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Butler Parker
– 127 –

Der Todes Looping

Günter Dönges

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74092-372-3

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Flugtrainer Higgins geriet völlig aus der Fassung und hatte echte Mühe, dies nicht sichtbar werden zu lassen. Der drahtige, mittelgroße Mann hatte im Lauf der Zeit schon viel erlebt, doch das hier überstieg alles bisher Dagewesene. Er wußte nicht, ob er weinen oder lachen sollte.

»Sind Sie sicher, daß Sie Flugstunden nehmen wollen?« fragte er seine angehende Schülerin.

»Dumme Frage, junger Mann, sonst wäre ich ja nicht hier«, erwiderte die majestätisch aussehende Dame, die ein recht ausgebeultes Tweedkostüm trug. Sie schien um die sechzig zu sein, wirkte aber noch sehr aktiv und resolut.

»Mylady besitzen bereits einen Flugschein«, schaltete sich der Butler der unternehmungslustigen Dame ein. Er besaß ein durchschnittliches Gesicht, das glatt und ausdruckslos wie das eines versierten Pokerspielers war. Der Butler war etwas über mittelgroß, fast schlank und trug einen schwarzen Zweireiher. Auf seinem Kopf thronte eine schwarze Melone. Über seinen angewinkelten linken Unterarm hing ein altväterlich gebundener Regenschirm.

»Mylady?« Flugtrainer Higgins war leicht überrascht.

Diese sich burschikos gebende Dame hätte er niemals für eine Angehörige des englischen Adels gehalten. Auf der anderen Seite atmete er innerlich ein wenig auf. Sie besaß also bereits einen Flugschein und wollte sicher ein paar Auffrischungsstunden nehmen. Das hörte sich schon wesentlich besser an.

»Er stammt aus dem Jahr neununddreißig«, präzisierte Agatha Simpson, um die es sich handelte. »Aber im Grund hat sich an der ganzen Fliegerei ja kaum etwas geändert, oder?«

»Kaum, kaum.« Flugtrainer Higgins grinste wider Willen.

»Höhensteuer ist Höhensteuer, und Seitenruder bleibt Seitenruder«, verkündete Lady Agatha. »Worauf warten Sie eigentlich noch? Besorgen Sie einen passenden Vogel, junger Mann!«

»So schnell geht das nicht, Mylady«, entgegnete Higgins. »Wir werden uns erst mit der Theorie befassen müssen.«

»Reine Zeitverschwendung, junger Mann.« Agatha Simpson schüttelte energisch den Kopf. »Ich bin eine Frau der Praxis.«

Dem Flugtrainer kam eine geradezu teuflische Idee. Warum sollte er nicht jetzt hier dieser Frau die Flausen aus dem Kopf vertreiben. Warum packte er sie nicht in einen offenen Doppeldecker und schwenkte sie durch die Lüfte? Nach zehn Minuten würde sie um Gnade winseln und ein für allemal darauf verzichten, je wieder als Flugschülerin in die Luft zu steigen.

»Also gut, Mylady«, sagte er. »Warten Sie hier! Als alte Praktikerin macht es Ihnen ja wohl nichts aus, in einen Doppeldecker zu steigen, wie?«

»Das Wort ›alt‹ möchte ich nicht gehört haben.« Lady Simpson sah Higgins strafend an. »Natürlich werde ich in eine offene Kiste steigen. Früher hat es ja nichts anderes gegeben.«

Higgins nickte und trollte sich vondannen.

»Finden Sie nicht auch, daß er sehr umständlich wirkt?« Agatha Simpson sah ihren Butler kopfschüttelnd an.

»Mister Higgins gilt als erfolgreicher Trainer«, erwiderte Josuah Parker gemessen. »Er wurde mir sehr empfohlen.«

»Wir werden ja sehen.«

»Sollten Mylady nicht vielleicht passende Kleidung anlegen?« erkundigte sich Parker.

»Papperlapapp, Mister Parker! Wir fliegen ja nur eine kleine Informationsrunde. Ich möchte wissen, ob meine Reflexe noch in Ordnung sind.«

»Selbstverständlich. Und versuchen Sie nicht schon wieder, mir das auszureden, Mister Parker. Nur so kann ich den internen Betrieb hier studieren. Sie wissen, daß das Innenministerium mich um Hilfe gebeten hat.«

Die Augen der Lady glänzten, als Higgins sich näherte. Er saß bereits auf dem hinteren Sitz der kleinen kunstflugtauglichen Maschine und dirigierte den Doppeldecker an Agatha Simpson und Butler Parker heran.

Higgins schien seine Freunde und Bekannten informiert zu haben. Am Fuß des kleinen Tower sammelten sich Menschen, die sich diesen Spaß nicht entgehen lassen wollten. Sie kannten Higgins und wußten, daß es ihm bisher noch immer gelungen war, Mitflieger knieweich zu kriegen. Von diesem Unternehmen versprachen sie sich einiges.

Butler Parker leistete diskrete Hilfe, als seine Herrin in den vorderen Sitz stieg. Es dauerte eine Weile, bis sie ihre Fülle dort untergebracht hatte. Anschließend bemühte Parker sich, Lady Simpson die Gurte anzulegen, was jedoch an sich nicht notwendig gewesen wäre. Die korpulente Flugschülerin saß derart fest im schmalen Cockpit, daß sie selbst bei einem Looping mit Sicherheit nicht herausfiel.

»Darf ich mir erlauben, Mylady einen guten Flug zu wünschen?« Parker lüftete grüßend seine schwarze Melone.

»Natürlich dürfen Sie!« Agatha Simpson nickte strahlend. »Wir werden die Wolken erstürmen, Mister Parker. Schade, daß Sie nicht mitkommen können!«

»Mein Ehrgeiz, Mylady, geht in eine erheblich andere Richtung«, antwortete der Butler. Dann trat er zurück und verfolgte den Start der zierlichen, leichten Maschine, die, wie bereits gesagt, voll kunstflugtauglich war.

*

Flugtrainer Higgins verstand sein Handwerk. Er hatte den leichten Doppeldecker hochgerissen und stieß fast senkrecht zum Himmel hoch. Dann ließ er ihn über die Luftschraube wieder nach unten fallen, drehte dabei eine hart gerissene Rolle und jagte zurück auf den Boden zu. Dicht über der Piste fing er die Maschine ab und begann dann mit seinem eigentlichen Kunstflugprogramm. Er war fest entschlossen, sich die ältere Dame vom Hals zu schaffen. Er hatte keine Lust, seine Nervenkraft zu vergeuden.

Josuah Parker bezog am Fuß des Tower Posten und beobachtete die Demonstration eines einmaligen Könners. Es gab da Rollen, Loopings, Messerflug, Rückenflug und jähe Auf- und Abschwünge. Im Grund bedauerte Parker zwar die Belastungen, die Mylady zugemutet wurden, auf der anderen Seite aber begrüßte er sie auch. Er hielt nichts davon, daß seine Herrin diesen Auftrag so ernst nahm. Sie war dabei, sich wieder mal zu intensiv einzusetzen. Zudem hegte der Butler gewisse Befürchtungen: War nicht zu erwarten, daß Agatha Simpson ihn eines Tages zu einem Rundflug einlud? Solch einem Risiko wollte Parker sich nicht unnötig aussetzen.

Knapp zehn Minuten waren verstrichen.

Der Doppeldecker setzte zur Landung an. Parker sah um sich herum erwartungsvoll-schadenfrohe Gesichter. Die Flugschüler und das technische Personal erwarteten ein menschliches Wrack, das aus dem Doppeldecker geborgen werden mußte. Die Besatzung eines Krankenwagens machte sich bereit, mit dem Wagen dicht an die Maschine heranzurollen, um die entnervte Mylady zu übernehmen.

Higgins rollte mit dem Doppeldecker bis dicht an die Hangars und an den Tower. Die Schraube drehte sich noch ein paarmal und blieb dann stehen.

Parker schritt zwar gemessen, aber doch nicht gerade langsam in Richtung Maschine und legte sich bereits einige tröstende Worte zurecht. Er wurde überholt von den Flugschülern, die den Zustand des Passagiers aus nächster Nähe begutachten wollten.

Higgins war bereits ausgestiegen und wurde von seinen Flugschülern umringt. Agatha Simpson saß noch im Cockpit und rührte sich nicht. Parker dachte sofort an einen mittelschweren Kreislaufkollaps und nahm sich vor, mit Higgins ein paar ernste Worte zu reden. Es war geradezu unverantwortlich, was er da mit seinem Fluggast angestellt hatte.

»Es ist nicht zu glauben«, hörte er Higgins sagen.

»Dieser Ihrer Meinung möchte ich mich in aller Bescheidenheit, aber auch Entschiedenheit anschließen«, erwiderte Parker, der sich seinen Weg durch die Neugierigen gebahnt hatte.

»Ich ... Ich habe alles versucht«, redete Higgins schnaufend weiter. Er sah erstaunlicherweise ein wenig mitgenommen aus.

»Auch dies kann ich nur unterstreichen«, kommentierte der Butler.

»Wer hilft mir endlich aus der Kiste heraus?« war in diesem Moment die äußerst munter klingende Stimme der Lady zu hören. »Mister Parker, verplaudern Sie sich nicht schon wieder!«

»Mylady fühlen sich den Umständen entsprechend einigermaßen wohl?« erkundigte sich Josuah Parker. Er stand auf der unteren Tragfläche und beugte sich über seine Herrin.

»Was heißt hier wohl?«

»Darf ich mir gestatten, Mylady einen Kreislaufbeschleuniger anzubieten?« Parker hatte die flache, lederumhüllte Flasche bereits in Händen und schraubte den Verschluß ab, der als Trinkbecher diente.

»Higgins dürfte ihn nötiger halben«, erwiderte Agatha Simpson. »Wissen Sie, er hat schwache Nerven.«

»Schwache Nerven, Mylady?« Parker steckte die bewußte Flasche weg und wuchtete die korpulente Dame aus dem engen Cockpit. Die Maschine ging nach rechts in die Federn, als Agatha Simpson die Tragfläche mit ihrem Gewicht einseitig belastete. Dann stieg sie auf die Grasnarbe hinunter, worauf der Doppeldecker sich wieder erleichtert aufrichtete.

»Schwache Nerven«, wiederholte Lady Agatha und nickte. »Als ich den Steuerknüppel übernahm und ihm zeigte, wie man bewußt trudelt, geriet er in Panik.«

»Diese Figur flogen Mylady?« Parker erinnerte sich an dieses Programm, das einem Absturz glich.

»Natürlich, Mister Parker«, sagte sie. »Higgins wollte mir das streitig machen und eingreifen, doch ich war stärker.«

»Mylady bemerken möglicherweise meine Unkenntnis.«

»Der Vogel hat Doppelsteuerung«, sagte sie. »Wer stärker ist, fliegt die Figuren. Und ich war stärker!«

Flugtrainer Higgins wankte auf die ältere Dame zu, diskret gestützt von zwei Flugschülern, die sich seine Knieweichheit immer noch nicht erklären konnten. Er blieb vor Lady Simpson stehen und sah sie klagend an.

»Wieder erholt, junger Mann?« fragte sie.

»Ich... Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, stotterte Higgins. »Sie ... Sie hätten uns mit dem Trudeln beinahe umgebracht.«

»Papperlapapp, junger Mann«, gab sie zurück. »Mit der Fliegerei ist es wie mit dem Radfahren: So etwas vergißt man nie. Gelernt ist Gelernt!«

*

»Was hast du ausgegraben?« fragte der kleine, magere Mann, der irgendwie an eine struppige Ratte erinnerte. Er hieß Paul Maser und mochte etwa sechsundzwanzig Jahre alt sein.

»Die Alte will Flugstunden nehmen«, erwiderte Steve Ralston. Er war etwa vierundzwanzig Jahre alt, mittelgroß und sah treuherzig aus. Selbst ein erfahrener Beobachter der Gangsterszene hätte ihn nie für einen Gangster gehalten.

»Flugstunden? Sag das noch mal...«

»Die Lady will fliegen«, wiederholte Ralston wunschgemäß. »Ich habe es aus erster Hand. Die ist total verrückt.«

»Oder genau das Gegenteil.« Paul Maser schüttelte langsam den Kopf. Sein rattenähnliches Gesicht mit den schwarzen Augen nahm einen nachdenklichen Ausdruck an. »Warum ausgerechnet hier im Club? Nee, das kann kein Zufall sein.«

»Komisch ist das wirklich.« Steve Ralston nickte. »Ob wir den Chef verständigen sollten?«

»Worauf du Gift nehmen kannst, Junge.« Maser nickte. »Die Lady will, hier doch nur herumschnüffeln. Ich möchte bloß mal wissen, wie sie Lunte gerochen hat. Normalerweise arbeitet sie doch nur in London und Umgebung.«

»Ich verdrücke mich wieder.« Steve Ralston, der als Koch im Flugplatzrestaurant arbeitete, verließ seinen Mittelsmann und ging zurück zu der großen zweistöckigen Steinbaracke, in der das einfache Restaurant und die Küche untergebracht waren.

Der Flugplatz befand sich in der Nähe von Ipswich nahe der Kanalküste. Während des zweiten Weltkriegs hatte er als Feldflugplatz gedient. Aus dieser Zeit stammten noch die zweistöckige Steinbaracke, die Hangars, die zum Teil unbenutzt waren, die Reihe der halb versenkten Munitionsbunker am Ende der Rollbahn und auch die Verwaltungsgebäude, die jetzt als Unterkünfte der Flugschule dienten.

Der normale Linienverkehr der Fluggesellschaften war hier nicht anzutreffen. Auf dem alten Feldflugplatz landeten und starteten nur noch Privatmaschinen. Die Ausbildungsschule, in der Trainer Higgins tätig war, erfreute sich großer Beliebtheit und wurde frequentiert. Der Club hatte keine finanziellen Sorgen.

Paul Maser hatte es eilig, zur Telefonzelle zu kommen. Das plötzliche Auftauchen der Lady Simpson hatte ihn alarmiert. Er hatte sie rein zufällig vor dem Tower entdeckt, worauf er sofort einen trockenen Mund bekam.

Noch besser kannte er natürlich den Butler Parker.

Vor Jahren hatte er mal mit ihm in London zu tun gehabt An diese Begegnung erinnerte er sich nur ungern. Er hatte dabei nämlich auf der ganzen Linie draufzahlen müssen und war zum Gespött seiner Freunde geworden. v Mit dem Chef selbst konnte Paul Maser natürlich nicht sprechen, dazu war seine Stellung viel zu gering. Er war schon froh, daß sich ein gewisser Teddy Tralley meldete. Paul Maser nannte seinen Namen und setzte seine Meldung ab.

»Sind Sie noch dran?« fragte er, als auf der Gegenseite keine Antwort erfolgte.

»Was denn sonst?« Teddy Tralleys Stimme klang gereizt. »Ein Irrtum ist also ausgeschlossen?«

»Ralston weiß mit Sicherheit, daß die alte Schreckschraube Flugstunden nehmen will. Er bleibt am Ball.«

»Er bleibt weg vom Ball«, erfolgte jetzt die schnelle Antwort, die keine Auslegung zuließ. »Ihr beide macht euch unsichtbar, ist das klar?«

»Natürlich, Tralley«, erwiderte Paul Maser respektvoll.

»Wir werden uns um dieses Duo kümmern«, schloß Teddy Tralley. »Das ist was für Spezialisten, Maser.«

Paul Maser legte auf und war wütend. Was dieser arrogante Tralley sich bloß dachte? Spezialisten! Sollten die doch herkommen und sich mit Lady Simpson und Butler Parker anlegen. Schadenfroh im voraus, hoffte Paul Maser, daß diese angeblichen Spezialisten sich eine blutige Nase holten.

*

»Haben Sie Quartier gemacht, Mister Parker?« erkundigte sich Lady Agatha. Sie saß im Fond von Parkers hochbeinigem Monstrum und genoß den Blick auf den Orwell, der der Nordsee zuströmte.

»Mylady werden, falls Mylady meiner bescheidenen Wahl zustimmen, im ›Golden Horse‹ wohnen, eine seriöse Herberge in der Nähe des Flugplatzes.«

»Sehr schön, Mister Parker. Sagen Sie, hätten Sie nicht Lust, auch ein paar Flugstunden zu nehmen? Sie sollten Ihre Kenntnisse wieder mal auffrischen. Wer rastet, der rostet!«