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Originalausgabe Mai 2013

Charakter und Zeichnung: Bob und Ben © Hansrudi Wäscher / becker-illustrators

Text © Thomas Knip

Copyright © 2015 der eBook-Ausgabe Verlag Peter Hopf, Petershagen

 

Lektorat: Edelgard Mank

Umschlaggestaltung: etageeins, Jörg Jaroschewitz

Hintergrundillustration Umschlag: © Yann Tal an Ty Goët – fotolia.com

E-Book-Konvertierung: Thomas Knip | Die Autoren-Manufaktur

 

ISBN ePub 978-3-86305-172-3

 

www.verlag-peter-hopf.de

 

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Hansrudi Wäscher wird vertreten von Becker-Illustrators,

Eduardstraße 48, 20257 Hamburg

www.hansrudi-waescher.de

 

Alle Rechte vorbehalten

 

Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind rein fiktiv.

Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.

 

Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Verarbeitung und die Verbreitung des Werkes in jedweder Form, insbesondere zu Zwecken der Vervielfältigung auf fotomechanischem, digitalem oder sonstigem Weg, sowie die Nutzung im Internet dürfen nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages erfolgen.

 

 

 

Inhalt

 

EINS

ZWEI

DREI

VIER

FÜNF

SECHS

SIEBEN

ACHT

NEUN

ZEHN

ELF

ZWÖLF

DREIZEHN

VIERZEHN

FÜNFZEHN

SECHZEHN

 

 

 

THOMAS KNIP

Bob und Ben

Die fliegenden Abenteurer

 

 

 

EINS

 

Voller Ungeduld drängten sich die Besucher auf der Aussichtsplattform.

Sie allen waren extra in diese Einöde im Nordosten Arizonas angereist, um sich das Spektakel nicht entgehen zu lassen. Vor ihnen erstreckte sich die atemberaubende Kulisse des Grand Canyon, dessen Klippen mehrere hundert Meter tief vor ihnen abfielen. Die Schichten des roten Gesteins leuchteten im hellen Sonnenlicht in den unterschiedlichsten Tönungen.

Wer es von den Angereisten wagte, nahe an das Geländer der Plattform heranzutreten, konnte tief unter sich den gewundenen Lauf des Colorado Rivers verfolgen, der sich in den Jahrmillionen in den Canyon eingegraben hatte.

Vereinzelt bedeckten Wolken den tiefblauen Himmel. Das Wetter war wie geschaffen für das Ereignis, für das die zahlreichen Gäste angereist waren. »Joe's Grand Canyon Hotel« feierte an diesem Tag seine Eröffnung: ein ultramoderner Flachbau, dessen Aussichtsterrasse weit über den Rand des Canyons hinaus errichtet worden war und seinen Gästen einen spektakulären Ausblick bot.

Es hatte den Besitzer einiges an Geld und Beziehungen gekostet, um die Touristenanlage von den örtlichen Behörden genehmigen zu lassen. Und er hatte vor, seinen Einstand mit einer Werbesensation zu feiern: mit einer Luftakrobatik-Show der »Blue Devils«, den gewagtesten fliegenden Abenteurern, die die USA jemals gesehen hatten!

»Achtung, Achtung!«, übertönte die Stimme aus einem Lautsprecher das Gemurmel der wartenden Gäste. »In wenigen Augenblicken beginnt die Show der ›Blue Devils‹! Allein der Start auf der provisorischen Piste wird eine fliegerische Meisterleistung sein! Ein einziger Fehler – und …«

Der Mann, der sich gegen das schräg gestellte Fenster lehnte, hörte der vollmundigen Ankündigung nur mit halbem Ohr zu. Innerlich konzentrierte er sich auf den bevorstehenden Auftritt und ging im Geiste die Flugmanöver durch.

»Schließ das Fenster, Ben! Wir müssen uns konzentrieren«, unterbrach eine tiefe Stimme seine Gedanken. Der untersetzte Mann mit dem Bürstenhaarschnitt drehte sich um und drückte das Kippfenster zu.

Er sah seinem Kollegen zu, wie dieser sich eine Pfeife ansteckte, während er sich in seiner blauen Fliegerkombination in einen der grau gepolsterten Sessel zurücklehnte. Doch dieser Mann war nicht nur sein Kollege, ging es Ben Durkin durch den Kopf.

Bob Hart und er waren seit Jahren unzertrennliche Freunde. Sie hatten sich als Jagdflieger während des Koreakrieges kennengelernt und in zahlreichen gefährlichen Einsätzen gezeigt, dass sie sich blind aufeinander verlassen konnten. Nachdem sie ihre Zeit beim Militär beendet hatten, beschlossen sie, zusammenzubleiben und ihre Leidenschaft für die Fliegerei zu verfolgen.

Sie kauften sich von ihren Ersparnissen eine alte Spitfire, eines der zuverlässigsten Jagdflugzeuge aus dem Zweiten Weltkrieg, ließen sie umbauen und für ihre Zwecke ausrüsten. Binnen weniger Jahre machten die beiden Männer als Flieger-Asse für alle außergewöhnlichen Gelegenheiten von sich reden und wurden schnell zu den gesuchtesten Sensationspiloten in den Staaten.

Bob Hart setzte sich in seinem Sessel auf und zog an seiner Pfeife.

»Wir wollen noch einmal unser Programm durchgehen!«, forderte er Ben Durkin auf. Dieser legte den Kopf zur Seite und setzte ein schiefes Grinsen auf.

»Gut, wenn du meinst. Aber wir haben es ja mehrmals geprobt. Es kann bei der Aufführung nichts schiefgehen.«

Bob sah seinen Freund eindringlich an.

»Ich möchte wetten, dass die meisten der sensationshungrigen Gäste hier gerade darauf warten! Du weißt ja … die berühmte Gänsehaut.«

Ben winkte ab und zog seine Fliegerjacke zurecht.

»Keine Angst. Bei unserem Programm kommen auch diese liebenswerten Zeitgenossen auf ihre Kosten. Ich weiß doch, was wir unserem Publikum schuldig sind …«

Ein Klopfen unterbrach ihre Unterhaltung, dann schwang die Tür nach innen auf. Ein korpulenter Mann in einem gestreiften Anzug stand im Türrahmen. Seine Zigarette wippte nervös im Mundwinkel.

»Wo bleibt ihr denn?«, fragte er. »Die Spannung hat ihren Höhepunkt erreicht. Noch länger kann ich meine Gäste nicht hinhalten!«

Bob erhob sich aus seinem Sessel und löschte in aller Ruhe seine Pfeife. Ben bewunderte seinen Freund insgeheim für diese Gelassenheit und grinste in sich hinein, während er die zunehmende Nervosität des Direktors verfolgte.

»Wir sind bereit, Boss«, meinte Bob Hart schließlich und nickte Ben zu. Sie durchquerten die klimatisierte Hotellobby, die wie ausgestorben wirkte. Bis auf zwei Angestellte hinter der Rezeption begegnete ihnen niemand. Das änderte sich schlagartig, als sich die großen Eingangstüren aus Glas vor ihnen öffneten.

Mehrere Dutzend Gäste erwarteten bereits ungeduldig ihr Eintreffen und richteten ihre Blicke auf die Flieger. Binnen weniger Augenblicke hatte sich eine Menschentraube um die beiden Piloten gebildet.

»Ein Autogramm, bitte!« – »Ja, für mich auch!« – »Ein Autogramm!«, riefen sie wild durcheinander. Der Hoteldirektor, dem der Schweiß auf der Stirn stand, breitete seine Arme aus und drängte die Leute mit seiner massigen Gestalt zurück.

»Zurück!«, forderte er die Anwesenden auf. »Bitte, halten Sie sich zurück!« Es dauerte ein paar Minuten, bis sich die Erregung unter den Gästen legte und sich vor den Piloten ein Spalier bildete.

Bob Hart setzte sich wie sein Kollege die Pilotenmütze auf und lächelte den Gästen freundlich zu.

»Wir stehen Ihnen selbstverständlich nach dem Flug zur Verfügung«, erklärte er den dicht gedrängt stehenden Menschen.

Eine dunkelhaarige Frau in einem pelzbesetzten Kostüm rückte sich ihre Sonnenbrille zurecht und meinte spitz: »Hoffentlich sind Sie dann noch dazu in der Lage!«

Bob schenkte ihr ein Lächeln, aus dem die Erfahrung und die Selbstsicherheit einer langen Pilotenlaufbahn sprachen. Ben und er schüttelten ein paar Hände, die sich ihnen entgegenstreckten, und erreichten endlich die provisorisch errichtete Piste. Sie war auf beiden Seiten mit kleinen Flaggen abgesteckt, die im Wind leicht wehten.

Direkt vor ihnen erhob sich leuchtend im Sonnenlicht das dritte Mitglied ihres Teams: die feuerrot lackierte Spitfire Mk. 22. Embleme auf beiden Enden der Tragflächen zeigten in stilisierter Form einen Teufelskopf auf gelbem Hintergrund. Die Nase mit den breiten Propellerblättern reckte sich vorwitzig in den Himmel.

Ein Hotelangestellter stand neben dem Flugzeug und hielt eine kleine Trittleiter fest. Zuerst betrat Bob Hart die Stufen und kletterte über die linke Tragfläche auf den vorderen Pilotensitz. Direkt hinter ihm folgte Ben Durkin, der sich noch einmal zur Menge umdrehte und ihr mit ausgestrecktem Arm zuwinkte, bevor er sich hinter Bob in das enge Cockpit schob.

Das war eine der Besonderheiten der Spitfire, der sie den Kosenamen »Donald« gegeben hatten. Das Jagdflugzeug war eigentlich nur für einen Piloten vorgesehen, doch sie hatten das Cockpit entsprechend umbauen und erweitern lassen, um die Maschine für ihre Flugshows optimal nutzen zu können.

Bob wartete, bis Ben sich angeschnallt hatte, und schob dann das Plexiglasdach der Kanzel nach vorne. Er arretierte es mit einem Riegel über seinem Kopf. Bob warf einen kurzen Blick nach hinten. Ben zeigte ihm mit dem Daumen nach oben an, dass bei ihm alles klar sei.

»Dann mal los!«, sagte Bob zu sich und betätigte die Zündung. Der Zwölfzylinder-Viertaktmotor des Flugzeugs sprang sofort an. Die Auslassventile am Motorblock vibrierten. Ein Röhren erfüllte die Luft, und nur Augenblicke später holperte die Maschine über die improvisierte Piste. Staub wirbelte in einer lang gezogenen Wolke auf.

Die beiden Piloten waren aus ihrer Zeit im Koreakrieg deutlich schlechtere Bedingungen gewohnt, dennoch fluchte Ben unterdrückt, als ihn ein Stoß im Sitz umherwarf.

Atemlos verfolgten die Zuschauer entlang der Piste, wie die Spitfire rasch schneller werdend auf den Abgrund zuraste. Die Klippe kam immer näher, ohne dass das Flugzeug Anstalten machte, abzuheben. Erst im letzten Augenblick richtete sich die Nase nach oben, und die Maschine hob vom Boden ab. Ein befreiter Aufschrei ging durch die Menge.

Bob zog den Steuerknüppel zu sich heran, um ausreichend an Höhe zu gewinnen. Er drehte die Maschine leicht zur Seite und hatte nun einen freien Blick auf das Hotelgelände und die Zuschauer, die den Flug gebannt verfolgten.

»So!«, rief er Ben zu. »Jetzt einen Sturzflug, um die Sache eindrucksvoller zu machen!«

Er ließ die Spitfire zur Seite kippen, bis sie beinahe auf dem Rücken flog, und drückte den Steuerhebel vor. Umgehend reagierte das Flugzeug. In einer gewagten Kurve stieß es abwärts. Ein lautes Heulen erfüllte die Luft. Das Flugzeug jagte tief in den Canyon hinein. Je tiefer sie kamen, desto dunkler erschienen die steil aufragenden Felswände rechts und links vor ihnen.

Die Spitfire stieß nun nahezu senkrecht herab. Fast hatte es den Anschein, als würde sie rettungslos in das klare Wasser stürzen. Doch wenige Meter über dem Colorado River riss Bob die Maschine wieder hoch und ließ sie senkrecht in die Höhe steigen. Der Motor protestierte unter der Belastung. Der erfahrene Pilot wusste allerdings genau, was er seiner Maschine zumuten konnte.

Er stieß über den Rand des Canyons vor und vollführte einige gewagte Flugmanöver. Mit einer Barrel-Rolle ließ er das Flugzeug wiederholt um die eigene Längsachse kreiseln, beschrieb dann eine halbe Rolle und flog in einer engen Kurve zurück in Richtung des Hotels.

Bob drehte sich zu seinem Freund um.

»Es ist so weit, Ben«, sagte er, »übernimm du das Steuer!«

»Okay!«, bestätigte dieser durch den Motorenlärm. »Ich wünsch' dir Hals- und Beinbruch!« Er schloss seine Hände fest um die Steuerhörner.

Bob löste seinen Sicherheitsgurt und verstaute die Pilotenmütze in einer Tasche am Sitz. Konzentriert betätigte er den Riegel an der Plexiglaskuppel und ließ sie zurückrollen. Der Fahrtwind zerrte an seinem Körper, und Ben legte die Maschine so in den Wind, dass die Belastung für seinen Freund nachließ.

Bob richtete sich in seinem Sitz auf und blickte nun durch die geöffnete Kanzel nach unten. Er konnte die Menschen sehen, die sich entlang des Geländers auf der Aussichtsplattform drängten, um nichts von der Show zu verpassen.

Ben drosselte das Gas und hielt auf einen Fahnenmast zu, der gut zehn Meter unterhalb der Plattform in den Fels getrieben worden war und über den Canyon ragte. Am äußeren Ende wehte die Flagge mit dem Teufelskopf der »Blue Devils«. Die Maschine flog nun so langsam, dass jeder der Gäste das folgende Manöver genau beobachten konnte.

Bob stieg auf seinen Sitz und stellte einen Fuß auf dem Rand des Cockpits ab. In diesem Moment legte Ben die Spitfire zur Seite, und Bob Hart sprang. Wie ein Greifvogel glitt er durch die Luft, vorbei an den Zuschauern, die nicht glauben konnten, was sie da sahen.

Sein Körper jagte genau auf den Fahnenmast zu. Bob spürte, wie ihn der Wind trug, und bekam die Stange mit beiden Händen zu fassen. Er fing seinen Schwung ab und zog sich an dem Mast empor, der sich gefährlich durchbog. Jubelnde Rufe hallten ihm entgegen. Doch nur einen Augenblick später wurden Schreie des Entsetzens laut, als die Menschen ohnmächtig mit ansehen mussten, wie die Stange unter der Belastung brach.

 

Illu-01

 

Manche wandten sich hilflos ab, als Bob in die Tiefe stürzte. Andere konnten den Blick nicht abwenden und sahen, wie der Pilot im freien Fall einen Griff betätigte und sich in Sekundenbruchteilen ein Fallschirm öffnete, an dem er sicher nach unten schwebte.

Ein Aufatmen ging durch die Menge. Die Gäste fragten sich, ob die gebrochene Stange vielleicht zur Show gehörte. Und wie um ihre Überlegungen zu bestätigen, kehrte die Spitfire in einem langen Bogen zurück und steuerte direkt auf Bob Hart zu.

Die Menschen sahen gebannt zu, wie das Flugzeug unter ihnen durch den Canyon jagte. Kurz bevor es unweigerlich den Fallschirm durchtrennen musste, zog Ben die Nase leicht empor. Das Heckrad grub sich in den widerstandsfähigen Nylonstoff und verhakte sich darin. Bob wurde durch den Schwung mitgerissen. Er brauchte ein paar Momente, um sich zu orientieren, dann zog er sich gekonnt an den Gurten hoch.

Atemlos verfolgten die Zuschauer, wie der Pilot in schwindelerregender Höhe den Fallschirm hochkletterte und sich nach unendlich erscheinenden Momenten über Haltegriffe auf das Höhenruder zog. Bob klinkte den Fallschirm aus, der in einer taumelnden Bewegung im Canyon verschwand, und richtete sich am Leitwerk auf.

Unter den ungläubigen Blicken der Anwesenden entrollte er ein langes Werbebanner, das in großen Lettern »Joe's Grand Canyon Hotel awaits you« an den Himmel schrieb und die Gäste einlud, das Hotel zu besuchen. Begleitet von lautstarkem Jubel zog sich Bob Hart den Rumpf entlang, kletterte in das Cockpit zurück und schloss die Kuppel.

»Geschafft!«, stieß er aus. Er strich sich durch das verschwitzte blonde Haar und setzte seine Pilotenmütze auf.

»Ja«, bestätigte Ben mit ruhiger Stimme, nachdem er sich mit einem Blick nach vorne davon überzeugt hatte, dass sein Freund wohlbehalten war. »Es hat wieder einmal alles geklappt! Wir müssen jetzt nur noch eine halbe Stunde über dem Highway mit der Werbefahne herumkurven, und dann kommt das Schönste vom Programm!«

Bob lachte. »Du meinst das Einkassieren unseres Honorars?«

»Dein Scharfsinn ist verblüffend«, gab sein Freund zurück und überließ Bob wieder das Steuer. Sie genossen den Flug durch den Canyon, dessen Gesteinsschichten in vielfältigen Rottönen im warmen Nachmittagslicht schimmerten.

Wenige Minuten später hatten sie laut Karte den Highway erreicht, und so zog Bob die Maschine empor. Das lange Band der Straße erstreckte sich auf dem ockerfarbenen Boden unter ihnen.

 

Bob fielen die beiden Punkte in der Ferne auf, die den Highway mit einem Mal verließen und über den unebenen Boden hinwegrasten.

»He, Ben, sieh mal!«, machte er seinen Freund darauf aufmerksam. »Die beiden Wagen haben die Straße verlassen und fahren querfeldein.«

Ben kniff die Augen zusammen und lehnte sich in seinem Sitz vor. »Das sieht ja fast so aus, als ob … Das ist ein Rennen. Oder … eine Verfolgung!«, stieß er aus.

»Ich gehe tiefer!«, entschied Bob Hart und drückte das Steuerhorn leicht nach vorne. Während die Maschine den Abstand zu den beiden Fahrzeugen immer weiter verringerte, konnten die Piloten sehen, wie die Wagen dem Rand des Plateaus immer näher kamen.

»Ja, sind diese Rowdies denn noch zu retten?!«, entfuhr es Bob, während die Fahrzeuge gefährlich nahe an den Klippen vorbeifuhren. Schließlich jedoch dämmerte es ihm. »Du, Ben«, sagte er leise, »das ist kein Spaß von Halbstarken. Der vordere Wagen wird in die Schlucht gedrängt!«

In diesem Moment konnten sie sehen, wie das verfolgte Fahrzeug die Kontrolle verlor. Der Länge nach schleuderte es in einer Staubwolke über die Klippe und verlor sich in der Tiefe.

Ben keuchte. »Bei allen …! Schau, der zweite Wagen kratzt die Kurve! Lass uns runtergehen! Wir müssen uns die Nummer des Wagens aufschreiben.«

»Ja, aber noch besser wäre es, wir würden die Flucht der Kerle verhindern, damit der Sheriff sie ergreifen kann«, gab Bob zu bedenken. »Setz du dich mit dem Flugplatz in Verbindung, Ben! Von da aus können sie unsere Meldung weiterleiten.«

»Okay«, antwortete ihm sein Freund zögernd und betätigte dann das Bordmikrofon. Während er die Frequenz einstellte und die Meldung durchgab, klinkte Bob die Werbefahne aus, um den Flug der Maschine nicht zu behindern. In einem steilen Winkel zog er die Spitfire nach unten und verringerte so die Distanz zu dem erdfarbenen Chrysler binnen weniger Augenblicke.

Doch das Manöver blieb nicht unentdeckt. Der Beifahrer des Wagens kontrollierte die Sicht im Außenspiegel und nahm dabei den Umriss des Flugzeugs wahr, das rasch näher kam. Irritiert warf er einen Blick über die Schulter, ob er sich nicht getäuscht hatte, und unterdrückte einen Fluch zwischen den Zähnen.

»Hey, Dan! Die Flieger meinen uns!«

»Teufel!«, gab der Fahrer zurück. »Die müssen alles mitangesehen haben!«

Der Schatten der Spitfire zog in geringer Höhe über den Wagen hinweg. Unwillkürlich duckten sich die beiden Fahrzeuginsassen. Fast glaubte der Fahrer, dass es das Heckrad streifen würde, so knapp setzte sich das Flugzeug vor sie.

»Ver… – die wollen uns stoppen!«, entfuhr es ihm. Er riss das Lenkrad herum und zog den Chrysler in voller Fahrt nach links. Jeff, sein Beifahrer, wurde gegen die Tür gedrückt.

»Vorsicht!«, rief er aus. »Wir kommen ins Schleudern!«

Dan ging nicht weiter darauf ein, sondern beschleunigte den Wagen. Die beiden Männer konnten das Flugzeug nun deutlich vor sich sehen, das in einer engen Kurve wieder auf sie zuhielt.

»Da! Sie fliegen wieder an. So erreichen wie die Straße nie!«, kombinierte Dan.

»Und wenn, dann schnappt man uns im Handumdrehen. Die haben bestimmt schon über Funk Meldung gemacht«, meinte Jeff. Dan verzog den Mund. Er steuerte den Wagen mit der linken Hand und zog mit der Rechten eine Thompson M1 unter dem Sitz hervor und reichte sie an Jeff weiter. Dieser nahm die Maschinenpistole entgegen und fühlte prompt ein Gefühl der Sicherheit in sich aufsteigen.

»Hier, gib ihnen Saures!«, wies Dan ihn an. »Wir sind noch weit genug von der Straße entfernt. Niemand wird etwas hören!«

Jeff nickte und grinste dabei. Er entsicherte die Thompson und kurbelte das Seitenfester herunter. Routiniert setzte er die Waffe an, während das Flugzeug immer näher kam.

 

Bob Hart hielt das Steuerhorn mit beiden Händen fest umklammert und drosselte die Geschwindigkeit der Spitfire, um noch etwas tiefer zu gehen. Bisher hatten sich die Flüchtenden von ihren Flugmanövern nicht aufhalten lassen. Er hatte allerdings nicht vor, dieses Katz-und-Maus-Spiel noch länger fortzusetzen.

Die Windschutzscheibe des Chryslers leuchtete im Sonnenlicht auf, und so nahm er die Lichtblitze im ersten Augenblick nicht wahr. Erst als er die dumpfen Einschläge im Rumpf hörte, die klangen wie von Hagelkörnern, dämmerte es ihm.

»He! Die schießen auf uns!«

»Himmel!«, entfuhr es Ben. »Das sind ja Gangster! Dreh ab, Bob! Dagegen haben wir keine Chance!«

Einen Augenblick lang haderte Bob Hart mit sich, aber er wusste, dass sein Freund recht hatte. »Leider«, presste er zwischen den Lippen hindurch. Er beschrieb eine weite Kurve mit der Spitfire und gewann an Höhe. Der wütende Einschlag der Kugeln verebbte. Mit zusammengekniffenen Augen sah er durch die Glaskuppel nach unten. Der Wagen beschleunigte nun ungehindert und entfernte sich rasch.

»Schade, dass wir damals die Maschinengewehre aus unserer Spitfire ausbauen lassen mussten. Jetzt hätten wir sie gut gebrauchen können.« Er atmete durch und lehnte sich in seinem Pilotensitz zurück. »Na, wenigstens haben wir unsere Pflicht getan. Die Nummer des Wagens hast du doch durchgegeben?«

»Ja«, bestätigte Ben, der dem Fahrzeug frustriert hinterhersah.

»Gut. Da aus unserem Werbeflug doch nichts mehr wird, sehen wir uns mal an, was aus dem Unglücklichen geworden ist, der über den Rand der Schlucht gedrängt wurde«, beschloss Bob. Ben gab einen Laut des Unmuts von sich.

»Da wird nicht viel zu sehen sein, Bob. Der Wagen ist ja über tausend Meter tief gestürzt und dann im Colorado versunken.« In diesem Moment hatte das Flugzeug bereits den Rand des Canyons erreicht. »Hier ist er über den Rand des Plateaus gerast«, stellte Ben fest. Für ihn war der Fall damit abgeschlossen.

Bob Hart drückte die Maschine leicht nach unten und flog in den Canyon ein. Er war nicht bereit, die Sache damit auf sich beruhen zu lassen. Konzentriert blickte er nach unten und stockte plötzlich.

»Bei allen …!«, stieß er aus. »Sieh dort, Ben!« Er deutete mit dem Zeigefinger auf ein kleines Plateau, das sich gut zehn Meter unterhalb des Klippenrands befand. Kaum erkennbar lag dort ein Mann auf dem Felsen. Ben keuchte.

»Der Mann muss aus dem Wagen geschleudert worden sein«, vermutete Bob, während er die Stelle umkreiste.

»Junge, Junge!«, schnaufte Ben. »Ob er noch lebt?«

»Das werden wir gleich feststellen!«, beschloss Bob Hart. »Ich lande oben auf dem Plateau.« Die Nase der Spitfire zog steil nach oben und stieg in den blauen Himmel empor. Nur Sekunden später hatten sie die Wände der gewaltigen Schlucht hinter sich gelassen. Bob zog an einem Hebel. Die in den Tragflächen versenkten Räder fuhren aus und rasteten hörbar ein.

Unter ihnen raste die karge Landschaft Arizonas dahin. Ben sah sich um und war von dem Anblick wenig begeistert.

»Hm …«, machte er. »Hoffentlich wird unser guter ›Donald‹ dabei nicht zu Schrott. Der Boden sieht mir ziemlich uneben aus.«

»Unsinn!«, entgegnete Bob. »Wir sind in Korea auf weit schlechterem Gelände ohne Bruch gelandet.« Zuversichtlich verlangsamte der Pilot die Geschwindigkeit und hielt die Position waagerecht. Er war es gewohnt, ohne Mithilfe von Instrumenten auf Sicht zu landen. Einzig den Höhenmesser behielt er im Auge, denn unter ihm verdeckte aufgewirbelter Staub den freien Blick zum Boden.

Die beiden Freunde sprachen kein Wort. Ben wusste, dass sich sein Freund trotz seiner Zuversicht auf die Landung konzentrieren musste. Der Boden kam nun rasch näher. Im Geiste schätzte Ben Durkin die Entfernung zur Oberfläche ab, als die Spitfire auch schon mit einem harten Ruck aufsetzte.

»Geschafft«, murmelte Bob und fuhr die Motorenleistung herunter. Der Propeller lief in ruckenden Bewegungen aus, während die Maschine ausrollte. Ohne Zeit zu verlieren, stieß Bob Hart die Glaskuppel auf und stieg aus dem Cockpit. Er rutschte über die linke Tragfläche nach unten.

»Bring das Perlonseil mit, Ben!«, wies er seinen Freund an. Er hatte das Flugzeug keine fünfzig Meter vom Klippenrand entfernt zum Halten gebracht, und so war die Entfernung mit wenigen Schritten überwunden. Er schob sich vorsichtig an den Rand. Geröll löste sich bei seinen Bewegungen und kullerte nach unten.

Bob keuchte. Er beugte sich so gut er konnte nach vorne und spähte in die Schlucht. Der Körper des Mannes war von seiner Position aus gut zu erkennen.

»Hm, er bewegt sich nicht«, stellte er fest. Hinter sich hörte er das Schnaufen seines wohlbeleibten Freundes und setzte sich auf.

»Befestige das Seil an dem Felsblock dort, Ben! Ich klettere hinunter.«

Ben nickte und legte das strapazierfähige Seil um den wuchtigen Felsen. Er formte eine Schlaufe und prüfte den Sitz, um sich zu vergewissern, dass das Seil nicht abrutschen konnte. Zufrieden reichte er es an Bob weiter. Dieser schenkte seinem Freund einen aufmunternden Blick und näherte sich dem Rand des Canyons. Vorsichtig ließ er sich an einer flach abfallenden Stelle herab. Immer wieder bröckelten kleine Steine unter seinen Tritten nach unten. Der Pilot warf Ben einen Blick zu. Dieser hatte das Seil am Klippenrand gesichert und achtete darauf, dass es nicht auf dem Stein scheuerte.

Bob schnaufte. Obwohl er durchtrainiert war, begann er bereits nach wenigen Metern in der Fliegerkombination zu schwitzen, die eher für die kalten Temperaturen in mehreren tausend Metern Höhe ausgerichtet waren als für eine Kletterpartie in der Hitze Arizonas. Er legte auf einem kleinen Sockel eine Pause ein und rieb sich seine feucht gewordenen Hände trocken.

Schließlich erreichte er das kleine Plateau, das gerade einmal zwei Männern Platz bot.

»Was ist mit dem Mann, Bob?«, rief Ben von oben herab. Er hatte die ganze Zeit den Abstieg seines Freundes nervös beobachtet.

Bob kniete neben dem Unbekannten und fühlte seinen Puls am Hals.

»Er lebt, Ben!« Der Pilot schüttelte den Kopf. »Er hat so viel Glück gehabt, dass es schon fast an ein Wunder grenzt.« Er untersuchte den Mann, ohne ihn mehr zu bewegen als nötig. »Außer einer Beule am Kopf kann ich nichts feststellen«, rief er nach oben. »Aber ich bin ja kein Arzt. Vielleicht hat er innere Verletzungen.«

Ben kratzte sein Kinn. »Was sollen wir tun?«, fragte er nach.

»Hier unten kann er nicht bleiben«, schallte Bobs Stimme zu ihm. »Wir ziehen ihn hoch. Das Seil ist lang genug. Ich kann es so an ihm befestigen, ohne seine Lage wesentlich zu verändern.«

Ben schob sich an den Rand der Klippe und sah zu seinem Partner hinab. »Du hast recht«, gab er schließlich zurück und sah zu, wie Bob das Seil so um den Körper des Bewusstlosen schlang, dass es eine Art Schlaufe bildete, in der der Mann in seiner liegenden Position nach oben gezogen werden konnte.

Bob hangelte sich nach oben. Als er die Klippe erreichte, zog ihn sein Freund mit einer kräftigen Bewegung zu sich. Er atmete tief durch und setzte sich dann auf.

»So, leg das Seil über meine Schulter! Dann stößt der Mann nicht an«, instruierte er Ben.

»Hm …«, gab dieser zurück. »Na, hoffentlich ist die Belohnung, die wir von ihm bekommen, so fett, dass du sie nachher als Pflaster auf deine Schulter legen kannst.«

Bob schmunzelte. »Halt keine Reden, du Materialist, und zieh!«

»Okay, okay«, winkte sein Freund ab. »Aber ich gebe dir zu bedenken, dass wir bei deinem Idealismus schon längst verhungert wären.«

Bob war nicht bereit, das Thema in diesem Augenblick noch weiter zu erörtern, sondern legte sich in einer nach vorne gebeugten Haltung auf den Rand der Klippe. Ben warf das Seil über die Schulter seines Freundes. Dieser setzte seinen Körper als Hebel ein. Dadurch schwang das Seil frei in der Luft in gut einem Meter Entfernung vom Felsgestein.

Ben Durkin stemmte sich in den Boden und zog den Unbekannten vorsichtig nach oben. Wer den wohlbeleibten Körper des Mannes sah, würde nicht glauben, wie viel Kraft in ihm steckte. Doch diese stellte er nun unter Beweis. Unter Ächzen und Fluchen packte er ein ums andere Mal das Seil und hievte den Verletzten hoch. Immer wieder musste er seine Stiefel in die Erde drücken, da er durch die Last nach vorne rutschte. Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, bis der Körper des Mannes endlich am Klippenrand zu sehen war. Bob Hart drehte sich in seiner Position so gut es ging um. Die ganze Zeit über hatte das Seil tief in seinen Körper eingeschnitten, dennoch verschwendete er keinen Gedanken an sich, sondern schob nun zusammen mit seinem Freund den Unbekannten nach oben, bis er sicher auf dem Plateau lag.

Die nächsten Minuten war nur der raue, heisere Atem der beiden Piloten zu hören, die auf dem warmen Stein lagen und ihre Kräfte sammelten. Bob Hart richtete sich auf. In der Ferne war ein Motorengeräusch zu hören, das rasch näher kam.

»Da, Bob, schau mal! Wir bekommen Besuch. Es ist der Sheriff!«

Ihre Spitfire war durch die knallrote Farbe nicht zu verfehlen, und so hatte der Sheriff keine Mühe gehabt, sie schon aus weiter Ferne auszumachen. Er hielt seinen Polizeiwagen direkt neben dem Flugzeug an und stieg aus. Mit schnellen Schritten ging er auf die beiden Piloten zu. Diese wiederholten mit knappen Worten ihre Aussage über ihre Beobachtungen und ergänzten sie mit dem Bericht, wie sie den Mann gefunden und geborgen hatten.

Der Sheriff, ein Mann mittleren Alters, zwirbelte seinen Schnurrbart.

»Hm … ich muss meine Meinung über Sie revidieren, meine Herren«, gab er unumwunden zu. »Bis jetzt habe ich die ›Blue Devils‹ immer für Sensationsdarsteller ohne Nerven und – ohne Verantwortungsgefühl gehalten. Aber Ihre mutige Rettungstat zeigt mir, dass Sie in Ordnung sind. Ich …«

Bob hob die Hand. »Entschuldigen Sie, dass ich Ihren Lobgesang unterbreche, Sheriff! Aber wir sind von Natur aus bescheiden. Und außerdem sollten wir uns um diesen Mann kümmern.«

Der Gesetzeshüter bedachte den Piloten mit einem ernsten Blick, ohne etwas zu sagen. Ein Stöhnen unterbrach die unangenehme Stille. Die drei Männer fuhren herum.

»Ah, mein Kopf«, erklang eine leise Stimme. Der Unbekannte war zu sich gekommen und blickte die Männer vor sich irritiert an. Der Sheriff ging neben ihm in die Knie und stützte seinen Kopf.

»Was ist geschehen?«, wollte der Verletzte wissen. »Ich …«

»Verhalten Sie sich ruhig!«, redete der Sheriff auf ihn ein. »Ich bringe Sie ins nächste Krankenhaus.« Der Unbekannte nickte nur schwach, ohne ein weiteres Wort zu sprechen, während der ältere Mann ihn bei den Schultern packte.

»Ich fasse mit an«, assistierte ihm Bob. »Wir legen ihn am besten auf den Rücksitz Ihres Wagens.«

Der Sheriff stimmte zu. Sie wuchteten den Mann, der immer wieder kurzzeitig die Besinnung verlor, auf die Rückbank des Polizeiwagens. Schließlich verabschiedete sich der Gesetzeshüter, ohne einen Ton zu sagen, aber doch mit einem festen Händedruck von den beiden Piloten. Er setzte sich in seinen Wagen und fuhr los.

Bob und Ben sahen ihm nach, bis das Fahrzeug verschwunden war, dann stiegen sie wieder in ihr Flugzeug, um zum Hotel zurückzufliegen. Die Maschine rollte über den unebenen Untergrund und erhob sich in einer fließenden Bewegung in den wolkenlosen Himmel.

Sie hatten die ganze Zeit über kaum ein Wort miteinander gesprochen, also hielt Bob es für angebracht, ihr Schweigen zu beenden.

»Nanu?«, meinte er. »Du machst ja gar kein saures Gesicht, Ben. Und dabei hatten wir gar keine Gelegenheit, uns bei dem Verunglückten vorzustellen – ich meine, wegen der von dir erhofften Belohnung.«

Ben Durkin beugte sich in seinem Sitz vor.

»Warum sollte ich deswegen ein saures Gesicht machen? Erstens wird der Sheriff ihm erzählen, wer ihn gerettet hat, und zweitens … um ganz sicher zu gehen, habe ich ihm unsere Visitenkarte in die Tasche gesteckt!« Er kicherte verschmitzt.

»Oha! Du bist ja ganz schön ausgekocht, mein Junge!«, meinte Bob nur, konnte sich ein Lächeln aber nicht verkneifen.

»Unsinn!«, wiegelte Ben ab. »Werbung ist das halbe Leben!« Er wollte sich gerade zurücklehnen, als ihm ein weiterer Gedanke durch den Kopf fuhr.

»Oh je! Wir haben unseren Vertrag mit dem Hotel nur halb erfüllt. Und das heißt, wir werden wohl auch nur das halbe Honorar bekommen. Entsetzlich!« Er stöhnte auf und verzog das Gesicht. »Ich sehe uns schon am Hungertuch nagen!«

Sein theatralisches Seufzen ging im Motorengeräusch der Spitfire unter.

 

 

ZWEI

 

Der Mann im maßgeschneiderten Anzug zündete sich eine Zigarette an und blickte durch die Glasfront auf den gepflegten Park seines Anwesens. Im Hintergrund hatte er den Fernseher laufen. Gedankenversunken stieß er den Rauch aus und sah den Chrysler auf den Hof fahren. Er verfolgte, wie die beiden Insassen ausstiegen und direkt auf sein Büro zukamen.

Es klopfte kurz an der Tür, dann standen die beiden Männer im Türrahmen.

»Und? Wie ist es gelaufen?«, begrüßte er sie und betrachtete die Glut an der Zigarettenspitze.

»Es war nicht einfach, Boss, aber wir haben den Auftrag er…«

»Still!«, wurde er unterbrochen. »Ich höre gerade Nachrichten.«

Der Boss setzte sich auf die Kante seines Schreibtisches und verfolgte die laufende Sendung.

»… der Fahrer des Unglückswagens ist wie durch ein Wunder am Leben geblieben. Es handelt sich um den Privatgelehrten Paul Brookfield …«

Ohne ein Wort zu sagen, drehte er sich zu den beiden Ankömmlingen um und musterte sie.

»Was?!«, entfuhr es Dan, dem Fahrer des geflohenen Fahrzeugs. »Das ist ja …«

»Ruhe!«, wurde er mit einer herrischen Bewegung von dem Mann im teuren Anzug unterbrochen. Er wollte die weiteren Details hören.

»… dem schnellen Eingreifen der bekannten Showflieger ›Blue Devils‹ hat Brookfield es zu verdanken, dass er in Sicherheit war, als er das Bewusstsein wiedererlangte. Es folgt nun auf Hinweis der Polizei die Nummer des Fahrzeugs, das Paul Brookfield offensichtlich in den Abgrund gedrängt …«

»Schalte ab, Dan!«, befahl er seinem Untergebenen. Dieser beeilte sich, der Anweisung nachzukommen. Er sah seinen Boss dabei an, wie dieser sich über die Stirn rieb, sich dann erhob und zu der kleinen Bar hinüberging, um sich einen Drink einzuschenken.

»So, ihr Helden«, sagte der Gangsterboss schließlich. »Ihr habt also den Auftragt erledigt?!«

»Aber, Boss«, versuchte sich Dan zu verteidigen, »wer konnte denn damit rechnen?« Sein Kollege Jeff hielt sich wohlweislich im Hintergrund und sagte keinen Ton.

Ihr Chef sah sie lange an, nahm einen kräftigen Schluck des eingeschenkten Bourbon und stellte das Glas lautstark ab.«Nur gut, dass wenigstens eine falsche Nummer am Wagen angebracht war. Bring den Wagen in die Garage und wechsle das Schild aus, Jeff!«

Der Mann mit der Boxernase zupfte am Revers seines Anzugs. »Okay, Boss!«, entgegnete er knapp und verschwand durch die offene Tür.

»Jeff und ich …«, versuchte sich Dan erneut zu verteidigen, als ihn das Klingeln des Telefons unterbrach.

»Wahrscheinlich unser Auftraggeber«, meinte sein Boss und wies seinen Untergebenen mit einem Fingerzeig an, still zu sein. Er drückte die Zigarette aus und nahm den Hörer ab.

»Hallo?«, sagte er und wurde umgehend von einer aufgeregten Stimme unterbrochen. Er hörte zu und wartete ab. »Ja … beruhigen Sie sich!«, redete er auf den Anrufer ein. »Noch ist nichts verloren …«

Wieder unterbrach ihn die Stimme. »Ja, ich verstehe!«, antwortete er schließlich. »Ende!«

Er legte auf und sah Dan mit einem undeutbaren Blick an.

 

»Wie sieht es bei dir aus?«, fragte Bob.

»Oh, Mann! Unser armer ›Donald‹ hat schon ein paar Schrammen abbekommen!« Ben Durkin betrachtete sich die Einschusslöcher im Rumpf der Spitfire. Zum Glück hatten die Kugeln wie durch ein Wunder nur die Hülle durchschlagen und kein empfindliches Teil getroffen.

Dennoch waren Bob und er bemüht, die Löcher herauszuhämmern und notdürftig zu versiegeln. Eine Rundumüberholung stand in der nächsten Zeit dringend an.

Bob Hart setzte die Abdeckplatte unterhalb des Motorblocks wieder auf und drehte die Schrauben ein, als er aus den Augenwinkeln einen Mann auf sie zulaufen sah. Sie hatten ihr Flugzeug am Rande der provisorischen Piste vor dem Hotel geparkt. Der Hoteleigentümer hatte sich großzügig gezeigt und ihnen die vereinbarte Summe ausgezahlt, nachdem er von den Vorkommnissen gehört hatte.

»Mr. Hart, Sie werden am Telefon verlangt! Zelle drei«, gab der Angestellte atemlos von sich.

Bob nickte ihm kurz zu und wischte sich die ölverschmierten Hände an einem Tuch ab. »Ich komme«, erwiderte er und verschraubte die Abdeckplatte. Er duckte sich unter der Nase des Flugzeugs hinweg, als Ben trotz seiner Körperfülle behände von der Tragfläche sprang.

»Moooment! Ich begleite dich! Falls das Mr. Brookfield ist, muss ich verhindern, dass du eine Belohnung ablehnst!«

Bob Hart seufzte, lächelte seinem Freund aber zu. Sie machten sich gemeinsam auf den Weg ins Foyer des Hotels und zwängten sich in die verglaste Telefonkabine. Bob nahm den Hörer auf.

»Ja, Bob Hart am Apparat. Mit wem spreche ich, bitte?«, fragte er nach. Ben konnte undeutlich eine Stimme aus dem Hörer vernehmen.

»Oh, Mr. Brookfield …«, antwortete Bob. »Aber ich bitte Sie, das war doch selbstver…«

»Gar nicht selbstverständlich«, unterbrach ihn Ben schnell. »Gib mir den Hörer!«

Bob Hart bedachte seinen Freund mit einem kritischen Blick und hielt den Hörer weit von sich. »Hände weg!«, meinte er. »Entschuldigen Sie, Sir. Sie waren nicht gemeint. Wie? Heute Abend? Ja, gern. Wie ist die Adresse?«

Ben zog den Mund zu einer Schnute und lehnte sich gegen die Kabinenwand. Ihn juckte es in den Fingern, seinem Freund den Hörer aus der Hand zu reißen. Stattdessen musste er tatenlos danebenstehen.

»Schön!«, erwiderte Bob Hart und stockte mit einem Mal. »Wie bitte? Aber … sind Sie sicher?! Dann rufen Sie sofort die Polizei!« Ben wurde unruhig und sah seinen Kollegen fragend an. Dieser lauschte und fuhr fort. »Oh, ich verstehe! Ja, bleiben Sie ruhig!«

Hastig legte Bob den Hörer auf und stürmte aus der Telefonzelle.

»Los, komm!«, wies er seinen Freund an. »Es ist keine Zeit zu verlieren!«

Ben sah ihn verdutzt an. »Was? Was ist denn los?«, wollte er wissen.

Bob eilte die Lobby entlang und achtete nicht auf die Gäste, die zur Seite sprangen, als die beiden Piloten an ihnen vorbeirannten.

»Mr. Brookfield hatte wirklich nur eine Beule und ist nach kurzer Behandlung aus dem Krankenhaus entlassen worden«, erklärte Bob seinem Freund, während sie über den Vorplatz sprinteten. »Dann hat man ihn im Büro des Sheriffs vernommen und nach Hause geschickt.«

»Ja, und?«, schnaufte Ben, der das Tempo seines Freundes kaum mithalten konnte. »Und was hat das mit deiner Eile zu tun?«

»Los, los in die Kiste!«, wies Bob ihn an. »Uns bleiben vielleicht höchstens zehn Minuten Zeit, sonst haben wir Brookfield umsonst gerettet!«

»Hä?!«, gab Ben von sich, der überhaupt nicht verstand, wovon sein Freund redete. Dennoch folgte er ihm, ohne zu zögern, in die bereitstehende Spitfire und setzte sich auf den hinteren Pilotenplatz.

Bob betätigte den Zünder und ließ die Maschine anrollen. Er lenkte das Flugzeug auf die Piste und nutzte die Zeit, seinen Freund aufzuklären.

»Während er mit uns telefonierte, um uns zum Abendessen einzuladen, bemerkte er, wie ein Wagen vor seinem Haus hielt. Zwei Männer stiegen aus. Er hat sie wiedererkannt.«

Die Spitfire hob trotz ihrer kleinen Blessuren in einer eleganten Bewegung ab und stieg in den Himmel. Bob orientierte sich einen Moment an den Karten und ließ Ben mit seinen Gedanken allein. Schließlich setzte er fort.

»Es waren die beiden, die in dem Wagen saßen, der ihn in den Abgrund gedrängt hatte«, erklärte er. »Und zu allem Unglück ist Brookfield allein zu Hause.«

»Was haben wir damit zu tun?«, maulte Ben. »Warum hat er nicht die Polizei gerufen?«

»Sein Haus liegt abseits«, gab Bob zurück. »Es dauert mindestens eine knappe Stunde, bis die Polizei dort eintrifft. Aber wir …«, er wies mit dem Zeigefinger nach vorne, »… sind schon da!«

Sie hatten die Distanz dank ihres Flugzeugs schneller zurückgelegt, als es jedem Wagen möglich gewesen wäre. Der Pilot hielt auf das flache Anwesen zu, das sich kaum sichtbar vor den umstehenden Bäumen erhob.

»Ich sehe keine Landemöglichkeit«, stellte er fest. Ben sah sich um. Er betrachtete die Landschaft und stellte dann zufrieden fest: »Dort hinten ist ein freies Feld!«

Bob Hart sondierte die Umgebung und löste seinen Sicherheitsgurt.

»Das ist zu weit, Ben! Ich steige aus. Klettere auf tausend Meter!«

Sein Freund übernahm das Steuer und zog die Maschine steil in die Höhe. Bob überprüfte den Sitz seines Fallschirms und öffnete dann die Plexiglaskuppel. Sie wurde durch die starken Winde nach hinten gezogen. In einem gewagten Sprung ließ sich der Pilot aus dem Cockpit fallen, während die Spitfire über ihm verschwand. Bob wartete bis zum letzten Augenblick, um den Fallschirm zu öffnen. Er zog an der Leine vor seiner Brust und wurde durch den geöffneten Schirm nach oben gerissen.

Mit geübten Manövern dirigierte er seinen Sinkflug in Richtung des Anwesens, das still vor ihm lag. Er landete auf der mit Fliesen verkleideten Auffahrt, auf der ein ihm wohlbekannter Chrysler parkte.

Bob kam hart auf und rollte sich ab. In diesen Augenblicken lief die Ausbildung, die er beim Militär erfahren hatte, wie ein eingespieltes Uhrwerk in ihm ab. Abfedern und Schirm lösen erfolgte in einer Bewegung. Er verlor keine Zeit, befreite sich aus seinem Gurt und sprintete auf das Haus zu. ›Hoffentlich komme ich nicht zu spät!‹, dachte er bei sich.

Die Eingangstür war nur angelehnt. Bob hörte sich einen Augenblick lang vorsichtig um, trat in den Flur ein und sah direkt vor sich die Tür zum Kellergeschoss, die weit offen stand.

»Brookfield hat sich im Keller eingeschlossen«, schallte ihm von unten eine Stimme entgegen.

»Los, wir schießen das Türschloss auf!«, antwortete eine sonore Stimme.

Bob eilte die Stufen nach unten und sah vor sich im Licht einer Lampe zwei Männer vor einer verschlossenen Tür. Einer von ihnen hielt seinen Revolver auf das Türschloss gerichtet und drückte ab. Der Schuss hallte ohrenbetäubend in dem engen Gang wider. Doch diesen Moment wollte Bob nicht ungenutzt verstreichen lassen.

Er warf sich den Männern von den Stufen aus entgegen. Die Gangster registrierten seinen Schatten erst im letzten Augenblick und drehten sich überrascht um.

Bobs Fausthieb schlug dem Kerl mit der Boxernase den Revolver aus der Hand. »Weg mit der Pistole!«, rief er und setzte nach. Der andere Gangster hatte sich gefangen und nach seiner Automatic gegriffen. »Na warte, Freundchen!«, flüsterte er. Doch noch bevor er anlegen konnte, hatte Bob schon seine Absicht erkannt und stieß die Waffe zur Seite. Sein mächtiger Fausthieb streckte seinen Gegner nieder und warf ihn nach hinten.

Der Gangster mit der Boxernase sprang entsetzt auf und flüchtete die Stufen nach oben. Er dachte gar nicht daran, auf Bobs »Halt!« zu hören und hatte einzig und allein den Blick für die Eingangstür, die verheißungsvoll vor ihm auftauchte.

Er rannte ins Freie und – flog plötzlich durch die Luft. Ein ausgestrecktes Bein hatte seine Flucht vereitelt. »Hoppla, wohin so eilig?«, hörte er die Worte eines untersetzten Mannes in Fliegerkombination, während er durch die Luft wirbelte und gegen den Wagen vor der Tür stieß. Betäubt blieb er am Boden liegen und ließ sich von Ben, der das Flugzeug inzwischen gelandet hatte, ohne Gegenwehr überwältigen.

In diesem Augenblick erschien Bob im Türrahmen. Er sah seinen Freund mit der ›Beute‹ und lächelte. »Gut, dass du den Kerl geschnappt hast, Ben!«

»Was dachtest du denn?«, erwiderte dieser mit einem breiten Grinsen. »Meinst du, ich lasse dir den ganzen Spaß alleine?« Er zwinkerte ihm zu und zog den besinnungslosen Gangster ins Haus.

 

Es brauchte einiges an Überredungskunst, um Paul Brookfield davon zu überzeugen, dass die Gangster überwältigt waren. Schließlich öffnete der Mann die Kellertür und kam den Piloten erleichtert entgegen. Sie verschnürten die beiden Männer, die ihre Besinnung noch nicht wiedererlangt hatten, und legten sie wie zwei versandfertige Pakete im Flur ab.

»Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken kann, meine Herren«, begann Brookfield atemlos.

»Aber ich!«, warf Ben ein. »Zum Beispiel …«