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   Nicola Vollkommer– Menschen, die die Welt bewegen– Das Geheimnis geistlicher Vorbilder entdecken– SCM R.Brockhaus

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ISBN 978-3-417-22739-0 (E-Book)
ISBN 978-3-417-26602-3 (lieferbare Buchausgabe)

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CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

© 2014 SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag GmbH & Co. KG
Bodenborn 43 • 58452 Witten

Soweit nicht anders angegeben, sind die Bibelverse folgender Ausgabe entnommen:

Umschlaggestaltung: Tabea Siegel, www.pinkgepunktet.de

INHALT

Auf Spurensuche

Die Bergpredigt und ihre Folgen – Sr. Teresa Zukic

Der bescheidene Professor – C.S. Lewis

Eine andere Art zu sehen – Fanny Crosby

Der Mann, der Gott den ersten Platz gab – Eric Liddell

Bereit, mit dem Leben zu bezahlen – Irena Sendler

Den Kleinsten eine Zukunft geben – Bernd Siggelkow

Überzeugungen, die Geschichte schreiben – Katharina von Bora

Die befreiende Macht der Gnade – John Bunyan

Aus jedem Minus ein Plus machen – Margarete Steiff

10 Der Blick auf den Gekreuzigten – Paul Gerhardt

In ihren Fußstapfen

Anmerkungen

Auf Spurensuche

Menschen, die als geistliche Helden in die Kirchengeschichte eingehen, scheinen eines gemeinsam zu haben: Keiner von ihnen hatte vorgehabt, ein Held zu werden.

Gerade das macht sie sympathisch und zugänglich. Manche Männer und Frauen, deren Biografien in diesem Buch skizziert werden, waren außerordentlich begabt, manche wären in einer Menschenmenge kaum aufgefallen. Denn Talent ist nicht das, was einen Menschen groß macht. Die Bescheidenheit, die eigenen Talente nicht zur persönlichen Bereicherung, sondern zum Wohl anderer einzusetzen: Das ist der Stoff, aus dem Helden gemacht sind. Das macht sie zu Vorbildern. Damit hinterlassen sie Spuren. Und diese Spuren haben meistens mehr mit Leid, Verfolgung und Tränen als mit Anerkennung und Lob zu tun.

Manche der Helden in diesem Buch, wie zum Beispiel John Bunyan, Autor des Klassikers „Pilgerreise in die Ewigkeit“, oder Eric Liddell, Olympiaheld der Zwanzigerjahre, bekamen zu Lebzeiten nicht mehr mit, dass sie Geschichte geschrieben hatten; dass sie die Welt – oder zumindest ihren kleinen Teil davon – ein kleines bisschen fröhlicher, besser und gesünder hinterlassen hatten. Irena Sendler, die Hunderten von jüdischen Kindern in Polen das Leben rettete, wurde erst am Ende ihres Lebens für ihre mutigen Taten geehrt. Ihr selbst war es gar nicht aufgefallen, dass sie etwas Ungewöhnliches vollbracht hatte.

Andere, wie der Schriftsteller C.S. Lewis, die Komponistin Fanny Crosby oder der Dichter und Theologe Paul Gerhardt, bekamen ihren Ruhm sehr wohl mit. Aber der Erfolg ließ sie kalt. Nach Anerkennung hatten sie nie gestrebt. Vielleicht konnte ihnen gerade deshalb solch ein nachhaltiges Ansehen anvertraut werden, das ihre Werke unsterblich machte.

Gegen den Strom

Eines steht fest: Christen, die die Anerkennung der Welt suchen, können die Welt nicht ändern. Zu sehr sind sie mit ihr verbunden, zu sehr wollen sie ihren Lohn. Gegen den Strom zu schwimmen, Zeichen gegen den Zeitgeist zu setzen, Ungewöhnliches zu wagen und anderen Menschen Gutes zu tun, war schon immer ein zum Teil einsames, zermürbendes Geschäft. Nicht auf den Gipfeln des irdischen Erfolgs werden die Spielregeln des Reiches Gottes auf die Probe gestellt, sondern im Schmelztiegel des Leids, dort, wo man kostspielige Schritte geht; und das aus keinem anderen Grund als aus Liebe zu Gott, der es so verordnet hat, auch wenn diese Liebe zunächst nur Nachteile mit sich zu bringen scheint. Unzählige Christen zu allen Zeiten der Weltgeschichte haben diese biblische Grundhaltung sogar mit ihrem Leben bezahlt.

Es ist nicht schwierig, sie dafür nachhaltig als Berühmtheiten zu verehren, Standbilder für sie zu errichten und ihnen Bücher und Websites zu widmen. Sie aber nachzuahmen und in ihre Fußstapfen zu treten, ist eine ganz andere Sache. Heute ist es für uns ein Leichtes, lautstark über das Übel des Nationalsozialismus zu schimpfen und diejenigen hochleben zu lassen, die gegen dieses Übel kämpften. Für die Jugend Polens in den Dreißigerjahren war es aber ein Skandal, diese Ideologie infrage zu stellen. Ein Skandal, der der Warschauer Gettoheldin Irena Sendler fast das Leben gekostet hätte.

Nicht für sich selbst

Dieses Buch möchte aus dem Leben manch gefeierter Vorbilder – sowohl aus der Kirchengeschichte als auch aus unserer Zeit – Lehren für die heutige Zeit ziehen und der Frage nachgehen: Wie sind sie zu den Persönlichkeiten geworden, die sie waren? Wie würden sie in den Situationen handeln, in denen wir Christen uns heute befinden? Und am allerwichtigsten: Welche Spuren können wir anhand ihres Beispiels mit unserem Leben hinterlassen?

John Bunyan, Irena Sendler, Margarete Steiff, C.S. Lewis, Schwester Teresa Zukic, Bernd Siggelkow, Paul Gerhardt, Katharina von Bora, Eric Liddell, Fanny Crosby: Das Wirken dieser geistlichen Größen überspannt Kulturen, christliche Konfessionen und oft auch Jahrhunderte. Sie stehen für eine riesige Anzahl von Menschen, die es im Leben nicht auf das eigene Glück abgesehen hatten, für die „Selbstverwirklichung“ ein Fremdwort blieb. An ihrem Beispiel wird klar, dass das Reich Gottes nicht mit geistlichen Methoden oder klugen Ideen, sondern durch Menschen gebaut wird, die ihren Glauben authentisch und gewinnend leben und dadurch eine Atmosphäre schaffen, in der Jesus Christus und seine Botschaft unwiderstehlich werden und Herzen anfangen zu brennen. Es braucht nicht viele solcher Menschen, um einen Unterschied zu machen und mitunter eine ganze Gesellschaft positiv zu prägen.

In Schwäche stark

Beim Eintauchen in ihre Biografien dürfen wir erleichtert feststellen, dass Gott das auserwählt hat, „was in den Augen der Welt gering ist, um so diejenigen zu beschämen, die sich selbst für weise halten. Er hat das Schwache erwählt, um das Starke zu erniedrigen. Er hat das erwählt, was von der Welt verachtet und gering geschätzt wird, und es eingesetzt, um das zunichtezumachen, was in der Welt wichtig ist, damit kein Mensch sich je vor Gott rühmen kann“ (1. Korinther 1,27-29). Gottes Definition eines effektiven Glaubens ist oft anders als unsere. Mit Überraschung stoßen wir hier auf ganz normale Menschen, die ihre Kämpfe, Schwächen, Ecken und Kanten haben, genau wie wir. Schon in der Bibel werden wir daran erinnert, dass der mächtige Prophet Elia „ein Mensch von gleichen Gemütsbewegungen wie wir“ war (Jakobus 5,17; ELB), der dennoch durch seine anhaltende, leidenschaftliche Fürbitte eine Menge ausgerichtet hat. Gott weiß sehr wohl um unsere Tendenz, die geistlichen Größen mit verklärtem Blick in die Kategorie der Heiligen einzustufen, wo ihr Vermächtnis zu unantastbar ist, um uns in unserer eigenen Bequemlichkeit aufzurütteln.

Diese Lebensbilder sind keine ausführlichen Biografien. Sie greifen nur den einen oder anderen Impuls auf, um uns zum Nachdenken zu bringen. Bekannte Begebenheiten, die diese Impulse verdeutlichen, sind in Dialogform rekonstruiert, um sie anschaulicher zu machen. Daher kann nicht nachgewiesen werden, dass die Dialoge exakt nach dem hier dargestellten Wortlaut stattgefunden haben.

Aber eines steht fest: All diese Vermächtnisse, zusammen mit den biblischen Glaubensvorbildern, gehören zweifelsohne zu der „Wolke von Zeugen um uns“, durch deren Ermutigung wir „jede Last ablegen, die uns behindert, besonders die Sünde, in die wir uns so leicht verstricken. Wir wollen den Wettlauf bis zum Ende durchhalten, für den wir bestimmt sind“ (Hebräer 12,1).

Nicola Vollkommer

Reutlingen

19.12.2013

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Kapitel 1

Die Bergpredigt und ihre Folgen

SR. TERESA ZUKIC (*1964)

SR. TERESA ZUKIC (*1964)

„Mein Vater war Fußballspieler. Ich habe sein sportliches Talent geerbt. Was man mir heute nicht mehr ansieht.“

Ein amüsiertes Raunen geht durch die Halle. So stellt sich Schwester Teresa am Anfang ihrer Vorträge meist vor. Mit Kalkül. Denn somit wird denjenigen im Publikum, die sich gefragt haben, wie um alles in der Welt eine Kirche mit einer gut gebauten Nonne mittleren Alters den Nerv der Zeit treffen will, der Wind aus den Segeln genommen.

„Tja, ich war hessische Meisterin im Schwebebalken und badische Meisterin im Siebenkampf“, fährt die katholische Schwester genüsslich fort und beobachtet mit sichtlicher Genugtuung die überraschten Blicke im Publikum – oder vielmehr die Versuche ihrer Zuhörer, diese Blicke zu überspielen.

„Aber das war vor etwa hundert Jahren!“1 Dieses Mal brechen alle in Lachen aus. Das Eis ist gebrochen, die Ohren sind gespitzt. Diese Dame hat offensichtlich eine Geschichte zu erzählen. Und was für eine.

Die neue Nummer eins

Gott betrat das Leben von Dana Zukic, wie sie mit bürgerlichem Namen heißt, zunächst als ungebetener Gast. Einen Grund, göttliche Rückendeckung für ihr Leben zu suchen, hatte sie nicht. Denn alles lief wie am Schnürchen. Ihre Mutter war zwar als Kind katholisch getauft worden, aber ihre Eltern hatten im sozialistischen Jugoslawien das Christentum nie praktiziert. Außerdem schien eine Familie, die die Kurve ganz ordentlich gekriegt hatte, Religion nicht nötig zu haben. 1964 in Kroatien geboren, kam Dana Zukic schon als kleines Kind nach Deutschland, nachdem ihr Vater als aufstrebendes Fußball-Ass mit Trophäenpotenzial entdeckt wurde. Eine gehörige Portion seines sportlichen Talents hatte er seiner Tochter tatsächlich vererbt: Vor ihr lag eine aussichtsreiche Zukunft als Profisportlerin, nachdem sie schon erste Erfolge in der Leichtathletik verbucht hatte. Daher stand eine religiöse Erfahrung an jenem Abend ganz und gar nicht auf ihrer To-do-Liste, als eine Mitschülerin aus dem Sportinternat, in dem sie ihre Schulbildung zu Ende bringen wollte, an ihre Tür klopfte.

„Willst du den Stapel durchschauen, bevor ich ihn zum Altpapier bringe, Dana?“

„Ja, gerne – leg die Bücher auf den Nachttisch!“ Ein kurzes „Dankeschön“ und „Gute Nacht“, und die junge Sportlerin legte sich schlafen. Oder zumindest versuchte sie es. Denn aus irgendeinem Grund konnte sie nicht einschlafen. Sie schaltete ihr Nachttischlämpchen an und griff wahllos nach den Büchern, die auf dem Tisch lagen. Das erste, das ihr in die Hand fiel, war eine Bibel. Sie schlug sie willkürlich auf und fand sich mitten in der Bergpredigt wieder. Es dauerte nicht lange, bis die Worte Jesu sie in ihren Bann zogen. „Gott segnet die, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott sehen“ (Matthäus 5,8).

In Danas Welt war ein Stammplatz auf dem Siegertreppchen bislang ihr einziges Lebensziel gewesen. Und jetzt drängte sich auf einmal eine andere Stimme in das Bewusstsein der jungen Sportlerin; eine Stimme, die andere Maßstäbe einforderte – Maßstäbe, die ganz und gar nicht in die geladene Wettbewerbsatmosphäre des professionellen Sports passten. Sie las von den „Armen im Geist“, denen „das Reich der Himmel“ gehört (Matthäus 5,3; ELB), den Trauernden, die getröstet werden, denen, die nach Gerechtigkeit hungern, „denn sie werden sie im Überfluss erhalten“ (Matthäus 5,6). Wenn dieses Buch recht hatte, dann waren Gottes Gewinnertypen offensichtlich andere als die, die unsere Gesellschaft auf das Podest stellt und mit Siegerehrungen überschüttet. Nicht nur Arme, Hungrige und Durstige gehören dazu, sondern auch die Sanftmütigen, die Verfolgten, die Barmherzigen, die Friedenstifter. Weiter las sie mit Staunen über „die andere Wange“, die man hinhalten soll, wenn man geschlagen wird, über die Extra-Meile, die man gehen soll (Matthäus 5,39-42).

„Ich war existenziell bewegt“, schilderte sie später das, was in ihr vor sich ging. „Gott hat mich umgekrempelt. Ich bin Christin geworden.“

Die andere Wange hinhalten

„Hierher! Schnell!“

„Bald haben wir es geschafft!“

„Und noch mal!“

Die Halle dröhnte von den aufgeregten Schreien der beiden Basketballteams. Dana Zukic schrie mit und sprang, um den Ball zu fangen und einen Treffer im Korb zu landen. Plötzlich ließ sie den Ball fallen, griff sich an den Bauch und brach zusammen. Eine Gegenspielerin hatte ihr gerade einen kräftigen Hieb versetzt, um den Treffer zu verhindern. „Foul!“, rief eine empörte Mitspielerin. Die Täterin, die Dana gestoßen hatte, war schon in weiter Ferne mit dem Ball.

Es war der Tag nach der nächtlichen Bibellektüre. Dana Zukics erste Bewährungsprobe hatte nicht lange auf sich warten lassen. Gerade wollte sie in gewohnter Weise die Gegnerin am Kragen packen, ausrasten und die gerechte Strafe einfordern. Aber bevor sie ihren Mund auftun konnte, fiel ihr die Sache mit der anderen Wange ein. Sie reagierte nicht. Ein tiefer Friede erfüllte ihr Herz, die Überzeugung wurde gefestigt, dass diese Botschaft wahr ist. Sie hatte sich unversehens und gleich am Anfang ihres Glaubens in einer geistlichen Disziplin geübt, mit der Christen auch nach Jahren oft hadern: Jesu Worte hören und ihnen gehorchen, schlicht und einfach, auch wenn dieser Gehorsam in erster Instanz nur Unglück mit sich zu bringen scheint. Es war keine religiöse Pflichtübung, sondern ein Gehorsam aus Überzeugung aufgrund des tiefen Vertrauens, das die junge Frau beim Lesen der Seligpreisungen auf Anhieb gespürt hatte.

„Existenziell bewegt“ blieb sie auch. Die kindliche Unkompliziertheit, mit der ihr Christenleben begann, sollte Dana Zukics Markenzeichen werden. Nicht theologische Information, sondern Herzensgewissheit war die treibende Kraft ihres Glaubens. Hören, glauben und umsetzen, egal was andere dazu sagen. Skeptische Analyse und Bitterkeit, die durch Lebensumstände, Enttäuschungen mit Menschen oder mit Gott selber hervorgerufen werden konnten, sollten nie Teil ihrer Agenda sein. Eine Devise, die immer wieder auf die Probe gestellt werden sollte.

„Ich bin unbelastet in das Christentum eingetreten“, reflektierte sie später den Vorteil, den sie als frisch Bekehrte ohne kirchlichen Hintergrund hatte. Sie lernte das Wort Gottes lieben, bevor ihr kirchliche Prägungen aufgedrängt wurden und bevor selbst ernannte Experten ihr erklären konnten, warum Gott in seinem Wort es doch nicht so gemeint hat, wie er es gesagt hat. „Vor lauter Begeisterung für diesen Gott erschien mir alles andere, was ich bisher getan hatte, als nichtig.“

Die Bergpredigt war für sie viel mehr als ein Verhaltenskodex. Sie war eine Lebensvision: die Liebe, Wärme und Barmherzigkeit Gottes in all ihren Facetten in eine kalte, gleichgültige Welt hinausstreuen. Das wurde zu Dana Zukics Definition von Kirche.

Sehnsucht nach Kirche für den Alltag

Als Studentin, die gerade zu Gott gefunden hatte, machte sie sich auf die Suche nach anderen Christen, die ihre Freude über Gott teilten. Ihre Suche führte sie zunächst in eine katholische Messe. Der Herkunft nach war sie ja katholisch.

„Ähnlich wie im Sportunterricht“, war ihr erster Gedanke. Sitzen, stehen, auf die Knie, dann wieder sitzen. Und dazu noch die komischen Dinge, die der Pfarrer hochhielt. Waren das Spalttabletten?

Fragen durfte man in dieser beklemmten Atmosphäre wohl nicht stellen. Alle anderen wussten offensichtlich, was hier vor sich ging. Bevor sie Zeit hatte, sich über die liturgischen Vorgänge viele Gedanken zu machen, die sich vor ihren Augen abspielten, wurden alle Gottesdienstbesucher nach vorne gerufen, um die vermeintlichen Spalttabletten von vorhin abzuholen: Es waren Oblaten. Lange, trübe Gesichter, dann wieder sitzen, knien, aufstehen. Erst nach Abschluss des gesamten Rituals entspannten sich alle und lachten.

„Und hier soll ein moderner Mensch für den christlichen Glauben gewonnen werden?“, fragte sich Dana, als sie sich kopfschüttelnd auf den Weg nach Hause machte. Mit der befreienden und froh machenden Botschaft einer Bergpredigt hatte ihre erste Begegnung mit dem kollektiven Christsein wenig gemeinsam.

Wäre sie bei ihrer kritischen Haltung der Kirche gegenüber geblieben, hätten wir vielleicht nichts mehr über Dana Zukic gehört. Den Kern der Seligpreisungen hatte sie aber rechtzeitig verinnerlicht. Man richtet den kritischen Blick eben nicht auf die anderen, sondern – entgegen jedem Instinkt der in sich selbst verliebten menschlichen Natur – auf sich selbst. Sie entdeckte schnell, dass es nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der kirchlichen Welt von Menschen wimmelt, die wissen, wie man andere Menschen schlechtmacht.

Dana Zukic beschloss, es anders zu machen. Ihre Ernüchterung über den ersten Gottesdienstbesuch belastete sie weniger als die negativen Regungen, die sie immer wieder in ihrer eigenen Seele entdeckte: Neid, Bitterkeit, Wut. Dinge, die ihr früher nicht weiter aufgefallen waren. Wer eine Kirche erneuern will, muss zuerst das eigene Herz erneuern. So beschloss sie, ihre Sportkarriere an den Nagel zu hängen und ihre Suche nach Gott in einem Kloster fortzusetzen. Sie meldete sich im Mutterhaus der Barmherzigen Schwestern in Fulda an. Später wurde dort ihr Beschluss, ihr Leben als Ordensschwester Gott und ihrer Kirche zu weihen, damit bekräftigt, dass sie einen neuen Namen bekam: aus Dana wurde Schwester Teresa. Ihre negativen Eindrücke hatten keine zynische Haltung der Resignation ausgelöst, sondern vielmehr die Entschlossenheit, die Bergpredigt nicht nur als persönliches Bekenntnis zu leben, sondern als Zeugnis für die Kirche, der sie nun ihr Leben widmete.

„Ich bekenne, dass ich diese Kirche liebe, trotz und gerade weil man an ihr oft kein gutes Haar mehr lässt“, beteuert sie bis heute. „Und es gibt für mich kein größeres Glück, als ein Kind der Kirche zu sein.“ Unzufriedenheit war für sie nie eine Option.

Raus auf die Straße

„Eure Klausur sind die Straßen der Stadt!“ Diese Aufforderung ihres Ordensgründers Vinzenz von Paul stieß in Schwester Teresa auf freudige Resonanz und stellte für ihren Lebensweg feste Weichen. Die Bergpredigt selber zu verinnerlichen und dann weiterzutragen – vor allem an die Menschen, die mit Kirche nichts anfangen konnten: Davon träumte sie. Und davon, die Kirche dadurch zu ihrer ursprünglichen, von Gott gegebenen missionarischen Bestimmung zurückzuführen.

„Es gab eine Frau, die auch so verzweifelt war wie Sie“, erzählte sie einmal einem schwer kranken Patienten im Krankenhaus, der voller Verbitterung mit seinem Schicksal haderte. „Sie warf sich vor Jesus und benetzte seine Füße mit ihren Tränen, so verzweifelt war sie. So eine Liebe gibt es tatsächlich in dieser Welt – und zwar überall dort, wo Jesus auftaucht.“

„Ich glaube Ihnen kein Wort“, erwiderte der Mann. „Mit Liebe habe ich schon vor Langem endgültig Schluss gemacht. Wer liebt schon so einen wie mich?“

„Ich beweise Ihnen, dass es so eine Liebe gibt“, konterte die unnachgiebige Schwester. Sie hob die Bettdecke am unteren Ende des Bettes sanft auf und küsste ihm zärtlich die Füße. Er brach in Tränen aus.

„Ich hatte nicht überlegt, was wohl andere darüber denken. Liebe handelt und fürchtet sich nicht“, erklärte sie später ihr ungewöhnliches Handeln. Die Schwester, die sich unter dem Vorzeichen der Barmherzigkeit bekehrt hatte und einem Orden angehörte, der die „Barmherzigen Schwestern“ hieß, ließ nun keine Möglichkeit aus, leidende Menschen diese Barmherzigkeit spüren zu lassen.

Ihre Arbeit auf „den Straßen der Stadt“ nannte sie ihre neun „Wanderjahre“. Diese Wanderjahre machten aus ihr ein Multitalent. Sie sammelte religionspädagogische Erfahrungen in Kinderheimen, im Behindertenheim, mit Jugendlichen aller gesellschaftlichen Schichten. Soziale Brennpunkte mit ihren Begleiterscheinungen der Kriminalität und der Verwahrlosung wurden zu ihrer Spezialität. Jesu Klientel – die Armen, die Trauernden, die Hungrigen und Durstigen – wurde auch Schwester Teresas Klientel. Sie ging mit Obdachlosen essen, rappte mit Kindern, plauderte mit Migranten, spielte Fußball mit Jungs in den Hinterhöfen der Innenstadt, forderte amerikanische Jugendliche zu Basketballpartien auf, besuchte Alkoholiker. Um in die Welt der jungen Generation besser eintauchen zu können, abonnierte sie die Zeitschrift „Bravo“. „Eine Schwester zum Anfassen“ wollte sie werden, den weltfremden Anstrich vieler Kirchen und Klöster abschütteln. „Wie wenig wir doch bräuchten, um diese Welt wärmer und freundlicher zu gestalten!“ Was sie ausmachte, war ein Christsein als Lebensstil, nicht als Dienstleistung. Oder in den Worten von Schwester Teresa selber: „Mein Leben ist mein Hobby!“. Das kam an.

Das Skateboard, das Schwester Teresa den Spitznamen „die Skateboard-Nonne“ bescherte, wurde nur zufällig zu einem Werkzeug ihrer Mission. Sich in den nationalen Medien als „Skateboard-Nonne“ oder gar als „Deutschlands Antwort auf Sister Act“ vorzustellen, wäre ihr nie in den Sinn gekommen. Ursprünglich war das Brett mit Rädern lediglich ein geschicktes Fortbewegungsmittel auf ihren Touren durch die Innenstädte zu den Treffpunkten der Jugendlichen. Die Möglichkeit, ohne Benzinkosten und Zeitverschwendung jeden Verkehrsstau zu umgehen, war genau das, was die Missionarin brauchte. Es war aber ein Accessoire, das sich bezahlt machen sollte. Eine gut gebaute Nonne in fließendem Gewand, die auf einem Brett durch die Straßen rast: Wer schaut da nicht hin? Es war ihre Eintrittskarte in die Herzen der Menschen und ein zuverlässiger Garant für einen Gesprächsaufhänger. Und es war ebenso ihre Eintrittskarte zu einer viel größeren Plattform.

Rein ins Rampenlicht

„Hören Sie immer so’n harten Beat?“

„Wie bitte?“ Schwester Teresa zog die Kopfhörer ab und lehnte sich zu den zwei jungen Frauen vor, die ihr im Zugabteil gegenübersaßen und schon eine Weile amüsierte Blicke gewechselt und in ihre Richtung geworfen hatten.

„‚Ne Nonne, die sich mit einem Walkman Rock’ n’ Roll reinzieht und hin und her wippt, sieht man nicht jeden Tag“, bemerkte die eine.

Die jungen Frauen kicherten.

„Guns N’ Roses“, erklärte die Ordensschwester. „Hören Sie nicht Guns N’ Roses?“ Einige Kinder, die zu ihr zu Besuch kamen, hatten ihr die Kassette ausgeliehen, damit sie die coole, rockige Musik anhören konnte, von der sie so begeistert waren. „Mich würde was ganz anderes interessieren“, warf die andere junge Frau ein. „Was halten Sie vom Zölibat? Ich meine, es ist eine ziemliche Zumutung der katholischen Kirche, finde ich, zu verlangen, dass ein Mann ohne Sex lebt. Finden Sie nicht auch?“

Und schon waren sie im Thema drin. Dass sie ohne Scheu über Sex redete, damit konnte die Schwester bei jedem Anlass sofort punkten. Vom Zölibat schwenkte Schwester Teresa zur Pille, ihrem eigenen Leben und schließlich zur üblichen Endstation: dem Leben ihrer Gesprächspartner, ihren Problemen und Nöten. Sich einer Frau zu öffnen, die solch eine Herzlichkeit ausstrahlte und diese mit einem authentischen Interesse verband, fiel den meisten nicht schwer.

„Jammerschade, gleich müssen wir aussteigen“, sagte eine der jungen Frauen mit Reue in der Stimme. „Würden Sie uns zeigen, wie Sie Stepptanz machen?“, fügte die andere hinzu. Ein vorgeführter Stepptanz in schwarz-weiß und das Versprechen, in Verbindung zu bleiben – und das Gespräch war beendet.

Was Schwester Teresa nicht wusste, war, dass eine der beiden Frauen beim Fernsehen arbeitete. So öffnete sich für die Dienerin Gottes eine Tür zu einer breiten Öffentlichkeit