirksame Substanzen darin befinden. Andere Forscher testen Psilos an Hunden, bei denen jedoch keine Reaktion sichtbar ist. Wie kann man bei einem Hund mit Sicherheit feststellen, ob er halluziniert oder nicht?
Hofmanns Arbeitgeber Sandoz produziert eine beachtliche Menge synthetischen Psilocybins (2 kg) und sendet es an verschiedene Wissenschaftler auf der ganzen Welt.
1953, zwei Jahre vor der Entdeckung des Zauberpilzkultes in Mexiko, konsumiert der englische Philosoph und Schreiber Aldous Huxley Meskalin. Er schildert seine Erfahrungen in dem himmelsstürmenden Buch »The Doors of Perception« (Die Pforten der Wahrnehmung), das zum Handbuch der Hippiegeneration in den Sechzigern avanciert. Die berühmt-berüchtigte Band »The Doors« nennt sich nach Huxleys Buch.
Meskalin ist der wirksame Stoff des Peyotekaktus (Lophophora williamsii). So wie die Zauberpilze den Mazateken und anderen Indianerstämmen in Südamerika heilig sind, wird der Peyotekaktus von einigen nordmexikanischen Indianerstämmen wie z.B. den Huichol und den Tarahumara verehrt. Der Peyotekaktus ist das Sakrament der Glaubensgemeinschaft der Indianer Nordamerikas, der »Native American Church«.
1960 befindet sich Huxley in der amerikanischen Universitätsstadt Cambridge, die zwei der besten Universitäten der Vereinigten Staaten beherbergt: Harvard und MIT (Massachusetts Institute of Technology). Der Autor wird gebeten, einige Gastvorlesungen am MIT zu geben. Während seines Aufenthalts in Cambridge macht er die Bekanntschaft verschiedener amerikanischer Wissenschaftler, darunter der junge Harvard-Psychologe Timothy Leary. Leary hat »The Doors of Perception« und den Artikel Gordon Wassons in »Life« über den mexikanischen Zauberpilzkult gelesen. Während eines Ferienaufenthaltes in Mexiko hat er am Rand eines Schwimmbads Rauschpilze genommen, die ihm, nach eigenen Worten, »die tiefste religiöse Erfahrung« seines Lebens ermöglicht haben:
Wow! In sechs Stunden habe ich mehr gelernt als in den letzten 16 Jahren!
Visuelle Veränderung der Gedanken. Verschwunden war die sinnesorganische Maschinerie, die den Blick auf unsere Wirklichkeit vollstopft;
Intuitive Veränderung der Gedanken. Verschwunden war die mentale Maschinerie, die die Welt in Abstraktionen und Konzepte einteilt;
Emotionelle Veränderung der Gedanken. Verschwunden war die emotionelle Maschinerie, die unser Leben mit Ambitionen und Verlangen füllt.7
Die Zauberpilze verändern Timothy Learys Leben. Der früher mehr theoretisch orientierte Psychologe wird ein inspirierender Pionier, der die Anwendungsmöglichkeiten der »Magic Mushrooms« erforscht. Bald kommt Leary zu Ohren, daß es synthetisch hergestelltes Psilocybin gibt, das der Schweizer Arzneimittelkonzern Sandoz verschiedenen Wissenschaftlern auf Anfrage übersendet. Sofort beantragt er das synthetische Psilocybin und beginnt mit einer Reihe von Experimenten. Gefängnisinsassen, Alkoholiker und Studenten bekommen von Timothy Leary und seinem Team synthetisches Psilocybin verabreicht.