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Über dieses Buch:

Manchmal muss es Luxus sein, beschließt Coco Mirabeau, als sie der hektischen Kunstszene von Paris für ein paar Tage entflieht. Doch schon am ersten Abend muss Coco erkennen, was sie im traumhaft gelegenen Luxushotel erwartet: Das Schicksal hat sie an einen Ort geführt, an dem Menschen ihren Passionen freien Lauf lassen. Für Coco beginnt ein Tanz auf dem Vulkan, bei dem die Grenzen zwischen Leidenschaft und Leiden bald verschwimmen. Und wo grenzenlose Lust regiert, lauert auch größte Gefahr …

 

Provozierend sinnlich, schamlos offen: Ein erotisches Abenteuer in der Welt des BDSM.

 

Über die Autorin:

Ana Riba ist das Pseudonym der Autorin Klarissa Klein, unter dem sie erotische Romane aus der Welt des BDSM veröffentlicht. Klarissa Klein wurde 1966 in Herne, Nordrhein-Westfalen, geboren. Sie lebt mit zwei Kindern, zwei Hunden und einem Ehemann im Sauerland. Unter ihrem richtigen Namen hat sie bereits Kriminalromane und unter verschiedenen Pseudonymen zahlreiche Geschichten und Novellen veröffentlicht.

 

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eBook-Neuausgabe Februar 2015

Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Copyright © der Originalausgabe 2012 dotbooks GmbH, München

Copyright © der Lizenzausgabe 2015 venusbooks GmbH, München

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Titelbildgestaltung: Nicola Bernhart Feines Grafikdesign, München

Titelbildabbildung: © artburger – Fotolia.com

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

 

ISBN 978-3-95885-068-2

 

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Ana Riba

Coco – Ausbildung zur O

Erotischer Roman



venusbooks

1

„Für jemanden, der heute seinen letzten Arbeitstag vor dem Urlaub hat, bist du aber noch verdammt fleißig.“ Xavier Ledoux stand vor dem Kaffeeautomaten in der kleinen Küche und sah der jungen Frau mit den feuerroten Haaren neben sich schmunzelnd dabei zu, wie sie einige Akten sortierte. Amüsiert zog er eine Augenbraue hoch und rührte betont unbeteiligt in seinem Kaffee. Für seine Äußerung erntete er von der Rothaarigen einen warnenden Blick.

„Willst du etwa schon wieder quengeln?“, fragte sie belustigt, und Xavier hob beschwichtigend die Arme.

„Nein, Kleines, ich habe zu diesem Thema meine ganze Munition verschossen und schwenke die weiße Fahne.“

„Gut so“, erwiderte sie, nahm ihren Aktenstapel und verließ die Küche. Xavier sah ihr, während sie den langen Gang hinunter zu ihrem Büro ging, ungeniert auf den Hintern. Wieder einmal seufzte er innerlich.

Einen solchen Prachthintern bekam man selten zu sehen, geschweige denn, dass man ihm zum Anfassen nahe kam. Aber bei diesem Exemplar würde er sich auf das Betrachten beschränken müssen. „Wenn dieses Weib nicht so stur wäre!“, dachte er, während er an seinem Kaffee nippte. Xavier Ledoux war von schönen Frauen umgeben. Und beinahe alle hatte er sie gehabt. Konnte er eine nicht auf seiner Habenseite verbuchen, dann wurde er irgendwann für seinen harten Arbeitseinsatz belohnt. Nur diese Frau, mit dem unschuldigsten und aufreizendsten Hüftschwung in der Geschichte der Pariser Frauen, machte ihm einen Strich durch die Rechnung und verhagelte ihm die Bilanz.

Coco Mirabeau. Allein der Name war schon Musik in seinen Ohren. Ihre Anwesenheit verschönerte ihre Umgebung augenblicklich, und ihr Wesen verzauberte selbst den härtesten Verhandlungspartner. Diesen Umstand ihres Wesens verbuchte Xavier auf ihrer Habenseite. Auf ihrer Sollseite sah das Ganze dann schon anders aus.

Denn in Bezug auf ihn war diese Frau fürchterlich zickig. Alles hatte er bei ihr schon versucht. Meist mit einem spitzbübischen Lächeln um die Lippen, damit sie ihm im Falle eines Falles nicht böse wäre und ihn gar vollends zum Teufel schicken würde. Auf seinen Charme reagierte sie nicht. Weder allergisch, noch abweisend, noch sonst etwas. Sie nahm ihn einfach nicht wahr. Woran das lag, ahnte er, aber akzeptieren wollte und konnte er es nicht. Coco war so besonders in ihrer Art, dass es ihm schwerfiel, sie nicht zu wollen.

Sie mochte öffentliche Auftritte nicht, fand, dass sie kaum Talent für Verhandlungen mit Künstlern und Geldgebern besaß, und im Übrigen musste ja jemand da sein, der hinter Xavier herräumte, wenn dieser einen seiner Erfolge feierte. Da konnte man zwei Stars in der Manege nicht gebrauchen, pflegte sie mit einem Lächeln auf den Lippen zu sagen.

Und weil sie sich um die Galerie kümmerte, übergab Xavier ihr auch seine privaten Angelegenheiten. Nicht freiwillig oder gar bewusst. Nein, Coco hatte sich in sein Leben geschlichen und verhinderte so größere Katastrophen, die durch Xaviers Nachlässigkeiten hätten verursacht werden können.

Coco und Xavier waren wie Yin und Yang, wie Licht und Schatten, wie Weiß und Schwarz. Durchaus als Individuen lebensfähig, aber perfekt erst als Zweiergespann. Vor allem aber hielt Xavier es für unnötig, sich mit dem Leben an sich zu beschäftigen. Er hatte höhere Ziele, flog wie ein Luftballon, und Coco hielt die Leine, die ihn am Wegfliegen hindern sollte, fest in ihren Händen.

Sein Leben war die Kunst. Die moderne Kunst, um genau zu sein. Um alles andere kümmerte er sich nicht, konnte er auch nicht, da ihm für diese einfachen Tätigkeiten der Sinn fehlte. Dass er Coco gefunden hatte, diese hübsche, schlaue und äußerst eloquente Kunsthistorikerin, und dass diese Frau auch noch eine freundschaftliche und fürsorgliche Affinität für ihn entwickelt hatte, war ein Glücksfall, wie er sonst nur in Seifenopern vorkam. Es gab nur einen Punkt, in welchem sie so hart wie der Stahl im Centre Pompidou war.

Sobald Xavier versuchte, sich ihr auf andere Art als der des zu versorgenden kleinen Bruders zu nähern, wurde sie eiskalt, und ihre grünen Augen funkelten ihn wütend an. Keine Chance, bei ihr zu landen, sie zu irgendetwas zu überreden. In den ersten Jahren ihrer Zusammenarbeit hatte Xavier die vermeintliche eine oder andere Chance zu nutzen versucht. Immer mit dem gleichen Ergebnis: Aus Coco, dem sanften Engel, wurde eine Furie vor dem Herrn. Mit Händen und Füßen, meist jedoch mit Worten, kämpfte sie darum, dass die Strukturen ihres Lebens in den Bahnen liefen, die sie geschaffen hatte. Und Xavier in ihrem Bett oder gar mehr hätte einen Umweg bedeutet, der zu viele gefährliche Kurven beinhaltete. Um seines Seelenfriedens willen – und um ernsthaften körperlichen Verletzungen aus dem Weg zu gehen oder gar der Gefahr, sie zu verlieren – hatte er es aufgegeben, sich andere Frauen gesucht und vergnügt. Nichts Ernstes, wie er zu betonen pflegte, aber er wäre schließlich auch nur ein Mann.

Doch im Stillen hatte er sich ihr verschworen. Seiner Coco. Sie teilte seine Leidenschaft für die Kunst. Aber war er dabei derjenige, der seiner Leidenschaft die Gelegenheit gab, über sein Leben zu bestimmen, war Coco die stille Genießerin. Es machte sie glücklich, einen alten Meister stundenlang anzusehen. Ihr Geist vollführte Freudensprünge, wenn sie für die Galerie ein berühmtes Gemälde ergattern konnte und es in diesen lichtdurchfluteten Hallen ausstellen durfte. Denn die Galerie lag auf dem Montmartre in einem mittlerweile durch Grundstücksspekulationen vollkommen überteuerten Straßenzug. Das ehemalige Lagerhaus – zweistöckig – mit direktem Blick auf Sacré-Cœur, deren Dächer golden im Abendrot strahlten. Vor Jahren, als Xavier hier begonnen hatte, ein Schnäppchen in wundervoller Lage. Trat man vor die Tür der Galerie, konnte man den herrlichen Blick über ganz Paris genießen. Sah man sich vor seinen Füßen um, dann spürte man den Geist der Kunst, der hier seit Jahrhunderten durch die mit Kopfsteinpflaster ausgelegten Gassen schwebte.

Xavier mochte die Mischung aus Touristen, die sich an heißen Sommertagen schwitzend und laut lachend durch die Gassen schoben, und den Künstlern, die ihre massenhaft gefertigten Bilder an kleinen Ständen feilboten und ihren Kunden mit dieser gelangweilten Arroganz eines Kreativen im Blick das Geld aus den Taschen zogen. Kunst war das sicher nicht, was dort angeboten wurde. Aber es war eine Kunst, wie diese Künstler sich dabei schlugen, ihr tägliches Brot damit zu verdienen. Die Maler, die mal eben das Dorf Montmartre aus ihrem Pinsel fließen ließen. Die Karikaturisten, die die Gesichter der Touristen auf lächerliche Art verzerrten, und die so Gescholtenen sogar noch dazu brachten, ihre Geldbörsen dafür zu öffnen.

Manchmal fand Xavier unter diesen Arbeitern an der Kunst ein echtes Juwel. Er glaubte daran, dass hier oben nicht nur Geld gescheffelt wurde. Nein. Für Xavier war es eine Lebensaufgabe, den Künstler, das absolute Talent zu finden und zu fördern. Und er hatte Erfolg damit. Wer konnte sich da noch mit so lächerlichem Kleinzeug wie Miete oder Tickets fürs Falschparken kümmern? Dafür gab es schließlich Coco. Doch auch hier war sie mehr: Coco hatte das nötige Fingerspitzengefühl für die Klassiker in seiner Galerie. Sie sorgte dafür, dass er mit den alten Meistern das Geld verdiente, das er mit seinen jungen und unbekannten Künstlern mit vollen Händen ausgab. Coco hatte über die frühen Jahre eines deutschen Malers promoviert, und gleichzeitig war sie als Partnerin in die Galerie eingetreten. In ihrem Verständnis ihrer Zusammenarbeit war sie allerdings immer seine Assistentin geblieben. Er war der Star und sollte dies auch bleiben. Ihre Dissertation war auf viel Interesse in der Fachwelt gestoßen, und ihr Name auf dem Türschild neben dem seinen war so etwas wie der Garant für Seriosität. Auch hier waren sie wie Feuer und Wasser: Xavier, der verrückte und geniale Galerist auf der einen Seite, und Coco, die fachliche Kompetenz auf der anderen.

Aber dieser Titel vor ihrem Namen stand auch für etwas, das ihn traurig und nachdenklich machte. Coco schien nur die Pflicht zu kennen. Der einzige Luxus in ihrem Leben war ihre ehemalige Dienstbotenwohnung, die sie hatte umbauen lassen. Sie kaufte keinen teuren Schmuck; ihre Kleidung war ihrer Position angemessen, aber nicht unbezahlbar; sie leistete sich keine Liebschaften, und wie es schien, gönnte sie sich nicht einmal ein Glas Wein außer der Reihe. Sie war das Pflichtbewusstsein in Person.

Xavier dachte daran, wie sie manchmal neben ihm stand. Während er die Installation eines Künstlers vorbereitete. Wenn sie dann mit ihrem – obligatorischen – Klemmbrett vor ihrem perfekten Busen, den Kopf seitlich neigte, ihre feuerrote Haarpracht dabei ihr schmales, aristokratisch blasses Gesicht umrahmte. In diesen Momenten, wenn sie ihm dabei zusah und das Werk betrachtete, dann zu ihm aufblickte und sagte, dass sie das Werk nicht verstehen würde, wollte er ihr die Kleider vom Leib reißen, damit diese Unschuld, mit der sie ihrem Unverständnis Ausdruck verlieh, endlich von ihr abfiel. Meist antwortete er, dass er es auch nicht verstehen würde, dass es aber einfach geil wäre, dieses Stück zu besitzen. Dass er sich ärgerte, weil Coco die Doppeldeutigkeit dieser Bemerkung entweder nicht verstehen wollte oder geflissentlich ignorierte, bestätigte ihm nur, wie sehr ihm diese Frau ans Herz gewachsen war. Für gewöhnlich küsste sie ihn dann auf die Wange, lachte leise und ging zurück zu ihren Rechnungen und Katalogen. Ging dann hinauf in ihr Büro und zog sich zurück. In diesen Momenten fühlte er sich ihr näher als jedem anderen Menschen in seiner Umgebung. Dann war sie seine Coco.

Und nun wollte dieses Weib ein paar Tage Urlaub machen. Dabei waren sie doch erst gemeinsam auf der Ile de Re gewesen. Gut, wenn er ehrlich war, dann hatte Coco nicht wirklich frei gehabt. Schließlich hatten sie alle Hände voll damit zu tun, den Künstler, den er dort entdeckt hatte, davon zu überzeugen, hier in Paris auszustellen. Zudem hatte sie ständig Termine per Handy für ihn koordiniert, war auf Abruf bereit gewesen. Aber Urlaub, gerade jetzt? Wie sollte er das ohne sie schaffen? Die Ausstellung ebenjenes Künstlers stand bevor. Wenige Tage noch, dann würde hier im unteren Teil der Galerie die Hölle losbrechen. Bereits jetzt wurde gehämmert, gebohrt und gesägt, dass es eine freudige Last war, hier zu sein.

Coco war in diesen lauten Zeiten für das Wohl aller zuständig. Und sie tat dies mit beinahe mütterlicher Fürsorge. Sie hielt alles zusammen, wenn Handwerker, Künstler und Geldgeber aufeinandertrafen und sich in endlosen Diskussionen über die Kunst an sich ergingen. Sie schaffte es, dass Termine eingehalten wurden und trotzdem noch Zeit für einen Schwatz war. Da konnte sie doch nicht ausgerechnet jetzt gehen! Der Ersatz, den Coco aus den Reihen des Teams besorgt hatte, konnte sie nicht wirklich ersetzen, dessen war sich Xavier mehr als sicher. Ein paar Tage Urlaub waren sicherlich nicht zu viel. Wenn da nicht diese wirklich bedeutende Ausstellung gewesen wäre! Er hätte es ihr sicher lieber gestattet, wenn Coco danach ihren Urlaub angetreten hätte. Aber jetzt, ausgerechnet jetzt?

Xavier rief sich das Bild seiner persönlichen Assistentin ins Gedächtnis, die doch so viel mehr für ihn war, als das Wort jemals umfassen konnte, während er an seinem Schreibtisch Platz nahm: Gardemaß für ein musisches Modell, knapp über einen Meter achtundsiebzig groß, schlank, feuerrotes, langes, dichtes und leicht gelocktes Haar, grüne Augen und eine Figur, die manches Modell vor Neid hätte grün werden lassen. Doch sie war nicht perfekt, und das gefiel ihm so an ihr. Ihre Augen lagen etwas zu weit auseinander, ihre Lippen waren etwas zu schmal, und ihr Hintern war etwas zu breit. Trotzdem leckten sich einige Künstler in seinem Bekanntenkreis die Lippen, wenn sie Coco sahen, und nur zu gern hätten sie diese zu ihrer Muse gemacht.

Ein paar Tage Urlaub für Coco waren sicherlich nicht zu viel verlangt, versuchte er sich einzureden. Aber Xavier hatte sich quergestellt. Tagelang hatten er und Coco über diese „paar Tage“ einen Krieg geführt, der die Galerie in ihren Grundfesten hatte erzittern lassen. Er wollte und konnte nicht auf Coco verzichten. Konnte dieses Weib das nicht einsehen? Sie fehlte ihm jetzt schon. Nicht nur beruflich. Konnte diese Frau nicht verstehen, dass er nichts lieber tat, als sie anzusehen? Keine „kleine Jungenschwärmerei“ – nein: Xaviers Vorstellungen waren handfester. Nur sein Wesen eines Gentleman hatte bisher verhindert, dass er ihre Freundschaft und Fürsorge mit Füßen trat und einen weiteren Versuch startete, sie ins Bett zu bekommen.

Xavier zuckte resigniert mit den Schultern. Der Gedanke an ihre für ihn so perfekte Figur hatte ihn erregt, und einen Moment dachte er darüber nach, die Vorhänge seines Glasturms zuzuziehen, um sich einem kleinen Orgasmus hinzugeben. Sein Phallus reagierte auf Coco immer gleich: Er richtete sich schon beim Klang ihres Namens auf und machte es unmöglich, Gespräche weiterzuführen.

„Nein“, dachte er, „Vorhänge zuzuziehen dauert zu lange. Ohne, jetzt, gleich und hier!“ Kurz sah er durch die leicht grünlichen Glasscheiben, die sein Büro umgaben, und rutschte dann mit seinem Bürostuhl so unter den Tisch, dass er mit seiner Hand genügend Platz haben würde, um sich seinen Phantasien bezüglich der Rothaarigen hingeben zu können.

Sachte strich er über die sich abzeichnende Beule in seiner Hose, seufzte in Gedanken ihren Namen und stellte sich gleichzeitig vor, wie er ihren wundervollen birnenförmigen Hintern mit einer kleinen fiesen Gerte bearbeiten würde. Es war nur ein kleiner Handgriff, und sein Geschlecht ragte aus der Öffnung seiner teuren Hose heraus. Mit einem schrägen Grinsen schielte er nach draußen, aber er war unentdeckt geblieben. Bisher. Er wandte sich wieder seinen Phantasien zu, in denen Coco ihm ihren Hintern entgegenreckte. Ein Schlag mit der Gerte wurde vom Streicheln seiner warmen Hände über das gepeinigte Fleisch begleitet. Und Coco stöhnte leise, wenn sie die Zärtlichkeiten erhielt.

Xavier rieb über seinen Schaft. Die Spitze seines Phallus war bereits feucht und schien vor Kraft nur so zu strotzen. Die Bewegungen in seinem Schritt passten sich dem Grad der Erregung Cocos in seiner Vorstellung an, die unter der Behandlung seiner Gerte immer feuchter geworden war. Schlagen, streicheln, zwischen ihren Schenkeln nachfühlen, ob die gewünschte Reaktion auch erreicht wurde; das war die immer gleiche Reihenfolge in seinen Phantasien. Coco wurde feuchter und Xavier atmete heftiger. Genau so würde er sie irgendwann auch real bearbeiten. Und er hoffte, dass sie sich ihm genauso hingeben würde. Seine Gedanken hatten seinen Penis noch härter werden lassen, und während er weiter darüber rieb, stieß seine heiße Spitze immer wieder an die Unterkante des Tisches. Etwas, das ihn so erregte, dass er sich in seiner Vorstellung nicht einmal mehr mit Coco vereinigen konnte. Er spürte, wie sich seine Hoden zusammenzogen und seine Säfte über seine Hände liefen. Mit einem kehligen Stöhnen – unterdrückt, doch hörbar – kam er und senkte schwer atmend den Kopf. In Gedanken zählte er bis zehn, nahm ein Taschentuch aus der Hosentasche und säuberte sich. Mit einem – wie er meinte – unauffälligen Blick zur Seite vergewisserte er sich, dass niemand ihn beobachtet hatte.

„Xavier, du bist ein Arschloch“, stellte er leise fest. „Wie kannst du die Gute nur als Wichsvorlage benutzen?“ Aber jetzt konnte er wieder klar denken.

Zum Glück für ihn hatte niemand seine Aussage gehört. Jetzt konnte er sich wieder dem zuwenden, was er vorher getan hatte: verzweifelt darüber sein, dass seine Coco sich gegen seine Anordnung gewehrt hatte und er nun auf sie verzichten musste. Denn da war nicht nur die neue Ausstellung. Xavier hatte eine Faxbestätigung auf ihrem Tisch liegen sehen und sich sofort Sorgen gemacht. Er kannte dieses Hotel. Er kannte ebenso die Gepflogenheiten der Gäste dort. Coco passte nicht dorthin, und er musste davon ausgehen, dass sie keine Ahnung hatte, was sie da gebucht hatte. Auch – oder gerade deshalb – hatte er sich gegen ihre Auszeit gewehrt. Nur konnte er ihr den wahren Grund nicht sagen und hatte die Vernissage vorgeschoben. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und klopfte sich innerlich selbst auf die Schulter, denn er fand, dass er sehr überzeugend gewirkt hatte. Nicht überzeugend genug für Coco.

„Je mehr ich mich …“, dachte er und brach den Gedanken resigniert ab. Die Geschichte kannte man ja nun zur Genüge und er sowieso.

Natürlich würde er sich irgendwie arrangieren, aber er würde sie vermissen und sich Sorgen machen. Zum wiederholten Male ermahnte er sich. Was waren schon ein paar Tage? Der Nervenkrieg, den er mit Coco ausgetragen hatte, hatte Spuren hinterlassen. Während er an seinem Schreibtisch saß, sah er durch die großen verglasten Türen, und insgeheim freute er sich über den Trubel dort auf der unteren Etage.

Er hatte lamentiert, gefleht, ihr mit Kündigung der Freundschaft gedroht, wenn sie wirklich diese paar Tage Urlaub nehmen würde. Aber schlussendlich hatte ihre Sturheit gesiegt und er klein beigegeben – offiziell zumindest. Im Stillen ärgerte er sich über ihr Vorhaben immer noch. Aber es half nichts. Wenn er ihr wirklich kündigen würde, wäre es nicht ihr Schaden, sondern sein eigener. Also würde er sich in den nächsten Tagen mit diesem flachen Ersatz vor seiner Tür abfinden müssen. Hoffentlich konnte die Dame wenigstens Kaffee kochen! Und er würde sich etwas einfallen lassen müssen, damit … Aber auch diesen Gedanken brachte er nicht zu Ende. Er würde einen Weg finden. Sicher. Irgendwie.

2

Coco Mirabeau hatte ihre Akten in das Büro ihrer Vertretung gebracht und sortierte sie nun auf einem kleinen Tisch.

„Hat er wieder gemeckert?“, fragte ihre Kollegin Dianne amüsiert, als sie Cocos Gesichtsausdruck sah. Coco lachte.

„Er hat“, antwortete sie mit einem Blick zur Uhr. „Fünf Minuten noch, und dann bin ich weg. Glaubst du, du kommst klar?“ Coco musterte ihre Kollegin zweifelnd, doch diese lachte.

„Mädchen“, stöhnte Dianne, „du hast mir in den letzten Tagen quasi alles aufgemalt. Du hast den Worst Case skizziert und mir sämtliche Telefonnummern, die ich wahrscheinlich nie im Leben brauchen werde, an allen möglichen und unmöglichen Orten deponiert. Was soll also schiefgehen?“ Dianne lachte breit und schüttelte den Kopf.

„Ich sage dir, was schiefgehen kann: Er wird dich so lange nerven, bis du mich vollkommen verzweifelt und heulend im Hotel anrufst und auf Knien anbettelst, meinen Aufenthalt dort zu unterbrechen.“

Dianne schüttelte den Kopf.

„Nein, werde ich nicht. Im Gegensatz zu dir, Süße, weiß ich, wie man Türen hinter sich zuschlägt.“ Sie tätschelte Cocos Schulter und schob sie dann in Richtung Tür. „Die fünf Minuten sind um. Pack deine Tasche, und verzieh dich durch den Hinterausgang! Den Rest mache ich.“

Coco nickte, griff nach ihrer Tasche, und mit einem letzten Blick den Gang hinauf in Richtung Xaviers Büro verschwand sie tatsächlich.

„Ein komisches Gefühl“, dachte sie, während sie durch den langen stickigen Flur zum Notausgang hinunterlief. „Drei Tage und ein Wochenende nicht an den ganzen Stress hier denken, drei freie Tage und ein Wochenende nur verwöhnen lassen. Kein Xavier, keine Künstler mit überdimensionalem Ego, keine Handwerker, einfach rein gar nichts.“ Sie stieg in ihren Mini und gab dem Wagen etwas heftiger die Sporen, als sie es eigentlich beabsichtigt hatte. Das Quietschen der Reifen hallte durch die Tiefgarage und rief den Parkplatzwächter auf den Plan. Als dieser Coco erkannte, lachte er und winkte sie durch die Schranke, um ihr ein „Jetzt aber schnell weg, bevor er es sich anders überlegt!“ hinterherzurufen.

Zwanzig Minuten später hatte sie sich durch den Pariser Verkehr gequält, drei Stockwerke mit dem Aufzug, die letzten beiden Etagen zu Fuß erklommen und öffnete nun die Tür zu der Wohnung, die vor Urzeiten einmal ein Dienstbotenapartment gewesen war und unter dem Dach des Hauses lag.

Vor Jahren hatte sie dieses Prunkstück gefunden und aufwendig modernisieren lassen. Nun war es endlich das viele Geld, das sie dafür hatte zahlen müssen, wert. Die drei Zimmer erstreckten sich über zwei Etagen, die über eine große metallene Wendeltreppe miteinander verbunden waren.

In lauen Sommernächten konnte man auf dem kleinen Balkon vor Cocos Schlafzimmerfenster die Lichter der Stadt bei einem Glas Rotwein genießen, ohne dass man beobachtet wurde. Die Geräusche der Straßen spendeten dabei ein Konzert der Oberklasse, und das Lachen der Passanten, das vom Trottoir heraufklang, erzählte von einem Leben, das Coco nicht kannte. Leichtfüßig tänzelnd, hüpfte sie gut gelaunt durch die Räume der kleinen Wohnung, und ab und an warf sie noch einige Sachen in ihren Koffer, der geöffnet auf ihrem Bett lag. Sie griff nach ihrem Bikini, den sie sich neu gekauft hatte, nachdem der alte ein mehr als trauriges Bild abgegeben hatte.

Sie hielt sich das kleine Kleidungsstück an und drehte sich vergnügt vor ihrem Spiegel. Urlaub … freie Tage. Sie hatte es immer vorgehabt, aber irgendwie fehlte jedes Mal die Gelegenheit, und wenn der richtige Zeitpunkt kam, war es Xavier, der ihr einen Strich durch die Rechnung machte. Aber diesmal war sie hartnäckig geblieben. Diesmal hatte er sich an ihrem sturen Kopf verbissen. Coco war selten zickig. Sanftmütig wie ein Kalb, hatte ihr Vater immer gesagt, würde es eher treffen. Aber sie wusste, dass sie kaum in der Lage war, sich gegen Xavier durchzusetzen. Also hatte sie beschlossen, ihre Fürsorge, die sie ihm sonst zuteilwerden ließ, auf ein Minimum zu beschränken. Ihr Verhältnis, das immer zwischen Bruder und Schwester oder potenziellem Liebhaber und Geliebter rangierte, hatte Coco merklich abkühlen lassen. Etwas, das Xavier nicht akzeptieren konnte. Seine Bemühungen, sie zum Wahnsinn zu treiben, hatte er verstärkt. Aber sie war standhaft geblieben. Und allein aus diesen ständigen Streitereien, die ihre Ressourcen aufgebraucht hatten, hatte sie sich den kurzen Urlaub verdient.

Sicher, als seine Assistentin sah sie die wundervollsten Orte auf der Welt, und dank ihrer Fähigkeit, immer und überall abschalten zu können, konnte sie auch aus diesen Reisen immer etwas Erholung ziehen. Aber sie war jetzt seit so langer Zeit Assistentin und Geschäftspartnerin, Tag und Nacht für Xavier erreichbar. Coco fühlte sich wie eine alte Ehefrau, und diesen Umstand wollte und musste sie ändern. Sie wollte ihn nicht. Ja, sie musste aufpassen, dass er die Galerie mit seinen Phantastereien nicht vor die Wand fuhr. Xavier brauchte in diesen Dingen ein führendes Händchen. Dazu war sie da. Auch wenn er immer wieder versuchte, sie ins Bett zu bekommen: Bisher konnte sie diese Avancen elegant, aber äußerst direkt abschmettern.

Ja, sie war seine Assistentin, nicht seine Geschäftspartnerin, nicht seine Teilhaberin, nein: Sie war die Assistentin – immer gewesen und wollte es auch bleiben. Selbst wenn Xavier beinahe gebetsmühlenartig etwas anderes behauptete. Aber etwas Abstand zu ihm brauchte sie jetzt einfach. Sie legte den Bikini zurück zu den anderen Sachen in den Koffer und holte aus dem Kühlschrank ihrer Kochnische eine Flasche Rotwein.

Sie schenkte sich ein und las währenddessen in dem Prospekt des Hotels. Vor ein paar Jahren – sie war noch ganz neu in der Galerie gewesen – war ihr ein solcher Prospekt schon einmal in die Hände gefallen, und sie hatte ihn aufbewahrt. Coco war sich nicht ganz sicher, warum, aber dieses Foto des Gebäudes auf der ersten Seite hatte etwas wunderbar Altmodisches und erinnerte sie an einen Werbespot für ein Parfüm, der ihr besonders gut gefallen hatte. Vielleicht hatte sie den Prospekt deshalb aufgehoben. Immer wieder hatte sie den Flyer in den letzten Jahren in die Hand genommen und davon geträumt, wie es wäre, wenn sie den „Full Service“ in Anspruch nehmen könnte. Der Original-Flyer lag mittlerweile abgegriffen und speckig in ihrer Schreibtischschublade.

Sie griff nach der Buchungsbestätigung und wunderte sich wieder einmal über die unzähligen Seiten an Kleingedrucktem, die dem Schreiben beigelegt waren. Sie hatte diese überflogen, aber irgendwann taten ihr die Augen weh, und sie hatte die Seiten weggelegt. Das Hotel, im Departement Aquitanien gelegen, versprach alles, was man sich von einem First-Class-Hotel nur wünschen konnte: Spa-Bereiche, exotische Massagen, Restaurants, die den Gaumen mit internationalen Speisen verwöhnen wollten. Coco freute sich auf den Kurztrip und bedauerte gleichzeitig, sich nicht schon früher bei Xavier durchgesetzt zu haben. Sie brauchte Ruhe. Ruhe und Abstand von der Galerie, von Xavier und von ihrem einsamen Leben hier in Paris.

Doch das sollte sich nun ändern. Der Kurztrip würde sie ein Vermögen kosten, aber da sie in den letzten Jahren kaum dazu gekommen war, ihr Gehalt auszugeben, konnte sie nun ein wenig großzügiger sein. Coco hatte sich eine vollkommen neue Garderobe zugelegt und dann das beste Angebot dieses Hotels gebucht. Sie nahm einen Schluck Wein und betrachtete noch einmal die Front des Hotels auf der Abbildung. Nun fiel ihr auch wieder ein, um welchen Werbespot es sich damals gehandelt hatte, und sie schmunzelte. Ein Fläschchen dieses teuren Parfüms stand auf ihrem Kosmetiktischchen. Ungeöffnet, wohlgemerkt, aber das würde sich morgen ändern. Denn morgen in aller Frühe würde sie sich in ihren Mini setzen und losfahren und sich vorher ein paar Tropfen dieses edlen Dufts quasi zur Steigerung ihrer eigenen Vorfreude gönnen. Sie konnte es kaum erwarten. Ein paar Tage, fernab von allem. Und sie hatte sich selbst versprochen, jede einzelne Minute zu genießen.

3

Coco hatte ihren Koffer im Wagen verstaut und den Wohnungsschlüssel bei ihrer Nachbarin abgegeben. Seit einer Stunde befand sie sich nun auf der Autobahn in Richtung Süden. Sie fuhr gemächlich, und die Vorfreude auf ihre Auszeit machte sie kribbelig. Die Landschaft flog an ihr vorbei, und die Musik im Radio bildete den perfekten Hintergrund für den ersten Tag einer Urlaubsreise. Ihr Navigator piepste, und eine Frauenstimme meldete sich zu Wort. Coco fuhr von der Autobahn ab, und nun ging ihre Reise über Landstraßen weiter. Weite Felder, die von kleinen, niedrigen und steinernen Mauern umgeben waren, luden sie zu einer Pause ein, und in einem Restaurant an einer Rue Nationale legte Coco eine Rast ein.

Die Bedienung war leidlich freundlich, doch das Essen war gut und entschädigte für die fehlende Bereitschaft der Bedienung, sich ihr Trinkgeld redlich zu verdienen. Das Restaurant war klein und heimelig eingerichtet. Außer Coco saßen noch zwei weitere Personen an den Tischen in dem kleinen Gastraum, und sie schätzte, dass die beiden Männer Außendienstmitarbeiter waren. Einer erregte ihre Aufmerksamkeit – nicht aufgrund seines Aussehens, sondern weil sie meinte, diesen Bart schon einmal irgendwo gesehen zu haben. Eine leichte Gänsehaut krabbelte ihren Rücken hinunter, und nach ein paar Minuten schalt sie sich selbst eine Idiotin, denn sie wusste, dass auch noch andere Männer als Xavier einen solchen Bart trugen. Schließlich widmete sie sich ihrem Essen. Selbst hier schien er sie zu verfolgen.

Nachdem Coco wieder aufgebrochen war, schlängelte sich die Landstraße durch sanfte grüne Hügel, und hier und da fuhr sie durch kleine Ortschaften, die aus nicht mehr als einem oder zwei Häusern bestanden. Die Sonne schien, und am blauen Himmel war nicht ein Wölkchen zu sehen. Der perfekte Tag. Während Coco die Landschaft mit ihren Farben in sich aufsaugte, schob sich Xaviers Gesicht in ihre Erinnerung. Seit fünf Jahren war sie seine Vertraute, sein Schatten bei allem, was er tat. Und ja, wenn sie ehrlich zu sich war, dann war sie auch einmal in ihn verliebt gewesen. Ganz am Anfang. „So, wie es sich für eine ‚gute Assistentin’ gehört“, dachte sie schmunzelnd.

Sie mochte seine Art, mit Menschen umzugehen, wie er sich für sie und ihre Werke begeistern konnte. Mit kindlichem Enthusiasmus saugte er alles Neue in sich auf, und wenn ihn einmal etwas begeistert hatte, dann war er kaum davon loszueisen. Es hatte lange gedauert, bis Coco ihn durchschauen konnte, seine kleinen Geheimnisse entdeckte. Wie etwa, dass er der schludrigste Mensch war, der ihr je untergekommen war. Coco liebte seine kleinen Ticks und Macken, die er doch so sehr versuchte unter dem Deckmantel des Mäzens zu verstecken. Xavier war einer der letzten Gentlemen in diesem Geschäft. Er selbst war nicht wirklich schön zu nennen. Nein, nicht einmal besonders gutaussehend: groß, schlank, ein wenig dünnhäutig und blass, und sein Bart, der an ein Porträt von Ludwig II. erinnerte, unterstrich seine eher zart und gebrechlich wirkende Gestalt. Seine Haare standen trotz guter Pflege mit wüsten Locken von seinem Kopf ab und, ob es eine Frage des Alters oder der Eitelkeit war – er ließ sich diesen Schopf nicht kürzen. Eines seiner Markenzeichen war der „genervte Griff“ in die Haare, um die Pracht auf seinem Kopf wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Sinnlos, wie Coco grinsend bemerkte. Doch diese „Macke“ ließ den Meister der schönen Künste mehr als menschlich erscheinen. Da es kaum Fotos von Xavier gab, waren die meisten Menschen, die er in seiner Galerie kennenlernte, eher negativ erstaunt denn erfreut, in ihm ihren Türöffner zur großen bunten Welt der Berühmtheiten gefunden zu haben.

Aber die Art, wie er die Menschen umsorgte und sie sich gut fühlen ließ, machte aus ihm einen wunderschönen Menschen. Seine Stimme, sein Auftreten, seine Aufmerksamkeit – all dies formte einen Mann, der in sich ruhte und von innen heraus strahlte. Wenn es Entscheidungen zu treffen gab, war da kaum jemand, der es wagte, Xavier zu widersprechen. Sein Umfeld wusste um seine Präsenz. Als Chef einer der renommiertesten Galerien der Welt durfte er sich einige Spleens leisten. Aber jeder, der ihn kannte, nahm diese Spinnereien mit Humor und der gehörigen Portion Sympathie für diesen Mann hin. Wenn sich Xavier für eine Person interessierte, dann konnte sich dieser Jemand sicher sein, die volle Aufmerksamkeit zu erhalten. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an welchem Xavier das Interesse verlor, weil er feststellte, dass dieser Künstler eben auch nur ein Mensch und kein Gott war und somit genauso banal wie die meisten anderen auch. Eine Enttäuschung, mit der Xavier immer wieder leben musste, die ihn die Suche jedoch nicht beenden ließ.

Am Anfang ihrer seltsamen Beziehung war Coco also von diesem Mann fasziniert gewesen. Es war so aufregend, neben ihm zu stehen und dazuzugehören. Ein Teil seiner Maschinerie zu sein. Die Form der Macht, die er über seine Künstler besaß, empfand sie als äußerst erregend. Viele Nächte lang spielte Xavier damals in ihren Träumen eine tragende Rolle. Manchen Orgasmus, den sie sich in ihrer Einsamkeit gönnte, hatte sie indirekt ihm zu verdanken. Aber diese Zeiten waren längst vorbei. Für sich hatte sie irgendwann festgestellt, dass sie nicht mit diesem Wirrkopf würde leben können. Seine Avancen hatten ihr geschmeichelt, doch nachgeben würde sie ihnen niemals.

Nach einer weiteren Stunde Fahrt nahmen die Hügel noch etwas sanftere Formen an, und man konnte bereits die salzige Luft des Meeres riechen. Ein paar Möwen am Himmel begleiteten Coco während ihrer Fahrt, und in ihr breitete sich ein Glücksgefühl aus, das sie lange nicht mehr empfunden hatte. Die Straße machte eine letzte Biegung, und vor ihr lag das Hotel, viel schöner, als der Prospekt es je hätte abbilden können. Der vierstöckige Bau aus dem letzten Jahrhundert war im viktorianischen Stil gehalten, und die Front, die Coco nun in ihrer ganzen Pracht bewundern konnte, war über und über mit kleineren Fenstern übersät, welche halbrunde bunt gestreifte Überdachungen zum Schutz gegen die Sonne zierten.

Hinter dem Hotel war nichts zu sehen. Keine Felswand, keine erkennbare Begrenzung. Dort, wo das Hotel stand, schien es, als würde die Welt zu Ende sein. Nichts als weiter, wolkenloser Himmel. Ein wirklich grandioser Anblick. Coco fuhr die schmale Straße hinunter, und ihr Mini glitt über die Auffahrt zum Hotel hinauf. Der Eingangsbereich war ebenfalls mit einer bunten halbrunden Überdachung versehen, und darunter stand ein Portier in Livree und wartete auf Gäste.

Als Coco mit ihrem Wagen direkt vor dem Mann hielt, bemerkte sie seinen erstaunten Blick. Verwirrt gab sich der Mann einen Ruck und öffnete ihr die Wagentür. Coco amüsierte sich. Es war anscheinend unüblich, dass weibliche Gäste allein anreisten, dachte sie bei sich und stieg aus.

„Würden Sie bitte meine Koffer hineinbringen und meinen Wagen parken?“, erinnerte sie den Portier an seine Aufgabe und übergab ihm den Schlüssel für ihren Wagen. Beschwingt und mit einem Lächeln auf den Lippen betrat sie das Foyer. Für einen Moment nahm die üppige Ausstattung des hohen Raumes ihr den Atem. Er war wunderschön, und Coco fand, dass dieses Hotel jeden Cent wert sein würde. Auch hier im Innern herrschte der viktorianische Stil vor. Überall war Marmor verarbeitet worden, und große exotische Pflanzen ließen einen vermuten, dass man eher inmitten eines botanischen Gartens stand denn in einer Hotellobby. An den weitläufigen Raum schlossen sich einige kleine Nischen an, die augenscheinlich als Kaffeehaus genutzt wurden.

An den kleinen Marmortischen saßen vereinzelte Gäste und ließen sich die Leckereien der Küche schmecken. Coco war stehen geblieben und hatte sich diesen zauberhaften Ort staunend angesehen; sie löste sich von dem Anblick und ging hinüber zur Rezeption. Auch hier konnte sie das Erstaunen des Mannes hinter dem Tresen förmlich mit der Hand greifen. Langsam kam sie sich seltsam vor.

War es wirklich so ungewöhnlich, dass eine Frau allein reiste? Auch wenn sie von der Örtlichkeit in ein anderes Jahrhundert versetzt worden war, Coco war immer noch eine moderne Frau, die durchaus selbst ihren Urlaubsort ansteuern konnte.

Noch war sie weit davon entfernt, säuerlich über die Reaktionen zu reagieren, aber ein Anflug von Unverständnis erlaubte sie sich doch.

„Sie wünschen?“, fragte der vollkommen verwirrte Mann an der Rezeption und versuchte, wenigstens den Anschein von Höflichkeit zu wahren.

„Mirabeau, ich hatte reserviert.“ Coco gab sich Mühe, ihren langsam aufsteigenden Ärger zu unterdrücken. Der Mann nickte und bemühte seinen Computer, er tippte ihren Namen ein und lächelte dann.

„Willkommen, Madame Mirabeau, bitte entschuldigen Sie meine Überraschung …“ Er legte eine kleine Pause ein, in welcher er weiter in seinem PC nach etwas suchte, dann schüttelte er den Kopf und wandte sich wieder an Coco.

„Madame Mirabeau, laut unseren Unterlagen haben Sie den ‚Full Service’ unseres Hauses gebucht …?“

Coco nickte, langsam wurde es ihr zu bunt.

„Und?“, fragte sie mit leicht aggressivem Unterton.